Erpressung - Joseph Smith Fletcher - E-Book

Erpressung E-Book

Joseph Smith Fletcher

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Beschreibung

»Wie es mir hier geht?« fragte Cotherstone erstaunt. »Ich bin doch schon seit fünfundzwanzig Jahren hier!« Kitely nahm einen Schluck aus seinem Glase, setzte es dann auf den Tisch und sah Cotherstone durchdringend an. »Ja, Sie haben recht. Vor fünfundzwanzig Jahren kamen Sie mit Ihrem Teilhaber hierher. Und vor dreißig Jahren machte ich zum erstenmal Ihre Bekanntschaft. Aber das haben Sie wahrscheinlich vergessen.« Cotherstone richtete sich plötzlich auf und warf Kitely einen fragenden Blick zu. Seine scharfen Züge sahen noch angespannter aus als sonst. »Was sagten Sie da eben?« fragte er unsicher ...

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Joseph Smith Fletcher

Erpressung

(Der Stadtkämmerer)

(The Borough Treasurer)

Kriminalroman

idb

ISBN 9783962245122

1. Kapitel.

Erpressung.

In der Mitte der Hauptstraße von Highmarket stand eine wuchtige, massive Torfahrt, die noch aus dem Mittelalter stammte. Wenn man hindurchging, kam man auf einen quadratischen Hof, zu dessen Seiten sich alte Steinhäuser erhoben. Welcher Bestimmung diese Gebäude früher gedient hatten, war nicht mehr zu erkennen, jetzt wurde hier ein Baugeschäft betrieben. Große Stapel norwegischen Holzes türmten sich an der Mauer; Schieferplatten aus Wales, Marmorstufen aus Aberdeen und Zement von Portland lagerten hier in Mengen. Die Räume der Gebäude waren mit allen möglichen Materialien gefüllt, die zum Hausbau benötigt wurden: Tür- und Fensterbeschläge aus Eisen und Bronze, Zink, Blei, Dachziegel, Röhren und alle Bedarfsartikel, die die moderne Technik dafür geschaffen hatte. Auf einer polierten Messingplatte am Eingang konnte man den Namen der Firma lesen: »Mallalieu & Cotherstone, Baugeschäft.«

An einem Oktobernachmittag standen die beiden Inhaber auf dem Hof. Sie waren eben aus dem Büro gekommen, um die neuen Transportwagen zu besichtigen, die nach den Zeichnungen Mallalieus gebaut worden waren. Er zeigte Cotherstone, der sich mehr mit der Buchhaltung und der Korrespondenz befaßte, stolz ihre Vorzüge.

Mallalieu war ein großer, stattlicher Mann zwischen fünfzig und sechzig Jahren. Er sah repräsentativ und würdevoll aus und hielt viel auf gute Kleidung. Seine kleinen Augen blitzten lebhaft und schienen alles zu beobachten. Er hatte den Hut ein wenig in den Nacken geschoben und wies eben auf einige Einzelheiten der Entladevorrichtungen hin.

»Siehst du, Cotherstone, mit einem einzigen Handgriff kann man den ganzen Wagen entladen. Man sollte sich die Idee eigentlich patentieren lassen.«

Cotherstone trat etwas näher. Er war im Gegensatz zu seinem Kompagnon schlank und beweglich. Obwohl er jünger als Mallalieu war, sah er doch älter aus; an den Schläfen war sein dünnes Haar schon ergraut. Mallalieu machte den Eindruck unverwüstlicher Kraft und Gesundheit; in Cotherstones unruhigem Wesen, in seiner Sprache und in seinen Bewegungen verriet sich dagegen eine Nervosität, die fast an Furcht grenzte. Er ging schnell um den einen Wagen herum und betrachtete ihn von allen Seiten.

»Das stimmt«, erwiderte er. »Es ist eine gute Idee, aber wenn sie patentiert werden soll, müssen wir uns sofort darum kümmern, ehe diese Wagen in Betrieb genommen werden.«

»Nun, so gefährlich ist es nicht! In Highmarket versteht niemand etwas davon oder ist so schlau, uns das Geheimnis abzugucken«, meinte Mallalieu in guter Laune. »Vielleicht könnte man die Sache vorläufig als Musterschutz anmelden.«

»Ich will daran denken. Auf jeden Fall lohnt es sich.«

Mallalieu zog seine große, goldene Uhr aus der Tasche und sah auf das juwelenbesetzte Zifferblatt.

»Alle Wetter!« rief er. »Schon vier Uhr! Ich habe eine Sitzung im Rathaus in einer Viertelstunde – aber bevor ich nach Hause gehe, komme ich noch einmal her.«

Er eilte durch das Tor hinaus. Cotherstone betrachtete die Wagen noch einmal eingehend, sah einige Papiere durch, die er in der Hand hielt, und ging dann in das Lager, um die neuangekommenen Sendungen zu prüfen. Er war noch damit beschäftigt, als ein Angestellter zu ihm trat.

»Mr. Kitely ist gekommen, um seine Miete zu bezahlen. Er möchte Sie selbst sprechen.«

»Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig«, zählte Cotherstone, dem diese Unterbrechung sehr ungelegen kam. »Führen Sie ihn in mein Privatbüro. ich komme gleich hinüber.«

Er führte die begonnene Arbeit erst zu Ende, trug den genauen Befund in eine Liste ein und wandte sich dann zu den Büroräumen. Kurze Zeit später begrüßte er in seinem Privatkontor einen älteren Herrn, der vor kurzem an der Stadtgrenze ein Haus von ihm gemietet hatte.

»Guten Tag, Mr. Kitely! Ich freue mich, Sie wieder einmal zu sehen. Leute, die ihre Miete bezahlen, sind immer willkommen. Nehmen Sie bitte Platz. Hoffentlich sind Sie mit der Wohnung dort zufrieden?«

Der Besucher setzte sich, legte die Hände auf seinen altmodischen Spazierstock und sah seinen Hauswirt mit einem merkwürdigen Lächeln an. Nach seiner schlanken, etwas zu hageren Gestalt, dem abgetragenen, schwarzen Anzug und der Krawatte hätte man ihn für einen Geistlichen halten können. Er war glatt rasiert und schon ergraut. Cotherstone wußte nur, daß dieser Mann in der Lage war, seine Mieten und Steuern regelmäßig zu zahlen, und hielt ihn für einen pensionierten Kirchendiener.

»Man sollte doch denken, daß Sie und Mr. Mallalieu kein Geld brauchen«, sagte er ruhig. »Ihr Geschäft scheint ja sehr flott zu gehen.«

»Ach, es ist alles nicht so, wie es aussieht. Wir haben uns allerdings nicht zu beklagen, Mr. Kitely.« Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb eine Quittung aus. »Sie zahlen fünfundzwanzig Pfund im Jahr, das macht 6 Pfund und 5 Schilling pro Quartal. Darf ich Ihnen ein Glas Whisky einschenken?«

Kitely nahm einige Banknoten und Silbergeld heraus, zählte sie auf und nahm die Quittung. Aber er sah Cotherstone immer noch mit dem eigentümlichen lächelnden Ausdruck an.

»Danke, das nehme ich gern an.«

Er beobachtete Cotherstone, der eine geschliffene Whiskyflasche und Gläser aus dem Schranke nahm und von einem Filter in der Ecke frisches Wasser holte, um die Getränke zu mischen. Dann nahm er das Glas mit einem höflichen Nicken und trank Cotherstone zu.

»Wie gefällt es Ihnen denn in Ihrem Haus, Mr. Kitely? Haben Sie etwas auszusetzen?«

»Nein, nicht daß ich wüßte.«

Es lag eine merkwürdige Zurückhaltung in Kitelys Wesen, und Cotherstone schaute ihn etwas verwundert an.

»Und Highmarket gefällt Ihnen auch? Sie wohnen ja nun schon einige Zeit hier und haben sich sicher ganz gut eingelebt.«

»Es ist alles so, wie ich es erwartet hatte«, entgegnete Kitely. »Schön ruhig und friedlich. Und wie geht es Ihnen hier?«

»Wie es mir hier geht?« fragte Cotherstone erstaunt. »Ich bin doch schon seit fünfundzwanzig Jahren hier!« Kitely nahm einen Schluck aus seinem Glase, setzte es dann auf den Tisch und sah Cotherstone durchdringend an.

»Ja, Sie haben recht. Vor fünfundzwanzig Jahren kamen Sie mit Ihrem Teilhaber hierher. Und vor dreißig Jahren machte ich zum erstenmal Ihre Bekanntschaft. Aber das haben Sie wahrscheinlich vergessen.«

Cotherstone richtete sich plötzlich auf und warf Kitely einen fragenden Blick zu. Seine scharfen Züge sahen noch angespannter aus als sonst.

»Was sagten Sie da eben?« fragte er unsicher.

»Vor dreißig Jahren lernte ich Sie und Mr. Mallalieu kennen. Ich dachte mir schon, daß Sie es vergessen hätten – ich aber nicht!«

Cotherstone starrte seinen Besucher sprachlos an, dann erhob er sich langsam, ging zur Tür, vergewisserte sich, ob sie geschlossen war, und kam dann wieder zurück.

»Was meinen Sie denn?«

»Was ich sage!« entgegnete Kitely mit einem trockenen Auflachen. »Es ist dreißig Jahre her, seitdem ich Sie zuerst sah.«

»Wo denn?«

Kitely forderte ihn durch eine Handbewegung auf, sich zu setzen, und Cotherstone gehorchte. Er fuhr zusammen, als Kitely die Hand auf seinen Arm legte.

»Wollen Sie wirklich wissen, wo das war?« fragte er, indem er sich näher zu Cotherstone neigte. »Nun, ich will es Ihnen sagen. Sie saßen damals beide auf der Anklagebank vor den Geschworenen!«

Cotherstone antwortete nicht. Er hatte die Spitzen seiner Finger zusammengelegt und starrte dauernd in Kitelys Gesicht, als ob dieser von den Toten auferstanden wäre. Er fühlte sich entsetzlich elend und willenlos; es war ihm, als ob er unter dem Bann einer Hypnose stände. Er konnte sich weder bewegen noch sprechen, während Kitely ihn berührte und ihn unheilvoll ansah.

»Ja, das sind nun einmal Tatsachen«, fuhr Kitely fort, »daran läßt sich nichts ändern. Ich kann mich jetzt auf alles besinnen. Nach und nach ist es mir wieder eingefallen. Sie und Mallalieu kamen mir gleich bekannt vor. Damals hießen Sie natürlich noch nicht Mallalieu und Cotherstone, sondern Sie waren ganz einfach –«

Cotherstone schüttelte plötzlich die Hand des andern ab. Sein blasses Gesicht wurde dunkelrot, und die Adern auf seiner Stirn traten hervor.

»Verdammt noch einmal, wer sind Sie denn eigentlich?« fragte er leise, aber heftig.

Kitely schüttelte den Kopf und lächelte ruhig.

»Sie brauchen sich deswegen nicht aufzuregen, obwohl das von Ihrem Standpunkt aus ja erklärlich ist. Wer ich bin? Ich trat vor fünfunddreißig Jahren in die Polizeitruppe ein und war noch bis vor kurzer Zeit dort tätig.«

»Also ein Detektiv!« rief Cotherstone.

»Das war ich damals noch nicht, als ich Sie vor Gericht sah. Das kam erst später. Ich habe mir nachher noch manchmal überlegt, was wohl aus Ihnen geworden sein könnte, aber ich habe mir niemals träumen lassen, daß ich Sie hier treffen würde. Sie haben sich also nach dem Norden gewandt, nachdem Sie Ihre Zeit abgesessen hatten, haben Ihren Namen geändert, ein neues Leben begonnen, und nun sitzen Sie hier. Ausgezeichnet, muß ich sagen!«

Cotherstone hatte sich inzwischen gefaßt. Er war aufgestanden und lehnte nun mit dem Rücken gegen den Kamin. Er dachte nach, und, um Zeit zu gewinnen, ließ er seinen Besucher ruhig weiterreden.

»Das haben Sie fein gekonnt! Wahrscheinlich haben Sie einen Teil des Geldes, das Ihnen damals in die Hände fiel, sorgfältig versteckt. Denn um ein solches Geschäft anzufangen, braucht man doch Geld. Nachher ließen Sie sich natürlich nichts mehr zuschulden kommen und wurden dann ganz wohlhabende Leute. Mr. Mallalieu ist sogar Bürgermeister von Highmarket! Zum zweitenmal von der Gemeinde gewählt! Und Mr. Cotherstone ist Stadtkämmerer und versieht diesen wichtigen Posten schon im sechsten Jahre! Ich muß nur immer wiederholen, daß Ihnen das außerordentlich gut geglückt ist.«

»Wollen Sie nicht noch mehr erzählen?« fragte Cotherstone etwas ironisch.

Aber Kitely hatte anscheinend die Absicht, alles nach seinem eigenen Gutdünken vorzubringen, denn er überhörte Cotherstones Frage vollkommen und sprach weiter, als ob ihm die Erinnerung an vergangene Zeiten Spaß mache.

»Ja, Sie müssen ein schönes Anfangskapital gehabt haben. Das war natürlich gut und sicher irgendwo angelegt, während Sie im Kittchen saßen. Sie haben doch damals eine Baugenossenschaft betrogen? Mallalieu war der Schatzmeister, und Sie waren der Sekretär, ich weiß es ganz genau. Sie hatten zweitausend –«

Cotherstone machte eine plötzliche Bewegung, als ob er sich auf den andern stürzen wolle, aber Kitely hielt ihn zurück und sah ihn scharf an.

»Unterlassen Sie das lieber!« sagte er grinsend und zeigte seine häßlichen, gelben Zähne. »Sie können mich doch nicht gut hier in Ihrem eigenen Büro totschlagen. Meine Leiche könnten Sie jedenfalls nicht so gut verstecken wie das Geld, das Sie damals unterschlagen haben. Aber seien Sie ruhig, ich bin ein vernünftiger Mann, der mit sich reden läßt, und außerdem bin ich schon alt.«

Cotherstone ging im Raum auf und ab, um seiner Erregung Herr zu werden. »Denken Sie einmal ruhig über die Sache nach. Außer mir wird wohl niemand mehr in England Ihr und Mallalieus Geheimnis kennen. Es war der reinste Zufall, daß ich es überhaupt entdeckt habe, aber ich weiß es nun einmal. Überlegen Sie sich einmal, was das bedeutet, vor allem, was Sie verlieren können. Mallalieu genießt hier so großes Ansehen, daß man ihn zum zweitenmal zum Bürgermeister gewählt hat, und Sie sind nun schon seit sechs Jahren Stadtkämmerer. Sie können es sich nicht leisten, daß ich zu den Leuten in Highmarket gehe und ihnen sage, man hätte es bei Ihnen mit zwei früheren Verbrechern zu tun. In Ihrem Fall liegt die Sache außerdem noch anders, denn Sie haben eine Tochter.«

Cotherstone stöhnte. Er konnte diese Qual kaum länger ertragen, aber Kitely fuhr erbarmungslos fort.

»Ihre Tochter wird den aussichtsreichsten jungen Mann hier in der Stadt heiraten, er hat noch eine Karriere vor sich. Meinen Sie, der würde sie nehmen, wenn er wüßte, daß sein zukünftiger Schwiegervater früher ein Zuchthäusler war – selbst wenn die Geschichte schon dreißig Jahre zurückliegt.«

»Ich habe jetzt genug«, unterbrach ihn Cotherstone leidenschaftlich. »Ich sehe ja, worauf das alles hinausläuft. Es ist ganz gemeine Erpressung! Wieviel wollen Sie haben? Es hat keinen Zweck, noch lange darum herumzureden.«

»Ich nenne durchaus keine Summe, bis Sie mit Mallalieu gesprochen haben. Die Sache kann in aller Ruhe erledigt werden. Sie können nicht und ich werde nicht davonlaufen. Ich habe Sie in der Hand, sagen Sie das nur dem Bürgermeister. Dann beraten Sie und überlegen sich, wieviel Ihnen die Sache wert ist. Setzen Sie mir ein Jahresgehalt aus, das wäre mir ganz angenehm.«

»Haben Sie schon mit jemand darüber gesprochen?« fragte Cotherstone ängstlich.

»Glauben Sie denn, daß ich so verrückt bin? Sie wissen jetzt alles. Morgen nachmittag komme ich wieder, und dann machen Sie mir einen Vorschlag.«

Er trank sein Glas aus und ging fort, ohne sich zu verabschieden.

2. Kapitel.

Verbrechen und Erfolg.

Cotherstone schaute ratlos ins Leere, nachdem Kitely ihn verlassen hatte. Vor drei Monaten war dieser Mann zu ihm ins Büro gekommen und hatte sich für ein kleines Haus interessiert, das Cotherstone zu vermieten hatte. Er hatte sich damals nach der Höhe des Mietpreises erkundigt und nebenbei erwähnt, daß er sich an einem ruhigen Ort niederlassen wollte und von seiner Tätigkeit zurückgezogen hätte, um den Rest seiner Tage zu verbringen. Er hatte dann das kleine Haus gemietet und seinem Wirt genügend gute Referenzen aufgegeben. Cotherstone hatte als vielbeschäftigter Mann nicht weiter darüber nachgedacht, und er hätte es sich niemals träumen lassen, daß gerade dieser Fremde ihn und Mallalieu schon vor dreißig Jahren gekannt hatte.

Es war Cotherstones eifrigstes Bemühen gewesen, die Vorgänge jener Zeit zu vergessen, und es war ihm auch fast gelungen, sein Gedächtnis einzuschläfern. Aber nun hatte Kitely wieder alles geweckt. Sein Gesicht wurde düster, als er über den einen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit nachdachte. Er sah sich selbst und Mallalieu wieder auf der Anklagebank. Natürlich hießen sie damals anders. Seinen alten Namen hatte er seit langen Jahren nicht mehr ausgesprochen. Ihr Fall hatte damals großes Aufsehen erregt und das öffentliche Interesse auf sich gelenkt. Es war eine böse Geschichte gewesen. Als zwei junge, gutsituierte Leute standen sie damals unter der Anklage, die Gelder einer Baugenossenschaft veruntreut zu haben, bei der sie als Schatzmeister und Sekretär angestellt waren. Die Geschworenen hatten die Sache sehr streng genommen und die beiden Schuldigen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. In Cotherstones Gedächtnis lebte diese Zeit als ein fürchterlicher Traum weiter, und doch war es schreckliche Wirklichkeit gewesen.

Er sah auf seine zitternden Hände, nahm rein mechanisch die Whiskyflasche vom Tisch und goß sich ein. Vielleicht beruhigten sich seine Nerven, wenn er etwas zu sich nahm. Hastig trank er zwei Gläser leer und grübelte dann weiter.

Dieser alte Kitely war ein schlauer Fuchs. Er wies sofort auf den einen Punkt hin, auf den die Leute vor dreißig Jahren nicht gekommen waren. Damals sagte man, die beiden hätten das Geld der Genossenschaft im Spiel und durch Spekulationen verloren. Aber das stimmte nicht; der größte Teil des Geldes war gut und sorgfältig untergebracht, und sie konnten sofort darüber verfügen. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis brauchten sie nur das Geld wieder an sich zu nehmen, um es für ihre eigenen Zwecke verwenden zu können. Sie hatten die Sache sehr klug angefangen. Ruhig und ohne Aufsehen zu erregen, waren sie vom Schauplatz ihrer früheren Tätigkeit in Südengland verschwunden. Sie hatten damals das Gerücht verbreitet, daß sie in die Kolonien gehen wollten, um eine neues Leben zu beginnen. Sie fuhren auch nach Liverpool, um von dort angeblich zu Schiff nach Amerika auszuwandern. Aber in Liverpool führten sie einen anderen Plan durch. Sie brachen mit der Vergangenheit, nahmen andere Namen an, trennten sich und trafen sich dann im fernen Norden Englands in einer wilden, einsamen Gegend wieder. In Liverpool hatten sie zufällig in einer Lokalzeitung gelesen, daß in Highmarket ein altes, guteingeführtes Baugeschäft zu verkaufen war. Sie erwarben es, und von diesem Augenblick an waren sie Anthony Mallalieu und Milford Cotherstone.

Während der letzten dreißig Jahre hatte sie niemand und nichts an ihre Vergangenheit erinnert. Cotherstone hatte zwar oft von anderen die Bemerkung gehört, daß diese Welt doch sehr klein sei. Heimlich hatte er immer darüber lachen müssen. Für ihn und seinen Partner war die Welt weit und groß genug gewesen. Sie wohnten nun siebenhundert Kilometer von dem Schauplatz ihres früheren Vergehens entfernt. Wie sollte ein Mann aus Wilchester in diese nördliche Gegend verschlagen werden? Und Leute von Highmarket kamen niemals nach dem Süden. Weder er noch Mallalieu machten große Reisen; besonders vermieden sie London, um dort nicht alte Bekannte zu treffen. Sie waren immer hier geblieben und hatten sich jahrein, jahraus um ihr Geschäft gekümmert. Man kannte sie zunächst als strebsame, hart arbeitende junge Leute, dann als erfolgreiche Bauunternehmer, und schließlich stieg ihr Ansehen in der Stadt so sehr, daß sie zu ihren jetzigen Ehrenämtern kamen. Das Städtchen war allerdings klein und hatte kaum mehr als achttausend Einwohner. Aber auch bei der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten hatten sie Umsicht und Tatkraft gezeigt, und Mallalieu trug nun zum zweitenmal die große, goldene Amtskette als Bürgermeister, während er selbst als Stadtkämmerer seit mehreren Jahren die Finanzen regelte. Cotherstone starrte in die glühende Asche des Feuers und dachte darüber nach, daß es wohl kaum zwei Leute in der ganzen Stadt gab, denen man mehr traute und mehr Achtung entgegenbrachte als seinem Partner und ihm.

Aber das war noch nicht alles. Beide hatten ein paar Jahre nach ihrer Niederlassung in Highmarket geheiratet; ihre Frauen stammten aus guten Familien der Nachbarschaft. Gut, daß sie schon tot waren, dachte Cotherstone, und daß Mallalieu keine Kinder hatte. Aber Cotherstone besaß eine Tochter, die er liebte und auf die er stolz war; er hatte sich abgemüht und abgearbeitet, um sie zu einer reichen Frau zu machen. Sie hatte die beste Erziehung genossen, und er hatte sogar zwei Jahre auf ihre Gesellschaft verzichtet, damit sie sich auf einer auswärtigen teuren Schule weiterbilden konnte. Seit sie erwachsen war, hatte er sie mit allem Komfort umgeben, und nun war sie mit Windle Bent verlobt, dem aussichtsreichsten jungen Mann in Highmarket. Er war ein reicher Fabrikbesitzer, hatte eine große Firma geerbt, saß bereits im Stadtrat und hatte die Absicht, sich später ins Parlament wählen zu lassen. Jedermann wußte, daß er eine große Karriere vor sich hatte, denn er besaß die nötige Begabung und Veranlagung. Es mochte sein, daß er später sogar zur Würde eines Barons oder eines Lords gelangte. Das war die richtige Partie, die Cotherstone für Lettie gewünscht hatte. Es wäre für ihn ein zu großes Glück gewesen, wenn sie später geadelt worden wäre, und nun kam dieser Schlag!

Cotherstone überlegte und überlegte. Die Dunkelheit war hereingebrochen, aber er drehte den Lichtschalter nicht an. Diese Sache mußte aus der Welt kommen, mochte es kosten, was es wolle. Kitelys Schweigen mußte erkauft werden, und wenn er und Mallalieu die Hälfte ihres Vermögens dafür geben sollten. Er mußte sofort mit Mallalieu sprechen.

Ein Klopfen schreckte ihn auf. Er machte Licht, als er »Herein« rief. Stoner, ein Angestellter, brachte eine Anzahl von Briefen zur Unterschrift.

»Ich bin doch wahrhaftig in der Wärme hier eingeschlafen. Was bringen Sie denn da? Die Briefe?«

»Ja, sie müßten unterzeichnet werden, auch diese drei Verträge. Außerdem müßten Sie noch die Kostenvoranschläge prüfen.«

»Mr. Mallalieu muß die Verträge vorher noch sehen«, erwiderte Cotherstone. Er stellte die Whiskyflasche und die Gläser beiseite und nahm dann die Unterschriftenmappe.

»Die Briefe werde ich unterschreiben. Sie können sie dann auf Ihrem Heimwege zur Post bringen. Die anderen Schriftstücke müssen bis morgen warten.«

Stoner stand hinter Cotherstone, der einen Brief nach dem anderen zeichnete, nachdem er ihn schnell überflogen hatte. Er war ein junger Mann mit schneller Beobachtungsgabe, und er betrachtete seinen Chef überrascht. Vorher hatte er schon entdeckt, daß Cotherstone sehr nachdenklich war, und als er nun die Whiskyflasche sah, wußte er, daß die Bemerkung über das Einschlafen eine Notlüge war. Die sechs Pfundnoten und die Silberstücke lagen noch auf dem Schreibtisch, und er wunderte sich, warum sein Chef wohl so zerstreut war, daß er vergessen hatte, dieses Geld wegzunehmen. Cotherstone war sonst in Geldsachen sehr gewissenhaft und ließ auch nicht die kleinste Münze herumliegen.

»So, das wäre erledigt«, sagte Cotherstone und reichte die Mappe zurück. »Sie können jetzt gehen, denken Sie aber daran, die Briefe zur Post zu bringen. Ich bleibe noch hier und schließe später das Büro ab. Lassen Sie die äußere Tür offen, Mr. Mallalieu kommt noch einmal.«

Er ließ die Vorhänge herunter, als Stoner gegangen war, und ging dann im Zimmer auf und ab, um seinen Partner zu erwarten. Mallalieu kam auch bald in bester Laune zurück.

»Ach, du bist noch da?« fragte er, als er eintrat. »Aber was ist denn los?«

Er blieb stehen und starrte in das Gesicht seines Kompagnons. Cotherstone sah über Mallalieus Schulter in den Spiegel und entdeckte sein bleiches, eingefallenes Gesicht. Er sah um zehn Jahre älter aus als am Morgen.

»Fühlst du dich nicht wohl?« fragte Mallalieu. »Was fehlt dir denn?«

Cotherstone antwortete nicht, ging an Mallalieu vorüber und sah in den äußeren Büroraum. Stoner war gegangen, und es brannte nur noch eine Lampe, aber Cotherstone schloß die Tür sorgfältig und sprach ganz leise, als er zu Mallalieu zurückkam.

»Schlechte Neuigkeiten – eine böse Sache!«

»Wovon sprichst du denn? Ist es privat oder geschäftlich?«

»Dieser Kitely, mein neuer Mieter, kennt uns von früher!«

Mallalieu wurde plötzlich blaß und wandte sich scharf an Cotherstone.

»Er kennt uns! Wann – wo –«

»Wilchester, vor dreißig Jahren. Er weiß alles!«

Mallalieu sank in den nächsten Stuhl, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Eben war er noch frisch und munter hereingekommen, aber jetzt sah er ebenso blaß aus wie sein Partner. Ein gequälter Zug lag auf seinem Gesicht.

»Aber das ist doch nicht wahr!« sagte er heiser.

»Doch. Es ist eine Tatsache. Er weiß alles. Er war früher Polizeidetektiv und hat wohl amtlich mit unserem Fall zu tun gehabt.«

»Hat der Spürhund uns bis hierher verfolgt?«

»Nein, es ist reiner Zufall. Er hat uns erkannt, nachdem er hierherkam. Nach all diesen vielen Jahren!«

Mallalieus Blick fiel auf die Whiskyflasche, und er schenkte sich ein Glas ein. Cotherstone beobachtete, daß seine Hand zitterte.

»Das ist eine harte Pille. Was will er denn? Hat er sich darüber geäußert?«

»Er will uns natürlich erpressen«, entgegnete Cotherstone mit einem verzweifelten Lachen. »Was sollte ein solcher Kerl sonst wollen? Denke dir, wenn er den Leuten in Highmarket erzählte –«

»Ja, ja«, unterbrach ihn Mallalieu. »Aber nehmen wir einmal an, wir stopfen ihm den Mund, kann man dem Menschen denn trauen? Das wird ja eine Schraube ohne Ende, er wird immer mehr haben wollen.«

Er sprach von einer jährlichen Rente und sagte, daß er ein alter Mann geworden sei.«

»Wie alt ist er denn?«

»Zwischen sechzig und siebzig. Ich habe den Eindruck, daß man sein Schweigen kaufen könnte. Auf jeden Fall müssen wir das tun, denn wir dürfen nicht riskieren, daß er uns ruiniert. Ich muß an meine Tochter denken.«

»Glaubst du, daß ich es dazu kommen lassen würde? Ich überlege nur, ob wir ihn wirklich zum Schweigen bringen können. Ich habe schon gehört, daß Leute jahrelang Erpressern große Summen zahlten und schließlich doch nichts davon hatten.«

»Er kommt morgen nachmittag wieder hierher. Dann wollen wir zusammen mit ihm sprechen. Wenn wir ihm mehrere hundert Pfund jährlich anbieten, schweigt er wahrscheinlich.«

Mallalieu trank sein Glas aus und stieß es beiseite.

»Ich will mir die Sache überlegen. Jetzt muß ich gehen, ich habe noch eine Verabredung. Kommst du mit?«

»Noch nicht, ich muß diese Schriftstücke noch durchsehen. Wir wollen es gut bedenken – ich glaube nicht, daß mit dem Mann zu spaßen ist.«

Mallalieu ging ohne Gruß fort, und Cotherstone war wieder allein.

3. Kapitel.

Mord.

Cotherstone setzte sich an den Schreibtisch und versuchte, die Papiere zu prüfen, die Stoner gebracht hatte. Aber es gelang ihm nicht. Er hatte gehofft, durch die Aussprache mit seinem Teilhaber Erleichterung und Beruhigung zu linden, aber es quälte ihn immer noch eine unsagbare Angst. Solange Kitely lebte, waren sie nicht sicher. Selbst wenn sich der frühere Detektiv an einen Vertrag halten sollte, waren sie doch stets von ihm abhängig. Und dieser Gedanke war entsetzlich für Cotherstone, der seit achtundzwanzig Jahren niemand über sich gehabt hatte. Er wünschte, daß Kitely tot und begraben sein möchte, und sein Geheimnis mit ihm. Warum konnte man ein giftiges Insekt oder eine Schlange töten, wenn es einem beliebte, aber nicht einen menschlichen Blutsauger?

Schließlich gab er den Versuch auf, noch zu arbeiten. Die Zahlen tanzten vor seinen Augen, und er konnte die technischen Einzelheiten nicht mehr auseinanderhalten. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu dem einen Punkt zurück. Er trommelte auf seine Schreibunterlage und starrte auf die tiefen Schatten im Zimmer.

Plötzlich klingelte das Telefon im äußeren Büro. Cotherstone zuckte erschrocken zusammen und erhob sich zitternd. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, als er hinausging.

»Wer ist dort?« fragte er.

Er hörte die erstaunte Stimme seiner Tochter.

»Vater, was tust du denn noch im Büro? Hast du nicht daran gedacht, daß wir Windle und seinen Freund, Mr. Brereton, um acht Uhr zum Abendbrot eingeladen haben? Es ist Viertel vor acht, komm doch nach Hause!«

»Das habe ich wirklich vergessen, ich war so beschäftigt. Ich komme gleich, Lettie!«

Aber als er den Hörer wieder hingelegt hatte, beeilte er sich nicht im mindesten. Es dauerte noch einige Zeit, bis er das Licht ausschaltete und dann umständlich das Büro abschloß. Es war ihm nichts unangenehmer, als an diesem Abend Gäste unterhalten zu müssen. Er ging langsam über den Markt zu den äußeren Stadtvierteln.

Vor vielen Jahren hatten er und Mallalieu sich eigene schöne Häuser an der westlichen Grenze der Stadt gebaut. Dort erhob sich ein langgestreckter, niedriger Hügelzug, den man Highmarket-Shawl nannte. Er beherrschte die ganze Stadt und war dicht mit Fichten und Tannen bestanden, zwischen denen hier und dort große Kalkfelsen aufragten. Am Fuß dieser Hügel hatten sie Bauland gekauft, hatten dort massive Steingebäude errichtet und sie mit allem modernen Luxus und Komfort ausgestattet. Cotherstone war immer stolz auf sein Heim gewesen, aber heute war es ihm zum erstenmal verhaßt, seine eigene Schwelle zu überschreiten. Die erleuchteten Fenster, die ihm schon von weitem zuwinkten, und der Duft guter Speisen erfreuten ihn nicht im mindesten. Er mußte sich überwinden, um überhaupt hineinzugehen und die beiden Gäste zu begrüßen, die bereits auf ihn warteten.

»Ich konnte leider nicht früher kommen«, sagte er, als Lettie ihn halb ängstlich, halb scherzend schalt. »Wir hatten heute nachmittag eine recht unangenehme Sache, und ich muß auch nach Tisch noch eine Stunde fortgehen. Es tut mir leid, daß ich es nicht anders einrichten konnte. Nun, wie geht es Ihnen?« wandte er sich an Bents Freund. »Ich fürchte nur, es kommt Ihnen hier sehr kalt vor, nachdem Sie sich immer in London aufgehalten haben.«

Bei Tisch betrachtete er den jungen Rechtsanwalt genauer, der einen sehr gewandten Eindruck machte. Noch begabter als Bent, dachte Cotherstone für sich, und das wollte viel heißen. Bent war ein fähiger Mensch und ein tüchtiger, energischer Geschäftsmann, der ungewöhnlich kluge Ideen und Pläne hatte. Er dachte nicht ruhig und besonnen über eine Frage nach, sondern handelte kurz und entschlossen. Cotherstone sah von einem zum andern und verglich sie miteinander. Bent war ein großer, schöner Mann mit blauen Augen, der gerne einen Witz hörte und lachte. Brereton dagegen war von mittlerer Größe, hatte dunkle Haare und Augen und auch dunkle Gesichtsfarbe, so daß man ihn fast für einen Ausländer hätte halten können. Er gehörte anscheinend zu den Menschen, die viel dachten und wenig sprachen.

Cotherstone zwang sich zu einer Unterhaltung; auch wollte er sehen, ob Brereton Lettie bewunderte. Es war seine größte Freude, zu beobachten, daß seine schöne Tochter auf andere Leute Eindruck machte. Und auch dieser junge Mann aus London schien ganz in ihrem Bann zu stehen und die Wahl seines Freundes zu billigen.

»Was haben Sie denn mit Ihrem Freunde angefangen?« sagte Cotherstone zu Bent. »Er ist doch schon seit gestern hier. Haben Sie ihm die Stadt gezeigt?«

»Ach, ich habe ihn hauptsächlich mit Familiengeschichten gequält«, entgegnete der junge Mann und sah lachend zu seiner Braut hinüber. »Sie wissen allerdings noch nicht, Mr. Cotherstone, daß ich in letzter Zeit versucht habe, möglichst viel über meine Vorfahren herauszubringen. Den ganzen letzten Monat habe ich mich schon damit beschäftigt. Der alte Kitely hat mich auf diese Idee gebracht.«

Cotherstone beherrschte sich mit Mühe, um nicht zusammenzuzucken.

»Sie meinen doch nicht etwa meinen Mieter? Was weiß denn der von Familiengeschichten? Er ist doch hier in der Gegend ganz fremd!«

»O, er weiß viel mehr als ich«, erwiderte Bent. »Er hat nichts zu tun, wie Sie wissen, und seitdem er sich hier niedergelassen hat, bringt er seine ganze Zeit damit zu, alle möglichen Akten auszugraben und durchzustudieren, die sich auf unsere Stadt beziehen. Es ist eine Liebhaberei von ihm. Der Stadtsekretär erzählte mir, daß Kitely fast das ganze alte Stadtarchiv durchstöbert hat. Und Kitely sagte mir eines Tages, daß er meinen Stammbaum aufstellen könnte, und da ich mich dafür interessierte, gab ich ihm den Auftrag, mit der Arbeit zu beginnen. Er hat schon viel Interessantes herausgebracht, und zwar gerade aus dem Stadtarchiv, von dem ich bisher noch nie etwas gehört hatte.«

Cotherstone schaute nicht auf.

»Dann waren Sie wohl in letzter Zeit viel mit Kitely zusammen?« fragte er möglichst gleichgültig.

»Er war ab und zu bei mir und hat mir seine Resultate gebracht. Meistens waren es Abschriften aus dem alten Stadtregister.«

»Hat denn das alles einen Zweck?« fragte Cotherstone. »Wird überhaupt etwas dabei herauskommen?«

»Bent möchte seinen Stammbaum bis zu den Kreuzzügen zurückführen«, antwortete Brereton schelmisch. »Er glaubt, daß der erste Bent womöglich schon mit Wilhelm dem Eroberer auf diese Insel kam. Aber der alte Kitely ist erst bis zu der Zeit der Königin Elisabeth gekommen.«

»Nun, ich wußte schon vorher, daß die Familie Bent schon seit vielen hundert Jahren in Highmarket ansässig ist. Und wenn man einen alten Stammbaum hat, warum soll man ihn nicht richtig ausarbeiten lassen? Kitely ist in diesen Dingen sehr bewandert. Der Stadtsekretär sagte mir, daß er sechshundert Jahre alte Urkunden lesen kann, als ob es Zeitungsartikel wären.«

Cotherstone war nachdenklich geworden. Kitely stand also in enger Verbindung mit Bent. Die beiden sahen sich häufiger, und sein künftiger Schwiegersohn hatte den Mann sogar mit einer bestimmten Arbeit beauftragt. Daraus ließ sich zweierlei folgern: erstens hatte Kitely bisher über seine geheimen Kenntnisse geschwiegen, und man konnte daher annehmen, daß er auch in Zukunft nichts sagen würde, wenn man mit ihm zu einer Verständigung kommen konnte; zweitens ging daraus hervor, daß Bent Kitely vertraute und ihm alles glauben würde, was er ihm sagte. Es mußte also sofort mit Kitely verhandelt werden. Der Detektiv wußte zuviel und war auch zu schlau, als daß man ihn so herumlaufen lassen durfte. Sie mußten zu einer solchen Vereinbarung mit ihm kommen, daß er unter allen Umständen den Mund hielt. Wenn es ihm und Mallalieu nur gelingen könnte, Kitely so in die Hand zu bekommen, wie er sie in seiner Gewalt hatte –

Als das Essen vorüber war, erhob er sich.