Im Chaos der Gefühle - Toni Waidacher - E-Book

Im Chaos der Gefühle E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Am Donnerstagnachmittag klingelte im Pfarrhaus das Telefon. Sebastian nahm ab. »Ich grüße Sie, Jürgen. Ich nehm' an, Sie rufen mich an, um mir zu sagen, dass Ihre Familie aus Landshut eingetroffen ist.« »Sehr richtig, Sebastian. Die Helga hat mich informiert, dass sie alle im Hotel eingecheckt haben. Mein Vater soll recht aufgeregt sein. Ich vermute, dass er mindestens genauso nervös ist, wie ich. Immerhin ist viel Wasser die Kachlach hinuntergelaufen, seit wir das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht miteinander geredet haben.« »Die Aufregung wird sich legen, sobald Sie die ersten Worte miteinander gewechselt haben«, erwiderte Sebastian im Brustton der Überzeugung. »Ich bin auch der Meinung, dass Sie sich gar nimmer groß aussprechen sollten. Haken S' einfach ab, was war, und tun S' so, als hätt's den Zwist nie gegeben.« »Das wird wohl das Beste sein. Ich hab' den Paul und die Angelika informiert. Die beiden werden gleich kommen. Und dann fahren wir zum Hotel. Haben S' keine Lust, dabei zu sein, wenn sich mein Vater und ich die Hand reichen?« »Ich denk', es ist besser, wenn das ohne die Anwesenheit eines Außenstehenden geschieht, Jürgen«, lehnte Sebastian ab.

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Der Bergpfarrer – 453 –

Im Chaos der Gefühle

Toni Waidacher

Am Donnerstagnachmittag klingelte im Pfarrhaus das Telefon. Sebastian nahm ab. »Ich grüße Sie, Jürgen. Ich nehm’ an, Sie rufen mich an, um mir zu sagen, dass Ihre Familie aus Landshut eingetroffen ist.«

»Sehr richtig, Sebastian. Die Helga hat mich informiert, dass sie alle im Hotel eingecheckt haben. Mein Vater soll recht aufgeregt sein. Ich vermute, dass er mindestens genauso nervös ist, wie ich. Immerhin ist viel Wasser die Kachlach hinuntergelaufen, seit wir das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht miteinander geredet haben.«

»Die Aufregung wird sich legen, sobald Sie die ersten Worte miteinander gewechselt haben«, erwiderte Sebastian im Brustton der Überzeugung. »Ich bin auch der Meinung, dass Sie sich gar nimmer groß aussprechen sollten. Haken S’ einfach ab, was war, und tun S’ so, als hätt’s den Zwist nie gegeben.«

»Das wird wohl das Beste sein. Ich hab’ den Paul und die Angelika informiert. Die beiden werden gleich kommen. Und dann fahren wir zum Hotel. Haben S’ keine Lust, dabei zu sein, wenn sich mein Vater und ich die Hand reichen?«

»Ich denk’, es ist besser, wenn das ohne die Anwesenheit eines Außenstehenden geschieht, Jürgen«, lehnte Sebastian ab. »Jedenfalls freu’ ich mich, dass Sie sich mit Ihrer Familie wieder verstehen, und ich wünsch’ Ihnen alles, alles Gute für die Zukunft. Morgen, bei der Einweihungsfeier, treffen wir uns ja. Der Severin hat mich gestern angerufen. Er und die Annette kommen heut’ Nachmittag auch zurück. Beim Marcel wird’s nächste Woche werden, bis er zurückkehren kann.«

»Ich denke, die Sache ist aufgeklärt«, sagte Jürgen. »Oder gibt es vielleicht immer noch irgendwelche Probleme?«

»Er muss sich für eine weitere Aussage in Wien zur Verfügung halten, denn der Bursch’, der den Hubert Pausch niedergeschlagen hat, bestreitet, ihm das Geld gestohlen zu haben. Der Marcel und auch der Severin haben mich aber beruhigt. Bei der Polizei nimmt keiner an, dass der Marcel den Pausch beraubt hat. Es besteht vielmehr der Verdacht, dass der Pausch den Geldbeutel verloren hat, oder dass er nur behauptet, bestohlen worden zu sein, um dem, der ihn niedergeschlagen hat, eins auszuwischen.«

»Kann schon sein, dass er Rachegedanken hegt«, versetzte Jürgen. »Fein, dann ist der Severin morgen bei der Einweihung dabei. Da fällt mir ein, dass ich Ihre Cousine noch gar nicht persönlich eingeladen hab’. Das werde ich heute Abend nachholen.«

»Sie wird sich freuen, Jürgen. Bestellen S’ Ihrem Vater und Philipps Mutter die besten Grüße von mir. Ist eigentlich die Frau Baldauf auch dabei?«

»Die Tante hält die Stellung in der Brauerei.« Jürgen Deininger zögerte ein wenig. »Ein Gespräch wird es noch geben müssen mit meinem Vater«, erklärte er dann. »Und zwar, wenn es darum geht, dass er seinen Platz für einen Jüngeren freimachen soll. Ich hab’ schon daran gedacht, mich wieder in die GmbH einzukaufen. Zusammen mit meinen Brüdern und dem Philipp als Geschäftsführer könnten wir den Laden wieder auf Trab bringen. Ich schätze aber, das werden noch einmal zähe Verhandlungen mit meinem Vater werden. Vor allem, weil im Umgang mit ihm äußerste Vorsicht geboten ist. Wir dürfen ihn auf keinen Fall verärgern. Und das wird nicht so einfach.«

»Als er mir gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, dass er viele Fehler gemacht hat in seinem Leben, Fehler, die sich nimmer rückgängig machen lassen, hatt’ ich den Eindruck, dass dies ein ausgesprochen ehrliches Bekenntnis war. Ihr Vater wird es sich also zweimal überlegen, bevor er sich ein weiteres Mal zu etwas hinreißen lässt, das er hinterher möglicherweise bereuen müsst’.«

»Ich hab’ mir jedenfalls vorgenommen, den Frieden mit meinem alten Herrn unter allen Umständen zu wahren«, sagte Jürgen. »Ich will mir eines Tages nichts vorwerfen müssen. Sie verstehen sicher, was ich meine. Er geht immerhin schon auf die achtzig zu …«

»Eine lobenswerte Einstellung, Jürgen«, gab Sebastian zu verstehen. »Morgen treff’ ich ja dann Ihren Vater. Ich werd’ mich auch gern mal mit ihm auf ein Glas Wein zusammensetzen. Vielleicht können S’ ihn dazu bewegen, Jürgen, seinen Ruhestand bei uns hier im schönen Wachnertal zu verbringen.«

»Das ist eine prima Idee, Sebastian. Ja, wirklich, daran hab’ ich selbst noch gar nicht gedacht. Mein Vater ist zwar kein großer Romantiker. Idylle, Beschaulichkeit und Ruhe waren für ihn immer Fremdwörter, aber vielleicht kann man ihn auf seine alten Tage noch umstimmen. Schauen wir mal. Ich hab’ nach der neuesten Entwicklung wieder große Hoffnungen, dass wir aus ihm noch einen verträglichen alten Mann machen können.«

Sebastian lachte. »Ich glaub’, er ist schon auf dem besten Weg’«, erklärte er dann, dann verabschiedete sich Jürgen und der Pfarrer stellte das Telefon in die Ladestation zurück. Er grinste zufrieden vor sich hin. Die Entwicklung war wunschgemäß.

Der Bergpfarrer verließ sein Büro, ging zur offenstehenden Küchentür und stellte sich in ihren Rahmen. »Ich schau’ mal hinüber in die Kirch’, Frau Tappert.«

»Ist schon recht, Hochwürden. Jetzt dürften bald wieder die ersten Ausfluggesellschaften in St. Johann eintreffen, und unser Kircherl wird wieder stark frequentiert werden. Irgendwie lob’ ich mir da den Winter. Da sind wir hier unter uns.«

»Ein paar Touristen brauchen wir schon, Frau Tappert«, entgegnete Sebastian. »Von was sollten die Leut’ hier leben, wenn net vom Fremdenverkehr? Sind wir froh, dass sich bei uns alles noch in einem vernünftigen Rahmen hält. Gehen S’ in der Saison mal nach Garmisch oder hinüber ins Österreichische. Da treten sich die Urlauber gegenseitig auf die Füß’.«

»Solche Verhältnisse hätten wir auch, Hochwürden, wenn Sie den Bürgermeister net immer wieder mal gebremst hätten. Der Bruckner hätt’ sein St. Johann längst zu einer dieser Touristenhochburgen umfunktioniert. Dann wär’s hier vorbei mit Ruhe und Frieden und wir wären sowohl im Sommer als ich im Winter voll. Ob das besonders angenehm wär’, bezweifle ich.«

Sebastian lächelte. »Jetzt hat er sich ja schon lang nix mehr einfallen lassen, der Markus. Vielleicht haben ihn die jahrelange Erfahrung und der Umgang mit etlichen Niederlagen geläutert und vorsichtig gemacht. Aber wie ich ihn kenn’, wird er sicherlich irgendwann wieder mit einer neuen Idee aufwarten.«

»Davon bin ich überzeugt, Hochwürden«, sagte Sophie. »Und da ich ihn auch sehr gut kenn’, bin ich davon überzeugt, dass es was ist, das Ihren Widerstand herausfordert. Denn was Vernünftiges ist dem Bruckner ja noch net eingefallen.«

»Gehen S’ net gar so hart ins Gericht mit dem Bruckner, Frau Tappert. Im Grunde seines Herzens ist er ein anständiger Kerl, der halt ein bissel zu ehrgeizig ist.«

»Ich weiß schon. Ich hab’ ja auch nix gegen ihn.« Sophies Brauen hoben sich ein wenig. Ihr Gesicht mutete fast ein wenig belustigt an. »Aber dass er Ihnen immer so viel Arbeit und Ärger bereitet hat, das vergess’ ich ihm nie, und das vergeb’ ich ihm auch net.«

»Ist schon klar, Frau Tappert«, sagte Sebastian, der wusste, dass das von seiner Haushälterin scherzhaft zugespitzt war, lachend. »Vergeben und vergessen heißt kostbare Erfahrungen zum Fenster hinauswerfen, gell?«

Sophie stutzte ein wenig, dann nickte sie. »So ist’s, Hochwürden.«

»Der Deininger-Clan aus Landshut ist im Übrigen eingetroffen«, sagte Sebastian, als er sich abwandte, um das Pfarrhaus zu verlassen. »Jetzt herrscht auf beiden Seiten nervöse Anspannung. Aber das ist normal, nach zwei Jahren der Funkstille.«

»Der Jürgen und sein Vater sind erwachsene Leut’«, gab Sophie zu verstehen. »Die werden sich schon wieder zusammenraufen.«

»Davon bin ich überzeugt«, versetzte Sebastian, dann strebte er den Haustür zu.

*

In der Kirche befanden sich etwa ein Dutzend Menschen. Die meisten von ihnen gingen langsam herum, schauten interessiert in die Runde und blieben kurz stehen, um zu fotografieren.

Die Fresken an der Decke und den Seitenwänden sowie die bleiverglasten Fenster zeigten Szenen aus dem alten und neuen Testament; jedes einzelne Fresko war ein Kunstwerk. Die Farben waren kräftig und frisch und selbst ein Laie konnte erkennen, dass die Malereien erst vor kurzer Zeit restauriert worden waren.

Sebastian hatte das Kirchenschiff durch die Sakristei betreten. Mit einem Blick stellte er fest, dass der Mesner den Altar für die Andacht am kommenden Morgen ordentlich hergerichtet hatte. Er schwenkte den Blick durch den Besucherraum der Kirche und bemerkte, dass die Tür eines Beichtstuhls geöffnet war.

Sebastian verließ den Altarraum und ging zu dem Beichtstuhl hin, um die Tür zu schließen. Er konnte von hier aus in die Nische blicken, in der die Madonna stand. Einige Leute drängten sich vor ihr und bestaunten die wertvolle Skulptur.

Da war auch eine junge, dunkelhaarige Frau, die sich in diesem Moment abwandte und – ihn erspähte. Der Blick ihrer dunklen Augen heftete sich auf ihn, ein angedeutetes Lächeln zog ihren Mund ein wenig auseinander, und sie kam schnell auf ihn zu.

Sebastian schätzte sie auf Mitte zwanzig. Sie war ausgesprochen attraktiv und vermittelte einen sympathischen Eindruck. Da er offensichtlich ihr Ziel war, wartete er ab.

Schließlich hielt sie vor ihm an, lächelte hoch in sein Gesicht und sagte: »Sie müssen Pfarrer Trenker sein. Mein Name ist Lena Dorner, und ich mach’ seit Sonntag hier in St. Johann Urlaub. Ich wohn’ in der Pension ›Edelweiß‹, und die Marion hat mir von Ihnen erzählt.«

»Ah, ja, die Marion. Sie ist mit meinem Cousin, dem Andreas, verheiratet. Ich glaub’, Ihren Namen hab’ ich schon gehört, Frau Dorner. Sind Sie net eine Studienkollegin vom Rehfeldt-Jannik?«

Für einen Moment schien das Lächeln in Lenas Gesicht zu erstarrten, aber dann strahlten ihre dunklen Augen wieder und sie erwiderte: »Richtig. Wir haben zusammen in Regensburg studiert. Von dort komm’ ich auch. Der Jannik ist ein guter Freund von mir. Er hat damals vom Wachnertal im Allgemeinen und St. Johann im Speziellen so richtig geschwärmt. Also hab’ ich mir gedacht, ich fahr mal eine Woche her und schau's mir an.«

»Ich hoff’, St. Johann hat gehalten, was der Jannik so enthusiastisch angepriesen hat«, sagte der Bergpfarrer.

»Ja, es ist sehr schön hier. Leider geht mein Urlaub schon wieder zu Ende. Am Sonntag fahr’ ich nach Regensburg zurück, und am Montag geht’s schon wieder in die Maloche.«

»Sie haben sich unser Kircherl angeschaut, Frau Dorner. Hat Ihnen gefallen, was Sie gesehen haben?«

»Ich bin begeistert«, antwortete Lena. »Die Madonna ist einmalig in ihrer Schönheit. Aber auch die übrigen Kunstwerke … Die Fresken, die Fenster, die Kanzel, der Altar – das alles ist einfach überwältigend.«

»Danke. Haben S’ sich auch schon ein bissel in der Umgebung umgeschaut? Wir haben wunderbare Wanderziele. Das hat Ihnen die Marion sicher net verheimlicht. Die Almen werden seit kurzer Zeit wieder bewirtschaftet. Da können S’ einkehren, essen und trinken und die Bergwelt genießen.«

»Ich hab’ den Jannik gebeten, mich am Samstag mitzunehmen, falls er mit der Franziska wieder eine Bergtour machen sollt’. Alleine dürft’s nämlich ziemlich langweilig sein, stundenlang aufzusteigen. Der Jannik meint aber, dass es am Samstag regnet.« Lena zuckte mit den Achseln. »Es wird wohl dabei bleiben, dass ich mir die Berge lediglich von unten anschau’.«

»Ich bin früher gern allein’ hinaufgegangen«, gab Sebastian zu verstehen. »Da oben ist’s, als wären S’ der einzige Mensch auf der Welt. Man denkt in ganz anderen Kategorien, und niemand stört einen. Die Sorgen sind vergessen, man findet zu sich selbst, ist eins mit der Natur und spürt, wie man sein inneres Gleichgewicht zurückgewinnt.«

»Wenn ich Sie so hör’, Herr Pfarrer, dann bin ich wirklich am Überlegen, ob ich mich net doch aufraff’, und allein so eine Tour mach’.«

»Es würd’ sich lohnen«, versetzte Sebastian. »Grüßen S’ bitte die Marion und den Andreas von mir, wenn S’ in die Pension zurückkommen.«

»Mach’ ich gerne«, erklärte Lena, dann gab sie Sebastian die Hand. »Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Herr Pfarrer. Darf ich Ihnen ein Kompliment machen?«

Sebastian schaute sie fragend an.

»Sie entsprechen überhaupt net dem Bild, das ich mir immer von einem Kirchenmann gemacht hab’«, sagte Lena.

»Welches Bild haben Sie sich denn gemacht?«, fragte Sebastian amüsiert.

»Na ja, man kennt sie ja, die Bilder mit Mönchen und Priestern.«

Sebastian musste lachen. »Ich weiß schon. Dicke Bäuche, runde Gesichter, ernster Schulmeisterblick … Das ist Klischee, Frau Dorner. Tatsächlich unterscheiden wir Priester uns net vom Rest der Menschheit. Sie haben in Ihrem Leben wohl net viel mit meinem Berufsstand zu tun gehabt?«

»Na ja, in der Schul’ hatten wir Religionsunterricht. Unser Pfarrer war von der Sorte, wie Sie sie eben beschrieben haben. Egal, ich werd’ das Bild, das ich von ihrem Berufsstand im Kopf gehabt hab’, revidieren müssen. Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer.«

»Pfüat Ihnen Gott, Frau Dorner.«

Sie ging zum Ausgang, Sebastian verließ die Kirche wieder durch die Sakristei. Er fragte sich, ob Franziska, die Verlobte Janniks, Grund hatte, auf Lena Dorner eifersüchtig zu sein. Lena hatte ein einnehmendes Wesen und schien mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Er wusste aber auch, dass der erste Eindruck oftmals täuschen konnte.

Zurück im Pfarrhaus ging er zu Sophie in die Küche. »In der Kirch’ hab’ ich zufällig diese Lena Dorner kennengelernt. Sie wissen schon, Frau Tappert, das ist die frühere Studienkollegin vom Rehfeldt-Jannik, auf die die Veit-Franzi eifersüchtig ist. Das hat Ihnen die Franzi doch anvertraut.«

»Und, Hochwürden, was für einen Eindruck hat diese Frau auf Sie gemacht?«

»Offen, ehrlich, sympathisch. Sie war von unserer Kirche begeistert. Als sie vom Jannik gesprochen hat, geschah das vollkommen emotionslos. Sie ist mir net vorgekommen wie eine Frau, die hier in St. Johann auf Männerfang ist. Eine Bergtour würd s’ gern machen, hat s’ mir erzählt, und sie hat den Jannik gebeten, sich ihm und der Franzi am Samstag anschließen zu dürfen. Aber der Jannik meint, dass es Regen gibt. Und wahrscheinlich hat er net mal so Unrecht. Die Regenfront soll sich von Westen her langsam heran schieben.«

»Vielleicht haben wir Glück«, meinte Sophie, »und sie zieht am Wachnertal vorbei. Aber wenn’s uns trifft, ist’s auch net schlimm. Die Natur braucht Wasser.«

»Ich denk’, die Franzi bewertet alles ein bissel über«, murmelte Sebastian. »Wahrscheinlich denkt sie, dass jeder Mann einer schönen Frau wie der Lena Dorner automatisch schöne Augen macht, und sie schließt ihren Jannik net aus.« Er lachte belustigt auf. »Wer weiß denn schon, was im Kopf einer bis über beide Ohren verliebten Frau so abläuft? Irgendwann lacht die Franzi wahrscheinlich selber drüber.«

*

Am Nachmittag kehrten Dr. Severin Kaltenecker und Annette Hambacher nach St. Johann zurück. Severin begleitete Annette ins Pfarrhaus, wo Sebastian die beiden im Wohnzimmer empfing. Nachdem sie sich begrüßt und Platz genommen hatten, und der Pfarrer seine Haushälterin gebeten hatte, Kaffee zu kochen, fragte er: »Na, wie war’s? Ist alles reibungslos über die Bühne gegangen?«

»Im Großen und Ganzen – ja«, antwortete Annette. »Meine Wohnung ist gekündigt, um die Auflösung des Hausstandes kümmert sich der Hausbesitzer. Ihm kann ich vertrauen. Das Zeug, was ich net verkaufen, verschenken oder wegwerfen will, hab’ ich gekennzeichnet. Es wird nach St. Johann transportiert. Dafür reicht aber ein Sprinter.«

»Was ist mit deiner Arbeit?«, fragte Sebastian.

»Das ist alles problemlos über die Bühne gegangen, ich hab’ mit meinem Chef einen Auflösungsvertrag geschlossen.«

»Und wie lang’ wird der Marcel noch in Wien bleiben müssen?«, erkundigte sich Sebastian.

»Ich nehm’ an, dass sich die Angelegenheit schnell aufklärt. Sein Auto hat er bereits zurückerhalten. Seine Wohnung hat er ebenfalls gekündigt. Seinen Job hat er nimmer kündigen müssen, denn als noch der Verdacht bestanden hat, dass er diesen Pausch niedergeschlagen und ausgeraubt hat, wurd’ von seinem Arbeitgeber sofort eine fristlose Kündigung ausgesprochen.«

»Dagegen könnt’ er gerichtlich vorgehen«, erklärte Sebastian.

»Das will er net«, sagte Severin. »Kündigen würd’ er eh, und so braucht er mit seinem Arbeitgeber nimmer verhandeln.«

»Gut. Er geht den Weg des geringsten Widerstandes. Irgendwelche Probleme werden doch wohl nimmer auftauchen?«, zeigte sich Sebastian besorgt.