Der Verschollene - Joseph Smith Fletcher - E-Book

Der Verschollene E-Book

Joseph Smith Fletcher

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Beschreibung

Spannend und mysteriös geht es zu in Fletchers Meisterwerk "Der Verschollene". Als der lang verschollene Erbe eines verarmten englischen Adelstitels in die düstere Kathedralsstadt zurückkehrt ist er am nächsten Tag bereits verschwunden. Freunde spüren ihm nach und stossen auf lang vergessene Geheimnisse ...

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Der Verschollene

Joseph Smith Fletcher

Inhalt:

Der Verschollene

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Der Verschollene, J. S. Fletcher

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849629731

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Cover Design: © Eky Chan - Fotolia.com

Der Verschollene

1

Das Hotel »Zum Kardinalshut« in Brychester gehört zu jenen Gaststätten, die man nur noch in den ältesten Städten Englands findet. Früher waren die großen Gasträume gefüllt, in den Ställen stampften die Pferde, und vor den Türen standen Postwagen und Reisefuhrwerke. Aber seit der Einführung der Eisenbahn verlor das Hotel an Bedeutung und führte nur noch ein Schattendasein.

An einem schönen Herbstnachmittag stand der alte Oberkellner, der wie ein ehrwürdiger Kirchendiener aussah, nachdenklich in der Haustür und sah die Straße hinunter. Auf der anderen Seite erhob sich der majestätische Turm der großen Kathedrale, in der früher einmal ein Bischof am Hauptaltar die Messe gelesen hatte. Dicht daneben stand das schöne alte Marktkreuz, das zur Zeit der Tudors errichtet worden war. Es war nur wenig Verkehr auf der Straße. Ein paar Bauernwagen rollten über das holperige Pflaster, und hier und dort standen Nachbarn zusammen und besprachen die letzten Neuigkeiten.

Der Oberkellner hielt Ausschau nach dem Hotelomnibus, der jeden Augenblick zurückkommen mußte, und er war gespannt, ob neue Gäste eintreffen würden. Trotz seiner Jahre war er noch rüstig und liebte es durchaus nicht, untätig herumzusitzen.

Als der Bus schließlich vorfuhr, stieg ein vornehmer junger Herr aus. Er war schlank und hatte ein sonnengebräuntes Gesicht. Der Oberkellner hielt ihn für einen Offizier in Zivil, der aus den Kolonien zurückgekommen war, und beeilte sich, ihn zu begrüßen.

»Wünschen Sie ein Zimmer, mein Herr? Wir haben große, elegante Räume. Vielleicht ein privates Wohnzimmer und auch ein Feuer im Kamin?«

Der Fremde reichte dem Hoteldiener seine Gepäckstücke und betrachtete dann das alte, ehrwürdige Gebäude.

»Ja, ich nehme ein Zimmer, wenigstens für die nächste Nacht. Aber vor allem möchte ich –«

»William, der Herr möchte ein Reitpferd haben.« Der Fahrer war zu den beiden getreten und unterbrach den Fremden in seiner Rede. »Er will nach Malvery Hold hinausreiten. Am besten geben wir ihm das Pferd des Chefs. Leider, Sir«, wandte er sich an den Fremden, »hat man heutzutage keine große Auswahl mehr in Pferden. Alle Welt fährt doch Auto oder Motorrad. Aber unser Chef hat noch ein edles, rassiges Tier. Und da er erst morgen zurückkommt, wird er nichts dagegen haben, wenn Sie es heute benützen. Sie sind doch hoffentlich ein guter Reiter?«

Mr. Blake lächelte belustigt.

»Darüber können Sie beruhigt sein«, erwiderte er freundlich. Seine Stimme hatte einen leichten amerikanischen Akzent. »Ich habe schon Pferde zugeritten, die Sie in Ihrem Land gar nicht kennen. Sie können mir das Tier ruhig anvertrauen. Satteln Sie es, und führen Sie es heraus. Inzwischen trage ich mich ins Fremdenbuch ein und trinke ein Glas Whisky-Soda. Ich will dann gleich aufbrechen. Dreizehn Kilometer sagten Sie doch?«

»Jawohl. In fünf Minuten ist alles bereit.«

Der Mann ging mit schnellen Schritten über den verlassenen Hof zu den Ställen, und Mr. Blake folgte dem Oberkellner ins Haus.

»Möchten Sie ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer haben?« fragte William. »Und natürlich ein kleines Feuer im Kamin. Die Nächte sind schon kalt.«

»Ja, lassen Sie alles herrichten, bis ich zurückkomme. Wahrscheinlich bin ich bald wieder hier. Wenn ich meinen Bekannten treffe, bringe ich ihn zum Abendessen mit.«

»Das Dinner wird um sieben Uhr serviert«, erwiderte William. – »Welchen Namen darf ich eintragen?«

»David Blake, Lone Pine, Alberta in Kanada, zur Zeit Hotel ›Cecile‹ in London.«

Der Oberkellner führte ihn dann in ein kleines Nebenzimmer, wo ein junges Mädchen hinter dem Schanktisch saß und einen Roman las.

»Ach, lassen Sie mir doch meinen Regenmantel hier«, sagte Blake, als der Oberkellner gehen wollte. »Es ist möglich, daß noch ein Schauer kommt.«

»Heute wird es nicht mehr regnen«, entgegnete William, reichte ihm aber den Mantel. »Wir bekommen nur Regen, wenn wir Westwind haben.«

David Blake lächelte und sah das junge Mädchen fragend an.

»Kann man sich auf diesen Wetterpropheten verlassen?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen«, erwiderte sie. »Ich bin erst kurze Zeit hier. Aber es ist so langweilig«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu, »daß selbst der Regen eine angenehme Abwechslung bedeutet.«

»Dann ist also hier nicht viel los?« fragte Blake. »Geben Sie mir einen Whisky-Soda. Wenn Sie noch nicht lange hier sind, kennen Sie wohl auch Mr. Richard Malvery nicht, der draußen auf Malvery Hold wohnt?« Sie verneinte, wandte sich aber gleich darauf an den alten Oberkellner, der in die Gaststube zurückkam.

»Kennen Sie einen Mr. Richard Malvery, William?« William sah Blake scharf an.

»Den kannte ich gut. Es ist allerdings schon einige Zeit her. Seit fünf Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

Im Hof hörte man das Getrappel von Hufen, und Blake trank schnell sein Glas aus und eilte hinaus. Wohlgefällig betrachtete er den schönen Braunen und lächelte, als er seinen Regenmantel anzog und sich in den Sattel schwang. William war ihm ins Freie gefolgt. Der Fremde beugte sich noch einmal zu dem Oberkellner herab.

»Dann wissen Sie also auch nicht, ob sich Mr. Malvery heute in Malvery Hold aufhält?« fragte er leise. William erschrak, trat einen Schritt zurück und sah Blake fragend an.

»Mr. Richard sollte im Hause seines Vaters sein? Nein, davon habe ich nichts gehört. Wollen Sie ihn denn dort draußen treffen?«

»Ja, ich hoffe es. Und dann bringe ich ihn zum Essen ins Hotel mit. Der Fahrer hat mir den Weg schon genau beschrieben.«

Blake berührte das Pferd leicht mit der Gerte und ritt davon. William blickte ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte, dann ging er ins Haus zurück.

»Ich will Hans heißen«, sagte er zu sich selbst, »wenn dieser fremde Herr heute abend Dick Malvery mitbringt.«

*

David Blake sah sich mehrmals um, als er auf der guten Straße von Brychester ins Land hinausritt. Der Kirchturm wurde immer kleiner. Die Gegend war flach, und erst fünf Kilometer hinter der Stadt erreichte er eine kleine Erhebung. Dort hielt er an und orientierte sich über die Umgebung, denn seine Augen waren gewohnt, in die Ferne zu sehen. Hinter ihm, im Norden, wurde die Sicht durch eine lange Hügelkette versperrt, die sich auch nach Osten und Westen erstreckte, soweit der Blick reichte. An ihrem Fuß lag die Stadt Brychester, deren Dächer und Türme sich scharf von den dunkelbraunen, bewaldeten Hügeln abhoben. In der Ferne erblickte er eine Landzunge, die sich keilförmig in die See vorschob. Diese Halbinsel war flach und nur wenig bevölkert. Nur hier und dort lag, von Ulmen und Buchen beschattet, ein einzelnes Gehöft. Schon Brychester war Blake ziemlich altertümlich vorgekommen, aber die Häuser auf dieser weltabgeschiedenen Landspitze erschienen ihm noch altersgrauer als die ehrwürdige Bischofsstadt. Kopfschüttelnd und in Gedanken versunken ritt er weiter.

»Genau, wie Dick es mir beschrieben hat«, dachte er. »Ein eigentümliches Stück Erde – abseits von jedem menschlichen Verkehr. Und ein gutes Versteck, wenn man sich verbergen muß!«

Fünf Kilometer ritt er eine vielfach gewundene Straße entlang und begegnete nur wenigen Leuten. Die Felder zogen sich eintönig und flach hin, und nur ab und zu tauchte das strohgedeckte Dach einer Holzhütte auf. Als er aber in die Nähe der Küste kam und die Brandung schon von weitem hörte, machte die Straße plötzlich eine Biegung, und vor sich sah er eine große Bucht liegen, die sich weit ins Land erstreckte. Es war gerade Ebbe, und Blake erblickte eine weite morastige Fläche, die mit Seegras überzogen war. Dazwischen lagen Trümmer alter, verrotteter Boote. Auf der einen Seite der Bucht standen ein paar schiefe Häuser, die von einer Mühle überragt wurden. Blake erkannte auch diese Stelle nach den früheren Beschreibungen seines Freundes sofort.

»Das ist die alte Mühle, von der Dick immer sprach. Dann muß also das große, schloßähnliche Haus auf der anderen Seite der Bucht Malvery Hold sein. Es sieht reichlich altertümlich aus.«

Durch eine Ulmenallee ritt er nun auf das feste Steinhaus zu, das aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte. An manchen Stellen war es schon etwas verfallen und verwahrlost, machte aber immer noch einen malerischen Eindruck. Als Blake auf das Tor zuritt, kam ihm plötzlich der Gedanke, daß das Haus leerstehen könnte, so tot und kalt wirkte das Ganze. Aber aus einem Kamin stieg eine schwache Rauchsäule empor, und nachdem er an das Eichentor geklopft hatte, erschien wirklich ein alter Diener, der den Besucher verwundert ansah. Aber auch dieser Mann war Blake nicht fremd; er kannte ihn schon aus vielen lustigen Erzählungen seines Freundes und Kameraden.

»Ist Mr. Richard Malvery zu Hause?« fragte er.

Der alte Mann trat einen Schritt zurück und hob die Hand, als ob er die Augen beschatten wollte, während er zu dem Reiter aufschaute.

»Mr. Richard?« erwiderte er dann kopfschüttelnd. »Fragten Sie nach Mr. Richard? Der ist in den letzten fünf Jahren nicht über diese Schwelle gekommen.«

2

Blake sah einen Augenblick schweigend auf den sonderbaren Alten herunter, der ihm offenbar mißtraute. Der Mann mit dem verrunzelten Gesicht trug einen altmodischen Rock, der früher einmal seinem Herrn gehört haben mochte. Er hatte weder die Tracht eines Hausmeisters noch die eines Kutschers; sie war eine Kombination aus allem möglichen.

»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Blake plötzlich. »Sie heißen Jakob Elphick. Mr. Richard hat öfters von Ihnen gesprochen.«

Der alte Mann war bestürzt und warf schnell einen Blick in die verlassene, einsame Halle zurück, in der nur ein paar alte, wurmstichige Möbel standen. Es war niemand zu sehen, aber er zog die Tür weiter zu.

»Wer sind Sie denn?« fragte er scharf. »Sie haben Mr. Richards Namen genannt, aber ich sage Ihnen, daß man hier in unserer Gegend in den letzten fünf Jahren nichts von ihm gesehen hat.«

»Stimmt das wirklich?«

»Er ist in die weite Welt gegangen, und wir wissen nicht, wohin – er hat niemals geschrieben. Wie kommt es denn, daß Sie nach ihm fragen? Wer sind Sie eigentlich?«

Blake stieg langsam ab und befestigte den Zügel seines Pferdes an dem alten Eisenring an der Tür.

»Ich kenne ihn und hoffte ihn hier zu finden. Wenn er nicht da ist, dann möchte ich gern seinen Vater, Sir Brian, sprechen. Er lebt doch noch?«

Elphick blieb zwischen Blake und der Tür stehen und schüttelte den Kopf.

»Ob er lebt? Natürlich lebt der alte Sir Brian. Aber er ist gelähmt und kann sich nicht bewegen. Er wird auch kaum verstehen, was ein Fremder zu ihm sagt.«

»Kann ich dann Mr. Richards Schwester sprechen? Sie hören doch, daß ich alle Familienmitglieder kenne. Sagen Sie Miß Malvery, daß ein Freund ihres Bruders, der mit ihm zusammen in Alberta war, sie sprechen möchte. Mein Name ist David Blake.«

Der Alte schüttelte wieder den Kopf.

»Alberta?« fragte er skeptisch. »Wo liegt denn das?«

»In Kanada«, entgegnete Mr. Blake ungeduldig.

»Aber nun gehen Sie schon.«

»Ich kann ja Miß Rachel melden, daß Sie hier sind, aber damit ist noch lange nicht gesagt, daß sie Sie empfangen wird. Heutzutage macht man hier keine Besuche mehr. Warten Sie hier, bis ich wiederkomme. David Blake haben Sie gesagt? Ein Freund von Mr. Richard? Und – Sie glaubten, daß er hier wäre? Wie kommen Sie denn nur darauf? Das ist doch der letzte Platz, wo man ihn suchen könnte. Als er das Haus verließ, ging er für immer weg.«

»Melden Sie mich jetzt endlich seiner Schwester«, sagte Blake energisch.

Elphick schloß kopfschüttelnd die Tür, und Blake hörte, daß er von innen die Riegel vorschob. Er war nun wieder allein und betrachtete das Haus, das in der Nähe viel verfallener und trauriger wirkte. Er fühlte, daß er hier vor einem Geheimnis stand.

Es vergingen einige Minuten, bevor Jakob Elphick wieder in der Tür erschien.

»Sie können hereinkommen«, brummte er unfreundlich. »Miß Rachel will Sie empfangen. Aber gehen Sie leise, Sir Brian darf nicht gestört werden.«

Blake sah sich um, ob das Pferd auch sicher angebunden war, dann folgte er seinem Führer in die geräumige Steinhalle. Es war in dem Raum so kalt wie in einem Keller. Offenbar hatte seit vielen Jahren in dem großen Kamin kein Feuer mehr gebrannt. Auch das Zimmer, in das ihn der alte Mann führte, war nicht geheizt. Die Möbel waren aus dunklem Eichenholz, die Stühle gepolstert und mit schwerem Leder überzogen. Es schien lange nicht gelüftet worden zu sein, denn es herrschte eine dumpfe Atmosphäre. Ein paar alte Gemälde hingen an den Wänden, die Damen und Herren aus der Zeit der Königin Elisabeth zeigten. Alte Silberleuchter standen auf einem schweren Büfett, aber sie waren blind und schwarz. Auf Vorhängen und Gardinen, Tischen und Stühlen lag dicker Staub. Der Raum glich fast einem Gewölbe. Durch die bleiverglasten Butzenscheiben der Fenster konnte man auf das graue Meer hinaussehen, wo über brandenden Wogen die Möwen kreisten.

Blake wandte sich um, als er leichte Schritte hörte. Eine junge Dame stand in der Türöffnung. Blake sah sie mit großem Interesse an und dachte an das Bild, das Dick Malvery von ihr entworfen hatte, als sie einmal an einem einsamen Lagerfeuer saßen. Aber er erinnerte sich auch sofort daran, daß fünf Jahre verflossen waren, seit ihr Bruder sie zuletzt gesehen hatte. Rachel mußte jetzt drei- oder vierundzwanzig Jahre alt sein. Sie war schlank und schön, hatte ausdrucksvolle Züge, dunkles Haar und dunkle Augen. Sie sah Richard sehr ähnlich, aber in ihrem Blick lagen Kummer und Sorgen. »Sie fragen nach meinem Bruder Richard?« begann sie sofort, nachdem sie den Fremden durch ein flüchtiges Kopfnicken begrüßt hatte. »Kennen Sie ihn denn?«

Blake sah über ihre Schulter auf den alten Jakob, der zögernd stehengeblieben war. Rachel Malvery drehte sich ungeduldig um.

»Jakob, gehen Sie hinaus, und machen Sie die Tür zu«, befahl sie.

Als Elphick verschwunden war, wandte sie sich Blake zu. »Er ist alt und außerdem argwöhnisch, weil Sie den Namen meines Bruders erwähnt haben.«

»Wissen Sie denn wirklich nichts von ihm?«

»Nein, wir haben nichts von ihm gehört, seitdem er vor fast sechs Jahren von hier fortging. Glaubten Sie, daß er hier wäre?«

Blake nahm seine Brieftasche heraus und blätterte in den Papieren.

»Das nahm ich bestimmt an. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Dick war zwei Jahre mit mir zusammen, bis zum letzten Januar. Mit der Zeit wurden wir sehr gute Freunde, und er erzählte mir viel von seiner Heimat. Ich überredete ihn schließlich, nach Hause zurückzukehren, und er verließ mich Anfang Februar in Kanada, um die Reise nach Brychester anzutreten. Ich weiß bestimmt, daß er sich am 27. Februar dieses Jahres in dieser Stadt aufgehalten hat, und ich erwartete natürlich, daß er auch hierherkommen würde.«

Rachel Malvery zeigte auf einen Stuhl und nahm selbst Platz. Sie beobachtete Blake scharf, aber sie sah noch besorgter aus als vorher.

»Woher wissen Sie denn, daß Richard am 27. Februar in Brychester war?«

»Bitte, sehen Sie her. Dieses Telegramm hat er mir geschickt. Es ist am 27. Februar um sechs Uhr abends in Brychester aufgegeben. Lesen Sie selbst: ›Blake, Lone Pine, Alberta, Kanada. Bin gut in der Heimat angekommen. Dick.‹ Also muß er doch tatsächlich in Brychester gewesen sein.«

Rachels Gesicht war bleich geworden, und ihre Hand, die das Telegramm hielt, zitterte.

»Sie haben recht, es kann nicht anders sein«, sagte sie schnell, »aber –«

»Hier sind noch mehr Beweise«, fiel ihr Blake ins Wort. »Bitte, betrachten Sie diese beiden Ansichtskarten. Auf der einen ist die Kathedrale von Brychester und auf der anderen das Marktkreuz abgebildet. Beide sind in Brychester abgestempelt, und zwar ebenfalls am 27. Februar. Er hat sie eigenhändig geschrieben, daran ist nicht zu zweifeln. Auf der einen steht: ›Hier ist alles noch unverändert‹, und auf der anderen: ›Ich bin eben im Begriff, nach Malvery Hold zu gehen‹.«

Rachels Hand zitterte noch mehr, als sie die beiden Karten nahm und auf die Handschrift starrte. Plötzlich sah sie Blake angstvoll an.

»Warum ist er dann nicht nach Hause gekommen?« fragte sie aufgeregt. »Er war doch in Brychester!«

Blake war selbst ratlos. Das Geheimnis, das Malvery Hold umgab, verdichtete sich immer mehr.

»Es ist sonderbar, daß ihn niemand erkannt hat. Er trug allerdings einen Bart, aber er hat doch sicher einige seiner Freunde in Brychester aufgesucht.«

Rachel Malvery lachte bitter auf, und Blake sah sie betroffen an.

»Freunde! Ich glaube nicht, daß Richard einen einzigen Freund in Brychester hatte.« Plötzlich hielt sie inne und warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Wieviel hat er Ihnen von seiner Vergangenheit erzählt?«

»Ich weiß, daß es ihm hier zuletzt nicht gut ging«, gab Blake zu. »Er hat mir viel davon erzählt. Der Boden wurde ihm hier schließlich zu heiß, und er mußte fortgehen, weil er zuviel Schulden gemacht hatte. Aber er hat ja nun Geld mitgebracht, um all diese Schulden zu bezahlen. Und er hat es auf ehrliche Weise verdient. Ich möchte nur wissen –«

»Was möchten Sie wissen?«

»Hoffentlich ist nicht irgendetwas passiert. Es war allerdings nicht seine Gewohnheit, Geld mit sich herumzutragen, aber er war im Besitz von zweitausend Pfund, als er sich von mir verabschiedete.«

Rachels steigende Angst drückte sich in ihrem blassen Gesicht aus. Aber ihre Stimme klang fester, als sie sprach.

»Ich freue mich, daß er seine alten Schulden bezahlen wollte. Die Leute haben so viel über ihn geredet und so viel Schlechtes von ihm gesagt, und mein Vater konnte nichts dagegen machen. Sie sehen ja, wie die Dinge hier bei uns stehen. Wir sind arm, wirklich arm. Deshalb ist das eine Freudenbotschaft für mich. Ist er auf Ihre Veranlassung hin nach Hause zurückgekehrt?«

»Ja. Wir waren zwei Jahre lang Partner, und ich wußte, daß er Geld gespart hatte. Ich riet ihm also, nach Hause zu gehen und all diese unangenehmen Dinge aus der Welt zu schaffen. Ich sagte ihm, daß der Erbe eines englischen Baronstitels nicht dauernd in der Wildnis leben könnte. Was mag aus ihm geworden sein, Miß Malvery? In Brychester war er Ende Februar, aber wohin ist er dann gegangen? Eins steht jedenfalls fest. Ich werde ihn finden – lebendig oder tot.«

»Sie glauben doch nicht, daß er tot ist?« rief sie.

»Wir wollen es nicht hoffen. Ich werde uns bald Gewißheit verschaffen. Auch ich bin erst vor ein paar Tagen nach England zurückgekommen – vor kurzer Zeit habe ich ein großes Vermögen geerbt. In London hatte ich viel mit meinen Rechtsanwälten zu besprechen, aber dann kam ich hierher, so schnell ich konnte, um Richard zu besuchen. In Brychester wird man doch bestimmt seine Spur auffinden können.«

»Was wollen Sie beginnen? Wir müssen natürlich auch etwas unternehmen; das heißt, ich muß es tun. Mein Vater ist ja vollständig gelähmt.«

»Überlassen Sie im Augenblick alles mir. Meine Anwesenheit in London ist zunächst nicht mehr notwendig. Ich bleibe gleich in Brychester und stelle Nachforschungen an. Auf jeden Fall wissen wir, daß Richard zur Post ging, und außerdem muß er doch diese Ansichtskarten in einem Laden gekauft haben. Sicher hat er auch sein Geld irgendwo deponiert. Ich werde mich sofort daranmachen, durch Nachfragen diesen Punkt zu klären. Können Sie mir einen guten Rechtsanwalt in der Stadt empfehlen, bei dem ich mir Rat holen kann?«

»Ich kann Ihnen nur meinen Vetter, Mr. Boyce Malvery, nennen. Er ist Rechtsanwalt und Notar in Brychester. Sein Haus liegt dicht neben der Kathedrale.«

»Ich habe seinen Namen schon gehört. Nun gut. Aber ich werde auch versuchen, die Sache mit Hilfe der Polizei zu klären. Darf ich wiederkommen und Ihnen berichten, wie es vorwärtsgeht?«

»Selbstverständlich! Sie können zu jeder Zeit kommen, die Ihnen beliebt. Sehen Sie selbst –« Sie winkte ihm plötzlich, ihr zu folgen, führte ihn aus dem Zimmer und ließ ihn durch eine offene Tür in einen anderen Raum schauen. »Das ist mein Vater«, sagte sie leise. »Sie sehen, in welch einem traurigen Zustand er sich befindet.«

Blake spähte vorsichtig in das angrenzende Zimmer, wo ein alter Mann vor einem hellbrennenden Holzfeuer saß. Er war in Decken gehüllt, und sein Kopf zitterte. Blake wandte sich taktvoll ab und sah Rachel mitfühlend an.

»Ja, ich verstehe. Ich verspreche Ihnen, alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Morgen komme ich wieder.«

Rachel Malvery begleitete ihn bis zum Haustor und sah ihm nach, als er davonritt. Am Ende des Fahrwegs, der zum Schloß führte, wandte sich Blake noch einmal um und schaute zurück. Er hatte in seinem Leben schon manchen einsamen, halbverfallenen Platz gesehen, aber Malvery Hold glich mehr einer Ruine als einer menschlichen Wohnstätte.

3

Bevor Blake das Ende der Zufahrtsstraße erreicht hatte, schlüpfte Jakob Elphick plötzlich hinter einem Holunderbusch hervor und streckte die Hand aus, um ihn anzuhalten. In Gesicht und Stimme des Alten drückte sich größte Erregung aus.

»Ich habe einiges von dem gehört, was Sie zu unserer jungen Lady sagten«, begann er und gab damit ohne weiteres zu, daß er hinter der Tür gelauscht hatte. »Sehen Sie, ich muß auf alles achten, denn außer mir ist niemand hier, der noch sorgt. Sie ist doch nur ein junges Mädchen, und es sind keine Männer mehr in der Familie. Sie sagten, daß Richard im vergangenen Februar in Brychester war. Stimmt das wirklich?«

Blake blickte den alten Diener prüfend an, bevor er antwortete, und er erkannte, daß Elphick nicht aus bloßer Neugierde fragte.

»Sie können es mir glauben, er war dort.«

»Dann hat man ihn umgebracht – ermordet! Ja, das ist der richtige Ausdruck. Man hat ihn ermordet! Schon seit den Tagen seiner Kindheit liegt ein Fluch auf ihm. Ermordet! Und man könnte sagen, vor der Tür seines Vaterhauses.«

Beinahe packte Blake ein unerklärliches Furchtgefühl, als er sich von dem erregten Gesicht des alten Mannes abwandte und über die einsame Bucht schaute, die sich vor ihm ausdehnte. Ein dunkles Schicksal schien über dieser Gegend zu lasten. Während seiner kurzen Unterredung mit Rachel hatte sich dieser Eindruck seiner bemächtigt, und Jakob Elphicks düstere Worte vertieften ihn noch mehr.

»Wer hätte ihn denn ermorden sollen?« fragte er nach einem kurzen Schweigen. »Ich weiß wohl, daß ihm hier der Boden unter den Füßen brannte, bevor er fortging, aber ich hatte nie den Eindruck, daß jemand ihn so haßte, daß er einer solchen Tat fähig gewesen wäre.«

»Sie haben ihn umgebracht«, sagte Elphick halblaut zu sich selbst.

»Ich werde die Sache der Polizei anzeigen, und außerdem suche ich Boyce Malvery auf.«

Ein sonderbarer Ausdruck trat in das Gesicht des Alten, und ehe Blake sich versah, war Elphick wieder im Gebüsch verschwunden und antwortete auf seinen Ruf nicht mehr.

»Sonderbar!« dachte Blake. »Haben ihn meine Worte so erschreckt? Hier ist alles so seltsam und unwirklich, und je eher ich die Polizei benachrichtige, desto besser wird es sein. Hier müssen energische Maßnahmen getroffen werden.«

*

Als er nach Brychester zurückkam, hatte er noch eine Stunde Zeit bis zum Abendessen. Er fragte deshalb sofort nach der Polizeihauptwache. Sie war nicht weit entfernt, und bald darauf saß er dem Polizeikommissar Atherton in dessen Büro gegenüber. Er legte ihm den ganzen Sachverhalt dar und erzählte auch von seinem Besuch in Malvery Hold.

»Das ist ein sonderbarer Fall«, erwiderte Atherton, als er alles gehört hatte. »Und Sie sagen, daß er Geld besaß?«

»Er hatte ungefähr zweitausend Pfund, als er aus Kanada abreiste. Aber natürlich hat er die nicht in der Tasche mit sich herumgetragen; sie lagen auf der Canadian Bank of Commerce.«

»Die hat in London eine Zweigniederlassung. Da kann man leicht feststellen, ob er eine größere Summe bei sich hatte, als er nach Brychester kam, wenn er wirklich hier gewesen ist.«

»Wie hätte er sonst das Telegramm und die Postkarten schicken können?«

»Könnte das nicht ein anderer getan haben, der bestimmte Gründe dafür hatte?«

»Aber auf den Karten sehen Sie doch seine eigene Handschrift! Er war unbedingt hier!«

»Es sieht allerdings so aus. Aber nun komme ich auf etwas anderes. Mr. Richard Malvery war doch so gut bekannt in Brychester, daß er nicht hierhergekommen sein kann, ohne gesehen zu werden. Er mußte doch zum Beispiel zur Post gehen, um das Telegramm abzuschicken. Die Postkarten mußte er in einem Laden kaufen, und bei seiner Ankunft mußte er sich auf dem Bahnhof zeigen. Alle Post- und Eisenbahnbeamten und alle Geschäftsleute hätten Richard Malvery selbst nach einer langjährigen Abwesenheit sofort wiedererkannt. Und wenn ihn einer gesehen hätte, wäre die Nachricht von seiner Rückkehr in einer Viertelstunde im ganzen Ort verbreitet gewesen!«

»Er hatte sich aber einen Vollbart stehen lassen und sah nicht mehr jung, sondern gereift und männlich aus. Wenn man fünf Jahre in den wilden Gegenden Kanadas zubringt, verändert man sich schon ein wenig. Und er führte ein rauhes Leben, bevor er Teilhaber auf meiner Farm wurde.«

»Nun, das mag zutreffen. Morgen früh telegrafiere ich sofort an die Niederlassung der Canadian Bank of Commerce in London, und hier forsche ich nach, ob einer der Beamten oder sonst jemand Dick Malvery gesehen hat. Aber –«

Er zuckte die Schultern und machte eine vage Handbewegung.

»Aber wenn das alles geschehen ist«, nahm Blake den unausgesprochenen Gedanken auf, »dann sind wir wahrscheinlich nicht viel klüger. Wir wissen dann immer noch nicht, wo er ist. Aus dieser einen Postkarte ist jedenfalls deutlich zu ersehen, daß er die Absicht hatte, nach Hause zu gehen. Aber dort ist er nicht angekommen. Vielleicht ist es das beste, wenn ich eine Belohnung aussetze. Dann bekommen wir sicher irgendwelche Nachrichten über ihn. Selbst wenn man nicht wußte, wer er war, muß man doch den vermeintlichen Fremden gesehen haben. Was meinen Sie dazu? Wäre es nicht gut, morgen früh eine Bekanntmachung in der Stadt anschlagen zu lassen und darin die Belohnung zu versprechen?«

»Das kostet aber Geld«, meinte Atherton zögernd.

»Und wenn tatsächlich ein Verbrechen vorliegen sollte, erreicht man nur etwas, wenn man eine größere Summe aussetzt. Sonst kommt nichts heraus.«

»Ich werde nichts unversucht lassen, um Dick Malvery zu finden«, erwiderte Blake fest entschlossen. »Ich bin reich; ich habe vor kurzer Zeit ein großes Vermögen geerbt. Es kommt mir auf Geld nicht an.« Er nahm seine Brieftasche heraus. »Hier sind hundert Pfund, das wird fürs erste genug sein. Lassen Sie den Anschlag drucken.«

»Das ist ein praktischer Vorschlag.« Atherton verschloß die Banknoten in einer Schublade. »Zunächst schreibe ich Ihnen eine Quittung aus, und morgen früh können Sie den Anschlag schon überall lesen. Aber seien Sie nicht enttäuscht, wenn wir damit keinen Erfolg haben. Wenn Jakob Elphick mit seiner Vermutung recht haben sollte, dann ist das Verbrechen sicher in größter Heimlichkeit ausgeführt worden.«

»Wer könnte denn als Täter in Frage kommen? Hatte er überhaupt solche Todfeinde?«

Der Polizeikommissar lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Ich kann gerade nicht sagen, daß er Feinde hatte«, entgegnete er nachdenklich. »Aber er hat hier ein ziemlich wildes Leben geführt und viele böse Streiche begangen. Er war auch in Liebeshändel verwickelt, und als er damals verschwand, ging allgemein das Gerücht, daß es ihm schlecht gegangen wäre, wenn ein gewisser Judah Clent ihn gefaßt hätte. Dieser Judah Clent ist ein Seemann, und seine Schwester Gillian ist von Richard Malvery schlecht behandelt worden. Judah war unterwegs, als Richard fortging, sonst hätte es damals schon einen Zusammenstoß gegeben. Vielleicht –«

Atherton beendete den Satz nicht und sah seinen Besucher vielsagend an.

»Sie denken daran, daß die beiden in der Nacht nach Richards Rückkehr aneinandergeraten sein könnten?«. »Ganz recht. Ich muß feststellen, wo Judah Clent damals war. Diese Clents sind ganz merkwürdige Leute. Niemand weiß, was man von der Mutter, dem Sohn oder der Tochter halten soll.«

»Wohnen sie in Brychester?«

»Nein, sie hausen an der großen Bucht, an der man kurz vor Malvery Hold vorbeikommt. Ich werde mich unter der Hand erkundigen. Aber es könnte ja auch eine andere Lösung geben. Vielleicht war Richard Malvery so unvorsichtig, eine große Summe mitzunehmen und sie achtlos zu zeigen. Es könnte ihm jemand nachgeschlichen sein, um sich das Geld anzueignen. Die Gegend zwischen Brychester und Malvery Hold ist einsam, und die Februarnächte sind dunkel. Auf jeden Fall müssen wir auch diese Möglichkeit im Auge behalten.« »Gewiß. Wir werden noch an vieles denken müssen. Wenn Sie sich mit mir in Verbindung setzen wollen oder mich brauchen – ich bin im ›Kardinalshut‹ abgestiegen, und ich will so lange dort bleiben, bis wir die Sache aufgeklärt haben.«

Blake verabschiedete sich. Atherton blieb noch eine Weile nachdenklich sitzen, dann erhob er sich und verließ sein Büro, um Mr. Boyce Malvery aufzusuchen.

4

Polizeikommissar Atherton ging auf eines der alten Häuser zu, die in der Nähe der Kathedrale lagen. Es war von einer hohen Mauer umfriedet und von einem Garten umgeben. Der ganze Platz hatte etwas feierlich Ernstes, und der Lärm des Alltags schien nicht bis hierher zu dringen. Unter dem Schutz dieser altersgrauen Mauern fühlte man sich sicher und geborgen. Unbewußt nahmen auch die Bewohner dieser Häuser etwas von dem Charakter ihrer Umgebung an und zeichneten sich durch Ernst und Würde in Sprache und Haltung aus. Bei den anderen Bürgern der Stadt galten die Leute, die hier wohnten, als eine Art Aristokraten. Ruhig und still war es auch in dem altmodischen Wohnzimmer, in dem Mr. Boyce Malvery mit seiner Mutter und deren Gesellschafterin, Miß Hester Prynne, saß. Mrs. Malvery strickte, Miß Prynne hatte eine Handarbeit im Schoß, und Mr. Boyce Malvery las die Times. Gelegentlich sah er zu den beiden Damen hinüber und las ihnen Abschnitte aus der Zeitung vor, die sie interessierten.

Atherton verkehrte häufig in dieser Familie. Als er eintrat, hatte er, wie schon so oft, den Eindruck, daß die Leute in diesem Raum ausgezeichnet zu der alten Einrichtung paßten. Mrs. Malvery war eine große, aufrechte Frau, die sich trotz ihrer Jahre sehr gut gehalten hatte. Sie hatte einen energischen Blick, und ihr schwarzes Haar zeigte nur wenige graue Fäden. Miß Prynne war ein hübsches junges Mädchen, sah aber etwas scheu und furchtsam aus. Sie hatte ein stilles und zurückhaltendes Wesen. Und Boyce Malvery trug einen schwarzen Gehrock, der eher der Mode der neunziger Jahre als der heutigen entsprach. Er war etwa vierzig Jahre alt, hatte schon seit langem einen kahlen Kopf und hielt sich nicht ganz gerade. Eine ungesunde, graue Gesichtsfarbe ließ seine vertrockneten Züge noch älter erscheinen. Er war ein ruhiger, reservierter und kluger Mann. Niemand wußte das besser als Atherton.

Der Beamte fühlte sich hier zu Hause und begrüßte die Anwesenden in familiärer Weise. Dann nahm er auf dem Stuhl Platz, den ihm Mrs. Malvery anbot. »Sie kommen gerade recht zu einer Partie Whist, Captain Atherton«, sagte sie. »Ich war schon in Sorge, ob Sie überhaupt erscheinen würden.«

Der Kommissar lächelte und sah Boyce Malvery an. »Ich weiß nicht, ob das heute abend gehen wird, denn ich komme eigentlich in amtlicher Eigenschaft. Die Sache ist nicht besonders eilig und auch nicht geheim, denn morgen früh werden es alle Leute in der Stadt wissen. Aber da es auch Sie angeht, wollte ich es Ihnen doch erzählen. Ich habe Nachrichten über Ihren Vetter erhalten, Boyce.«