E-Book 401-450 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 401-450 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Ich glaube dir kein Wort mehr! E-Book 2: Ich kann doch nur einen lieben! E-Book 3: Wer sind meine Eltern? E-Book 4: Ich liebe dich noch immer! E-Book 5: Der Fremde und die schöne Sennerin E-Book 6: Hochzeit auf dem Ponyhof? E-Book 7: Schweigende Schönheit E-Book 8: Bin ich bei dir endlich zuhaus? E-Book 9: Verliebt in einen Betrüger? E-Book 10: Der Traum vom Märchenprinz E-Book 11: Liebe meines Lebens E-Book 12: Ein Lied für die Liebe E-Book 13: Das Glück hat viele Farben E-Book 14: Ich werde dir immer vertrauen E-Book 15: Annemie will hoch hinaus! E-Book 16: Alexandras Rückkehr nach St. Johann E-Book 17: Wo mein Herz zu Hause ist E-Book 18: Kannst Du wieder lieben, Verdi? E-Book 19: Liebe ohne Happy End? E-Book 20: Andreas will eine zweite Chance E-Book 21: Saskia sorgt für Aufregung E-Book 22: Nur mit Dir kann ich glücklich sein! E-Book 23: Schicksalstage am Achsteinsee E-Book 24: Nicht nur Lars träumt von der Liebe E-Book 25: Eine heimliche Liebe E-Book 26: Mit der Wahrheit leben? E-Book 27: Ein Mann zum Verlieben E-Book 28: Rendezvous mit einem Unbekannten E-Book 29: Was geschah auf dem Neumüller-Hof? E-Book 30: Happy End wie aus dem Drehbuch E-Book 31: Eine wirklich sympathische Frau E-Book 32: Wettstreit der Sennerinnen E-Book 33: Hauptgewinn - Liebe! E-Book 34: Wie ein heller Sonnenstrahl E-Book 35: Was wird aus dem Sonnleitner-Hof? E-Book 36: Musik ist unser Leben E-Book 37: Verliebt in die schöne Münchnerin E-Book 38: Wo viel Licht ist, ist auch Schatten ... E-Book 39: Skandal auf dem Bartlhof E-Book 40: Wie buchstabiert man Liebe? E-Book 41: Auf den Spuren der Vergangenheit E-Book 42: Schatten über Hubertusbrunn E-Book 43: Liebe auf Abwegen E-Book 44: Die junge Erbin des Moserhofs E-Book 45: Auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit E-Book 46: Wenn eine junge Liebe stirbt E-Book 47: Der Engel von der Nonnenhöhe E-Book 48: Wenn ein Herz erwacht … E-Book 49: Drama um Lara und Leonie E-Book 50: Wer heilt sein gebrochenes Herz?

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Seitenzahl: 6060

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Inhalt

Ich glaube dir kein Wort mehr!

Ich kann doch nur einen lieben!

Wer sind meine Eltern?

Ich liebe dich noch immer!

Der Fremde und die schöne Sennerin

Hochzeit auf dem Ponyhof?

Schweigende Schönheit

Bin ich bei dir endlich zuhaus?

Verliebt in einen Betrüger?

Der Traum vom Märchenprinz

Liebe meines Lebens

Ein Lied für die Liebe

Das Glück hat viele Farben

Ich werde dir immer vertrauen

Annemie will hoch hinaus!

Alexandras Rückkehr nach St. Johann

Wo mein Herz zu Hause ist

Kannst Du wieder lieben, Verdi?

Liebe ohne Happy End?

Andreas will eine zweite Chance

Saskia sorgt für Aufregung

Nur mit Dir kann ich glücklich sein!

Schicksalstage am Achsteinsee

Nicht nur Lars träumt von der Liebe

Eine heimliche Liebe

Mit der Wahrheit leben?

Ein Mann zum Verlieben

Rendezvous mit einem Unbekannten

Was geschah auf dem Neumüller-Hof?

Happy End wie aus dem Drehbuch

Eine wirklich sympathische Frau

Wettstreit der Sennerinnen

Hauptgewinn - Liebe!

Wie ein heller Sonnenstrahl

Was wird aus dem Sonnleitner-Hof?

Musik ist unser Leben

Verliebt in die schöne Münchnerin

Wo viel Licht ist, ist auch Schatten ...

Skandal auf dem Bartlhof

Wie buchstabiert man Liebe?

Auf den Spuren der Vergangenheit

Schatten über Hubertusbrunn

Liebe auf Abwegen

Die junge Erbin des Moserhofs

Auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit

Wenn eine junge Liebe stirbt

Der Engel von der Nonnenhöhe

Wenn ein Herz erwacht …

Drama um Lara und Leonie

Wer heilt sein gebrochenes Herz?

Der Bergpfarrer – Paket 9 –

E-Book 401-450

Toni Waidacher

Ich glaube dir kein Wort mehr!

Roman von Waidacher, Toni

Kathie Lärbach schaute die Freundin traurig an.

»Jetzt heißt’s wohl Abschied nehmen, was?« fragte sie mit bedrückter Stimme.

Alexandra lächelte.

»Es muß ja net für immer sein«, antwortete sie. »Du besuchst mich in Sankt Johann, oder ich komm’ zu dir nach Pfarrkirchen. Wir sind beide motorisiert, und so groß ist die Entfernung ja nun auch wieder net. Außerdem gibt’s ja noch das Telefon.«

Sie strich sich eine Locke aus dem hübschen Gesicht.

»Ganz zu schweigen davon, daß du bald gar keine Zeit mehr haben wirst, an mich zu denken...«, meinte sie.

Kathie wußte, worauf sie hinaus wollte.

Die beiden Madel hatten zusammen studiert. Nun waren sie fertige Bibliothekarinnen. Auf der Abschlußfeier mit den anderen Studienkollegen hatte Kathie einen jungen Mann kennengelernt, in den sie sich Hals über Kopf verliebte. Jörg Engler hieß der Traummann, und seit der Fete waren die beiden unzertrennlich. Gemeinsam wollten sie sich im beschaulichen Pfarrkirchen niederlassen, wo Kathie eine Antstellung bekommen hatte. Jörg war freier Unternehmensberater und hatte die Absicht, seine Firma dorthin zu verlegen.

»Zu uns’rer Hochzeit kommst’ doch?«

»Versprochen!«

Alexandra sah auf die Uhr.

»So, jetzt muß ich aber, sonst schaff’ ich’s net mehr, vor dem Berufsverkehr aus München herauszukommen.«

Die Freundinnen umarmten sich, dann stieg Alexandra Hofer in ihren Wagen, in dem sich ihr halber Münchner Hausstand befand, und fuhr hupend los. Kathie winkte ihr hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen war.

Auf dem Ring, der zur Autobahn führte, staute sich schon der Verkehr. Alexandra bedauerte, nicht doch schon eher losgefahren zu sein. Aber dann ging es plötzlich doch voran, und schon bald hatte sie die Stadt hinter sich gelassen und fuhr den Bergen zu.

Rückblickend war es eine schöne Zeit gewesen, die sie in München verbrachte. Viele neue Freunde hatte sie gefunden, interessante Menschen kennengelernt und viel für ihr berufliches Fortkommen getan.

Doch jetzt wollte sie erst einmal in den wohlverdienten Urlaub. Den verbrachte sie zu Hause, in St. Johann. Was danach geschah, war noch nicht so ganz klar. Sie hatte nach ihrem Abschluß einige Bewerbungen abgeschickt, doch die Antworten standen noch aus. In der Zwischenzeit wollte sie ein wenig ausruhen und sich nebenbei um die Gemeindebibliothek kümmern. Pfarrer Trenker hatte sie bei ihrem letzten Besuch zu Hause darum gebeten. Dieser Bitte wollte sie gerne nachkommen. Die Büchersammlung war verwaist, seit die Stelle der Gemeindebibliothekarin nicht wieder besetzt worden war.

Es wäre dafür kein Geld vorhanden, hieß es aus dem Rathaus.

Alexandra wußte, daß Sebastian Trenker dafür gekämpft hatte, eine neue Kraft einzustellen, doch der Antrag hatte leider keine Mehrheit gefunden. Um so mehr freute sich der Geistliche, als sie sich bereit erklärte, den Bestand zu sichten und zu katalogisieren.

Von einer Raststätte aus rief die junge Frau zu Hause an und teilte den Eltern mit, daß sie spätestens zum Abendessen zu Hause sei. Friedrich und Ursula Hofer besaßen eine kleine Villa in St. Johann. Die Mutter hatte früher als Sekretärin gearbeitet, war heute aber nur noch Hausfrau. Alexandras Vater leitete eine kleine Firma in der Kreisstadt, die als Zulieferer für die Autoindustrie produzierte.

Das Madel war das einzige Kind. Schon früh hatte Alexandra ihre Liebe für die Literatur entdeckt und sich für alles interessiert, was mit Büchern zu tun hatte. Vom Schreiben, bis zum Druck. Sie kannte sich in der Klassik genauso gut aus, wie in der Belletristik, und sie hatte eine Vorliebe für die Werke des Heinrich von Kleist.

Es war nur logisch, daß sie ihre Liebe zu den Büchern zu ihrem Beruf machen wollte, und die Eltern unterstützten sie dabei.

Jetzt freute sich ›Alex‹, wie ihre Freunde sie nannten, darauf, Ordnung in die Büchersammlung der Gemeinde von St. Johann zu bringen.

*

In St. Johann, Koppelweg 12, saßen die Eheleute Hofer und Lilo Bachmann und warteten auf Alexandras Ankunft. Der Tisch war festlich gedeckt, und im Ofen warteten ein paar gegrillte Lachsforellen darauf, serviert zu werden.

»Jetzt müßt s’ aber bald kommen«, meinte Lilo, die eigentlich Liselotte hieß, ungeduldig.

Sie und Alex waren seit ihrer Schulzeit unzertrennlich gewesen, und wenn Lilo auch in St. Johann blieb, um hier zu heiraten und zu leben, so war der Kontakt zu der Freundin doch nie abgerissen. Im Gegenteil – wenn Semesterferien waren, und Alex nach Hause kam, unternahmen die beiden, wie früher, ihre Bergtouren und Ausflüge. Und Lilo hatte die Freundin etliche Male in München besucht, wo Alex, zusammen mit Kathie Lärbach, eine Studentenwohnung hatte.

Natürlich hatten die Hofers Lilo für den Abend eingeladen, und die junge Frau hatte zugesagt. Es paßte um so besser, als daß ihr Mann Spätschicht hatte – er arbeitete bei der Bahn.

»Aber noch kein Wort über das Fest zu Alex«, beschwor Lilo das Ehepaar. »Es soll eine Überraschung werden. Ich hab’ mit dem Thurecker-Franz schon alles besprochen. Am Samstag nachmittag mach’ ich mit der Alex eine Tour auf die Kanderer-Alm, und da warten dann schon die and’ren. Franz bereitet was zum Essen vor, und die Gäste bringen was zu Trinken mit. Alex wird Augen machen!«

Ursula Hofer hob lauschend den Kopf.

»Ich glaub’, jetzt ist ein Auto vorgefahren«, sagte sie und eilte ans Fenster. »Ja, sie ist es! Alex steigt gerade aus.«

Die Mutter lief zur Haustür.

»Kind, daß du endlich da bist!« freute sie sich und umarmte ihre Tochter.

»Komm her, Madel«, sagte ihr Vater und drückte Alex an sich. »Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Prüfung. Jetzt hast’ dein Ziel erreicht.«

Stolz schaute er sie an.

»Studierte Bibliothekarin!«

»Ja, leider ohne Anstellung. Oder hab’ ich Post?«

Sie hatte die Bewerbungen mit ihrer Heimatadresse versehen, da die Wohnung in München ja bereits gekündigt war.

Die Eltern schüttelten bedauernd den Kopf.

»So bleibst’ uns wenigstens ein bissel erhalten«, meldete sich die Freundin zu Wort.

»Hallo, Lilo.«

Die beiden fielen sich in die Arme.

»Schön, daß du auch da bist.«

»Deine Eltern waren so nett, mich einzuladen.«

»Kommt doch rein«, forderte Friedrich Hofer sie auf. »Die Forellen sind fertig.«

Am Wochenende und zu besonderen Anlässen schwang der Hausherr, der ein begeisteter Hobbykoch war, den Schneebesen in der Küche. Selbstverständlich hatte er es sich nicht nehmen lassen, heute das Abendessen zu kochen.

Den Wagen auszuräumen, dazu war später noch Zeit, entschied Alex. Sie hatte seit dem Mittag nichts mehr gegessen und verspürte jetzt richtigen Hunger. Und sie kannte die Kochkünste ihres Vaters.

Während sie sich ins Wohnzimmer setzten, eilte Friedrich Hofer an den Herd. Die Kartoffeln waren gar und konnten abgeschüttet werden. Schnell hatte er sie in eine Schüssel gefüllt, und, wie es sich für ein Fischgericht gehörte, frisch geschnittenen Dill darüber gestreut.

Die Forellen lagen auf einer silbernen Platte. Dazu gab es eine raffinierte Sauce aus Butter, Eigelb und Orangensaft, die der Hobbykoch im Wasserbad aufgeschlagen hatte.

Der trockene Riesling, der zum Essen getrunken werden sollte, stand schon, gut gekühlt, auf dem Tisch.

»Auf unsere Alexandra! Auf daß auch ihre anderen Träume in Erfüllung gehen mögen«, brachte Friedrich Hofer einen Trinkspruch aus.

Geschickt hatte er die Forellen filetiert und vorgelegt. Die Fische waren so groß, daß sie auch für sechs Leute gereicht hätten.

»Papa, das Essen schmeckt super!«

»Da kann ich Alex nur recht geben«, nickte Lilo.

»Freut mich, daß es euch schmeckt«, antwortete er.

Friedrich Hofer tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, bevor er einen Schluck Wein trank.

»Was glaubst’ denn, wie lang’ es dauern kann, bis du die Antworten auf deine Bewerbungen bekommst?« fragte er.

Das Madel zuckte die Schulter.

»Na ja, drei Wochen ist’s jetzt her. Ich rechne jeden Tag mit einem Brief. Aber, wenn’s net so schnell geht, dann macht’s auch nix. Ich arbeit’ ja erst einmal drüben in der Gemeindebibliothek.«

»Pfarrer Trenker läßt dich übrigens herzlich grüßen«, richtete ihre Mutter aus. »Er meint, es wären ein paar Schätze unter den Büchern, und freut sich schon darauf, dir alles zeigen zu können.«

»Erst einmal wird ein bissel ausgespannt«, mischte sich Lilo ein. »Und am Samstag geht’s auf die Kanderer-Alm, damit du’s nur weißt. Du hast mir schon letztes Mal versprochen, daß wir mal wieder eine Tour unternehmen!«

»Versprochen ist versprochen und wird gehalten«, lachte Alex.

Die Blicke, die sich ihre Eltern zuwarfen, bemerkte sie nicht.

*

Im Pfarrhaus hatte Sophie Tappert das Abendessen vorbereitet. Ungeduldig schaute sie auf die Uhr. Es war sehr ungewöhnlich, daß Max Trenker nicht pünktlich zum Essen erschien. Der Bruder des Geistlichen ließ sich, wenn es irgend möglich war, nie eine Mahlzeit entgehen. Wenn es doch einmal nicht ging, dann sagte er zumindest rechtzeitig Bescheid, daß er verhindert ist.

Sebastian kam aus seinem Arbeitszimmer.

»Nanu, Max ist noch net da?« fragte er erstaunt.

»Ich weiß auch net, wo er bleibt«, antwortete seine Haushälterin. »Er ist doch sonst immer der erste bei Tisch.«

Sie deutete auf die Pfanne mit Bratkartoffeln.

»Die werden auch net besser, wenn’s noch lang’ auf dem Herd steh’n.«

Der Bergpfarrer öffnete den Kühlschrank und nahm zwei Flaschen Bier heraus.

»Naja, er wird wohl gleich kommen«, meinte er und setzte sich.

Auf dem Tisch stand eine Schüssel Sauerfleisch. Sophie Tappert hatte es am Vortag zubereitet. Mit Bratkartoffeln und Remouladensauce war das ein Leckerbissen, zu dem das Bier gerade richtig paßte.

Endlich hörten sie die Haustür gehen.

»Entschuldigt«, bat Max, als er in der Küche stand. »Aber heut’ geht alles verquer!«

Er nahm ebenfalls Platz, und Sophie füllte die Bratkartoffeln in eine Schüssel um.

»Was hat’s denn gegeben?« erkundigte sich Sebastian.

Der Polizeibeamte winkte ab.

»Ach, ein völliges Durcheinander mit dem Computer. Ich wollt’ ein neues Programm installieren, und dabei ist er mir dreimal total abgestürzt.

Und als ich’s endlich geschafft hab’, ruft mich der Moosinger an. Von seiner Weide sind drei Kühe gestohlen worden. Da kannst’ dir ja vorstellen, was das für eine Aufregung war.«

»Schon«, nickte Sebastian. »Aber der Moosingerhof gehört doch gar net mehr zu deinem Bereich. Da ist doch der Wolfgang Weilinger aus Marienweih zuständig.«

»Eigentlich ja«, nickte Max und langte bei den Bratkartoffen ordentlich zu. »Aber der ist auf einem Lehrgang, und wir anderen teilen uns seine Arbeit. Ausgerechnet heut’ hat’s mich getroffen.«

»Hast’ denn schon einen Anhaltspunkt auf den, oder die Täter?«

Der Polizist machte ein saures Gesicht.

»Viel ist es net. Außer, daß die Burschen – ich geh’ davon aus, daß es mindestens zwei waren, äußerst dreist vorgegangen sind. Die haben nämlich am hellen Tag die Viecher auf einen Wagen

getrieben. Die entsprechenden Spuren sind da. Am Mittag waren die Kühe noch vollzählig. Als der Knecht sie jetzt zum Melken zusammentreiben wollte, bemerkte er, daß drei fehlen.

Ich muß nachher gleich noch in die Stadt und die Gipsabdrücke von den Reifen zu den Kollegen von der Kriminaltechnik bringen.«

»Ach, du Armer, da hast’ ja noch gar keinen Feierabend.«

»Leider net«, bedauerte Max. »Und nachher kommt die Claudia!«

Der Polizist hatte die attraktive Journalistin bei einer Verkehrskontrolle kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Seit die beiden ein Paar waren, hatte der fesche Max Trenker keine Augen mehr für andere Madeln, und Sebastian hegte die leise Hoffnung, daß sein Bruder nun doch noch sein Junggesellendasein aufgeben würde.

Leider sahen sich Max und Claudia viel zu selten. Sie arbeitete bei der Zeitung in Garmisch Partenkirchen, während der Ordnungshüter in St. Johann seinen Dienst versah. Oft blieben ihnen nur kurze Besuche, um zusammen zu sein, und niemand bedauerte das mehr als der Polizist.

»Na, da hat sie vielleicht Lust auf eine Partie Schach, während sie auf dich wartet«, überlegte der Pfarrer.

»Ich fürcht’ nur, es wird net bei einer Partie bleiben«, antwortete sein Bruder. »Der Moosinger besteht nämlich darauf, daß wir heut’ nacht an seiner Weide Wache schieben. Er hat Angst, die Viehdiebe könnten noch einmal zurückkommen.«

»Eine Angst, die vielleicht net ganz unberechtigt ist«, gab Sebastian zu bedenken. »Der Erfolg vom Nachmittag könnte die Burschen so sicher gemacht haben, daß sie’s tatsächlich noch mal versuchen.«

»Eben. Und darum werd’ ich wohl in den sauren Apfel beißen und eine Nachtschicht einlegen müssen.«

Sophie Tappert hatte bisher schweigend daneben gesessen. Sie war von Natur aus eher schweigsam, nur gegen Max konnte sie dann und wann spitze Pfeile abschießen, wenn ihr seine Eskapaden mal wieder gegen den Strich gingen. Aber das gehörte, seitdem es Claudia Bachinger gab, eigentlich der Vergangenheit an.

Jetzt äußerte sie sich doch zu der Angelegenheit.«

»Was sind das bloß für Leute?« fragte sie empört. »Ich hab’ gedacht, so was gibt’s bloß im Wilden Westen!«

»Leider net, Frau Tappert«, antwortete Sebastian. »Manchmal könnt’ man den Eindruck haben, daß der Wilde Westen früher friedlicher war, als uns’re heutige Zeit.«

Er wandte sich an seinen Bruder.

»Also, wenn du’s möchtest, dann komm’ ich heut’ nacht mit auf die Pirsch.«

»Dank’ schön«, wehrte Max ab. »Ich nehm’ noch einen Kollegen vom Revier aus der Kreisstadt mit. Kümmer’ du dich lieber um Claudia. Morgen ist ja Samstag. Da hab’ ich frei und kann den ganzen Tag für sie dasein.«

»Ist recht«, nickte der Bergpfarrer.

Eine spannende Schachpartie war gewiß auch angenehmer, als eine Nacht im Polizeiwagen zu verbringen. Er wußte aber auch, daß er in Gedanken bei seinem Bruder und dem Fall der gestohlenen Kühe sein würde.

*

»Meinst’ wirklich, daß die noch mal zurückkommen?«

Franz Pahler sah seinen Kollegen stirnrunzelnd an. Max zuckte die Schulter.

»Wahrscheinlich net.«

Die beiden Polizisten saßen in ihrem Streifenwagen, den sie am Rande der Weide des Moosingerbauern, unter Sträuchern versteckt, abgestellt hatten. In kaum zwei Kilometern Entfernung lag Marienweih, der Bauernhof befand sich etwas außerhalb.

»Warum sitzen wir dann hier rum?« fragte der Beamte aus der Kreisstadt.

»Weil’s der Wunsch vom Moosinger ist. Als ordentlicher Steuerzahler haben er und sein Eigentum Anspruch auf den Schutz durch die Polizei. Außerdem weiß man ja net, ob die Viehdiebe net doch so dreist sind und es nochmal versuchen. Und dann möcht’ ich zur Stelle sein. Ich bin nämlich stinksauer auf die Burschen, die mir den Abend verderben.«

Er lachte grimmig.

Der Mond schob sich langsam durch die Wolken. Dadurch wurde es ein wenig heller. Franz Pahler gähnte verhalten. Auf der Weide lagen die Kühe und schliefen. Sechzehn Stück hatten die Beamten gezählt.

»Die haben’s gut, die Rindviecher«, sagte der Polizist. »Ich würd’ jetzt auch lieber in meinem Bett liegen.«

»Dann mach’ doch ein bissel die Augen zu«, bot Max an. »Ich weck’ dich, wenn was ist.«

Er öffnete die Wagentür und stieg aus.

»Inzwischen dreh’ ich meine Runde.«

Sie hatten verabredet, jeweils in Abstand von einer Stunde, einen Rundgang um die Weide zu machen. Rechts grenzte sie an die Landstraße, von dort waren die Diebe vermutlich gekommen. Links begann der Bergwald, der zum Ainringer Forst gehörte. Auch da konnte ein Viehtransporter über den breiten Waldweg fahren. Es bestand also auch die Möglichkeit, daß die Burschen sich von der Seite näherten.

Allerdings glaubte Max gar nicht daran, daß in dieser Nacht etwas geschah. So skrupellos waren, seiner Meinung nach, die Viehdiebe nicht.

Er knöpfte seine Uniformjacke zu und setzte die Mütze auf. Am Gürtel hing die Pistolentasche. Sicher war sicher, obgleich Max nie in seinem Leben von der Dienstwaffe hatte Gebrauch machen müssen – worüber er heilfroh war. Wenn er sonst seine Streifen fuhr und es mal Ärger gab, versuchte er es, die Leute mit Worten zu überzeugen, anstatt mit Waffengewalt.

Er hatte die Hälfte der Weide umrundet. Auf der Landstraße regte sich überhaupt nichts. Marienweih schien zu schlafen, nur wenn er ganz still stand und lauschte, dann konnte er leisen Lärm vernehmen, den der Wind herübertrug. Offenbar ging’s im ›Hirschen‹ noch hoch her.

Na, da wird sich der Wolfgang wohl mal mehr um die Einhaltung der Sperrstunde kümmern müssen, dachte Max und setzte seinen Weg fort.

Da das Mondlicht genug Helligkeit schenkte, verzichtete er auf eine Taschenlampe, die er in der linken Hand trug.

Erst als der Weg wieder schlechter wurde, schaltete er sie ein. Am Weidezaun blieb er stehen und schaute zur Straße hinüber. Aus Richtung St. Johann näherte sich ein Wagen. Erst waren es nur die Scheinwerfer, die er sah, dann hörte er das Motorengeräusch. Das Auto schoß an der Weide vorbei und verschwand in Richtung Waldeck.

Max schüttelte den Kopf. Bei einer Verkehrskontrolle wäre der Fahrer mit Sicherheit seinen Führerschein losgeworden. Auf der Straße galt eine Geschwindigkeitsbegrenzung unter Hundert. Der Wagen hatte mindestens hundertzwanzig Stundenkilometer drauf.

Fahr nur, dachte der Polizist. Irgendwann haben wir dich.

Während er weiterging, überlegte er, wie es jetzt wohl Claudia ging. Bestimmt hatte sie einen schönen Abend im Pfarrhaus verbracht, und es ärgerte ihn doppelt, jetzt hier umher marschieren zu müssen.

Plötzlich blieb er stehen. Schnuppernd drehte er sich um. Das war zweifellos Rauch, der ihm da in die Nase stieg!

Brannte etwa der Wald? Oder hatte nur jemand, leichtsinnigerweise, ein Lagerfeuer gemacht?

Der junge Polizist orientierte sich. Der Rauch kam aus dem Wald hinter ihm. Langsam pirschte er sich vorwärts. Dichtes Gestrüpp versperrte ihm die Sicht. Dann konnte er einen Lichtschein erspähen, der durch die Äste drang.

Ein Lagerfeuer!

Da soll doch einer d’reinschlagen! Was war das bloß für ein Depp, der mitten im Wald ein Feuer machte? Noch dazu um diese Jahreszeit!

Immer noch Vorsicht walten lassend, ging Max näher heran.

Handelte es sich um die Viehdiebe?

Innerlich schüttelte er den Kopf. Warum sollten die hier ein Feuer machen? Bestimmt nicht, um eines der Rinder zu grillen.

Er steckte hinter einem Gebüsch, und wer immer da am Feuer hockte, er konnte den Beamten nicht sehen, zumal er

aus dem hellen Feuerschein ins Dunkle blickte.

Es war ein einzelner Mann, der dort saß. Er hatte so etwas wie einen Spieß in der Hand, den er über den Flammen drehte. Erst jetzt nahm der Polizist noch einen anderen Geruch wahr – den von gebratenem Hühnchen!

Der Mann am Feuer, der Packen neben ihm, das Huhn am Spieß – all dies ließ keinen anderen Schluß zu, als daß es sich um einen Landstreicher handelte, der sich ein spätes Abendessen zubereitete. Max hätte jeden Betrag darauf verwettet, daß der Bursche das Federvieh gestohlen hatte!

*

»Sagen S’ mal, sind S’ eigentlich narrisch geworden?« rief der Beamte und trat aus seinem Versteck.

Mit einem Schrei sprang der Mann auf und ließ das Huhn in die Flammen fallen. Glut zischte auf und spritzte zur Seite. Als habe der Polizist es befohlen, hob er die Hände. Er war völlig verdattert. Wahrscheinlich hatte er sich hier sicher gefühlt und nicht damit gerechnet, daß ihn jemand aufstöbern würde. Jetzt stand er da und zitterte wie Espenlaub. Dabei blinzelte er mit den Augen, um zu erkennen, wer ihn da so erschreckt hatte.

»Wissen S’ net, daß das Feuermachen im Wald verboten ist?« herrschte Max ihn an und trat in den Lichtschein.

»Max Trenker, Sie sind’s«, hörte er die erleichterte Stimme, die ihm im selben Moment bekannt vorkam.

»Der Moislinger-Karl!«

»Richtig«, freute sich der Landstreicher. »Mann, da bin ich aber froh, daß Sie’s sind. Ich hab’ schon geglaubt, mein letztes Stündlein hätt geschlagen.«

Der Polizist schüttelte den Kopf.

»Karl, was machen S’ bloß für Sachen?« fragte er.

Der bückte sich und griff nach dem Spieß mit dem Huhn daran, um zu retten, was noch zu retten war.

»Tut mir leid, Max«, sagte der Landstreicher. »Aber ich hätt’ saufgepaßt, daß nix passiert.«

»Darum geht’s net. Der Wald ist um diese Jahreszeit knochentrocken. Da ist’s einfach unverantwortlich, ein Feuer zu machen.«

»Natürlich«, nickte der Ertappte.

In seinen Augen blitzte es auf.

»Wie geht’s denn Ihrem Herrn Bruder?« fragte er. »Ist Hochwürden wohlauf?«

Sebastian hatte den obdachlosen Karl Moislinger mal auf einer Bergtour gefunden, als der Landstreicher hungrig und verletzt in einer Hütte übernachtete. Zum Entsetzen seiner Haushälterin hatte der Geistliche Karl mit ins Pfarrhaus gebracht, wo Dr. Wiesinger sich um ihn kümmerte.

Allerdings war er bei Nacht und Nebel wieder ausgerissen, weil er das geregelte Leben einfach nicht ertrug, wie er sich später entschuldigte.

»Meinem Bruder geht’s sehr gut«, antwortete Max. »Danke, der Nachfrage. Aber lenken S’ net vom Thema ab – woher stammt das Huhn?«

Karl hatte während des Gesprächs die verbrannten Stellen abgepuhlt. Er leckte sich die Lippen, es war ganz offensichtlich, daß er Hunger hatte.

»Durch ehrliche Arbeit erworben«, sagte er mit treuherzigem Augenaufschlag. »Ich hab’ bei einer Bäuerin in Engelsbach, deren Mann mit einem gebrochenen Bein in der Klinik liegt, den halben Tag Holz gehackt. Jetzt reicht der Vorrat für zwei Winter. Zum Dank hat sie mir das Huhn geschenkt. Sie wissen doch – Geld nehm’ ich net. Da hab’ ich ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu. Entweder, man hat es, oder ist glücklich. Ich für mein Teil zieh’ das Glücklichsein vor.«

Max Trenker schmunzelte. Die Geschichte, die Karl da erzählte, klang einigermaßen glaubwürdig. Er kannte ihn ja ein wenig aus der Zeit im Pfarrhaus. Im Zweifelsfalle konnte man das später immer noch nachprüfen.

Der Polizist hatte die Flammen ausgetreten.

»Tut mir leid, Karl, aber das Huhn müssen S’ so essen, wie’s jetzt ist«, meinte er. »Auch wenn’s vielleicht noch net ganz durch ist.«

»Das macht nix«, winkte der Landstreicher ab. »Durchgebraten mag ich’s ohnehin net.«

Er sah Max neugierig an.

»Aber, sagen S’ mal, was machen S’ eigentlich hier im Wald, mitten in der Nacht? Sind S’ etwa auf Verbrecherjagd?«

»So ist’s«, antwortete der Gefragte und erzählte von dem Viehdiebstahl. »Wie lang’ sind S’ eigentlich schon da? Ich mein’, haben S’ etwas Ungewöhnliches bemerkt, in den letzten Stunden?«

Karl schüttelte den Kopf.

»Also, kurz nach sechs bin ich aus Engelsbach weg. Es war schon recht spät, als ich hier ankam. Eigentlich wollt’ ich noch weiter, in die Kreisstadt – wissen S’, am Montag kann ich dort nämlich ein paar Tage arbeiten –, ja ja, jedenfalls hab’ ich dann gedacht, ich leg’ doch hier eine Pause ein. Falls mir jemand über den Weg läuft, und der sieht das Huhn, da kommen ja gleich Gerüchte auf...

Ich hab’ mich also von der Straße aus hierher begeben und ein bissel geschlafen. Als ich dann wach geworden bin, hab’ ich das Federvieh auf den Spieß gesteckt, na, und dann sind Sie gekommen.«

»Also schön, Karl, die Sache mit dem Feuer will ich mal auf sich beruhen lassen«, sagte Max. »Aber es bleibt jetzt aus!«

»Hoch und heilig versprochen!« schwor der Landstreicher.

»Und wenn S’ noch was bemerken – der Streifenwagen steht drüben, an der Weide. Ansonsten – alles Gute.«

»Dank’ schön, Max«, erwiderte Karl Moislinger. »Und grüßen S’ Ihren Herrn Bruder recht schön, und die Frau Tappert, die so wunderbar kocht.«

»Mach ich, Karl. Besuchen S’ uns doch mal, wenn S’ wieder mal in der Gegend sind.«

Als der Beamte zum Streifenwagen zurückkam, schlief Franz Pahler tief und fest. Schnell überprüfte Max, ob noch alle Kühe auf der Weide lagen. Zu seiner Erleichterung war das der Fall.

Das hätte noch gefehlt, daß die Viehdiebe in seiner Abwesenheit erneut zugeschlagen hätten! Denn der Kollege hätte bestimmt nix mitbekommen, so wie der schnarchte!

Nach einer Weile weckte Max ihn, und der andere übernahm die Wache. Allerdings ging der Rest der Nacht ereignislos vorüber. Gegen sieben Uhr am Morgen brachen sie die Aktion ab.

Wahrscheinlich wären auch keine weiteren Kühe gestohlen worden, wenn sie sich nicht die Nacht dort um die Ohren geschlagen hätten. Als gewissenhafter Polizist wollte Max jede Möglichkeit ausschließen.

Auch, wenn sein Privatleben darunter leiden mußte.

*

Alexandra Hofer schlug die Augen auf. Himmel, hab’ ich lang’ geschlafen, dachte sie und sprang aus dem Bett und unter die Dusche.

Ausgeruht und gut gelaunt setzte sie sich an den Tisch in der Küche. Ihre Eltern warteten bereits, und es begann ein langes und ausgiebiges Frühstück. Alex hatte es immer bekommen, wenn sie in den Semesterferien zu Hause war, und heute, an ihrem ersten Tag, sollte es auch etwas Besonderes für sie sein.

Gespannt schauten sie später die Post durch, ein Brief für die frischgebackene Bibliothekarin war allerdings nicht darunter.

»Macht nix«, winkte das Madel ab. »Das wird schon noch. Nachher geh’ ich gleich erst einmal zu Pfarrer Trenker hinüber.«

Doch bevor es dazu kam, rief Lilo an. Die Freundin wollte sich vergewissern, ob es bei der Verabredung für den Nachmittag blieb. Alex hatte am Abend zuvor die Stirn gerunzelt, als sie erfuhr, daß die Wanderung auf die Kanderer Alm erst nach dem Mittagessen beginnen sollte. Normalerweise ging man am frühen Morgen los.

Mit der Frage, warum sie so spät starten wollte, hatte sie Lilo in arge Verlegenheit gebracht.

»Weil ich am Vormittag erst zu meiner Schwiegermutter muß«, redete sie sich schließlich heraus.

»Ich geh’ dann, Mutti«, verabschiedete sich Alex.

Bis zur Kirche waren es kaum drei Minuten zu laufen. Als sie im Pfarrhaus klingelte, öffnete der Geistliche selbst. »Alexandra – herzlich willkommen in der Heimat«, begrüßte er sie. »Schön, daß du da bist. Herzlichen Glückwunsch übrigens noch zur bestandenen Prüfung. Die Mutter hat mir erzählt, wie gut du abgeschnitten hast. Und jetzt willst’ dich um uns’re Bücher kümmern? Wart’, ich hol’ eben den Schlüssel, dann können wir gehen.«

Die Gemeindebücherei war in einem Raum im hintersten Teil des Rathauses untergebracht. Sebastian schloß auf, und der typische Geruch alter Bücher schlug ihnen entgegen. Der Raum war nicht sonderlich groß und hatte nur ein kleines Fenster, das zum Hof hinausging.

Nachdem sie Licht gemacht hatten, sahen sie sich um. An den Wänden und quer dazu waren Regale, in denen die Bücher standen. Es gab noch eine grobe Ordnung, eingeteilt in Kinderbücher, Romane, Sachthemen. Allerdings fanden sich keine Listen mehr, die irgendwann einmal weggeräumt worden sind, und seither nicht mehr aufzufinden waren. Auf den ersten Blick schätzte Sebastian, daß es sich um etwa zweitausend Bücher handelte.

Vor dem Fenster stand ein langer Tisch, mit einem Stuhl dahinter. Alex’ künftiger Arbeitsplatz. Sie pustete den Staub herunter und setzte sich.

»Da kommt einiges auf dich zu«, meinte der Bergpfarrer.

Sie nickte.

»Allerdings kenn’ ich mich hier ja aus«, lachte Alex.

Früher, als man noch Bücher ausleihen konnte, war sie regelmäßig hergekommen.

»Es fehlt bloß die Ordnung. Wenn man weiß, wie das System funktioniert, dann geht’s relativ schnell. Ich denk’, in zwei Wochen könnt’ man die Ausleihe wieder eröffnen.«

»Das wär’ schön«, entgegnete Sebastian. »Allerdings fürcht’ ich, daß nix daraus wird. Der Gemeinderat hat immer noch kein Geld freigegeben, um eine Bibliothekarin einzustellen. Ich bin ja schon froh, daß du dich bereit erklärt hast, Ordnung zu schaffen. Aber nur für Gotteslohn kann man ja niemanden zumuten, hier fest zu arbeiten.«

»Also, solang’ ich keine Antwort auf meine Bewerbungen bekomm’, mach’ ich’s halt. Und später – vielleicht findet sich jemand, der’s ehrenamtlich übernimmt. Es reicht ja völlig, wenn die Bücherei ein paar Stunden am Tag geöffnet ist.«

Pfarrer Trenker nickte.

»Ja, das wäre natürlich eine Möglichkeit. Dann überlaß’ ich dir gleich den Schlüssel, daß du jederzeit rein und raus kannst. Wann willlst denn anfangen?«

Alex lachte.

»Am liebsten gleich«, antwortete sie. »Aber das geht net. Meine Freundin, Lilo, hat sich in den Kopf gesetzt, am Nachmittag mit mir zur Kandererhütte zu gehen.«

»Aha«, meinte der Seelsorger und drehte sich um, damit sie nicht sah, daß er schmunzelte.

Natürlich wußte er von dem Überraschungsfest, er war ja selber dazu eingeladen worden.

*

»Sag’ mal, wie schaut’s eigentlich bei dir mit der Liebe aus?« wollte Lilo wissen. »Gibt’s da noch diesen süßen Dunkelhaarigen, den ich mal bei dir in München kennengelernt hab’? Ich glaub’, sein Name war Stephan...«

Alexandra schmunzelte.

»Stimmt, Stephan Harland heißt er. Ob’s ihn noch gibt? Ich glaub’ schon. Jedenfalls hab’ ich net gehört, daß er gestorben wär’.«

Lilo gab ihr einen freundschaftlichen Knuff.

»Komm, du weißt schon, was ich mein’.«

Gleich nach dem Mittagessen waren die beiden losgegangen. Bis zur Kanderer-Alm würden sie gut zwei Stunden brauchen. Deshalb hatte Alex auch darauf bestanden, den Rückweg nicht zu Fuß machen zu müssen.

»Müssen wir auch net«, versprach Lilo. »Der Tobias holt uns mit dem Wagen ab.«

Das war nicht einmal gelogen. Am nächsten Morgen würde, wer wollte, mit dem Auto wieder ins Tal fahren können. Aber das wußte Alexandra ja nicht...

»Wie geht’s deinem Mann?« erkundigte sie sich. »Wir haben gestern abend gar net über ihn gesprochen«

»Prima«, lautete die Antwort. »Wenn er so weiter macht, wird er noch Stationsvorsteher.«

Lilo hatte es mit einem Schmunzeln gesagt. Tobias Bachmann war Leiter des Stellwerks und hatte damit eine sehr gute Position inne.

»Aber du willst mir net sagen, ob es da jemanden gibt, an dem dein Herz hängt«, stellte sie fest.

Alex winkte ab. Die Geschichte mit Stephan war längst beendet. Es war auch nie die große Liebe gewesen. Sie hatten sich halt gemocht und später festgestellt, daß es für ein ganzes Leben nicht ausreichte. So etwas passierte millionenmal am Tag auf der Welt.

»In der letzten Phase meines Studiums hatte ich sowieso keine Zeit mehr, an etwas and’res zu denken, als an die bevorstehenden Prüfungen«, erklärte sie. »Allerdings hat’s die Kathie schwer erwischt.«

»Tatsächlich? Wer ist’s denn?«

»Ich glaub net, daß du ihn kennst. Ich hab’ ihn auch erst auf der Abschlußfete das erste Mal geseh’n.«

Sie erzählte, wie die Studienfreundin von einem Moment auf den anderen ihr Herz verlor.

»Und jetzt ziehen die beiden nach Pfarrkirchen und wollen heiraten.«

»Nun sei man net traurig«, sagte Lilo scherzhaft. »Für dich finden wir auch noch einen.«

Allerdings dachte sie dabei an einen ganz bestimmten Mann. Als sie gestern abend nach Hause kam, stand nämlich ein Besucher vor der Tür – Christian, ihr Cousin, der überraschend für das Wochenende nach St. Johann gekommen war.

Im selben Moment, in dem Lilo die scherzhafte Bemerkung machte, fiel ihr ein, daß der gutaussehende Bauingenieur und Alex sehr gut zueinander passen würden...

Natürlich befand er sich inzwischen auch auf der Alm. Tobias hatte die Gäste, darunter auch Alex’ Eltern, mit einem geliehenen Bus hinaufgefahren, wo sie die Ankunft der beiden Madeln erwarteten.

»Dazu ist gar keine Zeit«, wehrte Alex das Angebot ab. »Erst einmal muß ich die Gemeindebücherei von Sankt Johann wieder auf Vordermann bringen.«

Sie hatten während des Gesprächs eine kurze Verschnaufpause eingelegt und gingen jetzt weiter. In einer knappen Stunde würden sie die Hütte erreichen. Lilo freute sich schon irrsinnig auf das Gesicht, das die Freundin machen würde!

Schon vor Wochen hatte sie damit begonnen, die ehemaligen Schulfreunde zusammenzutrommeln, und ein Wiedersehensfest für Alex zu planen. Wie bestellt klappte gleich das erste Wochenende, nach der Rückkehr der jungen Bibliothekarin. Der ersten folgten noch weitere Besprechungen, bis das Programm stand. Franz Thurecker, der Senner droben auf der Hütte, hatte sich bereit erklärt, für eine deftige Brotzeit zu sorgen, während die Gäste sich um die Getränke kümmerten. Und jetzt war es bald soweit – die Überraschungsparty konnte beginnen.

*

»Jetzt haben wir’s gleich geschafft«, sagte Lilo Bachmann und fächelte sich mit der Hand Luft zu.

Der Aufstieg, in der Mittagssonne, war natürlich anstrengender, als wenn sie gleich morgens losgegangen wären.

»Ich bin auch froh«, gestand Alex. »Jetzt, wo ich wohl für eine Weile zu Haus’ bin, werd’ ich mal öfter eine Bergtour machen müssen. Ich bin ja völlig aus dem Training.«

Nach einigen Minuten konnte sie die Almhütte sehen, in der Franz Thurecker als Senner lebte. Es war ein idyllisches Bild, das sich ihnen bot. Das graue verwitterte Holz der Schindeln auf dem Dach war teilweise mit Moos bewachsen. Darauf lag eine Katze und schlief in der Sonne. Aus dem Brunnen, einem halben, ausgehöhlten Baumstamm, in den das Wasser eines Gebirgsbaches geleitet wurde, trank eine Ziege, dahinter grasten Kühe. Von Franz war nichts zu sehen. Die beiden Madeln setzten sich auf eine der Bänke, die auf der kleinen Terrasse vor der Hütte standen und holten tief Luft.

»Niemand daheim?« rief Lilo laut.

Der Senner trat durch die Tür.

»Ah, da seid ihr ja. Servus, ihr beiden«, begrüßte er sie.

Alex sah Lilo fragend an.

»Hat er gewußt, daß wir herkommen?«

Die Freundin lächelte geheimnisvoll.

»Net nur er«, antwortete sie und klatschte in die Hände.

»Rauskommen!«

Hinter Franz drängten sich andere durch die Tür. Zuerst Alex’ Eltern, dann Pfarrer Trenker, Christel Vierberg, Anne Oberlander, Franzi Bachmair, Vroni Bergmeister und, und, und...

Nach den jungen Frauen erschienen die dazugehörigen Männer oder Freunde. Alex bekam den Mund vor Staunen gar nicht wieder zu.

»Überraschung!« riefen alle laut im Chor. »Willkommen zu Hause und bei deinen Freunden.«

»Na, die Überraschung ist euch gelungen«, sagte sie, nachdem sie die Sprache wiedergefunden hatte. »Wer hat sich das bloß ausgedacht?«

Ihr Blick glitt durch die Runde und blieb an Lilo hängen.

»Du natürlich!« lachte sie. »Ich hätt’s mir eigentlich denken können!«

Sie umarmte die Freundin dankbar.

»Mensch, das hast’ ganz toll hingekriegt. Ich freu mich riesig!«

Allerdings sollte ihr Erstaunen noch nicht zu Ende sein. Franz Thurecker klatschte jetzt in die Hände.

»So, ich brauch’ ein, zwei Helfer, der Rest kann sich schon einmal hinsetzen.«

Während Alex nacheinander alle begrüßte, eilte der Senner in die Hütte zurück. Lilo und Ursel Hofer folgten ihm. Ein paar Burschen schoben zwei Tische zu einer Tafel zusammen. Darauf wurde das Essen arrangiert.

Franz hatte ganze Arbeit geleistet! Vom leckeren Specksalat, über selbstgemachten ›Obatzter‹, kernigem Schinken und würzigem Bergkäse, war alles vorbereitet. Es gab Käsespätzle mit Röstzwiebeln, und eine große, breite Pfanne, mit Franz’ berühmten Kalbsgeschnetzeltem. Ein Topf mit Käsefondue stand ebenso bereit, wie knusprige Röstkartoffeln, frische Almbutter und herzhaftes Brot, welches der Senner selbst gebacken hatte.

Fast jeder der Gäste hatte eine Flasche Wein beigesteuert. Alex sah die ganze Pracht und konnte nur noch den Kopf schütteln, so unglaublich war das alles.

Ein junger Mann stand neben ihr.

»Darf ich mich vorstellen?« fragte er. »Ich bin der Christian Reidl. Die Lilo ist meine Cousine. Als ich gestern abend überraschend zu Besuch gekommen bin, wußte ich nix von dem geplanten Fest. Aber Lilo meint, es würd’ Sie net stören, wenn ich mitkomm’.«

»Christian?« fragte sie ungläubig. »Aber..., wir kenn’n uns doch! Du warst früher immer in den Ferien hier.«

»Natürlich!«

Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

»Jetzt fällt’s mir wieder ein. Du warst das kleine Madel mit den dicken Zöpfen.«

»An denen du immer gezogen hast!«

Er grinste wie ein ertappter Bub.

»Na ja, das hat ja auch ziemlich gereizt...«

Sie lachten beide.

»Schön, daß du da bist«, sagte Alex.

Sie drehte sich zu den anderen um, die bereits an den Tischen saßen.

»Ihr habt mir wirklich eine große Freude und Überraschung bereitet. Tausend Dank dafür. Auch dir, Franz, für das tolle Essen. Ich fürcht’ nur, ich kann nix davon essen. Ich werd’ ja schon vom Hingucken dick!«

»Aber, aber«, fiel Christian ihr ins Wort. »Bei deiner Figur?«

»Danke für die Blumen«, antwortete Alex. »Aber, dann laßt uns auch net länger warten, sondern anfangen!«

An dem Tisch, an dem ihre Eltern und Pfarrer Trenker saßen, waren noch Plätze frei. Alex rutschte auf die Bank, und Christian setzte sich neben sie.

»Es ist doch ein schönes Gefühl, zu wissen, daß man solche guten Freunde hat«, sagte Sebastian, der sich ebenso, wie alle anderen, über die gelungene Überraschung freute.

Der Geistliche wandte sich an Christian.

»Du bist also der Bub, der die Alex immer an den Zöpfen gezogen hat«, stellte er fest. »Dafür hat sie dir zum Ausgleich vor das Schienbein getreten.«

Er beugte sich zu dem Madel.

»Ich hoff’, ich hab’ jetzt net das Beichtgeheimnis verletzt...«

Alex verstand den Scherz und lachte.

»Hochwürden, ich geb’ zu, daß ich der Übeltäter war und meine gerechte Strafe empfangen hab’«, sagte Christian Reidl. »Jetzt, so hoff’ ich, werden auch Sie mir Absolution erteilen...«

»Na ja, in Anbetracht der vergangenen Zeit, würd’ ich sagen, die Sache ist verjährt, und Absolution kann erteilt werden«, ging der Seelsorger auf den Spaß ein.

Sie hoben ihre Gläser und prosteten sich zu.

»Aber mich würd’ doch mal interessieren, was aus dem Mädchenschreck von früher geworden ist?« meinte Sebastian Trenker, nachdem er getrunken hatte.

»Ein grundsolider Mensch, der hart arbeitet«, antwortete Christian. »Nein, im Ernst, ich hab’ studiert und arbeite als Bauingenieur für eine große Münchner Firma, die Projekte in ganz Europa betreut. Das fängt bei der Planung an und hört bei der Ausführung auf.«

»Bestimmt eine interessante und abwechslungsreiche

Aufgabe«, nickte Pfarrer Trenker.

»Ja. Man muß sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Kein Bauprojekt gleicht dem anderen. Hinzu kommt, daß man ständig unterwegs ist. Im letzten Jahr hab’ ich soviele Kilometer mit dem Flugzeug zurück gelegt, das reicht bestimmt mehrmals um die Welt.«

Auch an dem anderen Tisch waren fleißig Unterhaltungen im Gange. Alex setzte sich immer abwechselnd zu den alten Freundinnen, denn natürlich wollte jede von ihnen mit ihr sprechen. Das Essen zog sich gut zwei Stunden hin, denn immer wieder stand der eine oder andere auf und ging noch mal an das kleine Büfett, um sich bei den Leckereien zu bedienen.

Franz Thurecker hatte inzwischen die Kühe gemolken, und die frische Abendmilch mit der vom Morgen vermischt und für neuen Käse angesetzt. Nun gesellte er sich zu den Feiernden, zu deren Freude er sich sein Akkordeon umgehängt hatte und musizierte. Es war ein besonderes Ereignis, als im Halbdunkel die Jodler und Jauchzer von den Bergen widerhallten.

*

Karl Moislinger streckte sich geruhsam auf seinem Lager aus. Den halben Tag war er in der Gegend zwischen Marienweih und Waldeck herumgestreunt, auf der Suche nach etwas Eßbarem oder einer kleinen Arbeit, und jetzt war er rechtschaffen müde geworden und hatte sich dorthin zurückgezogen, wo er schon gestern abend gesessen hatte, als der Bruder des Bergpfarrers auf ihn stieß.

Da er immer noch Max Trenkers mahnende Worte im Ohr hatte, verzichtete er darauf, ein Lagerfeuer zu machen. Er hatte ohnehin nichts, das er darüber hätte grillen können. Sein Abendessen bestand aus einer trockenen Semmel und einer Dose Ölsardinen, die ihm eine mitleidige Frau schenkte, nachdem er ihr eine Tür des Kaninchenstalls repariert hatte.

Da der Landstreicher an schmale Kost gewöhnt war, genügte ihm das karge Mahl. Dazu hatte er Wasser getrunken, das er aus einem Bachlauf schöpfte und in eine alte Thermoskanne füllte.

Natürlich wäre ihm ein heißer Kaffee lieber gewesen. Den letzten hatte er gestern morgen getrunken. Bevor er sich an das Holzhacken machte, und mit Wehmut dachte er an das köstliche Essen zurück, das es im Pfarrhaus in St. Johann immer gab. Diese Frau Tappert war wirklich eine begnadete Köchin, das mußte er ihr zugestehen, auch wenn sie ihn in seiner Ehre gekränkt hatte, indem sie ihn bezichtigte, in der Nacht, in der er verschwand, einen Geldschein gestohlen zu haben.

Der fand sich indes wieder an, und Karl hatte Sophie Tappert den Irrtum verziehen. Außerdem war es ja auch schon lange her.

Das Zusammentreffen mit dem Bruder des Herrn Pfarrer hatte jedenfalls schöne Erinnerungen heraufbeschworen, und wenn der Moislinger-Karl nicht so ein freiheitsliebender Mensch wäre, der sich nicht gerne band und unterordnete, dann hätte er es im Pfarrhaus durchaus aushalten können.

Seit dem Wiedersehen mit Max Trenker ging ihm aber auch nicht der Grund aus dem Kopf, warum der Polizist durch den Wald gestreift war – die Viehdiebe!

Karl hielt, wie er es versprochen hatte, Augen und Ohren offen, doch die wenigen Leute, mit denen er sprach, hatten wohl von dem Diebstahl gehört, aber nichts Verdächtiges bemerkt.

Der Landstreicher hatte sich eine Decke übergeworfen. Die Nächte wurden langsam schon wieder kälter. Morgen würde er wohl spätestens gegen Mittag in die Stadt aufbrechen müssen, damit er am Montag morgen pünktlich auf der Arbeitsstelle war. Zwei Tage sollte es dauern, aber das war auch schon genug. Ihm reichten solch kleine gelegentliche Aushilfjobs, um sich mit dem Verdienten eine Zeitlang über Wasser zu halten.

Karl hatte sich gerade in seine Decke eingedreht und die Augen geschlossen, als ihn etwas aufhorchen ließ – das Brummen eines Automotors. Der Lautstärke nach zu schließen, fuhr der Wagen nicht auf der Landstraße, sondern er war schon nahe am Wald.

Sofort richtete sich der Landstreicher wieder auf. Lauschend hob er den Kopf. Kein Zweifel – da fuhr ein Auto langsam am Waldrand entlang, genau dort, wo die Viehweide des Moosingerbauern lag.

Die Viehdiebe waren zurückgekommen, anders konnte es gar nicht sein! Nur, heute war Max Trenker nicht zur Stelle!

Karl verließ seinen Schlafplatz und kroch durch die Büsche nach vorn. Ein paar Meter Wiese trennten die Weide vom Wald. Der Landstreicher blieb zwischen den Sträuchern liegen und beobachtete gespannt das Geschehen.

Drei Männer standen am Rand der Weide, neben dem geparkten Wagen. Ein Kleinlaster, wie Karl auf den ersten Blick sah. Auch wenn es schon später Abend war, ließ das Licht des Mondes doch genug erkennen.

»Los, beeilt euch!« sagte einer der Männer.

Er schien der Anführer zu sein, denn während die beiden anderen damit begannen, die Laderampe des Lasters herunter zu lassen, stand der Mann daneben und rauchte in aller Seelenruhe eine Zigarette.

Karl Moislinger dachte verzweifelt darüber nach, was er tun sollte. Es war alleine nicht in der Lage, die Viehdiebe zu stellen, eines dieser neumodischen Telefone, mit denen man überall telefonieren konnte, besaß er natürlich auch nicht, und bis er nach Marienweih gelaufen war, und die Polizei dort alarmiert hatte, waren die Übeltäter längst über alle Berge.

Er konnte also nur abwarten und beobachten. Von seinem Platz aus bereitete es ihm auch keine Schwierigkeiten. Es war, als säße er im Theater in einer Loge, so gut konnte er sehen, was vor ihm geschah.

Die beiden Männer trieben drei Kühe auf den Wagen hinauf. Dabei waren sie nicht einmal besonders vorsichtig, oder bemüht, keinen Lärm zu machen. Allerdings ahnten sie ja auch nicht, daß sie einen heimlichen Beobachter hatten, und drüben, an der Straße, war ohnehin alles ruhig.

Die Kühe befanden sich auf der Ladefläche, und die drei Männer stiegen wieder ein. Derjenige, der geraucht hatte, warf den Rest seiner neuen Zigarette, die er gerade angesteckt hatte, achtlos zu Boden, bevor er einstieg. Dann lärmte wieder der Motor, der Wagen ruckte an und fuhr los.

Karl erhob sich aus seinem Versteck und lief hinterher. Er war so dicht heran, daß er das Kennzeichen sehen und sich merken konnte. Es war ein Wagen mit dem Stempel der Kreisstadt, er gehörte also entweder jemandem aus der Stadt, oder aus einem der umliegenden Dörfer.

Nachdenklich ging der Alte den Weg zurück. Der Laster war auf die Straße eingebogen und fuhr nun schnell in Richtung Waldeck. Schwer zu sagen, was sein Ziel war, denn von dort aus ging es weiter nach St. Johann, Engelsbach oder zur Stadt.

Karl sah die breiten Reifenspuren, die das Profil in das feuchte Gras gedrückt hatte. Daneben qualmte die Zigarettenkippe. Im ersten Moment wollte der Landstreicher sie austreten, doch dann besann er sich eines Besseren. Er bückte sich, löste vorsichtig die Glut, auf die er trat, nachdem sie zu Boden gefallen war, und steckte die Kippe in die Jackentasche.

Er selber rauchte nicht. Diesem schädlichen Laster hatte er schon vor Jahren abgeschworen. Aber möglicherweise war der Zigarettenrest ein Beweismittel, das, zusammen mit dem Kennzeichen des Lastwagens, die Täter überführen konnte.

Zufrieden ging er zu seinem Lagerplatz zurück und legte sich schlafen. Morgen war ja auch noch ein Tag.

*

»Woll’n wir tanzen?«

Alex sah Christian strahlend an.

»Gern’«, antwortete sie und reichte ihm ihren Arm.

Es war ein tolles Überraschungsfest auf der Kandererhütte geworden. Nach dem herrlichen Essen wurde begeistert zu der Musik getanzt, die der Senner auf seiner ›Quetschkommode‹ zauberte. Franz Thurecker hatte sich als wahrer Virituose entpuppt, und der Beifall war entsprechend.

Noch mehr, als über das Wiedersehen mit den Freundinnen, freute sich Alex darüber, Christian Reidl wiedergetroffen zu haben.

Eine Tatsache, die sie sich gar nicht erklären konnte. Früher war er ihr nämlich wirklich total unsympathisch gewesen. Ein frecher Bub, der sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ärgerte und an ihren Zöpfen zog. Dick und dunkelbraun waren sie gewesen. Heute trug Alex eine andere Frisur, und hatte sich überhaupt verändert. Aus dem Madel von einst, war eine hübsche, junge Frau geworden, die die Blicke der Männer auf sich zog.

Aber auch Christian war ganz anders, als in ihrer Erinnerung. Groß und schlank und doch von kräftiger Statur. Das Gesicht war männlich geschnitten und strahlte Charme und Selbstbewußtsein aus. Keine seiner Bewegungen verriet Unsicherheit.

Mit einem Wort – ein fescher Bursche.

Und jetzt war Alex auf dem besten Wege, sich in ihn zu verlieben!

Den ganzen Abend war er nicht von ihrer Seite gewichen und hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Ganz aufmerksamer Kavalier, schenkte er Wein nach, sorgte dafür, daß die Schale mit dem Salzgebäck nicht leer wurde und forderte sie immer wieder zum Tanzen auf.

Und wie er tanzte!

Alex konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt mit so einem Tanzpartner auf dem Parkett war. Dabei schaute er ihr verträumt in die Augen, daß sie überzeugt war, er müsse bis auf den Grund ihrer Seele blicken können.

Die beiden merkten nicht, daß jede ihrer Bewegungen von Lilo verfolgt wurden. Du liebe Zeit, dachte die Freundin, sollte es doch etwas mit den beiden werden? Es würde sie jedenfalls freuen. Christian war ein toller Mann, und Alex liebte sie, wie eine Schwester. Nichts würde sie sich mehr wünschen, als eines Tages bei ihnen Trauzeuge zu sein.

»Wann mußt’ denn wieder zurück nach München?« fragte Alex.

Sie hatten sich nach dem letzten Tanz mit einem kühlen Schluck erfrischt und gingen ein paar Schritte. Christian machte eine traurige Miene.

»Leider schon morgen abend«, antwortete er. »Montag, in der Früh’, muß ich auf der Baustelle sein.«

Er schaute sie an.

»Warum fragst?«

Das Madel schürzte die Lippen und zuckte mit der Schulter.

»Ach, nur so?«

Christian hielt ihren Arm fest.

»Wirklich – nur so?«

Alex sah zur Seite und antwortete nicht. Was hätte sie ihm denn auch sagen sollen? Daß sie sich bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte?

Nein, das ging beim besten Willen nicht!

Er nahm ihren Kopf in beide Hände und zwang sie so, ihn anzusehen.

»Tut’s dir denn gar net leid, daß ich wieder fort muß?«

Alex’ Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als sie nickte.

»Doch, Christian, das tut es.«

Eine Sekunde sah er sie an, dann beugte er sich zu ihr

und küßte sie zärtlich auf den Mund.

Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, und ihre Hand streichelte seinen Hals, das Haar, und schließlich preßte sie sich ganz fest an ihn.

»Halt mich«, flüsterte sie. »Halt mich ganz fest, damit ich spür’, daß es kein Traum ist.«

»Es ist keiner«, antwortete er ebenso leise. »Denn wir beide gehören zusammen. Ich hab’s vom ersten Augenblick an gewußt, als ich dich gesehen hab’.«

Er strich sanft über ihr Gesicht.

»Ich liebe dich, Alexandra.«

»Ich dich auch, Christian«, antwortete sie mit zitternder Stimme und hielt seine Hand ganz fest.

In dem Trubel war es den anderen gar nicht aufgefallen, daß sie einen Moment nicht dabei waren. Nur Lilo, die sie ganz genau beobachtet hatte, machte ein zufriedenes Gesicht.

*

Sophie Tappert war noch mit den Vorbereitungen für das Sonntagsfrühstück beschäftigt, als Max zur Tür hereinkam.

»Nanu, so früh schon?«

Sie war ehrlich verwundert, denn, daß der Bruder des Pfarrers freiwillig um diese Zeit, am Sonntagmorgen, schon auf den Beinen war, kam äußerst selten vor. Als sie sich umdrehte, gewahrte sie die sauertöpfische Miene des jungen Polizisten.

»Was ist denn passiert, was hat Sie denn so früh aus dem Bett getrieben, Max? Ist was passiert?«

Der winkte ab.

»Fragen S’ bloß net«, antwortete er.

Sebastian kam herein. Er sah auf den ersten Blick, daß da etwas seinem Bruder die Laune verhagelt hatte.

»Wenn der Tag so endet, wie er begann – dann mal gute Nacht!« klagte Max.

Es war ja nicht nur, daß Claudia nicht mehr da war – sie mußte schon gestern abend wieder nach Garmisch zurück – vor vier Stunden, es war noch nicht einmal richtig hell, hatte ihn der Moosingerbauer aus dem Bett geklopft.

»Wieder drei Stück!« brüllte der Bauer. »Und was tut die Polizei? Sie schläft!«

»Nun mal langsam, Moosinger«, hatte Max geantwortet. »Was ist denn überhaupt los?«

Er war ja noch gar nicht richtig wach. Und in diesem Moment wurde ihm wieder einmal bewußt, welch ein Nachteil es war, daß seine Wohnung direkt über dem Revier lag. Natürlich hatte das seine Vorzüge, doch manchmal eben nicht. Wie in diesem Fall!

Anton Moosinger kochte vor Wut.

»Was los ist?« fragte er zurück. »Drei meiner besten Küh’ haben s’ mir wieder von der Weide geholt, diese Viehdiebe, die vermaledeiten!«

Jetzt war Max hellwach.

»Du sollst net fluchen, Moosinger«, sagte er. »Das hört mein Bruder überhaupt net gern. Und deinen Vorwurf, die Polizei würd’ schlafen, den hab’ ich net gehört. Also, jetzt komm’ erstmal herein, und dann von Anfang an.«

»Heut’ morgen, als der Sepp Kleinlein, mein zweiter Knecht, zum Melken hinaus ist, da hat er festgestellt, daß wieder drei Küh’ verschwunden sind. Du mußt was unternehmen, Max. Wenn das so weitergeht, da kann ich bald betteln geh’n. Die Ernte war auch net besonders. Ich hab’ mehr Ausgaben als Einnahmen.«

Nervös nestelte er eine Schachtel Zigaretten hervor und wollte sich eine anstecken. Max Trenker deutete auf ein Schild an der Wand hinter sich.

»Rauchen verboten«, wies er den Bauern darauf hin.

Der steckte verdrießlich die Zigaretten in die Tasche zurück und sah den Beamten fragend an.

»Und was jetzt?«

Max seufzte. Natürlich würde er zum Tatort hinaus müssen und schauen, ob es neue Spuren gab. Dann nach Marienweih fahren und die Leute befragen, ob sie etwas gesehen oder gehört hatten.

Und das noch vor dem Frühstück!

»Also, fahren wir hinüber, und ich werd’ seh’n, was ich tun kann.«

Viel war es allerdings nicht, erzählte Max beim Frühstück im Pfarrhaus. Er war dem Bauern mit dem Streifenwagen hinterher gefahren und an Ort und Stelle ein Protokoll aufgenommen. Die Reifenspuren, die er fand, schienen mit denen vom Freitagabend überein zu stimmen. Auf dem Stück zwischen Landstraße und Waldweg lagen Erdreste. Offenbar hatte der schwere Wagen den Boden so tief eingedrückt, daß sich davon etwas in den Profilen der Reifen abgesetzt hatte. Als die Diebe auf die Straße einbogen, mußte sich der Dreck gelöst haben und heruntergefallen sein. Anhand dieser Spuren konnte Max zumindest die Fahrtrichtung feststellen, die die unbekannten Täter genommen hatten.

Aber da kamen mehrere Möglichkeiten in Betracht, führte die Straße von hier aus ja zu drei Ortschaften.

Anton Moosinger hatte dem Polizeibeamten mißtrauisch zugesehen, als der sich über die Reifenspuren beugte. Zwar hatte sich einiges von dem Gras schon wieder aufgerichtet, doch die Eindrücke waren so tief, daß sie noch gut zu erkennen waren.

»Liest’ jetzt in den Spuren, wie die Indianer, wer die Viehdiebe sind?« fragte er mit ironischem Unterton.

Max sah ihn an und richtete sich auf.

»Beinahe so ist es«, erwiderte er. »Aus ganz bestimmten Merkmalen konnten die Indianer auf vieles schließen, was sie bei der Spurensuche sahen. Genauso ist es hier. Das kriminaltechnische Labor hat herausgefunden, daß die Reifenspuren zu einem Kleinlastwagen deutscher Bauart gehören. Solche Fahrzeuge werden unter anderem auch für Transporte von Vieh verwendet. Sie haben eine hydraulische Laderampe.«

Er sah den Bauern nachdenklich an.

»Allerdings gibt’s davon eine ganze Menge in dieser Gegend. Hast’ net selber so einen auf dem Hof steh’n?«

Der Bauer blickte ihn giftig

an.

»Und, was soll das heißen?« raunzte er. »glaubst’ jetzt vielleicht, daß ich mir mein Vieh selber stehl’?«

Max schüttelte den Kopf.

»Unsinn, das hab’ ich net gesagt. Ich wollt’ nur deutlich machen, daß es beinahe unmöglich ist, alle Fahrzeuge zu überprüfen. Fast jeder Bauer besitzt solch einen Kleinlastwagen.«

»Und, was passiert jetzt weiter?«

»Heut’ nachmittag kommst’ noch mal aufs Revier und bringst deinen Knecht mit.«

»Den Sepp?« fragte der Moosinger unwillig. »Was hat der damit zu tun?«

Der Polizist rollte mit den Augen.

»Ich muß seine Aussage aufnehmen und deine Anzeige ergänzen. Schließlich sind’s jetzt ja schon sechs Küh’, die fehlen. Dann geb’ ich’s noch heut’ weiter an die Kollegen von der Kripo. Die werden sich dann darum kümmern.

Wahrscheinlich werden sie noch mal zu dir herauskommen und dich und den Sepp befragen. Vielleicht gibt’s ja auch noch mehr Viehdiebstähle, net hier bei uns, aber in den an’dren Bezirken. Das muß auch überprüft werden.«

Er sah den Bauern nachdenklich an.

»Bist eigentlich dagegen versichert?«

»Ja freilich. Warum fragst’?«

Max winkte ab.

»Ach, nur so. Dann hält sich dein Schaden ja in Grenzen. Das Geld bekommst ja von der Versicherung zurück.«

»Und dafür erhöhen s’ mir dann die Prämie«, wetterte Anton Moosinger und stieg in seinen Wagen. »Also, dann bis heut nachmittag.«

Max nickte und stieg ebenfalls ein. Wenn er jetzt im Pfarrhaus ankam, dann würden sie dort vielleicht Augen machen. So früh war er sonst nie unterwegs, schon gar nicht am Sonntag.

Kurz vor St. Johann fiel ihm Karl Moislinger ein. Ob der Landstreicher wohl noch eine Nacht an dem Platz im Wald verbracht hatte?

Vielleicht hätt’ ich mal nachseh’n soll’n, dachte Max. Möglicherweise hatte er ja diesmal etwas von dem Viehdiebstahl mitbekommen. Na ja, das konnte er auch am Nachmittag machen. Wenn der Moosingerbauer bei ihm gewesen war, mußte er ohnehin noch mal nach Marienweih fahren und die Leute befragen.

*

»Nanu, so fröhlich und beschwingt?«

Ursel Hofer sah ihre Tochter an, die strahlend vor der Almhütte stand und in die Sonne schaute.

»Ich hab’ gedacht, nach der Feier gestern würdest du müde und erschöpft sein.«

Bis weit nach Mitternacht hatte die Feier gedauert. Nicht alle Gäste waren so lange geblieben, sondern viele hatten sich schon vorher wieder ins Tal fahren lassen. So auch der Pfarrer Trenker, der rechtzeitig zur Abendmesse in der Kirche sein mußte. Immerhin waren es noch acht Leute, die sich die wenigen Zimmer, die Franz Thurecker auf seiner Hütte zu bieten hatte, teilten. Und schlafen im Heu konnte so gemütlich sein!

»Mir geht’s glänzend«, antwortete Alex ihrer Mutter. Den Grund dafür wollte sie ihr allerdings nicht verraten...

Der Senner hatte das Frühstück hergerichtet, und nun saßen sie draußen an den Tischen und genossen es in der Sonne.

Natürlich hatte Christian neben Alex Platz genommen, und verstohlen suchten sich ihre

Hände unter dem Tisch. Von

den anderen schien niemand etwas mitbekommen zu haben, daß die beiden seit dem gestrigen Abend unzertrennlich waren.

»Seh’n wir uns heut’ noch, bevor ich fahr’?« fragte der Bauingenieur, als sie einen Moment alleine waren.

Die anderen waren nach dem Frühstück hineingegangen und halfen Franz beim Aufräumen. Der Senner, der schon vor dem Morgengrauen aufgestanden war und sich um Kühe und Milch gekümmert hatte, mußte sich ja auf neue Gäste einstellen, die möglicherweise zum Mittagessen heraufkamen.

Alex hauchte Christian einen Kuß auf die Lippen.

»Unbedingt«, gab sie zurück. »Sonst halt ich’s net aus, bis wir uns wiedersehen.«

Nachdem sie sich ihre Liebe gestanden hatten, sprachen sie natürlich darüber, daß Christian heute schon wieder zurück nach München mußte. Es verstand sich aber von selbst, daß er so bald wie möglich wiederkommen würde. Frühestens aber erst am Wochenende, wenn auf der Baustelle die Arbeit ruhte.

»Bis dahin werden wir jeden Abend telefonieren«, tröstete sich Alex.

Sie verabredeten sich für den Nachmittag an einer Stelle außerhalb des Dorfes. Natürlich hätte jeder wissen dürfen, daß sie zusammengehörten, doch machte diese harmlose Heimlichtuerei ja gerade den Reiz ihrer Beziehung aus.

Lilos Mann brachte die ersten Gäste ins Tal hinunter. Alex und die Freundin blieben noch auf der Hütte.

»Noch mal tausend Dank für die tolle Überraschung«, sagte die junge Bibliothekarin und umarmte die andere.

»So, hat’s dir also gefallen?«

»Es war wunderschön.«

»Und sonst...?«

Alex sah Lilo frangend an.

»Was meinst’, mit ›und sonst‹?«

Die Freundin stieß sie an.

»Komm, du willst mir doch net erzählen, daß du den ganzen Abend nur mit meinem Cousin getanzt hast, weil sonst keine and’ren Männer da waren?«

Dabei lächelte sie hintergründig. Alex indes wurde rot und verlegen.

»Hast’ es also doch mitbekommen?«

Jetzt lachte Lilo laut auf.

»Ja glaubst’ denn, ich bin blind?«

Sie umarmte Alex.

»Mensch, ich freu’ mich doch für euch«, sagte sie, während sie die Freundin fest an sich drückte. »Der Christian ist so ein prima Kerl, und was du mir bedeutest, daß weißt’ doch wohl hoffentlich.«

»Aber Lilo«, nickte sie. »Schad’ ist nur, daß er heut’ schon wieder fort muß.«

»Naja, ein bissel werdet ihr euch daran gewöhnen müssen, daß ihr erstmal eine Wochenendbeziehung führt. Aber später einmal...«

Soweit dachte Alexandra noch gar nicht. Noch war ihre Liebe zu Christian zu jung, um sich über die Zukunft Gedanken zu machen.

Am Nachmittag trafen sie sich unterhalb des Höllenbruchs, hinter dem der Ainringer Wald begann. Der Bauingenieur hatte schon ungeduldig gewartet und riß sie stürmisch in seine Arme, als Alex vor ihm stand.

»Himmel, wie soll ich’s bloß bis zum nächsten Wochenend’ aushalten?« fragte er, nach einem langen, liebevollen Kuß. »Am liebsten wär’s mir, wenn ich gar net wieder fort müßt’!«

»Ach, das wär’ das Schönste überhaupt«, seufzte das Madel und hing sich bei ihm ein.

Während sie durch den Forst spazierten, erzählte Christian aus seinem Leben.

Zu Hause war er in der Nähe von Nürnberg, seine Eltern besaßen dort eine Bäckerei. Die Mutter war eine Schwester von Lilos Vater. Eigentlich hätte der Bub einmal das Bäckerhandwerk erlernen sollen, und später den väterlichen Betrieb übernehmen. Doch schon früh hatten seine Lehrer erkannt, welche technische Begabung in ihm steckte. Nach vielen Gesprächen willigte der Vater endlich ein, daß der Sohn, statt eine Lehre zu beginnen, das Abitur machte und danach studierte.

Bis zum Besuch des Gymnasiums hatte Christian in den Ferien immer wieder mal Onkel und Tante in St. Johann besucht, und dabei jene bewußten Streiche verübt.

Während sie darauf gewartet hatte, daß die Zeit bis zum Treffen verstrich, überlegte Alexandra, ob es wohl eine andere Frau in Christians Leben gab. Im ersten Rausch der Liebe hatte sie es gar nicht wissen wollen. Doch jetzt stellte sie ihm diese Frage.

Christian zögerte nicht einen Moment mit der Antwort.

»Nein«, sagte er ernst. »Natürlich hat es sie gegeben, genauso, wie ich bestimmt net deine erste große Liebe bin. Aber die Frau, von der ich glaubte, daß ich den Rest meines Lebens verbring’, mit der hab’ ich seit Monaten kein Wort mehr gesprochen.«

Ohne etwas zu beschönigen, erzählte er von seiner Beziehung zu Carmen Alten. Die junge und nicht unattraktive Frau hatte er auf einer Einweihungsfeier kennengelernt. Carmens Vater, ein reicher Industriekaufmann, war der Auftraggeber für ein neues Eisenwerk, das von der Firma gebaut worden war, für die Christian tätig war. Er hatte die Bauleitung für das Projekt gehabt.

Allerdings hielt die Beziehung nicht das, was sie zu Anfang versprach. Schuld war, nach Carmens Worten die ständige Abwesenheit Christians, den sie lieber mehr an sich gebunden hätte. Doch sein Beruf brachte es nun einmal mit sich, daß er fortwährend im In- und Ausland unterwegs war. Nach mehreren Auseinandersetzungen, weil sie Partys und Freunde alleine besuchen mußte, beendete die selbstbewußte Mittzwanzigerin die Beziehung.

Die Art und Weise war zwar unschön, aber so ganz ungelegen kam Christian das Ende nicht, hatte er doch bereits seit längerem bemerkt, daß sie beide einfach zu unterschiedliche Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft hatten.

»Und bei dir?« wollte er wissen.

Alex lachte.

»Also, mehr, als zwei, drei Namen würden net auf der Liste steh’n«, antwortete sie. »Wenn’s denn eine gäbe.«

Natürlich hatte auch sie sich dem anderen Gechlecht gegenüber nicht so verhalten, als gäbe es dieses nicht. Aber ihr Eifer, mit dem sie sich in das Studium gestürzt hatte, ließ ihr gar keine Zeit für große Gefühle. Nein, dieses wunderbare Klopfen des Herzens, das Nichtmehratmen-können, wenn der andere unverhofft auftauchte, das Kribbeln im Bauch, als wären lauter Schmetterlinge darin – das alles hatte sie gestern abend zum ersten Mal empfunden.

Alexandra hatte noch keinen anderen Mann so sehr geliebt, wie Christian Reidl!

Beinahe drei Stunden verbrachten sie zusammen, dann hieß es, Abschied nehmen.