Der Bergpfarrer Jubiläumsbox 6 – Heimatroman - Toni Waidacher - E-Book

Der Bergpfarrer Jubiläumsbox 6 – Heimatroman E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Sichern Sie sich jetzt die Jubiläumsbox - 6 Romane erhalten, nur 5 bezahlen! Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 10 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Unter anderem gingen auch mehrere Spielfilme im ZDF mit Millionen Zuschauern daraus hervor. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. In Spannungsreihen wie "Irrlicht" und "Gaslicht" erzählt er von überrealen Phänomenen, markiert er als Suchender Diesseits und Jenseits mit bewundernswerter Eleganz. E-Book 29: Gegen seinen Willen verliebt E-Book 30: Das falsche Testament E-Book 31: Mein Herz gehört zu dir! E-Book 32: Verliebt in einen Betrüger? E-Book 33: Bin ich bei dir endlich zuhaus'? E-Book 34: Schweigende Schönheit

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Inhalt

Gegen seinen Willen verliebt

Das falsche Testament

Mein Herz gehört zu dir!

Verliebt in einen Betrüger?

Bin ich bei dir endlich zuhaus’?

Schweigende Schönheit

Der Bergpfarrer – Jubiläumsbox 6–

E-Book: 29 - 34

Toni Waidacher

Gegen seinen Willen verliebt

Thomas und die neue Magd auf dem Starnerhof

Roman von Toni Waidacher

»Los, los, beeilt euch«, rief Therese Angerer, die alte Magd vom Starnerhof, den Leuten am Tisch zu. »Der Bauer ist schon auf den Hof gefahren. Ihr wißt, daß er’s net gern sieht, wenn ihr zu lang’ Pause macht.«

Die beiden Knechte und die jüngere Magd sahen sich an.

»Man wird ja wohl noch in Ruhe seine Mahlzeit einnehmen dürfen«, murrte Franz Sonnenleitner, der Altknecht.

»Ich weiß eigentlich gar net, warum ich mir das antu’. Vor Jahren schon hätt’ ich gehen sollen, anstatt mir die ständigen Launen des Bauern gefallen zu lassen.«

Die anderen am Tisch nickten beifällig, während Franz betont langsam sein Glas nahm und leerte.

»Dann frag’ ich mich, warum du net längst gegangen bist«, erklang es scharf von der Tür her. »Ich halt’ dich gewiß net.«

Thomas Starner stand in der Küche und sah von einem zum anderen.

»Das gleiche gilt für euch«, fuhr er fort. »Wem’s bei mir net paßt, der kann gehen. Und jetzt schaut zu, daß ihr an die Arbeit kommt. Ich bezahl’ euch net fürs Nixtun!«

Wie unter Peitschenhieben geduckt standen die beiden Männer und die junge Magd auf und verließen die Küche. Therese Angerer hingegen räumte das Geschirr ab und stellte dem Bauern wortlos einen sauberen Teller hin. Dazu den Topf mit der heißen Suppe. Thomas Starner schob den Teller achtlos beiseite.

»Nun sag’s schon«, forderte er die Magd auf. »Sag’ mir, daß ich ein ungerechter Patron bin, mit dem kein Auskommen ist. Daß die Leut’ mich mehr fürchten als respektieren, überhaupt, daß ich der schlechteste Mensch der Welt bin.«

Therese sah ihn einen Moment schweigend an.

»Es hätt’ keinen Sinn, wenn ich’s täte«, antwortete sie endlich. »Ich hab’s ja oft genug getan, aber geändert hat’s nix.«

Sie betrachtete den jungen Mann und erinnerte sich, wie er früher ausgesehen hatte. Ein hübscher Bursche war er gewesen, als Bub, aus dem ein Prachtkerl von einem Mann geworden war. Wenn er nur net so hart gegen sich und andere wär’!

Die Magd hatte schon bei Thomas’ Eltern in Diensten gestanden, sie kannte ihn vom ersten Tag seiner Geburt.

Früher war er nicht so gewesen, da hatte ein ganz anderer Ton auf dem Starnerhof geherrscht.

Ach, Gott, wie lang’ war das schon her! Nur zu gut erinnerte sie sich an den dunklen Tag vor fünf Jahren, der von einem Moment auf den anderen ihrer aller Leben veränderte.

»Ist Florian noch net da?« unterbrach Thomas ihre Gedanken.

»Nein, aber der Schulbus müßt’ jeden Moment kommen.«

Der Bauer stand auf.

»Ich mag nix essen«, sagte er. »Vielleicht am Abend. Wenn der Bub fertig ist, soll er sich umziehen und zu mir in die Stube kommen.«

»Ist recht«, nickte Therese.

Sie sah ihm nach, wie er mit hängenden Schultern die Küche verließ und ins Wohnzimmer hinüberging, am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen und getröstet.

Als der siebenjährige Florian von der Schule nach Hause kam, ließ sie sich nichts mehr anmerken. Fröhlich scherzte sie mit dem blonden Buben und gab ihm zu essen. Während der Bauernsohn sich die Suppe schmekken ließ, ging die Magd hinaus in den Garten und schnitt einen Strauß bunter Blumen ab. Sie ordnete sie zu einem schönen Gebinde und wickelte es in Papier ein.

»Den nimmst nachher mit zur Mama«, sagte sie zu Florian. »Aber vorher ziehst deine gute Hose und das Sonntagshemd an. Und vergiß den grauen Janker net. Dein Vater wartet im Wohnzimmer auf dich.«

»Ja, Therese«, nickte der Bub brav. »Hilfst du mir später bei den Hausaufgaben? Wir haben drei Rechenaufgaben auf.«

»Freilich helf’ ich dir«, versprach sie und strich ihm über den Schopf. »Und jetzt beeil’ dich.«

*

Thomas Starner saß in der gemütlich eingerichteten Bauernstube und starrte dumpf brütend vor sich hin. In den Händen hielt er das Bild seiner Frau, das er so viele Male schon angeschaut hatte, daß es ganz abgegriffen war.

»Ach, Christel«, murmelte er leise. »Warum nur hast uns verlassen?«

Sein Blick fiel auf den Kalender an der Wand. Das heutige Datum war mit einem roten Stift unterstrichen. Allerdings hätte es dieser Erinnerung nicht bedurft, niemals im Leben würde Thomas Starner den Tag vergessen, an dem seine geliebte Frau tödlich verunglückte.

Er schluckte und unterdrückte die aufsteigenden Tränen, als die Stubentür aufgerissen wurde, und Florian hereinstürmte. Kreischend warf sich der Bub auf den Vater und forderte ihn zum Herumtollen heraus. Wenngleich Thomas überhaupt nicht danach zumute war, so konnte er seinem Sohn den Wunsch doch nicht abschlagen, und schon bald rollten sie sich lachend über den Teppich.

»Jetzt ist’s gut«, mahnte der Bauer mit sanftem Nachdruck. »Du weißt, daß wir noch ins Dorf hinunter müssen.«

So hart er gegen sich und andere war, so liebevoll und nachsichtig war Thomas Starner zu seinem Sohn. Er liebte ihn über alles und würde sich ein Bein für ihn ausgerissen haben, wenn es denn gefordert würde. Doch jetzt mußte es genug der Toberei sein. Es war der fünfte Todestag der Ehefrau und Mutter, und der Blumenstrauß, der in der Küche wartete, war für das Grab bestimmt.

Hand in Hand standen Vater und Sohn eine Stunde später auf dem Kirchhof in St. Johann. Thomas hatte die Blumen zurechtgestellt, und Florian durfte ein neues Licht anzünden.

»Papa, ich kann mich gar net mehr an die Mama erinnern«, sagte der Bub, und seine Stimme hatte einen traurigen Klang.

Sein Vater drückte die kleine Hand.

»Na ja, du warst halt noch zu klein, als die Mama von uns gegangen ist.«

Florian betrachtete das Bildchen, das an dem schlichten Holzkreuz angebracht war.

»Ob sie uns jetzt wohl sehen kann?« wollte er wissen.

»Ganz bestimmt sogar«, erwiderte Thomas mit heiserer Stimme. »Ich hab’s dir doch schon oft gesagt: Die Mama ist droben im Himmel, beim lieben Gott, und schaut uns von dort aus zu. Und immer wenn Gefahr droht, schickt sie einen Engel, der uns vor jedem Unglück behütet.«

Zusammen sprachen sie ein Gebet, dann verließen sie, nach einem letzten Blick aufs Grab, den Kirchhof. Sie hatten eben die eiserne Pforte hinter sich geschlossen, als Sebastian Trenker vom Pfarrhaus herüberkam.

»Servus, ihr zwei«, grüßte er. »Wie geht’s euch?«

Er reichte dem Bauern die Hand und strich dem Buben über den Kopf. Natürlich wußte er, was heute für ein Tag war.

»Es ist halt nicht leicht ohne Frau«, antwortete Thomas auf die Frage des Pfarrers.

Er ließ seinen Sohn los und nickte ihm zu.

»Lauf schon mal los. Ich komm’ gleich nach.«

»Ich kann dich verstehn«, sagte der Geistliche. »Aber meinst net, daß fünf Jahre Trauer genug sind? Glaubst net, daß es an der Zeit wird, wieder zu heiraten? Dein Hof braucht eine Bäuerin und der Bub eine Mutter.«

Langsam gingen sie den Weg zur Straße hinunter. Florian war schon beim Wagen angekommen.

»Ich weiß«, nickte der Bauer. »Aber ich bring’s einfach net über mich. Alles zu Haus’ erinnert mich an Christel, und wenn ich mir vorstell’, daß eine andere Frau…, nein, ich kann’s net.«

»Auch dafür hab’ ich Verständnis«, entgegnete Sebastian.

»Aber eine andere Frau zu heiraten, bedeutet ja net, daß du deine Christel vergessen sollst. Und es wär’ für alle ein Gewinn, für deinen Sohn ebenso wie für den Hof. Von dir ganz zu schweigen.«

Nachdenklich fuhr Thomas Starner zum Hof zurück. Die Worte des Seelsorgers gingen ihm nicht aus dem Kopf. Nur war es nicht so einfach, wie es gesagt worden war. Es hatte seiner Christel ewige Treue geschworen und würde es als Verrat an ihrer Liebe ansehen, wenn er sich einer anderen Frau zuwandte.

Im Rückspiegel sah er den Kopf seines Sohnes, der im Kindersitz saß und das Spielzeug auspackte, das er bekommen hatte. Natürlich hatte Pfarrer Trenker recht, der Bub brauchte eine Mutter, aber das wußte er schon lange. Ewig konnte Florian nicht am Schürzenzipfel der Magd hängen, wenngleich die Therese sich alle Mühe mit ihm gab. Ein Mutterherz konnte sie nicht ersetzen. Dazu kam, daß sie auch nicht mehr die Jüngste war. Was sollte werden, wenn sie eines Tages – der hoffentlich noch in weiter Ferne lag –, für immer von ihm ging?

Um des Buben willen wär’ Thomas Starner vielleicht bereit gewesen, eine neue Ehe einzugehen. Allerdings gehörten dazu zwei, und Bräute wuchsen net so einfach auf den Bäumen. Seit Christels Tod war der junge Witwer nicht mehr ausgegangen, weder zum Frühschoppen nach dem Kirchgang, und schon gar nicht auf den wöchentlichen Tanzabend im Löwen. Und eigentlich hatte er nicht vor, das zu ändern.

*

Lizzy Traunhöfer kletterte behende die Leiter hoch auf das Scheunendach. In der rechten Hand hielt sie einen kleinen Eimer mit Nägeln und Hammer darin, mit der linken suchte sie Halt an der Leiter.

»Sei bloß vorsichtig«, rief Therese der jungen Magd zu. »Net, daß du durchbrichst.«

»Keine Sorge«, lachte Lizzy. »Aber das Dach muß endlich dicht gemacht werden, sonst verdirbt uns das ganze Heu beim nächsten Regen. Und die Mannsbilder kommen ja net dazu. Hast doch gehört, wie der Bauer geschimpft hat.«

»Ach, der schimpft doch wegen jeder Kleinigkeit.«

»Das laß ihn mal ja net hören«, lachte die Jüngere.

»Reich’ mir mal die Bretter herauf.«

Seit Wochen schon klaffte ein großes Loch in dem Scheunendach, und Thomas Starner hatte mehrfach darüber geschimpft, daß niemand es flickte. Aber es waren einfach zu wenige Leute auf dem Hof, und jetzt, in der Erntezeit, wurde draußen jede Hand gebraucht. Darum hatte

Lizzy sich entschlossen, die Sache selber anzugehen. In den nächsten Tagen kam das Heu rein, Winterfutter für die Kühe. Wenn das verdarb, dann mußte für teures Geld neues gekauft werden. Also hatte die Magd sich Bretter zurechtgeschnitten, Hammer und Nägel herausgesucht und war auf das Dach gestiegen.

»Um Himmels willen, paß bloß auf!« mahnte Therese Angerer noch einmal, während sie die Bretter anreichte.

Sie stand auf der Leiter, und dort wurde ihr schon schwindlig. Doch helles Entsetzten packte sie, als sie sah, wie das junge Madel über das teilweise morsche Holz balancierte.

»Bist narrisch g’worden?« schrie sie auf, als Lizzy absichtlich, um die ältere Frau zu erschrecken, von einem Bein auf das andere hüpfte.

Es war, als sähe sie das Unglück kommen. Die junge Magd knickte um und rutschte ein Stück über das Dach. Vergeblich streckte sie die Hände, um sich festzuhalten, doch es gab nichts, wonach sie greifen konnte, und dann lag sie schon an der Stelle, an der das Holz im Laufe der Jahre besonders brüchig geworden war. Mit einem lauten Krachen stürzte Lizzy in die Tiefe.

So schnell es ihr Alter zuließ, war Therese von der Leiter herunter und in die Scheune gelaufen. Oben auf dem Heuboden erklang ein wehleidiges Klagen.

»Madel, was machst denn für Sachen?!«

Sie beugte sich über Lizzy Traunhöfer.

»Hast’ dir was gebrochen? Tut’s irgendwo weh?«

»Ich glaub’, mein rechter Arm ist gebrochen«, kam die jämmerliche Antwort. »Ich hab’ so’n ganz merkwürdiges Gefühl darin.«

Therese schaute zum Loch hinauf. Es waren vielleicht zweieinhalb Meter Höhe. Altes Heu hatte den Sturz abgefangen und gemildert. Aber Lizzy mußte so unglücklich gefallen sein, daß sie sich dabei den Arm gebrochen hatte.

»Kannst aufsteh’n?« fragte die Ältere.

»Ich denk’ schon.«

Vorsichtig bugsierte Therese sie über die leiternähnliche Treppe des Heubodens nach unten.

»Du mußt zum Doktor«, erklärte sie. »Der Bauer muß dich hinfahren. Na, der wird sich freu’n!«

Lizzy sah sie ängstlich an. Vor dem, was sie gleich zu hören bekam, hatte sie beinahe noch mehr Furcht, als vor der Behandlung durch den Arzt. Dabei hatte sie es doch nur gut gemeint! Allerdings wußte sie auch, daß sie leichtsinnig gehandelt hatte, und durch diesen Leichtsinn fehlte nun eine Arbeitskraft auf dem Star­ner­hof.

Zu ihrer Erleichterung hielt sich der Zorn des Bauern in Grenzen. Natürlich war er darüber verärgert, daß ihm nun eine Magd fehlte. Aber es hätte auch schlimmer ausgehen können.

»Hoffentlich hast daraus gelernt«, sagte er zu Lizzy, als sie ins Dorf hinunterfuhr. »Das Genick hätt’st dir brechen können.«

»Ich weiß«, erwiderte sie kleinlaut. »Es tut mir ja auch leid.«

»Na ja, schon gut.«

Thomas Starner sah sie an.

»Tut’s sehr weh?« fragte er mitfühlend.

Die junge Magd lächelte tapfer. »Es geht.«

Dr. Wiesinger erwartete sie schon. Therese hatte den Arzt telefonisch benachrichtigt, daß Thomas und Lizzy zu ihm unterwegs waren.

»Das ist ein glatter Bruch«, sagte er, nachdem er sich das Röntgenbild angesehen hatte. »Keine große Sache, das heilt wieder. Allerdings – fünf bis sechs Wochen werden S’ den Arm net gebrauchen können.«

Mit dieser Nachricht hatte der Bauer schon gerechnet. Er saß im Wartezimmer, während die Magd im Behandlungsraum war. Jetzt, als er es noch einmal aus dem Mund des Arztes hörte, wußte er, daß er ein Problem hatte. Personal in der Landwirtschaft war, wo kaum noch jemand auf einem Bauernhof arbeiten wollte, ohnehin knapp, und jetzt, in der Erntezeit, sowieso. Aber Ersatz für Lizzy mußte her. Die Arbeit in Haus und Garten war für Therese so schon schwer genug. Er konnte es der alten Magd nicht zumuten, in den nächsten Wochen alles alleine zu schaffen.

Wo er diesen Ersatz allerdings beschaffen sollte, war ihm im Augenblick nicht klar.

*

Maria Harder steuerte ihren uralten Kleinwagen an den rechten Straßenrand und stieg mißgelaunt aus. Alle paar Kilometer machte der Wagen schlapp, dabei hatte sie ihn erst in der Werkstatt gehabt.

Der Blick unter die Motorhaube sagte ihr überhaupt nichts. Von den Schläuchen und Drähten, die sie sah, wußte sie weder wofür sie waren, noch wohin sie führten.

Die junge Frau schlug die Haube wieder zu und stampfte ärgerlich auf. Die Landstraße zog sich etliche Kilometer dahin, seit sie aus dem Dorf herausgefahren war. Vergeblich hatte sie in Engelsberg nach Arbeit gefragt, und jetzt, wo sie auf dem Weg nach St. Johann war, streikte das Auto. Dabei hatte man ihr im Dorf vorher noch Mut gemacht. Der Bauer, bei dem sie nachfragte, verwies sie an einen Hof im Wachnertal, auf dem händeringend eine Magd gesucht würde. Allerdings waren es bis dorthin noch elf Kilometer, und Maria hatte nun wirklich kein Verlangen danach, diese Strecke zu Fuß zurückzulegen.

Aber zu ihrem Kummer fuhren auch keine anderen Autos auf dieser Straße, von denen sie eines hätte anhalten können, nur dann würde sie die Reisetasche mitnehmen müssen. Den Wagen stahl vermutlich niemand, aber vielleicht versuchte man, ihn aufzubrechen, wenn er hier so einsam und verlassen am Straßenrand stand.

Noch während Maria überlegte, kam unerwartet Rettung in Gestalt eines uniformierten Freund und Helfers. Der Polizeiwagen hielt hinter dem Golf, und der Beamte stieg aus.

»Servus«, grüßte er und tippte an den Schirm seiner Dienstmütze, »Hauptwachtmeister Trenker aus Sankt Johann. Kann ich Ihnen helfen?«

Maria Harder deutete auf ihr Auto.

»Ich weiß net, was er hat«, sagte sie. »Dabei war er erst in der Werkstatt.«

Der Bruder des Bergpfarrers ließ sie die Motorhaube öffnen und schaute, ob er den Fehler fand. Zündkabel war fest, die Kerzen schienen neu. Er prüfte hier und da und kam dann mit einem Kopfschütteln wieder zum Vorschein.

»Ich fürcht’, damit müssen S’ noch mal in die Werkstatt«, meinte er. »Haben S’s denn noch weit?«

Er schaute auf das Kennzeichen.

»Ah, wie ich seh’, kommen S’ aus Passau. Wollen S’ dahin zurück?«

»Nein, nein«, antwortete die junge Frau. »Ich muß weiter nach St. Johann. Können S’ mich net mitnehmen?«

Der fesche Max Trenker konnte keiner Frau einen Wunsch abschlagen, und schon gar net, wenn sie so blitzsauber ausschaute, wie diese hier.

»Na ja, eigentlich net«, sagte er. »Aber ich denk’, in diesem Fall kann ich mal eine Ausnahme machen. Wenn S’ Gepäck haben, stellen S’s hinten rein. Den Wagen müssen S’ allerdings noch mit einem Warndreieck sichern, bis Sie ihn abschleppen lassen.«

Aufatmend saß Maria Harder fünf Minuten später neben dem Polizeibeamten, dankbar, daß das Schicksal ihn vorbeigeschickt hatte.

»Zu wem wollen S’ denn in St. Johann?« erkundigte sich Max.

Maria kramte einen Zettel aus ihrer Jackentasche hervor und las den Namen darauf.

»Thomas Starner.«

»Ach, auf den Starnerhof«, nickte der Beamte. »Das ist aber net in St. Johann. Der Berghof liegt gut eine Stunde von dem Dorf entfernt. Aber keine Bange, ich fahr’ Sie natürlich hin. Kennen S’ den Thomas vielleicht?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf und erklärte, wie sie zu dem Namen gekommen war.

»So, dann wollen S’ also als Magd dort anfangen«, stellte Max fest.

»Ja. Wenn die Stelle noch net besetzt ist.«

»Das glaub’ ich net. Im Moment sind Arbeitskräfte rar.«

Er betrachtete sie von der Seite. Himmel, schaut die gut aus! Ob ich sie eigentlich warnen müßt’, vor dem, was sie auf dem Hof erwartet? Bis Passau wird’s sich sicherlich net herumgesprochen haben, was für ein unausstehlicher Mensch Thomas Starner sein konnte. Er verwarf den Gedanken jedoch wieder. Erstens war es nicht seine Art, über andere Leute herzuziehen, und zum anderen konnte es ja durchaus sein, daß der Bauer angesichts dieser Schönheit sein Wesen änderte. Max hoffte es zumindest für seine Beifahrerin.

»So, gleich sind wir da!« sagte der Polizist wenig später und deutete auf den Berghof, der in einiger Höhe über ihnen lag, wie an den Fels geschmiedet.

Sie fuhren die kurvenreiche Straße hinauf, und schließlich hielten sie vor dem zweihundert Jahre alten Haus. Maria stieg erwartungsvoll aus. Drüben wurde die Tür geöffnet, und eine ältere Frau schaute neugierig zu ihnen herüber.

»Grüß dich, Therese«, rief Max. »Ich bring’ euch eure neue Magd.«

Er hatte die Reisetasche mitgenommen und ging mit Maria zur Tür. Therese Angerer schaute die beiden verständnislos an.

»Die neue Magd?« fragte sie ungläubig.

»Ja. Ich bin Maria Harder«, sagte die junge Frau und reichte ihr die Hand. »Oder ist die Stelle schon besetzt?«

»Nein, das net…, aber der Thomas hat mir gar net gesagt, daß jemand kommt.«

Maria lachte.

»Thomas – ist das der Bauer? Na ja, der kann auch nix gesagt haben. Er weiß ja nix davon.«

Sie erklärte die Umstände, unter denen sie von der Stelle hier auf dem Hof erfahren hatte,

»Ach so«, nickte Therese. »Na, dann komm’ erst mal rein. Ja, wir brauchen tatsächlich dringend eine Magd, aber das letzte Wort hat natürlich der Bauer.«

»Also, wenn dann soweit alles klar ist, fahr’ ich wieder«, ließ sich Max Trenker vernehmen.

Maria reichte ihm die Hand.

»Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Gern geschehen«, winkte der Polizist ab. »Und vergessen S’ net, Ihren Wagen abschleppen zu lassen.«

»Bestimmt net«, versprach sie. »Ich kümmer’ mich gleich darum.«

Sie winkte dem Davonfahrenden hinterher und folgte dann der Magd ins Haus. Neugierig sah sie sich um. Die Diele war groß und mit alten Bauernmöbeln eingerichtet. An dem riesigen Tisch waren bestimmt schon viele Feste gefeiert worden. Die Küche war hell und sauber, auch hier stand ein großer Tisch, an dem Bauer und Gesinde gemeinsam die Mahlzeit einnahmen.

»Wieviel Leut’ seid ihr denn hier?« erkundigte sich die junge Frau.

»Eigentlich vier«, erklärte Therese. »Aber die Lizzy ist noch für mindestens fünf Wochen ausgefallen. Das dumme Schaf hat sich den Arm gebrochen.«

Sie erzählte, wie es zum Unfall gekommen war. Inzwischen war Thomas Starner selber auf dem Dach gewesen und hatte es repariert.

Die beiden Frauen hatten sich an den Tisch gesetzt, Therese schenkte Kaffee ein.

»Und wo ist der Bauer jetzt?«

»Auf dem Kirchhof«, erwiderte die Magd. »Wie jeden Tag um diese Zeit.«

An der Art, wie sie es sagte, erkannte die Jüngere, daß es sich um jemand Besonderen handeln mußte, der auf dem Kirchhof begraben war.

»Ein naher Verwandter?« erkundigte sie sich.

»Christel, die Frau von Thomas«, antwortete die Ältere.

»Sie ist vor fünf Jahren verstorben. Aber besser redest nix darüber, wenn der Bauer dabei ist.«

Maria nickte verstehend.

»Wird’s lang’ dauern, bis er zurückkommt?« wollte sie wissen. »Vielleicht könnt’ ich mich inzwischen nützlich machen.«

»Also, wenn du so arbeitswütig bist, hab’ ich nix dagegen«, lachte Therese und deutete auf einen Berg Strümpfe, der auf der Eckbank lag. »Die Socken vom Florian müssen ausgebessert werden. Ich wollt’ mich grad’ dran machen, als ihr auf den Hof gefahren seid.«

Maria griff sich ein Paar. Nadel und Faden brachte die Magd. Die junge Frau besah sich die Strümpfe, die offentsichtlich einem Kind gehörten.

»Ist Florian der Sohn vom Bauern?«

Therese bekam glänzende Augen, als sie nickte.

»Ja, der Bub ist unser aller Sonnenschein.«

Die junge Magd war neugierig geworden, auf den Buben und besonders auf den Vater. Was sie hier sah, gefiel ihr gut. Sie hoffte, daß sie bleiben durfte. Aber, da hatte Therese natürlich recht, das letzte Wort hatte der Bauer. Vorerst machte sie sich ans Strümpfestopfen und erzählte dabei von ihrem Auto, das irgendwo alleine auf der Landstraße stand und darauf wartete, abgeschleppt zu werden.

*

Thomas Starner hielt vor dem Haus in der Kirchstraße und stieg aus. Er wollte gerade den Klingelknopf drücken, als die Tür aufgerissen wurde.

»Servus, Papa«, rief sein Sohn und fiel ihm in die Arme. Justus und Annemarie Buchner erschienen hinter ihm.

»Grüß dich, Annemarie«, sagte Thomas und gab auch dem kleinen Justus die Hand. »Na, habt ihr zwei Racker deiner Mutter den letzten Nerv geraubt?«

Natürlich war diese Frage scherzhaft gemeint.

Während die beiden Buben zum Wagen gingen, und Florian hinten einstieg, unterhielten sich die Erwachsenen einen Moment.

»Dank’ schön, daß der Florian ein bissel bei euch bleiben konnte«, sagte der Bauer zu seiner Schwester.

»Ach, Thomas, da doch net für«, entgegnete die zwei Jahre jüngere Frau. »Du weißt doch, daß er und Justus sich prächtig versteh’n. Und ich hab’ auch ein bissel Zeit für mich, wenn die beiden hinten im Garten spielen. Dann komm’ ich wenigstens mal dazu etwas zu lesen, oder einfach nur die Beine ein bissel hochzulegen.«

»Also, dann will ich mal wieder los.«

»Wie geht’s denn auf dem Hof?« wollte Annemarie wissen. »Hast’ immer noch keinen Ersatz für die Lizzy?«

Thomas zuckte die Schultern.

»Leider net«, antwortete er. »Wir müssen halt sehen, daß wir allein durchkommen. Deswegen sei net bös’, wenn ich jetzt gleich wieder fahr’.«

»Natürlich net. Und grüß’ mir die Theres’.«

»Das mach’ ich natürlich, und du richtest dem Tobias Grüße aus. Kommt doch am Sonntag zum Essen herauf. Die Therese freut sich bestimmt, euch wiederzusehen.«

»Ich kann’s noch net versprechen«, sagte seine Schwester. »Aber ich ruf’ am Freitag an und geb’ euch Bescheid.«

Während der Fahrt zum Hof plapperte Florian unentwegt und erzählte, was er alles mit seinem Cousin angestellt hatte. Thomas hörte geduldig zu und freute sich mit dem Buben. Er war froh, daß seine Schwester, die mit Tobias Buchner, einem Angestellten der Kreisverwaltung, verheiratet war, in St. Johann wohnte. So konnte er ab und an seinen Sohn dort vorbeibringen, während er selber den täglichen Besuch am Grab seiner Frau machte. Natürlich nahm er Florian dann und wann mit dorthin, aber er war der Meinung, daß die doch düstere Atmosphäre auf dem Kirchhof der kindlichen Seele nicht ständig zugemutet werden sollte. Bestimmt gedachte der Bub seiner verstorbenen Mama net weniger, wenn er nicht so so oft an ihrer letzten Ruhestätte war.

»Ich geh’ und schau’, ob die Hühner wieder Eier gelegt haben!« rief Florian, nachdem er aus dem Auto gesprungen war.

Thomas Starner betrat das Haus und betrachtete stirnrunzelnd die braune Reisetasche, die in der Diele neben der Küchentür stand.

War überraschend Besuch gekommen? Allerdings konnte sich der Bauer nicht erklären, wer das sein sollte. Dennoch – aus der Küche erklangen Stimmen. Thereses, und die einer Frau, die er nicht kannte. Er öffnete die Tür und schaute verwundert auf das junge Madel, das dort am Tisch saß und die Strümpfe seines Sohnen stopfte.

»Servus zusammen«, grüßte er. »Haben wir etwa eine neue Hilfskraft bekommen?«

Maria war bei seinem Eintreten aufgesprungen. Thomas reichte ihr die Hand und stellte sich vor, sie nannte ebenfalls ihren Namen.

»Ich such’ wirklich Arbeit«, sagte die junge Frau und erklärte, woher sie wußte, daß hier auf dem Hof eine Stelle frei war.

»Ja, und wir suchen wirklich einen neue Magd«, meinte Thomas erstaunt über diesen Zufall. »Aber, das wird die Theres’ ja schon erzählt haben.«

Maria legte ihre Papiere vor, die der Bauer eingehend prüfte. Dann handelten sie den Lohn aus.

»Neben der Kammer von Theres’ ist noch eine weitere frei«, sagte Thomas Starner. »Da kannst einziehen.« Er deutete zum Flur hin.

»Ist das alles, was an Gepäck mithast?«

Maria Harder errötete ein wenig und hoffte, daß ihre Verlegenheit nicht auffiel. Sie konnte und wollte nicht erklären, warum sie nur mit einer Tasche unterwegs war. Zumindest jetzt noch nicht…

»Mehr brauch’ ich net…«, antwortete sie ausweichend.

Der Bauer zuckte die Schultern.

»Also, wir sind uns einig, gleich morgen fängst an. Die Theres’ wird dir alles zeigen, und die andern lernst beim Abendessen kennen.«

Er wollte in die Wohnstube gehen, doch Maria hielt ihn zurück.

»Da ist noch ein Problem…«

»So? Was für eins?«

Sie berichtete von dem liegengebliebenen Golf.

»Da soll sich der Franz d’rum kümmern«, sagte er und schloß die Tür hinter sich.

*

Die Kammer war nicht sehr groß, aber es standen Tisch, Bett und Schrank darin, und ein Fenster ließ genügend Licht herein. Ein Landschaftsbild und ein Kruzifix an der Wand machte den Raum sogar ein bißchen wohnlich. Maria hatte zufrieden genickt, als die alte Magd ihr zeigte, wo sie die nächsten Wochen schlafen würde. Nachdem sie ihre Sachen aus der Tasche geholt, und sie in den Schrank geräumt hatte, lag sie auf dem Bett und schaute nachdenklich vor sich hin.

Jetzt, da sie endlich Ruhe gefunden hatte, spürte sie allmählich die Anspannung von sich abfallen, die sie seit ihrer »Flucht« aus Passau bedrückte. Ihre Augen glitten über die gemusterte Tapete, den alten Schrank, mit der Bauernmalerei darauf, und den Tisch mit dem Stuhl davor. Das sollte also ihr neues Zuhause sein. Maria spürte einen dicken Kloß im Hals, als sie an das dachte, was sie hinter sich gelassen hatte. Schnitt sie jetzt nicht schlechter ab?

Mit einem Ruck richtete sie sich auf.

Nein, überlegte sie, wenn sie bedachte, was sie durchgemacht hatte, dann war diese Kammer, viele Kilometer von der Heimat fort, das bessere Los. Es hätte wahrscheinlich schlimmer kommen können. Und sie wollte nicht mehr weinen! Es waren genug Tränen geflossen, viel zu viele für so eine schöne, junge Frau.

Sie sah auf die Uhr. Es war Zeit, wieder hinunter zu gehen. Pünktlich um halb sieben wurde zu Abend gegessen. Bei dieser Gelegenheit würde sie wohl nicht nur die beiden Knechte kennenlernen, sondern auch Florian. Maria war schon ganz gespannt. Sie liebte Kinder über alles, und liebend gerne hätte sie selber welche gehabt…, aber der Traum vom Glück im eigenen Heim war zerplatzt wie eine Seifenblase.

In der Küche saßen sie schon um den großen Tisch herum, als die junge Frau eintrat.

»Das ist unsere neue Magd, die Maria Harder«, stellte Thomas sie den anderen vor. »Das da, ist der Altknecht, Franz Sonnenleitner, und der andere ist der Wolfgang Mossbacher.«

Sie nickte den beiden zu und schaute auf den leeren Platz neben dem Bauern.

»Der Florian kommt immer ein bissel später«, erklärte sein Vater. »Er muß sein Kaninchen füttern.«

Maria setze sich auf die Eckbank zu den Knechten. Franz war wohl schon über sechzig, schätzte sie, während Wolfgang kaum älter als fünfundzwanzig war.

Zum Abendessen gab es eine große Pfanne mit Bratkartoffeln, aus der sich jeder bediente, dazu stand eine Platte mit Sauerfleisch auf dem Tisch. Brot, Wurst und Käse vervollständigten die Mahlzeit. Thomas Starner wollte eben das Tischgebet sprechen, als sein Sohn hereinkam. Zu Florians Erstaunen saß heute abend eine andere Frau auf dem Platz, der sonst der jungen Magd gehörte.

»Das ist der Florian«, stellte der Bauer ihn vor. »Und das ist die Maria. Sie wird uns helfen, solang’ die Lizzy krank ist.«

Therese füllte dem Buben den Teller. Sauerfleisch mochte er nicht, weshalb er ein Spiegelei zu seinen Bratkartoffeln bekam. Das aß er eigentlich sehr gerne, doch heute abend stocherte er nachdenklich in seinem Essen herum, während er hin und wieder verstohlene Blicke auf die neue Magd warf.

Maria beteiligte sich kaum an der Unterhaltung, die sich im wesentlichen um die Arbeit der beiden Knechte drehte. Thomas Starner ordnete an, was am nächsten Tag am dringlichsten erledigt werden mußte. Statt dessen sah sie mit einem freundlichen Lächeln zu Florian hinüber, der immer, wenn sie ihre Blicke begegneten, zurücklächelte. Wie es schien, hatte sie das Herz des Buben gewonnen.

»Gehst schon in die Schule?« fragte sie.

Der Kleine richtete sich auf.

»In die zweite Klasse«, antwortete er stolz.

»So? Dann kannst ja schon lesen und schreiben.«

»Freilich kann ich das«, kam es selbstbewußt zurück. Dann senkte er den Kopf.

»Nur das Rechnen ist net schön…«

Die junge Magd schmunzelte.

»Hm, da hast wohl Schwierigkeiten, was?«

Florian nickte betrübt.

»Aber die Theres’ hilft mir bei den Hausaufgaben.«

Maria legte ihr Besteck aus der Hand und faltete die Hände.

»Wenn du magst, helf’ ich dir auch«, schlug sie vor.

»Weißt’, mit dem Rechnen ist das so eine Sache. Der eine lernt’s ganz schnell, während der andere seine Zeit braucht, um zu begreifen, worum es geht. Aber das ist alles nur eine Frage der Übung.«

»Au, prima«, freute sich der Bub und strahlte sie an.

»Das wär’ wirklich schön, wenn du mir da ein bissel was abnimmst«, bedankte sich die alte Magd und warf Florian einen scheelen Blick zu. »Meistens will er nämlich lieber draußen rumtoben, als zu üben. Aber, ich hab’s ihm gesagt – wenn er net bessere Zensuren schreibt, bleibt er womöglich sitzen und muß die zweite Klasse wiederholen.«

Maria hob abwinkend die Hand.

»Paß mal auf«, meinte sie. »Das kriegen wir schon hin. Da wird dein Lehrer staunen.«

»Na, da haben wir ja Glück gehabt, daß wir mit der neuen Magd gleichzeitig eine Nachhil­felehrerin ins Haus bekommen haben«, schaltete sich Thomas Starner in die Unterhaltung

ein. »Im Rechnen braucht er wirklich ein bissel Unterstützung. Leider hab’ ich net allzuviel

Zeit, und bei mir ist er recht ungeduldig, wenn wir zusammen üben.«

»Gleich morgen fangen wir an«, versprach Maria.

»Na, dann ab mit dir, ins Bett«, sagte Thomas und gab seinem Sohn einen liebevollen Klaps.

»Gute Nacht zusammen«, verabschiedete er sich und warf Maria Harder in der Tür einen lächelnden Blick zu, der ihr Herz dahinschmelzen ließ.

Franz Sonnenleitner wandte sich an sie.

»Wenn wir deinen Wagen abschleppen wollen, müssen wir uns beeilen«, sagte er.

»Ach ja. Den hätt’ ich ja beinah’ vergessen«, fiel ihr der alte Golf siedenheiß wieder ein. »Dank’ dir, daß du mir helfen willst.«

»Schon gut«, winkte der Altknecht ab.

Auf der Fahrt zu ihrem Wagen bot Franz an, sich den Golf am nächsten Tag einmal genauer anzusehen, bevor sie ihn womöglich in die Werkstatt gab.

»Auf dem Hof reparieren wir soviel wie möglich selbst«, erklärte er auf ihre Frage, ob er denn etwas davon verstehe.

Dankbar und froh saß sie in ihrem Auto, während der Knecht sie zog. Sie hatte ein gutes Gefühl und meinte, daß sie es wirklich nicht besser hätte treffen können. Ganz besonders freute sie sich über den Sohn des Bauern.

Als sie später in ihre Kammer im Bett lag, sah sie das niedliche kleine Gesichtchen vor sich und freute sich unbändig auf den nächsten Tag.

Sie stellte den Wecker. Um vier mußten die Kühe gemolken und anschließend auf die Weide getrieben werden. Das bedeutete, daß sie mindestens eine halbe Stunde vorher aufstehen mußte. Nach dem Frühstück würde Theres’ sie dann in ihre anderen Aufgaben einweisen, und am Vormittag sollte sie mit zur Heuwiese. Ihr erster Arbeitstag auf dem Starnerhof war also schon völlig ausgelastet. Maria hoffte, daß sie zwischendurch ein wenig Zeit fand, ihr Versprechen einzulösen um mit Florian Rechenaufgaben zu üben.

*

Im Pfarrhaus hatte Sebastian durch seinen Bruder von der neuen Magd erfahren. Max berichtete, wie er die junge Frau praktisch auf der Straße aufgelesen hatte.

»Na, da wird der Thomas froh sein, doch noch Ersatz für die

Lizzy gefunden zu haben«, sagte der Geistliche.

Max bediente sich von der Aufschnittplatte. Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her.

»Hauptsach’, der Starnerbauer ist net immer so grantig zu ihr«, meinte er. »Sonst wird er net viel Freud’ an der Magd haben.«

Der junge Polizeibeamte hatte Lizzy Traunhofer einige Male während des Tanzabends im Löwen gesprochen und wußte von ihr, wie unausstehlich der Bauer sein konnte.

Pfarrer Trenker, der seine Mahlzeit beendet hatte, lehnte sich nachdenklich zurück.

»Man muß ihn verstehen«, erklärte er nachsichtig. »Der Thomas hat ein schweres Los. Mit fünfundzwanzig Jahren schon Witwer geworden, das muß ein Mensch erst einmal verkraften. Da kann es schon mal vorkommen, daß er in seinem Kummer ungerecht handelt. Das soll gewiß keine Entschuldigung sein, aber vielleicht erklärt es einiges. Der Mann liebt seine Frau über alles, und erst wenn er sein Herz noch einmal verliert, wird er über ihren Tod hinwegkommen.«

»Also, so wie die Maria Harder aussschaut, könnt’ sie ihm schon gefallen«, glaubte Max zu wissen.

»Na ja, welche Frau es sein wird, ist vielleicht net so wichtig, wie die Tatsache, daß es endlich geschehen müßte. Jeden Tag seh’ ich ihn auf dem Kirchhof. Es ist schön, daß er das Andenken an die Christel so pflegt, aber unsere Zuwendungen sollten den Lebenden gelten, und net den Toten. Abgesehen davon ist’s net gut, daß der Florian ohne Mutter aufwächst. Grad’ in diesem Alter ist die liebevolle Fürsorge einer Frau wichtig.«

Sebastian hob die Hand und ließ sie wieder fallen.

»Aber das hab’ ich dem Thomas schon etliche Male gesagt.«

Er beugte sich zu seinem Bruder hinüber.

»Kannst du net einmal mit ihm sprechen?« fragte er. »Ihr wart doch früher immer zusammen. Überred’ ihn doch, wieder einmal mit in den Löwen zu gehen.«

Max schüttelte den Kopf.

»Zwecklos«, behauptete er. »Was glaubst wohl, wie oft ich’s schon versucht hab’? Er schaltet immer auf stur.«

Beinahe wehmütig erinnerte sich der Polizist an den Spezi, mit dem er früher so manche Nacht durchgemacht hatte. Beide hatten sie um die Gunst der schönen Christel gebuhlt, daß sie letztlich den Bauern erhörte, brach Max net unbedingt das Herz, aber ein wenig geknickt war er damals schon gewesen. Dennoch tat es der Freundschaft der beiden Männer keinen Abbruch. Weiterhin trafen sie sich am Stammtisch, oder beim Frühschoppen, oder Thomas gestattete es Max, mit Christel zu tanzen.

Bis zu jenem verhängnisvollen Tag.

»Mal seh’n«, sagte Sebastian. »Ich werd’ jedenfalls morgen die junge Frau besuchen und offiziell in der Gemeinde willkommen heißen.«

Sophie Tappert räumte den Tisch ab. Wie immer hatte sie nichts zu der Unterhaltung beigetragen. Die Perle des Pfarrhaushalts war ohnehin von Natur aus schweigsam, und nur, wenn es wirklich wichtig war, teilte sie ihre Meinung zu einer Sache mit.

»Was gibt’s denn morgen Schönes?« erkundigte sich Max.

Der schlanke Polizist war den Kochkünsten der Haushälterin regelrecht verfallen. Wenn es möglich war, ließ er kaum eine Mahlzeit aus. Dabei konnte er Mengen verdrücken, die seinen Bruder nur staunen ließ. Allerdings wußte Sebastian nicht, was ihn mehr erstaunte, die Kalorien, die sein Bruder zu sich nahm, oder die Tatsache, daß dies geschah, ohne das Max auch nur ein Gramm zuviel Gewicht hatte.

Sophie Tappert hatte die Wurst verpackt und in den Kühlschrank zurückgelegt. Jetzt drehte sie sich um und sah den jungen Polizeibeamten an.

»Fleischpflanzerl mit Kraut«, verkündete sie.

Max strich sich über seinen gefüllten Bauch.

»Das ist mein Lieblingsessen«, schwärmte er. »Und das, obwohl ich morgen doch gar net Geburtstag hab’.«

Pfarrer Trenker schmunzelte.

»Dein Lieblingsessen – wer soll das noch glauben, Max?« fragte er kopfschüttelnd. »Gestern waren’s die Kohlrouladen, und heut’ mittag der Eintopf. Du hast gar kein Lieblingsessen, du bist einfach nur verwöhnt.«

»Stimmt«, grinste sein Bruder. »Und etwas Schöneres als durch Frau Tappert verwöhnt zu werden, kann ich mir gar net vorstellen.«

»Das ist glatt gelogen«, ließ sich die Haushälterin vernehmen. »Wenn ich da an die ganzen Madeln denk’, deren gebrochene Herzen ich trösten muß – von denen allen lassen S’ sich zehnmal lieber verwöhnen. Wann werden S’ endlich heiraten?«

Der flotte Mann beschenkte sie mit einem Augenaufschlag.

»Ich hätt’ ja längst, Frau Tappert«, erklärte er treuherzig. »Ich hab’ ja schon fleißig gesucht, wie Sie wissen. Aber es war keine darunter, die kochen konnte. Und das werden S’ doch gewiß net von mir verlangen, daß ich mich an eine bind’, bei der ich Gefahr lauf’, zu verhungern…!«

*

Bei der Arbeit im Stall half Wolfgang Moosbacher. Der junge Knecht war, noch recht verschlafen, hinzugekommen, und hatte Maria alles gezeigt. Jetzt standen sie nebeneinander und misteten aus.

»Wir sind wirklich froh, daß du jetzt da bist«, meinte Wolfgang. »Man hat schon gemerkt, daß die Lizzy ausgefallen ist.«

»Ich hab’ gehört, sie ist vom Dach gestürzt?«

Der Knecht lachte kurz auf.

»Na ja, sie hat halt noch Glück im Unglück gehabt, daß sie auf dem Heuboden gelandet ist. Ein paar Meter weiter, und sie wär’ vier Meter tief gefallen. Und ob sie das überlebt hätte… Schuld ist nur das morsche Holz gewesen.«

»Ansonsten ist der Hof aber gut in Schuß, scheint mir.«

Wolfgang nickte.

»Na ja, der Bauer hält eben d’rauf.«

Er hielt in seiner Arbeit inne und schielte zur Stalltür hinüber, ob sich Thomas Starner womöglich dort zeigte. Dann beugte er sich zu Maria hinüber.

»Weißt’, eigentlich ist’s schon ganz in Ordnung hier«, sagte er. »Nur manchmal, da hat der Bauer seine Launen. Da ist er dann unausstehlich, und manchmal auch ungerecht. Er kann ein netter Kerl sein, aber auch ein schimpfender Grobian, wenn ihm was net paßt.«

Die Magd sah ihn verwundert an. Es war ihr noch gar nicht aufgefallen, daß Thomas Starner zum Jähzorn neigte.

»Nein, nein, Jähzorn ist’s auch net«, wehrte Wolfgang ab.

»Das ist wohl immer noch die Trauer über den Verlust seiner Frau.«

Die Magd stützte sich auf ihre Forke.

»Fünf Jahre soll’s jetzt her sein«, meinte sie. »Hast du die Bäuerin gekannt?«

»Nein, ich bin ja selber erst vor zwei Jahren auf den Hof gekommen. Aber der Franz, und die Theres’, die kannten die Bäuerin noch gut.«

»Was ist denn geschehen, daß sie sterben mußte?«

Der Knecht machte einen tiefen Seufzer.

»Ach, das ist eine unglückliche Geschichte«, erzählte er weiter. »Beim Einkauf in der Kreisstadt hat ein betrunkener Autofahrer einen Unfall verursacht, bei dem zwei Menschen starben, eine ältere Frau und Christel Starner.«

»Und der Bauer ist immer noch net darüber hinweg, was?«

»Die Theres’ erzählt manchmal von ihr, wenn der Thomas net daheim ist. Er fährt ja jeden Tag zum Kirchhof und bringt ihr Blumen aus dem Garten. Sie hat den Garten selber neu angelegt. Wenn man der Theres’ zuhört, dann kann man schon versteh’n, daß der Bauer immer noch trauert.«

Maria spürte, wie ihr vor Rührung die Tränen kamen. Ob ich jemals so eine Liebe erfahren werd? fragte sie sich.

»Komm«, sagte Wolfgang. »Das soll fürs erste reichen. Laß uns frühstücken geh’n.«

Thomas und Franz hatten schon damit begonnen, den Traktor zu inspizieren. Jetzt wischten sie sich ihre ölverschmierten Hände ab und folgte ihnen ins Haus.

»Heut nachmittag müssen wir mähen«, erklärte der Bauer. »Maria und Wolfgang kommen mit.«

Er blickte die Magd zufrieden an, der blaue Arbeitsanzug, den er ihr herausgesucht hatte, paßte offensichtlich.

»Am Vormittag wird Theres’ schon noch einiges im Haus für dich zu tun haben.«

Auf dem Tisch standen Brot, Butter, Wurst und Käse. Die alte Magd kam und stellte die große Kanne mit dem frischgebrühten Kaffee hinzu.

»Ja, die Fenster müssen geputzt werden, und der Teppich in der Wohnstube braucht dringend eine Schaumreinigung. Wir haben also einiges vor.«

»Ich kann mich gleich nach dem Frühstück daran machen«, bot Maria an. »Am besten bring’ ich ihn nach draußen auf die Wiese. Das Wetter wird gut, da kann er gleich richtig durchtrocknen.«

Thomasd Starner war erfreut über die Initiative, auch wenn er diese Freude für sich behielt. Der Lizzy hatte man alles dreimal erklären müssen. Maria hingegen wußte sofort, wie sie eine Sache anzupacken hatte. Offentbar hatten sie mit der neuen Magd einen Glücksgriff getan.

*

Maria war gerade damit beschäftigt, die letzten beiden Fenster der Wohnstube zu putzen, als ein Wagen auf den Hof gefahren war. Der Mann, der ausstieg, erinnerte sie an jemanden, doch sie wußte im Moment nicht, an wen.

Da Therese hinten im Garten war, ging die junge Frau an die Haustür, um den Besucher zu öffnen.

»Servus«, grüßte der Mann, dessen Gesicht eine gesunde Bräunung aufwies.

An dem Priesterkragen erkannte sie, daß es sich um einen Geistlichen handelte.

»Mein Name ist Sebastian Trenker«, stellte er sich vor. »Ich bin der Seelsorger, und wollt’ Sie in meiner Gemeinde recht herzlich willkommen heißen.«

»Vielen Dank«, antwortete Maria. »Trenker? Sind S’ vielleicht mit einem netten Polizisten verwandt, der mich gestern vor einem langen Fußmarsch bewahrt hat?«

»Das ist mein Bruder, Max«, lachte Pfarrer Trenker.

»Ach, kommen S’ doch herein«, sagte die Magd und ließ ihn eintreten. »Mögen S’ einen Kaffee? Er ist bestimmt noch heiß.«

»Vielen Dank. Aber ich hab’ gerad’ erst welchen getrunken. Ich will Sie auch net lange von der Arbeit abhalten. Wie ich seh’, stecken S’ ja schon mittendrin. Wie gesagt, ich wollt’ Sie nur begrüßen, und wenn S’ mal einen Rat oder Hilfe brauchen, dann wenden S’ sich ruhig an mich. Ich bin jederzeit zu sprechen.«

»Ach, grüß Gott, Herr Pfarrer«, ließ sich Therese von der Tür her vernehmen.

Sie trug einen Spankorb unter dem Arm, der mit frischgeernteten Möhren, grünen Bohnen und Erbsen gefüllt war, den Zutaten für den Eintopf, den es zum Mittag geben sollte. Die Brühe dafür simmerte schon auf dem Herd, mit einem kräftigen Stück Rindfleisch darin.

»Theres’, wie geht’s Ihnen?« erkundigte sich Sebastian.

Die alte Magd stellte den Korb auf den Tisch.

»Na ja, ich will net klagen«, erwiderte sie augenzwinkernd. »Mal tut’s hier weh, mal zwickt’s da, aber so ist das eben, wenn man älter wird. Solang’ der Doktor immer noch ein Mittelchen dafür hat, läßt sich’s ertragen.«

Sie unterhielten sich eine ganze Weile. Maria verabschiedete sich mit dem Hinweis, die Fenster zu Ende putzen zu müssen.

»Wenn die Sonne d’raufscheint, gibt’s Streifen.«

Sie kehrte in die Stube zurück und nahm ihre Arbeit wieder auf. Nachdem sie fertig war, holte sie ein Staubtuch aus der Schürzentasche und wischte über Tische, Stühle und Schränke. Auf der Anrichte standen allerlei Dinge herum. Maria nahm die kleinen Döschen und Figuren, entstaubte sie sorgfältig, und stellte sie auf dem Tisch an. Einen Augenblick lang betrachtete sie das Bild der Frau, das ohne Rahmen dalag. Christel Starner war eine wunderschöne Frau gewesen. Ihre Augen blickten sanft die Betrachterin an. Maria verstand jetzt, daß Thomas seine Frau immer noch liebte. Wie schrecklich mußte die Nachricht von ihrem Tod für ihn gewesen sein.

Die junge Magd wischte die Anrichte ab und ordnete alles wieder so darauf, wie es vorher gewesen war. Dann ging sie in die Küche zurück und half Therese beim Putzen des Gemüses. Pfarrer Trenker war längst wieder gefahren.

»Wie war sie denn so, die Bäuerin?« fragte Maria.

Die alte Magd legte das Messer, mit dem sie gerade eine Möhre kleingeschnitten hatte, beiseite und schaute nachdenklich vor sich hin.

»Was soll ich sagen?« meinte sie schließlich. »Christel war der liebenswerteste Mensch, den ich je gekannt hab’. Sie und Thomas waren ein schönes Paar, das perfekt zu einander paßte. In jeder Hinsicht. Sie haben ja schon sehr früh geheiratet, und als dann Florian auf die Welt kam, da war ihr Glück vollkommen. Niemals hab’ ich von den beiden ein böses Wort gehört. Alles haben s’ gemeinsam unternommen und alle Entscheidungen, über Haus und Hof, wurden auch gemeinsam getroffen. Sie waren die glücklichsten Menschen, die man sich denken kann.«

Therese holte ein Taschentuch hervor und wischte die Tränen fort, die ihr bei ihrer Erzählung unwillkürlich in die Augen getreten waren.

»Wenn’s doch nur diesen Tag nie gegeben hätt’!«

»Erinnert sich der Florian denn noch an seine Mama?«

Die alte Frau schüttelte den Kopf.

»Net so recht. Dazu war er auch noch zu klein, als das Unglück geschah.«

Sie nahm ein paar Bohnen und zog die Fäden. Dann schnitt sie sie klein und warf die Stücke in die Schüssel mit dem anderen Gemüse.

Maria schaute nachdenklich vor sich hin. Wie hatte der junge Knecht gesagt?

»Ungerecht und unausstehlich kann der Bauer sein.«

Nun, würde Thomas Starner sich ihr gegenüber einmal so geben, wollte sie Nachsicht walten lassen. Sie wußte ja, was sein Herz bedrückte.

Sie stand auf und wusch sich die Hände.

»Ich schau’ mal nach dem

Teppich«, sagte sie. »Eigentlich müßte er inzwischen trocken sein.«

Therese sah auf die Uhr.

»Himmel, die Männer kommen ja schon bald zum Essen. Da

wird’s jetzt aber höchste Zeit.«

Sie wandte sich zu Maria um.

»Sag’ Bescheid, wenn ich mit tragen helfen soll.«

»Mach’ ich«, nickte die junge Magd und lief hinaus.

Der Teppich war ein sehr schönes Stück, mit einem Muster bunter Vögel darauf. Offenbar handgeknüpft, wie das Zertifikat auf der Rückseite bescheinigte. Ob sie ihn ausgesucht hatte, Christel Starner?

Maria rollte ihn zusammen und lud ihn sich auf die Schulter. Er war nicht sehr schwer, so daß sie ihn alleine hineintrug, wie sie es, umgekehrt, am Morgen auch schon getan hatte. Es dauerte eine Viertelstunde, bis sie die Stube wieder so hergerichtet hatte, wie sie vorher ausgesehen hatte, nur daß jetzt alles blitzte und blinkte. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Der Bauer würde ebenfalls zufrieden sein.

*

Das erste Donnerwetter, das Maria miterlebte, galt nicht ihr, sondern dem jungen Knecht. Wolfgang Moosbacher hatte eine Liebste, Kathrin Kehler, eine Magd auf dem Hof des Bauern Hafermayr. Die beiden sahen sich nur an ihren freien Tagen und am Wochenende. Da war es nur natürlich, daß sie große Sehnsucht hatten und ihre Treffen so lange wie möglichst ausdehnten. Gestern abend war es also sehr spät geworden, und Wolfgang hatte, trotz Wecker, verschlafen. Auch daß Franz mehrmals an seine Tür klopfte, riß ihn nicht aus dem Schlaf. Beim Frühstück fiel es dann allerdings auf, daß er fehlte.

Thomas Starner schien an diesem Morgen ohnehin mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden zu sein. Kaum, daß ein mürrischer Gruß über seine Lippen kam, als er die Küche betrat.

»Dem werd’ ich schon auf die Beine helfen«, ereiferte der Bauer sich. »Was glaubt der wohl, wo er hier ist? Etwa in einem Hotel?«

Wütend lief er zum Gesindehaus hinüber, in dem die beiden Knechte ihre Betten hatten, riß die Tür auf, und dem Schlafenden die Decke fort. Seine Stimme war bis in die Küche zu hören, in der die anderen sich betreten ansahen.

Fünf Minuten später kam ein verstörter Knecht herein, während der Bauer sich auf den Traktor schwang und vom Hof fuhr.

»Ja mei’, das kann doch schon mal passieren«, entschuldigte sich Wolfgang Moosbacher mit einem schiefen Grinsen.

»Sag’s net uns, sondern dem Bauern«, meinte Therese.

Schweigsam frühstückten sie zu Ende und gingen dann an ihre Arbeit. Maria, die in der Küche geblieben war, bereitete die Brote für Florian zu, die er mit in die Schule nahm. Ihre Übungsstunden zeigten schon erste Fortschritte, der Bub hatte tatsächlich gestern die Hausaufgaben im Rechnen ganz allein gelöst. Maria hatte neben ihm gesessen und nur zugeschaut.

»Guten Morgen, Maria«, grüßte der Kleine, als er hereinkam und strahlte sie an.

»Guten Morgen, Florian«, erwiderte sie und strich ihm über den Kopf. »Hast ausgeschlafen?«

Er gähnte verhalten.

»Ein bissel müd’ bin ich schon«, gab er zu.

»Na, dann komm, setz’ dich. Nach einem guten Frühstück fühlst dich gleich viel wacher. Was habt ihr denn heut’ auf dem Stundenplan?«

Der Bub kratzte sich am Kopf und überlegte.

»Lesen, glaub’ ich, und Rechnen«, erklärte er. »Und dann, in der dritten Stunde, Turnen.«

Sie setzten sich an den Tisch, und Maria bestrich eine Scheibe Rosinenbrot mit Butter und Marmelade. Dazu gab es ein Glas Milch.

»Ich hab’ dir ein Pausenbrot gemacht. Möchtest auch noch einen Apfel mitnehmen?«

Florian nickte und schaute auf die große Uhr, die über der Spüle hing.

»Der Bus kommt noch net«, beruhigte die Magd ihn. »Du kannst noch ganz in Ruhe zu Ende essen. Ich bring’ dich dann ein Stück.«

Zusammen gingen sie vom Hof zur Haltestelle für den Schulbus, die knapp zweihundert Meter von der Einfahrt entfernt war. Maria fühlte, wie sie ein Glücksgefühl durchströmte, als der Bub nach ihrer Hand griff und sie nicht wieder losließ.

»Es ist schön, daß du bei uns bist«, sagte er unvermittelt.

Die junge Frau beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuß auf die Wange.

»Das ist sehr lieb von dir. Ich bin auch sehr gern bei euch.«

Bevor sie die Haltestelle erreichten, sahen sie Thomas Starner mit dem Traktor die Straße heraufkommen.

»Da ist Papi«, rief Florian und winkte seinem Vater zu.

Der Bauer hielt an. Maria kam es vor, als sehe er mit ein wenig Befremden, daß sein Sohn die Hand der Magd hielt – jedenfalls wußte sie nicht, wie sie seinen Gesichtsausdruck deuten sollte.

»Paß schön auf in der Schule«, ermahnte er seinen Sohn und zwinkerte dabei mit dem Auge.

Er nickte Maria zu und fuhr weiter.

»So, ich muß zurück«, verabschiedete sie sich von dem Buben. »Der Bus muß jeden Augenblick kommen.«

Als sie zum Hof zurückging, hatte sie immer noch das Gesicht des Bauern vor sich, wie er sie eben angesehen hatte, und ganz plötzlich wurde ihr ganz unbehaglich zumute, weil ihr Herz schneller schlug. Sie konnte sich diese Nervosität nicht erklären und fragte sich, was geschehen war.

Thomas ging über den Hof, als sie durch die Einfahrt kam. Sie sah seine schlanke Gestalt, hoch aufgerichtet und kraftvoll. Ein gutaussehnder Mann, nur der tief in sein Gesicht eingegrabene Kummer störte das ansonsten perfekte Bild. Beinahe hätte sie die Hand nach ihm ausgestreckt und ihn festhalten mögen.

War es Liebe oder Mitleid, das sie für ihm empfand – diese Frage stellte sie sich den ganzen Tag. Immer, wenn sie in seiner Nähe war, hatte sie dieses eigenartige Gefühl, das sie nicht deuten konnte. Nein, es muß Mitleid sein, dachte sie, denn verlieben wollte sie sich so schnell nicht wieder, dazu war die alte Wunde längst noch nicht verheilt.

Aber sicher war sie sich nicht.

An diesem Abend setzte sie sich in ihrer Kammer an den Tisch und schrieb einen Brief. Die ersten Zeilen, drei Wochen nach ihrem Verschwinden aus Passau.

*

Allmählich hatte sie sich eingewöhnt, und die Arbeit ging ihr leicht von der Hand. Durch ihren Fleiß und ihre Hilfsbereitschaft kam sie mit allen auf dem Hof gut aus, und wenn Thomas Starner wieder einmal eine seiner Launen bekam, dann schien sie es nicht zu berühren. Maria Harder wußte ihm die rechte Antwort zu geben, und seltsamerweise nahm der junge Bauer es so hin.

Viel von ihrer freien Zeit verbrachte die junge Magd mit Florian, den sie ganz und gar in ihr Herz geschlossen hatte. Seit dem Morgen, an dem er ihre Hand genommen hatte, wiederholte es sich jeden Tag. Hand in Hand gingen sie zur Haltestelle, und jetzt mußte Maria warten, bis der Bus abgefahren war. Florian setzte sich auf die hintere Bank, und sie winkten sich so lange zu, bis sie sich nicht mehr sehen konnten.

Es war ein Monat her, als Maria beschloß, an ihrem freien Tag nach St. Johann zu fahren. Sie war neugierig auf das Dorf, das sie nur vom Hörensagen kannte. Bisher war sie immer auf dem Hof geblieben, wo sie mit Florian geübt hatte, oder sie spazierte in der näheren Umgebung herum. Therese und Franz erzählten viel, über den Wald, in dem es jetzt, im Sommer, nur so von Pilzen wimmelte, von den Almen, auf denen etliche Sennenwirtschaft betrieben, und von den Bergen, die das Wachnertal überragten, vom

Kogler, und den Zwillingsgipfeln »Himmelsspitz« und »Wintermaid«. Maria nahm sich vor, das alles irgendwann einmal zu sehen, und auch Wolfgangs Einladung, ihn und seine Braut auf den Tanzabend zu begleiten, wollte sie folgen. Doch inzwischen war viel Zeit vergangen, und die junge Magd fragte sich, wie lange sie überhaupt noch hier auf dem Hof sein würde. Immerhin war sie nur die Vertretung des Madels, das sonst die Stelle innehatte. Vielleicht kam Lizzy schon bald wieder zurück, und dann stand sie wieder auf der Straße.

An all dies dachte sie, als sie ins Dorf hinunterfuhr. Es war auch das erste Mal, daß sie ihren Wagen wieder benutzte. Was immer Franz auch damit angestellt hatte, er mußte ein Wunder bewirkt haben. Der Motor schnurrte wie eine Katze und der Golf lief, daß es nur so eine Freude war. Maria beschloß, dem Knecht als Dankeschön eine Kiste Zigarren zu kaufen. Abends saß er immer vor dem Haus und rauchte. Die Sorte kannte sie nicht, aber bestimmt würde sie welche finden, die ihm schmeckten.

Sie stellte das Auto in einer kleinen Seitenstraße ab und machte sich auf, das Dorf zu entdecken. Das erste, war ihr auffiel, war die Kirche, die etwas erhöht auf einem Hügel stand. Ein geharkter Kiesweg führte von der Straße hinauf. Die Magd erinnerte sich der netten Worte, mit denen der Seelsorger sie willkommen geheißen hatte, und beschloß, daß ihr erster Besuch der Kirche gelten sollte.

Drinnen war es angenehm kühl, als sie das Gotteshaus betrat. Einen Moment blieb sie stehen und bewunderte die Pracht aus Farben, Holz und Schmiedeeisen. Der Eindruck war gewaltig. Langsam ging sie zum Altar, besah sich das Bild unter der Galerie und die Madonnenstatue daneben. Dann setzte sie sich auf die Bank in der ersten Reihe und faltete die Hände. Es gab keinen besonderen Grund für ein Gebet, ihr war nur einfach so danach, stumme Zwiesprache mit dem Herrgott zu halten. Und wieder, wie so oft in den letzten Tagen, liefen die Bilder dessen, was die von zu Hause vertrieben hatte, vor ihrem Innersten Auge ab. Dabei konnte sie nicht verhindern, daß sie bittere Tränen weinte, Tränen, die ihren Kummer deutlich machte. Aber gleichzeitig auch eine Erlösung waren.

Sie trocknete sie, als sie Schritte vernahm. Ein Mann kam den Mittelgang hindurch, grüßte sie mit einem Kopfnicken und ging durch eine Tür unter der Galerie. Pfarrer Trenker war es nicht, Maria vermutete, daß es sich um den Mesner handelte.

Die junge Frau verließ die Kirche und trat hinaus in den Sonnenschein. Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß gleich nebenan der Friedhof war. Die Magd sah auf die Uhr, Thomas Starner hatte seinen täglichen Besuch bestimmt schon beendet, überlegte sie. Ob sie…?

Noch ehe sie weiter darüber nachdachte, hatte sie auch schon die Klinke der kleinen Pforte heruntergedrückt und stand auf dem Gottesacker. Suchend ging sie durch die Grabreihen. Gleich neben der Kirche waren die Ruhestätten älteren Datums, weiter hinten, im Schatten hoch aufragender Bäume, die neueren. Schnell hatte sie das Kreuz gefunden, an dem das Bild der Verstorbenen befestigt war. Es war die gleiche Fotografie wie in der Wohnstube, auf dem Hof, nur etwas verkleinert. Sie steckte in einem ovalen Rahmen.

Maria sah die Blumen, die Thomas aus dem Garten mitgebracht hatte, und ein weher Schmerz durchfuhr sie, so sehr fühlte sie mit dem Mann. Längst ahnte sie, daß es mehr als nur Mitleid war, das sie für ihn empfand. Doch davon durfte niemals jemand etwas erfahren. Nach einer stummen Verbeugung wandte sie sich vom Grab ab und verließ den Kirchhof.

Langsam bummelte sie durch das Dorf, betrachtete die Häuser mit den Fassadenbildern, blieb vor dem Schaufenster eines Geschäfts für Trachtenmode stehen und betrat einen Zigarrenladen. Der ältere Herr hinter dem Verkaufstisch beriet sie freundlich und zuvorkommend. Maria erstand eine Schachtel Zigarren, von denen der Ladenbesitzer behauptete, er würde sie selber rauchen.

Anschließend setzte sie sich in ein Straßencafé, das erst vor kurzem eröffnet hatte. »Neueröffnung« stand immer noch auf den Fensterscheiben. In der Sonne genoß die Magd ihren Kaffee und den Kuchen, während sie ihre Augen wandern ließ und neugierig alles in sich aufnahm.

Doch zwischendurch merkte sie, daß ihre Gedanken immer wieder abwanderten, hin zum Mann, dessen Anblick allein ihr Herz klopfen ließ…

*

Der große breitschultrige Mann stieg aus dem Wagen und lief die Stufe des Hauses hinauf. Ungeduldig drückte er den Klingelknopf. Endlich hörte er den Summton des automatischen Türöffners. Stephan Burger drückte die Tür auf und trat in den Hausflur. Oben wurde eine Wohnungstür geöffnet, und Schritte erklangen auf der Treppe.

Er nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Die junge Frau, die ihm entgegen gekommen war, sah ihn verwundert an.

»Du?« kam es ungläubig über ihre Lippen. »Ich hab’ gedacht, es wär’ der Postbote.«

Stephan lächelte verlegen. Er trat von einem Bein auf das andere und deutete auf die halboffene Tür.

»Darf ich hereinkommen?« fragte er zaghaft.

Ilona Meichsner zuckte mit der Schulter.

»Wenn du schon mal da bist.«

Im Wohnzimmer bot sie ihm einen Platz an. Der Besucher setzte sich in einen der beiden Sessel, während Ilona es sich auf dem Sofa bequem machte.

»Magst einen Kaffee mittrinken?« fragte sie.

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Vielen Dank, aber deswegen bin ich net gekommen…«

Sie erwiderte seinen erwartungsvollen Blick.

»Sondern?«

Stephan Burger richtete sich auf.

»Das weißt du doch«, erwiderte er bestimmt. »Ilona, bitte, sag’ mir die Wahrheit – hast du Nachricht von Maria? Weißt du, wo sie steckt?«

Die junge Frau sah den Mann nachdenklich an. Durfte sie ihm wirklich verraten, was ihre beste Freundin ihr, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, anvertraut hatte?

»Es tut mir leid…, Stephan…, aber…«

Ein triumphierendes Blitzen in seinen Augen verriet, daß er die Wahrheit ahnte.

»Du weißt es!« stellte er fest. »Bitte, Ilona, du mußt es mir sagen.«

Mit einer verzweifelten Bewegung griff er sich an den Hemdkragen, als bekomme er keine Luft mehr. Sein Gesicht hatte einen geqäulten Ausdruck angenommen.

»Ich…, ich schlaf’ keine Nacht mehr richtig«, sprach er weiter. »Seit sie fort ist – da ist alles so sinnlos geworden.«

Die junge Frau war sogar bereit, ihm diese Behauptung zu glauben. Wie er so dasaß, machte er wirklich einen elenden Eindruck. Allerdings…

»Meinst net, daß du dir das hättest früher überlegen sollen?« konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen.

Sie schüttelte verständnislos den Kopf.

»Das ist doch typisch Mann«, sagte sie. »Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wacht ihr auf.«

Ilona Meichsner stand auf und trat an das Fenster. Von hier oben hatte sie einen herrlichen Blick auf die Passauer Altstadt, und die beiden Flüsse, Donau und Inn. Doch im Moment war ihr der Anblick egal. Sie drehte sich zu Stephan um. Eigentlich mochte sie ihn, den Freund ihrer besten Freundin. Zusammen mit Ilonas Mann, Klaus, waren die vier ein unschlagbares Quartett, das viel gemeinsam unternommen hatte – eben bis es zwischen Stephan und Maria in die Brüche ging. Aber vielleicht konnte es doch noch wieder so wie früher werden, und sie würde den entscheidenen Anstoß gegeben haben.

»Also gut«, sagte sie. »Maria arbeitet auf einem Bauernhof in der Nähe von St. Johann, in den Alpen. Net weit von Berchtesgaden. So, wie sie schreibt, geht es ihr gut. Sie hat eine Stelle als Magd bekommen, weiß allerdings net, wie lang’ sie da bleiben kann, da sie nur vertretungsweise dort arbeitet.«

Stephan war ebenfalls aufgesprungen. Er atmete tief durch, und die Erleichterung war ihm anzumerken, als sie ihm den Brief zeigte. Er las ihn mehrmals durch. Daß über ihn keine Zeile, kein einziges Wort stand, bemerkte er schmerzlich, sagte aber nichts darüber, als er ihr den Brief zurückgab.

»Dank’ dir, Ilona«, verabschiedete er sich. »Ich fahr sofort zu ihr.«

»Ja, geht denn das so einfach?« fragte sie.

Sie stand in der offenen Tür, während er schon die Treppe hinunterlief.

»Wenn ich keinen Urlaub bekomm’, kündige ich einfach«, rief er zurück.

Dann hörte sie auch schon die Haustür ins Schloß fallen.

Ob es wirklich richtig gewesen war, was sie getan hatte? Plötzlich kamen ihr Zweifel. Ilona Meichsner setzte sich wieder auf das Sofa. Sie dachte darüber nach, wie Maria ihr Stephan vorgestellt hatte. Damals hatte sie die Freundin ein wenig um den gutausehenden Schreinergesellen beneidet. Erst viel später stellte sich heraus, daß Stephan ein Hallodri war, der es mit der Treue nicht so ernst nahm. Viele Male war ihre Beziehung beendet worden. Entweder von Maria, oder von ihm. Ilona hatte dabei wie zwischen zwei Stühlen gesessen. Sie und ihr Mann waren mit beiden befreundet, und es war schwer, nicht für einen von ihnen die Partei zu ergreifen.

Je länger sie darüber nachdachte, um so unbehaglicher wurde ihr.

Es war ein Fehler gewesen, sie hätte ihm den Brief niemals zeigen dürfen, ja, nicht einmal erwähnen, sondern konsequent abstreiten müssen, überhaupt etwas über Marias Aufenthaltsort zu wissen.