Der Amphibienmensch - Alexander Beljajew - E-Book

Der Amphibienmensch E-Book

Alexander Beljajew

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Beschreibung

Der berühmte Chirurg Doktor Salvator hat sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und geht auf einem einsamen Anwesen in der Nähe von Buenos Aires seinen Forschungsarbeiten nach. Salvator experimentiert mit Organverpflanzungen; dem indianischen Waisenjungen Ichthyander hat er Kiemen eines Haifisches implantiert, also einen Amphibienmenschen geschaffen. Davon ahnen jedoch die Perlenfischer auf der "Medusa" nichts. Schrecken flößt ihnen das sonderbare Wesen mit den riesenhaften Augen und den froschartigen Gliedmaßen ein, und so halten die Einwohner von Buenos Aires den Fischmenschen zunächst für einen unheilkündenden Meeresteufel.

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Impressum

Titel des russischen Qriginals: Человек – амфибия

Ins Deutsche übertragen von Gisela Frankenberg

eISBN 978-3-355-50015-9

© 2014 (1984) Verlag Neues Leben, Berlin

Neues Leben Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin

Cover und Illustrationen: Rainer Sacher

www.verlag-neues-leben.de

Alexander Beljajew

Der Meeresteufel

Die schwüle Januarnacht des argentinischen Sommers war angebrochen. Sterne bedeckten den schwarzen Himmel. Ruhig lag die »Medusa« vor Anker. Weder das Plätschern der Wellen noch das Scheppern des Takelwerks verletzten die nächtliche Stille. Der Ozean schien in tiefen Schlaf versunken. Auf dem Deck des Schoners lagen halbnackte Perlenfischer. Von Arbeit und Sonnenglut erschöpft, wälzten sie sich im Schlaf hin und her, stöhnten und sprachen laut im Traum. Ihre Arme und Beine zuckten nervös. Vielleicht träumten sie von ihren Feinden, den Haien. An solch heißen, windstillen Tagen fühlten die Männer sich so elend, daß sie nach dem Fang nicht einmal mehr die Boote an Deck hieven konnten. Das war auch nicht notwendig, denn nichts deutete auf einen Wetterumschwung hin. Die Boote blieben also über Nacht an der Ankerkette vertäut. Die Rahen waren nicht gerichtet, die Takelage hing schlaff herab, und der nicht eingeholte Klüver bauschte sich in der leichten Brise. Das Deck war mit Perlmuscheln und Stücken von Korallenkalk übersät. Überall lagen Leinensäcke für die Muscheln und Seile herum, an denen sich die Perlenfischer auf den Meeresgrund hinab lassen. Hier und dort standen leere Fässer. Neben dem Besan befand sich ein großer Kübel mit Frischwasser und einem angeketteten Schöpfbecher aus Blech. Um den Kübel hatte sich eine dunkle Wasserlache gebildet.

Von Zeit zu Zeit erhob sich der eine oder der andere im Halbschlaf, taumelte über die Schlafenden und tappte zum Wasserkübel. Ohne die Augen aufzumachen, schlürfte er aus dem Schöpfbecher und sackte daraufhin auf der Stelle zusammen, als hätte er nicht Wasser, sondern reinen Sprit getrunken. Durst quälte die Fischer. Morgens vor der Arbeit war es für die Perlentaucher gefährlich, etwas zu sich zu nehmen, denn unter Wasser waren sie einem zu starken Druck ausgesetzt. Aus diesem Grund arbeiteten die Männer bis zur Abenddämmerung mit nüchternem Magen. Erst vor dem Schlafengehen kamen sie zum Essen. Und gewöhnlich wurde ihnen Gepökeltes vorgesetzt.

Nachtwache hielt der Indianer Baltasar, die rechte Hand von Pedro Surita, dem Kapitän und Eigner der »Medusa«.

In seiner Jugend war Baltasar ein weithin bekannter Perlenfischer gewesen, der es neunzig, ja hundert Sekunden unter Wasser aushielt, doppelt so lange wie die anderen.

»Warum? Weil man es damals noch verstand, jemand was beizubringen, und das von Kindesbeinen an«, pflegte Baltasar den jungen Perlenfischern zu sagen. »Ich war gerade zehn, als Vater mich zu Jose auf einen Tender in die Lehre gab. Jose hatte zwölf Lehrjungen. Tauchen lernten wir so: Jose warf einen weißen Stein oder eine Muschel ins Wasser und schrie: ›Tauch und hol sie raus!‹ Und jedesmal warf er weiter. Hast du sie nicht geholt, hat’s was mit der Gerte oder dem Striemen gegeben – und wieder rein insWasser, wie ein kleiner Hund. ›Tauch noch mal!‹ So hat Jose uns das Tauchen beigebracht, und wir gewöhnten uns daran, es lange unter Wasser auszuhalten. Der alte und erfahrene Fischer ist bis zum Meeresgrund getaucht und hat einen Korb oder ein Netz an den Anker gebunden. Dann sind wir an der Reihe gewesen, Korb oder Netz wieder loszumachen. Mit leeren Händen hätten wir gar nicht erst gewagt, nach oben zu kommen!

Unbarmherzig wurden wir geschlagen, die wenigsten haben durchgehalten. Ich jedoch habe es zum besten Taucher weit und breit gebracht und schönes Geld verdient.« Mit dem Alter gab Baltasar seinen gefährlichen Broterwerb als Perlenfischer auf. Sein linkes Bein hatte der Biß eines Hais verunstaltet, seine Hüfte eine Ankerkette zerfetzt. In Buenos Aires besaß er nun einen kleinen Laden und betrieb Handel mit Perlen, Korallen, Muscheln und anderen Raritäten aus dem Meer. Doch er langweilte sich an Land und fuhr darum so oft wie möglich mit den Perlenfischern hinaus. Fabrikanten wie Schiffseigner schätzten ihn gleichermaßen. Niemand kannte die Gestade der La-Plata-Bucht und die Perlmuschelgründe besser als er.

Die jungen Perlenfischer weihte er in sämtliche Geheimnisse des Gewerbes ein: wie man unter Wasser den Atem anhält, den Angriff eines Hais abwehrt, und für ein anständiges Trinkgeld verriet er ihnen, wie man eine seltene Perle vor dem Patron in Sicherheit bringt.

Die Fabrikanten und die Schiffseigner zollten ihm Achtung, weil er mit einem einzigen Blick, ohne sich zu irren, denWert einer Perle erkannte und im Nu die kostbarste für den Patron aussuchte.

Deshalb nahmen die Schiffseigner ihn gern als Gehilfen und Ratgeber mit.

Jetzt saß Baltasar auf einem kleinen Faß und sog bedächtig an einer dicken Zigarre. Das Licht der am Mast angebrachten Laterne fiel auf sein ovales Gesicht, das keine stark ausgeprägten Backenknochen, wohl aber eine gerade Nase und schöne Augen hatte. Das Gesicht eines Araukaners. Seine Lider senkten sich schwer. Er druselte vor sich hin. Seine Ohren jedoch waren hellwach. Sie wachten und signalisierten Gefahren selbst im tiefsten Schlaf. Im Augenblick vernahm Baltasar lediglich das Gestöhne und Gemurmel der Schlafenden. Vom Ufer zog der Geruch faulender Mollusken herüber, sie waren extra zum Verwesen ausgebreitet worden, um die Perlen später leichter herauslösen zu können. Die Muschelschale einer lebenden Molluske läßt sich nämlich nur schwer öffnen. Ein Unbeteiligter fand den Gestank bestimmt grauenvoll, Baltasar hingegen schnupperte ihn nicht ohne Behagen. Für ihn, den Vagabunden und Perlensucher, verband sich dieser Geruch mit Erinnerungen an die Freuden des ungebundenen Lebens und die gefährlichen Abenteuer auf See.

Nachdem die Perlen aussortiert waren, wurden die größten Muscheln an Bord der »Medusa« genommen. Surita verstand zu rechnen. Die Muscheln verkauft er an eine Knopffabrik. Baltasar schlief. Nicht lange, und die Zigarre fiel aus seinen erschlafften Fingern. Der Kopf sank ihm auf die Brust.

Plötzlich drang ein ferner Laut in sein Bewußtsein. Der Ton wiederholte sich im Näher kommen. Baltasar riß die Augen auf. Es hörte sich an, als bliese jemand in ein Horn, als modulierte eine frische, junge menschliche Stimme das A, danach eine Oktave höher A-a.

Der melodische Ton hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem schrillen Heulen einer Schiffssirene, der fröhliche Ruf hörte sich auch nicht an wie der Hilfeschrei eines Ertrinkenden. Baltasar stand auf. Ihm schien, als wäre es mittlerweile frischer geworden. Er trat an das Schanzkleid und spähte auf die spiegelglatte Meeresfläche. Mit dem Fuß stieß er einen am Boden liegenden Indianer an und flüsterte ihm zu: »ER ruft. Bestimmt ist ER es!«

»Ich höre nichts«, antwortete mit genauso leiser Stimme der Indianer, kniete sich hin und lauschte in die Nacht. Unversehens brachen die Klänge von neuem durch die Stille.

»A-a.«

Bei diesem Ton krümmte sich der Indianer wie unter einem Peitschenhieb.

»Ja, bestimmt, das ist ER«, sagte der Indianer, und seine Zähne klapperten vor Angst.

Die anderen Perlenfischer waren ebenfalls aufgewacht und krochen zu der von der Laterne beleuchteten Stelle, als wollten sie im fahlen Schein des gelblichen Lichts Schutz vor der Finsternis suchen. Sie saßen dicht beieinander und lauschten gespannt. Der Klang des Horns und der Ruf ließen sich noch einmal aus der Ferne vernehmen, dann herrschte wieder Totenstille.

»ER.«

»Der Meeresteufel«, flüsterten die Fischer.

»Wir dürfen nicht länger hierbleiben.«

»Er ist schlimmer als ein Hai!«

»Man sollte den Kapitän holen!«

Das Tapsen bloßer Füße war zu hören. Gähnend und sich die behaarte Brust kratzend, erschien der Kapitän auf Deck. Pedro Surita. Ohne Hemd, nur mit einer Leinenhose bekleidet, am breiten Gürtel die Revolvertasche. Surita trat zu den Fischern. Die Laterne erhellte sein verschlafenes, von der Sonne gebräuntes Gesicht, das dichte, in Strähnen auf die Stirn fallende Haar, die schwarzen Augenbrauen, den üppigen, gezwirbelten Schnurrbart und das von Graufäden durchzogene Zwickelbärtchen.

»Was ist los?«

Seine rauhe, ruhig klingende Stimme und die sicheren Bewegungen wirkten besänftigend auf die Indianer.

Alle redeten auf einmal.

Baltasar bedeutete mit einem Handzeichen, daß sie still sein sollten, und meldete:

»Wir haben eine Stimme gehört, die vom MeeresteufeL«

»Das schien euch nur so«, antwortete Surita schlaftrunken und ließ den Kopf auf die Brust sinken.

»Nein, nein, das war keine Einbildung. Wir haben alle den Ruf gehört und den Klang des Horns«, riefen die Fischer, Baltasar gebot wiederum durch ein Handzeichen zu schweigen und fuhr fort: »Ich habe es mit eigenen Ohren gehört. Das kann nur der Meeresteufel sein. Im Meer gibt es sonst niemand, der auf diese Weise ruft und bläst. Wir müssen so schnell wie möglich weg von hier.«

»Ammenmärchen«, widersprach Pedro Surita genauso gleichgültig wie zuvor.

Er verspürte keine Lust, die noch nicht ausgefaulten, übelriechenden Muscheln vom Ufer an Bord zu nehmen und die Anker zu lichten.

Doch es gelang ihm nicht, die Indianer zu überreden. Sie fuchtelten mit den Armen herum und drohten lauthals, am nächsten Morgen an Land und zu Fuß nach Buenos Aires zu gehen, falls Surita nicht den Anker hochzog.

»Der Satan soll diesen Meeresteufel holen und euch gleich mit! Gut, laufen wir eben bei Morgengrauen aus.« Knurrend ging der Kapitän in seine Kajüte zurück. Ihm stand nicht mehr der Sinn nach Schlaf. Er schaltete das Licht ein, steckte sich eine Zigarre an und marschierte durch den kleinen Raum, von einer Ecke zur anderen. Das geheimnisvolle Wesen, das vor einiger Zeit in den hiesigen Gewässern aufgekreuzt war und Fischer und Küstenbewohner verschreckte, wollte ihm nicht aus dem Kopf.

Niemand hatte es bis jetzt zu Gesicht bekommen, wenngleich es bereits mehrere Male von sich reden gemacht hatte. Legenden rankten sich inzwischen um seine Existenz. Die Seeleute erzählten sie sich flüsternd und blickten sich furchtsam um, als könnte das Ungeheuer sie belauschen.

Dem einen hatte das rätselhafte Geschöpf Böses zugefügt, dem anderen wiederum Hilfe geleistet. »Das ist der Gott des Meeres«, behaupteten die alten Indianer. »Einmal in tausend Jahren steigt er aus den Tiefen der Ozeane, um Gerechtigkeit auf Erden herzustellen.«

Die katholischen Priester versicherten den abergläubischen Spaniern hingegen, daß es der Meeresteufel sei, der den Menschen erscheine, weil sie die heilige katholische Kirche vergessen hätten.

Diese Gerüchte hatten schließlich auch Buenos Aires erreicht. Mehrere Wochen hatten Kolumnisten und Feuilletonisten der Boulevardblätter den Meeresteufel zu ihrem Lieblingshelden erkoren. Versanken aus unerklärlichen Gründen Schoner oder Fischerkähne, zerrissen Netze oder verschwand der Fang, wurde dem Meeresteufel die Schuld zugeschrieben. Andere wiederum wußten zu berichten, daß der Meeresteufel manchmal besonders große Fische in Fischerboote geworfen und einmal sogar einen Ertrinkenden gerettet hätte.

Ein Perlenfischer, der beinahe ertrunken wäre, bezeugte, daß jemand ihn von unten gegen den Rücken gestützt hätte und mit ihm ans Ufer geschwommen wäre, in dem Augenblick aber in der Brandung verschwand, als er den Fuß an Land gesetzt hatte.

Am erstaunlichsten war, daß noch nie jemand den Meeresteufel gesehen hatte. Niemand konnte beschreiben, wie das geheimnisvolle Wesen aussah. Natürlich fanden sich Augenzeugen, die dem Meeresteufel Hörner andichteten, Ziegenbart, Löwenpranken und Fischschwanz, oder ihn als riesenhafte gehörnte Kröte mit Menschenfüßen beschrieben.

Anfangs schenkten die Regierungsbeamten von Buenos Aires den Erzählungen und Zeitungsmeldungen keine Beachtung, weil sie sie für Ausgeburten der Phantasie hielten.

Die Unruhe unter den Fischern nahm jedoch immer mehr zu. Viele hatten nicht mehr den Mut, aufs Meer hinauszufahren, die Fänge wurden geringer, und der Bevölkerung mangelte es an Fisch. Daraufhin beschlossen die Behörden, der Sache auf den Grund zu gehen. Mehrere Dampfkutter und Motorboote der Seepolizei wurden in die Küstengewässer beordert, um jene unbekannte Person festzunehmen, die Verwirrung und Panik unter den Küstenbewohnern stiftete.

Die Polizei suchte zwei Wochen systematisch die La-Plata-Bucht und das Ufer ab und verhaftete mehrere Indianer als böswillige Gerüchtemacher und Unruhestifter, der Meeresteufel blieb jedoch unauffindbar.

Schließlich gab der Polizeichef die offizielle Erklärung ab, daß kein Meeresteufel existierte, daß es sich bei der ganzen Angelegenheit lediglich um Hirngespinste von Dummköpfen handelte, die bereits hinter Schloß und Riegel säßen und einer gerechten Strafe entgegensähen. Die Fischer sollten den Gerüchten keinen Glauben schenken und wieder zum Fischfang auslaufen.

Für eine gewisse Zeit half das. Allein der Meeresteufel hörte nicht auf zu spuken.

Eines Nachts wurden Fischer, die sich mit ihrer Barkasse ziemlich weit von der Küste entfernt hatten, durch das Meckern einer Ziege geweckt. Andere Fischer fanden ihre Netze zerfetzt und zerschnitten vor.

Die Journalisten, erfreut über das neuerliche Treiben des Meeresteufels, erhofften nun Aufklärung von den Wissenschaftlern.

Die Gelehrten ließen sich nicht lange bitten.

Im Ozean könne es gar kein der Wissenschaft unbekanntes Seeungeheuer mit menschlichem Verhalten geben.

»Etwas anderes wäre es jedoch«, schrieben sie, »wenn dieses Wesen sich in den wenig erforschten Ozeantiefen aufhielte.« Doch übereinstimmend wiesen sie die Annahme zurück, es könnte zu vernünftiger Handlungsweise fähig sein. Die Wissenschaftler teilten durchaus die Meinung des Polizeichefs, daß bei sämtlichen Streichen ein Schelm seine Hand im Spiel hätte.

Nicht alle Wissenschaftler waren dieser Ansicht.

Andere erinnerten an den berühmten Schweizer Naturforscher Konrad von Gesner, dem die Beschreibung des Meerengels, des Meerjunkers und des Meerpfaffen zu danken sei.

»Schließlich hat sich vieles von dem bewahrheitet, was Gelehrte der Antike und des Mittelalters geschrieben haben, wenngleich es die moderne Wissenschaft nicht in jedem Fall zur Kenntnis nehmen wollte. Gottes Werk ist unerforschlich; und uns stehen Bescheidenheit und Zurückhaltung in unseren Schlüssen vor allem andern gut zu Gesicht«, schrieben mehrere alte Wissenschaftler.

Nebenbei bemerkt, fiel es schwer, diese bescheidenen und zurückhaltenden Herren als Wissenschaftler zu bezeichnen. Sie glaubten nämlich mehr an Wunder als an die Wissenschaft, und ihre Vorlesungen ähnelten oft Predigten.

Um endgültig einen Schlußstrich unter diese Angelegenheit zu ziehen und sich Gewißheit zu verschaffen, wurde eine wissenschaftliche Expedition entsandt.

Sie hatte leider nicht das Glück, dem Meeresteufel zu begegnen. Dafür erfuhr sie eine Menge Neues über das Wirken der unbekannten Person.

In ihrem in den Zeitungen veröffentlichten Bericht hieß es:

»1. Auf den Sandbänken und im Seichten entdeckten wir mancherorts die Spuren menschlicher Füße. Sie kamen vom Meer und führten eindeutig dorthin zurück. Derartige Spuren kann jedoch auch ein Mensch hinterlassen, der mit dem Boot ans Ufer gerudert ist.

2. Die von uns untersuchten Netze wiesen Schnitte auf, die von einem scharfen Gegenstand herrührten. Möglicherweise waren sie unter Wasser an Felszacken oder an Eisenkanten von versunkenen Schiffen hängengeblieben und dann gerissen.

3. Augenzeugenberichten zufolge wurde ein bei Sturm ans Ufer geschleuderter Delphin nachts ins Wasser zurückgezogen. Im Sand konnten Fußspuren und Abdrücke langer Krallen entdeckt werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat ein mitleidiger Fischer den Delphin ins Meer geschleift. Wie allgemein bekannt ist, treiben Delphine den Fischern mitunter ganze Fischschwärme ins seichte Wasser. Die Fischer helfen den Delphinen ebenfalls aus der Not. Die Spuren könnten durchaus von Menschenhänden stammen, die man bei einiger Phantasie auch für Krallen halten könnte.

4. Ebensogut konnte die Ziege von einem Spaßvogel auf das Boot gebracht worden sein.«

Die Gelehrten hatten auch noch andere simple Begründungen erfunden, um die Herkunft der vom Meeresteufel hinterlassenen Spuren zu erklären.

Auf alle Fälle waren sie zu dem Schluß gekommen, daß kein Seeungeheuer in der Lage sei, derart komplizierte Handlungen auszuführen.

Aber nicht jedermann gab sich mit solchen Erklärungen zufrieden. Selbst ein paar Wissenschaftler hielten diese Thesen für anfechtbar. Wie konnte ein Spaßvogel, sei er auch noch so geschickt und verwegen, soviel Schabernack treiben, ohne wenigstens einmal gesehen zu werden? In dem Bericht war die Tatsache verschwiegen, daß der Meeresteufel seine Heldentaten binnen kurzer Zeit an weit voneinander entfernten Orten vollbrachte. Entweder war er imstande, mit unerhörter Geschwindigkeit zu schwimmen, oder er mußte im Besitz bestimmter Hilfsmittel sein, oder aber er handelte nicht allein, sondern in Begleitung anderer. Unter diesen Umständen schienen die Späße noch rätselhafter und beängstigender.

Während Pedro Surita seine Kajüte durchmaß, ließ er sich die unerklärliche Geschichte durch den Kopf gehen.

Er merkte kaum, wie es zu tagen begann und ein hellroter Lichtstrahl durch das Bullauge drang. Surita löschte die Lampe und begann sich zu waschen.

Als er sich das lauwarme Wasser über den Nacken goß, vernahm er Schreie von Deck. Ohne seine Morgentoilette zu beenden, stürmte er die Schiffstreppe hinauf.

Die nur mit einem Lendenschurz bekleideten Fischer standen an dem Schanzkleid, fuchtelten mit den Armen und schrien wüst durcheinander. Surita warf einen Blick nach unten und sah, daß die über Nacht im Wasser gelassenen Boote losgemacht waren. Die nächtliche Brise hatte sie aufs offene Meer getrieben. Jetzt schob sie der Morgenwind langsam vor sich her zum Ufer. Die Ruder trieben einzeln in der Bucht. Surita befahl den Fischern, die Boote einzuholen. Doch keiner wagte es, das Schiff zu verlassen. Surita wiederholte seinen Befehl.

»Geh doch selbst dem Meeresteufel in die Fänge«, rief jemand.

Surita lockerte den Revolver. Die Menge trat einen Schritt zurück und sammelte sich um den Schiffsmast. Feindselig blickten die Männer den Kapitän an. Der Streit schien unausbleiblich. In diesem Augenblick mischte sich jedoch Baltasar ein.

»Ein Araukaner kennt keine Furcht«, sagte er, »hat der Hai mich nicht geschafft, wird auch der Meeresteufel auf die alten Knochen verzichten müssen.« Er nahm die Hände über dem Kopf zusammen, sprang ins Wasser und schwamm zu dem nächst gelegenen Boot.

Die anderen schauten Baltasar ängstlich nach. Trotz seines Alters und des invaliden Beines schwamm er ausgezeichnet. Mit wenigen Stößen hatte der Indianer das Boot erreicht, er langte nach einem treibenden Ruder und kletterte ins Boot.

»Die Leinen sind mit einem Messer durchgeschnitten worden«, rief er. »Das Messer muß scharf wie eine Rasierklinge gewesen sein.«

Als sie sahen, daß Baltasar nichts passiert war, folgten mehrere Fischer seinem Beispiel.

Rittlings auf einem Delphin

Die Sonne war gerade erst aufgegangen, brannte aber bereits unbarmherzig. Der silbrigblaue Himmel war wolkenlos und der Ozean ohne Regung. Die »Medusa« lag inzwischen etwa zwölf Seemeilen südlich von Buenos Aires. Auf Baltasars Rat warfen sie in einer kleinen Bucht Anker, nahe der Felsküste, die mit zwei Vorsprüngen aus dem Wasser ragte.

Die Boote verstreuten sich über die Bucht. In jedem saßen wie üblich zwei Fischer. Der eine tauchte, und der andere holte den Taucher nach oben, anschließend tauschten sie die Rollen.

Eins der Boote trieb dicht am Ufer. Der Taucher nahm zwischen die Beine einen großen Kalksteinbrocken, der das Ende des Seils beschwerte, und ließ sich rasch auf den Meeresgrund hinab.

Das Wasser war sehr warm und glasklar und jeder Stein auf dem Meeresgrund deutlich zu erkennen. In Ufernähe ragte ein Korallenriff empor, zur Reglosigkeit erstarrtes Buschwerk breitete sich in unterseeischen Gärten aus. Kleine gold- und silberglänzende Fische spielten in diesen Büschen.

Auf dem Grund angekommen, begann der Mann in gebückter Haltung die Muscheln aufzulesen und in das an seinen Lenden mit einer Schnur befestigte Säckchen zu stecken. Sein Kamerad hielt das Leinenende fest und beobachtete, über den Rand des Bootes gebeugt, das Wasser.

Plötzlich sah er, wie der Taucher sich in wilder Hast aufrichtete und so schnell er konnte nach der Leine griff und derart heftig daran zerrte, daß der Mann im Boot beinahe ins Wasser gestürzt wäre. Das Boot schaukelte. Er zog seinen Kameraden schleunigst ins Boot. Den Mund weit aufgerissen, rang der Taucher nach Luft. Sein bronzefarbenes Gesicht war aschgrau vor Angst.

»Ein Hai?«

Der Taucher war außerstande zu antworten und fiel der Länge nach auf die Bootsplanken.

Was mag wohl auf dem Meeresgrund Schreckliches passiert sein? Irgend etwas schien da unten tatsächlich nicht in Ordnung zu sein. Die Fischlein huschten durch die dichten Tangwälder wie Vögel, die von einem Geier gejagt werden.

Mit einemmal bemerkte der Indianer, wie hinter einem Felsvorsprung Purpurdunst aufstieg, der sich allmählich nach allen Seiten ausbreitete und das Wasser rötlich färbte. In diesem Augenblick kam etwas Dunkles zum Vorschein, der Körper eines Hais. Er wendete im Zeitlupentempo und verschwand hinter dem Felsvorsprung. Der Purpurdunst konnte nichts anderes als Blut sein, das auf dem Meeresgrund vergossen wurde. Was war geschehen? Der Indianer sah seinen Kameraden an, doch dieser lag reglos auf dem Rücken, schnappte nach Luft und stierte wie abwesend zum Himmel. Der Indianer packte die Ruder und legte sich ins Zeug, um seinen ohnmächtigen Kameraden auf die »Medusa« zu schaffen.

Endlich kam der Taucher wieder zu sich, anscheinend hatte er die Sprache verloren, denn er stammelte nur und wackelte mit dem Kopf, wölbte die Lippen und röchelte.

Die Fischer auf dem Schoner umringten den Kameraden und warteten voller Ungeduld auf eine Erklärung.

»Rede«, rief ein junger Indianer und rüttelte den Taucher tüchtig durch. »Sprich, wenn du nicht willst, daß deine Hasenfußseele dem Körper entflieht.«

Der Taucher schüttelte heftig den Kopf und begann mit dumpfer Stimme:

»Ich habe ihn gesehen, den Meeresteufel.«

»Ihn selbst?«

»Rede schon«, riefen die Fischer hitzig.

»Also, ich drehe mich um, ein Hai. Er schwimmt geradewegs auf mich zu. Groß und schwarz, das Maul weit aufgesperrt. Das ist das Ende, denke ich. Ich gucke, da schwimmt noch ... »

»Ein anderer Hai?«

»Nein, der Meeresteufel.«

»Wie sah er aus? Hatte er einen Kopf?«

»Einen Kopf? Ich glaube, ja. Und riesengroße Augen.«

»Wenn er Augen hat, muß er auch einen Kopf haben«, stellte der junge Indianer fest. »Die Augen müssen ja irgendwo angebracht sein. Und hat er Pfoten?«

»Wie ein Frosch. Lange grüne Zehen, mit Krallen und Schwimmhäuten. Am ganzen Körper glitzert er wie ein schuppiger Fisch. Er schwimmt also auf den Hai zu und holt aus mit den Pfoten. Das Blut spritzt dem Haifisch nur so aus dem Bauch ...«

»Was hatte der Meeresteufel für Füße?« fragte ein anderer. »Füße?« Der Taucher versuchte sich zu erinnern. »Gar keine, einen langen Schwanz hatte er. Und am Schwanzende zwei Schlangen.«

»Vor wem hattest du mehr Angst, vor dem Hai oder dem Ungeheuer?«

»Vor dem Ungeheuer«, meinte er ohne Zögern. »Vor dem Ungeheuer, obwohl es mir das Leben gerettet hat. Das war ER.«

»Ja, das war ER.«

»Der Meeresteufel«, sagte ein zweiter.

»Der Gott des Meeres, der den Armen zur Seite steht«, verbesserte ihn der greise Indianer.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von Boot zu Boot.

Die Fischer ruderten eilig zum Schoner und brachten ihre Boote an Bord.

Alle standen um den vom Meeresteufel geretteten Perlenfischer. Und der erzählte die Geschichte noch einmal von vorn mit immer neuen Einzelheiten. Er erinnerte sich, daß rote Flammen aus den Nüstern des Ungeheuers züngelten und seine Zähne spitz und fingerlang waren. Die Ohren flatterten. An den Hüften hatte er Flossen und hinten einen Schwanz wie ein Ruder.

Pedro Surita, nackt bis zum Gürtel, in kurzen weißen Hosen, mit Pantoffeln an den bloßen Füßen, auf dem Kopf einen großen breitkrempigen Strohhut, schlurfte über das Deck und ließ sich kein Wort entgehen.

Je mehr sich der Erzähler ereiferte, um so mehr war Surita davon überzeugt, daß der vom Nahen des Hais zu Tode erschrockene Fischer sich das Ganze nur eingebildet hatte.

Andererseits kann nicht alles Einbildung sein, dachte er. Irgendwer muß dem Hai schließlich den Leib aufgeschlitzt haben. Das Wasser in der Bucht hat sich wirklich rot gefärbt. Der Indianer spinnt natürlich Seemannsgarn, aber ein Körnchen Wahrheit ist bestimmt an der seltsamen Geschichte, hol’s der Teufel.

An dieser Stelle wurden Suritas Überlegungen von Hörnerklang unterbrochen, der jenseits der Felsen ertönte.

Dieser Ton traf die Besatzung der »Medusa« wie ein Donnerschlag. Die Gespräche verstummten, die Gesichter wurden totenbleich. In abergläubischem Entsetzen starrten die Fischer zu den Felsen hinüber.

Unweit des Felsens tummelte sich an der Wasseroberfläche ein Schwarm Delphine. Einer entfernte sich von der Herde und pfiff, als gäbe er Antwort auf das ihm vertraute Hornsignal. Mit schnellen Stößen schwamm er zu dem Felsen und verschwand zwischen den Klippen. Es vergingen einige Augenblicke gespannter Erwartung. Plötzlich kam der Delphin wieder hinter dem Felsen zum Vorschein. Rittlings auf dem Delphin saß wie auf einem Pferd ein seltsames Wesen, der Meeresteufel, von dem der Taucher gerade berichtet hatte. Das Ungeheuer war von Menschengestalt, es hatte riesengroße Augen, die in der Sonne wie Autoscheinwerfer aufleuchteten, seine Haut flimmerte in zartem Silberblau, die dunkelgrünen Hände mit ihren langen Fingern und den Schwimmhäuten sahen aus wie die Flossen eines Frosches. Die Beine steckten bis zu den Knien im Wasser, ob sie mit Schwänzen oder gewöhnlichen Menschenfüßen endeten, blieb demzufolge ungewiß. Das eigenartige Wesen hielt eine längliche gewundene Muschel in der Hand. Es blies noch einmal hinein und lachte menschenähnlich, dann rief es völlig unerwartet auf spanisch: »Schneller, Leading! Vorwärts!« Mit seiner Froschhand klatschte der Teufel dem Delphin auf den glänzenden Rücken und gab ihm mit den Füßen die Sporen. Wie ein gutes Pferd beschleunigte der Delphin daraufhin seine Geschwindigkeit.

Die Fischer schrien unwillkürlich auf.

Der ungewöhnliche Reiter drehte sich um. Als er die Menschen gewahrte, glitt er ungestüm und geschmeidig wie eine Eidechse von seinem Reittier und verbarg sich hinter dessen Rücken. Eine grüne Hand reckte sich in die Höhe und gab dem Tier einen Klaps. Der gehorsame Delphin tauchte zusammen mit dem Ungeheuer in den Wellen unter.

Das seltsame Paar schwamm unter Wasser einen Bogen und suchte hinter dem Felsen Zuflucht.

Nicht länger als eine Minute hatte der ungewöhnliche Ritt gedauert, doch die Zuschauer konnten sich vor Staunen lange nicht fassen.

Die Fischer schrien und rannten auf dem Deck hin und her. Die Indianer fielen auf die Knie und flehten den Gott des Meeres an, ihnen gnädig zu sein. Ein junger Mexikaner kletterte vor Angst auf den Großmast und weinte wie ein Kind. Die Neger stürzten in den Kesselraum und verkrochen sich in einer Ecke.

An Fang war nicht mehr zu denken. Surita und Baltasar stellten mit Mühe die Ordnung wieder her. Die »Medusa« lichtete die Anker und ging auf Nordkurs.

Suritas Mißerfolg

Der Kapitän der »Medusa« stieg hinab in seine Kajüte, um über den Zwischenfall nachzudenken.

»Das ist wirklich zum Verrücktwerden«, sagte Surita laut vor sich hin und goß sich eine Kanne lauwarmes Wasser über den Kopf. »Das Seeungeheuer spricht kastilisch! Was ist das? Eine Teufelei? Verwirrung des Geistes? Aber die ganze Besatzung kann doch nicht plötzlich wahnsinnig geworden sein! Nicht mal zwei Menschen können ein und dasselbe träumen. Und wir haben schließlich alle mit eigenen Augen den Meeresteufel gesehen. Daran besteht kein Zweifel. Er existiert, so unwahrscheinlich das auch sein mag.« Surita übergoß seinen Kopf nochmals mit Wasser, um sich zu erfrischen.

Wie auch immer. Schon etwas gefaßter, fuhr er in seinen Gedanken fort: Das Ungeheuer ist jedenfalls vernunftbegabt und besitzt Menschenverstand. Offensichtlich ist es im Wasser wie an Land zu Hause, und es spricht spanisch. Also kann man sich mit ihm verständigen. Was wäre, wenn ... ? Wenn man das Ungeheuer einfinge, zähmte und abrichtete, nach Perlmuscheln zu tauchen? Eine einzige Kröte von dieser Art, eine, die imstande ist, im Wasser zu leben, kann eine komplette Belegschaft ersetzen. Wäre das ein Gewinn! Den Perlenfischern muß unsereins, wohl oder übel, ein Viertel jedes Fangs ablassen. Die Kröte aber würde nichts kosten. In kürzester Zeit ließen sich Tausende, ach was, Millionen Pesos verdienen.

Surita kam ins Träumen. Noch immer hegte er die Hoffnung, einmal reich zu werden. Er suchte dort nach Perlmuscheln, wo kein anderer welche fand. Der Golf von Persien, die Westküste von Ceylon, das Rote Meer, die australischen Gewässer – all die Fanggründe der Perlmuschellagen in weiter Ferne und wurden von alters her von den Menschen abgesucht. In den Golf von Mexiko oder von Kalifornien ziehen, zu den Thomas- oder Margarethen-Inseln, zur Küste von Venezuela auslaufen, wo es die kostbarsten amerikanischen Perlen gab? Das war Surita nicht möglich, das gab sein klappriger Schoner nicht her, und Fischer fehlten ihm obendrein. Mit einem Wort, das Ganze hätte auf ein Großunternehmen umgestellt werden müssen, dazu aber mangelte es Surita an den erforderlichen Mitteln, und deshalb blieb er eben vor der argentinischen Küste.

Aber jetzt! Jetzt könnte er, falls es ihm gelänge, den Meeresteufel zu fangen, in einem einzigen Jahr ein reicher Mann sein.

Pedro Surita, der reichste Mann von Argentinien, ja vielleicht von ganz Amerika! Das Geld würde ihm den Weg zur Macht ebnen und der Name Pedro Surita in aller Munde sein. Man mußte nur größte Vorsicht walten lassen und vor allem das Geheimnis hüten.

Surita stieg wieder aufs Deck und versammelte die Mannschaft einschließlich des Kochs.

»Wißt ihr«, fragte er, »was mit denen passiert ist, die die Gerüchte vom Meeresteufel in Umlauf gesetzt haben? Sie wurden von der Polizei verhaftet und sitzen im Gefängnis. Ich möchte euch warnen. Jedem von euch wird’s ähnlich ergehen, sobald ein Sterbenswörtchen über eure Lippen kommt. Man wird euch einsperren! Begreift ihr? Also, falls euch euer Leben lieb ist, zu keinem ein Wort, daß ihr den Meeresteufel gesehen habt.«

Surita rief Baltasar zu sich in die Kajüte, um ihn als einzigen in seinen Plan einzuweihen.

Baltasar hörte dem Kapitän aufmerksam zu und hielt ihm nach kurzem Schweigen entgegen: »Gut und schön, das alles. Der Meeresteufel wiegt hundert und mehr Fischer auf. Ihn für sich arbeiten zu lassen ist eine ausgezeichnete Idee. Aber wie ihn fangen?«

»Mit einem Netz.«

»Er schlitzt das Netz auf wie den Bauch des Hais.«

»Wir könnten ein Metallnetz anfertigen lassen.«

»Und wer soll ihn fassen? Unseren Tauchern schlottern schon die Knie, wenn sie das Wort Meeresteufel nur hören. Nicht mal für einen Sack Gold willigen sie ein.«

»Und du, Baltasar?«

Der Indianer zuckte mit den Schultern.

»Auf den Meeresteufel habe ich noch nie Jagd gemacht. Ihn einzufangen wird wahrscheinlich nicht leicht sein, ihn zu töten, falls er aus Fleisch und Blut ist, dagegen kein Problem. Sie brauchen ihn aber lebendig.«

»Hast du keine Angst, Baltasar? Was hältst du von ihm?«

»Was soll ich von einem Jaguar halten, der über das Meer fliegt, und von einem Hai, der auf Bäume klettert? Nichts ist schlimmer als ein wildes Tier. Ich mache jedoch gern Jagd auf wilde Tiere.«

»Ich werde dich großzügig belohnen.« Surita drückte Baltasar die Hand und legte ihm seinen Plan in allen Einzelheiten dar.

»Je weniger Mitwisser wir haben, um so besser. Du sprichst mit den Araukanern. Sie sind kühn und schlau. Such fünf Mann aus, nicht mehr. Wenn unsere Leute nicht mitmachen wollen, heure woanders welche an. Der Meeresteufel hält sich in Ufernähe auf. Zuerst muß in Erfahrung gebracht werden, wo sich seine Höhle befindet. Dann wird es nicht weiter schwierig sein, ihn ins Netz zu locken.«

Surita und Baltasar gingen ohne Zögern ans Werk. In Suritas Auftrag wurde ein großer Drahtkäfig angefertigt, der Ähnlichkeit mit einem bodenlosen Faß hatte. In seinem Innern spannte Surita Hanfseile, damit der Meeresteufel sich in ihnen wie in einem Spinngewebe verfinge. Von der »Medusa« hatten sich nur zwei Araukaner von Baltasar überreden lassen, bei der Jagd auf den Meeresteufel mitzuwirken. Weitere drei Männer mußte er in Buenos Aires anwerben. Die alte Besatzung hatte Surita ausgezahlt und entlassen.