E-Book 301-310 - Friederike von Buchner - E-Book

E-Book 301-310 E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. E-Book 1: Noch einmal Glück gehabt E-Book 2: Zieht Schwarzer im Hintergrund die Fäden? E-Book 3: Sieh nach vorne, Frank E-Book 4: Eine spannende Begegnung E-Book 5: Martin kommt nach Hause E-Book 6: Frauke bekommt Hilfe ... E-Book 7: Zweiter Anlauf für Benz ... E-Book 8: War das Schwarzers Rache? E-Book 9: Lukas startet durch! E-Book 10: Sandy gibt keine Ruhe

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Seitenzahl: 1266

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Noch einmal Glück gehabt

Zieht Schwarzer im Hintergrund die Fäden?

Sieh nach vorne, Frank

Eine spannende Begegnung

Martin kommt nach Hause

Frauke bekommt Hilfe ...

Zweiter Anlauf für Benz ...

War das Schwarzers Rache?

Lukas startet durch!

Sandy gibt keine Ruhe

Toni der Hüttenwirt – Staffel 31 –

E-Book 301-310

Friederike von Buchner

Noch einmal Glück gehabt

... doch unser Doktor wird zum Patienten!

Roman von von Buchner, Friederike

Die Hüttengäste waren an diesem Abend früh schlafen gegangen. Es war eine Gruppe, die am nächsten Tag zwei Gipfelbesteigungen hintereinander bewältigen wollte. Sie hatten beschlossen, um drei Uhr in der Frühe zu starten. Stirnlampen würden ihnen bis zum Sonnenaufgang den Weg weisen.

Toni und Anna erledigten gemeinsam die Arbeit in der Küche und bereiteten alles für das sehr frühe Frühstück vor.

»Toni, ich gehe gleich schlafen«, sagte Anna. »Das wird eine kurze Nacht werden.«

»Ja, das wird eine kurze Nacht werden. Ich kann aber bestimmt nicht sofort einschlafen. Ich setze mich noch auf die Terrasse und trinke ein kleines Bier.«

Anna gab ihrem Mann einen Gutenachtkuss und verschwand. Sie freute sich auf den nächsten Tag. Auch wenn sie sehr früh herausmusste, würde der Tag ruhig verlaufen. Die Bergsteigergruppe würde nach ihrem Gipfelmarathon unterwegs biwakieren. Toni und Anna erwarteten sie erst am übernächsten Tag zurück.

Toni zapfte sich ein kleines Bier. Alois, der im Schaukelstuhl am Kamin saß, stand auf und sagte ebenfalls gute Nacht.

Ganz am Ende der Terrasse saß nur noch Benz Hofer. Er hatte die Beine lässig auf das Geländer gelegt. Toni setzte sich nicht zu ihm.

Es dauerte eine Weile, dann kam Benz zu ihm.

»Gute Idee, noch einen Schlummertrunk zu nehmen!«

»Du kannst dir gern ein Bier zapfen«, antwortete Toni.

Als Benz mit dem Bier zurückkam, setzte er sich neben Toni. Sie prosteten sich zu und tranken.

»Ganz schön ungewohnt, dass sie alle schon schlafen gegangen sind«, bemerkte Benz.

»Sie müssen ausgeruht sein für die Bergtour, die sie vorhaben.«

»Das stimmt, Toni. Es sind mehr Sportler als Bergliebhaber. Ich verstehe nicht, dass es jemandem nur darauf ankommt, möglichst viele Gipfel an einem Tag zu bewältigen. Dabei kann man keinen Blick für die Schönheit der Natur haben. Das Gipfelerlebnis entgeht denen bestimmt auch. Was meinst du, Toni?«

Toni lächelte und trank einen Schluck Bier. »Mei, es hat sich in den letzten Jahrzehnten viel geändert. Alois schüttelt auch den Kopf. Aber die Motivation der Menschen ist eben verschieden«, sagte Toni. »Was du gesagt hast, ist vollkommen richtig. Früher ging es um das Gipfelerlebnis, heute steht Hochleistungssport im Vordergrund. Damit will ich nicht behaupten, dass alle unsere Hüttengäste so sind. Aber seit ich Hüttenwirt bin, hat sich in der Beziehung viel verändert.«

»Was meinst du, woran es liegt?«, fragte Benz.

Da musste Toni nicht lange überlegen. »Die meisten Menschen sind besessen von Ehrgeiz. Sie wollen auf jedem Gebiet höher hinaus, mehr Geld verdienen im Beruf, das größere Auto fahren, die teuersten Markenklamotten spazieren tragen und schneller, besser, leistungsstärker sein. Dass sie die Größten sind, müssen sie sich jeden Tag beweisen. Wahrscheinlich ist keiner davon frei, denke ich, wenn ich ehrlich sein soll. Aber es gibt natürlich Unterschiede.«

»Man kann die Welt nicht ändern, Toni. Sie ist, wie sie eben nun mal ist. Wahrscheinlich war sie immer so.«

»Damit magst du recht haben. Aber früher gab es mehr Menschen, die zufrieden waren mit dem, was sie waren und was sie hatten. Das fängt doch heute schon bei den Kindern in der Schule an. Als Sebastian und Franziska in die Schule gingen, war es erfreulicherweise hier und in den weiterführenden Schulen noch nicht so ausgeprägt.« Toni schmunzelte. »Anna und ich waren froh, dass wir nur einen Buben und nur ein Madl hatten. In Familien mit zwei Buben und zwei Madln sah es schon wieder anders aus. Das weiß ich aus vielen Gesprächen mit Eltern. Die gleichgeschlechtlichen Geschwister möchten sich gern übertrumpfen.«

Benz lächelte. »Familie und Kinder, diese Kelche werden an mir vorübergehen«, sagte er leise.

Toni nahm das Bild auf und sagte: »Und was ist mit einem Krug voll süßem Nektar?«

Benz schwieg. Toni ließ ihm Zeit.

Nach einigen Minuten nahm Benz das Gespräch auf. »Du bist sehr taktvoll, Toni, dass du mich nicht wieder auf Clara ansprichst«, sagte Benz.

»Meinst du, ich wollte Streit mit dir? Bei dem Thema Clara bist du empfindlich wie eine Mimose. Aber es ist allein deine Sache. Das habe ich eingesehen, Benz.«

»Schön, dass du es eingesehen hast. Ich weiß, dass du anders denkst.«

»Ja, ich denke anders. Willst du wissen, was ich wirklich denke?«

Benz grinste. »Toni, du fragst mich höflich, ob ich es wissen will. Doch, wie ich dich kenne, hätte ich keine Chance, wenn ich dich bitten würde, es für dich zu behalten.«

»Doch, die Chance hast du. Es ist nur so, dass du meinen unerschütterlichen Glauben an die Liebe ins Wanken gebracht hast. Jedenfalls geht es mir nicht mehr aus dem Sinn.«

Benz schaute Toni mit großen Augen an. »Das lag mir fern, Toni. Du bist der Romantiker, der an das Gute und Schöne glaubt. Dass du jetzt nachdenklich wurdest, das macht mich jetzt betroffen. Ich bedauere, dass ich der Anlass dazu war.«

Beide hatten ihre Gläser ausgetrunken. Toni ging in die Berghütte und zapfte noch zwei kleine Bier.

»Das muss dich nicht betroffen machen, Benz«, lächelte Toni. »Oft sind Ereignisse der Auslöser, über etwas nachzudenken und den eigenen Standpunkt zu überprüfen.«

»Es freut mich, dass du keine bleibenden Schäden davongetragen hast, Toni.«

Toni lachte laut. »Nein, das habe ich allerdings nicht. Das liegt auch daran, dass mir zufällig jemand über den Weg gelaufen ist, mit dem ich darüber sprechen und mir Rat holen konnte.«

»Das freut mich. Und wer war das? Ich dachte, alle kommen zu dir, um sich Rat zu holen«, sagte Benz erstaunt.

Toni lachte jetzt herzlich. Danach wurde er ernst. »Es war Pfarrer Zandler, Benz. Ich traf ihn gestern, als ich aus Veronikas Laden kam. Ich hatte Annas Bestellungen abgeholt. Zandler beobachtete mich durch das Fenster und kam aus dem Pfarrhaus. Er lud mich in den Pfarrgarten ein. Wir unterhielten uns fast eine Stunde. Es war schön gewesen in der Gartenlaube. Helene Träutlein brachte etwas zu Trinken, und wir plauderten. So kamen wir von einem Thema zum nächsten.«

Benz Hofer warf Toni einen Seitenblick zu. »Ich gehe jede Wette ein, dass Zandler dich über mich ausfragen wollte.«

»Benz, darum brauchen wir nicht zu wetten. Es war so.«

»Das dachte ich mir«, stieß Benz bitter hervor, »dass er sich nicht raushalten kann.«

»Das kann er nicht. Er sorgt sich eben um dich und nicht nur um dich. Du kannst mir jetzt ins Gesicht springen Benz, aber ich sage es trotzdem: Zandler sorgt sich noch mehr um Clara.«

»Um Clara? Das verstehe, wer will, ich jedenfalls verstehe es nicht. Sie hat meinen Heiratsantrag abgelehnt. Ich bin der Leidtragende. Nicht Clara Fuchs! Um die muss er sich keine Sorgen machen.«

Toni runzelte die Stirn. »Benz, ich will dich nicht verärgern. Das liegt mir fern. Aber du musst es schon Zandler überlassen, um wen er sich Sorgen macht und wie er die Sache gewichtet. Okay«, stöhnte Toni, »Clara ist auch ein Opfer, auf ihre Weise.«

»Clara, ein Opfer? Jetzt bist du narrisch! Nein, wenn es ein Opfer gibt, dann bin ich es, Toni. Ich bin enttäuscht von dir. Für mich hört sich das an, als hättest du mehr Mitleid mit Clara, als mit mir.«

»Mitleid? Willst du denn bemitleidet werden?«

»Natürlich nicht, Toni. Das habe ich nur so daher gesagt. Es war das falsche Wort. Ich will es Anteilnahme nennen.«

»Das klingt schon besser. Also, ihr habt beide meine Anteilnahme. Du, weil sie deinen Heiratsantrag abgelehnt hat. Wie schwer es dich getroffen hat, ist offensichtlich. Aber Clara hat auch meine Anteilnahme, nach all dem, was mir Pfarrer Zandler erzählt hat.«

Benz runzelte sofort die Stirn.

»Ich war erschüttert«, sprach Toni weiter. »Es wurde mir wieder einmal klar, dass sich vieles auf den zweiten Blick ganz anders darstellt.«

Benz schaute über das Tal, das im letzten Abendlicht lag. Er zuckte mit den Schultern. »Das interessiert mich nicht!«, sagte er.

Toni spürte, wie Benz sich hinter seinen Schutzwall zurückzog.

»Benz, ich will mich nicht einmischen. Das habe ich schon gesagt. Doch wundert es mich, wieso du nicht neugierig bist.«

Benz zuckte wieder mit den Schultern.

Toni ließ nicht locker. »Hast du dich nicht gefragt, warum Clara deinen Heiratsantrag abgelehnt hatte?«

»Nein, das habe ich mich nie gefragt. Das war auch nicht nötig. Sie hatte mir ihre Gründe deutlich genug ins Gesicht geschleudert. Ich war ihr nicht gut genug, das heißt, ich war nicht vermögend. Ich war ihr zu einfach gestrickt. Mein Elternhaus war ihr nicht angesehen genug. Das war deutlich und unmissverständlich. Da gab es für mich keinen Grund mehr zu grübeln. Es war alles ganz klar.«

»Und es tat dir weh.«

»Ja Toni, es tat weh, sehr weh.«

»Das verstehe ich. Meine Frage war falsch. Du warst doch mit Clara schon eine Weile zusammen gewesen.«

»Das stimmt, und ich dachte, es wäre alles in Ordnung. Ich war wohl einer Täuschung aufgesessen oder habe mich in einen Wunschtraum geflüchtet. Ich sah Clara wohl durch eine rosarote Brille. Toni, es ist lange her. Reden wir nicht mehr darüber!«

Toni trank einen Schluck Bier.

»So einfach kann ich das Thema nicht abschalten, Benz. Jetzt, da ich die Hintergründe kenne, die Clara betreffen, beschäftigt mich die Sache noch mehr. Deshalb auch mein Nachdenken über die Kraft der Liebe. Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Liebe die stärkste Kraft ist. Sie ist es, auch wenn es mal nicht so läuft, wie es laufen sollte. Ich bin davon überzeugt, dass alles anders gekommen wäre, wenn du damals nicht die Flucht ergriffen hättest. Das ist kein Vorwurf. Ich verstehe dich, dein Herz war wund. Doch wenn du nur eine kleine Weile geblieben wärst, hätte sich alles zum Guten gewendet, Benz. Davon bin ich überzeugt.«

»Du bist ein Idealist, Toni. Bewahre dir den Glauben an das Gute und Schöne! Ich bewundere dich! Wirklich! Aber ich habe die Flucht ergriffen. Was hätte denn geschehen sollen? Betrachten wir es ganz nüchtern: Clara hat meinen Antrag abgelehnt. Sie gab mir zu verstehen, dass ich ein Niemand bin.«

»Glaubst du im Ernst, Clara hätte dich wirklich so wenig geschätzt?«

»Ja, was soll ich sonst annehmen? Jetzt mal im Ernst, Toni.«

»Dass sie unter Druck stand?«

»Wie meinst du das?«, fragte Benz erstaunt.

Toni rieb sich das Kinn. »Wie erkläre ich es dir am besten? Pfarrer Zandler konnte es mir gut darlegen. Da habe ich es verstanden. Es so wiederzugeben, ist nicht einfach. Aber ich will es probieren. Ich weiß, dass alles schon lange her ist. Aber erinnerst du dich daran, wie das Verhältnis von Clara zu ihrer Schwester war?«

»Clara hat Nora bewundert. Sie war ihr Vorbild. Es war doch in ganz Waldkogel bekannt, was für ein tolles Madl Nora war. Sie war immer Klassenbeste, war sehr sportlich und sehr hübsch. Clara sagte einmal, als Kind habe sie sich immer in ihrem Schatten gefühlt. Das konnte ich nicht verstehen. Sie waren Schwestern. Ich verstehe mich mit meiner Schwester Birgit wunderbar.«

»Du bist ein Bursche, Benz, und Birgit ein Madl. Ihr habt zueinander nie in Konkurrenz gestanden. Das war bei Clara und Nora anders. Clara sollte in allem immer Nora nacheifern. Deshalb fühlte sie sich immer wie ein Mensch zweiter Klasse. Das änderte sich auch nicht, als Nora reich geheiratet hatte. Im Gegenteil! Ihr Vater stellte Nora auf einen Sockel. Er war froh, dass Clara über ihre Schwester Zugang zu den besseren Kreisen in München bekam. Er versorgte Clara großzügig, damit sie mithalten konnte. So verwandelte sich das Madl aus den Bergen immer mehr in ein Schickimicki-Stadtmadl. Du kannst das sicherlich besser beurteilen, als ich. Ihr habt euch doch auch in München gesehen.«

»Ja, wir sahen uns auch in München. Aber mir gefiel Claras Freundes- und Bekanntenkreis überhaupt nicht. In meinen Augen waren sie alle ziemlich oberflächlich. Ich gebe zu, dass sich Clara in München anderes verhielt, als wenn wir uns an den Wochenenden hier in Waldkogel trafen. Ich dachte, das sei so eine Phase und übte niemals Kritik. Außerdem verstanden wir uns sehr gut in Waldkogel. Wir gingen wandern und machten Brotzeit am Bergsee. Wir fuhren ins Kino oder in die Scheunendisco.« Benz fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Du meinst, dass Clara in München Minderwertigkeitskomplexe hatte und sich deshalb so aufbrezelte?«

»Das kannst du besser beurteilen. Tatsache ist, das sich Clara, zum ersten Mal in ihrem Leben, von ihrem Vater anerkannt sah und noch mehr von ihrer Schwester Nora. Endlich machte sie alles richtig. Ihr Vater und Nora lobten sie. Und Clara wollte ihre Anerkennung und Zuneigung nicht verlieren. Sie hatte deren Einstellung und Ziele verinnerlicht, Benz. Sie wohnte eine Weile bei Nora und ihrem Mann. Was dort sah, das wollte sie auch erreichen. Wenn man es drastisch ausdrücken will, dann wurde Clara einer Art Gehirnwäsche unterzogen, und sie hatte nicht die Kraft, Widerstand zu leisten.«

»Ich hatte so eine Ahnung, dass man mich ablehnte«, bemerkte Benz.

»Niemand hat dich abgelehnt, jedenfalls nicht bewusst. Aber Claras Vater wollte auf Teufel komm raus, dass sie eine ebenso glänzende Partie machte wie Nora. Dafür tat er alles, was er konnte, – mit allen Mitteln.«

»Aber Clara hat sich in mich verliebt. Das muss bitter gewesen sein für Kurt Fuchs«, stieß Benz hervor.

»Ob es bitter für ihn war, kann ich dir nicht sagen. Tragisch an der Sache ist, dass Clara die Erwartungen ihres Vaters an sie verinnerlicht hatte, nur so kann ich es mir denken.«

»Das ist gut möglich. Aber sie hätte mit mir doch darüber reden können, Toni.«

»Hätte, hätte, hätte! Das konnte sie nicht, weil sie sich wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt dessen gar nicht bewusst war. Clara wollte die brave Tochter und die erfolgreiche kleine Schwester sein. Endlich hatte sie es geschafft, dass sie auch bei ihrem Vater Ansehen genoss, genau wie Nora. Das war alles unbewusst. Sie dachte und handelte nicht mehr, wie es ihrem Charakter und ihrer Art entsprach, sie war ein bisserl wie eine Puppe, die aufgezogen war.«

Benz schwieg eine Weile, bevor er darauf antwortete.

»Toni, das stimmt zum Teil. Jedenfalls wenn ich mich an Claras Verhalten in München erinnere. Ich dachte, sie benimmt sich so, weil sie Minderwertigkeitsgefühle hatte, innerhalb ihrer Clique. Dann war sie aber hier in Waldkogel wieder ganz anders, wenn wir uns sahen, und das war jedes Wochenende. Wir hatten eine herrliche Zeit. Als sich dann mein Studium dem Ende näherte, dachte ich, wir verloben uns. Da Clara niemals auch nur angedeutet hatte, dass sie mit mir nicht das Leben verbringen wollte, war ich mir ganz sicher.«

»Hatte sie angedeutet, dass sie an eine Zukunft mit dir denkt?«

Benz schüttelte den Kopf. »Nein, das hatte sie nicht. Aber ist es nicht so, dass ein Madl wartet, bis der Bursche ihr einen Antrag macht?«

Toni seufzte. »Früher war das ein ungeschriebenes Gesetz. Sonst hätte man dem Madl nachgesagt, dass es sich dem Burschen an den Hals geworfen habe.«

»Richtig, Toni! Also habe ich ihr einen Ring gekauft.«

»Hast du ihn noch?«

Benz lächelte wehmütig. »Ja, den Ring habe ich noch. Ich wollte ihn schon ein paar Mal in den Atlantik werfen, aber ich konnte es dann noch nicht. Irgendwann gab ich ihm eine andere Bedeutung. Er sollte mich zur Vorsicht ermahnen. Er steckt in der Vortasche meines ledernen Schlüsseletuis.«

Toni sah ihn entsetzt an. »Benz, ist das nicht krankhaft?«

»Wahrscheinlich! Aber ich kann nicht anders.«

Toni sah Benz direkt in die Augen. »Du liebst sie noch immer!«

Benz schwieg lange.

»Ich will es so sagen«, begann er dann nachdenklich, »ich habe Clara so geliebt, wie ich danach nie mehr eine Frau geliebt habe. Ich hatte einige Beziehungen. Aber ihnen fehlte die Tiefe, die ich damals mit Clara erlebt hatte. Vielleicht ist es krankhaft, Toni. Aber ich verglich alle Frauen mit Clara. Und keine hielt dem Vergleich stand. Verstehst du?«

»Oh ja, ich verstehe. Du bist nicht nach Waldkogel gekommen, weil die Angst zu groß war, ihr zu begegnen. Du hast dir ausgemalt, dass sie einen anderen Burschen habe. Es war nicht der Schmerz, sondern die Eifersucht auf jeden Burschen, dem Clara ihr Herz schenken würde – nach dir.«

»Du nennst es Eifersucht, Toni, meinetwegen. Dabei ist es viel einfacher. Der Gedanke ist mir unerträglich, Clara könnte ihr Herz einem anderen geschenkt haben. All die Jahre habe ich darauf gehofft, dass der Schmerz aus meinem Innern verschwindet. Vergeblich! Ich habe Clara geliebt. Ich komme nicht von ihr los.«

»Weil du sie noch immer liebst!«

»Wahrscheinlich stimmt das sogar, Toni. Natürlich war ich als Bursche in meinen Stolz verletzt. Aber ich liebte sie. Sie hat mir sehr wehgetan. Trotzdem kam ich nicht los von ihr. Ich habe alles versucht. Ich ging aus, jeden Abend. Ich lachte mir Madln an und hatte mal kürzere, mal längere Beziehungen, alles vergebliche Liebesmühe! Ich komme nicht von Clara los. Ich kann keine andere Frau so lieben.«

»Was für eine wunderbare Liebe!«, sagte Toni leise.

»Das finde ich nicht. Ich bin mir selbst böse und halte mich für deppert. Mei, jedem andern Burschen würde ich sagen, vergiss sie! Was trauerst du ihr nach? Sie ist es nicht wert. Toni, ich würde noch weitergehen. Jedem würde ich den Rat geben, sich von einem Seelenklempner behandeln zu lassen.«

»Nachdem du jetzt weiß, dass Clara in ein übles Fahrwasser geraten war, kannst du deine Handlungsweise noch einmal überdenken, finde ich.«

»Was gibt es da zu überdenken, Toni?«

»Pfarrer Zandler sagte mir, es war kein Zufall, dass du Clara begegnet bist, auf dem Rückweg von deiner Wanderung. Sie hat dir aufgelauert.«

»Hast du das eingefädelt?«, fragte Benz barsch.

»Bewahre! Nein, Helene Träutlein wusste, dass du in Waldkogel bist. Sie hat es Claras Mutter erzählt. Sie waren sich auf einem Geburtstag begegnet. Selma Fuchs jammerte erneut, dass Clara sich immer mehr verändere. Selma ist sehr unglücklich. Clara lebt wie eine Einsiedlerin.«

»Dann ist sie nicht in festen Händen? Es freut mich, dass sie auch kein Glück hatte.«

»Benz, jetzt bist du gehässig!«, tadelte ihn Toni.

»Toni, du irrst. Ich bin nicht gehässig, nur ehrlich. Ich habe ihr Tausend und Abertausend Mal gewünscht, dass sie unglücklich wird. Ich weiß, dass das ein primitiver Wunsch ist.«

»Dazu sage ich nichts, Benz. Aber wir sind ganz von dem abgekommen, was ich dir noch erzählen wollte. Clara hatte damals ganz schnell eingesehen, dass sie einen riesengroßen Fehler gemacht hatte. Sie hatte ihr Herz geprüft und abgewogen. Die Wahl war zu deinen Gunsten ausgegangen.«

»Das kann die Sache nicht rückgängig machen, Toni.«

»Aber ihr hättet euch versöhnen können! Doch du warst nicht mehr da.«

»Ach, vergessen wir die ganze Sache, Toni! Es ist lange her. Vorbei ist vorbei. Meine Eltern kommen bald. Dann bleibe ich noch ein paar Tage, bevor ich wieder abreise.«

»Willst wieder davonlaufen?«

»Nein, ich habe meine Arbeit. Es war gut, wieder einmal nach Waldkogel zu kommen. Hier war es einfacher, mir Gedanken über die Sache zu machen. Ich werde nicht mehr so viel Zeit vergehen lassen, bis ich meine Eltern und Waldkogel besuche. Die erste Hürde ist genommen. Ich habe mir auch schon schöne Sprüche zurechtgelegt, für den Fall, dass mich jemand anspricht. ›Ich bin eben ein Weltenbummler‹, ›Ich habe Karriere gemacht, am anderen Ende der Welt‹, ›Ich habe Waldkogel nicht den Rücken gekehrt, es gab eben Umstände, die es erforderlich machten‹ und so fort. Ich hoffe, dass sich niemand an die Geschichte mit Clara und mir erinnert. Und was ist dabei, zu sagen: ›Wir haben eben nicht zusammengepasst‹?«

»Du wirst also Theater spielen.«

»Wenn es sein muss. Mein Privatleben geht niemand etwas an. Ich habe mir gedacht, dass es bei meinem nächsten Besuch schon einfacher sein wird. Ich bin eben ein Weltenbummler, der gelegentlich seine Heimat besucht. Und mit der Zeit komme ich auch über das schmerzliche Ereignis hinweg, was mich fortgetrieben hat. Clara wird es erfahren. Ich werde mich darauf einstellen, dass ich ihr begegnen kann.«

»Das wird selten vorkommen. Clara wohnt und arbeitet außerhalb von München. Du wirst ihr kaum begegnen. Es sei denn, sie läuft dir bewusst wieder vor die Füße.«

»Dann sage ich Grüß Gott und gehe weiter. Ende – Aus!«

»Willst dich nicht mit ihr aussprechen?«

»Toni, was soll das bringen? Vorbei ist vorbei!«

»Vielleicht könntet ihr Freunde werden?«

»Freunde?«, lachte Benz laut. »Du hast vielleicht Ideen, Toni!«

»Ich meine nur, ihr seid jetzt beide älter. Es würde dir bestimmt gut tun, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Es ist ein Gebiet in deinem Leben, in dem Unordnung ist. Das wird so bleiben, bis du mit Clara gesprochen hast. Sie war fehlgeleitet, Benz. Sie kann dir am besten erklären, was sie in dem Augenblick empfunden hatte. Ihr solltet miteinander ins Reine kommen. Ihr müsst keine Freunde werden. Die Clara von heute ist nicht mehr die Clara von damals. Du bist auch ein anderer Mensch. Ein Gespräch könnte dir dazu verhelfen, die Sache abzuschließen und endgültig zu verarbeiten. Ich denke, du würdest dich danach freier fühlen. Du sagst, du liebst Clara noch. In dem Punkt widerspreche ich dir. Wenn du es mir übelnimmst, kann ich daran nichts ändern. Du liebst Clara nicht, du liebst die Clara von damals.«

Benz schwieg.

Toni ließ ihm Zeit. Er war froh, dass er bis jetzt so ruhig mit Benz sprechen konnte. Noch vor einer Woche wäre das nicht möglich gewesen.

»Benz, da wir offen reden«, fuhr Toni fort, »will ich dir noch etwas sagen. Du musst mir nicht zustimmen, noch musst du etwas dazu bemerken.«

»Meinetwegen, rede schon, Toni«, brummte Benz etwas launisch.

»Es ist ein Gedanke, der mir durch den Kopf geht. So eine Enttäuschung hinterlässt eine Wunde, das ist klar. Aber normalerweise verheilt sie irgendwann. Ich habe schon oft jemand beigestanden, der Liebeskummer hatte. Du bist auch nicht der erste Bursche, der eine Abfuhr bekommen hat. Doch bei allen Anderen wuchs irgendwann Gras darüber. Bei dir kommt es mir vor, als wolltest du nicht, dass sich die Wunde schließt. Überlege doch selbst einmal, wie lange das her ist. Du musst auch zugeben, dass du damals Clara nicht gefragt hast, wie sie zu so einer hirnrissigen Anschauung gekommen war. Warum bist du nicht wütend geworden und hast sie zur Rede gestellt? Du hast dich benommen wie ein Heiliger. Du wurdest beleidigt und hast dich nicht gewehrt. Stattdessen bist du davongelaufen. Mei, du hast Abitur, hast studiert, hast deinen Doktor gemacht und bist sehr erfolgreich in deinem Beruf. Hast du vielleicht Angst, dass du ihr erliegen könntest und sie dich jetzt nähme, weil du jemand bist?«

Benz schwieg und warf Toni mehrmals einen Seitenblick zu.

»Toni, das kann sein. Damals dachte ich, Clara liebt mich. Sie wird meine Frau, einfach aus Liebe. Ich hatte damals keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich einmal so eine Karriere machen könnte. Heute bin ich jemand. Vielleicht bin ich der Mann geworden, von dem sie damals geträumt hatte. Wer weiß?« Benz seufzte. »Toni, ich bin einsam. Ich bin zwar erfolgreich, aber ich bin einsam. Dir kann ich es gestehen. Es ist etwas tief in mir drinnen zersprungen. Ich kann keine tiefen Beziehungen aufbauen. Ich bin sehr misstrauisch. Nach außen hin kann ich gut den Geselligen spielen. Aber in Wirklichkeit ist mein Leben trist und trostlos. Du magst schon recht haben, dass ich einen Knacks habe.«

Toni legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Benz, ich bin kein Seelendoktor. Ich habe nur einen gesunden Menschenverstand. Und der sagt mir, dass nur du dir selbst helfen kannst. Ich sehe nur einen Weg, rede mit Clara! Wenn du willst, kann ich sie irgendwohin bestellen. Ihr trefft euch in den Bergen. Dort seid ihr unter euch. Es gibt niemand, der euch stört und der sich einmischt. Benz, rede mit Clara! Tue es um deiner selbst willen. Sonst geht dein Leben so weiter, voll emotionaler Bitternis. Versprich mir bitte, dass du ernsthaft darüber nachdenkst!«

»Ich kann dir versprechen, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, Toni. Aber sei bitte nicht enttäuscht, wenn ich deinem Wunsch, besser deinem Rat nicht nachkommen werde.«

»Ich bin nicht enttäuscht, wenn du noch Zeit brauchst. Auf jeden Fall hast du Fortschritte gemacht, seit du auf der Berghütte bist. Ich kann jetzt ruhig mit dir über Clara sprechen, das ist schon viel besser als am Anfang. Und wenn du es während deines jetzigen Aufenthalts nicht schaffst, dann beim nächsten Mal. Du tust mir nur leid, Benz, weil dein Leben davon überschattet ist. Du bist nicht glücklich.«

Benz wollte etwas einwenden. Toni gab ihm mit der Hand ein Zeichen, ihn ausreden zu lassen.

»Benz, ich habe dir alles gesagt, was ich weiß. Wenn du mehr erfahren willst, kannst du auch Zandler ansprechen.«

Benz seufzte tief. »Toni, ich will dir etwas sagen. Ich bin Clara aus dem Weg gegangen, weil ich mir sicher war, dass ich nicht anders könnte, als zu versuchen, sie wiederzuerobern. Dass ich jetzt weiß, dass Clara ungebunden ist, macht die Sache nicht einfacher. Ich habe etwas erreicht, ich bin wer. Wenn sie sich jetzt mir zuwenden würde, wie könnte ich mir sicher sein, dass sie mich wahrhaft liebt? Vielleicht wäre ich für sie nur eine gute Partie?«

Toni rieb sich das Kinn. »Ich verstehe dich. Aber heute bist du klüger. Du kannst zwischen den Worten lesen, was dahintersteckt. Ich an deiner Stelle würde mit Clara sprechen, einfach schon, um das zu klären und mir ein neues Urteil zu bilden. Danach kannst du dich entscheiden. Jetzt kannst du nur spekulieren. Du musst herausfinden, wie Clara jetzt über dich denkt. Ich gehe noch weiter. Ich empfehle dir, sie einfach neu kennenzulernen, Benz. Ihr habt euch beide verändert! Danach siehst du klarer.«

»Toni, ich weiß, dass du recht hast. Ich kann mich nur wiederholen und dir sagen, dass ich nachdenken werde. Danke für das offene Gespräch! Danke, danke fürs Zuhören und jeden Ratschlag. Aber ich brauche Zeit.«

»Das verstehe ich. Ich sage dir noch etwas. Dabei spreche ich aus Erfahrung. Es läuft nicht immer glatt, bis sich zwei das Jawort geben. In eine Beziehung bringt jeder seine Vergangenheit mit. Es kann ein mühsamer Weg sein bis zum Wir. Dazu sind Anpassung, Geduld, Nachsicht und Verständnis nötig. Doch wenn beide guten Willens sind und sich lieben, gibt es immer einen Kompromiss. Eines kann ich dir mit Gewissheit sagen, oft werden Entscheidungen aus einer Tagesform heraus gefällt, aus einer Stimmung heraus, ohne nachzudenken. Zweitens verändert sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens, durch das Älterwerden und auf Grund seiner Erfahrungen. Nach einer langen Ehe ist keiner der beiden mehr der, der er einmal war, als sie sich kennenlernten und heirateten. Leben bedeutet Entwicklung. Es kommt nur darauf an, dass die Basis stimmte. Wenn du mir erzählst, dass du damals den Eindruck hattest, dass ihr gut zusammenpasst, dann sollte davon zumindest so viel übrig sein, dass ihr euch aussprechen könnt. Was danach kommt, steht in den Sternen. Darüber will ich auch nicht spekulieren.«

»Das sind weise Worte, Toni. Doch wie gesagt, ich werde darüber nachdenken, mehr kann ich dir nicht versprechen.«

»Gut so! Ich gehe jetzt schlafen. Bleib ruhig noch hier sitzen! Wenn du noch etwas trinken willst, hole es dir. Gute Nacht, Benz!«

»Gute Nacht, Toni!«

Toni ging in die Berghütte.

Benz blieb auf der Terrasse sitzen. Er schaute über das Tal, das friedlich im Mondlicht lag. Bella, die Neufundländerin, kam zu ihm und setzte sich neben ihn.

»Willst du mich bewachen, Bella? Du bist eine liebe Hündin.«

Bella drückte sich eng an Benz und ließ sich streicheln. Sie wich nicht von seiner Seite, bis Benz irgendwann schlafen ging.

*

Erich Kirschberger saß in der großen Wohnküche des Aussiedlerhofs und las die Zeitung. Er genoss es, allein zuhause zu sein. Er hatte Urlaub. Seine Frau war mit der verheirateten Tochter und den Enkelkindern nach Kirchwalden zum Einkaufen gefahren.

Das Telefon läutete.

Er stand auf und ging zum Telefontischchen im Treppenhaus.

»Kirschberger, hier«, meldete er sich.

»Ich bin’s, Helene Träutlein! Oh, ich bin ich überrascht, dass Sie es sind, Herr Kirschberger«, stieß Helene Träutlein hervor.

»Wollten Sie meine Frau sprechen? Sie ist mit der Tochter und den Enkeln einkaufen gefahren. Kann ich etwas ausrichten? Allerdings werden sie erst am Abend zurück sein. Sollte es dringend sein, kann ich Ihnen die Handynummer geben.«

»Danke, danke, das wird nicht nötig sein. Herr Pfarrer Zandler wollte, dass ich Ihre Frau an etwas erinnere. Wenn Sie heute Abend von der Arbeit kämen, sollte sie Ihnen sagen, Sie sollen hinauf zur Kirschberger Alm kommen. Aber jetzt habe ich Sie am Apparat. Das ist noch besser.«

In Erich Kirschberger stiegen sofort Erinnerungen auf. »Ich habe Urlaub. Ich kann früher dort sein. Was gibt es denn? Welchem Umstand habe ich das Treffen zu verdanken?«

»Tut mir leid, ich weiß es nicht. Pfarrer Zandler hat mich nur gebeten, anzurufen.«

»Na, er wird schon seinen Grund haben«, bemerkte Kirschberger. »Ich mache mich gleich auf den Weg.«

»Das sage ich ihm. Grüß Gott!

»Pfüat di!«, erwiderte Kirschberger und legte auf.

Einen Augenblick stand er regungslos im Flur und starrte das Telefon an. Er grübelte, warum ihn Zandler dorthin bestellte. Außer, dass der Geistliche unter einem Anfall von Nostalgie litt, fiel ihm nichts dazu ein.

Er ging hinauf ins Schlafzimmer und zog seine Wandersachen an. In der Vorratskammer füllte er den Rucksack mit Proviant auf. Er vergaß auch nicht ein kleines Glas mit eingemachten Beeren und zwei Löffel. Dann ging er los.

Direkt hinter dem Hof schlängelte sich ein Fußpfad durch die Wiesen und dann den Hang hinauf durch den Wald bis zu den Almwiesen mit der Hütte.

Bevor er die Almhütte sehen konnte, sah er den Rauch, der aus dem Schornstein quoll. Er ging schneller.

»Mei, Erich, hast du dich beeilt! Grüß Gott!«

»Grüß Gott, Herr Pfarrer«, antwortete Erich etwas atemlos.

»Hör bloß auf mit dem Herrn Pfarrer! Damals bin ich der Heiner gewesen und du der Erich und dabei bleibt es. Besonders, wenn wir am alten Treffpunkt sind.«

»Gut, Heiner! Dann komme ich gleich zur Sache. Ich habe mich über den Anruf ein bisserl gewundert. Du hast Glück, ich habe Urlaub und habe mich gleich auf den Weg gemacht.«

»Ich weiß, Träutlein hat mich übers Handy angerufen. Die Verbindung war nicht gut. Aber so viel habe ich verstanden.«

Erich sah, dass Zandler den Tisch und zwei Stühle aus der Hütte geschleppt hatte.

»Setz dich! Ich habe Kaffee gemacht.«

Während Zandler den Kaffee holte, packte Erich Kirchberger seinen Rucksack aus. Er stellte das Einmachglas mit den Beeren auf den Tisch und legte die Löffel daneben.

»Wie in alten Zeiten«, lachte Zandler. »Mei, ist das lange her.«

»Lieber net nachrechnen, Heiner!«, lachte Kirschberger. »Sonst komme ich mir alt vor.«

»Schmarrn! Du bist immer noch ein drahtiger Bursche.«

»Danke, danke, du verstehst es, Komplimente zu machen. Aber ich bin zehn Jahre älter als du.«

Sie setzten sich. Kirschberger öffnet das Einmachglas. Sie löffelten gemeinsam die Früchte heraus.

»Wie damals«, sagte Zandler.

»Fast wie damals«, verbesserte ihn Erich. »Damals kam gelegentlich Fritz noch mit.«

»Stimmt! Aber Fritz ist in Italien und besucht die Partnergemeinde.«

»So, das wusste ich nicht. Nun ja, ich komme selten ins Dorf und sehe ihn noch seltener.«

»Er hat viel zu tun. Manche denken ja, Bürgermeister zu sein, sei einfach. Aber das ist es nicht. Die paar Tage in Italien werden ihm gut tun. Die Partnergemeinde feiert ein Jubiläum. Fritz hat seine Frau mitgenommen. Ich hoffe, es ist auch ein bisserl wie ein Urlaub für die beiden«, erzählte Zandler.

»Und du scheinst auch Urlaub zu machen«, sagte Erich. »Ich habe dich seit Jahren nimmer in Wandersachen gesehen, immer nur in Schwarz, in deiner geistlichen Kluft.«

Pfarrer Zandler lächelte. »Das stimmt. Ich habe mir auch selten Zeit genehmigt für eine schöne Bergtour. Aber mir steht auch Urlaub zu. Außerdem wollte ich dir nicht in dem schwarzen Zeug gegenübersitzen.«

»So? Warum?«

»Weil ich etwas mit dir bereden wollte – als Freund – und erst in zweiter Linie als Geistlicher. Ich habe mir lange überlegt, wie ich es machen soll. Dich ins Pfarrhaus zu bestellen oder dich daheim aufzusuchen, das wäre zu offiziell.«

»Du machst mich sehr neugierig, Heiner.«

»Das kann ich mir denken. Da habe ich mich erinnert, wie Fritz und ich uns mit dir hier getroffen hatten. Du warst schon fast ein junger Mann, hast dich aber mit uns Kleinen abgegeben. Das vergessen wir dir nie.«

»Das ist schön. Aber weißt du, nach dem Tod meiner beiden jüngeren Brüder war eine Lücke entstanden. Ich war plötzlich Einzelkind und vermisste meine Brüder sehr. Da habe ich euch quasi zu meinen Ersatzbrüdern gemacht.«

Zandler lächelte. »Das hast du. Du hast uns gezeigt, wo die besten Angelplätze am Bergsee waren, wo wir im Wald Pilze finden konnten. Du hast uns vieles gezeigt. Mein Vater hatte keine Zeit und Fellbachers Vater auch nicht. Ich erinnere mich an viele Nachmittage mit dir, hier auf der Alm. Du bist im Sommer immer oben gewesen.«

»Das stimmt. Ich war jedes Mal von der Schule befreit. Es waren nur ein paar Wochen, denn dann gab es Sommerferien. Dafür legte ich nach den Ferien die Prüfung ab. Es hat immer geklappt. Ich konnte gut für mich allein lernen.«

»Dann bist du zuerst Lehrer geworden und hast unterrichtet, bis du in München die Anstellung in dem Schulbuchverlag bekamst.«

»Wie die Zeit vergeht, Heiner«, seufzte Erich.

Er holte zwei Flaschen Bier aus seinem Rucksack.

»Ist besser als Kaffee«, sagte Erich und öffnete den altmodischen Bügelverschluss.

Das Glas klang leise, als sie die Flaschen aneinanderstießen und sich zuprosteten.

Sie tranken.

»Mei, das tut wirklich gut«, sagte Zandler.

»So, Heiner, jetzt rückst du endlich raus, warum du dich mit mir hier verabredet hast«, ermahnte ihn Erich.

»Gut, dann sage ich nur ein Wort: Brachwiese.«

»Soso, deshalb also.«

»Ja, deshalb! Hast du es dir überlegt, ob du Franziska die Brachwiese verkaufen tust?«

Erich Kirschberger rieb sich das Kinn. »Am Überlegen bin ich schon.«

»Aber noch zu keinem Ergebnis gekommen, wie?«

»Genauso ist es, Heiner.«

»Aber warum hältst du an den Brachwiesen fest? Du bist kein Bauer, wie dein Vater und dein Großvater. Und keines deiner Kinder will später einmal Landwirtschaft betreiben.«

»Das stimmt schon, Heiner. Aber du kennst uns sture Bergler doch. Ein Stück Land zu veräußern, das fällt uns nicht leicht. Auch wenn man nix damit macht. Man hängt eben an dem, was man geerbt hat.«

»Das stimmt schon, Erich. Ich kann das nachvollziehen. Aber vielleicht hast du noch andere Gründe, dich nicht davon trennen zu wollen?«

Erich wurde rot. »Wie meinst das jetzt?«, stieß er hervor.

Zandler trank einen Schluck Bier. »Ich nehme an, du weißt es noch nicht. Egon Lederer hat seine Brachwiese an Franziska verkauft.«

»Naa, das wusste ich nicht. Wirklich?«

»Ja, wirklich. Und er ist heilfroh, dass er sie los ist, sagt er.«

»Und sein Bub, der Frank, der hatte nix dagegen?«

»Toni hat mir erzählt, dass Vater und Sohn deswegen einen Streit hatten. Ich hoffe, er ist inzwischen beigelegt. Frank müsste glücklich sein, aus der Sache raus zu sein«, sagte Zandler. Er schaute dabei Erich eindringlich an.

Der sagte nichts. Doch seine Gesichtsfarbe wurde dunkler. Auf seiner Stirn traten kleine Schweißtropfen hervor. Er zog die Jacke aus und krempelte die Hemdsärmel nach oben.

»Ich nehme an, du weißt, um was es geht?«, fragte Zandler.

»Was soll ich wissen?«

»Mei, Erich, ich bin nicht von gestern. Toni Baumberger hat alles aufgedeckt. Das heißt, eigentlich ist Egon hinter die dubiosen Machenschaften seines Buben gekommen. Ich muss dir wohl nicht sagen, wie erschüttert er war. Egon wollte die Brachwiese nur noch loswerden. Jetzt ist er sie los. Allerdings setzt ein gewisser Herr, der die Bezeichnung Herr nicht verdient, Frank zu. Auch das hat mir Toni erzählt. Du kannst sicher verstehen, dass Toni besorgt ist um Franziska. Ich habe ihn beruhigt. Wenn dieser Bazi versuchen sollte, Franziska Schwierigkeiten zu machen, dann hat er das ganze Dorf gegen sich.« Zandler trank noch einen Schluck Bier. »Das Schlimme ist, dass man gegen diesen hinterhältigen Kerl wenig machen kann. Frank hat sich verführen lassen. Sollte jemand diesen Gauner hochgehen lassen, hängt Frank Lederer mit drin und Egon auch. Egon war mit den Unterlagen bei Magnus in der Kanzlei und hat alles überprüfen lassen. Du weißt, doch, dass Alois Holzers Enkelin Charlotte in München mit einem Rechtsanwalt verheiratet ist.«

Pfarrer Zandler warf Erich einen Seitenblick zu. Unruhe und Angst standen ihm deutlich im Gesicht. Zandler ließ sich nicht anmerken, dass ihm das aufgefallen war. Er sprach ruhig weiter. »Weißt du, Erich, das Ganze hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe ziemlich gegrübelt und einige Nächte sehr schlecht geschlafen. Wenn dieser Münchner Großkopferter wegen einer ungenutzten Brachwiese Frank Lederer in dunkle Geschäfte verwickelt hat, könnte es gut sein, dass Frank nicht der Einzige ist. Das ist natürlich nur eine Vermutung.« Zandler seufzte. »Ich könnte das natürlich allen Brachwiesenbesitzern erzählen. Aber es wäre besser, wenn ich mich heraushalten könnte, jedenfalls bis die Brachwiesenbesitzer zu mir kommen. Verstehst du?« Nach einer kleinen Pause fuhr Zandler fort: »Da kam mir die Idee, dass ich dich bitten könnte, mit den anderen zu reden. Ich nehme an, dass du dich hast selbst in eine Sache verwickeln lassen, die nicht ganz astrein ist. Ich will dich nicht danach fragen, Erich. Ich will dir nur sagen, dass es einen Ausweg gibt. Allerdings musst du dich dann von der Brachwiese trennen. Verstehst' mich, Erich?«

Erich Kirschberger stand auf und ging einige Schritte vor der Almhütte auf und ab. Dann blieb er vor dem Tisch stehen und sah Zandler an. »Dieser Großkopferte, dieser Gauner, dabei denkst du an Ruppert Schwarzer, wie?«, fragte Erich.

»Und an Franz Huber, denn er ist Schwarzers Handlanger«, sagte Zandler ruhig.

Erich Kirschberger setzte sich wieder. Er schob die halbvolle Bierflasche von sich und nippte an seinem Kaffee, der inzwischen kalt geworden war. »Was soll ich sagen, Heiner? Ruppert ist ein raffinierter Hund. Persönlich hatte ich keinen Kontakt mit ihm. Frank Lederer sprach mich eines Tages an, auf der Straße, als er mich sah. Er machte mir die Sache schmackhaft. Danach kam Franz Huber auf mich zu. Er rief mich an, lud mich zu sich ein und legte mir Geldscheine auf den Tisch. Ich muss sagen, dass mein Eindruck von Franz Huber falsch war. Ich hatte ihn immer für einen Einfallspinsel gehalten. Heiner, das ist er nicht. Der kann reden und ist im Grunde ein Abklatsch von Schwarzer. Kurzum, ich gestehe, er hat mich herumbekommen.«

»Wie lange ist das her?«

»Oh, das sind schon ein paar Jahre, Heiner.«

»Seither bekommst du jeden Monat Scheine, einfach so, auf die Hand.«

»Ja, so kann man es sagen, Heiner. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass man sich ganz schnell daran gewöhnt. Schon nach einigen Monaten hatte ich Schwarzers Geldsegen fest eingeplant.«

»Und du hast das Einkommen nicht versteuert?«

»Doch, das habe ich. Ich habe es als Mieteinnahme versteuert.«

»Wollte das Finanzamt keinen Vertrag sehen?«

»Ich habe, vielmehr mein Steuerberater hat dem Amt klargemacht, dass ich die Wiese an Touristen vermietet hätte, wie ich die Ferienwohnungen vermietet habe.«

»Dem Himmel sei Dank!«, seufzte Zandler erleichtert. Er lächelte Erich an. »Du bist eben eine ehrliche Haut, Erich.«

»Ehrlich währt am längsten, sagt man, Heiner. Gut, dass Huber das nicht weiß. Er tat immer sehr geheimnisvoll, wenn er mir das Geld bar übergab. Eine Quittung wollte er nie. Wir hätten eine Vereinbarung und die sei mit Handschlag besiegelt. Das würde genügen, betonte er immer.« Erich Kirschberger seufzte. »Weißt du, diesen Handschlag habe ich schon oft bereut. Ich bin froh, dass ich dir mein Herz ausschütten kann, Heiner. Ich wollte schon oft aussteigen, aber ich sitze in der Falle.«

»Erich, ich verstehe dich besser, als du denkst.« Zandler rieb sich das Kinn. »Und wie steht es um die anderen Brachwiesenbesitzer? Ich nehme an, sie haben auch Geld angenommen.«

Kirschberger zuckte mit den Schultern. »Das ist anzunehmen. Gefragt habe ich nie. Außerdem hatte mir Huber eingeschärft, es niemand zu erzählen.«

»Kann ich dich bitten, herauszufinden, wie es um die anderen Brachwiesenbesitzer steht? Du würdest mir einen großen Gefallen tun, Erich.«

»Ich kann es versuchen. Leicht wird es nicht werden. Und dass ich Erfolg habe, kann ich dir nicht versprechen. Was meinst du damit, du hättest eine Lösung, aber ich müsste mich von der Brachwiese trennen?«

»So wie ich Ruppert Schwarzer einschätze, wird er Druck ausüben, wahrscheinlich über Huber, damit alle schön bei der Stange bleiben.«

»Das hat er bereits, Heiner. Franz Huber sagte mir, ich solle ja nicht auf die Idee kommen, die Brachwiesen zu verkaufen. Er habe gehört, Franziska Baumberger wolle sie kaufen, da sie früher zum Bichler Hof gehörten.«

»Ah, siehst du, da haben wir es. Und wie hast du reagiert?«

»Ich tat, als wüsste ich nicht, von was er spricht.«

»Gut hast du das gemacht, Erich.«

»Das sagt sich so leicht, Heiner. Ich wäre froh, wenn ich den Kopf aus der Schlinge ziehen könnte.«

»Das kannst du, Erich«, sagte Zandler mit ernster Stimme. »Huber hat dich gefragt, ob du an einen Verkauf denkst. Er hat nicht von einer Schenkung gesprochen, Erich.«

»Schenkung? Das klingt interessant. Stimmt, ich könnte Franziska die Wiesen schenken. Gute Idee!«

Heiner Zandler schüttelte den Kopf. »Erich, die Franziska muss fürs Erste herausgehalten werden. Nein, du könntest eine Schenkung an die Kirche machen.«

»Und die Kirche würde die Brachwiesen weiterverkaufen an Franziska?«

»Genau das ist es. Schenkungen an die Kirche gibt es immer noch. Sicher, früher waren es mehr. Aber niemand kann dir daraus einen Strick drehen. Und ich denke, Ruppert Schwarzer würde sich nicht mit mir anlegen. Du schenkst der Kirche die Brachwiese mit einigen Auflagen. Erstens geht die Wiese ausschließlich in den kirchlichen Besitz der Kirchengemeinde Waldkogel über, mit mir als Pfarrer. Zweitens darf ich die Brachwiesen nur an Franziska verkaufen. Drittens – der Verkauf der Wiesen an Franziska darf frühestens nach einem Jahr erfolgen.«

Erich Kirschberger schaute Zandler einen Augenblick ernst an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Er lachte, bis er feuchte Augen bekam. »Du bist ganz schön raffiniert, Heiner. Das hätte nicht für möglich gehalten, dass du solche Tricks auf Lager hast. Nicht, dass ich dich unterschätzt hätte, aber überrascht bin ich doch.«

»Das Wort ›raffiniert‹ gefällt mir nicht, Erich. Ich bin eben um meine Schäfchen besorgt. Außerdem will ich mich nicht mit fremden Federn schmücken. Es gab einen ähnlichen Fall, bei dem Schwarzer leer ausging. Erinnerst du dich?«

»Alois Holzers Berghütte! Er konnte sie von der Gemeinde Waldkogel zurück erwerben. Zwar wurde allerlei spekuliert, wer der Kirche das Geld mit der Auflage gegeben hatte, dass Alois Holzer es bekommt. Alois machte dann von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch und erhielt die Berghütte zurück.«

»Man lernt im Leben dazu, Erich«, schmunzelte Zandler.

Erich stand auf. Er ging in die Almhütte. Es dauerte etwas, dann kam er mit einer verstaubten Flasche heraus.

»Obstler! Den hatte ich versteckt, vor langer Zeit. Aber Obstler verdirbt nicht«, grinste Erich. Er holte zwei Blechbecher, spülte sie an der Schwenkpumpe aus und füllte sie mit Obstler. »Prost, Heiner!«

»Prost, Erich!«

Sie tranken.

»Das heißt, du bist mit der Schenkung einverstanden?«, fragte Zandler.

»Mehr als einverstanden! Ich bin kein Landwirt, wie mein Urgroßvater und Großvater. Und mal ehrlich, das Gebiet wird niemals Bauland.«

»Nein, es wird niemals Bauland. Die Einzige, die einen Nutzen davon haben kann, ist Franziska. Die Wiesen liegen nahe am Bichler Hof.«

»Zu dem sie einst gehörten!« Erich stieß hörbar die Luft aus. »Mei, Heiner, was bin ich froh, dass du so eine elegante Lösung gefunden hast. Setze einen Vertrag auf, und wir gehen zum Notar.«

»Das ist nicht nötig. Ich kann als Pfarrer selbst eine notarielle Beurkundung vornehmen. Dazu gibt es ein altes Kirchenrecht. Davon wird kaum noch Gebrauch gemacht. Wir brauchen noch Zeugen. Aber deswegen spreche ich mit Tassilo und mit Martin. Es wäre gut, wenn unser guter Doktor dabei wäre.«

»Ich verstehe, damit Schwarzer nicht behaupten kann, ich wäre nicht im völligen Besitz meiner geistigen Kräfte gewesen.«

»Du sagst es, Erich.« Zandler rieb sich vergnügt die Hände. »Ich gestehe, ich habe einen großen Spaß daran, Schwarzer die Pläne zu durchkreuzen. Eigentlich ist das nicht richtig, dass ich mich so freue und ich hoffe, der Himmel sieht mir meine Schadenfreude nach.«

»Heiner, der Himmel sieht dir deine Schadenfreude bestimmt nach. Du tust es nicht für dich, sondern für uns Brachwiesenbesitzer und für Franziska.«

Zandler lächelte.

»Es ist schon ein Kreuz mit dem Ruppert Schwarzer«, sagte Erich. Er senkte den Kopf und drehte den Blechbecher hin und her. »Heiner, ich schäme mich, dass ich den Verführungskünsten nicht widerstanden habe. Aber der Franz Huber, der kann reden und er hat mir Argumente an den Kopf geworfen, die waren nicht zu widerlegen. Dass die Brachwiesen mich eigentlich doch nur Grundsteuer kosteten und nix brachten. Ob ich denn Geld zu verschenken hätte? So würden die Brachwiesen wenigstens keine Belastung darstellen, und ein bisserl Extrageld würde auch noch übrigbleiben. Ich war sehr skeptisch und führte an, was passieren würde, wenn ich irgendwann doch nicht verkaufen wollte. Da lachte Huber. ›Dann hat Ruppert ein bisserl Spielgeld verloren‹, hat er mir geantwortet. Aber ich würde schon verkaufen und ein gutes Geschäft machen. Alle Orte in den Bergen würden wachsen und der Tourismus nehme zu. Die Gemeinde Waldkogel könnte sich irgendwann nicht mehr dem Trend entziehen. Die Alten wären noch dafür, dass aus Waldkogel kein Touristenrummelplatz werde. Aber so wie er es sehe, denke die nächste Generation anders. Er sagte, ich wäre auch kein Bauer mehr, wie mein Vater und Großvater. Und die jungen Leute wüssten, wie man reich wird, ohne viel zu arbeiten, nämlich mit Aktien, Beteiligungen und Immobilien. Diese Zeit würde in Waldkogel auch noch anbrechen. Ruppert Schwarzer sei ein steinreicher Mann. Er denke langfristig und bringe sich rechtzeitig ein. So sollte ich das sehen mit dem Geld, es sei eine Art Handgeld, damit ich Schwarzer wohl gesonnen sei, wenn es so weit wäre.« Erich seufzte. »Huber hat mich einfach bequatscht, bis ich zustimmte. Erst am nächsten oder übernächsten Tag wurde mir klar, dass ich Huber in die Falle gegangen war. Ich erinnerte mich an die Zwischentöne. Mir wurde klar, dass mit Schwarzer nicht gut Kirschen essen ist. Deshalb habe ich das Handgeld auch versteuert, Heiner. Ich gestehe dir, dass ich schon lange nach einem Weg gesucht habe, da wieder herauszukommen. Ich habe auch einige Vorstöße in der Richtung unternommen. Sie waren vergeblich. Als es sich herumgesprochen hatte, dass Franziska die Brachwiesen nutzen will, hat Schwarzer das Handgeld erhöht. Als Geistlicher kannst du sagen, dass ich mich von dem goldenen Kalb habe blenden lassen. Meinst du, ich komme da ohne Blessuren wieder heraus?«

Zandler schmunzelte. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich als Freund hier sitze. Ja, du kommt da heraus. Glaube mir einfach! Du schenkst der Kirche die Brachwiesen, um dein Gewissen zu beruhigen, für etwaige Sünden, die du begangen hast. Ich werde mich unverzüglich um die vertragliche Vereinbarung kümmern und mit Tassilo und Martin sprechen. Das kann ich morgen alles erledigen. Ich rufe dich gegen Abend an. Dann treffen wir uns zur Unterzeichnung. Sobald Fellbacher aus Italien zurück ist, kann er die Grundbuchänderung vornehmen. Danach kannst du den anderen Brachwiesenbesitzern erzählen, dass du deine Wiese verschenkt hast und an wen. Du kannst sie ja ein bisserl aushorchen. Finde heraus, ob sie die Einkünfte versteuert haben! Wenn sie auf Huber gehört haben, im Gegensatz zu dir, sind sie erpressbar wegen Steuerhinterziehung. Das wissen sie. Gib ihnen den Rat, zu mir zu kommen, damit der Spuk ein Ende hat.«

»Das werde ich, Heiner«, sagte Erich. Er sah Zandler an. »Ich frage mich oft, warum Ruppert Schwarzer so erpicht auf Waldkogel ist. Es gibt Orte, die verkehrstechnisch viel besser zu erreichen sind, als unser Waldkogel, am Ende eines Tales. Außer der schönen Barockkirche gibt es hier nichts als Natur. Schwarzer ist wahrlich kein Naturmensch. Seine Hotels und Ferienanlagen verschandeln die Berge. Hast du dir die Dinger mal angesehen?«

»Ich kenne sie. Sie sehen überall gleich aus. Schwarzers Baustil erkenne ich sofort. Du fragst, warum er so erpicht auf Waldkogel ist? Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ruppert Schwarzer ist ein Mensch, der sehr von sich eingenommen ist. Dass er irgendwo nicht landen kann, bereitet ihm ganz persönlich Verdruss. Er ist ein Machtmensch. Alles soll nach seiner Pfeife tanzen. Dass wir hier in Waldkogel ihm schon öfters einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, stachelt seinen Ehrgeiz an. Er kann das nicht einfach so hinnehmen. Ringsherum hat er seine Hotels und Discos und Freizeitparks, nur hier nicht. Das ärgert ihn. Waldkogel ist ein weißer Fleck auf seiner Landkarte. Den will er erobern. Zwar sitzt Franz Huber im Gemeinderat, aber genützt hat das Schwarzer bisher nichts. Er spekuliert darauf, dass Fellbacher irgendwann die Wahl verliert und Huber mehr Einfluss bekommt, vielleicht sogar Bürgermeister wird. Dann hätte Schwarzer freie Hand.«

»Übertreibst du nicht ein bisserl, Heiner? Nie und nimmer wird das geschehen.«

Zandler hob die Augenbrauen. »Ich hoffe, dass es nicht passiert. Deshalb müssen wir auf der Hut sein. Fellbacher steht immer unter Beobachtung. Huber lauert darauf, dass Fellbacher einen Fehler macht, und er ihm einen Strick daraus drehen kann.«

»Ich möchte nicht in Fritz' Haut stecken, Heiner.«

»Er hat es nicht leicht, Erich. Aber Fellbacher weiß sich zu wehren. Außerdem stehen wir alle hier unter dem besonderen Schutz der Engel vom ›Engelssteig‹. Da kann sich ein Ruppert Schwarzer noch so mit dem Teufel vom ›Höllentor‹ verbinden.«

»Das stimmt, Heiner. Ich werde den Engeln heute Abend eine Kerze stiften, als Dankeschön.«

»Mach das, Erich!«, lächelte Zandler. Er schaute auf die Uhr. »Wir sollten aufbrechen. Ich habe mein Auto weiter untern am Waldweg stehen, Erich. Ich will gleich zu Tassilo fahren und anschließend zu Martin. Aber ich kann dich heimfahren.«

»Danke, Heiner, das ist nicht nötig. Geh ruhig! Ich bleibe noch etwas hier auf der alten Alm und schwelge in Erinnerungen.«

Zandler stand auf. Er schulterte seinen Rucksack.

»Vergelt’s dir Gott, das mit den Wiesen, Erich!«, sagte Zandler und schüttelte ihm die Hand.

Erich Kirschberger lächelte.

Sie verabschiedeten sich. Zandler ging davon. Erich Kirchberger setzte sich wieder. Er schaute über das Tal und dachte nach.

*

Es war früher Abend, als Franziska zum Bichler Hof zurückkam. Sie hatte Wendy auf der Alm besucht.

Lukas Auto stand auf dem Hof.

Franziskas Herz schlug schneller. Sie rannte ins Haus. »Lukas!«, rief sie und stürmte in die Küche. »Wo ist Lukas?«, fragte sie.

Eva und Simon Meininger warfen Franziska Blicke zu.

»Ist etwas passiert?«, fragte Franziska aufgeregt.

»Naa, Madl! Lukas ist wandern.«

»Ohne mich? Mei, er hätte mich doch anrufen können. So lange wünsche ich mir schon, dass wir mal wieder zusammen wandern gehen.« Die Enttäuschung stand ihr im Gesicht. »Wir sehen uns so selten. Immer ist er am Lernen. Er hat kaum noch Zeit für mich«, klagte Franziska weiter.

Eva ging auf Franziska zu. Sie streichelte ihr die Wange. »Lukas ist im Stress«, sagte Eva. »Er will seinen Kopf lüften, hat er gesagt. Gleich als er ankam, zog er sich um und verschwand in die Berge.«

»Ohne nach den Ferkeln zu sehen«, ergänzte Simon.

»Er hat nicht nach seinen Schweinen gesehen?«, stieß Franziska hervor. Sie konnte es nicht glauben. Denn sonst führte Lukas’ erster Weg zu dem Freigehege der Turopolje Schweine. Die neuen Ferkel waren gerade mal eine Woche alt.

»Ja, so war es, Franziska. Ich habe heute Abend die Schweine versorgt«, sagte Simon.

Franziska schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tisch. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte sie. »Das hat er noch nie gemacht. Außerdem ist es mitten in der Woche. Ich dachte, er kommt erst am Samstag wieder, frühestens am Freitagabend. Ich freute mich so, als ich sein Auto sah.«

»Magst du einen Kaffee?«, fragte Lukas’ Mutter.

»Nein, danke, ich nehme ein Wasser. Du musst mich nicht bedienen wie einen Gast. Ich hole mir Wasser.«

Franziska ging zum Kühlschrank. Dort stand immer ein großer Krug mit Quellwasser aus dem Brunnen auf dem Hof. Sie schenkte sich ein. Sie trank im Stehen und setzte sich wieder, dieses Mal auf die Eckbank hinter dem Tisch.

Eva und Simon warfen sich Blicke zu.

»Franziska«, sagte Eva behutsam, »ich an deiner Stelle würde die Sache nicht so wichtig nehmen. Weißt du, Mannsbilder ziehen sich manchmal zurück, wenn sie Nachdenken müssen. Und Lukas war schon immer ein stiller Bursche. Er hat schon immer viel nachgedacht, bevor er sich zu etwas äußerte. Du kennst ihn doch, Franziska.«

»Ja, schon, aber trotzdem, ich bin überrascht. Dass er allein wandern ist, könnte ich noch verstehen. Obwohl ich eigentlich davon ausging, dass er mich vorher anruft. Er hätte mir Bescheid geben können. Was ist dabei zu sagen, dass er ausspannen will und Ruhe in den Bergen sucht? Er hätte mir sagen können, dass er allein sein will. Es gab Augenblicke, da wollte ich auch allein sein. Aber dass er nicht nach den Ferkeln gesehen hat, verwundert mich doch sehr. Das hat er noch nie getan. Ich bin einfach baff.«

Simon und Eva setzen sich an den Tisch. Eva schenkte Kaffee ein. Sie nippten an ihren Bechern.

»Franziska, nimm es nicht so tragisch. Wenn er zurückkommt, erfahren wir sicher mehr«, versuchte Eva, Franziska zu trösten.

»Genau«, stimmte ihr Mann zu. Er ergänzte, dass Lukas sich im Prüfungsstress befand. »Das ist eine Ausnahmesituation, Franziska. Du weißt doch, wie ehrgeizig Lukas ist.«

»Simon, das weiß ich. Ich versuche dafür seit Wochen auch Verständnis aufzubringen. Doch ich finde, er übertreibt. Er tut, als würde die Welt untergehen, wenn er nicht als Bester abschneidet.«

Simon und Eva Meininger schmunzelten.

»Du bist in der Beziehung doch genauso gestrickt, Franziska«, erinnerte sie Simon. »Als du dich auf deine Prüfung vorbereitet hast, bist du auch im Stress gewesen. Wir hatten uns sehnlichst deinen Prüfungstermin herbeigewünscht, damit du wieder ein normaler Mensch wirst. Wenn ich es das mal sagen darf.«

»Habe ich so neben mir gestanden?«, fragte Franziska erstaunt.

»Ja, so war es. Aber vorbei ist vorbei.«

»Naa, jetzt mal raus mit der Sprache! Ich bin euch sehr auf die Nerven gegangen?«

»Es ist vorbei, Franziska. Gib Ruhe! Ich wollte dich doch nur daran erinnern, dass du wissen müsstest, was Prüfungsstress ist«, versuchte Simon Franziska zu beschwichtigen.

Sie wurde rot und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Es tut mir leid, dass ich so nervig war. Das war mir nicht bewusst. Aber nun mal im Ernst, wie habe ich mich verhalten?«

»Du bist sehr ernst gewesen. Du hast kaum noch gelächelt. Du bist uns vorgekommen, als wärst du in Trance. Du hast dich wenig an Gesprächen beteiligt. Du hast alles von dir geschoben, was nichts mit der Prüfung zu tun hatte. Du bist eben anders gewesen als sonst«, erklärte ihr Simon.

»Ich kann nur sagen, dass mir das nicht aufgefallen ist. Dass ich sehr ehrgeizig bin, gebe ich zu. Auch wenn ihr anders seid, sage ich euch, als Madl hat man es schwerer. Ich war das einzige Madl, das die Ausbildung zu Ende gemacht hat. Als ich anfing, waren wir in der Berufsschule viele Madln. Nach und nach hörte eine nach der andern auf.«

»Was haben sie gemacht? Hatten sie sich für den falschen Beruf entschieden? Es kann doch sein, dass jemand erst während der Ausbildung feststellt, dass er sich falsch entschieden hat«, bemerkte Eva.

Franziska schmunzelte. »Nein«, sagte sie. »Meine Klassenkameradinnen haben einen anderen Weg gewählt, Bäuerin zu werden. Sie wurden schwanger und haben eingeheiratet. Ich finde das unmöglich. Nicht, dass sie schwanger wurden und geheiratet haben. Sie sagten auch noch, dass dieser Weg einfacher sei. Dabei sollte jede Frau doch einen abgeschlossenen Beruf haben. Sie hätten weitermachen können. Für die Betreuung der Kinder hätte sich bestimmt eine Regelung gefunden. Egal wie, jedenfalls war ich am Schluss das einzige Madl in der Berufsschulklasse. Da gab es schon mal spitze Bemerkungen.«

»Was haben sie gesagt?«, fragte Eva.

»Ach, es hieß dann: Warum mühst du dich so ab, du hast doch gesehen, dass es auch einfacher geht, Bäuerin zu werden. Oder es hieß: Gib acht, dass du nicht schlauer wirst, als dein Mann, den du einmal heiratest!«

»So eine Unverschämtheit!«, brauste Eva Meininger auf. »Eine Frau ist doch heute kein Anhängsel mehr. Denen hätte ich etwas gesagt!«

»Beruhige dich, Eva! Ich war nicht auf den Mund gefallen, das versichere ich dir. Trotz allem Gerede von Emanzipation und Gleichberechtigung muss man als Madl ganz schön kämpfen«, sagte Franziska. Sie trank einen Schluck Wasser. »Mit solchen Sachen muss sich Lukas nicht auseinandersetzen«, bemerkte Franziska.

Simon Meininger runzelte die Stirn. »Vielleicht belasten ihn andere Sachen, wer weiß?«

»Meinst du?«, fragte Franziska.

»Das kann doch sein«, sagte Eva. »Ich vermute es sogar. Es muss ihn etwas sehr beschäftigen, sonst würde er sich nicht mitten in der Woche in die Berge zurückziehen.«

»Mm, das klingt logisch. Aber es ist doch dumm. Okay, er ist im Stress. Okay, es könnte etwas geben, was ihm Sorgen macht. Das ist alles verständlich. Aber warum redet er nicht? Wir sind doch alle für ihn da? Ich verstehe es nicht.« Franziska seufzte. »Und warum sagt er dann nichts? Ich kann noch verstehen, dass er nicht mit euch sprechen will. Es gibt eben Dinge, die will man nicht oder nicht mehr mit den Eltern bereden. Das kann ich gut verstehen. Wenn ich etwas auf den Herzen habe, dann quatsche ich mit Wendy darüber. Lukas kann jederzeit über alles mit mir reden. Ich dachte, wir haben Vertrauen zueinander.«

»Bist du jetzt enttäuscht?«, fragte Simon.

Franziska zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht recht. Ein bisserl.«

»Wir wollten dich nicht beunruhigen, Franziska. Mach dir nicht so viele Gedanken! Vielleicht wollte er wirklich nur seinen Kopf lüften, wie er gesagt hat. Der Bub tut nix als lernen. Es war ihm nicht danach, mit jemand zu sprechen. Habe Geduld, Franziska!«, riet ihr Eva.

»Das ist einfacher gesagt als getan. Ich habe Geduld. Ich ärgere mich ein bisserl. Wenn Lukas mir sagen würde, er wolle eine Weile allein sein, um die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen, würde ich es verstehen. Aber so fühle ich mich ausgeschlossen.«

»Das musst du nicht, Franziska. Es wird sich alles aufklären. Wir haben ihm gesagt, dass du Wendy besuchst. Vielleicht wollte er dich nicht stören. Vielleicht war es nur Rücksichtnahme«, sagte Simon.

»Ja, das kann sein«, sagte sie erleichtert. »Ich werde ihm eine SMS schicken. Dann weiß er, dass ich zurück bin.«

Franziska holte ihr Handy hervor. Sie schrieb Lukas eine kurze SMS.

Sie lautete:

›Hallo!

Bin zurück. Freue mich riesig, dass Du hier bist!

Wollen wir uns irgendwo in den Bergen treffen?

Bussi, Bussi!

Franziska‹

Es dauerte nicht lange, dann kam die Antwort.

›Bin auf dem Pilgerweg, auf dem Plateau. Mache mich jetzt auf den Rückweg.

Magst du mir entgegenkommen?«

Bussi, Bussi!

Lukas‹

»Er hat geantwortet. Ich gehe ihm entgegen«, sagte Franziska. Sie tippte nur ein ›Ja‹ in ihr Handy, dann rannte sie los.

»Es scheint ja alles wieder ins Lot zu kommen, Eva.«

»Ja, zum Glück. Ich wollte, die nächsten Wochen wären schon vorüber und Lukas Examen vorbei. Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, wäre, dass sich die beiden streiten. Das wäre für Lukas einfach zu viel.«

»Da magst du recht haben, Eva. Aber wenn es so käme, könnten wir es nicht ändern. Lukas ist wirklich ein bisserl schwierig zurzeit. Andere Burschen haben auch Stress, müssen Prüfungen machen und haben ein Madl. Ich kann Franziska gut verstehen. Lukas nimmt sich wenig Zeit für sie.«

»Wenig, sagst du? Schmarrn, Simon, er nimmt sich überhaupt keine Zeit mehr für sie. Sie waren schon lange nicht mehr zusammen im Kino, nicht einmal im Café Jakob. Nach meiner Meinung hat Franziska sehr viel Geduld. Dass Lukas es abgelehnt hat, dass sie zu ihm nach München zieht und ihn versorgt, damit er sich ganz auf das Lernen konzentrieren kann, hat Franziska sehr getroffen. Es hat sie mehr getroffen, als sie zugibt. Fast kommt es mir vor, als wollte Lukas die Bande zwischen ihnen lockern. Was meinst du, Simon?«

Simon Meininger atmete tief ein. »Lukas und Franziska sind erwachsen. Sie müssen sich zusammenraufen. Dass Franziska etwas Besitz ergreifend ist, wissen wir. Aber ich weigere mich, zu vermitteln und mich einzumischen. Die Situation ist ohnehin nicht einfach. Aber so ist es nun einmal. Damals, als wir hierhergekommen sind und den Hof gepachtet haben, dachte ich, es wäre eine Befreiung. Jetzt sind wir doch wieder abhängig. Dieses Mal ist es nicht dein Bruder, sondern die zukünftige Hoferbin. Und wenn die beiden heiraten sollten, irgendwann einmal, dann sind wir von unserer Schwiegertochter abhängig.«

»Das schmeckt dir nicht, Simon?«