Der Amaranthklub - Joseph Smith Fletcher - E-Book

Der Amaranthklub E-Book

Joseph Smith Fletcher

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Beschreibung

Der Amaranth-Klub ist einer der honorigsten Klubs Londons. Nach außen edel und gut geführt, ist er in Wirklichkeit eine Stätte illegalen Glückspiels par excellence. Eines der weiblichen Mitglieder des Klubs soll für einen Deutschen Geheimpapiere der Admiralität stehlen ... und bald ist der Klub und seine Anhänger in Verschwörung und Mord verwickelt ...

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Der Amaranthklub

Joseph Smith Fletcher

Inhalt:

Der Amaranthklub

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Der Amaranthklub, J. S. Fletcher

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849629458

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Cover Design: © Eky Chan - Fotolia.com

Der Amaranthklub

Erstes Kapitel.

Das Wirtshaus am Wege.

Daß hier überhaupt ein Gasthaus stand, war eine Quelle ständiger Verwunderung der Leute, die auf diese einsame Landstraße verschlagen wurden. In der Nähe lag kein Dorf, keine Stadt. Außer ein paar weit verstreuten Pachthöfen konnte auch das schärfste Auge erst am fernen Horizont den Turm eines Dorfkirchleins oder die ragenden Dächer eines Schlosses entdecken. Hier war nichts als Ruhe und Einsamkeit.

Das Gasthaus lag an einem Kreuzweg. Auf einem halb verwaschenen Schild sah man das Bild eines verzweifelten Fuchses, der von Hunden, die ihre rote Zunge heraushängen ließen, verfolgt wurde. Dieses Schild hatte mehr Sinn, als ein flüchtiger Beobachter hätte ahnen können. Denn die Existenz dieses Wirtshauses beruhte auf den Füchsen im Walde und der Meute im Hundezwinger. Während der Jagdzeit war Leben in den alten Zimmern, und edle Pferde stampften in den Ställen. Wenn die Ernte auf den Feldern vorüber war, begann die Ernte des »Wirtshauses zum Fuchs«.

Es war aber erst Ende Juni, und der Wirt hatte wenig zu tun. Ab und zu kam ein Landfahrer vorüber und trank sein Gläschen Bier in der Küche. Dann und wann hielt der Wagen eines Bauern oder eines Handlungsreisenden vor dem Haus. Es kam auch gelegentlich vor, daß ein Autler einkehrte. Aber die vornehmen Gäste der Jagdzeit ließen sich jetzt nicht sehen. Frühstücksraum und Fremdenzimmer waren abgeschlossen, und das Personal bestand nur aus dem Wirt nebst Frau und Tochter.

So hatte Hoskins, der Fuchswirt, von Mai bis August ein geruhsames Leben, und er pflegte seine Zeit in einer Weise hinzubringen, wie es eher in Spanien als in England Sitte war. Er saß den größten Teil des Tages auf einer Bank, die er sich selbst im Schatten einer Blutbuche gezimmert hatte, stärkte sich von Zeit zu Zeit mit einem Glas Bier und einer Pfeife Tabak und überließ sich seinen Gedanken.

Auch an diesem heißen Junimorgen befand sich Hoskins auf seinem Lieblingsplatz. Ein buntes Taschentuch um den kahlen Kopf, die Zeitung auf den Knien war er eingeschlafen. Das Summen der Bienen im Garten, das feine Surren der Insekten, die die Hecken bevölkerten, das Rauschen des vorbeieilenden Baches hatte einschläfernd auf ihn gewirkt. So saß er und träumte von der Jagdzeit, wenn munteres Leben das alte Haus erfüllte.

Ein Schlag auf die Schulter rief Hoskins jäh in die Wirklichkeit zurück. Er öffnete die Augen und sah ein Auto, das an der Gartentür hielt, darin einen Chauffeur, und neben sich einen Herrn, der ihn aus belustigten Augen anblickte.

»Sie haben einen gesunden Schlaf, mein Freund«, bemerkte der Fremde.

Hoskins sprang auf. Aus langjähriger Gewohnheit, seine Gäste zu taxieren, schaute er den Herrn mit prüfendem Blick an. Er sah einen großen, wohlbeleibten Mann mit blondem Haar und Schnurrbart und rotem Gesicht vor sich. Der Fremde trug einen eleganten blauen Anzug und einen grauen Filzhut. An seiner linken Hand funkelte ein kostbarer Diamant. Er sah aus wie ein Mann, der gutes Essen und Trinken, Luxus und Behaglichkeit liebt, und Hoskins begriff sofort, daß eine Erfrischung von ihm verlangt wurde.

»Ein schläfriges Wetter, Herr«, sagte er als Entschuldigung. »Womit kann ich dienen?«

Der Fremde lächelte.

»Kennen Sie mich nicht?« fragte er.

Hoskins sah ihn an und schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Herr, nein. Vielleicht waren Sie einmal zur Jagd hier?«

»Richtig. Bei der Gelegenheit habe ich hier gefrühstückt. Und nun möchte ich ein ordentliches Essen haben. Es gibt hoffentlich etwas?«

Hoskins machte ein langes Gesicht.

»Es ist tote Zeit jetzt, Herr, Sie werden das verstehen. Im Sommer kehren Herrschaften selten ein. Aber wenn Sie vorliebnehmen wollen –«

Der Fremde klopfte ihn auf die Schulter.

»Darüber reden wir noch. Holen Sie erst Ihr bestes Ale, auch für Sie und für den Chauffeur ein Glas. Das andere wird sich finden.«

Als Hoskins mit einer Kanne des Bitterbieres, durch das die Gegend berühmt war, zurückkam, betrachtete der Fremde die Blumen im Garten. Nachdem der Chauffeur sein Bier getrunken hatte, sagte er zu ihm:

»Sie fahren jetzt zurück und sind pünktlich um vier Uhr wieder da.«

Das Auto wendete und verschwand. Der Fremde nahm sein Glas in die Hand und setzte sich auf die Bank.

»Nun zur Sache«, sagte er. »Ich brauche ein Essen für zwei Personen, das, sagen wir um halb zwei, fertig sein muß. Ich erwarte eine befreundete Dame. Darum müssen wir unser Bestes tun.«

Hoskins machte ein nachdenkliches Gesicht, und der Fremde lächelte.

»Ich sehe, Sie haben Geflügel«, sagte er. »Wir können in drei Stunden allerlei schaffen. Nehmen Sie zwei Hühnchen, besonders zarte. Sie haben doch eine gute Köchin?«

»Meine Frau wird das besorgen. Auch habe ich Champignons.«

»Ausgezeichnet. Zweifellos wird sich auch ein Salat machen lassen. Ich will mir Ihren Garten daraufhin ansehen. Wenn alle Zutaten da sind, richte ich den Salat selbst an.

»Und ich habe einen vorzüglichen gekochten Schinken, auch alten Stiltonkäse. Was die Weine angeht –«

Der Fremde nickte.

»Ich erinnere mich noch Ihrer vorzüglichen Weine von damals.«

»Ich habe Wein in meinem Keller, der von der Auktion bei dem Herzog vor fünf Jahren stammt. Vielleicht sehen Sie sich einmal meinen Vorrat an?«

»Ein guter Gedanke. Das werde ich tun. Dann einen hübschen, behaglichen Raum. Nicht Ihr Frühstückszimmer, das ist zu unheimlich groß für zwei Personen.«

»Wird besorgt«, erwiderte Hoskins. »Jetzt entschuldigen Sie mich, bitte, ich muß mich um die Küche kümmern.«

Der Fremde entließ den Wirt mit einer gnädigen Handbewegung, steckte sich eine Zigarre an und ging dann in den Gemüsegarten. Er schritt von Beet zu Beet und nickte zufrieden. Hier war Grünzeug genug zu einem Salat. Entzückt betrachtete er die Erbsen und die neuen Kartoffeln.

Dann holte ihn der Wirt zur Inspektion des Weinkellers ab. Hier entpuppte er sich als Kenner ersten Ranges. Hoskins verließ die unteren Regionen mit Flaschen beladen, die das edelste Gewächs enthielten.

Zu seiner Frau äußerte der Wirt, daß er seinen Gast zwar nicht im mindesten kenne, daß er aber ein vortrefflicher Kunde sei, da er, ohne mit der Wimper zu zucken, Weine ausgewählt hatte, die dreißig Schilling die Flasche kosteten.«

»Und was mag das für eine Dame sein, die ihm helfen wird, den Wein austrinken?« fragte die Frau. »Sicher ist das eine Liebesgeschichte, Hoskins, soviel ich mir dabei denken kann.«

»Das geht uns gar nichts an«, erwiderte der Wirt. »Solange eine hübsche Rechnung mit gutem, barem Geld bezahlt wird, kümmere ich mich den Teufel drum, wer die Dame ist. Unsere Sache ist es nur, sie gut aufzunehmen.«

Aber trotzdem konnte auch er eine gewisse Neugierde nicht verbergen, und als die bestimmte Stunde kam, lungerte er in seinem Sonntagsstaat in der Nähe der Gartentür herum, mit einer blütenweißen Serviette bewaffnet. Denn er hatte beschlossen, selbst den Kellner zu spielen. Daß die Dame bald kommen mußte, erkannte er an den Anstalten des Fremden, der einen der Seitenwege entlang ging.

»Ah, sie kommt aus der Richtung von Ashminster«, murmelte Hoskins. »Das sind zwölf Kilometer, denn dazwischen liegt nichts. Und er kam von Lydcaster, das sind noch einmal zwölf Kilometer. Da steckt sicher ein Geheimnis dahinter.«

In diesem Augenblick tauchte ein Auto auf, das neben dem Fremden hielt. Dieser nahm seinen Filzhut ab und verbeugte sich tief vor einer großen, schlanken Dame, der er beim Aussteigen half. Sie sprachen lebhaft miteinander, und dann fuhr der Wagen wieder zurück. Der Fremde und die Dame kamen langsam auf das Wirtshaus zu. Mr. Hoskins begab sich eiligst in einen versteckten Winkel, von wo aus er den interessanten Besuch beaugenscheinigen konnte.

Zehn Minuten später stürzte er in die Küche und winkte seiner Frau.

»Maria«, flüsterte er, »ich weiß, wer die Dame ist. Es ist Lord Hartsdales Schwester, Frau Tressingham. Du weißt doch, Hilda Hartsdale, die den Oberst Tressingham heiratete. Aber – wer mag der Herr sein?«

Zweites Kapitel.

Geheimnisvolle Aufträge.

Kaum war der Chauffeur davongefahren, als die Dame sich mit der hastigen Frage an ihren Begleiter wandte:

»Armand, wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, diesen Ort als Treffpunkt zu wählen?«

»Aus guten Gründen, meine Beste«, erwiderte der Herr. »Zunächst wußte ich, daß Sie zur Zeit bei Ihrem Bruder waren, und daß sein Landsitz nur zwanzig Kilometer von hier entfernt ist. Zweitens wußte ich von der Existenz dieses Gasthauses. Drittens war mir bekannt, daß wir um diese Jahreszeit hier ungestört sein würden. So wählte ich diesen Ort. Und nun lade ich Sie zum Lunch ein.«

»Zu einem Butterbrot vermute ich«, sagte die Dame, als sie durch das Gartentor ging.

»Vielleicht auch noch zu etwas anderem«, sagte er. »Doch ich will nicht vorgreifen.«

Er geleitete sie in ein kleines, behagliches Zimmer und wies auf einen Tisch, auf dem von tadellosem Leinen Silbergeschirr funkelte.

»Ich sehe«, lachte sie, »Sie haben fouragiert. Ich hätte es mir denken können, daß Armand de Garnier auch in der gottverlassensten Kneipe noch etwas Eßbares auftreiben würde. Es riecht wahrhaftig appetitlich, und ich sehe Flaschen mit langen Hälsen.«

Garnier lachte, ließ sich in einen Sessel fallen und sah sein Gegenüber prüfend und bewundernd an. In der Tat war Hilda Tressingham eine bezaubernde Frau. Groß und schlank, gehörte sie zu den Vertreterinnen ihres Geschlechts, die zu Fuß wie zu Pferde eine gleich gute Figur machen. Ihr braunes Haar zeigte einen goldigen Schimmer. Ihre Augen waren von derselben Farbe. Hinter den vollen, roten Lippen blitzten weiße Zähne. Sie sah so frisch und anziehend aus, wie man sich eine Frau Ende der Zwanziger nur vorstellen kann, und sie lächelte, als sie Garniers Blick auffing.

»Sie sehen ausgezeichnet aus«, bemerkte er plötzlich. »Was haben Sie in der Zwischenzeit getan?«

»Gedöst«, erwiderte sie. »Was kann man dort anders tun? Hartsdale hat wie gewöhnlich kein Geld, so ist nichts los. Niemand besucht uns, wir rühren uns nicht aus dem Haus. Wir essen unseren Hammelbraten, den die Pächter liefern, unsere Kartoffeln aus dem Gemüsegarten und starren einander über den Tisch hin an. Armand, ich bin das alles herzlich satt.«

»Ich denke, das hat nun ein Ende«, sagte Garnier. »Ich habe etwas für Sie, das Geld und London bedeutet. Was sagen Sie dazu?«

»Sie meinen – Arbeit?«

»Natürlich. Und dazu eine einfache Sache – wenigstens für Sie. Darum bin ich hierhergefahren. Aber da kommt unser ländliches Mahl.«

Hoskins kam in dem Bestreben, etwas über die geheimnisvolle Persönlichkeit seines Gastes zu erfahren, nicht um einen Schritt weiter. Sie sprachen über gleichgültige Dinge, und nichts deutete an, daß sie mehr waren als gut bekannt miteinander. Und als die Mahlzeit beendet war, warf Garnier des Wirtes Ansicht wegen des Liebespaares jäh über den Haufen.

»Mir ist vorhin Ihr schöner Rasen mit den schattigen Zedernbäumen aufgefallen«, sagte er. »Lassen Sie bitte dort einen Tisch und Stühle aufstellen, wir wollen unseren Kaffee draußen trinken.«

»Ich habe das so arrangiert«, sagte Garnier später zu seiner Begleiterin, »weil man in einem Hause nie sicher vor dem Belauschtwerden ist.«

»Sehr richtig. Handelt es sich um ein Geheimnis oder um eine vertrauliche geschäftliche Information?«

»Um beides. Fangen wir also an. Ihres Bruders Schloß liegt dicht bei Ashminster?«

»Fünf Kilometer entfernt.«

»Sie kennen also die Stadt und die Menschen?«

»Die Stadt wohl. Aber die Menschen? Hartsdale kennt vermutlich manche von ihnen, und sie ihn erst recht, weil er Schulden bei ihnen hat.«

»Kennen Sie das Parlamentsmitglied für Ashminster, Mr. George Ellington?«

»Nein, wenigstens nur dem Namen nach. Seine Verwandten sind dort Fabrikanten. Reiche Leute.« »Tatsächlich? Erzählen Sie mir näheres von ihnen.«

»Sie sind Fabrikanten, wie ich schon bemerkte. Der junge Ellington soll von vornherein für eine politische Laufbahn erzogen worden sein. Gymnasium, Cambridge, dann eine Universität in Deutschland. Man hat ehrgeizige Pläne mit ihm. Der Einfluß und das Geld der Familie verschaffte ihm sein Mandat.«

»Richtig. Teilweise ist ihr Ehrgeiz befriedigt. Haben Sie heute die Morgenzeitungen gelesen?«

»Nur flüchtig.«

»Ellington ist zum Unterstaatssekretär im Marineamt ernannt worden, ich hörte es schon gestern. Soviel ich weiß, ist das noch kein besonders wichtiger Posten in der englischen Regierung. Immerhin hat mich die Nachricht von seiner Ernennung dazu bewogen, an Sie zu schreiben. Es ist bei Ihnen Sitte, daß Abgeordnete, die in ein Regierungsamt berufen werden, ihr Mandat niederlegen müssen, nicht wahr?«

»Meines Wissens ja.«

»Infolgedessen kandidieren sie aufs neue. So wird es also auch in Ashminster eine Ersatzwahl geben. Mr. George Ellington muß noch einmal gewählt werden.«

»Und?«

»Wie man mir gesagt hat, ist er nur mit knapper Mehrheit gewählt worden. Deshalb wird er Widerstand finden. Es wird einen scharfen Wahlkampf geben.«

»Und?«

»Sie müssen sich daran beteiligen.«

»Ich? Warum denn?«

»Klar. Sie sollen die Bekanntschaft Ellingtons pflegen. Das wird sich machen lassen. Ich habe bereits erfahren, daß Ihr Bruder derselben Partei angehört.«

»Ich glaube kaum, daß Hartsdale zwei Penny Wert auf irgendeine Partei legt.«

»Aber offiziell gehört er zu Ellingtons Partei. Und das ist ein Glück.«

»Ein Glück?«

»Natürlich. Sie sind gerade in Hartsdale Park, bei Ihrem Bruder, der zu den Stützen der gegenwärtigen Regierung gehört, haben nichts zu tun. Da findet eine Wahl statt. Was liegt näher, als daß Lord Hartsdales Schwester den Kandidaten der Regierungspartei unterstützt. Das trifft sich alles prächtig.«

»Meinen Sie? Und was soll ich dabei tun? Ich habe keine Ahnung, wie man Parlamentskandidaten unterstützt.«

»Das ist einfach. Für Sie ein Kinderspiel. Sie werden sich bei den Wahlversammlungen zeigen. Sie werden sich mit ihm bekanntmachen, ihm Ihre Hilfe anbieten. Sie werden sehr nett sein und sich ihn zu Dank verpflichten.«

»Und – warum?«

»Weil ich Interesse daran habe, daß Sie mit dem Unterstaatssekretär im Marineamt befreundet sind.«

Hilda Tressingham gab keine Antwort, aber sie sah Garnier an und nickte.

»Sie sind also über meine Absichten im klaren«, fuhr er fort. »Nun noch eines, ist der junge Politiker verheiratet?«

»Soviel ich weiß, ja. Mit irgendeiner Kusine oder dergleichen. Ich erinnere mich jetzt, ich habe sie beide auf einer Blumenausstellung gesehen.«

»Konnten Sie sich bei der Gelegenheit ein Urteil über die beiden bilden?«

»Er macht den Eindruck eines eitlen, selbstgefälligen, etwas anmaßenden Menschen. Die Frau ist farblos, scheint aber gesellschaftlichen Ehrgeiz zu besitzen.«

»Glänzend, glänzend. Die Götter sind mit uns im Bunde, Hilda. Bekümmern Sie sich um diese Leute, zeigen Sie großes Interesse an seiner Politik. Wachen Sie sich nützlich bei seiner Wahl. Lassen Sie sich einladen, veranlassen Sie Hartsdale, die beiden in sein Haus zu ziehen.«

»Um ihnen kaltes Hammelfleisch vorzusetzen«, versetzte sie spöttisch.

»Meinetwegen Käsebrot. Sie werden kommen. Poussieren Sie die Frau. Fordern Sie den Mann auf, Sie nach der Wahl in London zu besuchen. Er wird kommen – allein.«

»So soll ich nach der Wahl nach London zurückkehren?«

»Sofort. Von dort aus muß weiter gehandelt werden. Mischen Sie zunächst einmal Ihre Karten tüchtig während der Wahl. Dann werden wir sehen.«

Dann schwiegen beide. Der Mann rauchte und blickte nach den Zweigen über seinem Haupt. Die Frau dachte angestrengt nach. Dann sah sie ihren Begleiter an.

»Ich habe die Rolle, die ich spielen soll, so ziemlich begriffen. Verlassen Sie sich auf mich, bis –«

»Bis ich Ihnen weitere Instruktionen gebe«, sagte Garnier. »Nun kommen wir zu der Geldfrage.«

»Ja«, antwortete sie ein wenig hastig. »Ich kann nicht nach London, ehe ich mit Bernstein glatt bin. Das wissen Sie selbst.«

Garnier legte die Zigarre fort, griff in die Brusttasche und nahm ein Papier heraus.

»Hier ist Ihr Schuldschein an Bernstein«, sagte er. »Sehen Sie ihn sich an.«

Sie macht eine Bewegung, als wollte sie ihm das Papier aus der Hand reißen.

Lächelnd zog Garnier es zurück.

»Es gehört mir, Hilda«, sagte er.

»So haben Sie ihn bezahlt«, murmelte sie. »Dann hat es doch keinen Zweck –«

»Daß Sie sich weiter beunruhigen«, unterbrach er sie, indem er das Papier wieder einsteckte. »Sie können also Ihre hübsche Wohnung in Mayfair wieder aufsuchen, sobald die Wahl vorüber ist. Aber auch bares Geld ist nützlich und notwendig. Ich habe welches für Sie in meiner Brieftasche. Aber dazu sind wir hier etwas zu sehr in der Öffentlichkeit. Wir wollen einen Spaziergang in das entzückende Wäldchen dort machen. Kommen Sie.«

Drittes Kapitel.

Auf dem Kriegsschauplatz.

So stolz und glücklich auch Mr. George Ellington und seine Familienangehörigen wegen seiner Ernennung zum Unterstaatssekretär im Marineamt waren, Mr. Septimus Crashaw, Generalsekretär der konservativen Partei in Ashminster, teilte diese Gefühle keineswegs. Er zürnte dem Ministerpräsidenten, daß er ihm in diesem Augenblick die Last einer Nachwahl aufhalste. Und als der frischgebackene Marinelord, ein wenig geschwollen im Bewußtsein der neuen Würde, bei ihm eintrat, empfing er ihn mit Klagen und unheilvollen Prophezeiungen.

»Sie können sich auf einen verzweifelten Kampf gefaßt machen, Mr. George«, begrüßte er ihn. Denn da er das Parlamentsmitglied von dessen ersten Hosen an kannte, hatte er sich im Verkehr mit ihm einen etwas familiären Ton angewöhnt. »Sie wissen, daß wir das letztemal nur eine Mehrheit von sechzig Stimmen hatten, und das kann bei unserer Wahlordnung leicht eine Minderheit werden. Vier Jahre ist die Regierung nun an der Macht, ihre Energie ist verbraucht. Unsere Gegner haben tüchtig gearbeitet, und in Oberst Emsworth haben sie einen guten Kandidaten. Er wird sich zur Wehr setzen.«

»Unken Sie nicht, Crashaw«, sagte der neue Unterstaatssekretär. »Ich habe Emsworth zweimal geschlagen, ich schlage ihn noch einmal. Wir müssen nur unsere Kräfte sammeln, dann gewinnen wir die Schlacht.«

Crashaw sah auf den jungen Mann, für den das Leben bisher nichts als Erfolg bedeutet hatte. Sein Vater, der millionenschwere Fabrikant, hatte George von der Geburt an für die politische Laufbahn bestimmt. Seine ganze Erziehung war nach diesem Gesichtspunkt geleitet worden. Für ihn hatte er den Wahlkreis Ashminster warmgehalten, mit dreiundzwanzig Jahren hatte George ihn bekommen. Jeder war überzeugt, daß der junge Mann vor dem dreißigsten Jahr ein Regierungsamt haben würde. Und nun stand er vor Crashaw, das Urbild eines jungen Engländers, groß, kräftig gebaut, froh im Bewußtsein seiner Stellung. Hier wehte die Luft des Erfolges.

»Sie haben immer guten Mut und Hoffnung, Mr. George«, bemerkte der alte Mann. »Das ist eine Gottesgabe. Aber, wie ich gestern zu Ihrem Vater sagte, ich wünschte, wir wären etwas besser vorbereitet. Wir müssen, wie Sie vorhin richtig bemerkten, unsere Kräfte sammeln. Übrigens, was glauben Sie, wer sich gestern bei mir meldete und sich erbot, Ihnen Wahlhilfe zu leisten? Sie würden es in alle Ewigkeit nicht raten.«

»Wer denn?« fragte Ellington.

Crashaw sah den Kandidaten listig an.

»Lord Hartsdales Schwester.«

Ellington pfiff durch die Zähne.

»Sie meinen die Frau von Oberst Tressingham?«

»Freilich. Sie schien ganz wild danach, und sie versieht allerlei von Politik. Wir haben lange geplaudert. Sie bedauerte, Sie noch nicht zu kennen, würde aber gern für Sie arbeiten. Und – ich habe ihr Anerbieten angenommen.«

Verwundert überlegte Ellington, warum wohl Ihre Hochwohlgeboren Frau Tressingham für ihn arbeiten wolle. Er kannte sie und ihre Familie vom Sehen und Hörensagen, solange er lebte. Aber nie hatten die Hartsdales sich für die Angelegenheiten Ashminsters interessiert. Vor ihrer Heirat mit dem Oberst Tressingham, einem alten Haudegen, kannte man Hilda nur als eine junge Dame, die ihre Zeit mit Pferden und Hunden zubrachte. Nach ihrer Verheiratung hatte sie einige Jahre in Indien gelebt, wo ihr Gatte auch nach seiner Verabschiedung noch geblieben war, weil er dort Pflanzungen besaß. Seit ihrer Rückkehr nach England kannte Ellington sie als eine mondäne Frau, die in Kreisen verkehrte, die über seiner Sphäre lagen. Er wußte, daß Lord Hartsdale dem Namen nach zu seiner Partei gehörte und auch gelegentlich einmal zu einer Abstimmung im Oberhaus erschien. Aber nie hatte sich die Familie lebhaft für Politik interessiert, und darum sah er Crashaw fragend an.

»Was kann das zu bedeuten haben?«

Der Alte zuckte die Achseln.

»Wie soll ich wissen, was solch eine vornehme Dame sich denkt? Vielleicht sucht sie ein bißchen Abwechslung, eine neue Sensation, was weiß ich. Ist ihr Gatte nicht noch immer in Indien? Und Kinder hat sie auch nicht. Vermutlich langweilt sie sich in Hartsdale. Die Leute erzählen, daß aus Seiner Lordschaft und ihr selbst kein Mensch dort ist, daß sie nie Gäste haben. Dazu ist er schwer verschuldet, und das gab mir eigentlich zu denken.«

»Warum?« fragte Ellington.

»Sie sind nicht gerade beliebt in Ashminster, wenigstens der Lord nicht. Nachdem er bei den Geschäftsleuten tief in der Kreide sieht, bezieht er seinen Bedarf aus London. Trotzdem –«

Er brach ab, kaute an seinem Federhalter und sah den Kandidaten vielsagend an.

»Trotzdem –?« fragte Ellington.

»Sie ist eine sehr schöne und bezaubernde Frau, und eine solche kann den Leuten klarmachen, daß Schwarz Weiß ist. Unter den Wählern gibt es immer Menschen, bei denen eine hübsche Frau mit einer flinken Zunge erreicht, was sonst niemand fertigbringen kann. Sie könnte uns nützlich sein.«

»Natürlich werden wir Nutzen aus ihr ziehen. Wir weisen keine Hilfe zurück, woher sie auch immer kommen mag. Wir –«

In dem Augenblick öffnete ein junger Mensch die Tür und steckte seinen Kopf herein.

»Eine Dame möchte Sie sprechen, Mr. Crashaw«, sagte er. »Frau Tressingham.«

Crashaw sah seinen Chef an und bemerkte:

»Führen Sie die Dame sofort herein.«

Er stellte einen Sessel zurecht und sagte lächelnd: »Nun können Sie selbst mit ihr sprechen oder – ihr zuhören.«

Etwas schüchtern und unbeholfen blieb Ellington vor dem Kamin stehen und blickte erwartungsvoll auf die Tür. Unbewußt fühlte er, daß etwas Neues in sein Leben trat.

Hilda Tressingham, in einem Hut, wie man ihn in Ashminster nicht zu sehen gewohnt war, schwebte mit strahlendem Lächeln in das Zimmer. Sie wartete eine formelle Vorstellung nicht ab. Obwohl sie in ihrem Leben mit George Ellington noch kein Wort gesprochen hatte, streckte sie ihm wie einem alten Freunde die Hand hin, wahrend sie Crashaw vertraulich zunickte. Die beiden Männer konnten sich dem Reiz ihrer Persönlichkeit nicht entziehen. Es war, als hätte sich das schäbige Zimmer mit seinen Büchern und verstaubten Akten plötzlich verändert.

»Wie geht es Ihnen, Mr. Ellington«, begann sie mit einer entzückenden Offenheit. »Wir können wohl auf eine feierliche Vorstellung verzichten. Ich freue mich, von Ihrer – wie soll ich es nennen? – Beförderung zu hören. Ohne Zweifel hat Mr. Crashaw Ihnen erzählt, daß ich bei Ihrer Wahl helfen möchte. Sie werden nichts dagegen haben?«

Ellington geleitete sie zu dem Sessel. Er stellte fest, daß sie eine außergewöhnlich schöne Frau war, und er konnte sich dabei seltsamerweise eines Gefühls des Unbehagens nicht erwehren.

»Sie sind zu liebenswürdig«, begann er, um dann etwas ungeschickt fortzufahren: »Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie sich für Politik interessieren.«

»Ich fange damit an«, erwiderte sie prompt. »Und ich lerne rasch. Mr. Crashaw wird mir bezeugen, daß ich leidlich auf dem laufenden bin.«

»Von ganzem Herzen«, sagte Crashaw lächelnd. »Frau Tressingham weiß mit allen schwebenden Fragen Bescheid.«

Ellington stand noch immer verblüfft da. Und gleichzeitig betrachtete und studierte ihn Hilda Tressingham. Sie hatte ihn dann und wann zuvor gesehen und kannte ihn als einen gut aussehenden jungen Mann, den man eher für einen Landedelmann denn für einen Politiker halten konnte. Er war groß, wohlgebaut, und seinem braungebrannten Gesicht nach hätte man ihm eher ständigen Aufenthalt in frischer Luft als die Beschäftigung mit Büchern und Akten zugetraut. Aber in diesem Augenblick forschte sie tiefer und schätzte Charakter und Fähigkeiten ab. Und sie kam zu dem Schluß, daß George Ellington bei einer gewissen geistigen Bedeutung alle Merkmale der Eitelkeit an sich trug, daß man ihn mit Schmeicheleien würde beeinflussen können. Sie empfand ein freudiges Vorgefühl kommenden Sieges.

»Ich kann ihn um den Finger wickeln«, dachte sie. Und dann sagte sie laut:

»Was für Arbeit werden Sie mir geben, Mr. Crashaw?«

Septimus Crashaw blickte auf Ellington.

»Ich habe es mir eben überlegt«, sagte er. »Wir müssen uns besonders um die Wähler in Saint Sepulchres Ward kümmern. Ein bißchen Hausagitation kann da Wunder wirken. Ich wollte Sie eigentlich hinschicken, Mr. George. Hier ist die Liste. Möchten Sie nicht Frau Tressingham mitnehmen? Sprechen Sie mit den Frauen, sie haben mehr Einfluß auf die Männer, als man gewöhnlich annimmt. Schmieren Sie ihnen Honig um den Mund und küssen Sie ihre kleinen Kinder.«

»Dies Geschäft werde ich Mr. Ellington überlassen«, sagte Hilda. »Darin hat er Erfahrung.«

Ellington hatte ein seltsames Gefühl von gehobener Stimmung und Vergnügen, als er in der Gesellschaft von Lord Hartsdales schöner Schwester die Hauptstraße von Ashminster entlang ging. Trotz seiner sorgfältigen Erziehung, seiner glänzenden Karriere und seiner Zukunftsaussichten hatte er etwas von einem Emporkömmling an sich. In der Industriestadt aufgewachsen, hatte er eine gewisse Ehrfurcht vor der Aristokratie noch nicht abgelegt. Das Gefühl war mächtig in ihm, es sei doch eine schöne Sache, die Schwester eines Pairs neben sich zu haben. Sehr bald hatte er noch mehr Grund, stolz zu sein und sich zu beglückwünschen. Denn er entdeckte, daß Crashaw mit seiner Behauptung, Hilda verstände zu reden, recht behielt. Bewundernd folgte er ihr den Rest des Vormittags, ließ sie ihre Überredungskünste nach Belieben anwenden und warf nur ein paar Worte ein, wenn er es für unbedingt notwendig hielt.

Die Zeit verging dabei so schnell, daß er sich wunderte, als seine Begleiterin plötzlich stehen blieb und die Hand auf seinen Arm legte.

»Jetzt keinen Schritt weiter«, sagte sie lachend. »Sie müssen mir erst etwas zum Lunch geben.«

Viertes Kapitel.

In der Familie.

Schuldbewußt sah Ellington auf die Uhr. Es war halb zwei. Über zwei Stunden waren sie von Gasse zu Gasse gezogen.

»Ich bin untröstlich«, sagte er. »Aber es war ein zu großes Vergnügen, Zeuge Ihrer Überredungskunst zu sein. Lunch? Natürlich. Sie müssen mit mir nach Hause kommen. Wir essen um zwei.«

»Und Ihre Gattin?« sagte sie lächelnd.

»Wieso?«