Der abenteuerliche Simplicissimus - Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen - E-Book

Der abenteuerliche Simplicissimus E-Book

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen

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Beschreibung

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus avancierte 1668 zum ersten deutschen 'Volksbuch' und gilt bis heute als einer der wichtigsten deutschsprachigen Beiträge zur Weltliteratur.

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Ganz neu eingerichteter allenthalben viel verbesserter

Abenteurlicher Simplicius Simplicissimus

Das ist:

Ausführliche, unerdichtete und recht memorable Lebensbeschreibung

Eines einfältigen, wunderlichen und seltsamen Vaganten, namens Melchior

Sternfels von Fuchshaim, wie, wo, wann, auch welcher Gestalt er nämlich in diese Welt gekommen, wie er sich darinnen verhalten, was er Merk- und Denkwürdiges gesehen, gelernet, gepraktizieret und hin und wieder mit vielfältiger Leibs- und Lebensgefahr ausgestanden, auch warum er endlich solche wiederum freiwillig und ungezwungen verlassen habe. Annehmlich, erfreulich und lustig zu lesen,

Wie auch sehr nützlich und nachdenklich zu betrachten.

Es hat mir so wollen behagen,

Mit Lachen die Wahrheit zu sagen.

Inhalt

An die großgünstigen Leser

Erster Teil

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Zweiter Teil

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Beschluß

Wohlgemeinte Vorerinnerung

An die großgünstige Leser.

Hochgeehrte, geneigte und sehr werte liebe Landsleute!

Hiermit erscheinet meine neue, ganz umbgegoßne, mit schönen von mir, meinem Knän, Meuder, Ursele und Sohn Simplicio inventierten Kupferstücken ausgezierte, Lust erweckende und sehr nachdenkliche Lebensbeschreibung, worzu mich ein kühner und recht verwegner Nachdrucker veranlasset, indem er meinem Herrn Verleger seine höchstruhmwürdige Mühe und Unkosten, Fleiß und Arbeit, die er in erster Einrichtung und annehmlicher Vorstellung dieses meines ihme allein mitgeteilten Werkleins und den daraus erhobenen geringfügigen Gewinn, weiß nicht, ob aus selbsteignem neidischen Herzen oder, wie ich eher darvorhalte, aus tollkühner Anreizung etlicher Mißgönner verwegnerweis sich unterstanden, aus den Händen zu reißen und ganz unrechtmäßig ihme selbst zuzueignen. Welches frevelhaftige Beginnen mir, als ichs vernommen, so sehr zu Herzen gegangen, daß ich darüber in eine höchst gefährliche Krankheit geraten, von welcher ich bis auf diese Stunde noch nicht genesen kann. Nichtsdestoweniger habe ich meinem geliebten Sohn Simplicio anbefohlen, anstatt meiner ein Traktätchen zu verfertigen und solches euch, hochwerten Landsleuten, mit ehisten zuzuschicken, auch euer Judicium darüber zu vernehmen, dessen Titul also lautet:

Derer in frembde Ämter greifenden Frevler rechtmäßige Nägelbeschneidung.

Hoffe, solch Werklein werde ihnen nicht unangenehm sein, weil darinnen solche arcana enthalten, welche vortreffliche Mittel an die Hand geben, das Seinige in höchster Zufriedenheit und angenehmster Sicherheit zu besitzen. Indessen lasset euch diese Edition meiner Lebensbeschreibung, darbei meines Verlegers Nam befindlich, vor andern lieb sein; dann die andern Exemplarien, da das Widerspiel befindlich, werde ich, so wahr ich Simplicissimus heiße, nicht vor meine Geburt erkennen, sondern, weil ich Atem hole, anzufeinden, und wo ichs sehe, aus selben Scharmutzel zu machen, auch dem Nachspicker eine Kopie darvon zu übersenden nicht unterlassen. Im übrigen kann ich auch nicht unangedeutet lassen, daß mein Verleger meinen Ewigwährenden Kalender vor kurz verwichner Zeit mit großer Müh und Unkosten auch zu Ende gebracht, ingleichem noch viele annehmliche Traktätel, als das Schwarz und Weiß oder Satirische Pilgram, die Landstörzerin Courage, den Abenteurlichen Springinsfeld, Keuschen Joseph samt seinem getreuen Diener Musai, und die anmutige Liebs- und Leidsbeschreibung Dietwalds und Amelinden samt den zween-köpfigten Ratio Status ans Tagesliecht gebracht, dabei auch künftig in einem kleinen Jahrbuch oder Kalender in Quarto die Continuatio meiner wunderlichen Begebnüs, so ich und mein junger Simpli. leben werden, folgen soll, nun euch, geliebten Landsleuten, dardurch einigen Gefallen zu erzeigen. Sollte sich ein zutäppischer und frembdes Gut begehrender Langfinger gleichfalls finden, selbigen nachzuspicken und nachzuformen, soll ihmer gewiß ein solches Bad oder Vergeltung zugerichtet werden, daß er sein Lebtag an Simplicissimum gedenken soll. Dies bitte ich, ihr Herren Landsleut, wollet, wo ihr euch befindet, nicht ungeahntet lassen. Diene euch hinwiederum, wo ich kann und weiß, und verbleibe

Euer

Stets beharrlich dienender

Simplicius Simplicissimus.

Erster Teil

Erstes Buch
Das erste Kapitel

Simplex erzählet sein bäurisch Herkommen,

Was er vor Sitten hab an sich genommen.

Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubet, daß es die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren die Patienten, wann sie daran krank liegen und so viel zusammengeraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Kellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können oder sonst etwan durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adlige Personen von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch oft befindet und auf fleißiges Nachforschen nichts anders herauskommt, als daß ihre Voreltern Schornsteinfeger, Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger, ihre Vettern Eseltreiber, Taschenspieler, Gaukler und Seiltänzer, ihre Brüder Büttel und Schergen, ihre Schwestern Nähterin, Wäscherin, Besenbinderinnen oder wohl gar Huren, ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen, und in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen her also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen; ja sie, diese neue Nobilisten, seind oft selbest so schwarz, als wann sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.

Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich nicht gleichstellen, obzwar, die Wahrheit zu bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft eingebildet, ich müßte ohnfehlbar anch von einem großen Herrn oder wenigst einem gemeinen Edelmann meinen Ursprung haben, weil ich von Natur geneigt, das Junkernhandwerk zu treiben, wann ich nur den Verlag und den Werkzeug darzu hätte. Zwar ungescherzt, mein Herkommen und Auferziehung läßt sich noch wohl mit eines Fürsten vergleichen, wann man nur den großen Unterscheid nicht ansehen wollte. Was? Mein Knän (dann also nennet man die Bätter im Spessert) hatte einen eignen Palast, sowohl als ein andrer, ja so artlich, dergleichen ein jeder König, er mag auch mächtiger als der große Alexander selbst sein, mit eignen Händen zu bauen nicht vermag, sondern solches in Ewigkeit wohl unterwegen lassen wird; er war mit Laimen gemalet, und anstatt des unfruchtbarn Schiefers, kalten Bleies und roten Kupfers mit Stroh bedeckt, darauf das edel Getraid wächst, und damit er, mein Knän, mit seinem hochgeachteten, und von Adam selbst herstammenden Adel und Reichtum recht prangen möchte, ließ er die Maur um sein Schloß nicht mit Maursteinen, die man am Weg findet oder an unfruchtbaren Orten aus der Erde gräbet, viel weniger mit liederlichen gebackenen Steinen, die in geringer Zeit verfertigt und gebrennt werden können, wie andere große Herren zu tun Pflegen, aufführen, sondern er nahm Eichenholz darzu, welcher nützliche edle Baum, als worauf Bratwürste und fette Schunken wachsen, bis zu seinem vollständigen Alter über 100 Jahre erfodert. Wo ist ein Monarch, der ihm dergleichen nachtut? Wo ist ein Potentat, der ein Gleiches ins Werk zu richten begehret? Seine Zimmer, Säl und Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz erschwärzen lassen, nur darum, dieweil dies die beständigste Farbe von der Welt ist, und dergleichen Gemäld bis zu seiner Perfektion mehr Zeit brauchet, als ein kunstlicher Maler zu seinen trefflichsten Kunststücken erheischet. Die Tapezereien waren das zärteste Geweb auf dem ganzen Erdboden, dann diejenige machte uns solche, die sich vor alters vermaß, mit der Minerva selbst um die Wette zu spinnen. Seine Fenster waren keiner andern Ursach halber dem Sant Nitglas gewidmet, als darum, dieweil er wußte, daß ein solches, vom Hanf oder Flachssamen an zu rechnen, bis es zu seiner vollkommenen Verfertigung gelanget, weit mehrere Zeit und Arbeit kostet, als das beste und durchsichtigste Glas von Muran; dann sein Stand machte ihm ein Belieben zu glauben, daß alles dasjenige, was durch viel Mühe zuwege gebracht würde, auch eben darumb höchst schätzbar und desto köstlicher sei; was aber köstlich sei, das sei auch dem Adel am anständigsten und stimme mit demselben am allerbesten überein. Anstatt der Pagen, Lakaien und Stallknechte hatte er Schaf, Böcke und Säu, jedes fein ordentlich in seine natürliche Liberei gekleidet, welche mir auch oft auf der Weid aufgewartet, bis ich, ihres Dienstes ermüdet, sie von mir gejaget und heimgetrieben. Die Rüst- oder Harnischkammer war mit Pflügen, Kärsten, Äxten, Hauen, Schauflen, Mist- und Heugabeln genungsam und auf das beste und zierlichste versehen, mit welchen Waffen er sich täglich übete. Dann hacken und Reuten war seine disciplina militaris,wie bei den alten Römern zu Friedenszeiten; Ochsen anspannen war sein hauptmannschaftliches Kommando, Mist ausführen sein Fortifikationwesen, und Ackern sein Feldzug, Holzhacken war sein tägliches exercitium corporis, wie auch das Stallausmisten seine adlige Kurzweile und Türniernspiel. Hiermit bestritte er die ganze Weltkugel, soweit er reichen konnte, und jagte ihr damit alle Ernden eine reiche Beute ab. Dieses alles setze ich hindan und überhebe mich dessen ganz nicht, damit niemand Ursache habe, mich mit andern meinesgleichen neuen Nobilisten auszulachen; dann ich schätze mich nicht besser, als mein Knän war, welcher diese seine Wohnung an einem sehr lustigen Ort, nämlich im Spessert (allwo die Wölfe einander Gute Nacht geben) liegen hatte. Daß ich aber nichts Ausführliches von meines Knäns Geschlecht, Stamm und Namen vor diesmal doziert, beschiehet um geliebter Kürze willen; vornehmlich weil es ohne das allhier um keine adelige Stiftung zu tun ist, da ich soll auf schwören; genug ist es, wann man weiß, daß ich im Spessert geboren bin.

Gleichwie nun aber meines Knäns Hauswesen in allen Stücken sehr adelig vermerkt wird, also kann ein jeder Verständiger auch leichtlich schließen, daß meine Auferziehung derselben gemäß und ähnlich gewesen, und wer solches darvorhält, findet sich auch nicht betrogen; dann in meinem zehenjährigen Alter hatte ich schon die principia in obgemeldten meines Knäns adeligen Exerzitien begriffen, aber der Studien halber konnte ich neben dem berühmten Amphistidi hin passieren, von welchem Suidas meldet, daß er nicht über fünf zählen konnte; dann mein Knän hatte vielleicht einen viel zu hohen Geist und folgete dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger Zeit, in welcher viel vornehme Leute mit Studieren oder, wie sie es nennen, mit Schulpossen sich nicht viel zu bekümmern pflegen, weil sie ihre Leute haben, der Plackscheißerei abzuwarten. Sonst war ich ein trefflicher Musikus auf der Sackpfeife, mit deren ich schöne Jalemigesänge machen konnte, auch darinnen dem vortrefflichen Orpheus nichts nachgab, also, daß wie dieser auf der Harpfe, so ich auf der Sackpfeife exzellierte. Aber die Theologiam anbelangend, lasse ich mich nicht bereden, daß einer meines Alters damals in der ganzen Christenwelt gewesen sei, der mir darinne hätte gleichen mögen; dann ich kannte weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch Hölle, weder Engel noch Teufel und wußte weder Gutes noch Böses zu unterscheiden. Dahero unschwer zu gedenken, daß ich vermittelst solcher Theologiae, wie unsere erste Eltern im Paradies gelebet, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben, weniger von der Auferstehung, nichts gewußt. O edels Leben! (du mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts umb die Medizin bekümmert. Eben auf diesen Schlag kann man meine vortreffliche Erfahrenheit in dem studio legum und allen anderen Künsten und Wissenschaften, soviel in der Welt sein, auch verstehen. Ja ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit, daß mir unmüglich war, zu wissen, daß ich so gar nichts wußte. Ich sage noch einmal: O edeles Leben, das ich damals führete! Aber mein Knän wollte mich solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern schätzte billig sein, daß ich meiner adeligen Geburt gemäß auch adelig tun und leben sollte; derowegen fieng er an, mich zu höhern Dingen anzuziehen und mir schwerere Lectiones aufzugeben.

Das zweite Kapitel.

Simplex wird zu einem Hirten erwählet,

Und das Lob selbigen Lebens erzählet.

Er begabte mich mit der herrlichsten Dignität, so sich nicht allein bei seiner Hofhaltung, sondern auch in der ganzen Welt befand, nämlich mit dem uralten Hirtenamt. Er vertrauete mir erstlich seine Säu, zweitens seine Ziegen, und zuletzt seine ganze Herde Schafe, daß ich selbige hüten, weiden, und vermittelst meiner Sackpfeife (welcher Klang ohnedas, wie Strabo schreibet, die Schafe und Lämmer in Arabia fett machet), vor dem Wolf beschützen sollte. Damal gleichete ich wohl dem David, außer daß jener anstatt der Sackpfeife nur eine Harpfe hatte, welches kein schlimmer Anfang, sondern ein gut Omen für mich war, daß ich noch mit der Zeit, wann ich anders das Glück darzu hätte, ein weltberühmter Mann werden sollte. Dann von Anbeginn der Welt seind jeweils hohe Personen Hirten gewesen, wie wir dann von Abel, Abraham, Isaak, Jakob, seinen Söhnen und Moyse selbst in H. Schrift lesen, welcher zuvor seines Schwähers Schafe hüten mußte, eh er Heerführer und Legislator über 600000 Mann in Israel ward. Ja, möchte mir jemand vorwerfen, das waren heilige, gottergebene Menschen und keine Spesserter Baurenbuben, die von Gott nichts wußten. Ich muß gestehen und kann es nicht in Abrede sein; aber was hat meine damalige Unschuld dessen zu entgelten? Bei den alten Heiden fand man sowohl solche Exempla als bei dem auserwählten Volk Gottes: Unter den Römern seind vornehme Geschlechter gewesen, so sich ohn Zweifel Bubulcos, Statilios, Pomponios Vitulos, Vitellios, Annios Capros und dergleichen genennet, weil sie mit dergleichen Viehe umgangen und solches auch vielleicht gehütet. Zwar Romulus und Remus sein selbst Hirten gewesen; Spartacus, vor welchem sich die ganze römische Macht so hoch entsetzet, war ein Hirt. Was? Hirten sind gewesen (wie Lucianus in seinem »Dialogo Helenae« bezeuget) Paris, Priami des Königs Sohn, und Anchises, des trojanischen Fürsten Aeneae Vater. Der schöne Endimion, umb welchen die keusche Luna selbst gebuhlet, war auch ein Hirt. Item der greuliche Polyphemus: ja die Götter selbst (wie Phornutus saget) haben sich dieser Profession nicht geschämet. Apollo hütet Admeti, des Königs in Thessalia, Kühe; Mercurius, sein Sohn Daphnis, Pan und Proteus waren Erzhirten, dahero seind sie noch bei den närrischen Poeten der Hirten Patronen; Mesa, König in Moab, ist, wie man im 2. Buch der Könige lieset, ein Hirt gewesen; Cyrus, der gewaltige König Persarum, ist nicht allein vom Mithridate, einem Hirten, erzogen worden, sondern hat auch selbst gehütet. Gygas war ein Hirt und hernach durch Kraft eines Rings ein König. Ismael Sophi, ein persischer König, hat in seiner Jugend ebenmäßig das Viehe gehütet; also, daß Philo der Jud in vita Moysis trefflich wohl von der Sache redet, wann er saget, das Hirtenamt sei eine Vorbereitung und Anfang zum Regiment; dann gleichwie die bellicosa und martialia ingenia erstlich auf der Jagt geübt und angeführet werden, also soll man auch diejenige, so zum Regiment gezogen sollen werden, erstlich in dem lieblichen und freundlichen Hirtenamt anleiten. Welches alles mein Knän wohl verstanden haben muß, wie er dann ein trefflich verschlagnes Capitolium gehabt und mit einem tiefsinnigen Verstand versehen war und mir noch bis auf diese Stunde keine geringe Hoffnung zu künftiger Herrlichkeit machet.

Aber indessen wieder zu meiner Herde zu kommen, so wisset, daß ich den Wolf ebensowenig kannte, als meine eigne Unwissenheit selbsten; derowegen war mein Knän mit seiner Instruktion desto fleißiger. Er sagte: »Bub, biß flissig, loß di Schoff nit ze wit vunananger lassen, und spill wacker uff der Sackpfiffa, daß der Wolf nit kom und Schada dau, dan he yß a sölcher veyrboinigter Schelm und Dieb, der Menscha und Vieha frißt, un wan dau awer farlässi bist, so will eich dir da Buckel arauma.« Ich antwortet mit gleicher Holdseligkeit: »Knäno, sag mir aa, wey der Wolf seyhet: Eich hunn noch kan Wolf gesien.« »Ah dau grober Eselkopp (repliziert er hinwieder), dau bleiwest dein Lebelang a Narr, geith meich wunner, was aus dir wera wird, biß schun su a grusser Dölpel, un waist noch neit, was der Wolf für a veyrfeussiger Schelm iß.« Er gab mir noch mehr Unterweisungen und ward zuletzt unwillig, maßen er mit einem Gebrümmel fortgieng, weil er sich bedünken ließ, mein grober und ungehobelter, durch seine Unterweisung noch nicht genugsam auspolierter Verstand könnte seine subtile Unterweisungen nicht fassen, noch zu dieser Zeit derselbigen fähig sein.

Das dritte Kapitel.

Simplex pfeift tapfer auf seiner Sackpfeifen,

Bis die Soldaten ihn mit sich fortschleifen.

Da fieng ich an, mit meiner Sackpfeife so gut Geschirr zu machen, daß man den Krotten im Krautgarten damit hätte vergeben mögen, also daß ich vor dem Wolf, welcher mir stetig im Sinn lag, mich sicher genug zu sein bedünkte; und weilen ich mich meiner Meuder erinnert (also heißen die Mütter im Spessert und am Vogelsberg), daß sie oft gesagt, sie besorge, die Hühner würden dermaleins von meinem Gesang sterben, als beliebte mir auch zu singen, damit das Remedium wider den Wolf desto kräftiger wäre, und zwar ein solch Lied, das ich von meiner Meuder selbst gelernet hatte:

Du sehr verachteter Baurenstand,

Bist doch der beste in dem Land,

Kein Mann dich gnugsam preisen kann,

Wann er dich nur recht siehet an.

Wie stünd es jetzund um die Welt,

Hätt Adam nicht gebaut das Feld?

Mit Hacken nährt sich anfangs der,

Von dem die Fürsten kommen her.

Es ist fast alles unter dir;

Ja was die Erde bringt herfür,

Wovon ernähret wird das Land,

Geht dir anfänglich durch die Hand.

Der Kaiser, den uns Gott gegebn,

Uns zu beschützen, muß doch lebn

Von deiner Hand; auch der Soldat,

Der dir doch zufügt manchen Schad.

Fleisch zu der Speis zeugst auf allein;

Von dir wird auch gebaut der Wein,

Dein Pflug der Erden tut so not,

Daß sie uns gibt genugsam Brod.

Die Erde wär ganz wild durchaus,

Wann du auf ihr nicht hieltest Haus,

Ganz traurig auf der Welt es stünd,

Wann man kein Bauersmann mehr fünd.

Drum bist du billig hoch zu ehrn,

Weil du uns alle tust ernährn.

Natur, die liebt dich selber auch,

Gott segnet deinen Baurenbrauch.

Vom bitterbösen Podagram

Hört man nicht, daß an Bauren kam,

Das doch den Adel bringt in Not,

Und manchen Reichen gar in Tod.

Der Hoffart bist du sehr befreit,

Absonderlich zu dieser Zeit,

Und daß sie auch nicht sei dein Herr,

So gibt dir Gott des Kreuzes mehr.

Ja der Soldaten böser Brauch

Dient gleichwohl dir zum Besten auch;

Daß Hochmut dich nicht nehme ein,

Sagt er: Dein Hab und Gut ist mein.

Bis hieher und nicht weiter kam ich mit meinem lieblich-tönendem Gesang, dann ich ward gleichsam in einem Augenblick von einem Trupp Courassierer samt meiner Herde Schafen umgeben, welche im großen Wald verirret gewesen und durch meine Musik und Hirtengeschrei wieder waren zurecht gebracht worden.

»Hoho,« gedachte ich, »dies seind die rechten Kauzen! dies seind die vierbeinigte Schelmen und Diebe, davon dir dein Knän sagte«; dann ich sähe anfänglich Roß und Mann (wie hiebevor die Amerikaner die spanische Kavallerie) vor eine einzige Kreatur an und vermeinete nicht anders, als es müßten Wölfe sein, wollte derowegen diesen schröcklichen Centauris den Hundssprung weisen und sie wieder abschaffen. Ich hatte aber zu solchem Ende meine Sackpfeife kaum aufgeblasen, da ertappte mich einer aus ihnen beim Flügel und schleuderte mich so ungestüm auf ein leer Baurenpferd, so sie neben andern mehr erbeutet hatten, daß ich auf der andern Seite wieder herab auf meine liebe Sackpfeife fallen mußte, welche so erbärmlich anfieng zu schreien und einen so kläglichen Laut von sich zu geben, als wann sie alle Welt zur Barmherzigkeit hätte bewegen wollen; aber es half nichts, wiewohl sie den letzten Atem nicht sparete, mein Unfäll zu beklagen; ich mußte einmal wieder zu Pferd, Gott geb, was meine Sackpfeife sang oder sagte. Und was mich zum meisten verdroß, war dieses, daß die Reuter vorgaben, ich hätte der Sackpfeife im Fallen weh getan, darum sie dann so ketzerlich geschrieen hätte. Also gieng meine Mähr mit mir dahin in einem stetigen Trab, wie das Primum mobile, bis in meines Knäns Hof. Wunderseltsame Tauben und kauderwelsche Grillen stiegen mir damals ins Hirn, dann ich bildete mir ein, weil ich auf einem solchen Tier säße, dergleichen ich niemals gesehen hatte, so würde ich auch in einen eisernen Kerl vermethomophosiert werden, indem ich diejenigen, die mich fortführten, auch ganz eisern sahe. Weil aber solche Verwandlung nicht folgte, kamen mir andere Grillen in meinen albern Kopf: ich gedachte, diese fremde Dinger wären nur zu dem Ende da, mir die Schafe helfen heimzutreiben, sintemal keiner von ihnen keines hinwegfraß, sondern alle so einhellig, und zwar des geraden Wegs, in meines Knäns Hof zueileten. Derowegen sahe ich mich fleißig nach meinem Knän um, ob er und mein Meuder uns nicht bald entgegengehen und uns willkommen sein heißen wollten. Aber vergebens, er und meine Meuder samt unserm Ursele, welches meines Knäens einzige und liebste Tochter war, hatten die Hintertür getroffen, das Reißaus gespielt und wollten dieser heillosen Gäste nicht erwarten.

Das vierte Kapitel.

Simplicius' Residenz wird ausgeplündert,

Niemand ist, der die Soldaten verhindert.

Wiewohl ich nicht bin gesinnet gewesen, den friedliebenden Leser mit dieser leichtfertigen Reuter-Bursch in meines Knäns Haus und Hof zu führen, weil es schlimm genug darin hergehen wird, so erfodert jedoch die Folge meiner Histori, daß ich der lieben Posterität hinterlasse, was vor abscheuliche und ganz unerhörte Grausamkeiten in diesem unserm teutschen Krieg hin und wieder verübet worden, zumalen mit meinem eigenen Exempel zu bezeugen, daß alle solche Übel von der Güte des Allerhöchsten zu unserm Nutz oft notwendig haben verhängt werden müssen. Dann, lieber Leser! wer hätte mir gesagt, daß ein Gott im Himmel wäre, wann keine Krieger meines Knäns Haus zernichtet und mich durch solche Fahung unter die Leute gezwungen hätten, von denen ich genugsamen Bericht empfangen? Kurz zuvor konnte ich nichts anders wissen noch mir einbilden, als daß mein Knän, Meuder, Ursele, ich und das übrige Hausgesind allein auf Erden sei, weil mir sonst kein Mensch, noch einzige andre menschliche Wohnung bekannt war als meines Knäns zuvor beschriebner adeliger Sitz, darin ich täglich aus und ein gieng.

Aber bald hernach erfuhr ich die Herkunft der Menschen in diese Welt, und daß sie keine bleibende Wohnung hätten, sondern oftermals, ehe sie sichs versähen, wieder daraus müßten; ich war nur mit der Gestalt ein Mensch und mit dem Namen ein Christenkind, im übrigen aber nur eine Bestia! Aber der Allerhöchste sahe meine Unschuld mit barmherzigen Augen an und wollte mich beides, zu seiner und meiner Erkanntnus bringen. Und wiewohl er tausenderlei Wege hierzu hatte, wollte er sich doch ohn Zweifel nur desjenigen bedienen, in welchem mein Knän und Meuder, andern zum Exempel, wegen ihrer liederlichen Auferziehung gestraft würden.

Das erste, das diese Reuter täten und in den schwarz gemalten Zimmern meines Knäns anfiengen, war, daß sie ihre Pferde einställeten; hernach hatte jeglicher seine sonderbare Arbeit zu verrichten, deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte. Dann obzwar etliche anfiengen zu metzgen, zu sieden und zu braten, daß es sahe, als sollte ein lustig Bankett gehalten werden, so waren hingegen andere, die durchstürmten das Haus unten und oben; ja das heimliche Gemach war nicht sicher, gleichsam ob wäre das gölden Fell von Kolchis darin verborgen. Andere machten von Tuch, Kleidungen und allerlei Hausrat große Päck zusammen, als ob sie irgends einen Krempelmarkt anrichten wollten; was sie aber nicht mitzunehmen gedachten, ward zerschlagen und zugrunde gerichtet; etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob sie nicht Schaf und Schweine genug zu stechen gehabt hätten; etliche schütteten die Federn aus den Betten und fülleten hingegen Speck, andere Dürrfleisch und sonst Gerät hinein, als ob alsdann besser darauf zu schlafen wäre. Andere schlugen Ofen und Fenster ein, gleichsam als hätten sie einen ewigen Sommer zu verkündigen; Kupfer und Zinngeschirr schlugen sie zusammen und packten die gebogene und verderbte Stücken ein; Bettladen, Tische, Stühle und Bänke verbrannten sie, da doch viel Klafter dürr Holz im Hof lag. Häfen und Schüsseln mußte endlich alles entzwei, entweder weil sie lieber Gebraten aßen oder weil sie bedacht waren, nur eine einzige Mahlzeit allda zu halten.

Unsre Magd ward im Stall dermaßen traktiert, daß sie nicht mehr daraus gehen konnte, welches zwar eine Schande ist zu melden. Den Knecht legten sie gebunden auf die Erde, steckten ihm ein Sperrholz ins Maul und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser in Leib: das nannten sie einen schwedischen Trunk, der ihm aber gar nicht schmeckte, sondern in seinem Gesicht sehr wunderliche Mienen verursachte, wodurch sie ihn zwungen, eine Partei anderwärts zu führen, allda sie Menschen und Viehe hinwegnahmen und in unsern Hof brachten, unter welchen mein Knän, meine Meuder und unsre Ursele auch waren.

Da fieng man erst an, die Steine von den Pistolen und hingegen anstatt deren der Bauren Daumen aufzuschrauben und die arme Schelmen so zu foltern, als wann man hätte Hexen brennen wollen, maßen sie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in Backofen steckten und mit Feuer hinter ihm her waren, unangesehen er noch nichts bekannt hatte. Einem andern machten sie ein Seil um den Kopf und raitelten es mit einem Bengel zusammen, daß ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren heraussprang. In Summa, es hatte jeder seine eigne Invention, die Bauren zu peinigen, und also auch jeder Baur seine sonderbare Marter. Allein mein Knän war meinem damaligen Bedünken nach der glücklichste, weil er mit lachendem Munde bekannte, was andere mit Schmerzen und jämmerlicher Weheklage sagen mußten, und solche Ehre widerfuhr ihm ohn Zweifel darum, weil er der Hausvatter war; dann sie satzten ihn zu einem Feur, banden ihn, daß er weder Hände noch Füße regen konnte, und rieben seine Fußsohlen mit angefeuchtem Salz, welches ihm unsre alte Geiß wieder ablecken und dadurch also kützeln mußte, daß er vor Lachen hätte zerbersten mögen. Das kam so artlich und mir so anmutig vor (weil ich meinen Knän nie mals ein solches langwieriges Gelächter verführen gehöret und gesehen), daß ich Gesellschaft halber, oder weil ichs nicht besser verstund, von Herzen mitlachen mußte. In solchem Gelächter bekannte er seine Schuldigkeit und öffnete den verborgenen Schatz, welcher von Gold, Perlen und Kleinodien viel reicher war, als man hinter den Bauren hätte suchen mögen. Von den gefangenen Weibern, Mägden und Töchtern weiß ich sonderlich nichts zu sagen, weil mich die Krieger nicht zusehen ließen, wie sie mit ihnen umgiengen. Das weiß ich noch wohl, daß man teils hin und wieder in den Winkeln erbärmlich schreien hörte; schätze wohl, es sei meiner Meuder und unserm Ursele nit besser gangen als den andern. Mitten in diesem Elend wandte ich Braten und war umb nichts bekümmert, weil ich noch nit recht verstunde, wie dieses alles gemeinet wäre; ich half auch Nachmittag die Pferde tränken, durch welches Mittel ich zu unsrer Magd in Stall kam, welche wunderwerklich zerstrobelt aussahe; ich kannte sie nicht, sie aber sprach zu mir mit kränklicher Stimme: »O Bub! lauf weg, sonst werden dich die Reuter mitnehmen! guck, daß du davonkommst, du siehest wohl, wie es so übel –!« Mehrers konnte sie nicht sagen.

Das fünfte Kapitel.

Simplex das Reißaus behendiglich spielet,

Wann sich Bäum regen, er Herzensangst fühlet.

Da machte ich gleich den Anfang, meinen unglücklichen Zustand, den ich vor Augen sahe, zu betrachten und zu gedenken, wie ich mich forderlichst ausdrehen und davonlaufen möchte. Wohin aber? Dazu war mein Verstand viel zu gering, einen Vorschlag zu tun; doch hat es mir so weit gelungen, daß ich gegen Abend in Wald bin entsprungen und meine liebe Sackpfeife auch in diesem äußersten Elend nicht verlassen. Wo nun aber weiters hinaus? sintemal mir die Wege und der Wald so wenig bekannt waren, als die Straße durch das gefrorne Meer, hinter Nova Zembla bis gen China hinein. Die stockfinstre Nacht bedeckte mich zwar zu meiner Versicherung, jedoch bedauchte sie meinen finstern Verstand nicht finster genug; dahero verbarg ich mich in ein dickes Gesträuch, da ich sowohl das Geschrei der getrillten Bauren als das Gesang der Nachtigallen hören konnte, welche Vögelein sie, die Bauren, von welchen man teils auch Vögel zu nennen pflegt, nicht angesehen hatten, mit ihnen Mitleiden zu tragen oder ihres Unglücks halber das liebliche Gesang einzustellen; darumb legte ich mich auch ohn alle Sorg auf ein Ohr und entschlief. Als aber der Morgenstern im Osten herfürflackerte, sahe ich meines Knäns Haus in voller Flamme stehen, aber niemand, der zu löschen begehrte. Ich begab mich herfür in Hoffnung, jemanden von meinem Knän anzutreffen, ward aber gleich von 5 Reutern erblickt und angeschrieen: »Jung, kom heröfer, oder skall my de Tüfel halen, ick schiete dick, dat di de Dampff thom Hals ut gaht!« Ich hingegen blieb ganz stockstill stehen und hatte das Maul offen, weil ich nicht wußte, was der Reuter wollte oder meinte; und indem ich sie so ansahe, wie eine Katze ein neu Scheuntor, sie aber wegen eines Morastes nicht zu mir kommen konnten, welches sie ohn Zweifel rechtschaffen vexierte, lösete der eine seinen Karbiner auf mich, von welchem urplötzlichen Feur und unversehnlichem Klapf, den mir Echo durch vielfältige Verdoppelung grausamer machte, ich dermaßen erschröckt ward, weil ich dergleichen niemals gehöret oder gesehen hatte, daß ich alsobald zur Erde niederfiel, und alle viere von mir streckete; ja ich regete vor Angst keine Ader mehr; und wiewohl die Reuter ihres Wegs fortritten und mich ohn Zweifel vor tot liegen ließen, so hatte ich jedoch denselbigen ganzen Tag das Herz nicht, mich aufzurichten noch mich nur ein wenig hin und wieder umbzusehen. Als mich aber die Nacht wieder ergriff, stund ich auf und wanderte so lang im Wald fort, bis ich von fern einen faulen Baum schimmern sahe, welcher mir eine neue Forcht einjagte, kehrete derowegen sporenstreichs wieder um und gieng so lang, bis ich wieder einen andern dergleichen Baum erblickte, von dem ich mich gleichfalls wieder fortmachte, und auf diese Weise die Nacht mit Hin- und Wiederrennen von einem faulen Baum zum andern vertrieb. Zuletzt kam mir der liebe Tag zu Hülf, welcher den Bäumen gebot, mich in seiner Gegenwart unbetrübt zu lassen; aber hiermit war mir noch nichts geholfen, dann mein Herz stak voll Angst und Forcht, die Schenkel voll Müdigkeit, der leere Magen voll Hunger, das Maul voll Durst, das Hirn voll närrischer Einbildung und die Augen voller Schlaf. Ich gieng dannoch fürter, wußte aber nicht wohin. Je weiter ich aber gieng, je tiefer ich von den Leuten hinweg in Wald kam. Damals stund ich aus und empfand (jedoch ganz unvermerkt) die Würkung des Unverstands und der Unwissenheit: wann ein unvernünftig Tier an meiner Stelle gewesen wäre, so hätte es besser gewußt, was es zu seiner Erhaltung hätte tun sollen, als ich. Doch war ich noch so witzig, als mich abermal die Nacht übereilte, daß ich in einen hohlen Baum kroch, meine werte liebe Sackpfeife fleißig in acht nahme und also mein Nachtlager zu halten gänzlich entschlossen war.

Das sechste Kapitel.

Simplex hört Worte, die lauten andächtig,

Sieht den Einsiedel, pfeift und wird ohnmächtig.

Kaum hatte ich mich zum Schlaf bequemet, da höret ich folgende Stimme: »O große Liebe gegen uns undankbare Menschen! Ach mein einziger Trost, meine Hoffnung, mein Reichtum, mein Gott!« und so dergleichen mehr, daß ich nicht alles merken noch verstehen können.

Dieses waren wohl Worte, die einen Christenmenschen, der sich in einem solchen Stand, wie ich mich dazumal befunden, billig aufmuntern, trösten und erfreuen hätten sollen. Aber, o Einfalt und Unwissenheit! es waren mir nur böhmische Dörfer, und alles eine ganz unverständliche Sprache, aus deren ich nicht allein nichts fassen konnte, sondern auch eine solche, vor deren Seltsamkeit ich mich entsatzte. Da ich aber hörete, daß dessen, der sie redete, Hunger und Durst gestillet werden sollte, riete mir mein ohnerträglicher Hunger und fast vor Speisemangel ganz zusammengeschnurrter Magen, mich auch zu Gast zu laden; derowegen faßte ich das Herz, wieder aus meinem hohlen Baum zu gehen und mich der gehörten Stimme zu nähern. Da wurde ich eines großen Manns gewahr in langen schwarzgrauen Haaren, die ihm ganz verworren auf den Achseln herumlagen; er hatte einen wilden Bart, fast formiert wie ein Schweizerkäs. Sein Angesicht war zwar bleichgelb und mager, aber doch ziemlich lieblich, und sein langer Rock mit mehr als 1000 Stückern von allerhand Tuch überflickt und aufeinander gesetzt; um Hals und Leib hatte er eine schwere eiserne Ketten gewunden wie St. Wilhelmus und sahe sonst in meinen Augen so scheußlich und förchterlich aus, daß ich anfieng zu zittern wie ein nasser Hund. Was aber meine Angst mehrete, war, daß er ein Kruzifix, ungefähr 6 Schuhe lang, an seine Brust druckte, und weil ich ihn nicht kannte, konnte ich nichts anders ersinnen, als dieser alte Greis müßte ohn Zweifel der Wolf sein, davon mir mein Knän kurz zuvor gesagt hatte. – In solcher Angst wischte ich mit meiner Sackpfeife herfür, welche ich als meinen einzigen angenehmsten und wertesten Schatz noch vor den Reutern salviert hatte. Ich blies zu, stimmte an und ließ mich gewaltig hören, diesen greulichen Wolf zu vertreiben, über welcher gählingen und ungewöhnlichen Musik, an einem so wilden Ort, der Einsiedel anfänglich nicht wenig stutzte, ohn Zweifel vermeinende, es sei etwan ein teuflisch Gespenst hinkommen, ihn, wie etwan dem großen Antonio widerfahren, zu tribulieren und seine Andacht zu zerstören. Sobald er sich aber wieder erholete, spottete er mei ner, als seines Versuchers im hohlen Baum, wohinein ich mich wieder retirieret hatte; ja er war so getrost, daß er gegen mir gieng, den Feind des menschlichen Geschlechts genugsam auszuhöhnen. »Ha!« sagte er, »du bist ein Gesell darzu, die Heiligen ohn göttliche Verhängnus« etc. Mehrers habe ich nicht verstanden, dann seine Näherung ein solch Grausen und Schröcken in mir erregte, daß ich des Amts meiner Sinne beraubet ward und dorthin in Ohnmacht niedersank.

Das siebente Kapitel.

Simplex wird in einer Herberg traktieret,

Obgleich wird sehr großer Mangel gespüret.

Wasgestalten mir wieder zu mir selbst geholfen worden, weiß ich nicht, aber dieses wohl, daß ich aus dem hohlen Baum mich befande, der Alte meinen Kopf in seinem Schoß und vorn meine Juppe geöffnet gehabt. Als ich mich wieder erholete, da ich den Einsiedler so nahe bei mir sahe, fieng ich ein solch grausam Geschrei an, als ob er mir im selben Augenblick das Herz aus dem Leib hätt reißen wollen. Er aber sagte: »Mein Sohn, schweig! ich tue dir nichts! sei zufrieden, etc.«

Je mehr er mich aber tröstete und mir liebkoste, je mehr ich schrie: »O du frißt mich! O du frißt mich! du bist der Wolf und willst mich fressen!« – »Ei ja wohl nein, mein Sohn,« sagte er, »sei zufrieden, ich friß dich nicht!« Dies Gefecht und erschröckliches Geheule verführt ich sehr lang, bis ich mich endlich so weit ließ weisen, mit ihm in seine Hütte zu gehen; darin war die Armut selbst Hofmeisterin, der Hunger Koch und der Mangel Küchenmeister. Da wurde mein Magen mit einem Gemüs und Trunk Wassers gelabet, und mein Gemüt, so ganz verwirrt war, durch des Alten tröstliche Freundlichkeit wieder aufgerichtet und zurechtgebracht. Derowegen ließ ich mich durch die Anreizung des süßen Schlafes leicht betören, der Natur solche Schuldigkeit abzulegen. Der Einsiedel merkte meine Notdurft; darum ließ er mir den Platz allein in seiner Hütte, weil nur einer darin liegen konnte. Ungefähr um Mitternacht erwachte ich wieder und hörete ihn dieses

Lied singen, welches ich hernach auch gelernet:

Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall!

Laß deine Stimm mit Freudenschall

Aufs lieblichste erklingen:,:

Komm, komm und lob den Schöpfer dein,

Weil andre Vöglein schlafen sein,

Und nicht mehr mögen singen:

Laß dein Stimmlein

Laut erschallen, dann vor allen

Kannst du loben

Gott im Himmel hoch dort oben.

Obschon ist hin der Sonnenschein,

Und wir im Finstern müssen sein,

So können wir doch singen:

Von Gottes Güt und seiner Macht,

Weil uns kann hindern keine Nacht,

Sein Lob zu vollenbringen.

Drum dein Stimmlein

Laß erschallen, dann vor allen

Kannst du loben

Gott im Himmel hoch dort oben.

Echo, der wilde Widerhall,

Will sein bei diesem Freudenschall,

Und lässet sich auch hören:

Verweist uns alle Müdigkeit,

Der wir ergeben allezeit,

Lehrt uns den Schlaf betören.

Drum dein Stimmlein

Laß erschallen, dann vor allen

Kannst du loben

Gott im Himmel hoch dort oben.

Die Sterne, so am Himmel stehn,

Sich lassen zum Lob Gottes sehn,

Und Ehre ihm beweisen:

Die Eul auch, die nicht singen kann,

Zeigt doch mit ihrem Heulen an,

Daß sie Gott auch tu preisen.

Drum dein Stimmlein

Laß erschallen, dann vor allen

Kannst du loben

Gott im Himmel hoch dort oben.

Nur her, mein liebstes Vögelein,

Wir wollen nicht die fäulste sein,

Und schlafend liegen bleiben:

Vielmehr bis daß die Morgenröt

Erfreuet diese Wälder öd,

In Gottes Lob vertreiben.

Laß dein Stimmlein

Laut erschallen, dann vor allen

Kannst du loben

Gott im Himmel hoch dort oben.

Unter währendem diesem Gesang bedunkt mich wahrhaftig, als wann die Nachtigall sowohl, als die Eule und Echo mit eingestimmet hätten, und wann ich den Morgenstern jemals gehöret oder dessen Melodei auf meiner Sackpfeife aufzumachen vermöcht, so wäre ich aus der Hütte gewischt, meine Karte mit einzuwerfen, weil mich diese Harmonia so lieblich zu sein bedunkte; aber ich entschlief und erwachte nicht wieder bis wohl in den Tag hinein, da der Einsiedel vor mir stund und sagte: »Auf, Kleiner, ich will dir Essen geben, und alsdann den Weg durch den Wald weisen, damit du wieder zu den Leuten und noch vor Nacht in das näheste Dorf kommest!« Ich fragte ihn: »Was sind das für Dinger, Leuten und Dorf?« Er sagte: »Bist du dann niemalen in keinem Dorf gewesen und weißt auch nicht, was Leute oder Menschen seind?« – »Nein,« sagte ich, »nirgends als hier bin ich gewesen. Aber sage mir doch, was seind Leute, Menschen und Dorf?« – »Behüte Gott!« antwortete der Einsiedel, »bist du närrisch oder gescheid?« – »Nein!« sagt ich, »meiner Meuder und meines Knäns Bub bin ich, und nicht der Närrisch oder der Gescheid.« Der Einsiedel verwunderte sich mit Seufzen und Bekreuzigung und sagte: »Wohl, liebes Kind, ich bin gehalten, dich um Gottes willen besser zu unterrichten.« Darauf fielen unsere Reden und Gegenreden, wie folgend Kapitel ausweiset.

Das achte Kapitel.

Simplex gibt seinen Verstand an den Tag

Durch seine törichte Antwort und Frag.

Einsiedel: Wie heißest du?

Simpl. Ich heiße Bub.

Einsied. Ich sehe wohl, daß du kein Mägdlein bist; wie hat dir aber dein Vatter und Mutter gerufen?

Simpl. Ich habe keinen Vatter oder Mutter gehabt.

Einsied. Wer hat dir dann das Hembd geben?

Simpl. Ei, mein Meuder.

Einsied. Wie hieße dich dann dein Meuder?

Simpl. Sie hat mich Bub geheißen, auch Schelm, langöhrichter Esel, ungehobelter Rültz, ungeschickter Dölpel und Galgenvogel.

Einsied. Wer ist dann deiner Mutter Mann gewesen?

Simpl. Niemand.

Einsied. Bei wem hat dann deine Meuder des Nachts geschlafen?

Simpl. Bei meinem Knän.

Einsied. Wie hat dich dann dein Knän geheißen?

[24] Simpl. Er hat mich auch Bub genennet.

Einsied. Wie hieß aber dein Knän?

Simpl. Er heißt Knän.

Einsied. Wie hat ihn aber dein Meuder gerufen?

Simpl. Knän, und auch Meister.

Einsied. Hat sie ihn niemals anders genennet?

Simpl. Ja, sie hat.

Einsied. Wie dann?

Simpl. Rülp, grober Bengel, volle Sau, alter Scheißer und noch wohl anders, wann sie haderte.

Einsied. Du bist wohl ein unwissender Tropf, daß du weder deiner Eltern, noch deinen eignen Namen nicht weißt!

Simpl. Eia, weißt dus doch auch nicht!

Einsied. Kannst du auch beten?

Simpl. Nein, unser Ann und mein Meuder haben alls das Bette gemacht.

Einsied. Ich frage nicht hiernach, sondern ob du das Vaterunser kannst?

Simpl. Ja ich.

Einsied. Nun, so sprichs dann!

Simpl. Unser lieber Vatter, der du bist Himmel, heiliget werde nam, zu kommes dein Reich, dein Will schee Himmel ad Erden, gib uns Schuld, als wir unsern Schuldigern geba, führ uns nicht in kein bös Versucha, sondern erlöß uns von dem Reich, und die Krafft, und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Ama.

Einsied. Bist du nie in die Kirche gangen?

Simpl. Ja, ich kann wacker steigen und Hab alls ein ganzen Busem voll Kirschen gebrochen.

Einsied. Ich sage nicht von Kirschen, sondern von der Kirchen.

Simpl. Haha, Kriechen! Gelt, es seind so kleine Pfläumlein? gelt du?

Einsied. Ach, daß Gott walte! weißt du nichts von unserm Herrn Gott?

Simpl. Ja, er ist daheim an unsrer Stubentür gestanden auf dem Helgen.

Mein Meuder hat ihn von der Kürbe mitgebracht und hingekleibt.

Einsied. Ach, gütiger Gott! nun erkenne ich erst, was vor eine große Gnade und Wohltat es ist, wem du deine Erkanndnus mitteilest, und wie gar nichts ein Mensch sei, dem du solche nicht gibest. Ach Herr! verleihe mir, deinen heiligen Namen also zu ehren, daß ich würdig werde, um diese hohe Gnade so eiferig zu danken, als freigebig du gewesen, mir solche zu verleihen. Höre du, Simplici (dann anders kann ich dich nicht nennen), wann du das Vaterunser betest, so mußt du also sprechen: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiliget werde dein Name, zukomme uns dein Reich, dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel, unser täglich Brod gib uns heut und –

Simpl. Gelt du, auch Käs darzu?

Einsied. Ach, liebes Kind, schweig und lerne! solch ist dir viel nötiger als Käs. Du bist wohl ungeschickt, wie dein Meuder gesagt hat.

Solchen Buben, wie du bist, stehet nicht an, einem alten Mann in die Rede zu fallen, sondern zu schweigen, zuzuhören und zu lernen. Wüßte ich nur, wo deine Eltern wohneten, so wollte ich dich gern wieder hinbringen und sie zugleich lehren, wie sie Kinder erziehen sollten.

Simpl. Ich weiß nicht, wo ich hin soll: Unser Haus ist verbrannt und mein Meuder hinweggeloffen und wieder kommen mit dem Ursele, und mein Knän auch, und unsre Magd ist krank gewesen und ist im Stall gelegen, die hat mich fortlaufen heißen, was gist do, was host.

Einsied. Wer hat dann das Haus verbrannt?

Simpl. Ha, es sind so eiserne Männer kommen, die seind so auf Dingern gesessen, groß wie Ochsen, haben aber keine Hörner; dieselbe Männer haben Schafe und Kühe und Säu gestochen, Ofen und Fenster eingeschlagen, und da bin ich auch weggeloffen, und da ist darnach das Haus verbrannt gewesen.

Einsied. Wo war dann dein Knän?

Simpl. Ha, die eiserne Männer haben ihn angebunden, da hat ihm unsre alte Geiß die Füße gelecket, da hat mein Knän lachen müssen und hat denselben eisernen Männern viel Weißpfennige geben, große und kleine, auch hübsche gelbe, und sonst schöne glitzerechte Dinger, und hübsche Schnüre voll weiße Kügelein.

Einsied. Wann ist dies geschehen?

Simpl. Ei, wie ich der Schafe habe hüten sollen; sie haben mir auch meine Sackpfeife wollen nehmen.

Einsied. Wann hast du der Schafe sollen hüten?

Simpl. Ei, hörst du es nicht? da die eisern Männer kommen sind, und darnach hat unser strobelkopfigte Ann gesagt, ich soll auch weglaufen, sonst würden mich die Krieger mitnehmen; sie hat aber die eiserne Männer gemeinet, und da sein ich weggeloffen und sein hieherkommen.

Einsied. Wo hinaus willst du aber jetzt?

Simpl. Ich weiß weger nit! ich will bei dir hier bleiben.

Einsied. Dich hier zu behalten, ist weder meine, noch deine Gelegenheit. Iß, alsdann will ich dich wieder zu Leuten führen. Simpl. Ei, so sage mir dann auch, was Leute vor Dinger sein?

Einsied. Leut seind Menschen wie ich und du; dein Knän, deine Meuder und eure Ann seind Menschen, und wann deren viel beieinander seind, so werden sie Leute genennet.

Simpl. Haha!

Einsied. Nun gehe und iß! –

Dies war unser Diskurs, unter welchem mich der Einsiedel oft mit den allertiefsten Seufzen anschauete; nicht weiß ich, ob es darum geschahe, weil er ein so groß Mitleiden mit meiner überaus großen Einfalt und dummen Unwissenheit hatte, oder aus der Ursache, die ich erst über etliche Jahre hernacher erfuhr.

Das neunte Kapitel.

Simplex ein Christenmensch anfängt zu werden,

Als er ein Bestia vor war auf Erden.

Ich fieng an zu essen und hörete auf zu papplen, welches nicht länger währete, als bis ich nach Notdurft gefüttert hatte und mich der Alte fortgehen hieß. Da suchte ich die allerzartesten Worte herfür, die mir meine bäurische Grobheit immer mehr eingeben konnte, welche alle dahin giengen, den Einsiedel zu bewegen, daß er mich bei ihm behielte. Obzwar nun es ihm beschwerlich gefallen, meine verdrüßliche Gegenwart zu gedulten, so hat er jedoch beschlossen, mich bei ihm zu leiden, mehr, daß er mich in der christlichen Religion unterrichtete, als sich in seinem vorhandenen Alter meiner Dienste zu bedienen. Seine größte Sorge war, meine zarte Jugend dörfte ein solche harte und sehr strenge Art zu leben in die Länge nicht ausharren mügen.

Eine Zeit von ungefähr drei Wochen war mein Probierjahr, in welcher eben St. Gertraud mit den Gärtnern zu Feld lag, also daß ich mich auch in deren Profession gebrauchen ließ. Ich hielt mich so wohl, daß der Einsiedel ein sonderliches Gefallen an mir hatte, nicht zwar der Arbeit halber, so ich zuvor zu vollbringen gewohnet war, sondern weil er sahe, daß ich ebenso begierig seine Unterweisungen hörete, als geschickt die wachswaiche und zwar noch glatte Tafel meines Herzens solche zu fassen sich erzeigte. Solcher Ursachen halber ward er auch desto eifriger, mich in allem Guten anzuführen. Er machte den Anfang seiner Unterrichtung vom Fall Luzifers; von dannen kam er in das Paradeis; und als wir mit unsern Eltern daraus verstoßen wurden, passierte er durch das Gesetz Mosis und lernete mich vermittelst der zehen Gebote Gottes und ihren Auslegungen (von denen er sagte, daß sie eine wahre Richtschnure sein, den Willen Gottes zu erkennen und nach demselben ein heiliges, Gott wohlgefälliges Leben anzustellen), die Tugenden von den Lastern zu unterscheiden, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Endlich kam er auf das Evangelium und sagte mir von Christi Geburt, Leiden, Sterben und Auferstehung; zuletzt beschloß ers mit dem Jüngsten Tag und stellete mir Himmel und Hölle vor Augen, und solches alles mit gebührenden Umständen, doch nicht mit gar zu überflüssiger Weitläufigkeit; sondern wie ihn dünkte, daß ichs am allerbesten fassen und verstehen möchte. Wann er mit einer Materia fertig war, hub er eine andre an und wußte sich bisweilen in aller Gedult nach meinen Fragen so artlich zu regulieren und mit mir zu verfahren, daß ers mir auch nicht besser hätte eingießen können. Sein Leben und seine Reden waren mir eine immerwährende Predigt, welche mein Verstand, der eben nicht so gar dumm und hölzern war, vermittels göttlicher Gnade nicht ohne Frucht abgehen ließ, allermaßen ich alles dasjenige, was ein Christ wissen soll, nicht allein in gedachten dreien Wochen gefasset, sondern auch eine solche Liebe oftmals zu diesem meinem Unterrichter und zu dessen Unterricht gewonnen, daß ich des Nachts nicht davor schlafen konnte.

Ich habe seithero der Sache vielmal nachgedacht und befunden, daß Aristot. lib. 3. de Anima wohl geschlossen, als er die Seele eines Menschen einer leeren unbeschriebenen Tafel verglichen, darauf man allerhand notieren könne, und daß solches alles darumb von dem höchsten Schöpfer geschehen sei, damit solche glatte Tafel durch fleißige Impression und Übung gezeichnet und zur Vollkommenheit und Perfektion gebracht werde. Dahero dann auch sein Kommentator Averroës lib. 2. de Anima (da der Philosophus saget, der Intellektus sei alls potentia, werde aber nichts in actum gebracht, als durch die scientiam, das ist, es sei des Menschen Verstand allerdings fähig, könne aber nichts ohn fleißige Übung hineingebracht werden), diesen klaren Ausschlag gibet, nämlich, es sei diese scientia oder Übung die Perfektion der Seele, welche für sich selbst überall nichts an sich habe. Solches bestätiget Cicero lib. 2. Tuscul. quaest., welcher die Seele des Menschen ohn Lehre, Wissenschaft und Übung einem solchen Feld vergleichet, das zwar von Natur fruchtbar sei, aber wann man es nicht baue und besame, gleichwohl keine Frucht bringe.

Solches alles erwiese ich mit meinem eigenen Exempel; dann daß ich alles so bald gefasset, was mir der fromme Einsiedel vorgehalten, ist daher kommen, weil er die geschlichte Tafel meiner Seel ganz leer und ohn einzige zuvor hineingedruckte Bildnüssen gefunden, so etwas anders hineinzubringen hätte hindern mögen. Gleichwohl aber ist die pure Einfalt, gegen andern Menschen zu rechnen, noch immerzu bei mir verblieben, dahero der Einsiedel (weil weder er noch ich meinen rechten Namen gewußt) mich nur Simplicium genennet.

Mit ihm lernete ich auch beten; und als er meinem steifen Vorsatz, bei ihm zu bleiben, ein Genügen zu tun entschlossen, baueten wir vor mich eine Hütte gleich der seinigen von Holz, Reisern und Erde, fast formiert wie der Musketierer im Feld ihre Zelten, oder besser zu sagen, die Bauren an teils Orten ihre Rubenlöcher haben, zwar so nieder, daß ich kaum aufrecht darin sitzen konnte. Mein Bette war von dürrem Laub und Gras, und ebenso groß als die Hütte selbst, so daß ich nicht weiß, ob ich dergleichen Wohnung oder Höhlen eine bedeckte Lägerstatt oder eine Hütte nennen soll.

Das zehnte Kapitel.

Simplex lernt wunderlich lesen und schreiben,

Will auch beim Einsiedel willig verbleiben.

Als ich das erstemal den Einsiedel in der Bibel lesen sahe, konnte ich mir nicht einbilden, mit wem er doch ein solch heimlich und meinem Bedünken nach sehr ernstlich Gespräch haben müßte. Ich sahe wohl die Bewegung seiner Lippen, hörte auch das Gebrummel, hingegen aber sahe und hörte ich niemand, der mit ihm redete, und obzwar ich nichts vom Lesen und Schreiben gewußt, so merkte ich doch an seinen Augen, daß ers mit etwas in selbigem Buch zu tun hatte. Ich gab Achtung auf das Buch, und nachdem er solches beigelegt, machte ich mich darhinter, schlugs auf und bekam im ersten Griff das erste Kapitel des Hiobs und die davorstehende Figur, so ein feiner Holzschnitt und schön illuminieret war, in die Augen. Ich fragte dieselbige Bilder seltsame und meinem simplen Verstand nach ganz ungereimte Sachen. Weil mir aber keine Antwort widerfahren wollte, ward ich ungedultig und sagte eben, als der Einsiedel hinter mich schlich: »Ihr kleine Hudler, habet ihr dann keine Mäuler mehr? habet ihr nicht allererst mit meinem Vatter (dann also mußte ich den Einsiedel nennen) lang genug schwätzen können? Ich sehe wohl, daß ihr auch dem armen Knän seine Schafe heimtreibet und das Haus angezündet habet. Halt, halt, ich will dies Feur noch wohl löschen und euch Einhalt tun, daß es nicht weiter Schaden tue.« Damit stund ich auf, Wasser zu holen, weil mich die Not vorhanden zu sein bedünkte. »Wohin, Simplici?« sagte der Einsiedel, den ich hinter mir nicht wußte. »Ei, Vatter!« sagte ich, »da sind auch Krieger; die haben Schafe und wollen sie wegtreiben; sie habens dem armen Mann genommen, mit dem du erst geredet hast. So brennet sein Haus auch schon liechterlohe; und wann ich nicht bald lösche, so wirds verbrennen.« Mit diesen Worten zeigte ich ihm mit dem Finger, was ich sahe. »Bleib nur!« sagte der Einsiedel, »es ist noch keine Gefahr vorhanden.« Ich antwortete meiner Höflichkeit nach: »Bist du dann blind? Wehre du, daß sie die Schafe nicht forttreiben, so will ich Wasser holen.« »Ei!« sagte der Einsiedel, »diese Bilder leben nicht, sie seind nur gemacht, uns vorlängst geschehene Dinge vor Augen zu stellen.« Ich antwortete: »Du hast ja erst mit ihnen geredet; warum wollten sie dann nicht leben?«

Der Einsiedel mußte wider seinen Willen und Gewohnheit über diese meine kindische Einfalt und einfältige Kindheit lachen und sagte: »Liebes Kind, diese Bilder können nicht reden. Was aber ihr Tun und Wesen sei, kann ich aus diesen schwarzen Linien sehen, welches man lesen nennet, und wann ich dergestalt lese, so hältest du davor, ich rede mit den Bildern, so aber nichts ist.« Ich antwortete: »Wann ich ein Mensch bin wie du, so müßte ich auch an denen schwarzen Zeilen können sehen, was du kannst. Wie soll ich mich in dein Gespräch richten? Lieber Vatter, bericht mich doch eigentlich, wie ich die Sache verstehen solle?« Darauf sagte er: »Nun wohlan, mein Sohn! ich will dich lehren, daß du so wohl als ich mit diesen Bildern wirst reden und, was sie bedeuten, wirst verstehen können. Allein wird es Zeit brauchen, in welcher ich Gedult und du Fleiß anzulegen.« Demnach schrieb er mir ein Alphabet auf birkene Rinden, nach dem Druck formiert; und als ich die Buchstaben kannte, lernete ich buchstabieren, folgends lesen, und endlich besser schreiben, als es der Einsiedel selbst konnte, weil ich alles dem Druck nachmalete.

Das eilfte Kapitel.

Simplex erzählet Speis, Hausrat und Sachen,

Die der Mensch ihme zunutzen kann machen.

Zwei Jahre ungefähr, nämlich bis der Einsiedel gestorben, und etwas länger als ein halbes Jahr nach dessen Tod bin ich in diesem Wald verblieben; derohalben siehet mich vor gut an, dem kuriosen Leser, der auch oft das geringste wissen will, unser Tun, Handel und Wandel, und wie wir unser Leben durchgebracht, zu erzählen.

Unsre Speise war allerhand Gartengewächs, Rüben, Kraut, Bohnen, Erbsen, Linsen, Hirsch und dergleichen; wir verschmäheten auch keine Buchen, wilde Äpfel, Birn, Kirschen, ja die Eicheln machte uns der Hunger oft angenehm. Das Brod oder, besser zu sagen, unsere Kuchen bucken wir in heißer Asche aus zerstoßenem welschen Korn. Im Winter fiengen wir Vögel mit Sprinkeln und Stricken; im Frühling und Sommer aber bescherte uns Gott Junge aus den Nestern. Wir behalfen uns oft mit Schnecken und Fröschen; so war uns auch mit Reußen und Anglen das Fischen nicht zuwider, indem unweit von unserer Wohnung ein fisch- und krebsreicher Bach hinfloß, welches alles unser grob Gemüs hinunter convoyren mußte. Wir hatten auf eine Zeit ein junges wildes Schweinlein aufgefangen, welches wir in einen Pferch versperret, mit Eicheln und Buchen auferzogen, gemästet und endlich verzehret, weil mein Einsiedel wußte, daß solches keine Sünde sein könnte, wann man genießet, was Gott dem ganzen menschlichen Geschlecht zu solchem End erschaffen. Salz brauchten wir wenig und von Gewürz gar nichts; dann wir dörften die Lust zum Trunk nicht erwecken, weil wir keinen Keller hatten. Die Notdurft an Salz gab uns ein Pfarrer, der ungefähr 3 Meil Wegs von uns wohnete, von welchem ich noch viel zu sagen habe.

Unsern Hausrat betreffende, dessen war genug vorhanden: dann wir hatten eine Schaufel, eine Haue, eine Axt, ein Beil und einen eisernen Hafen zum Kochen, welches zwar nicht unser eigen, sondern von obgemeldtem Pfarrer entlehnet war. Jeder hatte ein abgenütztes stumpfes Messer; selbige waren unser Eigentum und sonsten nichts. Ferner bedorften wir auch weder Schüsseln, Teller, Löffel, Gabeln, Kessel, Pfannen, Rost, Bratspieß, Salzbüchs noch ander Tisch- und Küchengeschirr; dann unser Hafen war zugleich unsre Schüssel, und unsre Hände waren auch unsere Gabeln und Löffel. Wollten wir aber trinken, so geschahe es durch ein Rohr aus dem Brunnen, oder wir hiengen das Maul hinein wie Gideons Kriegsleute. Von allerhand Gewand, Wolle, Seiden, Baumwolle und Leinen, beides zu Betten, Tischen und Tapezereien, hatten wir nichts, als was wir auf dem Leib trugen, weil wir vor uns genug zu haben schätzten, wann wir uns vor Regen und Frost beschützen konnten. Sonsten hielten wir in unsrer Haushaltung keine gewisse Regul oder Ordnung, außerhalb an Sonn- und Feiertägen, an welchen wir schon um Mitternacht hinzugehen anfiengen, damit wir noch frühe genug, ohn männigliches Vermerken, in obgemeldten Pfarrherrn Kirche, die etwas vom Dorf abgelegen war, kommen und dem Gottesdienst abwarten können. In derselben verfügten wir uns auf die zerbrochene Orgel, an welchem Ort wir sowohl auf den Altar als zu der Kanzel sehen konnten. Als ich das erstemal den Pfarrherrn auf dieselbige steigen sahe, fragte ich meinen Einsiedel, was er doch in demselben großen Zuber machen wollte? Nach verrichtetem Gottesdienst aber giengen wir ebenso verstohlen wieder heim, als wir hinkommen waren, und nachdem wir mit müdem Leib und Füßen zu unsrer Wohnung kamen, aßen wir mit guten Zähnen übel; alsdann brachte der Einsiedel die übrige Zeit zu mit Beten und mich in gottseligen Dingen zu unterrichten.

An den Werktägen täten wir, was am nötigsten zu tun war, je nachdem sichs fügte und solches die Zeit des Jahrs und unsre Gelegenheit erforderte. Einmal arbeiteten wir im Garten, das andere Mal suchten wir den feisten Grund an schattigen Orten und aus hohlen Bäumen zusammen, unsern Garten anstatt der Tung damit zu bessern. Bald flochten wir Körbe oder Fischreußen, oder machten Brennholz, fischten, oder täten ja so etwas wider den Müßiggang. Und unter allen diesen Geschäften ließ der Einsiedel nicht ab, mich in allem Guten getreulichst zu unterweisen. Unterdessen lernete ich in solchem harten Leben Hunger, Durst, Hitze, Kälte und große Arbeit, ja alles Ungemach überstehen, und zuvorderst auch Gott erkennen, und wie man ihm rechtschaffen dienen sollte, welches das vornehmste war. Zwar wollte mich mein getreuer Einsiedel ein mehrers nicht wissen lassen; dann er hielte darvor, es sei einem Christen genug, zu seinem Ziel und Zweck zu gelangen, wann er nur fleißig bete und arbeite; dahero es kommen, obzwar ich in geistlichen Sachen ziemlich berichtet ward, mein Christentum wohl verstund und die teutsche Sprache so schön redete, als wann sie die Orthographia selbst ausspräche, daß ich dannoch der Einfältigste verblieb, gestalten ich, wie ich den Wald verlassen, ein solcher elender Tropf in die Welt war, daß man keinen Hund mit mir aus dem Ofen hätte locken können.

Das zwölfte Kapitel.

Simplex merkt eine Art, selig zu sterben,

Eine Begräbnus auch leicht zu erwerben.

Zwei Jahre ungefähr hatte ich zugebracht und das harte eremitische Leben kaum gewohnet, als mein bester Freund auf Erden seine Haue nahm, mir aber die Schaufel gab und mich seiner täglichen Gewohnheit nach an der Hand in unsern Garten führete, da wir unser Gebet zu verrichten pflegten. »Nun, Simplici, liebes Kind!« sagte er, »dieweil gottlob! die Zeit vorhanden, daß ich aus dieser Welt scheiden, die Schuld der Natur bezahlen und dich in dieser Welt hinter mir verlassen solle, zumalen deines Lebens künftige Begegnüssen beiläuftig sehe und wohl weiß, daß du in dieser Einöde nicht lang verharren wirst, so habe ich dich auf dem angetretenen Weg der Tugend stärken und dir einzige Lehren zum Unterricht geben wollen, vermittelst deren du, als nach einer unfehlbaren Richtschnur, zur ewigen Seligkeit zu gelangen, dein Leben anstellen sollest, damit du mit allen heiligen Auserwählten das Angesicht Gottes in jenem Leben ewiglich anzuschauen gewürdiget werdest.«

Diese Wort setzten meine Augen ins Wasser, wie hiebevor des Feindes Erfindung die Stadt Villingen. Einmal sie waren mir so unerträglich, daß ich sie nicht ertragen konnte, doch sagte ich: »Herzliebster Vatter, willst du mich dann allein in diesem wilden Wald verlassen? soll dann –« Mehrers vermochte ich nicht herauszubringen, dann meines Herzens Qual ward aus überflüssiger Lieb, die ich zu meinem getreuen Vatter trug, also heftig, daß ich gleichsam wie tot zu seinen Füßen niedersank. Er hingegen richtete mich wieder auf, tröstete mich, so gut es Zeit und Gelegenheit zuließ, und verwiese mir, gleichsam fragend, meinen Fehler, ob ich nämlich der Ordnung des Allerhöchsten widerstreben wollte? »Weißt du nicht,« sagte er weiters, »daß solches weder Himmel noch Hölle zu tun vermügen? Nicht also, mein Sohn! was unterstehest du dich, meinem schwachen Leib (welcher vor sich selbst der Ruhe begierig ist) aufzubürden? Vermeinest du, mich zu nötigen, länger in diesem Jammertal zu leben? Ach nein, mein Sohn, laß mich fahren, sintemal du mich ohne das weder mit Heulen, noch viel weniger mit meinem Willen, länger in diesem Elend zu verharren, wirst zwingen können, indem ich durch Gottes ausdrücklichen Willen daraus gefodert werde, welchem göttlichen Befehl ich auch mit allen, Freuden nachzukommen mich itzo bereite. Folge anstatt deines unnützen Geschreis meinen letzten Worten, welche seind, daß du dich je länger je mehr selbst erkennen sollest; und wanngleich du so alt als Mathusalem würdest, so laß solche Übung nicht aus dem Herzen. Dann daß die meiste Menschen verdammt werden, ist die Ursache, daß sie nicht gewußt haben, was sie gewesen und was sie werden können oder werden müssen.« Weiters riete er mir getreulich, ich sollte mich jederzeit vor böser Gesellschaft hüten, dann derselben Schädlichkeit wäre unaussprechlich. Er gab mir dessen ein Exempel und sagte: »Wann du einen Tropfen Malvasier in ein Geschirr voll Essig schüttest, so wird er alsbald zu Essig; wirst du aber so viel Essig in Malvasier gießen, so wird er auch unter dem Malvasier hingehen. Liebster Sohn,« sagte er, »vor allen Dingen bleib standhaftig; lasse dich die Kreuzes Hitze von deinem angefangenen löblichen Werk nicht abwendig machen; dann wer verharret bis ans Ende, der wird selig. Geschiehets aber wider mein Verhoffen, daß du aus menschlicher Schwachheit fällst, so bleibe ja nicht boshaftigerweise in deinen Sünden stecken, sondern stehe durch eine rechtschaffene Buße geschwind wieder auf!« Dieser sorgfältige fromme Mann hielt mir allein dies wenige vor, nicht zwar, als hätte er nichts mehrers gewußt, sondern darum, dieweil ich ihn erstlich meiner Jugend wegen nicht fähig genug zu sein bedünkte, ein mehrers in solchem Zustand zu fassen, und dann, weil wenig Worte besser als ein langes Geplauder im Gedächtnus zu behalten seind, und wann sie anders Saft und Nachdruck haben, durch das Nachdenken größern Nutzen schaffen als ein langer Sermon, den man ausdrücklich verstanden hat und bald wieder zu vergessen pfleget.

Diese drei Stücke: sich selbst erkennen, böse Gesellschaft meiden, und beständig verbleiben, hat dieser fromme Mann ohn Zweifel deswegen vor gut und nötig geachtet, weil er solches selbsten praktizieret, und daß es ihm dabei nicht mißlungen ist; dann, nachdem er sich selbst erkannt, hat er nicht allein böse Gesellschaften, sondern auch die ganze Welt geflohen, ist auch in solchem Vorsatz bis an das Ende verharret, an welchem ohn Zweifel die Seligkeit hänget; welchergestalt aber, folget hernach.