Der Duft der Begierde - Diana A. von Ganselwein - E-Book

Der Duft der Begierde E-Book

Diana A. von Ganselwein

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Beschreibung

Roman aus der Urzeit. Über das Heranwachsen eines Mädchens, dem das Schicksal am Ende die Verantwortung für eine ganze Menschengruppe zuweist. In dieser dramatischen Zeit ereignet sich im Brennnesseltal der vielleicht erste Eifersuchtsmord der Menschheitsgeschichte. Welche Rolle spielt darin Akazia - und da sogar ihr unverwechselbarer Duft?

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Der Duft

der Begierde

Impressum

IGK-Verlag, 7100 Neusiedl/Österreich

www.igk-verlag.com

Der Duft der Begierde

ROMAN

Februar 2013

Diana A. von Ganselwein

Copyright: © 2013 IGK-Verlag

Inhaltsverzeichnis
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Q

In dieser Nacht kam ihrem wachsamen Körper der honigsüße Duft der Kindheit abhanden. Erwachen und Erschrecken waren eines.Nichts mehr!Ihrer ließ sie immer andie Akaziedenken. An winzige gelbe Köpfchen, die in Ähren standen. An den frischen Wind, der den Geruch vom Fluss bis vor die Höhlen trug. An Morgentau und Sonnenstrahl.Keinesfalls dachte sie dabei an die Dornen. In ihrem jungen Körper war das Bedürfnis, Bedrohliches abzuwehren, noch nicht stark entwickelt.

Das alles bedeutete ihr sehr viel. Niemals hätte sie mit irgendeiner getauscht. Schon gar nicht mit einer Älteren. In ihren heimlichsten Selbstgesprächen nannte sie sich sogar Akazia. Nur für sich– so wichtig war ihr diese Anmutung. Für die anderen, die Ahnungslosen,war sie jaDritte Schwester, auch für Maua.

Alle Mädchen verströmten einen irgendwie blumigen Geruch. Wie Bockshornklee, Heidelbeere, die ebenfalls gelbe und süßliche Lupine,oderwie Pulsatilla, Melisse, DigitalisundMalve.Aber von keiner ging auch nur ein Hauch vonAkazieaus. Das wusste sie genau. Untereinander und jede für sich erforschten sie beim Spielen ihre Gestalten. Sie streichelten, sie fingerten, sie schmeckten wirklich alle Stellen. Jede war unverwechselbar. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel.

Noch etwas hatte sich ihr bereits eingeprägt: Die Frauen rochen nicht mehr so frisch, sondern salzig, bitter, dunkel, fast düster. Beinahe alle wie die schwere Brennnessel überall auf den der Sonne zugeneigten Hängen. Manche wie der kräftige Bärenlauch auf den Waldböden entlang des Flusses und einige wie beide zusammen.

Seltsam. Das Heranwachsen war immer mit einem frischen Geruch verbunden.Das galt auch für die Knaben. Ihren zarten Körpern haftetedie Witterung desLöwenzahnsoderderWolfsmilch, der blauen und bitteren Lupine, von Attich oder Akelei an. Allerdings sehr blass. Auch sie hatten keinesfalls etwas Saures, Dumpfes an sich, so lange sie klein waren. Wie es dann mit ihnen weiter ging, wusste sie eigentlich nicht wirklich genau. Irgendwann durften sie nicht mehr mit den Mädchen essen und jene nicht mehr mit ihnen jagen, und sie durften Dritte Schwester und die anderen nicht mehr berühren. Wenig später verbannte Maua, die Brennnesselfrau,siesogaraus der Gemeinschaft. Jungen sind entbehrlich. Nur einer oder zwei waren geduldet. Die übrigen hatten das Tal zu verlassen und für sich selbst zu sorgen.

Mit ihnen verschwand diePrisevon Löwenzahn, Wolfsmilch, der bitteren blauen Lupine, von Attich oder Akelei hinter dem Horizont. Und auch später als Mako wagte es besser keiner,unerlaubt zurückzukehren, sich in ihren Wäldern zu verstecken, aus welchen Gründen auch immer. Er riskierte den Tod.

Wie sollte Akazia da genau wissen, welchen Geruch sie abgeben, sobald sie ein Alter erreichen, das bei den Mädchen die ersten Ansätze der Brüstehervorbringt?

Für die Mädchen, die blieben, war dieses Säuerliche, Bittere des Alters später allerdings unausweichlich.

Maua und die anderen Frauen waren schon gezeichnet von diesem Tal. Ihr Schicksal konnte man förmlichmit der Nase spüren. Dieser Geruch war stärker als alles, was sich den Augen bot. Denn für das Sehen brauchen wir den hellen Tag und in der Dunkelheit den Schein des Feuers, für das Riechen nicht. Akazia verabscheute vor allem die Brennnessel, diese verhassteste aller Pflanzen. Wie viel feiner, milder, lieblicher war das, was den Mädchen anhaftete! Und vor allem ihr - wie Sirup aus den Samenschoten der Akazie, die lange genug gekaut werden.

Aber jetzt schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Sie glaubte und hatte sich darauf verlassen, dass ihr von Maua alles Wichtige vermittelt werde. Wirklich alles. Darauf hat sie vertraut: Alles, was die Brennnesselfrau selbst erfahren hat. Sie hat Dritte Schwester dafür auserwählt. Möglicherweise haben die Götterwesen ihr genau das auferlegt.Ob da ein Zusammenhang bestand mit dem Duft der Akazie, der doch alle anderen Gerüche an Süße und Würze übertraf? Jedenfalls waren es nun schon zwei Besonderheiten, die Akazia von den übrigen Mädchen unterschied. Ich darf alles wissen, was dieBrennnesselfrauweiß. Denn eine muss die Gemeinschaftführen, wenn wir Maua einmal nicht mehr bei uns haben. Natürlich wird das eine schwierige Zeit. Aber wenn es beschlossen ist, wird sie es annehmen.

Wiekonnte sie nur denken, dass die Honigsüßespäter erst verschwinden wird, wenn sie schon reif war für die Brennnesselfrau? Nichts hatte sie auf eine Leere vorbereitet. Absolut nichts. Keine Süße mehr und noch keine Bitternis. Was konnte das bedeuten? Sie dachte immer: Der Duft wandelt sich. Er geht langsam über in einen Hauch von Schärfe und Säuerlichkeit,aber etwas von ihm wird bleiben.Siedachtekeinesfalls, dass die Akazie so plötzlichund zur Gänzevon ihr verschwinden könnte.

Sie hatte es sich auch einfach gemacht und ein eigenes Nachdenken verdrängt. Was kommt, ist das, was Maua weiß. Und dieses Wissen von ihr hatte sie, wann immer sie mit der Brennnesselfrau beisammen war, aufgesogen. Dann war sie Dritte Schwester und vernahm mit Staunen, was sein wird. Dass Mädchen so urplötzlich die Frische verlieren und selbst ein von den Übermächtigen so geliebtes Wesen wie sie völlig die Honigsüße, das wurde ihr jedoch mit nichts angekündigt. Warum nur? War das für Maua nichts Wichtiges? Oder sollte sie nicht beunruhigt werden? Wird es schlimmer als sie ahnt?

Maua ist unsere Wissende. Sie führt die Zwiesprache mit den Ahnen und mit den Mächtigen im Himmel. Alles kommt von ihr. Maua vertrauen und gehorchen wir alle.Sie hat ihre Gefolgschaft in diesem Tal der Brennnesseln beherzt und mit Umsichtgeleitet. Ich lerne von ihr. Jede von uns muss das. Aber ich besonders.

DieBrennnesselfrauist unser Schicksal.Sie treibt mit dem Feuer Tiere in die Fallen, und nach erfolgreicher Jagd gebiete sie über das gleiche Feuer, mit dem ihr Fleisch gegart wird. Undstetsist auchsiealleines, die unter den herangewachsenen Jungen den Makowählt – oder noch besser einen aus einem anderen Tal. Dieser einelebt unter ihren Augen.Erteilt mit Maua das Lager, wann immer sie es befiehlt. Und jede Frau paart sich mit ihm, wie die Brennnesselfrau es bestimmt. So dass seine Kraft der ganzen Gemeinschaft zu Gute kommt. Seine und nur seine. Warum nur einer? Vielleicht damit nicht zwei oder drei Makos sichverbündengegen die Brennnesselfrau odergegenalle Frauen, dachte Akazia.

Für diesen Mako holte stets auch nurMauaaus dem Kräuterwald das Mannesholz, weil es seine Liebeskraft stärkt. Bis zu dem Tag, an dem sie einen anderen für geeigneter hält. Dann muss auch ihr Mako schnell das Weite suchen.

Ein Gedanke ergriff jetzt Besitz von ihr. Maua musste doch bald erkennen, dass ihrdie Honigsüße entschwunden war. Sie ist doch die Fähigste von allen.

Sie verstand sich auf die Deutung. Sie zog ihr Wissen aus den Wolken, aus dem Wind, aus den Pflanzen, aus den Gedärmen von Tieren. Und sie konnte als einzige sehen, was Sterbende schauen, und sie sind doch besonders nützlich für Weissagungen. Durch sie teilt sich die Erdgöttin mit. Deshalb sammelten sich alle immer um ihre Todgeweihten. Aus bestimmten Zeichenlässt sich ableiten, ob Unheil droht oder ob die Gottheiten sie mit Freude betrachten. Eine Maua kann sogarerkennen, wer ihr nach dem Willen der Gottgestalten als nächste folgenmuss. Im Brennnesseltal eben Dritte Schwester.

Maua beherrschtealle diese Künsteder Ahnung. Einmal trieb sich ein fremder Mako im Tal herum. Die Jägerinnen verfolgten und fingen ihn. Die Brennnesselfrau sah das als Vorsehung an. Sie befahl seine langsame Tötung und überwachte sie. Überall am Körper fügten die Frauen ihm Wunden zu. Sie entzogen ihm Wasser und Nahrung. Dann war es so weit. Aus dem Sterbenden sprach die Erdgöttin. Maua stellte Fragen. Sie wollte alles wissen. Über die Ahnengeister. Über die Himmelswesen. Blickten sie mit Wohlwollen auf uns? Die Antworten verstand nur sie.

Und erst recht wird MauasMakobegreifen,solltesich die Gelegenheit bieten,dass siekeine Honigsüße mehr besitzt. Er versteht sich auf Gerüche. Er kennt jeden. Auch ihren kommenden Duft, ihren Brennnesselgeruch, wird er wahrnehmen. Die Luft in seinen Nasenlöchern wird es ihm sagen. Vielleicht schon bald? Aber welcher genau wird es sein?

Von Maua wurde Dritte Schwester vorbereitet auf das, was sein wird. Nichts dergleichen kam von der Frau, aus deren Bauch sie schlüpfte und deren Brust sie nährte. Entweder jene war selbst ohne Ahnung oder sie durfte nicht oder es bedeutete ihr nichts. Nach dem Nähren kam sie wie jede der Heranwachsenden in die Obhut der größeren Mädchen und hatte mit dieser Frau nichts mehr zu tun

Wahrscheinlich war für Maua alles andere wichtiger als derhonigsüßeGeruchvon Dritter Schwester, falls sie ihm überhaupt je Bedeutung beigemessen hat.Die magischen Kräfte inden Leibern der Frauen. Das Geheimnis der Geburt. Immer wieder betonte sie: Du musst alles wissen. Dir vertraue ich alles an. Alles wovon kein Mako etwas ahnt und was keiner je wissen darf. Jeder Mako fürchtet den Monatsfluss. Die Macht des Blutes. Dieses Zeichen, das aus uns heraus fließt. Das macht uns in ihren Augen stark und sie schwach. Sei dir immer bewusst: Sie kennen nicht das Heilige und nicht das Schmutzige in der Frau. Sie sind blind. Wir sind sehend.

So hatte ihr, der Unfertigen, in unzähligen Begegnungen Maua alles anvertraut. Vieles traf sie unvorbereitet. Es war das Verlockendste und zugleich Drohendste, was ihre Sinne je erreicht hat. Und immer wieder:Du bist die Nächste.Du bist unsere Auserwählte. Du bist die Beste.

Seitdem zitterte sie diesem einen Tag entgegen. Es war ein Zittern und ein Fiebern. Es kommt ein Augenblick, und du hörst auf, Mädchen zu sein.Du bist Frau.

In dieser Nacht hörte sie auf, honigsüß zu duften. War es das?

Jetzt schon? Nein. Noch nicht. Das konnte nicht sein. Das hätte sie mitbekommen. Mit der Kuppe des Zeigefingers der rechten Hand tastete sie jetzt die von den Haaren bedeckte Erhebung ab. Diesmal war es kein Spiel. Es ging um eine wichtige Erkundung. Kein Blutstropfen. Dann der äußere Rand. Keine Veränderung. Dann die Kolo - so nannten sie alle jede einzelne Öffnung ihrer Körper. Auch sie war wie immer. Kein Blut, das spürte sie ganz deutlich. Mehrmals hob sie das Muskelband des Beckenbodens an. Alles trocken. Das hatte ein Gutes. Sie durfte auch heute im See ein Bad nehmen.

Der Körper war noch nicht bereit für das blutige Signal.Der Geruchschon. Weshalb? Und was war das für ein Zeichen?

Natürlich war ihr immer bewusst: Was sie von Maua und den übrigen Frauen unterschied, war ja mehr als eine Witterung. Auch die anderen Mädchen sind nicht mit den Alten zu vergleichen. Wir alle werden vieles genauso machen wie sie, vieles aber auch anders. Das wird auch den Geruch verändern, ohne Zweifel. Das ist ganz natürlich. In Bezug auf sich selbst erlaubte sie sich sogar Überheblichkeit.So wie es die alten Frauen gibt mit ihrem dunklen Geruch, sogibtes doch auch diePappeln mit grauer oder schwarzer Rinde. Sie duften säuerlich. Aber in derselben Niederung nehmen es silbrige Zitterpappeln sogar mit den Honigblumen auf.

Diese Nacht machte ihr jedoch bewusst, dass sie in Bezug auf ihre Honigsüße unbekümmert und naiv gewesen war. Ohne sie war alles in Frage gestellt, was sie für sich erwartet hatte.

Fast zu viel ging ihr jetzt durch den Kopf.

Hat der Honigduftgar nicht aufgehört, sondern sich nurvon ihr entfernt? Ister womöglich jetzt bei eineranderen? Wie entstand er überhaupt? Woher kam er? Wo war er angesiedelt? Nicht außen auf der Haut, das war ihr klar. Sie reinigtesichjeden Tag im See, es sei denn, er war zugefroren. Nie war der Geruch, den sie an sich hatte, danachvom Wasser fort gewaschen,schwächer, eher stärker. Also saß er irgendwo in ihr. Jedenfalls im Körper. Aber wie konnteetwasTiefes, Starkes in ihr so plötzlichentweichen undabhandenkommen?

Akazia hätte längst auf diese Fragen kommen können. Sie hat sie ebenso unterdrückt wie Maua. Vielleicht hat sie empfunden: Jeden Tag weiß ich und verstehe ichdank Mauas Wissen ohne weiteres Zutunmehr. Nun aber, wo eine Antwort so hilfreich wäre, wird ihr ein Versäumnis bewusst. Für ihren Geruch hatte sie sich nie interessiert. Das bereute sie. Was kann noch abhandenkommen auf so unerklärliche Weise, fragte sie sich? Wenn Maua etwas so Wichtiges verschweigen kann, was verschweigt sie mir sonst noch?

Was war nun zu tun?

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Sie lag noch immer auf dem Rücken. Der Duft hatte sich vielleicht noch nicht sehr weit entfernt. Und tatsächlich: Ein wenig haftete an der Felsschräge direkt neben ihrer rechten Schulter. Jedoch in der Achselhöhle, wo erstetsam kräftigsten war, war rein nichts mehr. Ebenso am übrigen Körper. So sehr sie die Luft einsog – nichts. Eine Leere wie nie zuvor. Auch ihr aus Rehleder gefertigter Umhang speicherte nur ihre Wärme, mehr nicht. EinenblassenHauchAkaziewitterte sie noch an ihrem Lager.

Unruhe drängte sie jetzt, etwas zu unternehmen. Im Dunkeln blickte sie um sich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis den übrigen alles bewusst wurde.

Bin ich bereits anders? Eigentlich nicht. Aber aufzuhalten ist nichts.

Erst geht der Duft. Er macht Platz für einen neuen. Kräftig? Herb? Bitter? Säuerlich? Stark nach Brennnessel? Der Gedanke daran ließ sie schaudern. So richtig sagte ihr kein einziger Geruch der Großen zu. Manche flößten natürlich Respekt ein. Aber die meisten stießen ab.

Welcher wird es werden? Wer wird ihn auswählen? Wer teilt ihn zu?

Nicht allein dass sie einen neuen Geruch annehmen muss. Ihre Anmutung wird sich wandeln. Das ist Naturgesetz. Was wird es mit sich bringen? Kann sie gleichzeitig Dritte Schwester mit anderem Geruch werden und Akaziableiben? Wird sie je wieder einen Geruch aufweisen, der wahrhaftig ihr entspricht und nur ihr gehört? Den sie mag und akzeptiert?

Wie konnte sie nur das alles auf sich zukommen lassen, ohne sich eine einzige dieser Fragen zu stellen! Sie verspürte die feste Absicht, sich nie wiederaufderartige Weiseüberraschen zu lassen. Nun ging es bestenfalls darum, Zeit zu gewinnen, ehe alle es wussten.

Das Blut pochte in ihren Schläfen. Sie horchte ins Dunkel der Höhlehinein. NurüblicheGeräusche. Es schien, als beschäftige nur sie allein sich mit diesen Gedanken. Keine andere ahnte etwas. Das war auch zu erklären. Der alte Duft mochte verschwunden sein. Aber der neue war noch nicht da. Sie richtete sich langsam und behutsam auf und presste die Häute mit einer Hand schützend an sich. Die andere griff nach dem selbst geflochtenen Gürtel ausgetrockneten Sehnen. Ihr Schlafplatz war bei den Mädchen. Auch das wird sich ändern.

Ihre Lieblingsmaus hatte wie immer die Nacht auf ihrer Brust verbracht. Nun kroch sie hoch und machte es sich auf ihrer linken Schulter bequem. Rund um die Liegestatt wuselte das kleine Schwein, das sie üblicherweise begleitete. Für ihre Tiere hatte sich anscheinend nichts geändert.

Im letzten Augenblick ergriff sie noch ihr Totem.

Was sie jetzt vorhatte, war ungewöhnlich.

Keine setzte sich ohne Not den Mächten derFinsternisaus. Über uns wachen die Geister des Tages, nicht die der Nacht. Aber sie hatte einen besonderen Grund und fühlte sich deshalb auch geschützt. Sie erhob sich und stieg geschickt überdienoch Schlafenden. Es drängte sie zum Ausgang – mit jedem Schritt das Ungewöhnliche empfindend, in Anbetracht der Dunkelheit draußen. Die Tiere folgten ihr. Ihnen schien es gleich, ob sie wie Honig duftete oder nicht.

Zur Mitte hin, wo die Großen lagerten, nahmen die Gerüche an Intensität zu. Attichwurzel. Holderkraut. Majoran. Erika. Wasserlinse. Belladonna. Schminkbohne. Am kräftigsten natürlich Brennnessel - da wo sie Maua mit dem Gefährten wusste.

Sie bewegte sich immer rascher hin zur Öffnung der Höhle. Und doch zögerte sie im gleichen Atemzug. Sie haderte mit ihrem Plan. Es warim Grundenicht ratsam, allein bis zu den Akazien zu gehen. Doch es musste sein. Sie brauchte deren Nähe.

Sie trat ins Freie. Hier erst atmete sie tief und vernehmlich. Die erfrischende Kühle bekam ihr gut. Sie schlüpfte mit den Armen in die Öffnungen der Häute und knotete sie mit dem Gürtel fest.

Langsam gewöhnten ihre Augen sich an das Dunkle. Kein Himmelslicht lag über der Landschaft. Auch der Mond rüstete sichnochfür einen Neufang. Alles, von dem sie wusste, dass es da war, begannen die Augenerstallmählich schemenhaft auch wahrzunehmen. Aber nicht das Sehen war in diesem Augenblick wichtig.

Immer wieder sog sie die nächtliche Luft durch die Nase ein. Schließlich richtete sie den Kopf zu den großen Wiesen der Hirsche in einiger Entfernung. Dort war sie gestern, während das Licht des Tages sich von den Büschen, den Bäumen, den Hügeln und zuletzt von den Felswänden zurückzog. Jetzt drängte es sie dorthin zurück, wo ein vielleicht letztes Mal ihr Honigduft zu spüren war, solange es noch ein wenig von ihm gab.

Ein gefährliches Unterfangen! Diesmal waren sie nicht wie sonst eine muntere Gruppe. Jedes Mädchen mit Fischspeer oder Keule bewaffnet. Und von den Totems beschützt. Die Körper zur Abwehr jeder nur denkbaren Gefahr wie Teufelsfrauen bemalt. Roter Ocker. Gelber Ocker. Das lernten sie so von den gefährlichsten Tieren.Auch sie warnen mit grellsten Farben,

Auf das alles hatte Akazia in der Eile verzichtet.Obendrein war sie allein! Wenn das Maua wüsste! Unter keinen Umständen durfte sie da draußen auf eine Gruppe herumstreunender Männer stoßen. Besser auch nicht auf einen allein. Jedoch war beides nicht sehr wahrscheinlich, so nahe am Lager.

Mit jeder nur denkbaren List sorgte Maua fürihre Schar. Die Frauen erwarben durch das Sammeln von Kräutern und Pflanzen und die Beschäftigung mit ihnen ein eigenes Wissen. Im Handumdrehen konnten sie bei einem Angreifer eine Ekstase auslösen oder eine Vergiftung erzeugen. Kein Mako sollte es darauf ankommen lassen! Jeder Knabe war bei seiner Vertreibung bereits erfahren genugund nahm diesesWissenalsWarnung mit.

Das Ausgraben der Wurzeln, das fleißige Einsammeln der Pflanzen, das Fischen mit dem Speer – diese mühsamen Anstrengungen kräftigten jeden Tag mehr ihre noch junge Muskulatur. Kein guter Ort für Verstoßene.

In ihrem Tal konnten sie sich wahrlich sicher fühlen.

Akazia war schon einigen Makos begegnet, die nicht ihre Größe erreichten. Mit einem oder zweien würde sie vielleicht fertig werden. Auchihrerituellen Fähigkeiten konnte sie vor den Rachegelüsten solcher Heimatloser bewahren. Im Notfall würde sie zu wilden Tanzgesten einer Teufelsfrau Zuflucht nehmen. Auch davor schreckten Makos zurück. Ja, in Mauas Augen sind sie ein entbehrliches Nichts. Schmarotzer. Das bekamen auch ihre bisherigen Gefährten zu spüren.Maua konnte sienach Belieben unterdrücken, mit ihren Launen quälen, bestrafen, verstümmeln und am Ende wegschicken.

Der derzeitige Begleiter war schon mehrere Sommer und Winter geduldet. Er war gut gebaut und er handelte klug genug, seine Kraft nicht gegen jene zu lenken, die über ihn entschied. Er richtete sein Verhalten streng an ihren Erwartungen aus. Aus ihren Augen entfernte er sich nur zur Erledigung ihm übertragener Aufgaben.Niemals handelte er aus eigenem Antrieb.Seine Rückkehr musste er durch Rufe ankündigen. Die Brennnesselfrau war seine Herrscherin. Der Gefährte fügte sich auch in Bezug auf die anderen Frauen. Auf diese Weise übte sie die vollständige Kontrolle über ihn und die Gefolgschaft aus. Der Mako konnte damit seinen Frieden haben.Bei ihnen im Tal hatte er es allemal besser, alsanderswo allein auf eigenen Füßen zu stehen.

Aber auf eine Horde seinesgleichen in den Wäldern wollte Akazia auf keinen Fall stoßen. Wie Tiere würden sie über sie herfallen. Weder mit ihrer Verschlagenheit noch mit dem Schutz ihres Totems könnte sie ihnen ihren Willen aufzwingen. Abersiewar sich sicher: Da war jetzt keine Horde.

Deshalb hielt nichts sie von ihrem Vorhaben ab. Sie war noch nicht bereit, ohne Akazienduft zu sein.

Übertreibe ich? Macht das Sinn? Ja und nein.

Es geht um mich. Wer werde ich sein? Bis jetzt war ich die Süße. Akazia. Ja, das war sie tatsächlich. Das stand auch nicht in einem Widerspruch zu dem, was Maua vorhergesagt, ja eingefordert hatte.

Selbstverständlich wird sie das Unausweichliche annehmen. Aber was ist unausweichlich? Ein vorgegebener Zeitpunkt? Ein ungewollter Geruch? Dass etwas so Bedeutendes über einen kommen wird, ohne dass man selber etwas dazu beiträgt, das mochte sie nicht glauben.

Auch der Geruch des Mako wird ihr sehr nahe kommen, das wusste sie. Der und kein anderer. Vorerst. Es ist das Schicksal jeder gebärfähigen Frau. Später wird dieses Recht ihr zufallen, diesem oder jenem zu erlauben, eineZeit langin ihrer Mitte zu leben. Aber Maua hat Recht: Jeder muss das wirklich wert sein.

Akazia wusste schon sehr viel dank der Brennnesselfrau. Gleichzeitig war sie noch sehr ahnungslos. Vieles war für sie unfassbar, und an die ersten Eindrücke konnte sie sich nur vage erinnern. Plötzlich war da ein Mako in ihrer Mitte. Sein Körper war größer und mächtiger als der eines Jungen. Sein Geschlechtsteil auch. Die Frauen gaben sich mit ihm ab, aber nicht so wie sie und Mädchen ihresgleichen mit den Jungen spielten. Heftiger, kräftiger, bis sie alle zusammen keuchten. Die Kinder konnten alles sehen, immer wieder. Welchen tiefen Sinn dieses Treiben machte, war ihr damals nicht klar. Noch weniger natürlich, was das eines Tages für sie selbst bedeuten werde. Viel darüber hat Maua ihr bereits offenbart. Aber wohl kaum alles, das spürte sie instinktiv. Und Maua warnte oft und oft: Der Mako weiß nichts vom Mysterium der Zeugung. Und darf es nie wissen!

Kein von ihr gewählter Mako würde esauch je riskieren, aus eigenen Stücken weiter zu ziehen und,ohne fortgeschickt zu werden,das Tal zu verlassen. Das müsste besserin größter Heimlichkeit geschehen. Maua würde niemals dulden, dasshinter dem Horizont ein Makoalles über sie und ihre Gefolgschaft weiß. Der sich im Tal zurechtfindet. Der womöglich die Pflanzen kennt, die sie benutzen, und die Fährten der Tiere aufspüren kann, denen sie nachstellen.Und der sich auf die Frauen im Brennnesseltal versteht.

Was für Maua wichtig war, wusste sie inzwischen genau. Ihre Regelnleuchteten ein. Einzig jener Mako wird geduldet, dessen Fähigkeiten unserer Gemeinschaft den größten Nutzen bringen. Da denkt Maua an sich und alle anderen. Er muss seine Sache gut machen. In jeder Hinsicht. Dabei ließ nichts je erkennen, ob oder wie sehr sieselbstden Mako schätzt. Eines Tages werde ich Maua sein und es genauso machen.

Auch deshalb wird sie wohl ihren Frieden mit dem Brennnesselduft schließen. Aber auf keinen Fall wollte sie sich dabei aufgeben. Warum sollte es ihr nicht gelingen, so viel wie möglich von sich zu bewahren, ohne sich zu sehr von der Gemeinschaft abzugrenzen? Denn während jede für sich besteht, ist doch keine etwas ohne die anderen. Ich kann doch erwachsen sein auf meine Art. Auch die Honigsüße erschien ihr bisher keinesfalls als Gegensatz.

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Wie so oft hatte sie sich in ihren Gedanken verloren. Das war jetzt gefährlich.

Die Dunkelheit bereitete ihr zum Glück nicht die geringste Mühe. Sicher setzte sie einen Fuß vor den anderen, prüfend die Luft einsaugend und mit all ihren Sinnen die Umwelt wahrnehmend. Das Riechen war ihr besonders wichtig. DasUnterscheiden von Gerüchen und das Hörenvon Geräuschenbenötigen nur den Wind, und an dem mangelte es auch jetzt nicht. So beruhigte sie sich.

Die Wiese der Hirsche lag noch im Dunkeln. Sie hockte sich ins Gras und wartete auf den Tag.In ihrem Rücken lag die Höhle, aus der sie gekommen war.Sie hatte einen Plan. Nichts drängte sie mehr, seitdem sie sich der Gemeinschaft entzogen hatte. Sie genoss das Alleinsein. Zu ihren Füßen wuselte munter das kleine Schwein, das sie vom Lager bis hierher begleitet hatte. Auf ihrer Schulter thronte weiterhin die Maus.

Vor ihr, in der Ferne, färbte sich der Himmel jetzt mit erstem Rot. Es leuchtete aus der von ihren Blickengewählten Richtung. Akazia erhob sich und schritt jetzt kräftig auf eine Stelle zu, wo vereinzelt stattliche Stieleichen hoch in den Himmel ragten. Wie eine Mahnung erinnerten diese Bäume sie an die vielen Geheimnisse, die nur Frauen zuteilwerden. Denn das wusste sie von Maua: Die tiefrissige Borke der Stieleiche wird getrocknet, feinst zerrieben und in das Geschlecht gesetzt. Dadurch wird die Frau kräftig und fruchtbar. Auch ihr standdas bevor.

Wieder hielt sie inne.Erst nach einer Weile ging sie weiter. Sie erreichte ein Wäldchen und betrat dort eine kleine Lichtung. Hier überragte eine einzelne Schwarzholzakazie alles Gehölz. Vor dem heller werdenden Horizont zeichneten sich klar ihre Umrisse ab.

Wahrlich, eine schönere Akazienart gab es nicht! Der Anblick ihrer gelbweißen Blütenköpfchen und der fein gegliederten Blätter erregte sie jedes Mal aufs Neue. Und erst in diesem Augenblick! Erstaunlich, wie die übrigen Gewächse einige Schritte von dem Akazienbaum Abstand hielten. Sie näherte sich dem mächtigen Stamm, drückte ihren Rücken gegen ihn und glittdaran zu Boden. Es tat gut, sich anzulehnen und etwas Starkes und Unbeugsames hinter sich zu spüren.

Akazia atmete durch. Nichts war ihr zugestoßen, und die Dunkelheit wurde langsamzur Gänzeverdrängt.

Noch nie hatte sie die Seelen der Wiesen, des nahen Waldes, des kleinen Sees und des Flusses so intensiv gespürt wie jetzt. Und sie dachte: Dieses Leben im Brennnesseltal hält so viel für uns bereit, was zu entdecken und zu erproben und zu meistern ist.