Der Bergpfarrer Jubiläumsbox 7 – Heimatroman - Toni Waidacher - E-Book

Der Bergpfarrer Jubiläumsbox 7 – Heimatroman E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Sichern Sie sich jetzt die Jubiläumsbox - 6 Romane erhalten, nur 5 bezahlen! Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 10 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Unter anderem gingen auch mehrere Spielfilme im ZDF mit Millionen Zuschauern daraus hervor. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. In Spannungsreihen wie "Irrlicht" und "Gaslicht" erzählt er von überrealen Phänomenen, markiert er als Suchender Diesseits und Jenseits mit bewundernswerter Eleganz. E-Book 35: Hochzeit auf dem Ponyhof? E-Book 36: Kann das Glück so einfach sein? E-Book 37: Ich liebe dich noch immer! E-Book 38: Wer sind meine Eltern? E-Book 39: Ich kann doch nur einen lieben! E-Book 40: Ich glaube dir kein Wort mehr!

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Seitenzahl: 657

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Inhalt

Hochzeit auf dem Ponyhof?

Kann das Glück so einfach sein?

Ich liebe dich noch immer!

Wer sind meine Eltern?

Ich kann doch nur einen lieben!

Ich glaube dir kein Wort mehr!

Der Bergpfarrer – Jubiläumsbox 7–

E-Book: 35 - 40

Toni Waidacher

Hochzeit auf dem Ponyhof?

Plötzlich hat Nina wieder Träume…

Roman von Toni Waidacher

Nina wuchtete den schweren Karton auf die Ladefläche des Kombis. Himmel, war das Zeug schwer! Mißmutig sah die dunkelhaarige Frau auf den riesigen Einkaufswagen, auf dem sich noch weitere Kartons, Eimer und Pakete stapelten. Alles Dinge, die auf dem Ferienhof benötigt wurden. Zwar kamen die meisten Sachen für das kleine Hotel aus der Umgebung – Butter und Käse natürlich, und Konfitüren wurden selber gekocht. Aber für den reibungslosen Ablauf in solch einem Unternehmen wurde vieles gebraucht, das es eben nur im Großhandel gab.

Na los, von allein wird’s net in den Kofferraum fliegen, dachte die hübsche Mitinhaberin des Ponyhofes und machte sich an die Arbeit. Normalerweise erledigte Stephan Rössner den Einkauf. Er war der Mann von Sandra, die den heruntergekommenen Hof von einer Großtante geerbt hatte. Nina erinnerte sich noch mit Grausen an den Tag, an dem sie und die beiden Freundinnen in St. Johann angekommen waren.

Alle drei, Sandra, Nina und Anja, studierten gemeinsam und lebten in einer Wohngemeinschaft zusammen. Ein richtiges Studentenleben, zwischen Vorlesungen und Kneipenjobs, Einkaufsbummel und Faulenzerei. Bis eines Tages der Brief eines Rechtsanwalts und Notars ins Haus flatterte. Sandra Haller, wie sie damals noch hieß, hatte geerbt.

Keine von den drei jungen Frauen konnte ahnen, worauf sie sich einließen, als sie sich aufmachten, den Ponyhof zu be-sichtigen, aber für Nina und Anja war es Ehrensache, daß sie die Freundin nicht allein ließen. Vorerst wurde das Studium an den Nagel gehängt und die Ärmel hochgekrempelt. Und gemeinsam schafften sie das Unmögliche. Der marode Hof wurde davor gerettet, unter den Hammer zu kommen, und zwei alte Leute, Resi Angermeier und Hubert Bachmann, konnten dort bleiben, wo sie ihr halbes Leben verbracht hatten.

Damals hatte Sandra auch Stephan Rössner kennengelernt, ihren späteren Mann. Auch ihm war es zu einem großen Teil zu verdanken, daß der Ponyhof sich inzwischen zu einem soliden Unternehmen gemausert hatte, das so langsam wieder aus den roten Zahlen herauskam. Leider lag Stephan mit einem entzündeten Fußgelenk im Bett und konnte die Fahrt zum Großmarkt nicht machen.

Nina schob den Einkaufswagen zurück und setzte sich in das Auto. Vorsichtig fuhr sie aus der Parklücke. Wie immer herrschte auf dem Parkplatz des Großmarkt ein fürchterliches Gedränge, und manche Autofahrer zeichneten sich in ihrer Fahrweise durch eine Rücksichtslosigkeit aus, die zum Himmel schrie. Abgebrochene Außenspiegel und Beulen an den Kotflügeln waren keine Seltenheit. Die Verursacher besaßen dann auch noch die Frechheit, sich einfach zu entfernen, ohne den Geschädigten zu benachrichtigen.

Endlich hatte sie es geschafft. Aufatmend fuhr Nina auf die Straße, fädelte sich beim Kreisel in den Verkehr ein und bog in die Richtung nach St. Johann ab. Als sie auf die Umgehungsstraße fuhr, schaltete sie das Radio ein und summte fröhlich das Lied mit, das gerade gespielt wurde. Schnell kam sie zum Abzweig und wechselte auf die kurvige Bergstraße, die sie nach Hause brachte. Das war geschafft! Jetzt bloß schnell zurück. Wahrscheinlich warteten die anderen schon mit dem Mittagessen auf sie.

In Gedanken ging die aparte junge Frau durch, was heute noch zu erledigen war. Am Nachmittag hatte sich eine Gruppe Kinder angemeldet. Die übernahm Anja Burger. Wahrscheinlich machte sie mit den Kleinen einen Ritt durch den Ainringer Wald. Hinterher gab’s Streuselkuchen und Kakao. Also würde Resi noch backen müssen. Sandra und Stephan wollten nach dem Mittag ins Dorf hinunter fahren. Dr. Wiesinger mußte sich noch einmal das Fußgelenk ansehen. Außerdem wurden am Nachmittag weitere Gäste erwartet, erinnerte sich Nina. Ein Ehepaar und ein einzelner Gast. Um die kümmere ich mich, dachte Nina und setzte unwillkürlich den Fuß auf das Bremspedal, als sie einen Wagen am Straßenrand stehen sah. Davor winkte ein junger Mann. Das Auto war durch die Warnblinkanlage gesichert. Ganz offensichtlich eine Panne.

*

Andreas Kramer schaute ärgerlich dem Auto hinterher. Der Fahrer hatte nicht einmal zu ihm hingeschaut, sondern war einfach weitergefahren. Der junge Angestellte einer großen Münchener Versicherungsgesellschaft schüttelte den Kopf. Seit einer Stunde stand er mit seinem Auto, dessen Motor streikte, am Straßenrand. Unzählige andere Wagen waren vorbeigefahren, niemand hatte angehalten. Was wäre, wenn es sich um einen schlimmen Unfall gehandelt hätte? Vermutlich würd’ ich bis zum Sanktnimmerleinstag hier liegen, ohne daß sich jemand drum schert, dachte er, als er doch ein Auto sah, das langsamer fuhr. Der Fahrer hatte den Blinker gesetzt und hielt vor Andreas’ Wagen an. Der junge Mann staunte nicht schlecht, als er ein unverschämt gutaussehendes Madel aussteigen sah.

»Grüß Gott«, sagte es. »Haben S’ eine Panne?«

Andreas nickte und deutete auf seinen BMW.

»Keine Ahnung, was er hat«, meinte er. »Plötzlich hat er einen Geist aufgegeben. Vielen Dank erstmal, daß Sie angehalten haben. Ich steh’ schon seit einer Stunde hier.«

»Wo wollen S’ denn hin? Nach Sankt Johann?«

»Nicht direkt«, antwortete der junge Mann. »In der Nähe. Ich muß zum Ponyhotel.«

Nina lachte überrascht auf.

»Ach, sind Sie etwa der Herr Kramer?«

Andreas staunte.

»Ja. Aber woher…?«

»Woher ich das weiß?«

Sie lachte immer noch und

reichte ihm die Hand.

»Nina Kreuzer. Ich bin eine der Inhaberinnen«, erklärte sie.

»Na, wenn das kein Zufall

ist.«

»Tja, dann laden wir am besten Ihr Gepäck um, und Sie fahren mit mir«, schlug die junge Frau vor.

»Das Angebot kann ich net ausschlagen«, stimmte Andreas Kramer zu.

Nina beobachtete ihn, während er den Kofferraum öffnete und eine schwarze Reisetasche herausnahm. Der schaut ja wirklich gut aus, schoß es ihr durch den Kopf. Einer, bei dem man schwach werden könnt’…

»So, mehr hab’ ich net«, sagte er und stellte die Tasche auf den Rücksitz. »Haben S’ einen Großeinkauf gemacht?«

»Ja, einmal die Woche muß es sein«, antwortete sie.

Der junge Mann nahm ein Warndreieck und stellte es in einiger Entfernung auf. Dann

setzte er sich neben sie und schnallte sich an.

»So, jetzt kann nix mehr passieren«, sagte er. »Den Wagen laß ich später abschleppen. Ist’s noch weit bis zu Ihrem Hof?«

»Eine Viertelstunde höchstens«, meinte Nina und fuhr auf die Straße zurück.

Während der Fahrt unterhielten sie sich. Andreas erzählte von seiner Arbeit.

»Ich hab’ net viel Gelegenheit für sportliche Unternehmungen«, berichtete er. »Aber als Ausgleich zu der Bürotätigkeit brauch’ ich das ab und zu. Jetzt hab’ ich mir ein paar Tag’ freigenommen. Ich hoff’, daß ich ein bissel was unternehmen kann – ausreiten, wandern und so…«

»Dazu werden S’ reichlich Gelegenheit haben«, erwiderte die junge Frau. »Wie sind S’ eigentlich auf den Ponyhof gekommen?«

»Ach, ein reiner Zufall. Ich hab’ vor einiger Zeit ein Ehepaar besucht, Eva und Georg Weidler. Eine Versicherungssache. Beim Gespräch kamen wir auf das Thema Urlaub. Die beiden haben vor einigen Wochen bei Ihnen gewohnt. Offenbar hat es ihnen gut gefallen. Sie schwärmten richtiggehend.«

»Ja, ich erinnere mich«, nickte Nina. »Nette Leute.«

Sie hatten St. Johann erreicht.

»Ein Bummel durch das Dorf lohnt sich allemal«, erklärte sie ihrem Gast.

»Ich seh’ schon die schönen Malereien an den Häusern.«

»Und erst einmal die Kirche! Die müssen S’ sich unbedingt anschau’n.«

Andreas beobachtete sie von der Seite her. Noch nie hatte er solch eine charmante Chauffeuse. Schade, daß er nur so kurz blieb. Für einen Urlaubsflirt war dieses Madel viel zu schade.

Schnell ließen sie das Dorf hinter sich. Bis zum Hof vergingen keine fünf Minuten mehr, dann lenkte Nina den Wagen durch die Einfahrt.

»So, willkommen auf dem Ponyhof«, sagte sie und ließ das Fahrzeug vor dem Haupthaus ausrollen.

*

Die junge Frau stieg aus dem Bus und schaute sich neugierig um. Sie trug einen schlichten hellbraunen Mantel, die kurzen blonden Haare waren sorgfältig frisiert. Ihr Blick fiel auf die Kirche. Da mußte auch gleich das Pfarramt sein. Kathrin Gramser atmete tief durch, dann überquerte sie die Straße und ging den Kirchweg hinauf. Ihr Herz klopfte ein wenig schneller, als sie vor der Tür des Pfarrhauses stand. Eigentlich war ja schon alles klar – die Stelle als neue Gemeindeschwester war ihr schon beinahe sicher. Pfarrer Trenker hatte sie lediglich für heute zum Mittag eingeladen, damit sie sich persönlich noch ein wenig besser kennenlernten. Schließlich würde sie mit dem Geistlichen und Dr. Wiesinger öfter zusammenarbeiten. Trotzdem konnte die Sechsundzwanzigjährige ihre Aufregung kaum verbergen, und ihre Hand zitterte, als sie den Klingelknopf drückte.

Es dauerte nicht lange, und eine ältere Frau öffnete, vermutlich die Haushälterin des Geistlichen.

»Grüß Gott«, sagte Kathrin. »Mein Name ist Gramser.«

Sophie Tappert lächelte

freundlich.

»Grüß Gott. Kommen S’ nur herein. Pfarrer Trenker erwartet Sie schon.«

Sie führte die Besucherin in Sebastians Arbeitszimmer. Der Bergpfarrer saß hinter seinem Schreibtisch. Als die Besucherin eintrat, stand er auf.

»Liebe Frau Gramser, herzlich willkommen in Sankt Johann«, begrüßte Sebastian die Frau. »Schön, daß Sie da sind. Wir sind froh, daß wir Sie für die Aufgabe gewinnen konnten.«

Kathrin Gramser freute sich über diese herzliche Begrüßung. Zuerst war sie ein wenig erstaunt gewesen. Wie ein Geistlicher sah Pfarrer Trenker nämlich überhaupt nicht aus. Eher schon wie ein prominenter Sportler oder Filmstar.

Sebastian hatte das Erstaunen in den Augen der jungen Frau bemerkt. Er wußte genau, was sie jetzt dachte. Allerdings hatte er sich längst abgewöhnt, weiter darüber nachzudenken, warum ihn die Leute immer mit irgend einer Berühmtheit verwechselten.

Er bot der Besucherin einen Platz an. Die Bewerbungsunterlagen sprachen für sich. Sebastian und Toni Wiesinger waren sicher, mit der neuen Gemeindeschwester einen Glücksgriff getan zu haben. Und auch Markus Bruckner, der Bürgermeister von St. Johann, hatte keine Einwände gegen die Einstellung gehabt.

»Nach dem Essen führ’ ich Sie herum und zeig’ Ihnen das Wichtigste«, erklärte Sebastian. »Die Wohnung, die Sie beziehen werden, ist renoviert, und am Nachmittag haben wir einen Termin beim Bürgermeister. Doktor Wiesinger wird auch dabei sein. Wie gesagt, wir freuen uns schon alle sehr auf Ihre Mitarbeit. Bleibt’s dabei, daß Sie in der nächsten Woche anfangen?«

»Vielen Dank, Hochwürden. Ja. Das meiste ist gepackt und der Umzugswagen bestellt«, antwortete Kathrin. »Am Wochenende wird alles aufgeladen und hergefahren.«

»Wenn S’ Hilfe brauchen, dann sagen S’ nur Bescheid«, bot der Seelsorger an.

Sie versicherte, daß sie genug Helfer habe, die auch beim Einräumen da sein würden. Schließlich meldete sich Sophie Tappert und bat zu Tisch. Kurze Zeit später kam auch Max. Sebastian machte die neue Gemeindeschwester mit seinem Bruder bekannt, und gemeinsam setzten sie sich an den gedeckten Tisch. Kathrin war hingerissen von den Kochkünsten der Haushälterin.

»Auch wenn’s unverschämt klingt – ich hoff’, daß ich öfter zum Essen eingeladen werd’«, meinte sie lachend.

»Darauf dürfen S’ wirklich hoffen«, stimmte Sebastian ein. »Uns’re Frau Tappert freut sich immer, wenn sie für viele Leute kochen kann.«

Die Unterhaltung bei Tisch wurde immer lockerer. Die junge Frau machte auf die anderen einen guten Eindruck, und schnell einigten sich Max und Kathrin darauf, sich mit den Vornamen anzureden.

»Lassen S’ bloß das ›Schwester‹ weg«, bat sie. »Schwester Kathrin – das klingt so nach Krankenhaus. Ich möcht’, daß die Menschen, die ich betreu’, sich mir gegenüber so ungezwungen verhalten wie nur möglich. Schließlich will ich keine Respektsperson für sie sein, sondern eine Hilfe. Dabei ist’s egal, ob sie körperlich krank sind, oder nur einmal seelischen Zuspruch brauchen.«

Dem Seelsorger gefiel diese Einstellung, zeigte sie doch, daß die neue Aufgabe für Kathrin Gramser mehr war als nur eine Arbeit, an die man nach acht Stunden nicht mehr dachte. Sebastian freute sich auf die Zusammenarbeit.

*

»Hallo, ich bin wieder da«, rief Nina Kreuzer.

Sie hatte den Kofferraum geöffnet und wartete darauf, daß jemand aus dem Haus käme, um beim Ausladen des Einkaufs zu helfen. Sie trat überrascht beiseite, als Andreas Kramer zupackte und einen der schweren Kartons heraushob.

»Um Himmels willen, lassen S’ das doch«, rief die dunkelhaarige Frau entsetzt. »Das geht doch net, daß…«

»Daß Ihre Gäste mit anpakken?« fragte Andreas lachend. »Warum net? Es ist doch net schlimm, behilflich zu sein. Und schließlich hab’ ich Ihnen zu verdanken, daß ich jetzt net am Straßenrand steh’.«

Endlich wurde die Haustür geöffnet und Anja und Hubert erschienen. Erstaunt schauten sie auf den jungen Mann, der den Wagen entlud.

»Wer ist das denn?« fragte Anja.

Das blonde, leicht füllige Madel sah Nina an. Die hob verzweifelt die Schulter.

»Das ist Herr Kramer – unser Gast…«

»Grüß Gott«, nickte die Blonde dem Mann zu und nahm ihm einen Eimer Öl aus den Händen. »Dank’ schön. Es geht schon.«

Zusammen mit dem alten Knecht leerte sie den Wagen aus. Nina zeigte Andreas unterdessen sein Zimmer. Die Unterkünfte für die Gäste waren in dem alten Gesindehaus eingerichtet worden. Es waren kleine, schlicht eingerichtete Zimmer, die allerdings nur halb so teuer waren, wie in vergleichbaren Hotels.

»Ich hoff’, Sie sind damit zufrieden«, sagte Nina und blickte den Mann erwartungsvoll an.

»Sehr schön«, nickte der.

»Wir haben net sehr viele Zimmer. Eben nur, was wir hier herrichten konnten«, fuhr sie fort. »Dafür kostet’s net viel. Das Frühstück bekommen S’ drüben im Haupthaus auf der Diele, und wenn S’ möchten, dann können S’ mittags auch was zu essen bekommen. Allerdings gibt’s da keine große Auswahl. Eben das, was die Resi, das ist uns’re Magd, auf den Tisch bringt. Aber das schmeckt ausgezeichnet.«

»Dann möcht’ ich das Angebot gern in Anspruch nehmen«, antwortete Andreas. »Hausmannskost sagt mir sowieso eher zu, als immer das feine Essen in den Lokalen.«

Zufrieden schaute er auf die Einrichtung. Sogar Telefon gab

es.

»Lohnt sich eigentlich gar net mehr«, meinte Nina. »Die meisten Leute haben heutzutage ein Handy.«

»Ich auch«, schmunzelte er. »Allerdings hab’ ich meines zu Hause gelassen. Ich will im Urlaub net gestört werden. Ist ja fürchterlich, wenn man überall erreichbar ist.«

Er schaute sie nachdenklich an.

»Natürlich hätt’ ich mir einen Abschleppwagen rufen können, wenn ich’s dabei gehabt hätt’. Aber dann wär’ ich ja net in den Genuß einer Spazierfahrt mit Ihnen gekommen.«

Nina spürte, wie sie bei diesen Worten rot anlief.

»Ich… ich muß dann wieder rüber«, sagte sie und drehte sich um, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte. »Einen schönen Aufenthalt auf dem Ponyhof wünsch’ ich.«

»Danke«, rief Andreas hinterher. »Den werd’ ich haben.«

*

Jetzt beruhig dich bloß wieder! sagte Nina zu sich, während sie über den Hof lief. Na, der hat dich ja ganz schön durcheinander gebracht. Die junge Frau mußte schmunzeln. Eigentlich sagte man ihr nach, daß sie die Männer verrückt machte. Sie wußte um die Wirkung auf das andere Geschlecht und setzte sie auch ein, wenn es sein mußte. Nur einmal – da wäre sie beinahe schwach geworden und zwar bei Max Trenker. Der junge Dorfpolizist hatte sich ebenfalls in sie verliebt, aber wenn Nina auch mehr für ihn empfunden hatte als für andere Männer, so war ihr doch bewußt gewesen, daß sie es sich zum damaligen Zeitpunkt gar nicht leisten konnte, sich

von einem Mann auch noch den Kopf verdrehen zu lassen. Schließlich waren die drei Madeln gerade im Begriff, aus dem heruntergekommenen Ponyhof ein schmuckes Ferienhotel zu machen.

Inzwischen verband sie mit Max eine herzliche Freundschaft, und seit der Polizist sein Herz an Claudia Bachinger verloren hatte, war auch diese Gefahr endlich gebannt.

Doch Andreas Kramer war auf dem besten Wege, Ninas gute Vorsätze ins Wanken zu bringen.

Blödsinn! schalt sie sich schließlich. Er ist nur ein Gast und wird in ein paar Tagen wieder abreisen. Dann werd’ ich nie wieder was von ihm hören.

Sandra Rössner deckte den Tisch auf der Diele.

»Kannst’ gleich ein Gedeck mehr auflegen«, sagte Nina. »Der Herr Kramer möchte auch mittags hier essen.«

»Prima«, freute sich die Freundin. »Wir können jeden Nebenverdienst gebrauchen, auch wenn er noch so klein ist. Um so eher haben wir das Darlehen abbezahlt. Ich sag’ gleich der Resi Bescheid.«

Stephan kam die Treppe heruntergehumpelt. Er hielt sich am Geländer fest und stützte sich auf einen Krückstock.

»Na, du Armer. Was macht der Fuß?« erkundigte sich Nina.

»Ach, so langsam geht’s schon wieder«, erwiderte Sandras Mann. »Ich hoff’, daß der Doktor heut’ den Verband abmacht. Wenn ich vorsichtig auftret’, merk’ ich schon fast nix mehr.«

Sie setzten sich an den großen Tisch. Hubert und Anja hatten den Einkauf hereingeschleppt und ins Lager gebracht. Jetzt kamen sie dazu.

»Erzähl’ doch mal«, forderte Anja die Freundin auf. »Wo hast’ denn den Herrn Kramer aufgelesen?«

»Ach, ist der schon da?« fragte Stephan.

Nina nickte und berichtete, unter welchen Umständen sie die Bekanntschaft des Gastes gemacht hatte.

»Na, das ist ja wirklich ein Zufall«, lachte Stephan.

Anja Burger schaute Nina forschend an. Die Dunkelhaarige dukte sich beinahe unter dem Blick. War Anja etwa was aufgefallen?

Nina bemühte sich, nicht in die Richtung zu sehen, als die Haustür geöffnet wurde und Andreas Kramer eintrat. Allerdings bemerkte sie auch, daß Anja sie nicht aus den Augen ließ.

»Servus zusammen«, grüßte der Gast und stellte sich den anderen vor.

Sandra und Resi waren aus der Küche gekommen und brachten das Essen mit.

»Hm, wenn’s so schmeckt, wie’s ausschaut, dann hat sich allein schon deswegen der Urlaub gelohnt«, schwärmte der junge Mann.

War es Zufall, daß er Nina gegenübersaß? Sie wußte es nicht zu sagen, aber sie spürte zwischendurch immer wieder seinen Blick auf sich ruhen.

»Also, Frau Resi, ich hab’ selten so ein gutes Schwammerlgulasch gegessen«, lobte Andreas das Essen. »Und diese Semmelknödel sind so locker, daß man achtgeben muß, daß sie einem net vom Teller fliegen.«

Stephan und die drei Madeln freuten sich, einen solchen sympathischen und unkomplizierten Gast am Tisch zu haben. Schnell war man beim du angekommen, schließlich war Andreas im selben Alter wie die anderen, und ihm wäre es nicht recht gewesen, wenn er von ihnen als Gast hofiert worden wäre. Er fühlte sich gleich in ihrer Mitte wohl, und sie merkten das auch.

Nach dem Essen, das von einem leckeren Pudding mit Fruchtsoße gekrönt wurde, standen Sandra und Stephan auf.

»Wir müssen leider los«, erklärte der Verletzte. »Aber Doktor Wiesinger hat heut’ nachmittag keine Sprechstunde, und ich bin froh, daß er mich trotzdem noch behandelt. Braucht noch jemand etwas aus Sankt Johann?«

Die anderen schüttelten die Köpfe, lediglich Andreas schaute fragend in die Runde.

»Gibt’s da eine Werkstatt?« erkundigte er sich. »Ich muß meinen Wagen ja noch abschleppen lassen.«

»Ich such’ dir gleich die Telefonnummer ’raus«, rief Anja, die mit den Tellern auf dem Weg in die Küche war.

Nina nahm die beiden großen Schüsseln und ging hinterher. Anja hatte das Geschirr auf die Spüle gestellt. Grinsend drehte sie sich um.

»Holla, da hat’s aber jemanden ganz schön erwischt«, lachte ihre Freundin sie an.

Nina zuckte zusammen. Hat Anja doch was gemerkt? Hab’ ich mich etwa irgendwie auffällig benommen?

»Also, wie der dich immer angeschaut hat, der Andreas – der hat sich ja total in dich verguckt.«

Nina war erleichtert, daß nicht sie es war, die sich verraten hatte.

»Meinst’ wirklich?« tat sie ahnungslos.

»Na, wenn ich’s sag!«

Anja schlug das Telefonbuch auf.

»Hier«, sagte sie und deutete mit dem Finger auf den Eintrag. »Willst’ es ihm selber zeigen?«

Nina gab ihr einen Stubser.

»Jetzt hör’ aber auf«, meinte sie. »Ich kenn’ den Andreas erst seit einer Stunde. Was redest’ denn da für einen Unsinn?«

»Unsinn?« echote die Freundin. »Das nennt man Liebe auf den ersten Blick.«

»Wer ist verliebt?« vernahmen die beiden Resis Stimme.

Die Magd stand in der Küchentür und schaute sie neugierig an.

»Ach, niemand!« erwiderte Nina bestimmt und nahm Anja das Telefonbuch aus der Hand.

Während Resi ihr fragend nachschaute, konnte Anja sich das Lachen nicht verkneifen. Die alte Magd schüttelte verwundert den Kopf.

»Man könnt’ meinen, der Frühling sei angebrochen«, sagte sie. »Dabei ist doch schon Juli.«

*

»Hast’ also auch so einen guten Eindruck von der Kathrin Gramser gehabt«, stellte Sebastian Trenker beim Abendessen fest.

Max nickte.

»Ein sauberes Madel«, meinte er zwischen zwei Bissen. »Und so unkompliziert. Wenn ich am Wochenend’ Zeit hab’, werd ich ihr beim Einzug helfen.«

Der Geistliche lehnte sich entspannt zurück. So langsam kam alles in Fluß. Die Suche nach einer Gemeindeschwester hatte ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen. Zuerst sah es aus, als würde sich überhaupt niemand auf die Anzeigen hin bewerben. Dann hatte es doch noch geklappt. Wieder einmal hatte es sich ausgezahlt, Geduld zu haben. Jetzt fand sich bestimmt auch bald jemand, der für die Stelle des Geschäftsführers auf Hubertusbrunn in Frage kam.

»Gehst’ heut’ abend mit zum Stammtisch?« fragte Sebastian seinen Bruder.

Der Polizeibeamte schüttelte den Kopf.

»Heut’ net. Die Claudia kommt noch rüber. Wir wollen es uns drüben gemütlich machen.«

Der Seelsorger schmunzelte. Seit Max und die Journalistin ein Paar waren, schien sein Bruder sich um hundertachtzig Grad gedreht zu haben. Sogar den wöchentlichen Stammtisch ließ er sausen. Aber das war Sebastian durchaus recht. Immerhin war es Claudia Bachinger gelungen, den Herzensbrecher zu zähmen.

»Dann grüß’ sie recht schön von mir«, meinte er.

Nachdem Max gegangen war, setzte sich der Geistliche ins Arbeitszimmer und arbeitete ein paar Akten durch. Wenn es weiter so gut voranging, konnte er getrost mal wieder eine Bergtour ins Auge fassen.

Beim Stammtisch war die neue Gemeindeschwester natürlich Tagesgespräch. Ein paar hatten sie am Nachmittag in Begleitung des Pfarrers gesehen, als Sebastian Kathrin herumführte und ihr alles zeigte.

»Wo kommt sie denn eigentlich her?« fragte Ignaz

Herrnbacher, der Kaufmann.

»Gebürtig ist die Frau Gramser aus Passau««, berichtete Sebastian. »Zuletzt hat sie als Schwester in einem Damenstift in der Nähe von Rottach gearbeitet.«

»Also, auf mich hat sie einen qualifizierten Eindruck gemacht«, ließ sich Markus Bruckner vernehmen. »Und sozial scheint sie auch eingestellt zu sein, sonst hätt’ sie net diesen Beruf ergriffen.«

»Ihre Zeugnisse sprechen ebenfalls für sich«, meinte Toni Wiesinger, der gerade hinzugekommen war.

Das Gespräch wendete sich anderen Dingen zu, und da gab es genug Themen. Seien es die Brüsseler Bürokraten, die genau festlegten, wie lang eine Salatgurke in Europa sein durfte, oder die Einführung der neuen Währung, mit der viele immer noch nicht zurechtkamen. Auch die Benzinpreise waren ein beliebtes Diskussionsthema, wenn am Stammtisch Politik gemacht wurde.

Erst gegen elf brachen die ersten auf. Unter ihnen auch Pfarrer Trenker. Als er am Polizeirevier vorüberkam, sah er gerade noch Claudia Bachinger, die sich von Max verabschiedete. Die Journalistin arbeitete in Garmisch bei der Zeitung. Sebastian wünschte ihr eine gute Fahrt und ging zur Kirche hinauf.

Es war die letzte Stunde des Tages. Der Geistliche verbrachte sie oft in seiner Kirche, für eine kurze, besinnliche Andacht. Heute war er froh darüber, daß es kein Problem gab, das er mit seinem Herrgott besprechen mußte. Alles schien in bester Ordnung, und über St. Johann lag Ruhe und Frieden.

Nach einem stillen Gebet verließ Sebastian das Gotteshaus und legte sich zufrieden zur Ruhe.

*

»Guten Morgen zusammen. Haben S’ gut geschlafen?«

Sandra Rössner begrüßte die Hotelgäste, die sich zum Frühstück auf der Diele eingefunden hatten. Das war neben Andreas Kramer noch das Ehepaar Gürtler. Beide waren Ende

fünfzig und wohnten schon

zum zweiten Mal auf dem Ponyhof.

»Bei Ihnen schlafen wir immer wie in Abrahams Schoß«, gab Franz Gürtler, ein frühpensionierter Grundschullehrer, lächelnd zurück.

»Und das schönste nach dem Aufwachen ist das Frühstück«, fügte seine Frau hinzu.

»Da kann ich net widersprechen«, ließ Andreas sich vernehmen.

Die drei saßen an dem großen Tisch und hatten sich, während sie es sich schmecken ließen, ausgiebig unterhalten. Dabei hatte Andreas immer wieder auf die Küchentür geschaut in der Hoffnung, daß Nina sich blicken ließ. Doch diesen Gefallen hatte die Dunkelhaarige ihm bisher nicht getan. Allerdings ahnte er auch nicht, daß sie bereits seit zwei Stunden damit beschäftigt war, zusammen mit Hubert, die Ställe zu säubern und frisches Streu in die Boxen der Ponys zu füllen.

»Und was wollen S’ heut’ unternehmen?« erkundigte sich Sandra.

Das Ehepaar wollte eine Wanderung machen.

»Wenn S’ weiter weg wollen, dann machen wir Ihnen gern ein Lunchpaket fertig«, bot die junge Hotelchefin an.

»Ja, das wissen wir«, nickte Frau Gürtler. »Aber heut’ geht’s nur bis zum Kogler. Das ist ja net so weit. In den nächsten Tagen kommen wir aber gern auf Ihr Angebot zurück. Mein Mann möcht’ nämlich mal wieder auf die Jenneralm hinauf. Aber wir wissen noch net genau, wann. Das ist ganz vom Wetter abhängig.«

»Da kann ich Sie beruhigen«, sagte Anja Burger, die gerade hereingekommen war und den letzten Satz mitbekommen hatte. »Mindestens bis zur nächsten Woche haben wir strahlenden Sonnenschein. Sagt jedenfalls der Wetterdienst – ich übernehm’ natürlich keine Gewähr für diese Vorhersage.«

Das unkomplizierte Madel

setzte sich mit an den Tisch und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Sie schaute Andreas an.

»Hat’s gestern noch geklappt mit dem Auto?« erkundigte sie sich.

Der junge Mann nickte.

»Ja, es ging ganz schnell. Jemand aus der Werkstatt kam her und hat den Schlüssel geholt, und dann haben sie den Wagen abgeschleppt. Bereits heut’ nachmittag soll er fertig sein.«

Sandra erkundigte sich, ob die Gäste noch irgendwelche Wünsche hätten, aber das war nicht der Fall.

»Und was hast’ dir heut’ vorgenommen?« wandte sie sich an Andreas.

Der Versicherungsangestellte zuckte die Schultern.

»Ich weiß eigentlich net so genau«, erwiderte er. »Vielleicht erst einmal ein bissel die Gegend erkunden.«

»Magst’ denn ein Pony ausleihen?«

Andreas schaute skeptisch.

»Ich weiß net, ob die mich überhaupt aushalten.«

»Keine Angst«, beruhigte ihn Sandra. »Die können schon ein ziemliches Gewicht tragen. Außerdem scheinst’ mir gar net soviel zu wiegen.«

»Er könnte doch Tulsa nehmen«, mischte sich Anja ein.

»Tulsa? Wer ist das denn?« wollte er wissen.

»Das ist ein Isländerpony«, erklärte Anja. »Die sind etwas größer als unsere Shetlands.«

»Hm, das ist vielleicht keine schlechte Idee«, nickte er zustimmend. »Das probiere ich aus.«

»Dann kannst’ gleich zum Stall hinübergehen«, sagte Sandra. »Nina ist da und wird dir alles zeigen.«

Anja schmunzelte, als Andreas gleich aufsprang – hatte sie sich also doch nicht geirrt.

»Bis später dann«, rief er und lief hinaus.

Das Ehepaar war aufgestanden und ging ebenfalls. Sandra und Anja räumten den Tisch ab.

»Na, ich will net mehr Burger heißen, wenn sich da net was anbahnt«, meinte die Mitinhaberin des Ponyhofes.

Sandra schaute sie verdutzt an.

»Wo bahnt sich was an?«

»Na, zwischen Nina und Andreas. Hast’ denn keine Augen im Kopf? Die fressen sich ja regelrecht mit Blicken auf. Und eben ist er ganz schnell zum Stall gelaufen, als du gesagt hast, daß Nina dort ist.«

»Tatsächlich? Nein, das ist mir überhaupt net aufgefallen«, gab die andere zu. »Naja, wenn man selbst verliebt ist, dann hat man dafür keinen Blick mehr.«

Anja sah die Freundin lächelnd an.

»Wenn man dich so reden hört, dann könnt’ man denken, ihr seid immer noch in den Flitterwochen, du und Stephan. Ganz neidisch könnt’ man werden.«

Sandra Rössner hatte das schmutzige Geschirr abgestellt. Sie drehte sich um und nahm Anja in den Arm.

»Manchmal denk’ ich wirklich, daß alles erst ein paar Tag’ her ist, und dem Stephan geht’s genauso. Wir lieben uns wie damals,

als wir uns kennengelernt haben.«

Sie drückte die Freundin.

»Für dich finden wir auch noch einen«, versprach sie augenzwinkernd.

»Das dürfte allerdings net

leicht sein«, meinte Anja unbekümmert. »Ich bin nämlich wählerisch.«

*

»Guten Morgen«, grüßte Andreas strahlend, als er den Stall betrat.

Nina und Hubert hatten gerade ihre Arbeit beendet und die Forken und Schukarren an ihren Platz gestellt. Der alte Knecht nickte dem Gast zu und ging zum Bauernhaus. Nina verbarg ihre Aufregung und begrüßte Andreas.

»Hast’ gut geschlafen?«

»Prima«, versicherte er. »Die Sandra sagt, du würdest mir zeigen, wo Tulsa steht.«

»Aha, du sollst also uns’ren ›Isi‹ reiten. Hast’ denn Erfahrung mit Pferden?«

Andreas sah sie spitzbübisch an.

»Wenn ich jetzt nein sag’, bekomm’ ich dann Unterricht von dir?« wollte er wissen.

Die Dunkelhaarige schüttelte den Kopf.

»Nein«, erwiderte sie. »Dann bekommst’ kein Pony und mußt zu Fuß gehen.«

Sie hatte es ebenfalls lächelnd gesagt.

»Keine Angst«, bemerkte er. »Ich reit’ seit meinem sechsten Lebensjahr. Allerdings saß ich noch nie auf einem Islandpony. Muß ich da etwas Besond’res beachten?«

Sie waren inzwischen zu der Box gegangen, in der Tulsa stand.

»Nein, eigentlich net«, antwortete Nina. »Im Grunde ist es auch net anders als auf einem anderen Pferd.«

Tulsa war ein bildschöner, gefleckter Hengst. Er schnaubte freudig, als Andreas ihn aus seiner Box holte. Nina zeigte, wo Sättel und Zaumzeug zu finden waren. Sie half beim Satteln und schaute dann nachdenklich auf die Schuhe, die der Versicherungsangestellte trug.

»Also damit geht’s net«, meinte sie. »Wenn da was passiert, bekommen wir Ärger mit der Firma, in der du arbeitest, und die Prämien für den Unfallschutz springen in die Höhe. In den Schuhen darfst net reiten.«

Andreas blickte an sich herunter.

»Stimmt«, nickte er. »Daran hab’ ich überhaupt net gedacht. Reitstiefel hab’ ich aber net. Was machen wir denn da?«

Die junge Frau überlegte einen Moment und erkundigte sich nach seiner Schuhgröße.

»Zweiundvierzig.«

»Hm, das müßte gehen. Der Stephan hat dieselbe Größe, aber im Moment kann er net reiten, wegen dem Fuß.«

Sie holte ein Stiefelpaar aus der Kammer, und Andreas probierte sie an.

»Paßt wie angegossen«, meinte er.

Nina nickte zufrieden.

»Jetzt noch den Helm, dann kann’s losgehen.«

Sie reichte ihm die Reiterkappe, deren Innenteil verstärkt war. Andreas setzte sie auf und band sie unter dem Kinn fest. Dann nahm er Tulsa am Zügel und führte ihn auf den Hof. Dort saß er auf.

»Viel Spaß«, wünschte Nina.

»Dank’ schön«, antwortete er. »Aber bestimmt wär’s noch schöner, wenn du mitkönntest.«

Die Mitinhaberin des Ponyhotels lächelte.

»Vielleicht ein andermal.«

Andreas’ Augen leuchteten auf.

»Versprochen?«

Nina nickte ergeben.

»Versprochen.«

Sie schaute ihm nach, wie er vom Hof ritt, und ihr Herz schlug bis zum Hals hinauf. Gestern hatte sie sich den ganzen Tag über bemüht, ihm aus dem Weg zu gehen, und in der Nacht war sie mehrmals aus unruhigem Schlaf aufgewacht und hatte ständig an Andreas denken müssen. Als er ihr jetzt so unvermittelt im Stall gegenüberstand, da hatte sie gar nicht wohin gewußt mit ihren Gefühlen. Und offenbar wurden sie erwidert. Wie anders sollte sie sich die Freude erklären, die Andreas eben zeigte, als sie einwilligte, ihn auf einen Ausritt zu begleiten?

Hatte Anja womöglich recht? War es Liebe auf den ersten Blick? Bei ihr und bei ihm?

Wie schon zuvor dachte sie daran, daß es lange kein Mann geschafft hatte, sie so zu beeindrucken, wie Andreas Kramer es tat. Ihr schwindelte, als sie sich vorstellte, in seinen Armen zu liegen und seine Küsse zu spüren.

*

Kathrin Gramser stand in der Tür ihres kleinen Wohnzimmers und blickte auf die Umzugskartons, die sich an der Wand stapelten, an der bis gestern noch der große Tisch mit den sechs Stühlen gestanden hatte. Der war jetzt auseinandergebaut und verkauft worden, mitsamt den Stühlen. In der neuen Wohnung, die sie in St. Johann bezog, war dafür leider kein Platz mehr.

Schade, dachte sie. Den Tisch werd’ ich vermissen, und vor allem die Freunde, die daran gesessen hatten. Nun würde sie sich einen neuen Freundeskreis aufbauen müssen. St. Johann war zu weit von Rottach entfernt, als daß man mal eben zu Besuch kommen konnte. Dabei waren es immer schöne Abende gewesen. Sie hatten zusammen gekocht und gegessen, und bei Kaffee und Wein geistvolle Gespräche geführt. Doch das war nun vorbei. Regelmäßige Anrufe, und vielleicht alle paar Wochen mal ein Besuch, mehr würde von ihrem bisherigen Leben nicht übrig bleiben.

Auf eine Art bedauerte Kathrin diese Entwicklung, andererseits bedeutete sie aber auch eine Befreiung für die junge Frau, löste sie sich doch endlich aus dem Schatten ihrer Schwester. Barbara, die Eiskalte, Barbara, die berechnend war! Barbara, die Frau, die ihr den Mann forgenommen hatte!

Kathrin verließ die Wohnstube und ging ins Schlafzimmer. Hier sah es auch nicht viel besser aus als nebenan. Auch hier stapelten sich Kartons und Kisten, und die junge Frau hatte sich immer wieder darüber gewundert, wie viele Sachen sie besaß, die eingepackt werden mußten. Dabei hatte sie den bevorstehenden Umzug schon als Chance genutzt, sich von vielen Dingen zu trennen, die sie nicht mehr gebrauchen konnte.

Allerdings hatte sie sich die kleine Ecke, in der das Bett stand, freigehalten, um wenigstens einen winzigen gemütlichen Ort zu haben, an den sie sich zurückziehen konnte, solange sie noch hier war. Bis übermorgen würde sie noch so hausen müssen, dann kam der Umzugswagen, und sie ließ die Welt hier hinter sich.

Das Telefon klingelte und unterbrach ihre Gedanken. Kathrin schaute auf die Uhr, es war bereits nach zehn. Wer rief so spät noch an? Sollte etwa…?

Als sie die Stimme ihrer Schwester hörte, wußte sie, daß sie mit ihrer Ahnung richtig gelegen hatte.

»Hallo, ich bin’s, Babsi«, rief die Anruferin fröhlich. »Hast’ etwa schon geschlafen?«

»Nein, hab’ ich nicht«, antwortete Kathrin matt.

Dabei wäre sie gerne längst ins Bett gegangen. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, mit Frühschicht und anschließendem Marsch auf die verschiedenen Ämter. Alles Wege, die mit ihrem bevorstehenden Wechsel nach St. Johann in Zusammenhang standen.

»Sag’ mal, was hör’ ich da? Du willst Rottach verlassen? Warum hast’ mir denn nix davon erzählt?«

Die Stimme der Schwester klang empört. Kathrin schüttelte den Kopf. Wie hätte sie ihr das wohl sagen können, wenn sie sich nur alle Jubeljahre begegneten?

Allerdings behielt sie ihre Gedanken für sich.

»Ich hatte noch keine Gelegenheit«, erwiderte sie statt dessen.

»Also, ich bitte dich! Du kündigst deine Arbeit und ziehst ganz von hier fort. Das ergibt sich doch net in ein paar Tagen«, hielt Babsi ihr vor. »Das mußt doch schon lang’ wissen. Wenn ich net zufällig den Elmar getroffen hätt’, dann wüßt’ ich wahrscheinlich am Nikolaus noch nix davon.«

Elmar war ein gemeinsamer Bekannter, der Kathrin auch beim Packen geholfen hatte.

Vielleicht hätt’ ich ihn bitten sollen, niemandem etwas zu sagen, überlegte die Krankenschwester.

»Nun weißt du’s ja«, meinte sie schließlich. »Aber das ist doch bestimmt net der Grund für deinen Anruf, oder?«

Barbara Gramser räusperte sich. Aha, dachte Kathrin, hab’ ich also recht.«

»Ich… ich wollt’ dich bitten, ob du mir noch einmal mit ein bissel Geld aushelfen kannst«, kam dann auch die Frage, mit der sie schon gerechnet hatte.

»Ich versteh’ dich net, Barbara«, antwortete sie. »Wir haben net einmal den fünfzehnten, und du bist schon wieder blank. Herrgott noch mal, ich kann doch net das Geld für dich auch noch mitverdienen.«

»Komm, sei net bös’«, hörte sie die honigsüße Stimme ihrer Schwester. »Du bekommst es auch zurück. Ich versprech’s.«

Kathrin atmete tief durch. Versprechungen dieser Art kannte sie nur zu gut. Wie oft schon hatte Barbara versprochen, sich zu ändern, sich eine anständige Arbeit zu suchen. Ganz zu schweigen davon, daß sie das viele Geld zurückzahlen wollte, das Kathrin ihr immer wieder auslieh, wenn man wieder die Miete fällig war oder der Gerichtsvollzieher vor Barbaras Wohnungstür stand.

»Also schön«, seufzte die junge Frau. »Wieviel brauchst’ denn diesmal?«

»Naja, so fünfhundert Euro.«

Kathrin schluckte.

»Na gut«, sagte sie, auch wenn damit ihre Ersparnisse erheblich reduziert wurden. »Ich bring’s dir morgen vorbei.«

»Ach, du bist ein Schatz. Ich wußte doch, daß ich mich auf dich verlassen kann. Bist’ so lieb und steckst es in den Briefkasten? Weißt’, ich bin nämlich gerad’ in München und komm erst morgen abend wieder zurück.«

Die Krankenschwester schüttelte den Kopf. Das sah Barbara ähnlich – kein Geld, aber sich in München amüsieren.

»Ja, mach’ ich«, antwortete sie. »Und jetzt muß ich ins Bett, morgen ist mein letzter Arbeitstag und am Samstag zieh’ ich um.«

»Versteh’ schon«, sagte ihre Schwester. »Wie heißt das Nest noch, in dem du dann wohnst?«

»Sankt Johann.«

»Ach ja. Gut, dann schreib’ doch mal«, rief Barbara und legte auf.

Das werd’ ich ganz bestimmt net machen, dachte Kathrin, während sie ins Bad ging. Die fünfhundert Euro würde sie ohnehin nicht wiedersehen, und ansonsten hatte sie kein Interesse daran, weiter Kontakt zu Barbara zu halten. Denn dazu hatte sie ihr zu weh getan.

*

»Das ist der Höllenbruch«, erklärte Nina Kreuzer ihrem Begleiter und deutete auf das Waldstück vor ihnen. »Da geht’s den Berg hinauf zur Hohen Riest. Das alles gehört zum Ainringer Wald.«

Andreas Kramer richtete sich im Sattel auf und folgte ihrem Fingerzeig. Die beiden Ponys standen auf einer Almwiese, und die Reiter blickten vom Bergwald zum Tal hinüber.

»Dann sind das der Himmelsspitz und die Wintermaid«, stellte der junge Mann fest.

Er meinte den Zwillingsgipfel, der sich auf der anderen Seite präsentierte.

»Bravo«, lobte Nina. »Das hast’ dir gut gemerkt. Wollen wir ein bissel absteigen?«

»Eine prima Idee«, nickte Andreas und sprang auch schon aus dem Sattel.

Er hatte wieder das Isländerpony geritten, während das Madel auf einem Shetland saß. Sie banden die Zügel an die Sättel und ließen die Tiere frei laufen.

»Das ist einfach himmlisch

hier«, meinte der Versicherungsangestellte und hockte sich ins Gras.

Nina setzte sich neben ihn.

»Ja, das stimmt. Wir hatten damals keine Ahnung, was uns

hier erwartet«, sagte sie. »Aber wir haben uns’re Entscheidung dazubleiben nie bereut.«

Am Abend zuvor hatte Andreas die Geschichte gehört, unter welchen Umständen die drei Madeln zum Ponyhof gekommen waren.

»Das kann ich versteh’n«, nickte er.

Er blickte die junge Frau an. Nina hatte ihre dunklen Haare mit einem Stirnband gebändigt. Sie trug eine helle Hemdbluse zur blauen Jeans, und wenn sie so strahlend lachte wie jetzt, dann sah sie einfach zum Anbeißen aus.

Andreas merkte, wie er vor Aufregung feuchte Hände bekam.

»Nina, ich…«

Sie sah ihn fragend an.

»Ja?«

Der junge Mann schluckte den dicken Brocken herunter, der plötzlich in seiner Kehle saß, und räusperte sich.

»Ich weiß net, wie ich beginnen soll«, sagte er. »Aber mir ist noch nie ein Madel begegnet, das mich so fasziniert hat wie du.«

Er giff nach ihrer Hand, und sie entzog sich ihm nicht.

»Gleich, als du aus dem Wagen ausgestiegen bist, da hab’ ich gewußt, daß du die Frau meines Lebens bist. Es war Liebe auf den ersten Blick, glaube ich.«

Ninas Herz schlug bis zum Hals hinauf, als sie ihn so reden hörte. Wann hatte jemals ein Mann so zu ihr gesprochen?«

Ihre Finger hatten sich ineinander verfangen. Andreas beugte sich zu ihr und küßte die roten Lippen, die sie ihm darbot. Zaghaft zuerst, dann immer fordernder, und Nina gab sich diesen Küssen ganz hin.

»Ich liebe dich doch auch«, flüsterte sie, als sie in seinen Armen lag. »Auch bei mir war es Liebe auf den ersten Blick, auch wenn ich’s net hab’ glauben wollen. Aber gegen seine Gefühle kann man sich net wehren.«

Minutenlang saßen sie stumm nebeneinander und genossen ihr junges Glück. Dann blickte die junge Frau den Mann forschend an.

»Aber was wird daraus?« fragte sie. »In ein paar Tagen wirst’ wieder abreisen, und ich bleib hier zurück. Was geschieht dann mit uns’rer Liebe?«

Am liebsten hätte sie ihre Zweifel für sich behalten, aber sie wußte, daß sie darüber sprechen mußten. Schließlich lebte Andreas in München, und das war weit. Sehr weit, wenn man verliebt ist und Sehnsucht hat.

»Meinst’ net, daß ich mir darüber net auch schon Gedanken gemacht hätt?« entgegnete er. »Ich hab’ mir überlegt, hierher zu ziehen. Du wirst kaum fortkönnen, also komm’ ich nach Sankt Johann.«

»Wirklich?«

Damit hatte Nina in ihrer kühnsten Vorstellung nicht gerechnet.

»Aber was wird dann mit deiner Arbeit? Schließlich kannst’ ja net jeden Tag nach München fahren, und eine Wochenendbeziehung will ich net. Ich seh’ ja beim Max Trenker und seiner Claudia, wie schlimm es ist, wenn man sich nur so selten sehen kann.«

Sie erklärte, was es mit dem Bruder des Bergpfarrers und der Journalistin auf sich hatte.

»Da mach’ dir mal keine Gedanken«, wiegelte Andreas ab. »Beruflich kann ich mich hier auch einrichten. Heutzutag’ ist alles kein Problem mehr. Wozu gibt’s Computer und das Internet? Ich hab’ einige Kollegen, die ihre Arbeit von zu Haus aus verrichten.«

Er zog sie ganz eng an sich heran und sah sie verliebt an.

»Du glaubst doch wohl net, daß ich solch ein Prachtmadel verlassen könnt’, ohne es wiederzusehen? So eine wie dich findet man nur einmal auf der Welt.«

Der Kuß, der folgte, ließ an der Aufrichtigkeit seiner Worte keine Zweifel. Selig lehnte Nina an seiner Brust und lauschte den Liebesbezeugungen, die er in ihr Ohr flüsterte. Die Sonne ging schon langsam unter, als die beiden sich endlich aufmachten und zum Ponyhof zurückkehrten.

Im Stall begegnete ihnen Anja Burger. Die Freundin lachte Nina an.

»Na, hab’ ich doch recht behalten?« raunte sie ihr zu.

Die junge Frau gab ihr einen Stieber und wandte sich ab. Offenbar stimmte es, daß man es sehen konnte, wenn jemand verliebt war.

*

»Ich glaub’, mit dem Andreas hat Nina den großen Wurf gemacht«, meinte Stephan Rössner zu seiner Frau.

Die beiden saßen in ihrer Wohnung, die sie im ersten Stock des alten Bauernhauses eingerichtet hatten. Eine Wohnstube, das Schlafzimmer und ein Bad. Dann gab es noch ein kleineres Zimmer, das bisher leer stand. Es war für das Kind gedacht, das die beiden sich sehnlichst wünschten. leider hatte sich noch kein Nachwuchs eingestellt.

Sandra schaute von ihrer Lektüre auf.

»Ich wünsch’s ihr jedenfalls«, sagte sie. »Die beiden passen gut zusammen. Daß Andreas hierher ziehen will, find’ ich besonders lieb von ihm. Zeigt es doch, wieviel ihm an Nina liegt.«

Sie legte die Zeitschrift beiseite.

»Es ist doch merkwürdig, daß einem manche Menschen gleich beim ersten Kennenlernen sympathisch sind, und andere wieder nicht«, überlegte sie laut. »Bei ihm hatte ich gleich das Gefühl, daß er zu uns paßt.«

»Stimmt«, nickte Stephan. »Mir ging’s genauso.«

»Jetzt müssen wir nur überlegen, wo wir die beiden unterbringen, wenn sie verheiratet sind. Ninas Zimmer wird wohl auf Dauer net groß genug sein.«

Nina und Anja bewohnten jeweils ein Zimmer auf dem oberen Flur. Nachdem Sandra und Stephan geheiratet hatten, war es klar, daß sie die kleine Wohnung bezogen. Hubert und Resi wohnten ebenfalls im Haus. Man hatte es damals so geplant, weil das alte Gesindehaus für die Hotelgäste hergerichtet wurde. Wenn Nina und Andreas ihre Absicht zu heiraten wahr machten, dann würde das eine Zimmer nicht ausreichen.

»Na, da fällt mir schon was ein«, meinte Stephan. »Laß mich mal erstmal wieder richtig auf den Beinen sein, dann mach’ ich mich an die Arbeit.«

Sandra strich ihm zärtlich über den kranken Fuß.

»Lang’ kann’s ja net mehr dauern«, meinte sie tröstend. »Der Doktor war doch schon ganz zufrieden. Bis zum Geburtstag deines Vaters ist alles wieder in Ordnung.«

»Ach du Schreck, den hab’ ich ja ganz vergessen«, rief ihr Mann. »Das ist doch schon in der übernächsten Woche. Da müssen wir ja hinfahren.«

Seine Frau schüttelte den Kopf.

»Müssen wir net«, widersprach sie. »Deine Eltern kommen zu uns. Vater will seinen Geburtstag hier feiern.«

»Mensch, das ist ja prima!« freute Stephan sich. »Haben wir denn da überhaupt noch Zimmer frei?«

»Keine Sorge«, beruhigte ihn die junge Frau. »Ich hab’ das Zimmer für sie schon reserviert.«

Sie gähnte verhalten.

»Ich denk’, so langsam ist’s Zeit, schlafen zu gehen«, sagte sie. »Morgen wird’s wieder ein langer Tag. Es haben sich etliche Leute angemeldet, und eine Gruppe hat uns der Herr Vilsharder vom Reiterhof herübergeschickt.«

Zwischen dem Ponyhof und dem Ferienhotel ›Reiterhof‹ bestand ein freundschaftlicher Kontakt. Man half sich gegenseitig und empfahl wechselseitig die Gäste, wenn die eigenen Kapazitäten ausgeschöpft waren.

»So muß es sein«, rief Stephan fröhlich. »Auch wenn’s manchmal zuviel wird.«

Sandra wußte, daß er recht hatte. In den Sommemonaten mußte alles mitgenommen werden. Im Winter kamen zwar auch Touristen, aber weniger zum

Reiten, als zum Skifahren, und die Einnahmen waren längst nicht so hoch wie jetzt.

Dennoch konnte sie mit ruhigem Gewissen schlafen gehen. Der Ponyhof stand so gut da wie nie zuvor, und Sandra gedachte jeden Abend in Dankbarkeit ihrer verstorbenen Großtante Waltraud, die sie in ihrem Testament bedacht hatte.

*

Nina und Andreas waren indes längst noch nicht müde. Nach dem Abendessen hatten sie sich verabschiedet und waren nach St. Johann gefahren.

»Du mußt dir endlich einmal die Kirche anschau’n«, hatte die dunkelhaarige Frau gesagt. »Und vielleicht treffen wir Pfarrer Trenker an. Den mußt du unbedingt kennenlernen. Das ist ein ganz außergewöhnlicher Mann.«

Während der Fahrt redete Nina so begeistert über den Bergpfarrer, daß Andreas gar nicht erwarten konnte, den Mann endlich zu sehen. Als sie dann in der Kirche standen, mußte er doch erst einmal tief Luft holen.

»Ist das eine Pracht«, flüsterte er und blickte bewundernd durch das Kirchenschiff auf den Altar, auf die Fenster mit den bunten Glasbildern, die vergoldeten Figuren und die mit Engeln und Blumen verzierte Orgel.

»Na, hab’ ich zuviel versprochen?« fragte Nina.

Auch sie hatte unwillkürlich ihre Stimme gesenkt.

»Nein, ganz gewiß net. So etwas Schönes hab’ ich noch nie gesehen.«

»Komm«, sagte sie und nahm seine Hand.

Sie führte ihn unter die Galerie. Neben der Tür zur Sakristei hing ein großes Ölbild, Gethsemane. Jesus im Gebet versunken, am Abend vor der Kreuzigung. Niemanden, der das Bild betrachtete, ließ der Gesichtsausdruck des Erlösers unberührt, den er, im Bewußtsein des Unabwendbaren, zeigte. Auch Andreas war davon ergriffen.

»Schau hier«, deutete Nina auf eine Madonnenstatue, die daneben auf einem Holzsockel stand. »Sieht sie net wunderschön aus?«

»Doch«, nickte ihr Begleiter.

Er drehte sich um und schaute über die Bänke zum Beichtstuhl, weiter auf den Altar.

»Und hier werden wir heiraten.«

Nina lächelte, und eine Freudenträne lief über ihr Gesicht. Andreas küßte sie zärtlich fort.

Eine Stimme ließ sie auseinanderfahren.

»Guten Abend, Nina«, sagte Sebastian Trenker.

Die beiden hatten gar nicht bemerkt, daß der Geistliche die Kirche betreten hatte. Die junge Frau fühlte sich irgendwie ertappt und spürte, daß sie rot anlief. Sebastian sah indes über ihre Verlegenheit hinweg und reichte ihr die Hand.

»Schön, daß du deinem Begleiter uns’re Kirche zeigst«, meinte er. »Ich freu’ mich immer, wenn Besucher hereinkommen.«

Er gab auch Andreas die Hand und stellte sich vor.

Der Versicherungsangestellte konnte verstehen, warum Nina auf der Fahrt hierher so von dem Geistlichen geschwärmt hatte. Nicht nur, daß er nicht wie ein Pfarrer aussah, er hatte auch noch eine ganz besondere Ausstrahlung. Irgendwie hatte man gleich das Gefühl, Pfarrer Trenker schon lange zu kennen, und so, wie er sich gab, konnte man gleich Vertrauen zu ihm haben.

»Ja, Nina hat gesagt, ich müsse mir die Kirche unbeding ansehen«, erklärte Andreas, nachdem er sich ebenfalls vorgestellt hatte. »Und ich muß sagen, sie hat net zuviel versprochen.«

»Das freut mich, daß es Ihnen gefällt. Kommen S’, ich zeig’ Ihnen noch ein paar Besonderheiten.«

Es gab viel zu sehen und zu erklären. Andreas wurde indes nicht müde, immer wieder Fragen zu stellen und zeigte offenkundig Interesse, worüber Sebastian sich besonders freute.

Natürlich war es dem Seelsorger nicht verborgen geblieben, daß es etwas gab, das die beiden jungen Leute verband, und er hatte keine Scheu, danach zu fragen.

»Ja, wir wollen heiraten«, nickten Nina und Andreas. »Und natürlich hier, in dieser Kirche.«

»Das find’ ich schön«, sagte Sebastian. »Wenn zwei Menschen in den Stand der Ehe treten, dann sollten sie es immer mit dem Segen unseres Herrn tun. Laßt euch nur rechtzeitig einen Termin einfallen. In den nächsten Wochen steh’n einige Trauungen an.«

»Also, eine Weile wird’s noch dauern«, bemerkte der junge Mann. »Ich muß erst einmal zurück nach München und dort alles organisieren. Es ist ja alles so plötzlich gekommen.«

Er blickte Nina an und schmunzelte.

»Eigentlich wollt’ ich nur ein paar Tage Urlaub machen«, sagte er. »Ich hab’ ja net wissen können, daß ich hier der Liebe meines Lebens begegne.«

Die junge Frau erwiderte zärtlich seinen Blick.

»Ja, manchmal trifft es einen schneller, als man glauben mag«, lachte sie.

Auch Sebastian stimmte ein. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile. Als die beiden Verliebten zum Ponyhof zurückfuhren, hatte Andreas nicht nur einen der interessantesten Menschen kennengelernt, die ihm je begegnet waren, er hatte sich auch mit Pfarrer Trenker zu einer Bergtour verabredet.

*

Kathrin war froh, daß alles so gut geklappt hatte. Gleich morgens um sieben Uhr waren die beiden Helfer gekommen und hatten alles in den Umzugswagen geladen. Elmar Gundlach und Robert Heinze. Den ersten kannte die junge Krankenschwester seit ihrer Schulzeit, Robert war bis gestern noch ein Arbeitskollege gewesen. Beinahe wehmütig dachte sie an den Abschied von den Kollegen und den Bewohnern des Stifts, in dem sie mehr als fünf Jahre gearbeitet hatte.

Gegen neun war alles zur Abfahrt bereit. Kathrin hatte die Wohnung noch einmal ordentlich gefegt und dann an den Vermieter übergeben. Auch hier fiel ihr der Abschied nicht leicht, hatte doch zwischen ihr und der Familie Wegmann immer ein gutes Verhältnis geherrscht.

»So, können wir?« fragte sie die beiden Freunde, die schon längst im Führerhaus saßen.

Elmar nickte.

»Gut. Ich fahr’ voraus«, sagte Kathrin und stieg in ihr eigenes Auto.

Sie war froh, daß Elmar und Robert mitfuhren. Nicht nur, daß sie in St. Johann Hilfe beim Umzug hatte, die beiden würden auch den Wagen wieder mit zurücknehmen und bei der Verleihfirma abgeben. Sie startete den Motor und fuhr los.

Auf dem Weg aus der Stadt hielt sie vor dem Haus an, in dem ihre Schwester wohnte. Kathrin steckte den Umschlag mit dem Geld in den Briefkasten. Noch einmal schaute sie zu den Fenstern hinauf, dann stieg sie wieder ein und verließ Rottach endgültig.

Die Fahrt nach St. Johann verlief ohne Probleme. Einmal legten sie eine Pause ein, dann fuhren sie direkt bis zu Kathrins neuem Heimatort.

Die Wohnung, die ihr von der Gemeinde zur Verfügung gestellt worden war, lag im ersten Stock eines Zweifamilienhauses. Sie hatte drei große, helle Zimmer, und einen geräumigen Balkon. Das Haus stand in einer Seitenstraße. Bis zur Kirche war es nur ein Katzensprung, und das Büro der Gemeindeschwester befand sich im Untergeschoß des Rathauses.

»Schaut gemütlich aus«, meinte Robert Heinze, nachdem sie den Wagen ausgeräumt hatten und auf dem Weg ins Gasthaus waren.

Für Kathrin war es selbstverständlich, daß sie die beiden Helfer zum Essen einlud.

»Ja. Bestimmt kann man hier einen schönen Urlaub verbringen«, nickte Elmar Gundlach. »Scheint mir noch net so überlaufen zu sein wie die Touristenhochburgen.«

Im ›Löwen‹ staunten sie über die Speisekarte. Das las sich alles sehr lecker, und die Preise waren vergleichsweise sehr niedrig.

»Tja, Madel, dann bleibt uns nur noch, dir alles Gute zu wünschen«, sagte Elmar, nachdem die Bedienung die Getränke gebracht hatte und sie sich zuprosteten.

»Und laß bloß mal was von dir hören«, fügte Robert hinzu.

Bisher hatte Kathrin sich tapfer gehalten, doch jetzt überkam sie doch die Rührung. Wenn die beiden nach dem Essen abfuhren, dann fuhr ihre Vergangenheit mit ihnen, und hier begann ein neuer Lebensabschnitt. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, daß alles, was sie in Rottach zurückgelassen hatte, nie wieder in ihr Leben eingriff, und das galt besonders für Barbara.

Das Essen war traumhaft. Herzhafte und einfache Hausmannskost, aber auch feine Delikatessen wurden von Irma Reisinger offeriert. Die drei

Freunde hatten lange ausgesucht und stellten nun fest, daß sie die richtige Wahl getroffen hatten. Wähend sie es sich schmecken ließen, plätscherte die Unterhaltung vor sich hin und die Zeit verging wie im Fluge. Ehe sie sich versahen, war es früher Abend, und für Elmar und Robert Zeit, zurückzufahren.

Auf der Straße umarmten sie sich, dann stiegen die Männer ein. Kathrin winkte ihnen nach, bis der Umzugswagen um die Ecke gefahren war. Dann ging sie langsam die Treppe hinauf.

Nachdenklich stand sie in der offenen Wohnungstür und schaute auf ihr Hab und Gut. Die Möbel hatten die Freunde bereits aufgebaut, nur die Kartons und Kisten mußten noch ausgeräumt werden. Kathrin nahm sich vor, die Arbeit auf den nächsten Tag zu verschieben. Sie hatte sich gerade auf das Sofa gesetzt

und das Radio eingeschaltet, als es an der Wohnungstür klingelte. Verwundert ging sie an die Tür.

Wer mochte das sein?

»Einen guten Abend und herzlich willkommen in Sankt Johann«, sagte Pfarrer Trenker, der mit einem Strauß bunter Blumen aus dem Pfarrgarten vor ihr stand.

»Vielen Dank«, freute sich die junge Krankenschwester. »Kommen S’ doch herein. Auch wenn’s noch ein bissel chaotisch ausschaut – einen Sessel kann ich Ihnen jedenfalls schon anbieten.«

»Dank’ schön, Frau Gramser. Ich will Sie gar net lang’ aufhalten, wie ich seh’ haben S’ noch genug zu tun.«

Sebastian ließ sich dann aber doch noch ins Wohnzimmer bitten, wo er in einem der bequemen Sessel Platz nahm. Es roch noch nach frischer Farbe.

»Dann sind S’ also gut angekommen«, stellte der Geistliche fest. »Das freut mich. Mein Bruder wollt’ übrigens zum Helfen kommen, aber leider mußte er ausgerechnet heut’ in der Nachbargemeinde Dienst tun, weil dort ein Kollege ausgefallen ist. Aber sagen S’ nur, wenn S’ noch Hilfe brauchen. Morgen hat er bestimmt Zeit.«

»Das ist nett von ihm«, freute sich Kathrin und deutete auf die Kisten. »Ja, heut’ hat ja alles ganz gut geklappt. Zwei Freunde haben mir sehr geholfen.«

Sie unterhielten sich ein Weilchen, dann verabschiedete sich Sebastian mit dem Hinweis auf die Abendmesse.

»Ach ja, die hätt’ ich beinah’ vergessen«, sagte die junge Frau.

Pfarrer Trenker winkte ab.

»Für heut’ sollten S’ besser schlafen gehen«, meinte er. »Immerhin haben S’ ein paar anstrengende Tage hinter sich. Kommen S’ lieber morgen früh zur Messe, dann stell’ ich Sie

gleich der Gemeinde vor. Außerdem sind S’ morgen mittag im Pfarrhaus zum Essen eingeladen.«

Kathrin nahm den Vorschlag dankbar auf. Sie war wirklich müde und erschöpft. Darum legte sie sich auch gleich schlafen, nachdem sie den Seelsorger zur Tür gebracht hatte.

Was man in der ersten Nacht in einem neuen Heim träumt, das geht in Erfüllung, dachte sie noch, bevor sie die Augen schloß. Hoffentlich träum’ ich was Schönes!

*

Am nächsten Morgen schlug sie schon die Augen auf, noch bevor der Wecker klingelte. Leider hatte sich ihre Hoffnung nicht erfüllt, und nur vage erinnerte Kathrin sich, etwas geträumt zu haben, das mit ihrer Schwester zusammenhing. Sie wußte nicht mehr genau was, nur daß es alles andere als schön gewesen war.

Dieser Traum braucht sich jedenfalls nicht erfüllen.

Schnell hatte sie nach dem Duschen ein kleines Frühstück zubereitet, das sie bei strahlendem Sonnenschein auf dem Balkon genoß. Kathrin beglückwünschte sich nachträglich zu dem Einfall, dafür noch Möbel gekauft zu haben, bevor sie umzog. Zwei kleine Korbsessel und ein Tisch hatten nicht viel gekostet, paßten aber wunderbar zu dem weißen Holz des Balkons.

Von der Familie, die unter ihr wohnte, hatte die junge Frau noch nichts gesehen und gehört. Gestern hatte sie es auch nicht mehr geschafft, sich mit ihr bekannt zu machen. Das wollte sie am Nachmittag nachholen.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß es Zeit für die Messe war. Ein wenig Aufregung verspürte sie schon, als sie daran dachte, gleich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. Sie hatte gerade die Haustür hinter sich ins Schloß gezogen, als die Glocken läuteten.

Pfarrer Trenker erwartete seine Gemeinde vor der Kirchentür und begrüßte jeden Einzelnen. Sein Bruder stand neben ihm. Der Polizist lächelte, als er die Krankenschwester sah.

»Hat alles gut geklappt?« fragte er. »Ich wollt’ ja gern helfen, aber leider…«

»Ich weiß, Ihr Bruder hat’s mir gestern abend erzählt.«

»So, Frau Gramser, kommen S’ einfach mit mir«, sagte Sebastian, nachdem er die Kirchentür geschlossen hatte. »Ich zeig’ Ihnen Ihren Platz.«

Der befand sich gleich neben dem Altar. Dort standen rechts und links ein paar Stühle, auf dem sonst Trauzeugen bei Hochzeitszeremonien saßen. Der Seelsorger begrüßte noch einmal die Gläubigen.

Kathrin vermied es, zu den Bänken zu schauen, obwohl sie wußte, daß alle Blicke mehr auf sie als auf Pfarrer Trenker gerichtet waren. Schließlich war es soweit.

»Ich habe heute die große Freude, euch ein neues Mitglied der Gemeinde vorzustellen«, sagte Sebastian.

Er drehte sich zu Kathrin und bat sie, zu ihm zu kommen.

»Das ist Kathrin Gramser, uns’re neue Gemeindeschwester. Wir sind sehr froh, daß sie sich entschlossen hat, eine nicht immer leichte Aufgabe zu übernehmen. Frau Gramser ist ausgebildete Krankenschwester und Altenpflegerin. Sie hat zuletzt in einem Damenstift in Rottach gearbeitet.«

Der Geistliche erzählte von den Schwierigkeiten, die es bei der Suche nach einer Gemeindeschwester gegeben hatte, und daß man sich allgemein freute, daß die Lücke nun endlich geschlossen werden konnte.

Der Begrüßung durch Pfarrer Trenker schlossen sich ein paar Willkommensworte des Bürgermeisters an sowie die persönliche Vorstellung der Mitglieder des Kirchenrates. Blumensträuße wurden überreicht, und bald hatte Kathrin so viele Hände geschüttelt und Namen gehört, daß ihr der Kopf schwirrte. Sie war froh, als sie sich wieder setzen konnte.

Nach der Messe blieben sie und Max Trenker in der Kirche zurück. Sebastian war in die Sakristei gegangen, wo er die Meßdiener verabschiedete. Die Buben wußten genau, daß der Herr Pfarrer ihnen zur Belohung immer ein bissel Geld gab. Und sie kannten auch die Ermahnung, net gleich alles für Eiscreme auszugeben – schon gar net vor dem Mittagessen.

Schließlich gingen sie zum Pfarrhaus hinüber. Sophie Tappert hatte gleich nach dem Segen die Kirche verlassen und war in ihre Küche geeilt, um das vorbereitete Mittagessen fertigzustellen. Erwartungsvoll nahmen die anderen Platz. Wie immer am Sonntag, war im Eßzimmer gedeckt worden. In der Woche liebte Sebastian es, in der gemütlichen Küche zu essen.

Kathrin freute sich über die Einladung ganz besonders, hatte sie doch schon einmal die Kochkünste der Haushälterin ausprobieren können. Auch heute hatte Sophie Tappert sich wieder einmal selbst übertroffen. Nach einer kräftigen Bouillon mit Markklößchen kam ein leckerer Sauerrahmbraten auf den Tisch. Dazu gab es frisches Gemüse aus dem Pfarrgarten und selbstgemachte Kartoffelknödel. Die Krönung allerdings war der Nachtisch – ein Überraschungsomelett. Hinter dieser geheimnisvollen Bezeichnung verbarg sich ein süßer Traum aus Biskuit und Eischnee, der im Herd überbacken wurde. Der Clou dabei war der Kern des Omeletts, der aus Vanilleeis bestand.

Kathrin lehnte sich erschöpft zurück, als ihr eine zweite Portion davon angeboten wurde.

»Beim besten Willen net«, sagte sie. »Sonst platz’ ich.«

Sie staunte, als Max, der schon reichlich zugegriffen hatte, sich nochmals bediente. Es war unwahrscheinlich, was der Bruder des Geistlichen verdrücken konnte. Dabei sah man es ihm gar nicht an.

»Es war einfach köstlich, Frau Tappert«, bedankte sie sich bei der Köchin.

Während des Essens hatten sie besprochen, was am nächsten Tag alles auf die neue Gemeindeschwester zukam. Es gab ein paar schwere Fälle, wo die Betroffenen auf Hilfe angewiesen waren. Darunter Diabetiker, denen mehrmals täglich eine Insulinspritze verabreicht werden mußte, aber auch Menschen, die sich alleine nicht mehr zu helfen wußten. Sei es, daß sie an einer schweren Krankheit litten, oder einfach nur seelischen Zuspruch brauchten. Kathrin Gramser ahnte, daß da eine Menge Schwierigkeiten auf sie zukamen, die es zu meistern galt. Indes sie scheute keine Arbeit, und Probleme waren für sie da, um angepackt zu werden.

»Sie wissen, daß Sie sich jederzeit an mich wenden können«, sagte Sebastian Trenker nachdrücklich.

Die junge Frau nickte und schaute auf die Uhr.

»Ich glaub’, jetzt wird’s langsam Zeit, wenn ich drüben in der Wohnung noch was schaffen will«, meinte sie.

»Warten S’, Kathrin, ich komm’ mit und helf’ Ihnen«, bot Max an. »Bestimmt gibt’s das eine oder andere noch anzubringen oder aufzubauen. Ich hol’ nur meinen Werkzeugkasten, dann geht’s los.«

»Ach, das ist lieb«, freute sie sich. »Ja, einiges ist wirklich noch zu tun.«

Sie verabschiedete sich von Pfarrer Trenker und der Haushälterin und machte sich dann, gemeinsam mit Max, an die Arbeit.

*

Nina und Andreas genossen ihr junges Glück. In Anbetracht der Tatsache, daß der Versicherungsangestellte schon übermorgen wieder abreiste, hatten die beiden Freundinnen nichts dagegen, daß Nina sich den Nachmittag freinahm. In Andreas’ Wagen fuhren sie an den Achsteinsee.

Bei dem herrlichen Wetter herrschte dort großer Andrang. Alle wollten sie einen Sonnenplatz. Aber das Ufer war groß genug, so daß sich jeder zufrieden auf seiner Decke oder dem Badelaken ausstrecken konnte.

Auch die beiden Verliebten hatten solch einen Platz gefunden. Nina breitete die Decke aus, und Andreas leerte den Korb, den Resi ihnen mitgegeben hatte. Darin befand sich neben Kaffee und Tassen auch ein Paket mit Rührkuchen, den die Magd am Morgen gebacken hatte.

»Ich mag gar net daran denken, daß du übermorgen schon wieder fort mußt«, sagte Nina später, als sie nebeneinander lagen und die Sonne genossen.

Andreas griff nach ihrer Hand.

»Es ist ja net für lang«, versprach er. »Und wir werden jeden Tag telefonieren.«

»Na, das gibt aber saftige Rechnungen.«

Jetzt lachte die junge Frau. Sie richtete sich auf und schaute auf den Liebsten. Andreas blinzelte, weil er direkt in die Sonne schaute.

»Ich frag’ mich immer noch, wie das geschehen konnte«, sagte sie.

»Was meinst du?«

»Das mit uns beiden. Ich hab’ mich noch nie so schnell in einen Mann verliebt wie in dich.«

»Mir ging’s ja net anders.«

Er zog sie zu sich herunter.

»Wenn du jetzt noch rote Haare hättest, dann würd’ ich sagen, du bist eine Hexe, die mich mit ihren Zaubersprüchen verhext und gefangen hat«, lachte er.

Die Küsse, mit denen sie sein Gesicht bedeckte, waren genauso zauberhaft. Lachend kugelten sie über die Decke, und die Blicke der anderen störten sie nicht. Für sie gab es nur sie beide und ihre Liebe.