Der Bergpfarrer Jubiläumsbox 9 – Heimatroman - Toni Waidacher - E-Book

Der Bergpfarrer Jubiläumsbox 9 – Heimatroman E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 10 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Unter anderem gingen auch mehrere Spielfilme im ZDF mit Millionen Zuschauern daraus hervor. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. In Spannungsreihen wie "Irrlicht" und "Gaslicht" erzählt er von überrealen Phänomenen, markiert er als Suchender Diesseits und Jenseits mit bewundernswerter Eleganz. Sichern Sie sich jetzt die Jubiläumsbox - 6 Romane erhalten, nur 5 bezahlen! E-Book 47: Der Liebe wegen nach St. Johann E-Book 48: Das erste Busserl... E-Book 49: Der Tag, an dem ich zu dir fand E-Book 50: Ich klage Sie an, Sebastian Tren! E-Book 51: Liebe, die der Himmel schenkt E-Book 52: Wir glauben an das Glück!

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Seitenzahl: 646

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Inhalt

Der Liebe wegen nach St. Johann

Das erste Busserl...

Der Tag, an dem ich zu dir fand

Ich klage Sie an, Sebastian Tren!

Liebe, die der Himmel schenkt

Wir glauben an das Glück!

Der Bergpfarrer – Jubiläumsbox 9–

E-Book 47-52

Toni Waidacher

Der Liebe wegen nach St. Johann

»Mensch, ist das toll hier! Franzi, schau’ doch bloß mal!«

Das junge Madel, dem dieser Begeisterungsruf über die Lippen kam, strahlte seine Begleiterin an.

Franziska Wohlers nickte Britta Erlanger, ihrer Freundin, zu.

»Stimmt, wunderschön ist’s«, mußte sie zugeben.

Hoch über dem Zwillingsgipfel, »Himmelsspitz« und »Wintermaid«, stand die Mittagssonne. Die beiden Wanderinnen hatten es sich auf einer Almwiese bequem gemacht und genossen den Inhalt der Vesperpäckchen, die ihnen ihre Zimmerwirtin mitgegeben hatte.

Britta holte die Wanderkarte aus der Tasche ihres Anoraks und faltete sie auseinander. Sie waren gleich nach dem Frühstück losgezogen. Allerdings hatte Veronika Birschler, die Inhaberin der Pension »Edelweiß«, sie gewarnt.

»Für einen Aufstieg zur Alm ist’s schon zu spät«, sagte sie. »Da werdet ihr kaum vorm Nachmittag ankommen, und dann müßt ihr noch an den Rückweg denken. Der dauert auch seine Zeit. Es sei denn, ihr wollt auf einer Berghütte übernachten…«

»Warum net«, hatte Britta erwidert. »Wenn der Senner ein fescher Bursch’ ist.«

Die Zweiundzwanzigjährige war die munterere der zwei Freundinnen. Franzi, indes, war in den letzten Tagen eher ruhiger gewesen. Allerdings hatte sie auch einen Grund dazu. Noch immer lag ihr die Trennung von Rolf Herthmann auf der Seele. Der Urlaub in St. Johann sollte sie darüber hinwegtrösten, daß die Beziehung zu dem Mann, von dem sie glaubte, daß sie ihn eines Tages heiraten würde, letztendlich scheiterte.

»Schau«, sagte Britta und deutete auf einen Punkt auf der Karte, »wenn wir hier abbiegen, müßten wir eigentlich zum Abendessen wieder in Sankt Johann sein.«

Die Stelle markierte einen Kreuzweg. Die eine Richtung führte weiter hinauf, bis zur Kanderer Alm, der andere schlug einen Bogen, querte ein kleines Waldstück, und wenn man dem folgte, würde man früher oder später das Dorf wieder erreichen.

»Ich glaub’, die Frau Birschler hat net übertrieben«, meinte Franzi. »Wenn wir wirklich bis zur Hütte hinauf wollen, müssen wir sehr viel früher aufsteh’n.«

»Das können wir uns ja immer noch vornehmen«, antwortete die Freundin und packte die Sachen zusammen. »Los, auf geht’s. Nur keine Müdigkeit vortäuschen!«

Sie hängten sich die Rucksäcke über und wanderten weiter. Es gab soviel Schönes zu sehen, und die mitgenommenen Fotoapparate klickten bei jeder passenden Gelegenheit.

»Wenn’s so weitergeht, reichen die sechs Filme, die ich dabei hab’, gar net«, lachte Britta, nachdem sie wieder einmal Franzi, auf einem Felsbrocken sitzend, abgelichtet hatte.

Langsam führte der Weg wieder bergab. An besonders steilen Stellen stützten sie sich gegenseitig. Schließlich erreichten sie den Bergwald, durch den der Weg führte. Zuerst glaubten sie, sich verlaufen zu haben, doch dann sahen sie den Wegweiser mit der Aufschrift: St. Johann 6 Kilometer.

»Sechs Kilometer!« stöhnte Britta. »Ob ich die noch schaff?«

Franzi lachte.

»Nur keine Müdigkeit vortäuschen«, gab sie jetzt zurück, was sie zuvor von der Freundin hatte hören müssen.

»He, eine alte Frau ist doch kein D-Zug!« beschwerte sich Britta in gespielter Empörung.

»Haha, bist’ ja grad mal ein Jahr älter als ich.«

»Was mich auf etwas Wichtiges bringt«, sagte die andere.

»Wie gedenkst’ eigentlich deinen Geburtstag, in der nächsten Woch’, zu feiern?«

»Da hab’ ich mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken drüber gemacht«, lautete die Antwort.

»Also, da ein romantisches Geburtstagsdinner zu viert, mangels männlicher Begleitung, ausscheidet, schlage ich ein Essen zu zweit im ›Löwen‹ vor«, meinte Britta. »Sollte sich bis dahin allerdings noch was in punkto Männer ergeben, könnt’ ich mir auch einen tollen Hüttenzauber vorstellen. So wie man’s aus Heimatfilmen kennt, mit deftigem Essen, viel zu trinken und zünftiger Musik.«

Franzi lachte hell auf.

»Woher du immer deine Ideen hast! Glaubst’ etwa, die Männer wachsen hier auf den Bäumen, und man bräucht’ sie nur zu pflücken, wie reife Zwetschgen?«

»Ach«, seufzte die Freundin, »dann würd’ ich für immer hierbleiben. Das wär’ das Paradies!«

In der Ferne sahen sie schon die Spitze des Kirchturms. Der Anblick beschleunigte ihre Schritte.

»Um auf deine Frage zurückzukommen«, meinte Britta und zwinkerte mit dem Auge, »was net ist, kann ja noch werden. Warum sollten wir net jemanden kennenlernen?«

Franziska sah sie zweifelnd an.

»Du und deine Vorstellungen! Der Liebe wegen nach Sankt Johann, was?«

Britta zuckte die Schulter.

»Warum net? Das ist doch eine sehr schöne Vorstellung.«

*

Das Frühstück in der Pension »Edelweiß« bestand aus vielerlei Sorten Marmelade, natürlich von Vroni Birschler selbst eingekocht, pikantem Bergkäse, Schinken und guter Almbutter. Dazu gab es frische Semmeln, herzhaftes Krustenbrot, und die Gäste konnten zwischen gekochten und gebratenen Eiern wählen. Tee und Kaffee standen in Warmhaltekannen zur freien Bedienung da, und auch Orangensaft wurde geboten. Schon am ersten Morgen waren die zwei Freundinnen überzeugt gewesen, daß sie mit dieser Unterkunft die richtige Wahl getroffen hatten. Dabei war es ein Glückstreffer gewesen, daß sie hier noch ein Zimmer bekommen hatten, denn in St. Johann herrschte Hochsaison, und der Ort barst förmlich vor Touristen. Wobei es sich vornehmlich um Gäste mittleren und älteren Jahrgangs handelte, die hier Ruhe und Erholung suchten. Außer gut ausgebauten Wanderwegen und vielen gut erhaltenen Sehenswürdigkeiten gab es nämlich kaum besondere Attraktionen, wie sie für andere Urlaubsorte in den Bergen typisch waren. So fehlte eine Diskothek genauso, wie eine Seilbahn, und ein großes Schwimmbad gab es auch nicht.

Aber das ging den Leuten, die hierherkamen, auch gar nicht ab. Sie erfreuten sich an den Schönheiten der Natur, die es auf den Wanderungen zu entdecken gab, besuchten die historische Kirche und hatten ihren Spaß, wenn am Samstag abend, auf dem Saal des Löwen, die Musi’ aufspielte. Die Pensionswirtin hatte sich deshalb auch gewundert, daß es zwei so hübsche, junge Madeln ausgerechnet hierher zog.

Noch mehr verwunderte es sie aber, als dann an diesem Morgen zwei junge Männer vor ihr standen, kaum älter als das Fräulein Wohlers und ihre Freundin.

Vroni wollte gerade sagen: »Bedauere, aber die Zimmer sind alle belegt…«

Da nickten die beiden freundlich und einer erklärte, daß sie reserviert hatten.

»Auf dem Namen Waller«, erklärte er.

Die Pensionswirtin erholte sich von ihrer Überraschung. Natürlich erinnerte sie sich an die Reservierung, die über den Fremdenverkehrsverein in der Kreisstadt hereingekommen war. Allerdings hatte sie vermutet, daß es sich bei den Herrschaften um zwei ältere Herren handelte.

»Können wir bei Ihnen noch frühstücken?« erkundigte sich der andere, nachdem der Zimmerschlüssel ausgehändigt worden war. »Wissen S’, wir sind schon heut’ nacht losgefahren, um keinen Urlaubstag zu verlieren.«

»Freilich«, sagte Vroni. »Allerdings müßten S’ einen kleinen Moment warten. Ich müßt’ erst noch den Tisch eindecken.«

Die beiden sahen sich an und nickten.

»Kein Problem. Wir bringen erstemal unsere Taschen aufs Zimmer.«

Sie stiegen die Treppe hinauf, und die Wirtin eilte ins Frühstückszimmer. Alle Tische waren belegt, nur dort, wo die beiden Mädels saßen, waren noch zwei Stühle frei.

»So, jetzt bekommen S’ Gesellschaft«, erklärte Vroni. »Da sind gerad’ zwei junge Herren angekommen, die noch frühstücken möchten.«

Schnell hatte sie Teller, Tassen und Bestecke aufgelegt. Ein prüfender Blick und sie nickte zufrieden.

Franzi und Britta waren auf ihre neuen Tischnachbarn gespannt.

»Ich hab’s doch gesagt«, meinte Britta triumphierend, »wir lernen jemanden kennen!«

»Fragt sich bloß, was für welche das sind«, gab Franzi zurück. »Wahrscheinlich zwei Frühpensionäre, die mal ein paar Tag’ ohne ihre besseren Ehehälften sein wollen.«

Ihr Gesicht zeigte plötzlich eine verblüffte Miene, als zwei gutaussehende Burschen in der Tür erschienen.

»Ach, da sind S’ ja schon«, sagte Vroni Birschler zu ihnen und führte sie an den Tisch.

Sie machte die Gäste miteinander bekannt, und Achim Kranzler und Michael Waller nickten den Madeln freundlich zu.

»Da werden wir ja wohl für die Zeit unseres Aufenthalt zusammen sitzen«, stellte Achim fest.

Er war vierundzwanzig Jahre alt, studierte, genau wie sein gleichaltriger Freund, Physik an der Universität in Regensburg, und unterschied sich von Michael durch seine dunklen Haare. Beide hatten gut geschnittene Gesichter, wobei dem Blonden der Schalk in den Augen anzusehen war. Schlank und sportlich wie beide waren, gefielen sie Franzi und Britta auf Anhieb.

»Sollten wir uns net duzen?« schlug Achim vor, nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten.

Die Burschen hatten sich erkundigt, wie lange die Madeln schon in St. Johann wären, und gefragt, ob sie ihnen nicht die eine oder andere Sehenswürdigkeit zeigen wollten.

»Das machen wir sehr gern«, antwortete Britta.

Franzi nickte zustimmend.

»Morgen wollen wir allerdings zu einer Almhütte hinauf«, erklärte die Dunkelhaarige.

»Da könnten wir uns doch gleich anschließen. Wenn keine Einwände besteh’n«, meinte Michael.

Dagegen hatten die zwei Freundinnen nichts, woraufhin Achim den Vorschlag machte, das umständliche »Sie« wegzulassen.

Die vier »begossen« ihre neue Bekanntschaft mit einem Glas Orangensaft, dann machten sich die Burschen über das Frühstück her. Vroni Birschler brachte neuen Kaffee und erfüllte den Wunsch nach Rühreiern mit Schinken.

»Was machen wir denn heut’?« fragte Franzi in die Runde.

Michael strich sich über seinen Bauch.

»Ich glaub’, jetzt muß ich mich erstmal eine Stunde hinlegen.«

»Ein bissel Schlaf wär’ net schlecht«, stimmte sein Freund zu.

»Dann könnten wir doch für den Nachmittag was verabreden«, sagte Britta, deren Augen auf Michael ruhten.

Der gefiel ihr von den beiden ausnehmend gut, und der Blick, mit dem er sie manchmal betrachtete, deutete an, daß sie ihm ebenfalls gefiel.

Sie machten aus, sich gegen drei Uhr im Biergarten des Hotels zu treffen, um alles für den nächsten Tag zu besprechen. Während Achim und Michael sich auf ihr Zimmer zurückzogen, machten die beiden Freundinnen einen Bummel durch St. Johann. Auch wenn es keine Touristenhochburg war, so gab es doch eine Vielzahl kleinerer Läden, in denen man stöbern und vielleicht das eine oder andere Schnäppchen machen konnte.

»Na, da steht einem romantischen Geburtstagsdinner, zu viert, ja nix mehr im Weg’«, lachte Britta, als sie die Pension verließen. »Wie gefällt dir eigentlich Achim?«

Franzi zuckte die Schulter.

»Nett.«

»Was, nur nett?«

Britta sah sie erstaunt an.

»Hast’ net bemerkt, wie er dich immer angeschaut hat? Du, ich sag’ dir, der hat sich in dich verguckt.«

»Blödsinn«, schüttelte die Freundin den Kopf. »Wie kommst’ bloß auf so was?«

»Wart’s ab«, meinte die andere, mit Überzeugung in der Stimme, »da kommt die ganz große Liebe auf dich zu.«

»Der werd’ ich lieber aus dem Weg geh’n«, antwortete Franzi. »Die hat sich schon einmal bei mir geirrt. Noch mal passiert’s mir net!«

»Du meinst, wegen…?«

Den Namen wollte sie lieber nicht aussprechen. Aber daß Franzi wegen einer unglücklichen Liebe den Rest ihres Lebens sich nicht wieder verlieben würde, das konnte sie beim besten Willen nicht glauben.

*

»Was hältst denn von den beiden Madeln?« erkundigte sich Michael Waller bei seinem Freund. »Schau’n doch recht fesch aus, net wahr?«

Achim Kranzler schmunzelte.

»Hast’ dich etwa schon in eine verguckt?« fragte er zurück. »Es ist schon ziemlich verblüffend, wie schnell das bei dir immer geht.«

»Blödmann!« sagte Michael und gab ihm einen freundschaftlichen Boxhieb. »Aber mal ehrlich – die Britta, also, die hat etwas!«

»Ja, ja, ich seh’ schon – wir kommen aus dem Urlaub zurück, und du bringst dir als Andenken ein Madel mit.«

Achim ging in das kleine Badezimmer und erfrischte sich. Dabei ertappte er sich, wie er an Franzi dachte, die ihm gegenüber gesessen hatte. Ob ihr aufgefallen war, daß er sie immer wieder verstohlen gemustert hatte?

Schon als er neben Michael den Frühstücksraum betrat, machte sein Herz einen Hüpfer, nachdem er das Madel entdeckt hatte. Als die Pensionswirtin sie dann auch noch an den Tisch führte, an dem die zwei Freundinnen saßen, da konnte er sein Glück kaum fassen. Er mußte zugeben, daß er sich noch nie so schnell in eine Frau verliebt hatte, wie in die hübsche Franzi Wohlers.

Liebe auf den ersten Blick eben!

Achim trocknete sich die Hände ab und ging in das Zimmer zurück. Michael lag schon bäuchlings auf seinem Bett und schlief. Der dunkelhaarige Student stellte sich an das Fenster und schaute hinaus. Die Pension »Edelweiß« lag am Rand des Dorfes. Vom Fenster aus konnte Achim bis zu den Bergen hinüberschauen, die sich in gewaltiger Masse in den Himmel erstreckten. Unterhalb der Gipfel sah er grüne Almwiesen, kleine Bergwäldchen und die Gehöfte der Bergbauern. Es war ein Panorama wie von einer Postkarte.

Ein wenig abgespannt fuhr er sich über das Gesicht. Hinter ihm schlummerte der Freund sanft und selig, und auch er merkte, daß er müde wurde. Als Michael ihn später wieder weckte, war es ihm, als habe er gerade erst die Augen zugemacht.

»Wie spät ist’s denn?« fragte er schlaftrunken.

»Halb drei«, lautete die Antwort.

Sein Studienkollege trug einen Bademantel, um die nassen Haare hatte er ein Frottiertuch gewickelt.

»Zeit, daß du dich fein machst«, frotzelte er. »Unsere Verabredung wartet.«

Achim sprang hoch.

»Wenn man dich so anschaut, könnt’ man denken, daß’ dich auf ein Rendezvous vorbereitest.«

Michael grinste. Er hatte eine Flasche eines teuren und sehr gut duftenden Rasierwassers in der Hand, mit dem er sich reichlich beträufelte.

Kurz vor drei betraten sie den Biergarten des Hotels. Beinahe alle Tische waren besetzt. Die Kaffeezeit begann, und nicht nur die Küche des »Löwen« hatte einen ausgezeichneten Ruf, auch sämtliche Kuchen und Torten waren hier hausgemachte Spezialitäten. Entsprechend groß war der Andrang. Zwar konnte man auch drinnen sitzen, doch bei dem herrlichen Wetter wollten die Leute natürlich draußen die angenehme Wärme genießen.

Franzi und Britta hatten einen Tisch ergattert. Er stand unter einer riesigen Buche, die genügend Schatten spendete und einen der großen, bunten Sonnenschirme überflüssig machte. Als Britta die zwei Freunde am Eingang des Biergartens erblickte, sprang sie auf und winkte ihnen zu.

»Huhu, hier sind wir!«

»Hallo«, begrüßten die Burschen sie. »Habt ihr schon was bestellt?«

»Nee, wir sind ja auch g’rad erst da«, antwortete Britta. »Aber wenn man sieht, was für Tortenstücke hier herumgeschleppt werden, da könnt’ ich glatt zuschlagen.«

Sie strich sich über ihre Taille und seufzte.

»Wenn ich net an meine Linie denken müßte!«

Michael, der sich auf den Stuhl neben sie gesetzt hatte, lächelte charmant.

»Also, da brauchst’ dir ja nun wirklich keine Gedanken drüber zu machen!«

Das Madel strahlte ihn an, und dann hatten die beiden nur noch Augen füreinander.

»Habt ihr euch ein bissel ausruhen können?« fragte Franzi an Achim gewandt.

Der junge Mann nickte.

»Es hat gutgetan«, erwiderte er. »Und jetzt sind wir so richtig unternehmungslustig.«

Eine Bedienung kam und unterbrach ihr Gespräch. Die vier bestellten Kafffee und Kuchen, und beratschlagten, während sie sich die köstliche Moccacremetorte schmecken ließen, was sie an diesem Tag noch unternehmen wollten.

»Also, ich schlag’ vor, daß wir’s ruhig angeh’n lassen«, meinte Franzi, die die Besonnenere der beiden Freundinnen war. »Wenn wir morgen wirklich auf Bergtour wollen, müssen wir heut’ früh in die Federn.«

Der Vorschlag wurde angenommen. Sie saßen noch eine ganze Weile im Biergarten, dann bummelten sie durch St. Johann, und die Madeln zeigten den Burschen, was sie schon alles kennengelernt hatten. Der Abend fand einen gemütlichen Ausklang im Wirtshaus, und gegen neun wünschten sie sich eine gute Nacht.

Vroni Birschler versprach, rechtzeitig für ein kleines Frühstück zu sorgen und reichlich Vesperpakete bereit zu halten. Einer Tour auf die Kanderalm stand nichts mehr im Wege.

*

Im Pfarrhaus war noch alles ruhig, als Sebastian Trenker in der Küche seine Sachen zusammenpackte. Der Geistliche schmunzelte. Die belegten Brote, die seine Haushälterin ihm zurechtgelegt hatte, würden mindestens zwei Wanderer sättigen. Sebastian hatte es sich längst abgewöhnt, Sophie Tappert darauf hinzuweisen, ihm nicht soviel mitzugeben. Die gute Frau war immer noch ängstlich, wenn Hochwürden eine seiner Bergtouren unternahm, und befürchtete, er könne dabei verhungern, gar verunglücken oder Schlimmeres.

Dabei war diese Furcht wirklich unbegründet, denn der gute Hirte von St. Johann kannte sich in den Bergen aus wie kein zweiter. Von Jugend auf hatte er immer wieder Touren unternommen, kannte jeden Pfad und jeden Stein, und wäre da nicht sein Beruf als Seelsorger, den er mit Leidenschaft ausübte, dann wäre er wohl Senner geworden.

Er trank einen letzten Schluck Kaffee, dann warf er sich den Rucksack über und verließ leise das Pfarrhaus. Die Morgendämmerung hatte gerade erst eingesetzt, als er durch die Tür trat und den geharkten Kiesweg zur Straße hinunterschritt.

Im Dorf schliefen die meisten Menschen noch, es brannte kaum irgendwo ein Licht. Höchstens dort, wo jemand genauso früh aufstehen mußte, weil er zur Arbeit in die Kreisstadt fahren wollte.

Sebastian ging gemächlichen Schrittes die Straße hinunter, wandte sich dann nach links und folgte einem schmalen Pfad, der schon bald bergan führte. Noch trug er Hut und Wetterjacke, doch wenn erst die Sonne aufgegangen war, konnte er getrost beides entbehren.

Während er wanderte, gingen seine Gedanken die letzten Wochen zurück. Vieles hatte sich in St. Johann ereignet, und nicht immer sah es so aus, als würde sich das Glück noch wenden. Doch dann war es dem Seelsorger gelungen, im letzten Augenblick, hilfreichend einzugreifen und ein schlimmes Schicksal zu verhüten.

Er dachte dabei an den jungen Mann, der, als Wilderer verurteilt, im Gefängnis gesessen hatte und auf Bewährung freigekommen war. Ein eifersüchtiger Bursche setzte, indes, alles daran, ihm erneute Wilderei in die Schuhe zu schieben. Sebastian und seinem Bruder Max gelang es jedoch, die Sache aufzuklären und den wahren Täter zu überführen.

Nach einer guten Stunde hatte Pfarrer Trenker bereits eine beträchtliche Strecke zurückgelegt und dachte, daß es eine gute Idee sei, sich zwischendurch zu erfrischen. Er setzte sich an den Wegesrand und nahm die Thermoskanne mit dem heißen Kaffee aus dem Rucksack. Es dampfte in der Morgenkühle, als er sie öffnete. Behaglich lehnte er sich an einen Felsbrocken, der in seinem Rücken lag und genoß das Getränk in kleinen Schlucken. Auf die Kanderalm wollte er hinauf. Dort oben lebte Franz Thurecker, der die Kühe und Ziegen mehrerer Bauern betreute, die sich die Almwiesen teilten. Sebastian hatte den Senner schon lange nicht mehr besucht und fand, daß es mal wieder an der Zeit sei, dieses zu tun.

Inzwischen war die Sonne langsam am Horizont aufgegangen, und ihre Strahlen wärmten den einsamen Wanderer. Dennoch beschloß der Geistliche, Hut und Anorak vorerst noch anzulassen. Aber später würde es wärmer werden.

Daß er doch nicht so alleine unterwegs war, wie er vermutete, bemerkte der gute Hirte von St. Johann, als er Stimmen hörte, die sich vom Tal her näherten. Nach einer Weile sah er vier junge Leute heraufkommen. Zwei Madeln, in Begleitung zweier Burschen. Das Quartett war sichtlich guter Laune, wie an dem Lachen, das immer wieder erklang, zu hören war. Die Vier winkten ihm zu, als sie ihn sahen.

»Grüß Gott«, rief einer der Burschen. »Sind wir doch net die einzigen, die schon so früh unterwegs sind.«

Sebastian erwiderte den Gruß und lud sie ein, sich zu ihm zu setzen.

»Wenn man was schaffen will, dann muß man rechtzeitig los«, erklärte er.

Die Wanderer begrüßten ihn noch einmal und stellten sich ihm vor.

»Freut mich, euch kennenzulernen«, nickte er. »Ich bin Sebastian Trenker, der Pfarrer von Sankt Johann.«

Ungläubiges Erstaunen machte sich auf den Gesichtern der jungen Leute breit. Der Geistliche kannte diese Reaktion, entsprach er doch so gar nicht dem landläufigen Bild, das die Menschen gemeinhin von einem Pfarrer hatten.

Sportlich und durchtrainiert, mit einem markanten Gesicht ausgestattet, das vom vielen Aufenthalt im Freien stets eine leichte Bräunung aufwies, gewann man eher den Eindruck, einen prominenten Filmstar vor sich zu haben.

»Wo soll’s denn hingeh’n?« erkundigte er sich.

Von ihrem Standort aus gab es die Möglichkeit, entweder zur Kanderer hinauf, oder auf die Jennersalm zu kommen.

»Wir wollen auf die Kandereralm«, erzählte Achim Kranzler. »Da werden wir wohl noch ein paar Stunden brauchen.«

Sie hatten es Sebastian gleichgetan und sich mit einem Becher Kaffee erfrischt.

»Dorthin will ich auch«, sagte der Seelsorger. »Der Thurecker-Franz macht übrigens einen hervorragenden Mittagstisch. Laßt euch mal überraschen.«

Es verstand sich von selbst, daß sich die vier ihm anschlossen, und schon bald merkten die jungen Leute, welches Glück sie hatten, auf den Gottesmann getroffen zu sein. Einen besseren Bergführer hätten sie nicht finden können. Er zeigte ihnen die schönsten Stellen, die es zu bewundern gab, und immer wieder wurden die Fotoapparate zur Hand genommen und seltene Pflanzen, schroffe Felsformationen und Wildtiere abgelichtet.

Ohne sein Dazutun berichteten die Madeln und Burschen wer sie waren, woher sie kamen und welche beruflichen Ziele sie hatten. Die offene und herzliche Art, in der ihnen Sebastian Trenker begegnete, machte es ihnen leicht, so aus sich herauszugehen.

*

Am frühen Morgen sahen sie die Berghütte in einer Senke liegen.

»Ist das schön!« kam es Franzi unwillkürlich über die Lippen, als sie das alte, schindelgedeckte Gebäude erblickte.

Es stand da, von mehreren kleinen Schuppen und Ställen umgeben. Dahinter grasten Kühe und Ziegen am Berghang, von zwei Hunden bewacht. Hinter der Hütte schien ein Garten angelegt zu sein, und von einem Gebirgsbach führte eine hölzerne Rohrleitung zu einem ausgehüllten Baumstamm, in dem sich das Wasser sammelte. Aus dem Schornstein quoll Rauch, und eben trat der Senner aus der Hütte und richtete die Tische auf der kleinen Veranda für die erwarteten Touristen, die im Laufe des Tages noch heraufkommen würden.

»Das schaut wirklich so aus, wie man’s sich vorstellt«, nickte Britta.

Achim und Michael hatten indes wieder ihre Kameras gezückt und machten fleißig Aufnahmen.

»Das wär’ doch der ideale Ort, deinen Geburtstag zu feiern«, meinte die Freundin.

Franzi zuckte die Schulter.

»Ich bin sprachlos«, meinte sie. »Genauso, wie du’s schon mal angedeutet hast. Hüttenzauber mit Musik und deftigem Essen.«

»Du hast Geburtstag?« fragte Achim überrascht, der das Gespräch mitbekommen hatte. »Wann denn?«

Franzi sah ihn an. Seit die vier am frühen Morgen aufgebrochen waren, hatte der Bursche es immer so eingerichtet, daß er neben ihr ging. Bevor sie auf Sebastian getroffen waren, hatte sich zwischen ihnen eine lebhafte Unterhaltung entwickelt, und das Madel spürte immer stärker, daß ihr Achim nicht gleichgültig war. Frei und ungezwungen hatte es von zu Hause erzählt, dem kleinen Ort in der Nähe von Neu-Ulm, an der Grenze zu Baden-Würtemberg, und der Arbeit als Kindergärtnerin.

Wer weiß, dachte es, vielleicht soll es so sein, daß ich mich nach einer unglücklichen Liebe gleich wieder neu verliebe…

Auch wenn es für sie vielleicht ungewöhnlich war, so hatte Franzi doch beschlossen, sich nicht gegen ihre Gefühle zu wehren und die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Daß dieser gutaussehende Achim Kranzler sich um sie bemühte, war unverkennbar, und sie freute sich über sein stilles Werben.

»Genau heut’, in einer Woch’«, antwortete sie.

»Hey, da machen wir aber eine Supersause daraus!« rief Achim begeistert.

Er senkte den Kopf und sah sie treuherzig an.

»Ich hoff’ doch, daß wir eingeladen werden…?«

Franzi lächelte.

»Natürlich«, nickte sie.

Inzwischen war der Senner auf die kleine Wandergruppe aufmerksam geworden und winkte ihnen zu. Sebastian machte seine Begleiter mit ihm bekannt.

»Als erstes wollt ihr sicher eine Erfrischung«, stellte Franz Thurecker fest. »Hochwürden trinkt immer ein Glaserl Milch.«

Franz war knapp über fünfzig Jahre alt. Das Gesicht war wettergegerbt, und das Haupthaar von der vielen Sonne ganz ausgebleicht. Ebenso der Rauschebart, der Kinn und Oberlippe bedeckte. Er trug derbe Hosen und ein kariertes Hemd. Die Füße steckten in Bergstiefeln. Sein Vorschlag, frische Milch zu bringen, wurde allgemein angenommen, und die Wanderer setzten sich erwartungsvoll auf die Bänke und streckten die Beine von sich.

»Das war ein ganz schöner Marsch«, stöhnte Michael Waller. »Wenn ich da an den Rückweg denk’, wird mir ganz anders!«

»Keine Angst«, beruhigte ihn Sebastian Trenker. »Ich kenn’ da eine Abkürzung.«

»Was? Und das sagen S’ erst jetzt?« rief der junge Bursche in gespieltem Entsetzen. »Da hätten wir uns doch die ganze Strapaze sparen können!«

»Freilich«, schmunzelte der Bergpfarrer, »über den Wirtschaftsweg wär’s kürzer gewesen. Aber längst net so schön. Und ein bissel was muß doch auch dafür getan werden, wenn man mit soviel Naturschönheit belohnt wird.«

»Recht haben S’, Hochwürden«, stimmte Achim zu. »Der Kerl ist bloß zu faul zum Laufen!«

Der Senner brachte die Milch, und sie stürzten sich darauf. Himmlisch schmeckte sie, nach diesem Aufstieg, wie sie so eiskalt die Kehle hinunterrann.

»Was gibt’s denn heut’ Gutes zum Mittag?« fragte Sebastian.

»Ich hab’?einen kräftigen Eintopf auf dem Herd«, erklärte Franz Thurecker. »Mit ordentlich Fleisch drin und viel frischem Gemüse. Außerdem hätt’ ich noch ein Schwammerlgulasch anzubieten.«

Seine Gäste entschieden sich für den Suppentopf, und schon bald standen große, dampfende Terrinen auf dem Tisch. Franz hatte am Morgen frisches Brot gebacken, von dem er dicke Scheiben abschnitt und dazu reichte.

Die Madeln gaben nach dem zweiten Teller auf, aber die jungen Burschen langten tüchtig zu. Am meisten aß Michael, der in dieser Hinsicht den Bergpfarrer an seinen Bruder Max erinnerte. Doch irgendwann ist jeder einmal satt. Der Physikstudent wischte mit seinem Brotstück den letzten Rest vom Teller und sank dann zufrieden zurück.

»Ich glaub’, jetzt brauch’ ich erst einmal einen Verdauungsspaziergang«, sagte er.

»Ich komm’ mit«, rief Britta Erlanger sofort und sprang auf.

Sebastian entging nicht der verstohlene Blick, den Franzi und Achim sich zuwarfen.

*

Sie wanderten ein kleines Stück die Alm weiter hinauf und entschwanden den Blicken der anderen. Auch Michael hatte sich, seit dem Aufbruch am Morgen, intensiv um seine Begleiterin gekümmert. So wußte er, daß Britta ebenfalls aus Senden stammte, wo sie als Rechtsanwalts- und Notargehilfin arbeitete. Sie war seit der Schule mit Franzi befreundet, und es gab nur wenig, was die beiden Madeln nicht gemeinsam unternahmen.

»Wollen wir uns setzen?« fragte er, als sie eine blumenübersäte Wiese erreicht hatten.

Einen Augenblick saßen sie stumm nebeneinander und jeder hing seinen Gedanken nach, die sich doch nur um den anderen drehten.

»Bist eigentlich…, ich mein’, hast eigentlich… einen…?«

Einen Freund, hatte Michael fragen wollen, doch er stammelte nur verlegen. Britta ahnte, was er fragen wollte. Sie schmunzelte und legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Ob ich einen Freund hab’? Nein«, schüttelte sie den Kopf. »Es gab zwar den einen oder anderen, aber ich bin net in festen Händen, wenn du das meinst.«

Zu gerne hätte er gewußt, warum so ein hübsches Madel keinen Freund hatte, aber er befürchtete auch, durch so eine profane Frage etwas von dem Zauber zu zerstören, der zwischen ihnen zu schweben schien.

Es war dieses unnachahmliche Gefühl des Verliebtseins, des Kribbelns im Bauch und der überschwenglichen Gefühle.

»Hätt’st denn was dagegen, in festen Händen zu sein?« fragte er. »Ich mein’…, in meinen?«

Glücklicher hatten ihre Augen nie gestrahlt.

»Nein«, antwortete sie rasch. »Dagegen hätt’ ich nix.«

Und dann ließ sie es geschehen, daß Michael sie ganz fest an sich zog, und ihre Lippen trafen sich zum ersten Kuß.

»So schnell ist’s mir noch nie passiert, daß ich mich in ein Madel verliebt hat«, gestand er.

»Du mußt was ganz Besond’res sein!«

»Du hast mir auch gleich gefallen, als du durch die Tür gekommen bist«, erklärte Britta.

Wieder küßten sie sich, und um sie herum versank die Welt.

»Oh, ich glaub’, wir müssen langsam zurück«, sagte Michael plötzlich.

Er hatte auf die Uhr geschaut und überrascht festgestellt, daß sie beinahe schon eine ganze Stunde alleine gewesen waren.

»Net, daß die and’ren noch einen Suchtrupp losschicken.«

»Ich wett’, der nette Pfarrer Trenker würd’ keine Mühe haben, uns zu finden«, lachte Britta. »Der kennt sich hier aus wie in seiner Westentasche. Oder soll ich besser sagen – Soutane?«

Michael stimmte in das Lachen ein.

»Das ist ein prima Kerl was, dieser Pfarrer?« meinte er, während sie langsam, Hand in Hand, zur Hütte zurück gingen. »Ich hätt’ im Leben net geglaubt, daß so einer ein Kirchenmann ist. Apropos, die Kirch’ in Sankt Johann würd’ ich mir schon gern’ mal anschau’n.«

»Die ist bestimmt sehenswert«, war auch Brittas Meinung.

Als sie bei der Sennerhütte ankamen, zeigte Franz den anderen gerade die Käserei.

»In diesem Bottich wird die Milch erhitzt«, erklärte der Senner. »Wenn das Lab dazugegeben ist, gerinnt sie.«

»Komm’ her«, raunte Achim dem Freund zu. »Das ist hochinteressant. Da kannst’ mal seh’n, wie wirklicher Käs’ gemacht wird, und net dieses Zeug’s aus dem Supermarkt. Vorgeschnitten und abgepackt.«

Sie lauschten den Ausführungen des Käsemeisters, der Franz ja auch war, und es verstand sich von selbst, daß es später, im Reifelager, die eine oder andere Probe zu kosten gab.

»Ich hätt’ da eine Frage«, wandte sich Franzi an den Senner.

»Nur zu«, nickte der Thurecker-Franz.

»Es geht darum, daß ich heut’ in einer Woch’ Geburtstag hab’, den ich gern’ hier oben feiern würd’. Wenn’s möglich ist.«

»Freilich ist’s möglich«, antwortete der Senner.

Es wäre nicht das erste Mal, daß eine kleine Gesellschaft zum Feiern heraufkam. Meistens sorgte er für Essen und Trinken, und später war es immer so, daß Franz seine alte Ziehharmonika hervorholte und die Gäste auch musikalisch unterhielt.

»Wie viele Leut’ werden’s denn so in etwa?« erkundigte er sich.

»Ach, nur wir vier«, deutete Franzi auf Britta und die zwei Burschen. »Und Pfarrer Trenker natürlich, falls er Zeit hat.«

Seit sie die Hütte gesehen hatte, war ihr Brittas Idee mit der Feier nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und daß sie den Geistlichen einladen wollte, stand für sie ohnehin fest.

Franzi und der Senner besprachen die Einzelheiten, und schnell war die ganze Angelegenheit verabredet.

Nach einem Becher Kaffee, den sie noch auf der Veranda tranken, mahnte Sebastian zum Aufbruch.

»Auch wenn’s eine Abkürzung ist, braucht’s doch seine Zeit«, sagte er.

Er führte die Gruppe sicher wieder ins Tal hinunter, und als sie vor der Kirche voneinander Abschied nahmen, da stand für die vier jungen Leute fest, daß der Tag nicht schöner hätte werden können.

»Wenn ihr mögt, dann besucht mich doch mal in der Kirch’«, lud der Geistliche sie zum Schluß ein.

»Das machen wir ganz bestimmt, Hochwürden«, versprachen sie und machten sich müde, aber glücklich auf den Weg in die Pension.

*

»Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben…«, sang Michael Waller lauthals unter der Dusche.

Achim, der vor dem Spiegel stand und sich die Haare fönte, grinste.

»Dich hat’s aber ganz schön erwischt!« stellte er fest.

»Was sagst du?« rief sein Freund. »Ich kann nix versteh’n, das Wasser rauscht so laut.«

»Ach nix«, rief Achim zurück. »Ich hab’ nur überlegt, was du wohl der Britta alles ins Ohr geflüstert hast…«

Michael hatte das Wasser abgedreht und streckte seinen Kopf hinter dem Duschvorhang vor.

»Das sie das Wunderbarste ist, was mir je passiert ist«, sagte er und verdrehte dabei träumerisch die Augen.

»Na, da kann man ja schon die Hochzeitsglocken läuten hören, so, wie du schaust!«

Achim Kranzler war beinahe neidisch auf den Freund. Er hatte sich ebenfalls um seine Begleiterin bemüht, und es war ein wunderschöner Tag geworden, doch so offen seine Liebe zeigen, wie Michael, das konnte er nicht. Es lag wohl an Franzis distanzierter Art.

Hatte sie vielleicht einen Freund, der zu Hause in Senden auf sie wartete? War das der Grund, warum das Madel ihn nicht so recht an sich heranließ? Nicht, daß Franzi unmutig, oder gar abweisend auf seine vagen Annäherungsversuche reagiert hätte, dennoch war die Distanz, die sie zwischen sich und ihm gewahrt wissen wollte, deutlich zu spüren gewesen.

Vielleicht, so hoffte Achim, konnte Britta ihm da weiterhelfen. Als Franzis beste Freundin würde sie wissen, ob es einen anderen Mann in ihrem Leben gab.

»Geh’n wir zum Abendessen wieder ins Wirtshaus?« fragte Michael, der sich seinen Bademantel umgeschlungen hatte und die Haare frottierte.

Achim machte bereitwillig Platz in dem kleinen Bad und ging nach nebenan.

»Hast’ eine bessere Idee?« wollte er wissen.

»Na ja, ich hab’ überlegt, ob wir net mal zum Italiener in die Stadt fahren sollen. Ich hab’ schon ewig keine Pizza mehr gegessen.«

»Wir können ja gleich die beiden fragen«, meinte Achim und schlüpfte in Hemd und Hose.

Wenig später trafen sie unten, an der Rezeption, zusammen.

»Na, wie war der Aufstieg?« erkundigte sich Vroni Birschler.

»Einfach nur schön!« lautete die einhellige Meinung.

Als die Zimmerwirtin erfuhr, daß sie die Bekanntschaft des Seelsorgers gemacht hatten, schmunzelte sie.

»Dann wißt ihr jetzt auch, warum man ihn den ›Bergpfarrer‹ nennt«, sagte sie mit einem Augenzwinkern.

Die liebenswerte Frau, die sich für ihre Gäste aufopferte, wünschte den jungen Leuten noch einen schönen Abend.

»Morgen werdet ihr sicher ausschlafen wollen, gell?«

»Mindestens bis zum Mittag«, nickte Michael, was ihm einen Stüber von Britta einbrachte.

»So schaust’ aus«, sagte das Madel. »Morgen früh woll’n wir in die Kirch’ hinüber, und abends ist Tanz im Wirtshaus. Du siehst, auch morgen haben wir volles Programm. Da wird getanzt bis in die Puppen!«

Lachend gingen die vier hinaus, wobei Michael es sich nicht verkneifen konnte, die Augen zu verdrehen.

Immerhin wurde sein Vorschlag, zum Essen in die Stadt zu fahren, angenommen, und kurz darauf war eine fröhlich singende Gruppe auf dem Weg in die Kreisstadt.

Sie stellten Achims Auto, mit dem die beiden Burschen hergekommen waren, auf einem Parkplatz in der Nähe der Innenstadt ab und marschierten los. Daß Michael und Britta dabei Hand in Hand gingen, war für die beiden anderen schon ein wenig seltsam anzusehen, und immer wieder blickte Franzi verstohlen zu Achim, der neben ihr ging. Manchmal erwiderte er den Blick und lächelte ihr zu.

Franzi gönnte der Freundin ihr Glück. Gleich nach der Ankunft in der Pension hatte Britta ihr erzählt, was ohnehin schon offensichtlich war – sie und Michael waren ein Paar.

Die beiden Freundinnen hatten sich umarmt, und Franzi wünschte der anderen alles Glück der Welt.

»Weißt’, mich hat’s noch nie so erwischt, wie mit dem Micha«, gestand Britta und wischte sich eine Träne fort, die sich in ihr Auge gestohlen hatte.

»Genieß die Zeit«, riet Franzi ihr. »Vielleicht wird ja mehr daraus. Und wenn net, dann waren es halt ein paar schöne Tage.«

»Ich bin ganz sicher, daß Michael es ernst meint«, sagte Britta. »Und vor allem, daß mehr daraus wird. Weißt’, was er heut’ mittag, als ich mit ihm allein war, gesagt hat? Physik könnt’ er auch in Ulm studieren… Sagt das net schon alles?«

Daran mußte Franzi denken, als sie, neben Achim gehend, die zwei glücklichen Menschen vor sich sah.

*

Nach der Morgenmesse war Alois Kammeier damit beschäftigt, die Kirche wieder herzurichten. Sebastian saß unterdessen in der Sakristei und ordnete die alten Kirchenbücher, die hier, neben anderen Utensilien, aufbewahrt wurden. Der Geistliche hatte gerade die großen Folianten in das Regal zurückgestellt, als der Mesner seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.

»Besuch für Sie, Hochwürden«, sagte er.

Sebastian zog sein Jackett über und ging nach draußen. Er ahnte schon, wer ihn da besuchen kam. Ein Strahlen ging über sein Gesicht, als er die vier Wanderkameraden vom Vortag sah.

»Grüß euch, zusammen«, sagte er. »Habt ihr den gestrigen Tag heil überstanden, oder gibt’s irgendwo Blasen an den Füßen?«

»Nein, nein, alles bestens«, versicherten die jungen Leute.

Zur Morgenmesse zu kommen, hatten sie nicht geschafft. Dazu war es gestern abend doch noch ein bissel zu spät geworden. Allerdings war die Teilnahme an dem Gottesdienst ja auch nicht Voraussetzung dafür, sich hinterher die Kirche anzuschauen. Und gerade das hatte Achim Kranzler so an Sebastian Trenker gefallen, daß der Geistliche sie eingeladen hatte, die Kirche zu besichtigen – und nicht zur Messe.

Der gute Hirte von St. Johann führte seine jungen Besucher herum und erklärte ihnen, was es mit dem Grab des Landesfürsten, hinter dem Altar, auf sich hatte. Er zeigte ihnen das Gemälde am Eingang zur Sakristei, das den Erlöser am Abend vor der Kreuzigung darstellte, und natürlich die wunderschöne geschnitzte Madonnenfigur, die schon einmal von gewissenlosen Kirchendieben geraubt worden war.

Besonders die Fensterbilder mit ihren Motiven aus dem Alten und Neuen Testament begeisterten die jungen Leute. Aber im Grunde gefiel ihnen alles, was sie sahen.

»Dieses viele Gold – das muß die Leute doch ein Vermögen gekostet haben«, meinte Achim Kranzler mit Blick auf die Heiligenfiguren, deren Gewänder üppig mit Blattgold belegt waren.

»Damals, als diese Figuren angefertigt wurden, gaben die Leut’ wirklich ein kleines Vermögen aus, um den Herrn zu ehren«, erklärte Pfarrer Trenker. »Heut’ wird sich das kein Mensch mehr leisten können. Und die Kirche selbst schon gar net. Sie ist immer wieder auf großzügige Spender angewiesen, wenn’s darum geht, die Gotteshäuser und ihre Einrichtungen zu renovieren.«

Über eine Stunde blieben die Freunde in der Kirche, und Sebastian freute sich, so interessierte Zuhörer gefunden zu haben.

»Dank’ schön noch mal für die Einladung zur Geburtstagsfeier«, sagte er an Franzi gewandt, als die vier sich verabschiedeten. »Ich komm’ sehr gern.«

Er brachte sie bis vor die Kirchentür.

»Was habt ihr denn noch so geplant?« erkundigte er sich.

»Heut’ abend wird getanzt!« antwortete Britta bestimmt und nahm Michael am Arm.

»Natürlich, im Löwen ist ja Tanzabend. Den dürft ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen.«

»Und morgen geht’s zum Achsteinsee hinaus«, erzählte Achim. »Mal seh’n, ob ich noch auf einem Surfbrett steh’n kann.«

»Na, da habt ihr euch ja was vorgenommen«, meinte Sebastian Trenker. »Viel Spaß dabei. Und wenn irgend was sein sollte – wendet euch nur an mich.«

»Machen wir«, versprachen sie einstimmig und gingen den Weg zur Straße hinunter.

Der Seelsorger sah ihnen nach. Daß es zwischen der Britta Erlanger und Michael Waller gefunkt hatte, war nicht zu übersehen gewesen. Aber auch zwischen den beiden anderen schien sich etwas anzubahnen. Wobei sich Sebastian nicht sicher war, von wem da die Initiative ausging. Immerhin schien soviel klar zu sein, daß Achim Kranzler ein Auge auf Franziska Wohlers geworfen hatte.

Vielleicht wird’s ja noch was, dachte der Bergpfarrer, während er in die Kirche zurückging. Es wäre ja wirklich nicht das erste Mal, daß die Liebe in St. Johann zwei Menschen zusammengeführt hätte.

Allerdings hatte meistens Sebastian Trenker seine Finger dabei mit im Spiel gehabt…

*

Auf der Empore hatte die Blaskapelle schon damit begonnen, die ersten Musikstücke zu intonieren. Der Saal war zum Bersten voll und das Stimmengewirr unglaublich. Die geschäftigen Saaltöchter eilten hin und her, und Franzi und ihre Freunde staunten nur, wie die jungen

Madeln die vollen Tabletts durch die Menschenmenge balancieren konnten, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.

»Seid ihr die Gruppe aus der Pension ›Edelweiß‹?« fragte eine der Bedienungen.

Sie hatte die vier jungen Leute so unschlüssig an der Tür stehen sehen. Achim nickte.

»Hab’ ich mir schon gedacht«, sagte das Madel. »Ich bin die Reni. Die Vroni hat heut’ nachmittag angerufen und gesagt, daß ich euch einen Platz freihalten soll. Kommt mal mit.«

Sie führte sie quer durch den Saal, auf die andere Seite. Dort war ein Tisch, der noch nicht voll besetzt war. Die Gäste, die hier saßen, waren ungefähr im selben Alter wie die Ankömmlinge, und rasch hatte man sich miteinander bekannt gemacht.

»Auf einen schönen Abend«, sagte Achim und hob seinen Maßkrug.

Natürlich hatte er nicht anders können und sich das »Nationalgetränk« bestellt. Ebenso Michael, während die beiden Madeln Weinschorle tranken.

Sie prosteten sich zu, wobei Britta und Michael sich tief in die Augen blickten, während Franzi Achims Blick nach einem Moment auswich.

»Jetzt will ich tanzen!« rief Britta und zog Michael von seinem Stuhl hoch.

Der brauchte sich allerdings nicht lange bitten lassen, nur zu gerne folgte er der Aufforderung, und schon bald waren die beiden im Gewühl auf der Tanzfläche verschwunden. Franzi trank einen kleinen Schluck und schaute sich um. Es war unglaublich, was sich auf dem Saal abspielte. So etwas kannte sie bisher nur aus Heimatfilmen, und es gefiel ihr ausnehmend gut.

»Wollen wir auch?« fragte Achim plötzlich.

Sie nickte und sprang auf. Herrlich war es, in seinen Armen über das Parkett zu schweben, und für den Moment waren alle trüben Gedanken vergessen.

Was interessierte sie noch der Mann, an den sie ihr Schicksal geknüpft, und der sie so enttäuscht hatte? Sie lebte jetzt und hier!

Verträumt schloß Franzi die Augen und gab sich ganz der sicheren Führung Achims hin. Der junge Bursche spürte sein Herz bis zum Hals hinaufklopfen, als er das wunderschöne Gesicht des Madels betrachtete, das er mehr liebte, als alles andere auf der Welt.

Unvermittelt öffnete Franzi ihre Augen. Hatte sie bemerkt, daß er sie betrachtete? Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. Was sollte es ihm sagen?

Küß’ mich, vielleicht?

Immer noch wummerte sein Herz in der Brust, als er sie an sich zog und seinen Mund auf ihre Lippen preßte. Franzi griff mit ihrer Hand, die auf seiner Schulter gelegen hatte, in sein dunkles Haar. Sie erwiderte seinen Kuß mit aller Hingabe, zu der sie fähig war, und immer noch spielte die Musik dazu.

Britta stieß Michael an und deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der Franzi und Achim tanzten. Eher zufällig hatte sie die beiden entdeckt. Ihr Liebster schaute hinüber und grinste. Britta lachte hell auf.

»Es stimmt also doch«, rief sie fröhlich.

Michael sah sie verständnislos an.

»Was denn?«

»Der Liebe wegen nach Sankt Johann.«

Sie drückte ihm einen Kuß auf den Mund.

»Das verstehst’ net, Liebster«, sagte sie tröstend. »Aber das macht auch nix.«

Franzi ahnte nicht, daß Britta und Michael sie beobachtet hatten. Aber das wäre ihr auch egal gewesen. Sie spürte nur, daß sie überglücklich war, und daß es sie nicht gestört hätte, würden alle Leute auf dem Saal zugeschaut haben.

Später saßen sie an ihrem Tisch und unterhielten sich mit den Jugendlichen aus dem Dorf. Schnell und unkompliziert kamen sie mit ihnen ins Gespräch, und es ergab sich, daß der eine oder andere Bursche mit Franzi und Britta tanzen wollte, genauso, wie die zwei Freunde aus Regensburg mit den Madeln tanzten, die aus St. Johann stammten.

Es war bereits früher Morgen, als die vier Freunde sich auf den Weg in die Pension machten. Während Britta und Michael vorausgingen, bummelten Franzi und Achim langsam hinterher.

»Es war ein wunderschöner Abend«, sagte der dunkelhaarige Bursche.

Dabei hielt er ihre Hand, als wolle er sie nie wieder loslassen. Franzi blickte ihn verträumt an.

»Ich hätt’ net geglaubt, daß ich so schnell mein Herz würd’ verlieren können«, gestand sie.

Sie blieben stehen, während die beiden anderen weitergingen.

»Ich hab’ dir noch gar net gesagt, wie lieb ich dich hab’«, sagte Achim, und seine Worte drangen wie flüssiges Gold in ihr Ohr. »Du bist die wunderbarste Frau, die mir je begegnet ist.«

»Ich hab’ dich auch sehr lieb, Achim«, antwortete sie und strahlte ihn glücklich ab.

»Dann… dann bleiben wir für immer zusammen?«

Franzi antwortete nicht auf diese Frage, sondern bot ihm ihren Mund zum Kusse dar.

*

Im Pfarrhaus saß Sebastian Trenker in seinem Arbeitszimmer und betrachtete die Madonnenfigur, die vor ihm auf dem Tisch stand. Es war eine wunderschöne Arbeit, und man konnte deutlich sehen, daß der Künstler sich sehr viel Mühe gegeben hatte.

Der Holzschnitzer hieß Alois Kranzinger und hatte jahrelang als Senner gelebt, ehe ein Herzinfarkt ihn dazu zwang, seinen Beruf aufzugeben. Seither wohnte er im Haus seiner Schwester, in St. Johann.

Die Holzarbeiten hatte Loisl sich schon in frühester Jugend beigebracht und im Lauf der Jahre vervollkommnet. Zu einer wahren Meisterschaft hatte er es gebracht und sich mit dem Verkauf der kleinen Figuren ein kleines Zubrot verdient. Daß er aber an einer Madonnenfigur arbeitete, das hatte bis vor kurzem niemand gewußt. Erst Martin Hofbauer, ein junger Arzt, der in der Praxis des Dr. Wiesingers arbeitete, hatte Loisls Geheimnis entdeckt.

Nachdem der alte Senner dem Tod noch einmal »von der Schippe gesprungen« war, wie er sich ausdrückte, hatte er mit seinem Schicksal gehadert. Beinahe sein ganzes Leben hatte er auf der Sennerhütte verbracht, und seine Kunst, Käse herzustellen, war legendär. Doch damit war von heute auf morgen Schluß, und Loisl saß nur noch grantelnd im Wohnzimmer seiner Schwester und hatte zu nichts Lust.

Zum Glück fiel Martin Hofbauer die Madonnenfigur ein. Der Arzt fuhr zur Hütte hinauf und brachte das noch unvollendete Kunstwerk zu Alois Kranzinger, der endlich eine sinnvolle Beschäftigung fand, indem er seine Madonna vollendete. Am Abend, nach der Messe, hatte er sie dem Geistlichen mit feierlicher Miene überreicht.

Sebastian, der nichts davon geahnt hatte, war überrascht und sprachlos.

»Sie ist fertig poliert, Hochwürden, aber im Lauf der Jahr’ wird sich das Holz natürlich noch verändern«, erklärte Loisl, der sichtlich aufgeregt war.

»Sie ist wirklich wunderschön«, antwortete Sebastian. »Und sie wird einen Ehrenplatz erhalten. Gleich morgen, während der Sonntagsmesse, wollen wir sie segnen und der Gemeinde vorstellen.«

Er reichte dem Senner die Hand.

»Loisl, damit hast’ dir ein stetes Andenken im Herzen deiner Mitmenschen bewahrt und darüber hinaus.«

Er deutete zu der Madonnenfigur, die neben der Tür zur Sakristei auf einem Sockel stand.

»Von dem Meister wissen wir net, wie er heißt«, fuhr er fort. »Aber dein Name wird auf einer Plakette steh’n, die wir am Fuß des Sockels anbringen, auf welchem deine Madonna stehen wird.«

Er drehte sich um.

»Such’ dir nur einen schönen Platz aus«, bot Sebastian an. »Was meinst’, wo sie am besten steh’n würd’?«

Loisl war immer noch ganz ergriffen. Seine alten Augen irrten umher, dann blieb sein Blick fest auf einen leeren Mauervorsprung gerichtet, unterhalb der Kanzel, auf der Sebastian seine Predigten hielt.

»Vielleicht da, Hochwürden«, schlug er vor. »Da könnt’ ich sie nämlich immer von meinem Platz aus seh’n.«

Der gute Hirte von St. Johann nickte.

»So soll’s sein, Loisl«, sagte er. »Ich werd’ den Herrn Kammeier bitten, daß er eine schöne Plakette macht.«

Merkwürdig, dachte Sebastian, während er in seinem Arbeitszimmer saß und die Madonnenfigur betrachtete, als Loisl damals aus dem Krankenhaus entlassen wurde, da hatte niemand damit gerechnet, daß er sich an das Leben im Haus seiner Schwester würde gewöhnen können. Das Leben in der Einsamkeit der Berge hatte den Alten geprägt und zu einem Eigenbrötler werden lassen. Und doch hatte er eines nie verloren – die Verbindung zu Gott, dem er, droben in seiner Sennerhütte, vielleicht näher gewesen war, als manch einer, der jeden Sonntag brav zur Kirche ging.

Der Seelsorger stand auf und trat ans Fenster, das er weit öffnete. Laue Nachtluft strömte herein, und der Wind trug Lärm vom nahen Wirtshaus herüber. Sebastian schmunzelte. Im Löwen ging’s wieder hoch her. Aber er gönnte seinen Schäfchen das Vergnügen. Die Woche über mußten sie hart arbeiten, und am Samstag abend wollten sie dafür entschädigt werden.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß es an der Zeit war, schlafen zu gehen. Morgen gab es einen neuen Tag, und wer konnte jetzt schon sagen, was da alles auf ihn zukam?

*

»He, steh auf, sonst wird’s nix mehr mit dem Frühstück!«

Achim Kranzler rüttelte und schüttelte den Freund, der in seinem Bett lag und nicht aufwachen wollte. Endlich hatten seine Bemühungen Erfolg. Michael grunzte einmal, blinzelte mit den Augen und schlug sie schließlich auf.

»Bist’ wahnsinnig geworden?« fragte dieser, wobei er ein Gähnen unterdrückte. »Ich hab’ ja kaum zwei Stunden geschlafen!«

»Selber schuld«, konterte Achim. »Hättest eben net so lang herumsumpfen soll’n. Jetzt komm endlich aus den Federn, sonst räumt unsere zauberhafte Zimmerwirtin das Frühstück nämlich wieder in den Kühlschrank, und wir können mit leerem Magen an den Achsteinsee fahren.«

Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Wobei mir einfällt – mit vollem Magen soll man eh’ net baden geh’n. Ist vielleicht gar net so schlimm, wenn das Frühstück ausfällt. Die Madeln werden bestimmt schon gegessen haben.«

Die Aussicht, auf die erste Mahlzeit des Tages verzichten zu müssen, vertrieb das letzte bißchen Müdigkeit, das Michael noch gepackt hielt. Er warf

die Decke von sich und sprang auf.

»Ich brauch’ zehn Minuten«, rief er, während er ins Bad stürmte.

»Dann geh’ ich schon mal ’runter«, gab Achim zurück.

Er warf einen prüfenden Blick an sich herunter und verließ das Zimmer. Es wunderte nicht, daß er gutgelaunt die Treppe herunterlief und dabei ein fröhliches Lied auf den Lippen hatte – schließlich war Achim Kranzler verliebt. Verliebt, wie noch nie zuvor in seinem Leben!

Seine Annahme, daß die zwei Freundinnen längst an ihrem Tisch im Frühstücksraum saßen, wurde bestätigt. Britta winkte ihm zu.

»Na, wo bleibt ihr denn, ihr Schlafmützen?« fragte sie.

»Das solltest besser deinen Freund fragen«, lachte Achim. »Guten Morgen, zusammen.«

Er setzte sich auf seinen Platz, Franzi gegenüber. Doch statt einer liebevollen Begrüßung, die er erwartet hatte, sah sie ihn nur kurz an.

»Hallo«, sagte sie, dann wandte Franzi den Kopf und sah zur Tür, als erwarte sie noch jemanden.

Achim sah Britta fragend an, die zuckte die Schulter.

Das Madel konnte sich auch keinen Reim auf das merkwürdige Verhalten der Freundin machen. Seit Franzi am Morgen die Augen aufgeschlagen hatte, schien sie sonderbar verändert. Britta ahnte ja nicht, daß Franzi kaum geschlafen hatte, sondern sich sorgenvoll in ihrem Bett hin und her wälzte, und die dunklen Gedanken nicht weichen wollten.

Ob sie für immer zusammenblieben? Diese Frage hatte Achim ihr gestellt, und sie erinnerte Franzi an das dunkle Kapitel in ihrem Leben, von dem sie glaubte, daß es längst abgeschlossen wäre.

»Bleiben wir für immer zusammen?« hatte auch Rolf Herthmann sie damals gefragt.

Für Franzi schien es der schönste Augenblick in ihrem jungen Leben, als der angehende Kinderarzt sie bat, seine Frau zu werden.

Sie hatten sich in dem Kindergarten kennengelernt, in dem Franzi arbeitete, wo Rolf, als junger Praktikant, eine Reihe von Untersuchungen anstellte, die Teil seiner Doktorarbeit waren. Schnell waren sie sich nähergekommen, und wenn auch der Dienst, den der junge Arzt im Krankenhaus versah, einen Großteil seiner Freizeit verschlang, waren Franzi und er doch bald ein Paar.

Die folgenden Monate waren, rückblickend, in rosarote Farbe getaucht. Selbst Britta, Franzis beste Freundin von Kindesbeinen an, stand zurück. Bisher war sie es gewesen, die einen breiten Raum in Franzis Leben eingenommen hatte. Daß sich das jetzt änderte, war bedauerlich, aber auch unvermeidlich.

Die bittere Wahrheit erfuhr Franzi, als sie eines Tages, Rolf überraschen und vom Dienst abholen wollte. Sie hatte auf dem Parkplatz des Krankenhauses, neben seinem Wagen gewartet. Als er nach einer Stunde immer noch nicht herauskam, war sie hineingegangen, um sich

nach ihm zu erkundigen. Auf seiner Station mußte Franzi erfahren, daß Rolf bereits seit dem Mittag keinen Dienst mehr hatte.

Sie war völlig perplex gewesen. Warum hatte er sie da nicht angerufen? Er wußte doch, daß sie ihren freien Tag hatte. Was hätten sie nicht alles gemeinsam unternehmen können!

Einer jungen Krankenschwester mußte das traurige Gesicht aufgefallen sein, das Franzi machte. Sie kannten sich flüchtig, von ein paar Besuchen auf der Station. Schwester Marion nahm sie beiseite.

»Ich hab’ lang’ überlegt, ob ich mich einmischen soll«, sagte sie. »Aber ich denk’, du hast ein Recht darauf, zu erfahren, was mit deinem Verlobten los ist.«

Als Verlobte hatte Rolf Franzi auf der Station vorgestellt. Die junge Frau hatte die Krankenschwester fragend angesehen.

»Schau«, fuhr Marion Sonnenleitner fort, »der Rolf mag kein schlechter Kerl sein. Aber er ist auch ein Hallodri, vor dem kein Rock sicher ist. Hier im Krankenhaus nennt man ihn ›Doktor Casanova«, und es gibt kaum eine Station, auf der er net mindestens ein gebrochenes Herz hinterlassen hat.«

Die blonde Krankenschwester nickte auf Franzis fragenden Blick

»Ja, ich gehör’ auch zu den dummen Schafen, die seiner Süßholzraspelei aufgesessen sind. Aber ich hab’ noch rechtzeitig die Kurve gekriegt, und ich find’, das sollt’ dir auch gelingen. Er hat jemanden wie dich net verdient!«

Zu ihrem Entsetzen erfuhr Franzi, daß Rolf am Mittag das Krankenhaus in Begleitung einer jungen Schwester verlassen hatte, die ganz in der Nähe wohnte. Marion Sonnenleitner bot an, die Anschrift herauszusuchen, doch Franzi verzichtete darauf.

Wie betäubt verließ sie die Station und das Krankenhaus und fuhr nach Hause. Dort schloß sie sich ein und öffnete auch nicht, als, Stunden später, Rolf an der Tür klopfte und nach ihr rief. Sie wollte ihn niemals wiedersehen! Ihm das zu sagen, übernahm Britta, als Liebesdienst für die Freundin.

Das alles war erst ein paar Wochen her, und die Wunden noch frisch. Achims Frage, ob sie für immer zusammenbleiben würden, hatte sie vollends wieder aufgerissen.

*

Inzwischen war Michael aufgetaucht. Es gab Achim einen Stich ins Herz, als er sah, wie der Freund seine Liebste mit einem Kuß begrüßte.

Wie gerne hätte er es mit Franzi ebenso gemacht!

Britta und Michael waren schnell in einer Unterhaltung verwickelt, die sich um den

Ausflug an den See drehte, während Achim eher lustlos seine Semmel aß, wobei er immer wieder einen fragenden Blick zu Franziska hinüber warf. Schließlich standen Michael und Britta auf.

»Wir packen unsere Sachen zusammen. Wann treffen wir uns?«

Während Franzi überhaupt nicht reagierte, machte Achim eine Handbewegung.

»Ich weiß net. Vielleicht in einer Viertelstunde, unten an der Rezeption?«

Die beiden anderen nickten zustimmend und verließen den Frühstücksraum. Vroni Birschler erschien und schaute fragend auf den Tisch.

»Sie haben ja kaum was gegessen, Herr Kranzler«, stellte sie vorwurfsvoll fest. »Schmeckt’s etwa net? Oder haben S’ nur keinen Appetit, heut’ morgen?«

Die Pensionswirtin wartete keine Antwort ab, sondern gab sie sich gleich selbst.

»Da ist bestimmt eine Maß zuviel d’ran schuld«, meinte sie schmunzelnd, während sie den Tisch abräumte.

»Hast’ einen Moment Zeit?« fragte Achim. »Ich würd’ gern’ mit dir sprechen.«

Franzi erwiderte seinen Blick und nickte dann.

»Laß uns doch ein paar Schritt’ geh’n«, schlug der Student vor.

Sie gingen hinaus. Von der Kirche her erklangen die Glocken. Die Messe begann. Auch wenn Achim versucht war, seinen Arm um Franzi zu legen, so, wie er es in der Nacht getan hatte, als sie vom Wirtshaus zur Pension gegangen waren, unterließ er es doch. Ihre kühle, ablehnende Art nahm ihm jeden Mut, es zu probieren.

Wer wußte schon, wie sie darauf reagieren würde?

Überhaupt war ihre ganze Art ihm ein Rätsel. Gestern abend schien es, als wären sie das glücklichste Paar der Welt, und heute morgen tat Franzi, als habe es niemals etwas zwischen ihnen gegeben.

Was war nur geschehen, das diesen Stimmungsumschwung hervorgerufen hatte?

»Willst’ mir net sagen, was los ist?« fragte Achim endlich.

Sie waren die kleine Straße, in der die Pension Edelweiß lag, entlang gegangen, an der Kreuzung blieben sie stehen.

»Ich weiß net, wie ich’s sagen soll, Achim«, antwortete das Madel nach einer Weile. »Es war ein wunderschöner Abend, und wir hatten uns’ren Spaß. Ich denk’, wir sollten es dabei belassen…«

Mit großen Augen sah er sie an.

»Dabei belassen…?« echote er ungläubig. »Wie meinst das? Ich hab’ gedacht, zwischen uns wär’ alles klar. Hast’ mir net gestern noch gesagt, daß du mich liebst?«

Franzi erwiderte seinen Blick.

»Ach, was soll ich darauf antworten…?«

»Was du antworten sollst? Die Wahrheit natürlich! Wie kannst’ mich gestern noch im Arm halten und heut’ so tun, als würden wir uns rein zufällig kennen? Ich versteh’ das alles net!«

In ihren Augen funkelte es. Achim wußte es nicht zu deuten. War es das Feuer der Leidenschaft? Oder Zorn? Angst vielleicht, vor etwas, das auf sie zukam, und das sie abwehren wollte?

Der junge Student ahnte nicht, daß es von allem etwas war. Aber ganz besonders wollte Franzi sich schützen, denn nach der schlimmen Geschichte mit Rolf Herthmann hatte sie sich geschworen, daß es nie wieder einem Mann gelingen würde, ihr so weh zu tun!

»Ich hab’ mich eben geirrt«, stieß sie hervor. »Wahrscheinlich hab’ ich mich aus einer Laune heraus von dir küssen lassen. Was weiß ich? Nimm’s halt net so ernst. Es war ein schöner Abend, doch jetzt ist Tag, und da schaut alles ganz anders aus.«

Damit drehte sie sich um und ging zur Pension zurück. Achim Kranzler blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte nicht, wollte nicht glauben, daß es dieselbe Frau war, die er gestern abend noch in den Armen gehalten und geküßt hatte, die ihm jetzt diese Worte entgegenschleuderte.

Hätte er nur ihre Gedanken lesen können!

Mit gesenktem Kopf ging Franzi die Straße zurück.

Lauf mir doch nach, hätte sie am liebsten gerufen. Halt’ mich fest und laß mich net mehr los!

Doch ihre Lippen waren unfähig, diese Worte zu formen, und es schnürte ihr den Hals so zu, daß sie nicht in der Lage gewesen wäre, sie hinauszuschreien.

An Britta und Michael, die an der Rezeption warteten, vorbei, ging sie die Treppe hinauf, in das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Dann sank sie auf ihr Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.

*

Auf den Parkplätzen am Achsteinsee standen die Autos und Reisebusse dicht gedrängt. Tausende von Ausflüglern zog es bei dem herrlichen Wetter hierher, und die zahlreichen Gasthäuser, Cafés, Eisdielen und Geschäfte und Andenkenläden hatten Hochkonjunktur.

Vor dem Hintergrund der Berge spiegelte sich die Sonne in dem blauen Wasser des Sees. Darin tummelten sich eifrige Schwimmer, Ruder- und Tretbootfahrer und wenn der Wind günstig stand, wagten sich ein paar Surfer auf ihre Bretter.

»Du lieber Himmel, hier ist ja noch mehr los als am Titisee«, meinte Britta.

Sie hatte einige Male an dem See im Schwarzwald Urlaub gemacht und erinnerte sich noch gut an die unzähligen Touristen, die sie dort gesehen hatte.

Michael trug einen Picknick-Korb, den Vroni Birschler ihnen mitgegeben hatte. Darüber lag eine Wolldecke. Die beiden gingen vom Parkplatz aus gut hundert Meter, bis sie an eine Liegewiese kamen. Von dort war es nicht mehr weit bis zum Seeufer. Trotz des Andrangs fanden sie ein Plätzchen, das von Büschen abgeschirmt war und sie nicht den Blicken aller preisgab.

Rasch breiteten sie die Decke aus und ließen sich darauf nieder.

»Schad’, daß die Zwei net mitwollen«, hatte das Madel bedauernd gesagt, als sie aus St. Johann losfuhren.

»Weißt du, was mit der Franzi los ist?« fragte Michael. »Der Achim ist völlig erschüttert und versteht die Welt net mehr. Was hat sie denn bloß?«

Diese Frage hatte sich Britta auch schon gestellt. Als die Freundin an ihr vorbei, die Treppe hinaufgelaufen war, ahnte

sie sofort, daß etwas geschehen war.

»Wart’ einen Moment«, hatte sie dem Freund zugerufen und war Franzi hinterhergelaufen.

Auf ihrem gemeinsamen Zimmer fand sie das Madel, in Tränen aufgelöst, unfähig, ein klares Wort zu sagen. Irgendwie erinnerte sie die Situation an die Ereignisse, vor ein paar Wochen, im Zusammenhang mit Rolf Herthmann.

Britta hatte sich zu Franzi auf das Bett gesetzt und ihr tröstend die Hand auf die Schulter gelegt.

»Was ist denn los?«

Die Freundin schluchzte und schüttelte den Kopf.

»Entschuldige«, sagte sie nach einer Weile, »ich kann jetzt net darüber sprechen.«

»Und auf den Ausflug willst’ auch net mitkommen?«

»Nein, fahrt nur allein’. Es ist besser, wenn ich hierbleib’.«

Britta hatte noch eine Weile versucht, Franzi zum Mitkommen zu überreden. Vielleicht, so hoffte sie, würde die Freundin ihr Herz ausschütten, wenn sie irgendwo draußen wären und spazieren gingen. Irgendwie hatte Britta ein schlechtes Gewissen, Franzi in diesem Zustand alleine zu lassen.

Aber da war ja auch noch Michael, der auf sie wartete…

»Geh’ nur«, sagte Franzi. »Ich erklär’ dir heut’ abend alles.«

»Versprochen?«

»Versprochen!«

Unverrichteter Dinge war sie wieder nach unten gegangen, wo Michael immer noch an der Rezeption stand.

»Kann mir mal einer erklären, was los ist?« fragte er. »So, wie’s ausschaut, fahren wir zwei allein’ an den See. Achim kam gerade herein und erklärte, mit einer Leichenbittermiene, daß er net mitkommt. Da Franzi auch net da ist, nehm’ ich an, daß sie auch net mitkommt.«

Britta gab ihm einen Kuß.

»Ich weiß net, was zwischen den beiden ist«, erkärte sie. »Franzi hat versprochen, daß sie heut’ abend mit mir darüber reden wird. Jetzt laß uns fahren.«

Michael wälzte sich über die Decke und schlang seine Arme um die Liebste.

»Komm, wir lassen uns die Laune net verderben«, sagte er. »Wann hat man schon mal das Glück, mit solch einem tollen Madel auf einer Decke zu liegen.«

Zärtlich erwiderte sie seine Liebkosungen. Doch in Gedanken war Britta bei der Freundin. Es hätte so ein schöner Tag sein können! Das Wetter war herrlich, und sie waren jung und verliebt.

Franzis rätselhaftes Verhalten trübte die schöne Stimmung ein wenig, und Britta konnte sich wirklich keinen Reim drauf machen. Dennoch wollte sie den Tag mit Michael genießen und von seiner gemeinsamen Zukunft träumen.

Natürlich hatten sie Badesachen dabei und suchten später die abgeteilte Bucht auf, in der die Leute nach Herzenlust im Wasser planschen konnten. Ein Boot zu mieten, versuchten sie hingegen gar nicht erst. Die Verleiher hätten die doppelte Anzahl Boote haben können, und es wären immer noch nicht genug gewesen, so stark war an den Stegen der Andrang.

Da ihre Zimmerwirtin ihnen reichlich Kaffee und Kuchen mitgegeben hatte, brauchten sie auch keines der Cafés aufzusuchen. Dafür setzten sie sich später in eine Eisdiele und genossen die köstlichen Sorten Frucht- und Sahneeis.

»Ich glaub’, wir sollten uns rechtzeitig auf den Rückweg machen«, sagte Michael, als sie zurück an den Platz gingen, an dem immer noch die Decke lag. »Wenn die hier alle auch heim wollen, kann’s ganz schön eng werden auf der Straße.«

Das war natürlich ein gutes Argument, allerdings verriet der Bursche nicht, daß es noch einen anderen Grund gab, warum er nach St. Johann zurück wollte – auch wenn der Tag mit Britta wunderschön war, Achims und Franzis sonderbares Verhalten vom Morgen ließ ihm keine Ruhe. Und es drängte ihn, zu erfahren, was eigentlich dazu geführt hatte.

*

Sebastian nickte dem Mesner, der ihm die Soutane abahm, dankbar zu. Alois Kammeier hängte das Gewand auf einen Bügel und reichte dem Geistlichen dessen Jackett.