Demenz - gelassen betreuen und pflegen - Elisabeth Lange - E-Book
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Demenz - gelassen betreuen und pflegen E-Book

Elisabeth Lange

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Beschreibung

Rundum-Pflege für tatkräftige Helfer Die Diagnose Demenz ist weder für Betroffene noch für Angehörige leicht zu verkraften. Etwa 1,5 Mio. Demenzkranke leben in Deutschland und die Zahl wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Der Großteil der Erkrankten wird von Angehörigen gepflegt und versorgt. Die Anforderungen, die auf Pflegende früher oder später zukommen, sind dabei vielfältiger, als man denkt. Das Buch möchte die Familienmitglieder bei dieser großen Herausforderung unterstützen und die gemeinsame Zeit zu einem positiven und erfüllenden Erlebnis machen. Dafür ist es wichtig, zu verstehen, was Menschen mit Demenz brauchen und wie man sie in Würde begleitet. Wie das geht, zeigen viele praktische Beispiele, Hilfestellungen und Anleitungen. Konkret wird auch auf schwierige Situationen eingegangen und wie es gelingen kann, dabei entspannt zu bleiben. Nur wenn wir verstehen, was in einem vergesslichen Menschen vor sich geht, können wir ihm richtig helfen und dabei sogar die eigenen Kräfte schonen. Ein umfassendes Infokapitel hält alle wichtigen Adresse für finanzielle und personelle Unterstützung bereit, um eine qualitativ hochwertige Pflege zu sichern. Was Ihnen dieses Buch bietet: - Hintergründe zur Erkrankung, die helfen, den Pflegebedürftigen zu verstehen, und damit ein liebevolles Miteinander erleichtern. - Alltagspraktische Unterstützung für die vielfältigen Aufgaben in der häuslichen Pflege. - Nützliche Fakten zum Umgang mit Finanzen und zur "gesetzlichen Betreuung". - Tricks für den Umgang mit auffälligem oder "nervigem" Verhalten der Erkrankten. - Neuigkeiten zu technischen Möglichkeiten, die die Pflege erleichtern und die Sicherheit für den Pflegebedürftigen erhöhen. - Sorgfältig recherchierte Informationen zu allen wichtigen Themen rund um die Pflege von Menschen mit Demenz.

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Seitenzahl: 269

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Was Ihnen dieses Buch bietet

Hintergründe zur Erkrankung, die helfen, den Pflege­bedürftigen zu verstehen, und damit ein liebevolles Miteinander erleichtern.

Alltagspraktische Unterstützung für die vielfältigen Aufgaben in der häuslichen Pflege.

Nützliche Fakten zum Umgang mit Finanzen und zur

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gesetzlichen Betreuun

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Tricks für den Umgang mit auffälligem oder »nervigem«

Verhalten der Erkrankten.

Neuigkeiten zu technischen Möglichkeiten, die die Pflege erleichtern und die Sicherheit für den Pflegebedürftigen erhöhen.

Sorgfältig recherchierte Informationen zu allen wichtigen Themen rund um die Pflege von Menschen mit Demenz.

VORWEG ETWAS PERSÖNLICHES

An einem Tag wie alle anderen bin ich auf dem Weg nach Hause. Plötzlich Stopp! Filmriss! Ich finde mich in einem Klinikbett wieder. Man sagt mir, dass ich nicht orientiert bin, dass ich immer dasselbe wiederhole. Jemand fragt mich nach dem Datum und wo ich wohne. Ich fühle mich ausgeliefert, gedemütigt. Wie komme ich hierher? Was ist mit mir passiert?

Die Antwort der Ärzte lautet: Commotio, Gehirnerschütterung durch einen Sturz. Mein Albtraum endet am nächsten Morgen nach einer Nacht in tiefem Schlaf. Beim Aufwachen ist mein Bewusstsein zurückgekehrt, der Kopf funktioniert wieder. Und doch sind einige Stunden für immer aus meiner Erinnerung verschwunden.

Diesen Blackout werde ich hoffentlich nie vergessen. Vor allem dann nicht, wenn ich es mit einem Menschen zu tun habe, dessen Gehirn nicht mehr perfekt funktioniert. Dann möchte ich mich daran erinnern, wie es sich anfühlt, Gedächtnislücken zu haben. Denn ich finde, wir brauchen ein neues Verständnis für Mitmenschen, die – wie es heute überall in distanziertem Medizinchinesisch heißt – an einer Demenz leiden.

»Du bist doch eigentlich Ernährungsexpertin, warum schreibst du plötzlich über Demenzpflege?«, fragten mich Freunde bei meinen Recherchen im privaten Umfeld. Vielleicht, weil ich mich noch einmal an die letzten Jahre meiner Mutter erinnern möchte und anderen von Nutzen sein könnte, es besser zu machen, als ich es damals konnte. Und weil mein Handwerk als Journalistin und Wissenschaftsautorin helfen könnte, ein nützliches Buch zu schreiben, das einen Platz findet neben all den tieftraurigen Autobiografien. Denn mit diesen Klagemauern des persönlichen Leids werden oft genug Ratschläge in die Welt gesetzt, die man nicht ungeprüft befolgen sollte.

Es gibt einen weiteren Grund: Bis heute ist der Teamgeist in der häuslichen Pflege von vergesslichen Menschen nicht sonderlich ausgeprägt. Man hat oft den Eindruck: Jeder pflegt für sich allein. Noch immer überwinden sich nur wenige, in ihrem Umfeld um Hilfe zu bitten oder die Pflege gemeinsam zu organisieren. Ich möchte versuchen, die Leserinnen und Leser dieses Buchs darin zu ermutigen.

Herzlichst grüßt Sie

OFFENHEIT ALS WEG

Demenz, Alzheimer, Abbau der geistigen Fähigkeiten – die Worte schweben wie eine Drohung über uns, sobald wir an das Alter denken. Sich zu informieren, sich wirklich kundig zu machen, das kann dem Ganzen ein wenig von seinem Schrecken nehmen. Das gilt insbesondere, wenn wir zu Pflegenden geworden sind oder es bald werden könnten.

DAS TABU BRECHEN

Verschämt, entmutigt, überfordert – oder besser: informiert, aufgeklärt, unterstützt? Wie wir auf die Demenz blicken, kann entscheidend bestimmen, wie uns der Umgang mit vergesslichen Menschen gelingt.

Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, sorgen Sie sich vielleicht um einen Angehörigen, der vergesslicher wird. Es könnte sein, dass Sie als Partner oder als Kind seine vertrauteste Person sind und fühlen, dass Sie bald mehr Verantwortung übernehmen müssen. Oder Sie erleben, wie ein vergesslicher Mensch für seine Angehörigen zur Herausforderung gerät. Vielleicht aber pflegen Sie ein Familienmitglied bereits seit geraumer Zeit und wollen es einfach noch besser hinkriegen. Womöglich arbeiten Sie in einem pflegenden Beruf und nehmen dieses Buch zur Hand, um die Sorgen der Angehörigen noch besser zu verstehen und den Kontakt zu ihnen leichter und hilfreicher zu gestalten.

Doch wie soll das gehen bei dieser Krankheit, die trotz gigantischer Forschungsmittel bisher nicht besiegt werden konnte? Der Umgang damit ist eine Herausforderung für uns als Gesellschaft und für jeden persönlich, der sich damit konfrontiert sieht. Was helfen kann? Wissen! Praktisches Know-how, das den Betroffenen, ihren pflegenden Angehörigen und ihren Freunden dabei hilft, mit der Krankheit möglichst entspannt weiterzuleben. Noch immer bestimmen Klischees das Bild von Demenz und eine Menge Leute redet darüber – ohne eigene Erfahrung.

Unbestritten gehört das Aufzeigen von Missständen in der Pflegewirtschaft zu den legitimen Aufgaben der Medien. Doch es schürt auch Ängste. Denn wie soll man auf der persönlichen Ebene mit diesem enormen gesellschaftlichen Manko umgehen und die eigenen Angehörigen – oder auch sich selbst – davor schützen?

Wir lassen das Thema lieber nicht zu nah an uns heran und reden ungern darüber, wenn in unserer Umgebung ein Mensch seine Erinnerungen verliert. Denn fast immer beschleicht uns dabei der Gedanke, wir könnten irgendwann auch betroffen sein. Und dem möglichen Niedergang des eigenen Denkvermögens entgegenzusehen, das ist wahrhaftig nichts für Feiglinge.

Auch das Erleben, dass »es« einen Angehörigen, unsere Mutter, unseren Vater, unsere Schwester oder unseren Bruder, treffen könnte oder bereits getroffen hat, kann überwältigend und nur schwer zu tragen sein.

Mein Vorschlag in all dem: Versuchen wir es doch mit mehr Offenheit! Über die alltäglichen Probleme von Betreuten und Betreuern reden, das Thema nicht unter den Teppich kehren – das hilft dabei, die Krankheiten der Vergesslichkeit zu verstehen und ein wenig leichter zu nehmen.

STATISTISCH GESEHEN TRAGEN NUR KNAPP 7 PROZENT DER ÜBER 65-JÄHRIGEN EIN RISIKO, AN EINER DEMENZ ZU ERKRANKEN. NICHT JEDES »VERGESSLICHWERDEN« IST ALSO WIRKLICH DEMENZ.

Mehr Offenheit zeigt auch: Der Alltag von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sieht zum Glück anders aus, als viele Menschen denken! Die Realität präsentiert sich viel freundlicher als das triste Klischee, denn die allermeisten Familien sorgen hingebungsvoll für ihre vergesslichen Angehörigen und wachsen Tag für Tag mit ihrer Aufgabe. Gelingt sie, dann beschreiben sie die Pflege als positiv und erfüllend. Wie beherzt der Einsatz der pflegenden Angehörigen ist, zeigt sich an vielen Stellen und bei vielen Themen dieses Buchs. Fakt ist: Die Angehörigen sind der größte Pflegedienst der Nation!

Uns Gesunden öffnet mehr Offenheit die Augen dafür, wie vielfältig die geistigen Fähigkeiten sind, die man braucht, um den Alltag zu meistern. Und nur wenn wir das innere Erleben eines vergesslichen Menschen begreifen, wenn wir also seine Welt mit seinen Augen sehen, können wir ihm richtig helfen und dabei sogar unsere eigenen Kräfte schonen. Wenn wir uns auf diese Vorstellung einlassen, könnte dies der erste Schritt zur Befreiung sein und zu einem leichten und fürsorglichen, vielleicht sogar heiteren Umgang mit den Betroffenen führen.

WERBEN UM SCHUTZ UND VERSTÄNDNIS

Zum Glück ist Deutschland ein Land des langen Lebens. Menschen um die vierzig haben im Schnitt noch vier Jahrzehnte vor sich. Dass wir heute alle älter werden können, ist ein Erfolg unserer gebildeten und wohlhabenden Gesellschaft. Wäre es da nicht an der Zeit anzuerkennen, was wir eigentlich schon wissen? Dass nämlich das Gehirn im Alter oft nicht mehr so perfekt funktioniert wie in jungen Jahren. Und dass ebenso gilt, dass sich nicht jeder ältere Mensch, der vergesslich wird, auf dem Weg in eine Demenz befindet. Wie aber sieht er aus, unser gegenwärtiger Umgang mit der Vergesslichkeit?

Schauen Sie sich doch einmal die Szene an, die in dem Kasten auf der folgenden Seite beschrieben ist. Können Sie sich in dieses Geschehen und in die Stimmung auf der Zugreise hineinversetzen? In die lastende Schwere des Schweigens? Das Verschämte und Demütigende? Was alle fünf Reisenden in dem ICE-Abteil bedrückt, ist ein Tabu. Verhält sich jemand ungewöhnlich und versteht nicht, was sich gerade um ihn herum abspielt, sehen viele von uns lieber weg. Wir halten es sogar für höflich, so zu tun, als hätten wir überhaupt nichts bemerkt.

In unserem Beispiel leidet die Tochter stumm, weil sie zu wissen glaubt, wie die anderen Anwesenden über die Erkrankte denken. Ihre altersverwirrte Mutter ist derweil gestresst von der ungewohnten Situation. Sie leidet unter dem Nachlassen ihrer geistigen Fähigkeiten und reagiert doppelt empfindlich in der fremden und irgendwie starren, stummen Umgebung. Menschen mit einer Demenz haben nämlich meistens einen ausgeprägten Sinn für Stimmungen. Die logische Folge: Die ältere Frau will weg aus dieser für sie unverständlichen und bedrückenden Situation, sie will aussteigen.

WAS OFFENHEIT BEWIRKT – TEIL 1

Begeben wir uns auf eine Bahnreise. Fünf Menschen steigen am Hamburger Hauptbahnhof ins gleiche Abteil des ICE nach Frankfurt. Die beiden letzten, zwei junge Männer mit großen Rucksäcken, grüßen beim Eintreten freundlich in die Runde. Von einem älteren Herrn ernten sie dafür ein Lächeln und eine einladende Handbewegung.

Zwei Frauen, elegant in Blau und Grau, der Ähnlichkeit nach zu urteilen Mutter und Tochter, sind zu beschäftigt zum Grüßen. Sie verstauen ihr Gepäck. Die Ältere setzt sich zwar für Sekunden hin, steht aber sofort wieder auf, ergreift ihre Tasche und sagt: »Wir müssen aussteigen.« Ihre Tochter bleibt sitzen, hält den Kopf gesenkt, berührt die Ältere am Arm und antwortet leise: »Nein, Mutti, wir bleiben noch.« Die Mutter setzt sich zögernd wieder hin, steht aber kurz darauf erneut auf.

Im Lauf der nächsten Stunden wiederholt sich diese Szene fast wortgleich wieder und wieder. Ansonsten herrscht im Abteil Schweigen. Gegen Ende der Fahrt wirken Mutter und Tochter erschöpft, die mitreisenden Männer atmen erlöst auf, als sie das Abteil verlassen.

Offen für die Gefühlswelt eines Menschen mit Demenz

Die Erwartungen, die die Tochter bei der Zug­reise an die Mitfahrenden hat, müssen überhaupt nicht mit deren Blick auf die alte Frau übereinstimmen. Nicht jeder hat persönliche Erfahrungen mit vergesslichen Menschen. Vor allem die Jüngeren denken oft, sie würden nur in Heimen gepflegt, und reagieren mit Verwunderung, wenn sie erfahren, dass derzeit in Deutschland zwei von drei Menschen mit einer Demenzerkrankung in den eigenen vier Wänden leben. Die Last tragen also weder Staat noch Gesundheitssystem, sondern es sind Angehörige, Freunde und Nachbarn, die sich über Jahre hinweg um Menschen mit nachlassenden geistigen Fähigkeiten kümmern. Fast zwei Drittel der pflegenden Angehörigen wünschen sich mehr emotionale Unterstützung. Offenheit kann helfen, diesen Wunsch zu erfüllen. Bereits in dem Moment, in dem wir anderen vom Wesen der Erkrankung erzählen, lindern wir unsere Sorgen, schwächen das gesellschaftliche Tabu und können auf Anteilnahme hoffen. Man muss dafür nicht einmal groß ins Thema einsteigen – es genügt, anderen offen über die Pflege eines Angehörigen zu erzählen. Wie erlebt man sie? Was ist daran schwierig? Was vielleicht auch berührend und bereichernd?

Es ist ja so: Die Erinnerung geht, die Gefühle bleiben. Wie sich durch Offenheit Nichtbetroffene in die Situation eines Pflegenden hineinversetzen können – so können wir auch versuchen, uns in die Lage des Erkrankten zu versetzen. Stellen wir uns einen Moment lang vor, wie es wäre, wenn wir uns auf das eigene Erinnerungsvermögen einfach nicht mehr verlassen könnten, weil der Kopf seinen Dienst verweigert.

Wie würden wir uns fühlen, wenn um uns herum alles jeden Tag ein bisschen unbegreiflicher würde, weil die Menschen oft viel zu schnell in einer schwer verständlichen Sprache reden? Was wäre, wenn Informationen, Erfahrungen und Eindrücke innerhalb von Minuten wieder verfliegen und wir sie weder festhalten noch zurückrufen könnten? Was wäre, wenn wir auf die Fragen der anderen keine Antwort mehr wüssten, wenn uns einfach nichts einfiele, was wir sagen könnten?

NUR WENN SIGNALE RASEND SCHNELL DURCH DIE FEINEN AUSLÄUFER DER NERVENZELLEN EILEN, FUNKTIONIERT DAS GEHIRN PERFEKT. EIN VERGESSLICHER KOPF DAGEGEN ARBEITET IN ZEITLUPE.

Wir würden uns zwar nicht mehr unbedingt an Fakten und Zusammenhänge erinnern, aber die Gefühle, die wir mit einer Situation verbinden, blieben uns erhalten. Dass mein Mann mir ein Parfum geschenkt hat, weiß ich vielleicht nicht mehr. Aber wenn mir dieser ganz bestimmte Duft in die Nase steigt, versetzt er mich immer in die warme Gewissheit, geliebt zu sein.

Umgekehrt könnten uns plötzlich Panik, Furcht und Bitterkeit ergreifen, wenn alte böse Erinnerungen ungewollt zurückkommen. So sehr wir auch versuchten, uns Klarheit zu verschaffen, würde es uns nicht gelingen, weil der Kopf es nicht mehr schafft, Vergangenes von der Gegenwart zu trennen. Wir würden die Welt – ganz wörtlich gemeint – nicht mehr verstehen und vielleicht vor Angst zittern, bis uns jemand liebevoll in den Arm nähme und uns beruhigte.

WAS OFFENHEIT BEWIRKT – TEIL 2

Wie wäre die Bahnreise verlaufen, wenn die Tochter den Mitreisenden das Verhalten ihrer Mutter mit einem Lächeln erklärt hätte? Natürlich ohne ihre Mutter zu beschämen. Vielleicht so: »Wir sind ja alle manchmal etwas geistesabwesend. Ich habe beim Aussteigen auch schon mal die falsche Haltestelle erwischt.« Die Tochter hätte dabei vielleicht die Hand ihrer Mutter gehalten. Wahrscheinlich müsste sie die Mitreisenden nicht einmal um Nachsicht bitten, denn fast jeder brächte dann Verständnis für die Verletzlichkeit der älteren Dame auf. Der Bann des unbehaglichen Schweigens wäre gebrochen.

Im Verlauf der Reise käme dann vielleicht sogar ein nettes Gespräch in Gang, das allen die Befangenheit nähme. Womöglich würden die Reisenden bald Geschichten über das Aussteigen am falschen Ort austauschen. Anekdoten zum Lächeln. Die entspannte angenehme Stimmung im Bahnabteil würde sich auf alle übertragen und die verwirrte Frau beruhigen. Sie würde vielleicht in die Gespräche einbezogen, würde sich beachtet und respektiert – und damit einfach wohl – fühlen. Am Ende wäre sie vielleicht eingenickt und hätte einen Teil der Reise verschlafen. Wer weiß?

In einer fremden Welt

Durch die pausenlosen Angriffe auf unsere geplagten Sinne würden wir uns aus reinem Selbstschutz immer mehr zurückziehen. Denn unser Gehirn wehrte sich dagegen, die ungezählten Sinneseindrücke und Empfindungen zu verarbeiten, von denen jede einzelne eine Gefahr bedeuten könnte. Dann läge unsere einzige Zuflucht im Traumkino alter schöner Erinnerungen.

Doch der Alltag bliebe. Manches, das wir früher locker nebenher erledigt haben, geriete zur unlösbaren Aufgabe. Einkaufszettel schreiben, Kaffee kochen, Schuhe zubinden, telefonieren, Brote schmieren: Hilfe, wie ging das noch gleich?

Fragte uns jemand, ob wir lieber Cola, Kakao, Kaffee oder Tee trinken möchten, wüssten wir keine Antwort, weil wir uns an den Geschmack der Getränke in diesem Moment nicht erinnerten. Panik könnte uns ergreifen, wenn der Fragende auf einer prompten Antwort besteht. Manchmal fiele uns vielleicht eine alte Ausrede oder ein passender Spruch ein, aber wir wüssten nicht, ob wir damit durchkommen und von den penetranten Erkundigungen erlöst würden.

Wenn die Fragen am Ende zu bedrängend wären, würden wir vielleicht sogar so zornig, dass wir am liebsten um uns schlagen würden, weil unser Unvermögen für die anderen so beschämend sichtbar würde. Doch das alles geschähe nur, wenn da keine liebevollen Helfer wären, die uns die Welt immer wieder neu zurechtrückten. Wenn da niemand wäre, der uns Halt geben, uns beruhigen und unser Selbstwertgefühl stärken würde.

Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto schwerer fiele es uns, im Alltag zurechtzukommen. Gedanken würden immer schneller verfliegen, Farben würden verblassen, Töne gedämpft. Nur wenn in lichten Momenten die Umrisse der Welt wieder auftauchten, sähen wir zeitweise klar. Dann erschiene uns unser eigenes Leben oft fremd.

OHNE TIEFES VERSTEHEN KEINE GUTE PFLEGE

Sobald wir begreifen, wie groß der Stress eines Menschen ist, der sich auf den Bordcomputer seines Gedächtnisses nicht mehr verlassen kann, sind wir als Angehörige, als Pflegende, ja als ganze Gesellschaft auf dem richtigen Weg. Dann beginnen wir, wirklich zu helfen, wirklich zu pflegen.

IMMER NEU ERINNERN: BEI ALLEN DEFIZITEN BLEIBT DER AN DEMENZ ERKRANKTE EIN MENSCH MIT EINEM GELEBTEN LEBEN UND LIEBENSWERTEN EIGENSCHAFTEN.

Seit Jahren erforschen Pflegewissenschaftler, Mediziner und Psychiater, wie man durch Zuwendung und kluges Verhalten die Folgen der Vergesslichkeit für die Betroffenen lindern kann. Denn eins ist klar: Der Mensch bleibt trotz seiner Krankheit eine Persönlichkeit, selbst wenn sein Wesen sich unter dem Druck seiner Behinderung nach und nach verändert. Das Bewusstsein für seine Lage ist in ihm oft bis in die letzten Lebenstage vorhanden. Er nimmt seine Umwelt und seine Behinderungen durchaus wahr, auch noch Jahre nach der Diagnose.

Unsere Vorurteile lösen sich auf, wenn wir die Schreckensszenarien in unserem Kopf nach und nach durch Bilder und Informationen ersetzen, die uns die Angst vor der Krankheit nehmen. Wer offen mit gut ausgebildeten Pflegekräften, ehrenamtlichen Beratern und vor allem mit Angehörigen spricht, erfährt eine erstaunlich positive Sichtweise. Solche Gespräche verhelfen zu Einblicken in eine andere Welt, in der gelacht, erzählt, gespielt, gesungen und gelebt wird wie überall.

Wohlfühlpflege entspannt – die Pflegenden und die Pflegebedürftigen

Vieles hat sich in den letzten Jahren zum Guten gewendet, wir haben gelernt, von den Erfahrungen anderer zu lernen, und können deshalb immer besser mit altersverwirrten Menschen umgehen. Die Gesellschaft wird offener und die Zukunft guter Pflege hat begonnen. Wir sind also – bei allen Schwierigkeiten – keineswegs mit einer unlösbaren Aufgabe konfrontiert.

Den kühlen Begriff »Demenz« benutzten übrigens bis vor zwanzig Jahren nur Ärzte und Psychologen im Austausch untereinander. »Im Kopf ein bisschen langsam geworden« oder »verkalkt« hieß es stattdessen in der Umgangssprache. Mancher schilderte seine älteren Angehörigen auch als »zerstreut«. »Tüdelig« nennen das die Norddeutschen – und es klingt zärtlich.

Die Endgültigkeit des Labels Demenz erzeugt Angst. Dabei fanden Forscher bisher keine messbare Grenze, die das alltägliche gemächliche Altern des Gehirns von einer fortschreitenden Krankheit wirklich scharf trennen würde. Niemand weiß so genau, wie viele Menschen an der einen oder anderen Form abnehmender geistiger Vitalität leiden. Was wir aber wissen: Vergesslichkeit an sich ist noch keine Krankheit. Doch das Risiko, dass sich erste Schäden im Gehirn zu einem krankhaften Vergessen ausweiten, steigt mit den Lebensjahren.

WIE DER GEIST SICH VERÄNDERT

Das Altern gehört zum Leben. Was wir dabei oft vergessen: Es betrifft nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Aber was passiert eigentlich in unseren Köpfen, wenn wir altern?

Sobald wir die Kinderschuhe abgestreift haben und das Wachstum beendet ist, beginnt unser Körper zu reifen. Unmerklich zuerst, in allerkleinsten, für Jahrzehnte unmerklichen Schritten an tausend Ecken gleichzeitig. Denn der Ursprung von grauen Haaren, von Falten, schlechten Augen, tauben Ohren und steifen Knochen liegt tief im Inneren unserer Zellen. Die biologische Maschinerie, die dort unser Leben in Gang hält, erzeugt als unvermeidlichen Nebeneffekt eine Menge schädlicher Stoffe. Der größte Teil davon wird auf wunderbare Weise täglich wieder beseitigt. Und die Schäden, die vom giftigen Abfall des Stoffwechsels angerichtet werden, flickt der Körper emsig über Nacht.

Doch immer bleibt ein kleiner Rest, der den Reparaturteams entgeht, auch wenn sie noch so aufmerksam arbeiten. Es sind winzige Fehler, unbedeutend aufs Ganze gesehen, sie treiben aber den Prozess jeden Tag ein bisschen weiter voran: Alterung geschieht in Facetten, die so vielfältig sind wie wir selbst. Es ist sozusagen ein Nebeneffekt des Lebens.

Bei jedem von uns nimmt die Zahl der Nervenzellen im Kopf mit den Jahren ab, auch die Produktion von Nervenbotenstoffen lässt nach und die Schicht, die unsere Nervenzellen schützend umhüllt, wird dünner. Die Folge: Wir denken etwas gemächlicher. Das Gehirn überträgt Nervenreize, Informationen und Reaktionen langsamer als früher. Unsere Fähigkeit, gleichzeitig verschiedene Reize zu verarbeiten, sinkt.

Dass wir im Alter beim Denken langsamer werden, war schon immer klar und wurde Älteren früher problemlos zugestanden. Denn ein und derselbe Mensch konnte – ohne dass jemand daran zweifelte – zugleich vergesslich und weise sein. Er wurde geehrt und geachtet, auch wenn er ab und zu seine Brille verlegte oder den Namen der Nachbarin vergaß. Denn Altern bedeutet nicht nur Verlust, sondern auch Fülle, eine bemerkenswerte Zunahme an Wissen, an Effektivität, an klugen Strategien und fein differenzierten Fähigkeiten. In einem alten Kopf steckt eben ein Reichtum an Klugheit und Erfahrung.

UNSER HOHES ALTER IST NOCH JUNG

Wir Menschen werden noch nicht sehr lange so alt wie heute. Erst vor gut 30 000 Jahren stieg unsere Lebenserwartung kräftig an. Das haben amerikanische Forscher anhand von Fossilien herausgefunden. Nur durch mehr lebenserfahrene, ältere Menschen in der Gemeinschaft konnte sich unsere moderne Wissenskultur entwickeln, vermuten Experten.Doch ein solch hohes Alter, wie es heute viele erreichen, war die längste Zeit in der Geschichte eine Ausnahme.

WIR HABEN KEINEN GRUND, HERABLASSEND ZU SEIN, WENN EIN ALTER MENSCH NICHT MEHR SO SCHNELL IM KOPF IST WIE WIR MITTELALTEN ODER JUNGEN.

Schöne Aussichten

Wir können immer älter werden, doch den Verstand setzen wir dabei aufs Spiel. Vielleicht ist ein bisschen »gaga« zu sein ja auch ganz nett, wenn man über hundert ist. Und ohnehin möchte man die Frage »Weißt du noch …?« manchmal mit einem definitiven »Keine Ahnung!« beantworten. Doch das Fiasko beginnt bereits früher, als wir denken. Forscher der Universität Michigan in den USA untersuchten das Vokabular, das Wissen und die Fähigkeit, Neues zu lernen sowie Informationen zu verarbeiten, in einer Gruppe von Leuten, deren Alter von 20 bis 90 Jahren reichte. Sie fanden heraus, dass der Abbau der Fertigkeiten bereits mit 20 Jahren beginnt und mit jedem Jahr im Erwachsenenalter in winzigen Schritten weiter fortschreitet.

Höchstleistungen im Hirn

Unser Gehirn besteht aus mehr als 20 Milliarden Nervenzellen. Es sind die fadenförmigen, fein verzweigten Fortsätze dieser Zellart, die uns Denken und Fühlen, Handeln und Planen ermöglichen. Jede Zelle streckt ihre Ausläufer aus, um sich in flexibel verzweigten Netzen mit bis zu 10 000 Artgenossinnen zu verbinden. Alle »sprechen« über Kontaktstellen, sogenannten Synapsen, miteinander, etwa so wie im Internet, wo Milliarden von Teilnehmern sich kreuz und quer gegenseitig benachrichtigen.

Nehmen wir einmal an, wir gehen über die Straße und sehen plötzlich einen Hund. Was passiert dann im Inneren des Kopfes? Kaum ist der Reiz vom Sehnerv zu den höheren Zentren des Gehirns vorgedrungen, äußern die zuständigen Zellen, was sie erkennen. In diesem Fall zum Beispiel: ein vierbeiniges Tier mit grauem Fell. Der Eindruck läuft weiter ins limbische System, einer Funktionseinheit des Gehirns.

Dort kommen die Gefühle dazu und bewerten den Anblick vielleicht so: keine Angst, ungefährlich, nettes Vieh, macht Spaß, es zu streicheln. Falls das Gehirn den Hund jedoch als gefährlich bewertet, schaltet ein Gefühl der Angst ein Stressgen an, das dafür sorgt, dass aus der Nebennierenrinde das Stresshormon Cortisol freigesetzt wird. Der zweite Alarmruf geht an den Hirnstamm. Dort aktiviert er Bereiche, die wiederum uns aktivieren. Und wozu? Damit wir notfalls mit dem Hund kämpfen oder vor ihm wegrennen und uns in Sicherheit bringen können.

ZUGLEICH VERGESSLICH UND WEISE

Je älter wir werden, desto schwerer fällt es uns, die Welt um uns herum perfekt einzuschätzen. Das Gehirn entwickelt jedoch erstaunliche Strategien, um den Schwächen entgegenzuwirken. Messungen von Gehirnwellen zeigten, dass Ältere gezielt eine höhere Aufmerksamkeit entwickeln. Sie schauen genauer hin und konzentrieren sich mehr auf Details als Jüngere.

Die Nachteile des Alterungsprozesses kann das Gehirn also bis zu einem gewissen Grad durch erhöhte Aufmerksamkeit ausgleichen. Und manchmal kommt dabei am Ende eine klügere Einschätzung heraus als beim flüchtigen Blick der Jungen. Eine Redensart bringt es auf den Punkt: »Die Jungen können zwar schneller rennen, aber die Alten kennen die Abkürzung.«

Wir arbeiten daran

Die Anstrengungen vieler Hundert Forschungsteams in aller Welt haben zwar Tausende neuer Details über das menschliche Gehirn zum Vorschein gebracht, aber bis heute konnte kein Experte das biologische Puzzle perfekt zusammensetzen. Noch unbeantwortet sind die Fragen, warum bei einigen von uns die genialen Strukturen unseres Gehirns eines Tages zugrunde gehen, warum die eine an Alzheimer erkrankt, der andere an Parkinson und der nächste vielleicht in seinen späten Jahren eine Gefäßdemenz entwickelt oder wie die meisten der Betroffenen unter einer gemischten Demenz leidet. Sicher, ein paar Gene tragen fraglos die Schuld daran und auch der Lebensstil, falsche Medikamente, zu viel Alkohol, Übergewicht, ein Mangel an Tageslicht und Bewegung – irgendwie alles miteinander. Und vielleicht gibt es noch andere Gründe, an die bisher niemand ernsthaft gedacht hat.

WEIL KEIN FORSCHER SAGEN KANN, WAS WIRKLICH IN DER BIOLOGIE EINES VERGESSLICHEN MENSCHEN PASSIERT, GIBT ES AUCH KEINE PILLEN DAGEGEN.

DIAGNOSE – UND DANN?

Noch gibt es keine Medikamente, die eine Demenz stoppen oder heilen. Warum aber braucht man dann überhaupt eine Diagnose? Die belastet doch nur, oder?

Eine für alle hilfreiche Antwort fällt nicht leicht. Da ist zum einen die Frage nach den Finanzen (ab >): Kranken- und Pflegekassen übernehmen die Behandlungskosten nur dann, wenn die Erkrankung durch Ärzte bestätigt ist. Und es gibt noch eine Reihe anderer Faktoren, die eine Diagnose sinnvoll machen. Vor allem: Wird die nachlassende Denkfähigkeit frühzeitig festgestellt, können sich die Betroffenen und ihre Angehörigen oft leichter mit ihrer Lebensplanung darauf einstellen. Und je mehr Zeit sie dafür haben, umso besser lässt sich die Pflege auf Dauer natürlich auch bewältigen.

Nicht nur das gesellschaftliche Umfeld schaut gern weg, wenn es um den Verfall grauer Zellen geht. Auch viele Menschen, die an sich selbst erste Symptome erkennen, verleugnen sie. Oft führen sie lange Zeit einen geheimen Abwehrkampf gegen ihre immer tieferen Lücken im Gedächtnis. Dabei entwickeln sie manchmal umwerfend kreative Ausreden, um zu verdecken, dass sie etwas Wichtiges vergessen haben. Schließlich soll niemand die Veränderungen entdecken, gegen die sie sich nicht wehren können.

Diese erste Phase ist belastend, weil anfangs nicht einmal die nächsten Angehörigen begreifen, was in dem Betroffenen vor sich geht. Partner und Kinder erleben zwar, dass derjenige eigenartig reagiert. Doch sie wissen oft lange Zeit nicht, warum. Kein Zweifel, Menschen, denen per Diagnose gesagt wird, dass ihre geistigen Fähigkeiten in Zukunft dahinschwinden werden, müssen in diese Situation erst hineinwachsen.

Den Angehörigen geht es dabei ähnlich wie den Erkrankten. Für eine Weile sind sie zwischen Verzagtheit und Akzeptieren des Unausweichlichen hin- und hergerissen. Zum Annehmen der Situation gehört für beide Seiten das offene Gespräch unter Angehörigen und mit Freunden.

ERST IM REDEN ODER SCHREIBEN VERLIERT SICH FÜR VIELE DER SCHRECKEN, INSBESONDERE AUCH IM AUSTAUSCH MIT ANDEREN BETROFFENEN.

ZEICHEN AN DER WAND

Wenn Vergesslichkeit zum normalen Alterungsprozess gehört – ab wann wird es dann bedenklich? Mediziner und Pflegeforscher verstehen unter Demenz eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Zellen absterben und Nervenverbindungen brüchig werden. Treffen von der folgenden Liste mehrere Anzeichen zu, ist das ein Grund für eine gründliche Untersuchung.

◆Der/die Angehörige ist stiller als früher, oft bleibt er/sie untätig und in sich gekehrt. Er/sie wirkt geistesabwesend, manchmal auch sehr traurig.◆Phasenweise wird sie/er sehr unruhig, wandert scheinbar ziellos umher.◆Die Gegenwart scheint ihm/ihr nur wenig interessant. Er/sie lebt gedanklich immer mehr in der Vergangenheit.◆Er/sie vergisst immer häufiger Verabredungen, Geburtstage und Arzttermine.◆Er/sie verläuft sich manchmal und verliert selbst auf bekanntem Terrain leicht die Orientierung, zum Beispiel bei einem Spaziergang.◆Obwohl früher vielseitig interessiert, zieht er/sie sich von der Umwelt zurück. Er/sie verlässt das Haus nur noch nach gutem Zureden und in Begleitung.◆Fernsehbeiträge, Filme und Bücher wecken kaum noch Interesse.◆Er/sie reagiert immer wieder ohne ersichtlichen Grund gereizt und nervös, wird plötzlich aggressiv, schimpft oder wird sogar tätlich.◆Neuerungen in der Wohnung oder der Umgebung werden strikt abgelehnt.◆Er/sie schläft schlechter als früher, wandert nachts umher.◆Der/die Angehörige reagiert seit einiger Zeit ängstlich und misstraut dem Umfeld.◆Er/sie erkennt sich im Spiegel nicht mehr, schreckt vor einem vermeintlich Fremden im Spiegel zurück.

Es lieber nicht wissen?

Aber was tut man, wenn man als Angehöriger Gewissheit haben möchte, der Vergessliche jedoch vor einer Diagnose zurückschreckt und es lieber nicht so genau wissen will? Helfen könnte wohl zuerst ein Hausarzt, der ihn schon länger kennt. Er kann das Nachlassen der geistigen Fähigkeiten im Rahmen einer Routineuntersuchung prüfen. Am besten informiert man ihn vorher über den Verdacht. Kluge erfahrene Ärzte sagen ihrem Patienten dann vielleicht so etwas wie: »Viele Ältere werden ja vergesslich. Sollen wir das einmal bei Ihnen testen?«

Bietet das Ergebnis Grund zur Sorge, kann der Hausarzt in eine neurologische Praxis oder eine Gedächtnisambulanz (Adressen siehe Infokapitel ab >) überweisen, damit eventuell behandelbare Ursachen gründlich abgeklärt werden.

Klar ist aber auch: Nicht jeder Arzt kann helfen. Studien belegen, dass Hausärzte dafür extrem unterschiedlich qualifiziert sind. Deshalb erhalten viele vergessliche Menschen erst spät eine Diagnose oder auch gar keine. Gut aufgehoben ist man nur bei einem Arzt, der sich mit Demenzerkrankungen wirklich auskennt. Es lohnt sich, einfach danach zu fragen. Fehlt es ihm an konkretem Wissen, dann wiegelt er bei dem Verdacht einer Gedächtnisstörung vielleicht lediglich ab oder geht im Gegenteil aus Unkenntnis viel zu leichtfertig mit der Diagnose um, ohne sich klarzumachen, was er damit anrichten kann.

Behutsam

So bekam ein 80-jähriger ehemaliger Starjournalist bei einer Magenuntersuchung von einem jungen Arzt quasi nebenher die Diagnose »Demenz« verpasst. Der Mediziner hatte einfach nicht mitbekommen, dass der früher hochaktive Mann seit geraumer Zeit Schlafmittel einnahm. Es waren die Neben­wirkungen dieser Pillen, die seinen Kopf belasteten und ihn geistig abwesend erscheinen ließen. Nach dem Absetzen der Medikamente war der Mann ein paar Wochen später geistig wieder fit genug für die politischen Debatten im Freundeskreis, die er sein Leben lang mit Lust geführt hat.

Wahr ist leider auch, dass nicht jede Fachkraft über genügend Einfühlungsvermögen verfügt und sich die Zeit nimmt, die Wahrheit klar, aber taktvoll zu überbringen. Es sind vor allem Selbsthilfegruppen, die bei der Ver­arbeitung der Diagnose Unterstützung bieten, weil man durch Gespräche mit anderen erkennt, dass man mit seinen Problemen keineswegs allein ist.

In manchen Fällen ist es auch gut, psychologische Hilfe zu suchen und anzunehmen. Klarheit und Offenheit helfen in jedem Fall. Werden Familienmitglieder aus vielfältigen Quellen gut informiert und im Alltag unterstützt, können sie mit ihrem Angehörigen einfacher und entspannter leben.

DAS LEIDIGE FACHCHINESISCH

Mediziner, Pflegefachleute und Berater haben sich häufig eine Fachsprache angeeignet, die sie für politisch korrekt halten. Die gerät vielfach so gefühllos und sperrig, dass man sie als normaler Bürger kaum versteht. Das sozio-medizinische Kauderwelsch ist wie ein Geheimcode, an denen sich Eingeweihte erkennen, von dem aber Außenstehende wie diejenigen, die plötzlich einen Angehörigen zu Hause pflegen müssen, ausgeschlossen werden. Wie kann man sich helfen? Schließlich geht es bei den Gesprächen, die oftmals zu Monologen der Fachperson geraten, um uns und unsere Angehörigen.

Wer bei einem Beratungsgespräch mit Spezialbegriffen zugeschüttet wird, gibt dem Gegenüber am besten freundlich, aber offen zu verstehen, dass er sein Versteckspiel mit Wörtern nicht akzeptiert und Klartext möchte. Vielleicht einfach so: »Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Nun bitte dasselbe noch einmal in Alltagsdeutsch, damit ich alles verstehe.« Denn eins ist klar: Es gibt keinen noch so schwierigen Zusammenhang, den man nicht auch verständlich ausdrücken könnte. Und es ist gewiss keine Zumutung, über eine schwerwiegende Erkrankung klare Auskunft zu verlangen. Es ist unser Recht.

DIE WÜRDE DER SCHWACHEN

Was ist mit dem Kranken selbst? Soll man mit ihm über die Diagnose sprechen? Sicher, wenn er selbst Klarheit wünscht, muss er sie erhalten. Vielen bleibt die Situation, in der ihre Befürchtungen zur Gewissheit wurden, als beklemmend in Erinnerung. Vor allem in frühen Phasen der Erkrankung löst die Diagnose Schock, Scham und Verzweiflung aus. Dann helfen nur Gespräche und liebevolle Zuwendung. Im Idealfall schafft es ein Erkrankter, seinen Angehörigen zu sagen: »Tut mir leid, mein Gehirn lässt mich jetzt immer öfter im Stich. Ich hoffe, ihr helft mir, mit der Situation umzugehen.« Damit stärkt er sicher den Zusammenhalt und bahnt den Weg für liebevolle Pflege.

Doch oft wollen Betroffene gar nicht informiert werden oder haben keine Einsicht in ihren Zustand und glauben gar, nicht beeinträchtigt zu sein. Andere schützen sich intuitiv davor, mit dem Nachlassen ihrer geistigen Fähigkeiten konfrontiert zu werden, und versuchen auf diese Weise, ihr Selbstwertgefühl zu erhalten. Wer hätte dann das Herz, einem so verletzlichen Menschen die Wahrheit aufzuzwingen? Außerdem gehen Fachleute davon aus, dass es vielen Betroffenen sogar schon in der Frühphase schwerfällt, ihre Erkrankung selbst einzuordnen.

Im Anfangsstadium von Demenzerkrankungen können regelmäßige Übungen von Alltagstätigkeiten zwar durchaus zu einer Steigerung der trainierten Leistung führen. Und sie verbessern auch tatsächlich das Wohlbefinden der betroffenen Menschen, weil sie ihnen das Gefühl geben, selbst etwas gegen ihre Erkrankung unternehmen zu können. Leider aber wirken sich diese Maßnahmen nicht direkt auf die Bewältigung der Erkrankung und des Alltags aus.

Alltagsgeschichten

DÄMMERUNG IM KOPF

An einem frühen kalten Morgen kurz nach seinem 70. Geburtstag saß der ehemalige Deutschlehrer vor seiner Haustür auf dem Boden, als der Zeitungsbote kam. Er trug seine gewohnten alten Schlappen und eine Schlafanzugjacke, aber keine Hose. Seine beiden erwachsenen Kinder, die mit ihren Familien im oberen Teil des Hauses wohnten, hatten nicht bemerkt, dass er lange vor der Morgendämmerung vor die Tür gegangen war. »Was tun Sie in der Kälte hier?«, fragte der Bote, der nicht gewohnt war, zu dieser Zeit jemanden vor dem Haus zu treffen, und dem die Blöße des Mannes peinlich war. »Die Tür geht nicht auf« war die Antwort. Der Bote drückte gegen die angelehnte Tür. Sie klemmte ein bisschen, öffnete sich dann aber. Das war die erste Begegnung der beiden.

RENDEZVOUS OHNE GLAMOUR

Sie trafen sich in den nächsten Wochen häufiger. Mal stand die Eingangstür offen und der Siebzigjährige wanderte im Garten umher, manchmal begegneten sie sich an der Straßenecke. Der Zeitungsbote hatte sich angewöhnt, den Mann ins Haus zurückzubringen: »So, jetzt gehen Sie wieder ins Bett!«, sagte er dann und drückte ihm die Zeitung in die Hand. Irgendwann kam er nach dem Ende seiner Liefertour zurück und klingelte im ersten Stock. So erfuhr die Familie von den Irrwegen des Vaters.

DAS RICHTIGE TIMING FÜR KOHLRABI