Der alte Mann und der Tod – Regionale Morde: 2 Küsten-Krimis: Krimi-Reihe - Hans-Jürgen Raben - E-Book

Der alte Mann und der Tod – Regionale Morde: 2 Küsten-Krimis: Krimi-Reihe E-Book

Raben Hans-Jürgen

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Beschreibung

Dort leben, wo andere Urlaub machen, wer wünscht sich das nicht …
Für viele ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen wird, für einige ein Traum, der in Erfüllung geht, die Erwartungen und Hoffnungen jedoch enttäuscht werden und für sehr wenige ein Traum, der zum Albtraum wird und manchmal sogar mit dem Tod endet. Niemand möchte wie in TOD IN DER NEBELBANK mit dem Boot aufs Meer hinausfahren und von dort nicht zurückkehren, weil man im Nebel dem Tod begegnet ist oder wie in DER STORCH BRINGT NICHT NUR KINDER in der Nähe der wunderschönen Küstenstadt Kolberg spazieren gehen und schneller tot sein, als man um Hilfe rufen kann. Aber Mörder nehmen keine Rücksicht und schon gar nicht auf die Wünsche ihrer Opfer, die ihnen bei der Umsetzung ihrer Pläne in die Quere kommen …

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Hans-Jürgen Raben / Rainer Keip

 

 

Regionale Morde:

 

Der alte Mann und der Tod

 

 

 

 

Zwei Küsten-Krimis

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Kerstin Peschel nach Motiven mit Kathrin Peschel, 2022

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Tod in der Nebelbank 

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

Epilog 

Der Storch bringt nicht nur Kinder 

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

Über die Autoren 

 

Das Buch

 

 

Dort leben, wo andere Urlaub machen, wer wünscht sich das nicht …

Für viele ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen wird, für einige ein Traum, der in Erfüllung geht, die Erwartungen und Hoffnungen jedoch enttäuscht werden und für sehr wenige ein Traum, der zum Albtraum wird und manchmal sogar mit dem Tod endet.

Niemand möchte wie in TOD IN DER NEBELBANK mit dem Boot aufs Meer hinausfahren und von dort nicht zurückkehren, weil man im Nebel dem Tod begegnet ist oder wie in DER STORCH BRINGT NICHT NUR KINDER in der Nähe der wunderschönen Küstenstadt Kolberg spazieren gehen und schneller tot sein, als man um Hilfe rufen kann. Aber Mörder nehmen keine Rücksicht und schon gar nicht auf die Wünsche ihrer Opfer, die ihnen bei der Umsetzung ihrer Pläne in die Quere kommen …

 

 

***

 

 

Tod in der Nebelbank

 

Ein Fall für Brock

 

 

von Hans-Jürgen Raben

 

 

Prolog

 

 

Berlin-Lichtenberg, Normannenstraße, 15. Januar 1990

 

Die Menschenmenge wuchs rasch an. Ganze Pulks strömten von allen Seiten heran, in ein Areal, das bis vor kurzer Zeit noch ein Sperrgebiet gewesen war. An dem Gebäudekomplex waren die Menschen möglichst rasch vorbeigegangen, argwöhnisch beobachtet von den Wachen, die dort standen. Hier befand sich das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik, kurz Stasi genannt. Die vor wenigen Wochen erfolgte Umbenennung in Amt für Nationale Sicherheit hatte bei den Bürgern wenig bewirkt. Der Hass auf die riesige Behörde mit ihren hunderttausenden von Spitzeln war ungebrochen.

Der Mann auf der anderen Seite der Ruschestraße hatte sich in den Schatten eines Baumes zurückgezogen, um der vorbeihastenden Menge nicht im Weg zu stehen. Seine Hände hatte er tief in den Taschen seines langen Wintermantels vergraben. Auf dem Kopf trug er eine Pelzmütze, die er bis zu den Ohren heruntergezogen hatte. Der Mann war nicht älter als Mitte bis Ende dreißig, breitschultrig und schlank, soweit man das unter dem dicken Mantel erkennen konnte. Der Blick aus seinen grauen Augen glitt über die Menge, als würde er etwas Bestimmtes suchen.

Der Lärm der vielen Menschen schwoll an, und einige rüttelten bereits an den Gitterstäben der breiten Tordurchfahrt, durch die man in den Innenhof gelangte. Die dahinter stehenden Uniformierten wirkten verängstigt. Für die meist jungen Männer war eine Welt zusammengebrochen, und sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.

Die wenigen Soldaten werden diese Menschen nicht aufhalten, dachte der Mann. Auf diesen Augenblick haben sie schon viel zu lange gewartet. Sie haben ihre Angst verloren. 

Und ich darf jetzt auch nicht länger warten!

Mit einem Ruck löste er sich aus seiner Starre und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er sah in die Gesichter der Menschen, deren früherer Ausdruck von Resignation durch Entschlossenheit und Mut ersetzt worden war. Noch hielten sie Abstand von dem Gitter, doch ihre Rufe wurden immer lauter.

Der Mann beschleunigte seine Schritte. Hatte er zu lange gewartet? Die letzten Meter musste er sich gewaltsam durch die Menschenmasse drängen, bis er den seitlichen Personeneingang erreichte. Er drückte seinen Ausweis gegen die Stahlstäbe, der Posten dahinter nickte kurz, öffnete rasch das kleinere Gitter, sodass er hindurchschlüpfen konnte, und schlug es wieder zu, ehe die Menge überhaupt mitbekam, was vor sich ging.

Der Mann stand auf einem weiten Innenhof und sah sich um. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Erste aus der immer größer gewordenen Menschenmasse das Tor überwand. Dann würde es keinen Halt mehr geben. Niemand in diesem riesigen Gebäudekomplex hatte einst damit gerechnet, dass es eines Tages so weit kommen würde. Sie hatten doch alles im Griff! Schild und Schwert der Partei nannten sie sich.

Vielleicht wäre es besser gewesen, dachte der Mann, wenn sich die Organisation als Schild und Schwert der Bürger des Staates verstanden hätte. 

Ihr Wappen zeigte ein hoch gerecktes Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett und die daran befestigte Staatsflagge. Ein hohles Symbol, denn niemand traute sich, einen Befehl zum Einsatz der Waffen zu geben. Eigentlich gab es überhaupt keine Befehle mehr und die einst gefürchteten Offiziere der Staatssicherheit waren damit beschäftigt, Akten zu vernichten.

Er zögerte nicht länger. Mitarbeiter in Uniform oder in Zivil hasteten über den Platz und verschwanden in einem der Eingänge. Die allgemeine Nervosität war deutlich zu spüren. Der Mann beschleunigte seine Schritte. Niemand achtete auf ihn. In dieser Situation war jeder mit seinen eigenen Problemen beschäftigt.

Der Mann war überzeugt, dass dies der Anfang vom Ende war. Nein, angefangen hatte es schon früher! Die einst mächtige und gefürchtete Organisation war in Auflösung begriffen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis auch die letzten Linientreuen ahnten, dass es Zeit wurde, belastende Unterlagen zu vernichten und sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Der Mann hatte sein Ziel erreicht, einen wenig benutzten Seiteneingang. Der Wachtposten, der normalerweise hier saß und die Ausweise kontrollierte, war verschwunden. Hier gab es keinen Fahrstuhl, und er eilte die schmale Treppe empor, die üblicherweise wenig genutzt wurde. Er war nicht außer Atem, als er das Stockwerk erreichte, in dem sich sein eigenes Büro befand, mitten im Herzen des Spionageapparats der DDR, der Hauptverwaltung Aufklärung. Er selbst war in der Abteilung A II beschäftigt, zuständig für die Einsätze der Kundschafter in Parteien und anderen Organisationen der Bundesrepublik.

In einigen Zimmern brannte Licht, und er sah Kollegen, die Aktenstapel in kleine fahrbare Boxen luden. Er lächelte, weil er wusste, dass all diese Maßnahmen keinen Sinn mehr hatten. Die riesigen Aktenberge, die in diesem Ministerium gesammelt waren, ließen sich nicht so ohne Weiteres vernichten. Die Menschenmenge vor den Toren würde das zu verhindern wissen, wenn sie bald den letzten Respekt verloren und das Gebäude stürmten.

Eine Tür flog weit auf, und ein anderer Mann erschien, mit dem er fast zusammengeprallt wäre.

»Michael«, begrüßte ihn der andere. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du hast heute frei.«

Der Mann hatte seine Uniformjacke geöffnet, seine Haare wirkten zerzaust, und er schwankte leicht. Eine Alkoholfahne umwehte ihn. Er war, wie auch der späte Besucher, ebenfalls im Rang eines Majors, wenn auch dienstälter. Aus dem Raum drangen Gelächter und Stimmengewirr.

»Ich habe nur etwas vergessen, das ich rasch hole«, sagte der Mann und wollte sich an dem anderen vorbeidrängen.

Sein Kollege hielt ihn fest. »Wie sieht es draußen aus? Es heißt, die Volksarmee sei schon im Anmarsch, eine ganze Panzerdivision. Stimmt das?«

Der Neuankömmling schüttelte nur den Kopf. »Das weiß ich nicht.«

»Es gibt keine Befehle.« Die Stimme klang jetzt weinerlich. »Die Vorgesetzten sind nicht zu erreichen …«

»Bewahren Sie Haltung, Genosse«, sagte der Mann und befreite seinen Arm aus der Hand des anderen. Er eilte weiter und drehte sich nicht um.

Ein neugieriger Kollege fehlte ihm jetzt gerade noch!

Der Mann öffnete die Tür zu seinem eigenen Büro und drückte sie rasch hinter sich wieder zu. Der Schein der Schreibtischlampe reichte für seine Zwecke. Sein Blick streifte die Uniform, die auf einem Bügel an einem Garderobenständer hing. Er hatte sie nur zu offiziellen Anlässen getragen. Ein schmerzlicher Ausdruck glitt über sein Gesicht, als er daran dachte, wie er die Schulterstücke eines Majors zum ersten Mal tragen durfte. Die silberfarbenen Schnüre auf der bordeauxroten Unterlage mit dem goldfarbenen Stern – er war so stolz gewesen!

Er riss sich von dem Anblick los und schloss die unterste Schublade seines Schreibtisches auf. Er atmete erleichtert aus, alles noch da. Er hob die fünf dünnen Aktenmappen heraus und legte sie auf den Schreibtisch. Er erstarrte für einen Moment, als er aufgeregte Stimmen auf dem Gang hörte. Doch sie galten nicht ihm. Keine Gefahr, sie verloren sich schon in der Ferne. Und der Genosse, dem er begegnet war, wollte sicher nur zur Toilette.

Er betrachtete die Aktendeckel und fächerte sie auf. Die fette Aufschrift »Streng Geheim« war nicht zu übersehen. Diese Akten durften überhaupt nicht in seinem Büro sein! Außerhalb der Dienststunden mussten sie in das gesicherte Archiv zurückgegeben werden. Als sich inmitten des allgemeinen Chaos die Möglichkeit geboten hatte, die Mappen zu behalten, hatte er die Chance genutzt.

Soweit er sich erinnerte, war dies sein erster ernsthafter Verstoß gegen die Dienstvorschriften. Noch vor kurzer Zeit hätte er so etwas nicht gewagt. Zu tief war die Angst vor den Konsequenzen gewesen. Doch heute hatte er eine Grenze überschritten.

Er lachte auf. Die jahrelang gesicherten und nahezu unüberwindbaren Grenzen der DDR waren ohnehin weit geöffnet, da kam es auf diese auch nicht mehr an.

Er schlug die Mappen kurz auf, um sich zu vergewissern, dass alles vorhanden war. Das erste Blatt enthielt jeweils ausführliche Angaben zu einer Person sowie ein angeklammertes Farbfoto. Dahinter gab es Kopien der ausgetauschten Nachrichten, technische Einzelheiten zu Übergabeorten und Kennworten, Anlaufadressen und vieles weitere.

Fünf Mappen, fünf Lebensläufe, fünf Fotos.

Fünf Schicksale.

Der Mann schob die Akten unter seinen weiten Mantel, löschte das Licht, horchte kurz und verschwand auf dem Gang, der zur Hintertreppe führte. Er hatte es jetzt sehr eilig.

Es gab kein Zurück mehr. Wenn man ihn jetzt mit diesen Unterlagen erwischte, war es aus mit ihm, trotz der Menschen vor den Toren, trotz der Endzeitstimmung, die sich breitgemacht hatte, trotz der betrunkenen Genossen in den Nachbarbüros und trotz seiner Verdienste.

Nein, diese Tat würde man ihm nicht verzeihen!

Diese Unterlagen durften auf keinen Fall das Gebäude verlassen. Das war ein ehernes Gesetz der Organisation, für die er ein Leben lang gearbeitet hatte.

Der Major verdrängte seine letzten Zweifel und konzentrierte sich auf sein Ziel.

Er nahm den gleichen Weg, den er gekommen war, und er verließ unbemerkt den Gebäudekomplex, als die ersten Menschen auf den Hof strömten. Es war der unvergessliche Tag, an dem die Stasizentrale vom Volk gestürmt wurde, am fünfzehnten Januar 1990.

Mit fünf Schicksalen unter seinem Mantel nahm der Mann den entgegengesetzten Weg.

 

 

1. Kapitel

 

 

Gegenwart

 

»Da vorn müsste es sein. Bei dem verfluchten Nebel ist rein gar nichts zu sehen. Die Nordsee ist so unberechenbar wie eine launische Frau.«

Hein Dörfler blickte angestrengt auf das Kompassgehäuse und drehte sanft am Steuerrad. Der Motor der kleinen offenen Barkasse tuckerte blubbernd vor sich hin. Die See war ruhig, und die Wellen plätscherten leise gegen die hölzerne Bordwand. Nur die Sicht war stark eingeschränkt.

»Woher willst du das wissen? Du warst doch nie verheiratet.«

Der zweite Mann an Bord war ein lang aufgeschossener Kerl mit wirren blonden Haaren und einem kindlichen Gesicht. Jan Hansen war seit der Schule Hein Dörflers engster Freund, eigentlich sein einziger.

»Haben wir überhaupt den richtigen Kurs?«, fragte er. »Du siehst bei dem Nebel genauso wenig wie ich. Pass bloß auf, dass wir nicht mit irgendeinem Hindernis kollidieren.«

»Als wäre das schon jemals passiert!«, gab Hein mürrisch zurück.

Inzwischen waren die beiden Freunde vierundzwanzig Jahre alt geworden und so unzertrennlich wie seit vielen Jahren zuvor. Die Schule in Cuxhaven hatten sie inklusive einer Wiederholung der fünften Klasse mit Mühe und Not zu Ende gebracht und danach entschieden, ein gemeinsames Unternehmen aufzuziehen. Auf ihr Elternhaus konnte dabei keiner von ihnen zählen, denn ihre jeweiligen Familien waren am besten mit den Begriffen Drogen, Alkohol und Scheidung umrissen.

Da sie nach der Schule weder eine Weiterbildungseinrichtung besucht noch eine Lehre absolviert hatten, waren ihrem Tatendrang natürliche Grenzen gesetzt. Mit anderen Worten: Die seriöse Geschäftswelt war nicht so ihr Ding.

Ihr erstes Geschäftsmodell – Einbrüche und Diebstähle – führte zu ihrer ersten längeren Trennung, da sie für ein halbes Jahr in verschiedenen Gefängnissen einsaßen, nachdem man sie auf frischer Tat ertappt hatte. Sie waren in einen Zeitschriftenladen eingebrochen, um dort Zigaretten zu klauen, die sich relativ problemlos wieder absetzen ließen. Damit sollte das Grundkapital für die weitere Karriere beschafft werden.

Zu ihrem Unglück wohnte über dem Laden ein Oberkommissar der Cuxhavener Polizei, den der Krach einer zerbrochenen Scheibe geweckt hatte. Beim Verlassen des Ladens hatte er sie dann mit gezogener Waffe erwartet. Bei den anschließenden Hausdurchsuchungen hatte man Diebesgut aus verschiedenen Einbrüchen gefunden, sodass der Richter sie nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkommen ließ.

Danach entschieden sie, es mit einem anderen Geschäftszweig zu versuchen, der deutlich mehr Gewinn einbrachte, wenn auch bei höherem Risiko. Darauf gebracht hatte sie der Wirt ihrer Stammkneipe am Hafen, der sie mit einem anderen Gast bekannt machte. Einem Niederländer. Er war ihnen schon einige Male aufgefallen, weil er statt des Schnapses, der hier üblich war, immer einen teuren Malt Whisky trank. Als er einmal bezahlte, sahen sie, dass seine Brieftasche mit einem dicken Bündel Geld gefüllt war.

Nach der ersten Kontaktaufnahme und einigen kleineren Kurierdiensten, die sie für den Mann erledigten, hatten sie genügend Vertrauen aufgebaut, sodass sie gemeinsam größere Dinge in Angriff nehmen konnten. Hein und Jan waren sich darüber im Klaren, dass sie nicht unbedingt zu den Führungspersönlichkeiten gehörten, und so führten sie die Aufträge, die sie von dem Niederländer erhielten, getreulich aus, immer in der Erwartung der großen Geschäfte.

Eines Tages war es so weit, und Hendrik, das war der Name ihres neuen Freundes, weihte sie in seine nächsten Pläne ein, wobei er versprach, dass sich ihre Beteiligung lohnen würde. Was sie nicht wussten, war, dass Hendrik vor allem wegen eines ganz bestimmten Punktes ihre Mitarbeit brauchte. Sie verfügten über ein Boot.

Dessen Vorbesitzer war gestorben, und die Erben hatten nichts Eiligeres zu tun, als alles zu verscherbeln, was sich verkaufen ließ. Hein Dörfler hatte zu dieser Zeit im Fernsehen einen Bericht über Hochseeangeln gesehen, der ihn auf die Idee brachte, diesen Geschäftszweig aufzubauen. Die Nordsee lag schließlich vor der Tür, also erwarben sie kurz entschlossen den alten Kahn für wenig Geld.

Fast wäre alles an der Prüfung für den Motorbootführerschein gescheitert, bis sie auch diese Hürde nach mehrfachem Anlauf überwanden.

Hendrik hatte ihnen immer genaue Instruktionen erteilt, bevor er wieder in seine Heimat fuhr, um dort die notwendigen Dinge in die Wege zu leiten. Also waren sie zum vereinbarten Zeitpunkt zu einer bestimmten Boje gefahren, um dort eine Lieferung zu bergen, die dann an bestimmte andere Personen zu übergeben war. Mehr als ein halbes Dutzend Mal hatten sie die Fahrt bereits gemacht, und es hatte nie Probleme gegeben. Hendrik war zufrieden mit ihnen, und sie verdienten tatsächlich eine Menge Geld.

Die wenigen Angelfahrten, die sie unternahmen, waren überdies eine legale Tarnung für ihre Geschäfte, sodass sie sich völlig ungestört wähnten, wenn sie für Hendrik tätig waren.

Seinetwegen waren sie auch heute mit ihrem kleinen Boot auf der Nordsee unterwegs, wobei sie völlig unerwartet in eine Nebelbank gerieten, die ihnen schlagartig jede Orientierung nahm. Das Wetter auf der Nordsee war oft unberechenbar und konnte in kürzester Zeit umschlagen.

»Wenn die verdammte Boje in den nächsten zehn Minuten nicht auftaucht, brechen wir ab«, beschloss Hein Dörfler. Er fröstelte inmitten der Nebelschwaden, die das Boot einhüllten. Außerdem waren sie dicht an der stark benutzten Fahrrinne zur Elbmündung.

»Gefällt mir gar nicht«, kommentierte Jan Hansen. »Unsere Lieferanten verlassen sich darauf, dass wir die Ware pünktlich abholen. Was ist, wenn jemand anders entdeckt, was an der Boje hängt? Hier kommen doch viele Schiffe vorbei.«

»Im Moment sehe ich kein anderes«, sagte Hein missmutig. »Wer hätte auch mit diesem blöden Nebel rechnen können?«

»Das Wetter schlägt hier eben schnell um«, erklärte Jan, während er versuchte, irgendeine Form im dichten Nebel auszumachen. Es wehte nur ein leichter Wind, sodass die Schwaden fast bewegungslos über ihnen hingen.

Hein hatte die Geschwindigkeit des Bootes erneut gedrosselt. Nach wie vor waren die einzigen Geräusche das leise Blubbern des Motors und das Klatschen der Wellen gegen die hölzerne Bordwand.

Sie befanden sich östlich der winzigen Insel Neuwerk am Rande der Fahrrinne, in der die großen Schiffe in die Elbmündung und weiter zum Hamburger Hafen gelangen konnten. Immer wieder musste neu ausgebaggert werden, um auch für die riesigen Containerschiffe eine Fahrtiefe von mehr als zwölf Metern zu garantieren.

Mit ihrer kleinen Barkasse waren Hein und Jan in Cuxhaven gestartet. Ihre Heimatstadt, in der sie immer noch lebten. An dem gebrauchten Boot hatten sie lange und intensiv gearbeitet, um es wieder in Schuss zu kriegen. Die Arbeit an der Grundlage ihres neuen Geschäftsmodells war ungewohnt und mühselig für die beiden gewesen, aber sie hatten es geschafft und konnten jetzt einem einträglichen Geschäft nachgehen.

Seitdem waren sie im Wattenmeer unterwegs, um die Ware abzuholen, die ihre niederländischen Geschäftspartner dort für sie deponiert hatten. In wasserdichten Behältern verpackt und versenkt an einer bestimmten Boje, von der heute jedoch rein gar nichts zu sehen war.

Die Nebelschwaden rissen einfach nicht auf und erstickten überdies jeden Laut. Gelegentlich tuteten Nebelhörner in weiter Ferne.

»Das wird nichts«, murmelte Hein und drehte leicht am Steuerrad.

»Da vorne!«, rief Jan plötzlich aufgeregt. »Ich habe kurz ein Licht aufblitzen sehen. Das muss die Boje sein.«

Hein richtete den Bug der Barkasse auf die angegebene Richtung aus. Jetzt sah er auch das Aufblitzen. »Das ist sie«, sagte er zufrieden.

Allmählich wurden die Umrisse der im Wasser schaukelnden Boje sichtbar. Hein drehte das Boot, und mit einem leichten Knirschen stieß die Bordwand gegen das Metall. Jan beugte sich vor und packte einen der Griffe, die zum Hochhieven der Boje dienten.

»Auf dieser Seite ist nichts«, gab er bekannt.

Hein steuerte das Boot in einem Bogen zur anderen Seite, und Jan lehnte sich wieder weit über die Bordwand. »Ich sehe das Tau!«

»Dann zieh’ es hoch.«

Die beiden jungen Männer waren so intensiv mit ihrer Tätigkeit beschäftigt, dass sie das vom Nebel gedämpfte Geräusch eines anderen Schiffsmotors überhaupt nicht wahrnahmen, zumal der Motor ihres eigenen Dieselmotors im Leerlauf weiter vor sich hin tuckerte.

Als die weiße Bordwand einer Motorjacht plötzlich wie der fliegende Holländer aus dem Nebel auftauchte, zuckten sie vor Schreck zusammen. Jan ließ das schon weit aus dem Wasser gezogene Tau los, das wie eine Schlange zurück in die Tiefe glitt. Er richtete sich hastig auf, während Hein versuchte, das Boot wieder auf Kurs zu bringen, das durch die von der Jacht verursachten Wellen ins Schaukeln geraten war.

Der Motor der Jacht schien ebenfalls nur im Leerlauf seinen Dienst zu verrichten. Die Vorwärtsbewegung wurde nur durch den Sog des ablaufenden Wassers im Wattenmeer verursacht.

Hein konnte aus seiner Position über die Bordwand der Jacht blicken, und was er dort sah, würde er nie vergessen.

An die vorderen Aufbauten der Jacht war eine Art Lattengerüst gelehnt, auf dem ein älterer Mann festgebunden war, wie es schien. Er war nur leicht bekleidet. Er zerrte an seinen Fesseln und rief irgendetwas, doch Hein konnte die Worte nicht verstehen.

Auf dem Vorderdeck standen einige andere Personen, in Ölzeug gekleidet, die Kapuzen über den Köpfen, die sich in diesem Augenblick zu der Barkasse herumdrehten. Eine der Personen stürzte an die Reling und hob einen kleinen Gegenstand hoch.

Hein erkannte viel zu spät, was es war, und sein Freund Jan hatte keine Chance, als eine kleine Feuerzunge aus dem Lauf der Pistole leckte.

Jan stöhnte kurz auf und fiel wie ein Stein über die Bordwand, die ihn gegen die Boje quetschte, bevor er lautlos versank.

Als der nächste Schuss fiel, hatte Hein bereits das Lenkrad herumgewirbelt und den Gashebel bis zum Anschlag gedrückt. Das Boot machte einen Satz, wobei sich der Bug aus dem Wasser hob.

Hein hörte noch, wie das nächste Geschoss mit einem dumpfen Geräusch irgendwo ins Heck schlug – dann war er im Nebel verschwunden.

Sein Herz raste, mühsam hielt er sich mit seinen zitternden Händen am Steuer fest, während seine Tränen sich mit der Feuchtigkeit des Nebels mischten.

Was war geschehen? Sein Verstand weigerte sich, zu begreifen, dass jemand auf seinen Freund geschossen hatte. Er blickte sich um, doch die Jacht versuchte offenbar nicht, ihn zu verfolgen. Trotzdem behielt er das hohe Tempo bei, wohl wissend, dass der alte Motor diese Belastung nicht lange aushalten würde.

Was sollte er tun? Zurück nach Cuxhaven, ihrem Ausgangspunkt?

Die Ware hing immer noch an der Boje. Wie viel Zeit blieb ihm, sie doch noch zu bergen? Sein Kunde hatte bereits einen Teil im Voraus bezahlt. Gut, die Summe könnte er zurückzahlen, doch es würde seinem Kunden nicht gefallen, denn er brauchte die Ware.

Wenn er den Empfänger der Ware auszahlte, blieb ihm jedoch nicht mehr viel übrig. Hendrik, der die Lieferanten aus Holland vertrat, hatte sein Geld bereits bekommen, das war so üblich in diesem Geschäft. Zahlungsziele von einigen Wochen wie in der normalen Wirtschaft waren in diesem Geschäft nicht vorgesehen.

Sein Freund und Partner Jan Hansen war tot. Damit musste er sich abfinden, auch wenn er nicht begriff, was dort draußen auf der Nordsee eigentlich geschehen war.

Wer hatte auf sie geschossen? Und warum? Was genau hatte er eigentlich auf der Jacht gesehen? Da war ein Mann an irgendeinem Gestell angebunden, dessen Oberkörper nur mit einem Hemd bekleidet war. Die anderen Personen trugen wasserdichte Jacken, die für einen Trip auf der Nordsee eher geeignet waren. Offensichtlich trugen sie bereits Waffen in der Hand, sonst hätte man nicht so schnell auf ihn und Jan schießen können.

Waren es Konkurrenten? Waren sie scharf auf die Ware an der Boje, die an ihrem Seil inzwischen wieder in der Tiefe hing?

War sie einen Mord wert?

Nein, es musste einen anderen Grund geben.

Ein leichter Wind war aufgekommen, und Gischt spritzte, wenn der Bug des Bootes die Wellen kreuzte. Vielleicht würde der Wind endlich den Nebel vertreiben.

Hein blickte auf den Kompass und merkte, dass er in die völlig falsche Richtung fuhr. Er nahm Gas zurück und drehte das Steuerrad, bis die Richtung wieder stimmte.

Als die Nebelwand plötzlich tatsächlich aufriss, sah er an der Steuerbordseite in der Ferne die Umrisse der Insel Neuwerk, kaum zu erkennen hinter dem Wasserschleier aus Gischt und Nebelfetzen.

Noch ehe er beschlossen hatte, vorerst dort an Land zu gehen, wo ihn niemand suchen würde, hatten seine Hände schon am Rad gedreht, und der Bug der Barkasse schwenkte herum.

Hein Dörfler kannte sich hier aus, er war schon häufiger auf der kleinen Insel gewesen, die zu Hamburg gehörte, obwohl sie hundert Kilometer von der Hansestadt entfernt war.

Obwohl, wenn er über diese Lösung nachdachte, kam sie ihm doch nicht so großartig vor. Auf der Insel lebten nur wenige Menschen. Ein Neuankömmling würde sofort auffallen, ebenso wie das Boot, wenn er an der kleinen Mole anlegte. Von dort würde er nur bei Flut wieder wegkommen, denn bei Ebbe konnten nur die Wattwagen zum Festland gelangen.

Also doch besser nach Cuxhaven! Er drehte das Boot wieder in südöstliche Richtung. Er musste überlegen, wie er erst einmal untertauchen konnte, um dann darüber nachzudenken, wie die Situation zu bereinigen war. Er musste die Ware wiederbeschaffen!

Das war er Jan Hansen schuldig!

 

 

2. Kapitel

 

Hauptkommissar Cornelius Brock hatte sich auf das Achterschiff des Bootes hinter das Deckshaus zurückgezogen. Dort war er einigermaßen windgeschützt und genoss dennoch die frische Luft. Sie fuhren nahezu mit Höchstgeschwindigkeit die Elbe hinunter. Es würde eine lange Fahrt werden, bis sie ihr Ziel im Mündungsgebiet des großen Flusses erreichten.

Die Kollegen der Hamburger Wasserschutzpolizei hatten eines ihrer beiden Streckenstreifenboote zur Verfügung gestellt. Das neunzehn Meter lange Boot, angetrieben von den fast tausend PS der beiden Dieselmotoren, jagte über den Fluss, und das ständige Auf und Ab, das Klatschen, wenn der Bug auf eine Welle schlug, verursachten ihm eine leichte Übelkeit.

Auf beiden Seiten zogen Landschaften und Gebäude vorüber, die er gut kannte. Die eigentlichen Hafenanlagen hatten sie schon hinter sich gelassen. Hin und wieder kam ihnen eines der großen Containerschiffe langsam entgegen, das seine Fracht im riesigen Containerhafen entladen würde. Es war viel los auf der Elbe. Schiffe verschiedenster Bauart, Segelboote, Motorjachten kreuzten ihren Weg zur Insel Neuwerk, Hamburgs Außenposten in der Elbmündung.

Es war noch früh am Montagmorgen, und wenn er nicht am Vorabend mit seiner Freundin nach dem Essen noch eine Flasche Wein geleert hätte, wäre es ihm vermutlich besser gegangen. Oder waren es zwei Flaschen gewesen? Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Es war eine wunderbare Nacht gewesen, nur leider viel zu kurz.

Sein Blick fiel auf den geschlossenen Metallsarg, der auf dem hinteren Deck stand und an der Reling festgezurrt war. Noch war er leer. Dennoch, Särge verursachten bei ihm immer ein leichtes Unbehagen, auch wenn er die Dinger schon oft genug gesehen hatte. Wenn sie zurückkehrten, würde der Sarg nicht mehr leer sein, und Brock verspürte jetzt schon seinen Widerwillen gegen die Nähe des Todes.

Der Anruf von Kommissaranwärter Horst Spengler, seinem Assistenten, hatte ihn aus dem Tiefschlaf gerissen. Eigentlich sollte Brock erst gegen Mittag im Präsidium im Hamburger Stadtteil Alsterdorf erscheinen, doch Spengler hatte die Erste Hauptkommissarin zitiert, wonach gerade niemand verfügbar sei, der den Fall übernehmen könnte, und im Übrigen sollte sich der Herr Hauptkommissar gerade diesen Fall nicht entgehen lassen. Denn dort, wo sie gebraucht wurden, hätten sie noch nie ermittelt. Das sei doch mal was anderes.

Ein schwacher Trost für die stundenlange Reise auf dem Fluss.

Während seine Freundin Julia Klein noch tief und fest schlief, duschte er kurz, rasierte sich flüchtig und schlüpfte in seine üblichen Klamotten, Jeans und Lederjacke, fuhr sich einmal mit dem Kamm durch die Haare und tupfte sich Aftershave auf die Wangen. Rasch schrieb er noch eine Nachricht und legte den Zettel auf sein Kopfkissen.

Julia würde Verständnis haben. Sie war Zollinspektorin im Hamburger Hafen und konnte mit ungewöhnlichen Arbeitszeiten umgehen. Sie kannten sich zwar noch nicht allzu lange, aber sie verstanden sich gut, was nicht zuletzt auch mit ihren Jobs zusammenhing. Seine Ex-Frau, Lena, hatte damit nicht so gut umgehen können. Sie hatten sich immer mehr auseinandergelebt und schließlich einvernehmlich getrennt. Sie hatten immer noch ein gutes Verhältnis und trafen sich gelegentlich zu einem Abendessen. Brock erzählte ihr gern Dinge, die ihn beschäftigten, denn Lena war eine gute Zuhörerin und eine noch bessere Ratgeberin.

Als er heute Morgen aus seinem Fenster blickte, sah er den Streifenwagen, der ihn abholen sollte, vor dem Haus in der Alsterdorfer Straße vorfahren. Zu seinem Arbeitsplatz wären es nur ein paar Minuten gewesen, doch jetzt musste er zum Hafen, und das war eine deutlich längere Strecke durch die ganze Stadt.

Zum Glück hatten ihm die beiden Uniformierten auf den Vordersitzen kein Gespräch aufgezwungen, wofür er ihnen sehr dankbar war. Er erntete nur gelegentlich einen mitleidigen Blick im Rückspiegel. Vielleicht hatte man sie auch instruiert, dass er früh am Morgen irgendwelche belanglosen Gespräche nicht sonderlich schätzte.

Cornelius Brock war nicht der einzige Fahrgast auf dem Boot der Wasserschutzpolizei. Sein Assistent Horst Spengler stand neben dem Bootsführer, der das Steuerrad bediente. Die zwei Streifen auf den Schulterstücken wiesen ihn als Polizeimeister der Wasserschutzpolizei aus, was dem Rang eines Kommissars entsprach, wie Brock wusste. Die beiden unterhielten sich angeregt. Horst Spengler war ein wissbegieriger junger Mann, der Neues in sich aufsog wie ein Schwamm.

Außerdem war der Rechtsmediziner Doktor Bernd Fischer an Bord, der sich angeregt mit dem Kollegen Udo Ritter von der Spurensicherung unterhielt. Sie saßen nebeneinander im Deckshaus auf der Bank an der Steuerbordseite. Ihnen gegenüber hatten die beiden Helfer des Pathologen Platz genommen, vor sich eine zusammengelegte Bahre und den Koffer mit Fischers Ausrüstung. Schließlich saß dort noch eine junge Kollegin der Spurensicherung, die Brock schon häufiger gesehen hatte, deren Namen er jedoch nicht kannte – oder nicht behalten hatte.

Fischer winkte ihm durch die geöffnete Tür zu, und Brock betrat mit schwankenden Schritten die Kajüte. Rasch setzte er sich neben Ritter auf die Bank, bevor er stolperte. Das Grinsen der lieben Kollegen konnte er sich in diesem Fall gut vorstellen.

Fischer beugte sich vor. »Wir unterhalten uns gerade darüber, wieso die Insel Neuwerk zu Hamburg gehört, obwohl sie doch mindestens hundert Kilometer entfernt ist und viel näher bei Cuxhaven liegt.«

Brock hob die Schultern. »Ich weiß nur, dass sie zum Bezirk Hamburg-Mitte gehört, aber warum das so ist …«

»Neuwerk gehörte früher verwaltungstechnisch auch zu Cuxhaven«, erläuterte Ritter, der so ziemlich alles über die Hamburger Geschichte wusste. »Irgendwann gab es mal einen Austausch gegenseitiger Interessen mit Hamburg, und nun müssen wir eine lange Strecke zurücklegen, wenn dort etwas passiert. Ist jemand von Ihnen schon einmal dort gewesen?«

Fischer und Brock schüttelten die Köpfe.

»Ich!«, mischte sich Kommissaranwärter Spengler ein, der ihnen zugehört hatte. »Ich war als Schüler dort. Es gibt auf der kleinen Insel nämlich ein Schullandheim.«

Brock sah ihn erstaunt an. »Im Ernst?«

Spengler nickte. »Viele Hamburger Schulklassen waren schon dort. Es ist ganz nett eingerichtet und bietet Platz für etwa fünfzig Personen.«

»Was kann man dort unternehmen?«

»Na, ja«, sagte Spengler gedehnt. »Es liegt im Nationalpark Wattenmeer.«

»Und das heißt?«

Spengler überlegte eine ganze Weile.

»Wattwandern«, antwortete er schließlich. »Vögel beobachten – oder den klaren Nachthimmel.«

»Klingt äußerst interessant«, sagte Brock mit leicht ironischem Unterton.

»Immerhin gibt es ein bedeutendes Bauwerk auf der Insel«, gab Ritter aus seinem Wissensschatz zum Besten. »Der Neuwerker Leuchtturm ist das älteste Bauwerk Hamburgs beziehungsweise der ganzen Küste. Er stammt aus dem vierzehnten Jahrhundert und war ursprünglich ein Wehrturm, der die Elbmündung schützen sollte.«

»Den sollten Sie sich ansehen«, warf Polizeiobermeister Ehlers ein, der als Bootsführer während der Fahrt die Instrumente beobachtete und seinem Kollegen immer wieder leise Anweisungen gab. Schließlich war viel Verkehr auf dem Fluss, da am Montag zahlreiche Schiffe in den Hafen wollten, um ihre Fracht zu löschen. Mit dem kleinen Boot mussten sie aufpassen, dass sie nicht einem der Containergiganten vor den Bug liefen. In Anbetracht seiner Gäste hatte es sich Ehlers wohl nicht nehmen lassen, das Boot selbst zu steuern.

Cornelius Brock spürte, wie es ihm besser ging. Auch an die Schaukelei des Bootes hatte er sich inzwischen gewöhnt. Er wäre zum Gespött der gesamten Abteilung geworden, wenn ihm als Hamburger auf einem Boot schlecht geworden wäre. Hamburg war zwar eine Hafenstadt, lag aber weit weg vom eigentlichen Meer, und Brock war eher ein Mensch der Großstadt, der sich auf dem festen Land deutlich sicherer fühlte als auf dem Wasser.

Er winkte seinen Assistenten heran. »Setzen Sie sich, Spengler. Erzählen Sie mir bitte noch einmal, wie das heute Morgen mit dem Anruf war.«

Spengler zog aus seiner Brusttasche ein schmales Notizbuch heraus. Rasch blätterte er nach einer Seite.

»Hier ist es. Wir erhielten einen Anruf von einem gewissen Holger Driessen aus Neuwerk, der uns darüber informierte, dass er bei seinem morgendlichen Lauftraining einen Toten am Strand entdeckt hat. Er beschrieb ihn als jüngeren Mann, der offensichtlich erschossen worden war.«

»Offensichtlich? Hat dieser Herr Driessen so etwas erkennen können?«

»Das habe ich ihn auch gefragt, worauf er mir sagte, dass er als Soldat der Bundeswehr in Afghanistan stationiert war, und er daher wüsste, wie eine Schusswunde aussähe.«

»Na, schön. Was hat er noch gesagt?«

»Er nimmt verschiedene Strecken, wenn er sein Training absolviert. Heute ist er vom Leuchtturm an der Südseite losgelaufen und dann weiter in östlicher Richtung am Strand entlang. Dort hat er ein Bündel liegen sehen, welches er zunächst für einen Müllsack hielt. Plastik wird dort wohl häufiger angeschwemmt. Jedenfalls hat er beim Näherkommen gemerkt, dass dort eine Leiche lag. Er hat nachgesehen, ob der Mann noch lebte und dann die Schusswunde entdeckt.«

»War der Mann denn unbekleidet, sodass er die Wunde erkennen konnte?«

Spengler blätterte in seinem Büchlein. »Das … nein … wohl nicht. Das müssen wir ihn fragen.«

»Hat er irgendetwas angefasst?«

»Er sagt, nein.«

Obermeister Ehlers hatte das Steuer einem seiner beiden Kollegen übergeben und trat zu den Kriminalbeamten. Er sah auf seine Uhr. »Der Tote ist heute Morgen offensichtlich bei Flut angeschwemmt worden. Dann war Niedrigwasser, und wir können in Neuwerk erst wieder bei Flut anlegen. Wenn wir das zeitlich nicht schaffen, müssen wir warten, da die Insel bekanntlich mitten im Watt liegt.«

Er lachte kurz auf. »Sie können die Insel natürlich auch zu Fuß erreichen, quer durchs Watt.«

Brock sah den uniformierten Kollegen an, als wolle er prüfen, ob er auf den Arm genommen wurde. Doch offenbar waren das die Tatsachen.

»Und der Tote?«, fragte er.

»Wenn das Wasser abläuft, besteht keine Gefahr, da er bereits auf dem Strand liegt Er bleibt dort einfach liegen. Er könnte allerdings wieder abgetrieben werden, wenn die Flut zurückkommt.«

Brock sah seinen Assistenten an. »Können Sie den Herrn Driessen per Handy erreichen?«

Spengler nickte. »Er hat ja mit seinem Handy angerufen. Die Nummer ist gespeichert.«

»Dann bitten Sie ihn, dafür zu sorgen, dass die Leiche sicher auf dem Strand bleibt."

»Er soll möglichst wenig anfassen«, ergänzte Doktor Fischer. »Das Wasser hat vermutlich schon genügend Spuren vernichtet.«

»Könnten wir die Geschwindigkeit erhöhen?«, stellte Ritter dem Obermeister eine praktische Frage.

Ehlers wiegte den Kopf.

»Das Boot hat schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Ich muss aufpassen, dass wir keine Aussetzer haben. Doch einen kleinen Zahn können wir noch zulegen.«

Er warf einen Blick auf die Fluttabelle, die an der Wand befestigt war. »Wir müssten die Insel bei dieser Geschwindigkeit genau zum richtigen Zeitpunkt erreichen. Sie hätten dann noch gut zwei Stunden Zeit, bis wir wieder ablegen müssen, um bis in die Tiefwasser-Fahrrinne zu kommen.«

Er schob einen Hebel an seinem Armaturenbrett nach vorn, und alle spürten den kleinen Ruck, der durch das Boot ging.

Horst Spengler griff zu seinem Smartphone.

 

 

3. Kapitel

 

Hauptkommissar Cornelius Brock stützte sich auf die Reling und sah zu der flachen Insel hinüber. Obermeister Ehlers hatte das Ruder wieder übernommen und legte elegant an der kleinen Mole an, als würde er nichts anderes tun. Die Anlegestelle für die Schiffe, die von Cuxhaven kamen, lag an der westlichen Seite der Insel. Ein davor angelegter Wellenbrecher bot zusätzlichen Schutz gegen das oft stürmische Meer.

Brock zog den Reißverschluss seiner Lederjacke hoch. Hier, mitten in der Nordsee, war es deutlich kühler als in der Innenstadt von Hamburg. Auf den Sommer würden sie wohl noch warten müssen. Er balancierte seine Körpergröße von einem Meter achtzig auf dem immer noch schwankenden Boot aus und blickte aus seinen grauen Augen auf das feste Land hinüber.

Auf dem freien Platz an der Anlegestelle stand ein merkwürdiges Gefährt, vor dem zwei Pferde angeschirrt waren. Hoch über den Rädern thronte ein offener Wagen mit mehreren Sitzreihen. Daneben stand ein älterer Mann mit einer Schirmmütze auf dem Kopf und einer Pfeife im Mund.

---ENDE DER LESEPROBE---