Der beste verarschte Papa der Welt - Alexander J. Rüdiger - E-Book

Der beste verarschte Papa der Welt E-Book

Alexander J. Rüdiger

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Beschreibung

Frau Schuster und Herr Glück, wenn ich Ihren Angaben Glauben schenken darf, waren Sie 35 Jahre lang glücklich – und dann haben Sie sich kennengelernt. Drama oder Komödie? Diese Frage stellt sich Maximilian Glück als Hauptfigur seiner eigenen Geschichte nicht. Der sportliche Mittdreißiger fällt einem Verkupplungsversuch zum Opfer und lernt seinen persönlichen Albtraum in High Heels kennen: Nadine Schuster. Mit ihrem Leben unzufrieden, hat sie sich aufgemacht, das perfekte Bauernopfer zu finden. Geld soll er haben, zeugungsfähig soll er sein und leicht zu modellieren. Ein Mann, wie er in Nadines Buche steht, ist Maximilian allerdings nicht, doch als er das merkt, ist er bereits Papa in spe. Glück im Unglück! Nadines Plan ist vorerst aufgegangen und sie macht Maximilian das Leben zur Hölle …

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Seitenzahl: 461

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Dieses Buch widme ich Dir.

ALEXANDER J. RÜDIGER

DER BESTEVERRSCHTEPAPA DERWELT!

(K)EIN ROMAN

Mit Ausdauer das Durchhalten aushalten,bis Mann am Ziel ist

Impressum

1. Auflage, 2022

Verlag: egoth Verlag - leben

ISBN: 978-3-903376-93-9

ISBN eBook: 978-3-903376-94-6

Idee & Autor: Alexander J. Rüdiger

Der Autor versichert mit seinem Werk, Rechte Dritter nicht verletzt zu haben und stellt den Verlag von etwaigen Schadensersatzansprüchen einschließlich Anwalts- und Gerichtskosten frei.

Überarbeitung: Leopold Hnidek – Autor von »Die erste Stadt«,

Max Neumeyer – Autor von »Der verhängnisvolle Tod des Albert Lustig« maxneumeyer.at & Petra Reichel

Inputs: Dr. Beatrix Holzheu, Christa Putnik, Sigrid Möricke, Violetta Dockal, Thomas Schreiweis

Korrektorat: Jenni Fenko jennifenko.com

Englische Übersetzung: Maximilian Putnik

Hörbuch:

Sprecher: Alexander J. Rüdiger

Klavier: Petra Reichel petra-reichel.at

Verantwortlich für den guten Ton: Michael Weninger

Cover: Alexander J. Rüdiger

Inputs: Romana Schrey, Petra Reichel

Umsetzung: Peter R. Maier pcb-denkfabrik.at

Fotos:

Biografie d. Autors: Suzy Stöckl

U4 Würfel: Alex List

Flappe Autor: Martin Stellnberger

Frauenkarikatur: Raimund Pulz pulzart.at

Michaela Wolf/Wendy Night Foto: Gerhard Holczmann

Türschild: Petra Reichel

Diverse Grafiken: Shutterstock

Satz & Final Layout: Mag. Petra Reichel, B.A., Alexander J. Rüdiger,

Peter R. Maier, DI (FH) Ing. Clemens Toscani

Printed in the EU

Gesamtherstellung:

egoth Verlag GmbH

Untere Weißgerberstr. 63/12

1030 Wien

Die Personen (Kunstfiguren bzw. fiktive Figuren) im Roman und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Es ist eine Geschichte, die sich in der Form nicht ereignet hat und im realen Leben mit Ausnahme einer Verfilmung bzw. von Bühnenaufführungen und in der Fantasie der LeserInnen wohl nie ereignen wird, aber nicht undenkbar ist. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, Inhalten, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

© 2022 Alexander J. RüdigerAlle Rechte, insbesondere die des Nachdrucks, der Fotokopie, der elektronischen Verwendung und der Übersetzung, jeweils auszugsweise oder vollständig, sind Alexander J. Rüdiger und seinen Erbberechtigten bzw. nach Rücksprache in zweiter Linie dem Verlag vorbehalten.

Inhalt

Warm-up

1Let’s Go Ice Skating (2012)

2Wiener Heuriger (2003)

3Schöne Scheiße

4Sommersprossen

5Ohh! Sushi!

6Der Würfel ist gefallen

7Lieber Eric

8Ommmm!

9Bye-bye Greece

10Der Moment

11Oida! I’m an Idiot!

12Nebel oder Leben

13Alles nur Märchen‽

14C’est la vie

15Hurra, ich bin Papa!!!

16Liebe, ich will ihn sehen …

17Durchhalten wird belohnt

18Zugedröhnt im Café

19Das falsche Geschenk

20Ich liebe Dich

21Das Wiedersehen

22Lieber Maximilian – Liebe Julia

23Mit Eric am Mont Blanc

24Wer braucht schon Schuhe

25Alles ist möglich

26Der Todesblick

27Papa, du nervst!

28Der dritte Mann

29Ich bin der Vater

30Streit hört nur durch Liebe auf

31The same procedure as every year

32Ich habe gefinisht

33Wenn du es träumen kannst

34Der gute Kampf

Epilog

1. Zugabe: Nadine hebt ab

2. Zugabe: Yes we Cannabis

Extra

7 Lektionen

Danke & Rezensionen

Über den Autor

Warm-up

Nach dem Debütroman „TAXI 1710 – Schnell, das Baby kommt!“ und der erweiterten Version „TAXI 1710 – SIND SIE FREI?“, deren Geschichte an die 30 Jahre gereift ist, bis sie den vollen Lesegenuss in Form der Buchmanuskripte und ihrer Texturen entwickelt hat, ist einige Zeit vergangen.

Ich freue mich außerordentlich, dass Sie nun zum Zeitpunkt der Veröffentlichung meinen „Volljährigen“ und aus den Kinderschuhen entwachsenen neuesten Roman in Ihren Händen halten.

Warum haben Sie dieses Buch gekauft?

War es der überraschende Titel, das vielversprechende Cover oder das für Sie entstandene „Fragezeichen“, das sich zwischen den beiden Buchdeckeln wohl verbirgt?

War es eine gewisse „Verbindung“ zu mir – dem Ihnen bereits bekannten „TV-Glücksbringer“ – oder schlichtweg die sportive Neugier, Neues, insbesondere bisher Verborgenes über mich zu erfahren und kennenzulernen?

Noch ist unsere Begegnung an dieser Stelle ein leeres Blatt, die sich jedoch mit der Entwicklung von Kapitel zu Kapitel enthüllt und damit gemeinsam geistig erlebbar wird.

Dieser durchaus harte „Schmunzelstoff“ meines über 18 Jahre gewachsenen Herzstücks meint, die bewegte Erzählung hätte so gewesen sein müssen, aber es hätte auch ganz anders kommen können. Ehrlich gesagt war es gar nicht einfach, die folgende Idee in die Form eines Romans zu gießen. Die Geschehnisse, die ich auf den nachkommenden Buchseiten schildere, gehen mir sehr nahe. Es ist wieder eine facettenreiche Geschichte mit viel Fantasie und einigen gewohnt autobiografischen Elementen. Streckenweise habe ich mich beim Entwerfen der Romanfiguren stark mit dem Protagonisten Maximilian Glück identifizieren können, auch wenn (oder trotzdem?) er im Zuge der Handlung einen Zynismus an den Tag legt, den ich normalerweise nicht habe … oder doch ein wenig‽

In jedem Fall erstrebe ich, dass das, was Sie lesen werden, etwas in Ihnen bewegt und Sie den Begriff „FAMILIE“ als ein Heimatland des Herzens verstehen. Die oft unüberlegten Eskapaden, welche hier geschildert werden, zeigen, was passieren kann, wenn Egoismus und persönliche Befindlichkeiten (die ihren Ursprung größtenteils auch in der Kindheit finden) wichtiger werden als jedes gemeinsame Ziel. Viele Uneinigkeiten in der Welt basieren im Kern auf ähnlichen Prinzipien.

Liebe Leserinnen und Leser, in gewissem Maße sind Sie bei dieser Geschichte auch Richterin und Richter gegenüber der in unseren Breiten allgemein gültigen Auslegung einer ergrauten Gesetzgebung. Diese Geschichte stattet Sie in erster Linie mit der Einflussnahme aus, über das Schicksal von Erics ersten sieben Lebensjahren zu entscheiden. In zweiter Linie treffen Sie Ihr Urteil gegenüber den Elternteilen, auch wenn dieses Buch stellvertretend für unzählige Männer aus der Sicht des Vaters von Eric beleuchtet wird. So viel Humor in dieser Geschichte auch enthalten sein mag, im Kern steckt immer auch ein Stück Wahrheit in zum Beispiel „war nur Spaß“, Wissen in „ich weiß nicht“, oder Emotionen in „ist mir doch egal“ und natürlich Schmerz in „ist schon okay“. Gegen Ende des Romans werden Sie aufgefordert, zu einem Urteil zu finden, und eine Richterin wird ebenfalls eines verkünden.

Kurzum wünsche ich mir von diesem Buch, dass viele streitbare und verstockte Menschenkinder, Mütter und Väter, also Eltern, es ihren Kindern zuliebe lesen, damit ihre Kinder die Chance haben, ein glückliches Leben zu führen – wenn die Eltern es gelesen haben!

In dieser „abenteuerlichen Geschichte“ bezieht sich die gewählte männliche Form im Sinne von „Alles kann, nichts muss …“ mit einigen Ausnahmen immer zugleich auf weibliche und männliche Personen. Darüber hinaus erfindet sich in diesem Roman das Interrobang (‽), auch Fragerufzeichen genannt, „neu“. Es vereinigt die Funktionen eines Fragezeichens und eines Ausrufezeichens.

Viel Freude beim Lesen wünscht ein „verrückt(er)“ liebender Papa

Alexander J. Rüdiger

PS: Was jedoch bedeutet verrückt in einer verrückten Welt‽

Menschen sind wie Bücher,jede Narbe erzählt eine Geschichte!

1

Let’s Go Ice Skating2012

Let’s Go Ice Skating im Wi(e)nterwunderland! Gemeinsam hatten wir die Schlittschuhe angezogen, doch dann ist er mir entwischt, hatte die wenigen Schritte bis zur Eisfläche ohne Schwierigkeiten überwunden und ist losgedüst. Von null auf hundert in sechs Sekunden, vollkommen unbekümmert und ohne nachzudenken. So sind sie, die Kinder, und das liebe ich an ihnen.

Da ich die Kufen etwas vorsichtiger aufsetzte, ich war sicher schon an die 15 Jahre nicht mehr eisgelaufen, hatte er bereits großen Abstand zu mir. Er blickte sich um, ob ich ihm nachkommen konnte, und winkte mir lachend zu. Kurz vermutete ich, er würde mir gleich frech die Zunge zeigen, aber er drehte sich um und flitzte wie Slalom-Ass Marcel Hirscher zwischen den anderen Eisläufern hindurch. Na warte, Bürschchen, dich kriege ich noch! Ich musste an meine Jugend denken: „Du kannst das Schlittschuhlaufen nicht lernen, ohne dich lächerlich zu machen.“ Heute weiß ich: „Auch das Eis des Lebens ist glatt“, startete den Turbo Boost und setzte zu einer Verfolgungsfahrt an. Ich hatte schon etliche Berge bestiegen, bin erfolgreich Marathon gelaufen und weiß, was ich zu leisten imstande bin, aber bist du narrisch, dem 8-jährigen Frechdachs am Eis auf den Fersen zu bleiben, war richtig anstrengend. Was tut man nicht alles für die Liebe des eigenen Sohnes – besonders nach jenem Kampf, den ich seit seiner Geburt durchstehen musste.

Der Wiener Eislaufverein wurde 1867 gegründet und ist eine echte Wiener Institution. Hier tummeln sich ältere Eisläuferinnen, die gemächlich ihre Runden drehen wollen, ganze Familien, die einen Wochenendausflug machen, und jugendliche supercoole „Zahnspangenkönige“, die sich nicht immer an alle Regeln des 6.000 Quadratmeter großen Eislaufplatzes halten. Fröhliche Erinnerungen an meine Jugend springen in Gedanken auf. An diesem sonnigen Samstag im Dezember waren sie alle da, selbst Claudia Kristofics-Binder, die österreichische Eiskunstläuferin und Europameisterin von 1982 erspähte ich, als sie in einer abgesperrten Ecke in der Nähe des Eingangs gerade den Nachwuchs unterrichtete. Jeder wollte ein kleines Stück vom gefrorenen Boden. Es war kalt, die Atemluft verwandelte sich sofort zu zähem Nebel und dennoch brodelte es auf dem Eis. Für mich war das einer der schönsten und wundervollsten Tage seit Jahren, weil er in meiner Nähe war. Eric.

Der Wiener Eislaufverein ist für alle da, die gerne Schlittschuh laufen. Vom kleinen Zwerg, der dick eingepackt, mit breitem Stand und auf winzigen Kufen misstrauisch in die Runde blickt, über den schlanken alten Herrn mit breitem Scheitel und rostbraunem Mantel, der stocksteif und dennoch leise schmunzelnd seine Bahnen zieht, bis zur kleinen Eisprinzessin, die Sitzpirouetten dreht, bis ihr schwindlig ist. Die meisten Besucher an diesem wunderschönen Tag waren aber Schulkinder. Entsprechend laut und überdreht war auch die Stimmung auf dem Platz neben dem Wiener Konzerthaus. Ab und zu quietschten die Kleinsten, und hin und wieder regten sich Erwachsene über die kleinen Racker auf, die ihnen, ohne aufzupassen, vor die Eislaufschuhe rutschten. Ein ganz normaler Tag am Kunsteis im Zentrum Wiens.

Für mich war das alles andere als normal. Die Tage in den letzten Jahren, an denen ich meinen Sohn ganz für mich alleine hatte, kann ich an einer Hand abzählen. Dementsprechend nervös glitt ich über die Eisfläche. Ich hatte zwar ausgesprochen viel Zeit, mich auf die Vaterrolle vorzubereiten, und hatte auch schon einige Bücher wie „Papa werden ist nicht schwer, Papa sein dagegen sehr“ gelesen, doch im Grunde war ich ahnungslos. Kein Buch kann einen auf das reale Leben vorbereiten. Das kommt einfach, wie es kommen muss: direkt, unerbittlich und voller Überraschungen. Genau das ist auch das Schöne daran.

Unsicher schweifte mein Blick durch die Menge. Verdammt, wo ist Eric? Urplötzlich überkam mich ein ungutes Gefühl. Was, wenn ihm etwas passiert ist? Mein Herz begann zu rasen. Ich auch.

So schnell ich konnte, flitzte ich zwischen den anderen Eislaufenden hindurch und suchte nach meinem Sohn. Wenn ihm gleich an unserem ersten Tag etwas passiert, kann ich mir das gemeinsame Sorgerecht in die Haare schmieren. Das durfte einfach nicht geschehen.

Da sah ich ihn, den etwas zu blassen Jungen mit den beinahe schulterlangen blonden Haaren, die unter der dunklen Wollmütze hervorlugten. Ich war erleichtert. Geschickt hatte er sich vor mir versteckt. Nun galt es aufzuholen. Natürlich hatte er den Plan sofort durchschaut und achtete darauf, die Distanz nicht kleiner werden zu lassen. Na schön, dachte ich. Das erfordert einen Plan B oder noch besser einen supercalifragilisticexpialigetischen Plan P wie Poppins oder Papa. Zwei anstrengende Runden lang ließ ich ihm das Gefühl, schneller als sein Papa zu sein. Mit jedem Schwung kam ich ihm allerdings ein kleines Stückchen näher. Ein zauberhaft gewichtiger Zufall meinte es gut mit mir und schickte mir eine „Eiskönigin“, die offenbar mit einem zu hohen Body-Mass-Index zu kämpfen hatte. Die dickliche Dame, oder kurz DD, wie ich sie in Gedanken nannte (ich liebe Spitznamen), wollte anscheinend Kalorien verbrennen und kämpfte sich mit beeindruckender Beharrlichkeit schwitzend über das Eis. DD hatte eine imposant rotblonde Mähne, die zwischen der hellblauen Pudelmütze und dem gleichfarbigen Rollkragenpullover hervorquoll, sowie kunterbunte, sehr eng anliegende Leggings an, auf denen undefinierbare Früchte ihr etwas unmodisches Dasein fristeten. Leggings und kleine Kinder sagen halt oftmals die Wahrheit.

Für mich das Wertvollste war aber ihr Körperumfang. DD deckte mich komplett ab, und ich schaffte es, mich für meinen Sohn unsichtbar zu machen. Wie du mir, so ich dir, kleiner Mann. Ich passte meine Geschwindigkeit an mein fahrendes Versteck an und fuhr etwas geduckt neben der drallen Rotblondhaarigen, ohne auf sie zu achten. Eric konnte mich nicht sehen, und ich war so auf unsere Verfolgungsjagd konzentriert, ohne zu merken, wie DD mich beobachtete. Ihre erste Verwirrung wandelte sich rasch in ein Gefühl der Neugier, und als sich unsere Blicke trafen, lächelte sie mich ziemlich kokett an. Offensichtlich dachte sie, ich sei auf der Balz und mein eigenartiges Verhalten gelte ihr.

Ich lächelte etwas beschämt, aber auch spitzbübisch zurück, kam ins Trudeln und verlor zwei ungemein wichtige Dinge: meine Deckung und die Bodenhaftung. In vollem Schwung und laut schreiend rutschte ich aus und landete auf dem Bauch. Zum Glück auf meinem.

Kurz bevor mir die sichtlich überbesorgte DD zur Hilfe eilen, mich anbraten und eventuell zu einem herausgebackenen Abendessen bei Supermarkt-Champagner und Kerzenschein einladen konnte, um danach womöglich um meine Hand anzuhalten, bremste sich Eric neben mir ein und lachte lauthals aus voller Kehle.

„Papa, was machst du denn da unten?“, fragte er mich belustigt und als DD das Wort „Papa“ vernahm, kratzte sie enttäuscht die Kurve, neigte den Kopf etwas nach hinten, ihre imposante Nase nach oben und spritzte mir in ihrem kessen Outfit eine ansehnliche Ladung Eisflocken ins Gesicht.

Tja, gute Früchte landen in einem leckeren italienischen „Gelato“, böse Früchte auf den Leggings dieser Eisprimadonna. Eric bog sich immer mehr vor lauter Lachen.

„Ach, ich wollte mich nur ein wenig ausruhen und mir dabei überlegen, ob wir uns nicht einen Hotdog von dem Stand dort hinten holen sollen?“

„Jaaaaaaaaa!“, rief Eric, und beim Versuch, mich wieder auf die Beine zu ziehen, zog ich ihn zu mir, gab ihm einen herzlichen Kuss auf die rotgefärbte Sommersprossenwange und drückte ihn so fest, wie ich ihn noch nie zuvor gedrückt hatte. Da lachte Eric nicht mehr, sondern schloss seine Augen und genoss es, von mir gehalten zu werden. Es schien fast so, als hätte auch er seit vielen Jahren nur darauf gewartet, von seinem „echten Papa“ gekuschelt zu werden.

Endlich durfte ich ihn ganz unbekümmert in meinen Armen halten, ohne mich vor irgendwem rechtfertigen zu müssen – so wie (fast) jeder andere Vater auch. Dieses an sich normale Geschehen war mir endlos erscheinende Jahre verwehrt gewesen. Ich wusste gar nicht mehr, wie lange ich um ihn hatte kämpfen müssen. Was ich jedoch noch weiß, ist, dass ich wirklich dachte, gegen Zecken geimpft zu sein, manches Mal aber so am Ende meiner Kräfte war, dass ich den Hut draufhauen wollte, und mich dann doch immer wieder dazu entschloss, weiterzumachen. Der härteste Kampf war zwischen dem, was mein Kopf wusste, und dem, was ich in meinem Herzen fühlte.

Ich wollte (und musste) verhindern, dass Eric zu einem Pingpongball eigennütziger Interessen gemacht wird, zu einem Druckmittel im Clinch zwischen Erwachsenen, die vergessen, was Kinder durchmachen, wenn Eltern die US-amerikanische Tragikomödie „Rosenkrieg“ neu inszenieren. Ich wollte ihm zeigen, wie sehr ich ihm vertraute, und dass er auch mir vertrauen konnte. Bei meinen Marathonläufen habe ich gelernt, nie aufzugeben. Das ist meine persönliche Superkraft. Er hatte den besten Papa der Welt verdient.

„Ich habe dich ganz, ganz, gaaanz viel lieb!“, flüsterte ich ihm ins Ohr, während wir uns vom Eis erhoben.

„Ich dich auch, Papa!“, antwortete er. Da wusste ich, dass es sich gelohnt hatte, durchzuhalten, diese fünf und in Wahrheit noch viele Jahre mehr, in denen ich verarscht worden war. Es war letztlich goldrichtig, all die Demütigungen auf sich zu nehmen, nur um den Kampf nicht auf Erics Rücken austragen zu müssen. Alleine für dieses „Ich dich auch!“ hatte es sich gelohnt. Die unzähligen Niederlagen wie Rocky Balboa im Ring auf seelischer Ebene einzustecken, und wie bei „Dallas“ nichts als eine hin- und hergeschobene Kugel zwischen Macht und Intrigen zu sein – nein, der Kampf gegen die übermächtigen Windmühlen war zwar nicht vergessen, aber ich war bereit, all das in einem neuen Licht zu betrachten.

Die entscheidende Frage war nämlich: Wer wären Eric, ich und auch seine Mutter heute ohne diese herausfordernde Episode in unserer Vergangenheit? Zufrieden drückte ich meinen Sohn an mich, schaute ihm danach ernst in die Augen und holte Luft. Er schluckte.

„Schau, da steht Mama noch“, lenkte er kurz ab.

Nadine hatte Eric zum Eislaufplatz begleitet. Sie hatte die ganze Szene amüsiert beobachtet. Wir winkten Nadine zu und sie hob ebenfalls die Hand, lächelte und wandte sich in einer beunruhigend zauberhaften Art ab, um ihren Weg in ihren neuen Alexander McQueen High Heels fortzustöckeln.

„Eines muss ich dich noch fragen“, sagte ich und zog die Augenbrauen zusammen, um noch ernster zu wirken.

„Was denn, Papa?“ Eric sah mich mit großen Augen leicht verunsichert an.

„Magst du lieber Senf oder Ketchup in deinen Hotdog?“

„Beides“, antwortete er.

Und diesmal lachten wir zusammen.

2

Wiener Heuriger2003

„Es ist nicht gut, wenn ein Mensch ganz allein ist“, meinte meine Freundin und Branchenkollegin Ina Reichhart, als wir bei dem bekannten Wiener Heurigen Schneider-Gössl in der Firmiangasse in Wien/Hietzing saßen. Ein typischer, schon beinahe klischeehaft wirkender Wiener Heuriger, in dem die Livemusik in Form eines Akkordeonspielers soeben Horst Chmelas Gassenhauer „Ana hat immer des Bummerl“ anstimmte.

„Das ist doch nicht normal, dass ein fescher junger Mann wie du allein im Leben steht!“

„Danke für das ‚jung‘, irgendwie stimmt’s schon, du hast sicher recht“, antwortete ich. „Aber ich komm nicht dazu, eine passende Frau kennenzulernen.“

„Ja, Maxi, zwischen uns wird ja auch immer diese Geschichte sein, doch sie bleibt unvollendet.“

„Ina, in meiner Situation ist das schwierig. Du weißt ja, ich bau mir gerade eine aussichtsreiche Position in meiner neuen Firma auf, die sich mit internationaler Konzernmarktforschung beschäftigt.“

„Deswegen brauchst aber nicht wie ein Bettelmönch zu leben“, grinste sie mich an und zwinkerte dabei doppeldeutig mit den ewig jungen Peter-Pan-Augen.

„Ist das ein Angebot?“, scherzte ich und zwinkerte übertrieben dämlich zurück.

„Ja, ein Angebot, dir zu helfen, dich in guten Händen zu wissen, wenn du dich tatsächlich entscheiden solltest, dein flatterhaftes, aber herbes Singledasein zu beenden.“

Uff, da wollte ich heute Abend einfach mal in Ruhe das ganze Haus putzen – und was passiert? Ich habe gar kein Haus … aber Ina ruft spontan wegen einem „Treffen wir uns?“ an, und jetzt noch dieses „leckere“ Gesprächsthema …!

„Na, so freudlos ist es auch nicht …“, murmelte ich, obwohl ich mir da nicht ganz sicher war.

„Doch. Wenn dein Leben ein Film wär, dann wär’s ein Drama.“

„Hast ja recht, du launige Wiener Heurigenwahrsagerin, aber eine gute Beziehung ist auch immer eine Mischung aus Romanze, Action, Porno und deinem ermittelten Drama. Ich lasse eben so manches aus und lebe daher in den letzten Jahren mehr auf ‚ab und zu‘ …“

„Sei mir bitte nicht bös, das ist ja wie Spinat aufs Dach werfen“, unterbrach mich Ina. „Dein ‚ab und zu‘ ist bestenfalls ein bisschen Pflege für deinen unausgeglichenen Hormonhaushalt, das kann aber eine Partnerschaft nicht ersetzen. Ein gemeinsames Leben mit einem Menschen, dem du vertrauen kannst und der sich auch auf dich verlassen kann, das ist ganz was anderes. Gerade du müsstest wissen, dass man in einer Paarbeziehung vieles leichter bewältigt als ein Solist, der immer nur allein herumgeigt!“ Ich nickte.

Sie hatte irgendwie ja recht, dachte ich, obwohl ich gerade Ina mit ihrem aktuellen superreichen Sebastian, von Beruf Sohn, entgegnen könnte, dass es auch keine Liebe sei, wenn man mehr traurig als glücklich ist, sondern Abhängigkeit. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, an die ich in diesem Moment dachte, und ich bereitete diesem Gedanken sogleich wieder ein Ende.

Ina spielte klarerweise auf meine Ehe mit Silvia an. Immerhin sind wir 13 Jahre verheiratet gewesen. Und auch wenn es keine einfachen Zeiten waren, so waren es in Summe schöne und beruflich sehr ertragreiche Jahre. Silvia lernte ich an meinem damaligen Arbeitsplatz kennen, der Werbe- und Kreativagentur „Geistesblitz“, ebenfalls im 13. Wiener Gemeindebezirk. Ich kann mich noch gut an die noble Adresse Auhofstraße 1, schräg gegenüber dem berühmten Konzertcafé Dommayer, erinnern.

Silvia ist die Tochter von Ernst Haft, dem damaligen Chef, und dadurch hatten wir ernsthaft fast täglich Kontakt. Nach und nach stellten wir viele Gemeinsamkeiten fest, so machten wir uns ständig über den Namen des Vaters lustig und verknallten uns ineinander. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten wir auch an der Umsetzung einer neuen Biomarke für Vegetarier, „KernX.bio“, und damit alles authentisch und echt war, versuchten wir auch vegetarisch zu leben. Der Versuch schlug leider total fehl, denn die enge Zusammenarbeit verursachte hunderte Schmetterlinge in unseren Bäuchen. Und wie es bei jung Verliebten halt so ist, folgt auf das erste Busserl das nächste und irgendwann wollen beide mehr. Viel mehr. Die Lust an Fleisch hatte uns wieder und so verspeisten wir uns regelmäßig. Ja, diese Art Fleisch zu konsumieren ist sexy, machte uns glücklich und ist wohl auch für Rohköstler gesundheitsfördernd.

Zugegeben, wir waren beide sehr jung und ich sehnte mich nach einer eigenen Familie, nach einem Gefühl von Angekommensein und einem wohligen Zuhause, wie ich es leider nicht kennengelernt hatte.

Mein Vater Peter war mit Leib und Seele die seltene Spezies eines seriösen Parteiobmanns. Selbstbewusst bezeichnete er sich als „Netzwerker vor dem Herrn“. Seine größte Stärke war ganz klar das Kommunizieren. Jemanden kennenlernen bedeutete für ihn, neue Welten tun sich auf. Er war engagierter Feuerwehrmann, nur leider verabschiedete er sich viel zu früh von diesem Leben. Ich konnte ihn gar nicht richtig kennenlernen.

Meine Mutter, die bis zu diesem Zeitpunkt den Haushalt und mich schupfte, musste danach zusehen, dass sie für uns nun den Lebensunterhalt verdiente. So fühlte ich mich als Kind oft einsam. Silvia war genau das richtige Medikament für meine Sehnsucht nach trauter Zweisamkeit. Es schien fast so, als wäre auch ich ihre Notfallstablette. Ja, wir hatten uns gefunden.

„Ich versteh ja bis heute nicht, weshalb die Silvia und du nicht zusammengeblieben seid. Ihr seid doch nie bös aufeinander gewesen!“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Sie ist eine wunderbare, herzensgute Frau, bei ihr gibt’s keine Berechnung, kein Falsch“, seufzte ich. „Im Nachhinein betrachtet hab ich wahrscheinlich nicht kapiert, was das Leben so ausmacht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es jetzt weiß.“

„Du weißt es offenbar nicht, das ist ja zum Mäusemelken“, meinte Ina ehrlich. „Du willst ständig und für alle der Prinz Charming sein, Everybody’s Darling. Du bist aber trotzdem irgendwie allein, und da denkt man sich, dass irgendwas mit dir los oder anders ist.“

„Nein, gar nicht“, lachte ich. „Und selbst wenn ich’s wäre, könnte ich eine funktionierende Partnerschaft haben. Das Eine schließt das Andere ja nicht aus. Wenn die Menschheit mal so viel Angst vor der Klimaerwärmung hätte wie vor Homosexualität, würden wir im Paradies leben. Prost, Ina!“

„Was war dann euer Problem? Warum seid ihr auseinandergegangen?“, wollte Ina wissen und kratzte sich dabei am Hinterkopf.

„Die Umstände waren gegen uns“, erklärte ich und wusste schon, als ich es aussprach, was Ina dazu sagen würde.

„So ein Quatsch, ihr wart zwar jung, aber doch keine Kinder mehr, und die sogenannten Umstände kann man ändern, wenn man das wirklich will!“, flüsterte Ina, auch wenn es für mich wie Schreien klang.

„Das haben wir ja versucht. Aber wir waren zwei junge Menschen, frisch verheiratet und wollten beide mit unseren Sturköpfen durch die Wand. Wir meinten, alles besser zu wissen als der andere. Um endlich erwachsen zu werden, setzte uns Silvias Vater freundlich, aber doch bestimmt vor die Agenturtüre. Wir sollten auch ohne ihn erfahren, was wir draufhaben, und so hatten wir ohne Schwiegerpapas Agentur irgendwann kein Geld mehr. Wir wollten aber auch was vom Leben haben und es dem Paps von Silvia ernsthaft beweisen. Um Kosten zu reduzieren, zogen wir in eine 32 Quadratmeter kleine Garçonnière in einer unschönen Lage im Ghetto-Viertel von Wien. Also musste sich zumindest einer von uns so schnell wie möglich einen halbwegs lukrativen neuen Job suchen, Karriere machen, damit genug Geld ins umgangssprachliche Haus kommt. Und damals waren die Verdienstchancen für eine junge Frau wie Silvia sehr mau. Sie hat doch niemand für ein gescheites Gehalt angestellt – eine junge Frau, die demnächst ganz sicher Kinder kriegt, da schreckt jeder Personalchef davor zurück. Also musste ich mich in den Arbeitsmarkt werfen.“

Ina nickte. „Ja, das ist die alte Leier. Das war halt damals so, aber nicht nur für euch. Ich kenn das von mir selbst. Ich habe dem Werner auch immer gesagt, er soll sich eine bessere Stelle suchen. Aber mehr Geld bedeutet meistens auch mehr Verantwortung, und mehr Verantwortung heißt mehr Arbeit. Wir konnten uns dann zwar eine tolle Wohnung am Stadtrand leisten, aber Werner hat nur mehr Überstunden geschoben, irgendwelche blöden Schulungen, Kurse und was weiß ich noch alles gemacht. Er ist jeden Tag frühestens um 19 Uhr heimgekommen und war hundsmüde und zu nichts zu gebrauchen! Selbst an den Wochenenden ist er oft vor dem Computer gesessen.“

„Na siehst! Und was hast du dann gemacht?“

„Ich habe mir echt überlegt, mir einen gutaussehenden, jüngeren Seelentröster zuzulegen. Unser Postler ist zum Beispiel ein echter Leckerbissen und der kommt mehrmals in der Woche“, erzählte Ina und musste selber über ihre doppeldeutigen Worte lachen.

„Du hast wohl zu viel ‚Sex and the City‘ gesehen, kann das sein?“, setzte ich noch einen drauf.

„Ja, ich gestehe. Aber wenn der appetitliche Briefträger ‚Die Reifeprüfung‘ kennt, hätte es gepasst.“ Ina lachte so laut, dass sich sogar die Gäste von den Nebentischen zu ihr umdrehten. „Aber umgekehrt haben die Kerle, die so viel arbeiten, auch meist hübsche Sekretärinnen, die soooo gut verstehen, wie sich die aaaarmen Männer fühlen, und die dann schnell mehr machen, als bloß Briefe abtippen und Anrufe beantworten. Männer mit dicken Brieftaschen wirken gleich eine Spur attraktiver. Ein Klassiker“, sinnierte Ina.

„Ja, die reichsten Frauen dieser Welt sind Ex-Sekretärinnen, Ex-Kindermädchen, Ex-Krankenschwestern, Ex-Pflegerinnen, Ex-Putzfrauen und ExKindergärtnerinnen. Also ist von vornherein alles zum Scheitern verurteilt?“, fragte ich sie.

„Nein, sonst wären Werner und ich damals vor seinem schweren Motorradunfall schon längst geschieden gewesen“, meinte Ina, „Aber zu verlangen, dass einer von beiden Karriere macht, und demjenigen dann vorwerfen, er sei nie da, das ist ein Spagat, den keiner kann und den nur die wenigsten Beziehungen überleben. Und, ich gestehe, in dieser Zwickmühle waren bis vor ein paar Jahren zumeist die Männer, weil die Verdienstchancen für Frauen halt leider deutlich geringer waren. Aber es wird besser.“ Ina nahm einen großen Schluck von ihrem Rebensaft.

„Na eben. Bei Silvia und mir wars auch so ähnlich. Ich wollte Karriere machen, weil sie immer von Familie mit Kindern geredet hat, und dazu braucht man halt ein bisserl Geld. Das hat sie eh genauso gesehen. Aber auf Teufel komm raus Karriere machen und dazu den liebevollen Vater und Ehemann spielen, das schafft vielleicht Chuck Norris, aber ich nicht“, gestand ich.

„Sag ich ja“, nickte Ina und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Ich habe mir gedacht, wir lassen uns noch etwas Zeit mit den Kindern, bis ich einen entsprechenden Job in der richtigen Einkommensebene habe. Silvia hat allerdings gemeint, die Zeit läuft – ihr Vater ist, weil er jeden Tag bis zu drei Schachteln Marlboro geraucht hat, allen Ernstes in der Zwischenzeit leider plötzlich verstorben – und mit vierzig will sie keine Kinder mehr auf die Welt bringen. Ja, und das wars dann. Wir wollten beide Kinder, aber eben nicht zum selben Zeitpunkt. Es waren einfach zwei Vorstellungen, die nicht zusammenpassten“, erzählte ich Ina.

„Und ein Kompromiss wäre nicht drin gewesen?“, wollte Ina wissen.

„Die Situation war irgendwann leider zu verfahren. Wir haben lange miteinander gesprochen und dann festgestellt, dass wir uns beide nur gegenseitig aufreiben. Da haben wir beschlossen, uns als gute Freunde zu trennen. Und ehrlich, ich bin dankbar für die wertvollen Jahre mit Silvia.“

„Und wie lange seid ihr jetzt schon auseinander?“

„Schon acht Jahre. Sie hat bekommen, was sie sich schon immer gewünscht hat, und lebt mit ihrem sehr netten Mann und zwei großartigen Kindern, Valerie und Marlene, die ich auch ganz liebgewonnen habe, zusammen. Ihrem wahren Wesen entsprechend – und nicht wie ich als Naturjunkie – wohnen sie auch in einem sehr lebhaften und multikulturellen zentralen Bezirk, in Wien/Brigittenau. Ich freu mich immer, wenn ihre Kinder zu mir ‚Onkel Maximilian‘ sagen. Nur ich hatte nicht so ein Glück und bin im Grunde halt allein geblieben.“

„Und machst groß Karriere“, fügte Ina hinzu.

„Na ja, groß weiß ich nicht, aber aufgeben und als Loser dastehen wollt ich auch nicht. Schließlich sucht man doch Erfolgserlebnisse, die zu Anerkennung und Respekt führen. Ein wenig wie bei Facebook und Co., wo es im Grunde ja auch nur um die Sucht nach Aufmerksamkeit geht. Aber ehrlich, Ina, so einfach ist es mit der Karriere wirklich nicht, die wird dir nicht geschenkt. Karriere ist keine Betonburg. Karriere ist leider oft wie eine Pyramide, und da ist ganz oben nur noch wenig Platz, oft nur mehr für einen. Ina, ich habe dir doch schon oftmals vom System des Networkmarketings erzählt, und da meine ich nicht die sogenannten Teampartner. Wenn du weiterkommen willst und keine Beziehungen hast, musst du hellwach sein, all deine Möglichkeiten umsetzen, immer auf die Reaktionen der anderen achten, da muss man einfach überall dabei sein und zeigen, dass man besser ist als die meisten Kollegen. Und die Chefs verlangen mehr als nur die 38-Stunden-Woche, denn wer sich nicht komplett für die Firma einsetzt, ist dann schnell weg von der prominenten Karriereleiter. Und die fachgemäße Portion Arschkriechen gehört leider auch dazu, auch wenn ich das persönlich nur ganz schwer ertrage und es definitiv nicht meine Charaktereigenschaft ist, zumal ich ja auch etwas Angst im Dunkeln habe“, erklärte ich meiner auserwählten Heurigenverbündeten.

„Da hast du wohl recht“, meinte sie nachdenklich. „Ich habe schon gehört, dass es in deiner Agentur ganz schlimm zugehen soll beim internen Wettbewerb.“

„Stimmt. Am Anfang bist du wie eine kleine Sardine im Haifischbecken ohne große Überlebenschance, mit Ausnahme von Politikern. Wenn die zu uns kommen, da müssen sich selbst unsere Haifische in Acht nehmen. Aber wenn du dann einmal die Ochsentour hinter dir hast, dann winken wirklich schöne Gehälter, die du woanders nicht bekommst. Deswegen mach ich es ja auch. Und ich muss noch mehr als andere arbeiten, um dorthin zu kommen, ich habe ja keinen Titel, keinen Bachelor, Magister oder das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich aus der Hand des Bundespräsidenten. Jetzt muss ich halt in Kursen und Lehrgängen, die ich mir selbst bezahlen muss, Wissen aufholen.“

„Aber geh, deine Fantasie und Kreativität ist doch wichtiger als dieses Gscheitsein, du bist doch nicht blöd!“, warf Ina ein.

„Nicht immer!“ Ich musste lachen. „Aber in Englisch bin ich zum Beispiel wirklich eine Pfeife. Das hab ich ja wie alle anderen auch in der Schule gelernt. Aber so richtig diskutieren, das schaff ich nicht. Da fange ich zu stottern an, als hätte ich einen Sprachfehler. Das Einzige, was ich irgendwie aber doch verinnerlicht haben dürfte, ist: DO WHAT YOU LOVE!“

„Und Business-Englisch?“

„Vergiss es. Davon bin ich meilenweit entfernt und leider kann ich diese Entfernung nicht im ‚Running‘ zurücklegen, da wäre ich bestimmt schon im Ziel“, beklagte ich mich.

„And what are you doing about it, my desperate friend?“

„Haha, du machst dich wohl über mich lustig, Ina?“, krächzte ich lachend und nahm einen Schluck von meinem naturtrüben steirischen Apfel-Gespritzten.

„No, not at all, but answer me please.“

„Englisch ist für mich momentan das Wichtigste …“, holte ich aus.

„In English please, or should I inform your parents?“

„Du nervst ganz schön, für eine angeblich gute Freundin, weißt du das?“

Ina musste wieder lachen. Fast hätte sie sich dabei an einem Stück Salzstangerl mit reichlich Butter und Liptauer verschluckt.

„Vergiss es, erzähl weiter.“

„Ich spare gerade jeden Euro, der mir überbleibt, auf einen wirklich hochkarätigen Kurs. Zwei Monate drüben in England, weil nur dort bekommst du diesen Feinschliff. Meine Agentur gewährt mir sogar einen Bildungsurlaub. Das ist alles so furchtbar anstrengend und dauert, das schlaucht mich etwas. Und sauteuer ist es außerdem.“

„Das kann ich mir vorstellen“, meinte sie, „aber, außer deiner Karriere, fehlt dir da nicht ab und zu etwas? Du bist schließlich auch ein … äh … Mann“, begann Ina vor sich hin zu stottern.

„Inaaa, warum diese seltsame Frage – gerade von dir – und diese eigenwillige Pause vor ‚ääääh … Mann‘, fehlt irgendwas an mir?“, fragte ich überrascht, aber doch amüsiert.

Ina ruckte auf ihrem Sessel herum, sah nach links und rechts, als ob sie sich davon überzeugen wollte, unbeobachtet zu sein, und sah mir mit verschwörerischem Blick, als wäre sie „The next Uri Geller“ persönlich, tief in die Augen. „Weißt du, die Elisabeth“, hauchte sie in meine Richtung, „die kennst du ja auch. Und die hat eine Nachbarin …“

Ina machte eine dramatische Pause, als wollte ihr Blick nun Medusa-Eigenschaften zum Ausdruck bringen, um mich offensichtlich erstarren zu lassen.

„Schön für sie“, nutzte ich die Stille aus.

„Nein, schön für DICH!“

„Hä? Wieso schön für mich?“ Ich stellte mich jetzt absichtlich dümmer, als ich bin.

„Ach, stell dich doch nicht dümmer, als du bist!“

Ich konnte Ina noch nie etwas vormachen. „Na gut, also was ist mit dieser geheimnisvollen Nachbarin?“ Langsam wurde ich neugierig.

„Diese Nachbarin heißt …Trrrrrrommmeeeelwiiiirrrrbeeeel!“ Ina trommelte mit ihren Zeigefingern auf die Tischkante und amüsierte sich königlich dabei.

„Bitte, spann mich nicht so auf die Folter, du Nervensäge.“

„Nadine! Die Nachbarin heißt Nadine Schuster und ich glaube, dass ihr beide eigentlich sehr gut zueinander passen könntet, so vom Alter und vom Niveau her. Ihr solltet euch wenigstens einmal treffen, vielleicht zum Kennenlernen, also in Beziehung treten vielleicht.“

„Nadine Schuster?!?“

Ina hob und senkte ihre präzis geformten Augenbrauen, wie sie es immer machte, wenn sie mir – ihrer Meinung nach – einen ihrer großartigen Tipps und Winks gegeben hatte.

„Ach Ina!“

Im Nachhinein wäre es mir lieber gewesen, sie hätte diesen Namen mit einer bestimmten Ausnahme nie erwähnt. Das hätte mir enorm viel Geld, Tränen und Wut erspart. Aber bitte, nachher ist man immer klüger.

Und manchmal auch Papa.

3

Schöne Scheiße

Nach dem Heurigengespräch mit Ina dachte ich lange nach. Ich versuchte herauszufinden, was Erfolg bedeutet und was Glück. Für mich war die Erreichung eines selbst gesteckten Zieles immer ein Erfolgserlebnis. Und Glück bedeutet für mich nicht himmelhochjauchzend durchs Leben zu gehen und immer zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd, sondern ein gewisses Level an Grundzufriedenheit zu erreichen. Zufriedenheit bedeutet für viele: Deckel zu, wie in einem Sarg, und Ruhe in Frieden, also Tod. Tatsächlich ist Zufriedenheit etwas Großartiges. Ein zufriedener Mensch hat meines Erachtens ein warmes, offenes Herz und die Kraft, es auf andere zu übertragen. Man könnte auch sagen, für mich ist Glück die längere Abwesenheit von Unzufriedenheit. Ich empfinde es als Glück, eine bessere berufliche Position zu erreichen. Es macht mich glücklich, bei einem Wettlauf ganz vorne durchs Ziel zu laufen.

Aber beides ist mit großer Anstrengung verbunden und hat eigentlich nichts mit Glück im üblicherweise verstandenen Sinn zu tun. Mit Ehrgeiz habe ich schon so manches Ziel erreicht, aber mit Leidenschaft eben Glück. Wir sollten uns aber nicht nur von jenen Dingen glücklich machen lassen, die uns durch Zufall widerfahren. Glück bedeutet, nicht unglücklich zu sein.

Ich habe jene Dinge zu schätzen gelernt, die für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft alltäglich sind und keiner weiteren Aufmerksamkeit bedürfen. Es macht mich glücklich, überhaupt eine Arbeit zu haben. Oftmals poste ich bei Facebook in die Kommentare „Du darfst … “, wenn jemand wieder „mitleiderregendbedauernswürdig“ schreibt, dass er oder sie heute wieder arbeiten gehen muss, obwohl Feiertag ist. Viele haben diese Möglichkeit gar nicht und leben ohne Hoffnung in den Tag.

Es macht mich glücklich, die Möglichkeit zu haben, meinem Hobby, dem Laufen, in der nicht vom Menschen geschaffenen Natur nachgehen zu können. Ich habe bereits in mehreren Ländern und auf unterschiedlichen Kontinenten nicht nur Marathonläufe absolviert, sondern auch Geschichten erlebt, die den meisten Menschen verborgen bleiben. Es macht mich glücklich, mich jeden Morgen aufs Neue motivieren zu können. Außer manchmal, da kann es schon passieren, dass meine Motivation mit einem fetten Nutellabrot in der Hand winkend an mir vorbeigeht. Ich bin ein optimistischer Zeitgenosse und blicke fast immer positiv in die Zukunft. Selbst wenn etwas richtig scheiße ist, gebe ich mir einen Schuss Perspektivenwechsel und denke „schöne Scheiße“. Und es macht mich außerordentlich glücklich, in meinem bisherigen Leben wahre Liebe kennengelernt zu haben. Das war für mich immer das Wichtigste.

Trotz allem bin ich nicht leicht zufriedenzustellen. Ich habe mir immer Ziele gesteckt, die für andere und selbst meinen rationalen Verstand undenkbar waren, und – surprise, surprise! – habe ich sie oftmals auch erreicht. Wir sollten uns immer nach oben orientieren, nicht nach unten, und es gibt viele großartige Menschen, die uns zeigen, wie das geht. Ich wollte immer einer von ihnen sein. Aber mache ich das nur zur Befriedigung meines Egos? Bin ich ein Egozentriker, der zu oft an sich selbst denkt? Diese Fragen stellte ich mir schon seit einigen Jahren. Ich hatte darauf noch keine endgültige Antwort gefunden und war in einer Art Sinnkrise. Ich wollte wissen, wer ich wirklich bin!

Nach und nach kristallisierte sich ein Ziel für mich heraus: Ich wollte ein Mensch sein, dem andere voll und ganz vertrauen können; einer, der Handschlagqualität nicht als ein Phänomen der Vergangenheit betrachtet, sondern im Hier und Jetzt lebt und anwendet, selbst auf die Gefahr hin, dabei auf die Schnauze zu fallen.

Jemand, mit dem man gerne sein gesamtes Leben verbringen möchte, den man vermisst, wenn er nicht da ist, und der das eigene Ich vervollständigt. Ich wollte nie mit dem Geschwafel von Seelenverwandtschaft nerven, von Yin und Yang, auch wenn meine Vorstellung in diese Richtung geht. Was damals fehlte, war eine Lebenspartnerin, mit der ich meine Wünsche in Erfüllung gehen lassen konnte. Und obwohl ich unwiderlegbar wusste, dass der Traum jeder Frau eine Laser-Haarentfernung ist, damit sie sich nie wieder rasieren muss, wollte ich der Traum von einer Traumfrau sein.

4

Sommersprossen

Ina organisierte mir Nadines Telefonnummer und notierte sie auf der Rückseite eines faltigen, alten und entwerteten, leicht rosafarbenen Fahrscheines der Wiener Linien. Die Kupplerin wollte mir die Nummer unbedingt persönlich überbringen und nicht einfach nur zusenden. Nach der Fahrscheinaushändigung im Zuge eines gemeinsamen Kaiserfrühstücks bei der „Bäckerei Schwarz“ in Ober Sankt Veit trug ich die vermeintliche Fahrkarte ins Glück mehrere Tage mit mir herum, bevor ich die Nummer als neuen Kontakt in mein Sony Ericsson T68i eingab. Eine Telefonnummer auf dem Handy zu speichern, hatte für mich etwas Endgültiges, als würde man einen Menschen, den man bisher nicht kannte, in sein Leben lassen. Das klingt bescheuert, ich weiß, aber für mich fühlte es sich so an.

Nachdem ich den Fahrschein schon mehrmals aus meinem Portemonnaie genommen und mit der Spitze meines Zeigefingers über die fast unleserlichen Ziffern von Inas Fahrschein gefahren war, schob ich meine Zweifel beiseite, tippte die Nummer in die Tasten meines Telefons und drückte auf „Speichern“. Dann rief ich sie an.

Nadine.

Irgendwie hoffte ich zu diesem Zeitpunkt noch darauf, das Besetztzeichen zu vernehmen, aber ich wurde enttäuscht. Ich war aufgeregt wie ein kleiner Junge am ersten Schultag. So war ich sonst nicht. Auch die Süßigkeiten aus der Schultüte hätten das nicht verhindern können.

Es klingelte.

Einmal.

Zweimal.

Dreimal.

Dann hob sie ab.

Eigentlich bin ich kein sehr schüchterner Mensch. Schon als Kind bin ich immer offen und voller Selbstvertrauen auf andere Menschen zugegangen, aber wenn es darum geht, Frauen kennenzulernen, werde ich ab und zu hasenfüßig. Auch diesmal stotterte ich nervös vor mich hin und hätte beinahe vergessen, weshalb ich angerufen hatte. Am liebsten hätte ich mich selbst verleugnet und eine spontan erfundene Meinungsumfrage mit ihr gemacht: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am Sonntag Nationalratswahlen wären? Ich musste mich sehr überwinden, mein Anliegen vorzubringen – und ich habe es geschafft.

Schon am nächsten Tag trafen wir uns. In ihrer Wohnung. Ach du grüne Neune! Sie wohnte in der „Nomen est omen“ Rosensteingasse 43/9 in Hernals, dem 17. Wiener Gemeindebezirk, nächst dem beliebten „Kleinkunstgasthaus Kulisse“. Vor wenigen Tagen erst war ich in diesem Theater als Premierengast von „Jetzt wird’s eng“ mit dem geschätzten Thomas Schreiweis vom Tschauner Stegreif Ensemble gewesen und hatte just vor Nadines Haus mein Auto geparkt. Ein Zufall oder doch ein Zeichen? Ich ging zu Fuß in den dritten Stock und klopfte zaghaft an die Türe. Als ich mich fragte, ob sie das überhaupt gehört hatte, fiel mein Blick auf ihre Fußmatte. Ein witziger Spruch zierte den kleinen Türvorleger:

Wobei, so lustig fand ich ihn in diesem Moment gar nicht. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Jetzt wurde ich wirklich nervös. Verdammt. Was sollte das bedeuten? War Nadine auf der Suche nach dem „perfekten Mann“, etwa einem „Bachelor“, den sie mit Nachdruck um den Finger wickeln kann? Wollte sie potenzielle Verehrer mit diesem Spruch einschüchtern? Hatte sie mich deshalb zu sich nach Hause eingeladen, oder sah ich das wirklich einfach zu eng? Vielleicht war sie auch nur eine Frau mit Humor, die sich einen Spaß daraus machte? Komm, Maximilian, Angsthasen gewinnen niemals Frauenherzen. Im Grunde war es bereits egal, denn ich hörte, wie ein Schlüssel gedreht wurde. Die Türe öffnete sich langsam, und da stand sie vor mir. Blickcheck: Sehr attraktiv … Meine Pupillen weiteten sich!

Nadine trug enge Jeans und ein noch engeres schwarzes Top. Eine strahlend blonde Mähne unterstrich ihre beeindruckende Schönheit. Ihre Lachfalten und Sommersprossen sahen entzückend aus. Ich bin ja so verschossen in deine Sommersprossen … Das waren im wahrsten Sinne des Wortes gesammelte Gesichtspunkte, die ich sehr sexy fand. Sommersprossen sind auf jeden Fall nicht erst seit Pippi Langstrumpf die schönste Art der Melanin-Überproduktion. Sie war, was ich sehr liebe, bis auf die künstlichen Wimpern nur dezent geschminkt, hatte mandelförmige, strahlend blaue Augen in einem betörend schönen Gesicht mit ausgeprägt hohen Wangenknochen, lächelte und deutete mir mit einer kessen Kopfbewegung an, einzutreten. Anscheinend wartete sie darauf, dass ich den Anfang machte.

„Ich bin Maximilian, Maximilian Glück“, sagte ich, denn viel mehr brachte ich nicht über meine Lippen, und überreichte eine kleine Packung Heindl Schoko-Maroniherzen mit einer zierlichen roten Schleife darum.

„Na, was für ein Glück. Ich bin Nadine und bringe diese Herzen bestimmt zum Schmelzen.“

Da musste ich lachen und Nadine und ihre Sommersprossen lachten mit. Gar nicht so schlecht für den Anfang. Jap. Eine Frau mit Klasse muss nicht unbedingt Lehrerin sein, und jede Sommersprosse von Nadine ist ein Kuss von einem Engel, ging es mir durch den Kopf, den sie mir offensichtlich schon jetzt ordentlich verdreht hatte.

Im Vorzimmer, welches gewissermaßen auch immer eine Visitenkarte für jedes Zuhause und den Eingangsbereich ist, schenkte ein abstraktes Bildnis einer gezeichneten Schönheit mir eine bestimmte Aufmerksamkeit; offenkundig eine handgemachte Zeichnung von Ray van Stift, die Nadines Wohnwelt schon beim Hereinkommen eine persönliche Note verleihen sollte:

Mein Herzklopfen wurde dessen ungeachtet wieder langsamer und beruhigte sich nach und nach. Nadine hatte einen Magistertitel in Psychologie und einen vierjährigen Sohn namens Konstantin. Beides erfüllte sie offensichtlich mit großem Stolz. Als ich mir gerade die Schuhe ausziehen wollte, stand der kleine Mann bereits neben mir und beobachtete mich mit Argusaugen. Sein Blick schien zu sagen:

„Was bist du denn für einer? Der Papa bist du nicht.“ Mist. Wenn ich gewusst hätte, dass sie einen Jungen hat, hätte ich ihm etwas mitgebracht. Der beste Weg ins Herz einer Frau führt über ihre Kinder, dachte ich kurz, bevor ich diesen Gedanken wieder verwarf. Es war einfach noch zu früh dafür.

Nach einem strengen Blick seiner Mutter streckte Konstantin mir seine Hand hin.

„Ich bin Konstantin und schon vier Jahre alt.“ Das Wort „vier“ betonte er, als wäre es sein größter Stolz.

„Ich bin Maximilian und freue mich, dich und deine Mama heute besuchen zu dürfen“, sagte ich und bat ihn, noch mal eine seiner Hände auszustrecken und die Augen zu schließen. Ich wollte etwas probieren. Als der Bub mir seine kleine Hand entgegenstreckte, tat ich so, als würde ich etwas auf seine Handflächen stellen.

„Du kannst die Augen jetzt öffnen.“

Nachdem er seine leere Hand betrachtet hatte, sah er mich halb verwundert, halb verärgert an.

„Na, wie gefällt dir, was ich dir mitgebracht habe?“

Er sah noch einmal auf seine Handfläche und wurde etwas lauter.

„Da is ja gar nix!“

Ich lächelte ihn geheimnisvoll an, bückte mich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Konstantin bekam ganz große Augen, sagte „Coool“ und rannte aufgeregt in sein Zimmer. Nadine, die alles mitangesehen hatte, sah mich jetzt ebenfalls mit fragenden Augen an.

„Was war das denn jetzt?“

„Ach, gar nichts.“

„Doch, heraus damit.“

„Na gut. Weil du es bist, denn sonst wäre das eine reine Angelegenheit unter Männern.“

„Du scheinst ja ein echter Spaßvogel zu sein. Also, was hast du ihm gesagt?“

„Ich habe ihm erzählt, dass ich vorher im Zaubergeschäft eines Freundes war und dort ein unsichtbares Spielzeugauto für ihn gekauft habe. Ein Auto, das es nur einmal gibt und das er niemandem zeigen darf.“

„Echt, und das hat funktioniert?“

„Das hast du ja gesehen, oder?“

„Du gefällst mir. Schenkst einem Kind was, machst es glücklich, und gibst keinen müden Cent dafür aus. Wenn ich das nur Robert erzähle. Genial.“

Ich hatte damals zwar selbst noch keine Kinder, aber ich hatte schon bei Silvias Kleinen, Valerie und Marlene, gemerkt, dass ich ein Händchen dafür habe, mit Kindern gut umgehen zu können, sogar beim Windelwechseln, wo ich schon seinerzeit gewissermaßen in der Scheiße saß. Verdammt, wer ist Robert?

„Robert?“

„Mein Ex, der Vater von Konstantin“, erwiderte Nadine darauf etwas verstimmt. „Der gibt auch nie einen Cent aus. Alles muss ich selbst bezahlen. Nur Konstantin kriegt Geschenke, weil er sich von seinen Vaterschaftsverpflichtungen freikaufen möchte. Und stell dir vor, anfangs wollte er Konstantin überhaupt nicht. Als er von meiner Schwangerschaft erfuhr, wünschte er sich eine Abtreibung. So ein Schuft! Dabei ist er selber Kinderarzt! Robert konnte Berufliches nicht von Privatem trennen. Ich musste diesen Pappenschlosser am Anfang unserer Beziehung sogar bei jeder Begegnung mit Herr Doktor grüßen und fragen, ob er mir nicht eine Spritze verpassen könne. Er war damals der totale Spritzen-Fanatiker, dieser Frühejakulator. Danach habe ich nicht nur einmal Scheidenpilz gehabt …!“

Die Frau war wohl im gleichen Alter wie ich und offenbarte mir, die sexuelle Beziehung zu ihrem „WasundwenauchimmerExoderdochnichtMann“ stimme nicht mehr, und deshalb wolle sie die Beziehung womöglich aufgeben. Mein offensichtlich viel zu prüdes Leichtgewicht registrierte diese Scheidenmotive mit innerem Staunen. Denn nie und nimmer würde ich solche Themen und Beweggründe bei einem First Date vortragen. Sie war zudem auch felsenfest davon überzeugt, dass spätestens mit 37 Jahren auf sexueller und mutterwerdender Ebene alle Messen gesungen seien, zumindest für Frauen. Diese Situation ließ sich nur noch in einem Wort beschreiben.

„Häh?“ Ich saß zwar gewichtig auf ihrer Couch, aber als sie mir das erzählte, muss ich ein ziemlich dämliches Gesicht gemacht haben. Mein Gehirn war knackevoll überfordert. Ich nahm so interessiert wie nur möglich die Aussagen auf. Die letzten Teile ihrer Botschaft überhörte ich vorsätzlich, um keine Langzeitschäden davonzutragen.

„Au Backe! Ein Dr. med. dent., also Kinderzahnarzt, verlangt von dir einen Schwangerschaftsabbruch?“

„Schon komisch, was?“

„Also, das versteh ich jetzt gar nicht.“ Und ich war tatsächlich etwas perplex, aus zweierlei Gründen. Erstens, weil ihr Ex-Mann anscheinend ein mächtiger Arsch war, und zweitens, weil sie mir beim allerersten Treffen bereits Dinge erzählte, die ich gar nicht so genau wissen wollte. Ich musste mehrfach an Maulwindeln denken, doch die sollten erst viele Jahre später durch einen Virus aus Wuhan an Popularität gewinnen. War sie immer so redselig oder nur bei mir? Heidi Klum aus Ottakring wollte eindeutig Luft ablassen, es war ein Verbalpupsen der Sonderklasse. Ein regelrechter Synapsenfasching auf Wienerisch.

„Das kann man nur verstehen, wenn man weiß, dass er schon Alimente für vier Kinder zahlt. Aber was gehen mich seine anderen Kinder an?“ Sie redete sich immer mehr in Rage. „Für Konsti zahlt er jedenfalls nix!“

„Ja, dann verklag ihn doch“, schlug ich vor.

„Du hast ja keine Ahnung“, flüsterte sie plötzlich. „Ich könnte doch gar nicht überleben, wenn ich nicht zweimal in der Woche in seiner Praxis aushelfen würde. Und bevor du fragst: Nein, er hat mich nicht bei der Sozialversicherung angemeldet. Die paar Euro krieg ich schwarz. Ein Taschengeld ist das, mehr nicht. Und er tut so, als wäre er der große Zampano, der Herr Doktor Zahnklempner! Er ist und bleibt einfach ein Wichtigtuer, der nichts Wichtiges tut! Außerdem hat er nie Zeit am Wochenende, weil er angeblich so viele Eltern hat, die dann besonders viel zahlen, wenn er ihren Kindern außerhalb der normalen Öffnungszeiten im Mund herumbohrt!“

„Ist ja dann ein Plombenerfolg! Sag ihm doch, dass selbst der prominente Glöckner von Notre-Dame auch nur von Montag bis Donnerstag arbeitet, also ‚Quasi Mo-Do‘!“

„Komiker, was?!!!“, bezeichnete Nadine meinen Therapieansatz.

Uff, das war sofort zu bemerken, wie sehr sie dieses Robert-Thema aufregte. „Das wird sich aber einmal ungünstig auf deine Pension auswirken“, meinte ich und versuchte, das Gespräch etwas zu entschärfen. Nadine sah sich selber als Opfer ihrer Umstände.

„Na sicher, was glaubst denn du! Und jetzt will er, dass ich aus dieser Wohnung ausziehe. Das ist ja wohl die allergrößte Frechheit überhaupt!“

„Was geht denn deinen Ex deine Wohnung an?“, fragte ich vollkommen verblüfft.

Sie verzog unmerklich das sommergesprosste Gesicht. „Na ja, er zahlt die Miete.“ Am liebsten hätte ich wieder laut „Häh?“ gerufen, stattdessen sagte ich: „Na, dann zahlt er ja doch für Konstantin und für dich.“

„Du bist halt auch nur ein Mann, ihr seid ALLE gleich“, hielt Nadine mir entgegen.

„Ja, aber wärt ihr vernünftig gewesen, würdet ihr nicht ALLE kennen. Scherz beiseite, Nadine, ich bin sicher nicht wie Robert“, konterte ich, „denn ich könnte mir so eine Luxuswohnung gar nicht leisten.“

„Was würde ich denn von dir bekommen, Maximilian Copperfield? Ein unsichtbares Haus aus dem Zauberladen?“

Darauf mussten wir beide spontan wieder lachen. Dann führte sie mich ins Wohnzimmer. Was für ein bizarres Kennenlern-Gespräch.

Menschen, die sich zum ersten Mal treffen, reden normalerweise über Dinge, die nicht allzu tief ins Privatleben eintauchen. Man redet über die Arbeit, die Lieblingsserie auf Netflix, Anekdoten aus dem Alltag, Träume und Pläne, Reisen, interessante Bücher, Filme, Hobbys, Sport, in Nadines Fall natürlich auch philosophische Gedanken oder was man gerne isst. Kaiserschmarren mit Zwetschgenröster oder Salzburger Nockerln zum Beispiel. Die Auswahl ist groß. Man geht dabei aber zumeist nicht zu sehr ins Detail. Nadine war da anders. Emotionaler, viel emotionaler! Wenn auch nicht sehr ausgeglichen, wie mir schien. Ich redete mir ein, dass Nadine nicht kompliziert sei, sondern nur emotional flexibel.

Nachdem ich mich auf die Couch gesetzt und sie eine Flasche Prosecco Astoria Prestige Rosé geöffnet hatte, erklärte mir Nadine, warum sie so gerne diesen Perlwein trinke. Für mich war das, wie Perlen vor die Säue werfen, da ich so gut wie keinen Alkohol mehr trank.

„Ich trinke lieber Prosecco abseits der Ramschabteilung. Kennt man lediglich Prosecco aus dem Supermarkt, ist es, als würde man als Tourist nach Wien fliegen, um dann den Urlaub am Flughafen Schwechat zu verbringen. Prost, Maximilian!“

Nach dieser „Flaschenpost“ begann Nadine erst richtig zu erzählen. Sie redete und redete und ließ kein gutes Haar an ihren Mitmenschen.

Robert. Ein Geizhals, wie gesagt.

Ihre Chefin. Eine cholerische Zicke.

Ihre Nachbarn. Verlogen und laut.

Ihr Sohn. Meist sehr anstrengend.

Ihre Eltern. Haben sie noch nie verstanden.

Ihre beste Freundin. Hat zu wenig Zeit für sie.

Die Kassiererinnen im Billa-Supermarkt. Das ist nicht jugendfrei!

Nadine arbeitete damals bei einem Seminaranbieter, einer Art Lebensschule, die Seminare im Bereich „Lebe Deine Beziehung“ anbot – und sie war todunglücklich dort. Offenbar führte sie mit ihrer „Beziehungs-Chefin“ einen richtigen Kleinkrieg.

„Die ist ja komplett meschugge, die hat ja keine Ahnung von dem, was sie lehrt“, brach es einmal aus ihr heraus. „Die Alte bringt nichts auf die Reihe, ich organisiere alles, aaaalleeeees, und halte die Struktur in dem Laden am Laufen. Trotzdem werde ich von ihr immer nur von oben herab behandelt, als wäre ich der letzte Dreck. Die sollte selbst mal lernen, wie man wertschätzende Kommunikation pflegt, ohne einander zu verletzen. Ich kann dort nicht einmal weg, weil ich ja nur Teilzeit arbeiten kann, wegen Konstantin! Und meine Zukunftsaussichten dort sind auch nicht rosig. Was kann ich in dem kleinen Laden schon werden? Aufstellungsarbeitstussi? Da gehe ich lieber zu den Schamanen ins Tipi und mache Trommelkreise! Es gibt keine Aufstiegsmöglichkeiten und keine Aussicht, etwas zu ändern. Nicht mit der alten Hex. Woanders bekomme ich auch nicht mehr. Als Kassiererin im Supermarkt bin ich mir zu schade. Es ist einfach alles so ungerecht!“

Ihre Stimme überschlug sich regelrecht und ich wusste nicht, ob ich mir die Ohren zuhalten oder Mitleid haben sollte. Lieber Prosecco-Flaschengeist, habe ich jetzt drei Wünsche frei …? Irgendwie war sie ja auch süß, wie sie dasaß, sich ärgerte und mir offenbar vertraute – denn sonst hätte sie mir bestimmt nicht so viel erzählt.

„In dieser Firma ist es wie bei Robert in der Praxis“, räsonierte sie weiter. „Der hat auch nichts zusammengebracht. Ich habe ihm alles aufgebaut, aaaaaaalleeeeees, die ganze Praxis und die Organisation dazu! Ohne mich wäre der doch total aufgeschmissen und würde wie ein unbewegtes Exemplar bei den Körperwelten in der Gegend herumstehen.“

Da war er wieder, der böse Robert. Ich war richtig froh, dass sie auf mich nicht böse war. Nüchtern betrachtet sehe ich diese vielen privaten Nachrichten mit Prosecco wohl besser! Prost, Nadine! Wenn ich damals gewusst hätte, was mit einer wunderbaren Abweichung noch alles auf mich zukommt, hätte ich mein drittes Glas Luxusprickeln auf „Ex“ ausgetrunken und wäre abgehauen. Wie sagt man so schön: „Auch andere Mütter haben hübsche Töchter oder sehen gar selbst ganz toll aus.“

Bei mir spielten damals wohl auch die Geschehnisse meiner Kindheit rund um meine Eltern eine große Rolle, sowie die leicht an mir nagende Verzweiflung, eine echte Familie mit eigenem Zuhause haben zu wollen. Hoppla, shit happens, blöd gelaufen. Unglaublich dumm, denn ich sagte zu „meiner“ Augenweide, dass ich gerne mit ihr frühstücken würde, und fragte, ob ich sie zum Abendessen einladen darf.

5

Ohh! Sushi!

Niemand weiß, was Mann imstande ist auszuhalten, bevor Mann es versucht. Nadine, ihre Sommersprossen und ich trafen uns also wieder. Vielleicht bekam ich bei unserem zweiten Treffen ja Gelegenheit dazu, etwas über mich zu erzählen. Ihre ausgewachsenen Knacknüsse, sprich Probleme, kannte ich ja bereits zur Genüge. Diesmal gingen wir in Hietzing am Platz bei der wunderschönen Hietzinger Pfarrkirche im „Red Ninja“ abendessen. Nadine bestellte ihr kolportiertes Lieblingsgetränk, einen Weißwein aus der Südsteiermark, in Ermangelung dessen, dass es hier keinen von der Koshu-Rebe aus Japan gab. Diese Vorliebe zu Wein sollte sich in Folge noch wie ein roter Faden durch unsere bewegten Begegnungen ziehen.

Nachdem sie meine Visitenkarte zwischen ihren Fingern hin und her gedreht und mich dabei mit einem eigenartigen Blick gemustert hatte, bestellte sie keck das teuerste Gericht auf der ganzen Karte.

„Soso“, sagte sie, „du bist also Account Manager im mittleren Management bei der PR-Agentur ‚EyeCandy‘ für strategische Kommunikationsberatung und Pressearbeit. Nicht schlecht, nicht schlecht. Was für ein Augenschmaus.“ Irgendwie bekam ich den Eindruck, als würde sie mich scannen, bewerten und mich schließlich in ihrer Männer-Liste einreihen.

„Das ist doch ein weltweit agierender Laden, wo du arbeitest, da muss ja ganz schön was abfallen. Was verdienst du da im Monat?“

Sie schob die Visitenkarte in die winzige Brusttasche ihrer Dolce & Gabbana-Bluse im Leopardenlook und schenkte mir ihr wahrscheinlich unschuldigstes Kimono-Lächeln. Verdammt!

„Na ja, ääh … Account Manager“, begann ich unsicher vor mich hin zu stottern, „ist vielleicht nicht das, was du dir vorstellst. Ich bin ein einfacher Account Manager, der sich vor allem auf die Beratung und Weiterentwicklung der Kunden sowie deren Budgets konzentriert und sich nach oben schuften will.“

Offenbar glaubte sie mir nicht und hakte nach.

„Und was verdienst du so bei ‚Augenbonbon‘, mein süßer Maximilian?“