Der Duft von Tee und Winter - Hannah Luis - E-Book
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Der Duft von Tee und Winter E-Book

Hannah Luis

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Beschreibung

Dampfender Tee, frischgebackene Scones und das Geheimnis einer Liebe, die nicht sein durfte

Zufällig stößt Laura auf ein wunderschönes altes Buch über die Welt des indischen Tees. Darin entdeckt sie das Sepia-Foto eines jungen Mannes – und den Namen der ehemaligen Besitzerin des Buchs, Agatha Sperlich. Die alte Dame reagiert abweisend, als Laura ihr das Foto zurückzubringen will. Doch dann beginnt Agatha zu erzählen: von ihrer Kindheit in England und Jeevan, ihrer großen Liebe, mit der sie nicht zusammen sein durfte. Auf der Suche nach Jeevan reist Laura schließlich nach Kent. Umgeben von der winterlichen Landschaft und den britischen Teegenüssen deckt sie mithilfe von Jeevans Großneffen Joshua ein lang gehütetes Familiengeheimnis auf. Doch kann es eine Zukunft für zwei Menschen geben, deren Schicksale so verschieden sind? Während sich Laura diese Frage stellt, wird ihr bewusst, dass sie dabei auch an Joshua denken muss …

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Seitenzahl: 741

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Das Buch

Laura ist mitten im Umzugsstress, als sie in einem öffentlichen Bücherschrank auf ein Buch über die Welt der indischen Tees stößt. Da sie es liebt, ihre eigenen Teemischungen herzustellen, kann sie nicht mehr aufhören, darin zu blättern, und nimmt sie es mit. Zwischen den Seiten entdeckt sie das Sepia-Foto eines jungen Mannes – und den Namen der ehemaligen Besitzerin des Buches, Agatha Sperlich. Die alte Dame reagiert abweisend, als Laura ihr das Foto zurückzubringen will. Doch dann beginnt Agatha zu erzählen: von ihrer Kindheit in England und Jeevan, ihrer großen Liebe, mit der sie nicht zusammen sein durfte. Auf der Suche nach Jeevan reist Laura schließlich nach Kent. Umgeben von der winterlichen Landschaft und dem Duft von frisch gebrühtem Tee deckt sie mithilfe von Jeevans Großneffen Joshua ein lang gehütetes Familiengeheimnis auf. Doch kann es noch ein glückliches Ende für Agatha und Jeevan geben, deren Schicksale so verschieden sind? Während sich Laura diese Frage stellt, wird ihr bewusst, dass sie dabei auch an Joshua denken muss …

Die Autorin

Hannah Luis studierte Skandinavistik, Publizistik und Sozialanthropologie in Bochum und Kopenhagen. Nach verschiedenen Stationen in Australien, England und der Schweiz kehrte sie nach Deutschland zurück. Heute lebt und schreibt sie in Essen, aber es zieht sie noch immer regelmäßig in die Ferne. Sie liebt es, Rezepte aus anderen Ländern mitzubringen und zu Hause auszuprobieren.

Lieferbare Titel

Bretonischer Zitronenzauber

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

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Copyright © 2022 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Catherine Beck

Covergestaltung: zero-media.net, München

unter Verwendung von FinePic®, München

Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-641-28663-7V001

www.heyne.de

Laura

1

Es läuft alles nach Plan – ich freu mich auf heute Abend!

Laura las ihre eigene Nachricht zum fünften Mal, während sie die Wohnungstür hinter sich zukickte, aus ihren Schuhen schlüpfte und die Zehen streckte. Sie hatte sie morgens um sieben gesendet. Jetzt war es kurz nach eins und bisher noch keine Antwort von Oliver eingetroffen. Das kam in den vergangenen Tagen leider häufiger vor, da ihn sein neuer Job in Hamburg von Anfang an ziemlich eingespannt hatte. Aber nicht mehr lange, dann würde sie nachkommen, sich um die Wohnung kümmern – in der er, wie sie ihn kannte, bisher nur die notwendigsten Kartons ausgepackt hatte – und ihn zumindest an den Abenden und Wochenenden sehen. Und in den Nächten, wenn sie sich an ihn kuschelte. In einigen Wochen würden sie und Oliver wieder zusammen sein, da sie ebenfalls eine neue Stelle in der Hansestadt antrat: Marketingleiterin bei ProdScale, einer großen Firma für Produktentwicklung. Nach den fünf Jahren bei Gaum & Weber der nächste logische Schritt auf der Karriereleiter.

Sie betrat die Küche und starrte auf den Klapptisch samt Stühlen, die ihre Eltern vorbeigebracht hatten. So musste sie während ihrer letzten Tage hier in Wiesbaden nicht vom Boden essen, da der Großteil der Möbel schon in die neue Wohnung geliefert worden war. Bis auf den Tisch gab es nur noch die dunkelrote Küchenzeile, die in der Wohnung bleiben würde und einsam wirkte mit dem Heißwasserkocher und dem Toaster auf der Arbeitsplatte. Die Regale waren auch bereits verschwunden, ebenso das gerahmte Bild, dessen Umrisse auf der Tapete nur zu erahnen waren. Die Lavendelpflanze auf der Fensterbank hatte sie überrascht und bis in den September geblüht; danach hatte Laura sie zurückgeschnitten. Vorsichtig prüfte sie die Erde von Salbei, Zitronenmelisse und Basilikum, dann rieb sie an einem Blatt der Pfefferminze und atmete das Aroma ein. Es war totenstill, und wenn sie die Augen schloss, stellte sie sich eine grüne Landschaft vor, einen Garten, in dem ihre Kräuter wuchsen. Mit einem hübschen weißen Tisch, an dem sie sitzen und Tee genießen konnte, den sie aus eben jenen Kräutern zusammengemischt hatte. Fast spürte sie den leichten Wind auf ihrem Gesicht – keinen der Novemberstürme, die sie in den vergangenen Nächten hin und wieder wachgerüttelt hatten. Es war ein schönes Bild, voller Ruhe und Sicherheit.

Anfangs, auf der Suche nach ihrer neuen Bleibe in Hamburg, hatte sie dafür plädiert, an den Rand der Stadt zu ziehen. Keine Hektik, wenig Verkehrslärm, dafür der Blick über Gärten und Felder. Aber sie waren zu dem Entschluss gekommen, dass ein Zuhause mitten in Ottensen praktischer war. Sie würden Zeit für den Weg in die Büros sparen und hatten alles, was sie brauchten, in unmittelbarer Nähe.

»In Hamburg eine gute Wohnung zu finden, ist echt nicht einfach«, hatte Oliver sie damals zu einer schnellen Entscheidung gedrängt.

Sie dachte an das vergangene Wochenende, an dem sie ihn hatte besuchen wollen. Aber er war so sehr mit Terminen und Meetings beschäftigt gewesen, dass sie es verschoben hatten. Laura verstand das, aber ein Hauch Enttäuschung war geblieben. Nachdenklich ergriff sie die kleine Gießkanne. Bei ihrem letzten Telefonat hatte ihr Freund so monoton geklungen, als wären seine Worte lediglich einstudiert. Sogar sein Ich liebe dich war irgendwie steif gewesen. Als würde ihre Beziehung unter der Distanz leiden.

Sie trat an das Fenster und betrachtete ihre Spiegelung darin; die glatten blonden Haare, die ihr knapp über die Schultern fielen und ihr Gesicht jünger wirken ließen. Dann straffte sie den Rücken. Normalerweise grübelte sie nicht über solche Dinge nach, und sie würde nicht zulassen, dass die Entfernung ihrer Beziehung schadete. Sie musste nur noch eine kurze Zeit überbrücken und nach ihrem letzten Tag im Büro den Wohnungsschlüssel abgeben, um in ihr neues Leben aufzubrechen. Es war alles komplett durchgeplant, so wie sie es mochte. Keine Überraschungen, keine Komplikationen.

Ihr Telefon klingelte und riss sie aus ihren Gedanken. Erfreut griff sie danach, aber das Display zeigte nicht Olivers Namen, sondern Danicas. Fast schämte sich Laura für ihre Enttäuschung. »Hallo Dani.«

»Frau Kollegin Nicolai, ich habe dich in der Firma verpasst«, sagte ihre Freundin gut gelaunt. Im Hintergrund gluckerte die Bürokaffeemaschine. »Das Meeting hat länger gedauert, sorry. Die Kunden konnten sich mal wieder nicht entscheiden und wollten alles anders, wussten aber nicht, wie. Weißt du, wie diese Leute, die in eine Buchhandlung gehen, nach dem blauen Buch fragen und erwarten, dass der Buchhändler sofort weiß, welches sie meinen.« Sie schnaubte. »Aber ich wollte dir noch eine gute Zugfahrt wünschen, wenn du schon die Frechheit besitzt, dir einen halben Tag freizunehmen.«

»Danke, das ist lieb. Ich habe dir eine Packung Kräutertee auf deinen Schreibtisch gestellt. Den mit Pfefferminze und Rose, den du so gern magst.«

»Selbst gemischt?«

»Natürlich.«

Dani quiekte vor Begeisterung. »Danke, Süße! Ich war noch gar nicht wieder am Platz.« Sie machte eine kurze Pause. »Erzähl mir, was mit dir los ist. Oder musst du schon zum Zug?«

»Nein, ich habe noch etwas Zeit. Aber was soll mit mir los sein?«

»Du klingst angespannt. Und auch ein wenig traurig.«

Laura lehnte sich an die Wand und starrte zur Decke. »Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur noch nichts von Oliver gehört seit heute Morgen. Er hat kaum noch Zeit, seit er in Hamburg ist. Und es ist noch so viel zu erledigen vor dem Umzug.«

»Wir bekommen das hin, Laura. Alles. Oliver wird froh sein, wenn du wieder bei ihm bist. Bald fahre ich deine restlichen Sachen mit dir hoch, und wir machen uns einen schönen Tag an der Alster. Mit dem neuesten Trendgebäck.«

Laura lächelte. »Wir werden durch Hamburgs Cafés ziehen und uns die Bäuche vollschlagen.«

»Abgemacht!« Im Hintergrund rief jemand Danis Namen. »Auweia, der Daber ist schon wieder auf hundertachtzig wegen der Kunden von vorhin. Ich lege besser auf und bringe ihm einen Kaffee. Stark. Mit ausreichend Beruhigungstropfen drin. Entspann dich am Wochenende.«

»Mach ich, Dani. Wir sehen uns Montag.«

Ihre Freundin schickte einen Kuss durch die Leitung und legte auf. Laura sah auf ihr Handy, obwohl sie ahnte, dass keine neue Nachricht da sein würde, und platzierte es auf dem Küchentisch. Oliver wusste ja, wann ihr Zug ankam; sie hatte ihm den Fahrplan geschickt. Besser, sie hörte auf zu grübeln, packte die restlichen Sachen und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Sie hatte zunächst erwogen, selbst zu fahren, sich dann aber für die Bahn entschieden, um möglichst ausgeruht zu sein und jede Minute in Hamburg genießen zu können. Wenn sie Glück hatte, spielte das Wetter mit – die App hatte einige Sonnentage angekündigt.

Kurz darauf stand sie vor ihrer Tasche und überlegte, ob sie etwas vergessen hatte. Ihren E-Book-Reader! Laura eilte ins Wohnzimmer, nahm ihn vom Tisch und schaltete ihn zur Kontrolle ein.

Nichts.

»Mist!« Obwohl sie wusste, dass es nichts brachte, versuchte sie es erneut. Keine Chance, das Gerät blieb dunkel, der Akku war leer. Zwar hielt er ewig, wenn einmal aufgeladen, aber sie war in letzter Zeit nicht oft zum Lesen gekommen. Das Ladekabel hatte sie dummerweise in der Schublade mit all den anderen Kabeln aufbewahrt – jener Schublade, deren Inhalt Oliver bereits mit nach Hamburg genommen hatte. So wie die meisten ihrer Bücher.

Der Alarmton ihres Handys ertönte und drängte sie, nicht mehr zu trödeln, wenn sie ihren Zug erwischen wollte. Laura hängte sich die Handtasche über die Schulter, schnappte sich den Rollkoffer und machte sich auf den Weg zur Wohnungstür. Sie würde sich in der Bahnhofsbuchhandlung etwas zu lesen kaufen. Oder sie könnte kurz am Bücherschrank vor der Blücherschule halten, die lag eh auf ihrem Weg. Manchmal fanden sich dort schöne Klassiker. Eine gute Idee, denn wenn sie jetzt in die Buchhandlung ging, würde sie sich nur schwer entscheiden können bei der Auswahl.

Sie kontrollierte ein letztes Mal die wichtigsten Dinge – Handy, Schlüssel, Portemonnaie –, zog die Tür hinter sich zu und schloss zweimal ab. Jetzt befand sie sich in der Schwebe zwischen ihrem alten und ihrem neuen Zuhause, und sie hoffte, dass sie die sorgsam gehegten Heimatgefühle nach Hamburg würde mitnehmen können.

Keine fünfzehn Minuten später hielt sie vor der Grundschule im Westend. Wann immer sie hier vorbeikam, nahm sie sich die Zeit, um in dem Holzschränkchen vor dem Backsteingebäude mit dem Dach aus farbig glasierten Ziegeln zu stöbern. Natürlich handelte es sich bei über der Hälfte der Bücher um Werke für Kinder, aber es fanden sich auch Unterhaltungsromane und Sachbücher darunter – und manchmal sogar ein richtiges Juwel.

Gedämpfte Kinderstimmen drangen vom Gebäude zu ihr herüber. Es war kurz vor zwei, vermutlich würde der Unterricht gleich enden. Sie sollte sich beeilen, um nicht in eine Horde aufgeregter Schüler zu geraten und letztlich doch noch den Zug zu verpassen. Schnell zog sie einen abgegriffenen, dünnen Band heraus, der mindestens einmal in den Regen gekommen oder anderweitig nass geworden sein musste: Hermann Hesses Steppenwolf. Wie lange war es nun her, dass sie dieses Buch hatte lesen müssen? Sicherlich zwanzig Jahre. Damals in der Schule hatte sie es nicht gemocht, aber so war es ja oft, wenn man zu etwas gezwungen wurde. Laura entschied, der Geschichte um Harry Haller eine zweite Chance zu geben. Schließlich hatte die fast jeder verdient.

Sie wollte den Schrank gerade wieder schließen, als ihr etwas ins Auge fiel. Der Einband war hoch und eckig, an den Kanten eingedellt – ein Hardcover. Goldene Farbschlieren zierten den grünen Grundton und schufen einen interessanten Effekt. Harmonisch, energisch, lebensfroh. Der Titel war auf Englisch, was das Buch noch mal hervorstechen ließ.

»The World of Indian Tea«, las Laura. Die Welt der indischen Tees. Sie zögerte und zog das Buch heraus. Zwar mischte sie seit einigen Jahren hin und wieder Tee aus ihren selbst gezogenen Kräutern, aber sie hatte nie die Zeit gefunden, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. Vor allem, da schwarzer Tee nicht gerade zu ihren Lieblingssorten zählte, und um den ging es doch hauptsächlich in einem Buch über indischen Tee, oder? Wobei auf der Rückseite auch Kräuterpflanzen abgebildet waren.

Über der Farbpracht des Einbands lag ein Schleier, als wäre er mit der Zeit verblasst. Das Bild zeigte eine von Grün bedeckte, sanft gewellte Hügellandschaft. Die Pflanzen schimmerten in der untergehenden Sonne beinahe wie Samt, und der Himmel sah aus, als würde er in Flammen stehen. Der Kontrast der Farben war faszinierend – warm und wunderschön. Laura strich über eine Kerbe im Einband und wollte das Buch gerade aufschlagen, als die Schulglocke ertönte. Ihr Zeichen, sich auf den Weg zu machen. Kurz entschlossen klemmte sie sich beide Bücher unter den Arm und eilte zurück zu ihrem Wagen.

Zwanzig Minuten später bestieg sie den Zug. Sie hatte einen Fensterplatz reserviert und starrte nach draußen, auf das Treiben auf dem Bahnsteig, auf Menschen, die Taschen und Koffer hinter sich herzerrten, miteinander redeten oder sich verabschiedeten. Auf Kinder, die in den Armen ihrer Eltern schliefen, aufgeregt brüllten, wenn am Nebengleis ein weiterer Zug einfuhr, oder mit beiden Fäusten gegen den Süßigkeitenautomaten hämmerten und dabei aus vollem Halse schrien. So viel Energie! Trotzdem war das alles im Vergleich zu ihrer zukünftigen Heimat klein und ruhig. Laut Oliver fast schon provinziell. Ihr neues Leben wartete auf sie – die nächste Stufe auf ihrem Weg, den ihre Eltern einfach nicht nachvollziehen konnten.

Schon vor Jahren waren sie erstaunt gewesen, als ihre mittlere Tochter kurz vor Ende der Schulzeit verkündet hatte, dass sie studieren wolle. Nicht weil sie es ihr nicht zutrauten, sondern weil sich der Lebensmittelpunkt der Nicolais schon immer in Brensbach befunden hatte. Die Fünftausend-Seelen-Gemeinde im Odenwald lag nur eine Stunde Fahrzeit von Wiesbaden entfernt, war Laura aber mit ihren Fachwerkhäusern, ländlichen Gastwirtschaften und dem Hinterwaldteich, an dem sie ihren ersten Kuss bekommen hatte, stets wie ein anderes Leben erschienen. Lauras ältere Schwester Marina hatte schon immer perfekt dorthin gepasst, einen Brensbacher geheiratet und mit ihm vor Jahren Eigentum mit Blick auf viel Grünland gekauft.

Laura hatte es dagegen schon als kleines Mädchen in die umliegenden Felder verschlagen, von wo aus ihr der nächste Ort in der Ferne, Fischbachtal, wie ein Wunderland vorgekommen war, und sie hatte Pläne geschmiedet, wie sie ihn besuchen und was sie alles dorthin mitnehmen würde. Sie hatte Brensbach immer schon verlassen wollen – so wie ihre jüngere Schwester Maja, die es immerhin bis Worms geschafft hatte, wo sie als Grundschullehrerin arbeitete.

Als Laura Oliver auf einer Branchenparty kennengelernt hatte, war es, als fügte sich ein Puzzleteil in ihr Leben. Er beeindruckte sie mit seiner Offenheit und seiner Zielgerichtetheit, hatte wie sie feste Zukunftspläne und wurde – zumindest in den ersten Jahren ihrer Beziehung – nicht müde, nach ihren zu fragen. All diese Energie hatte sie in seinen blauen Augen wiedergefunden. Von Anfang an waren sie sich einig gewesen, dass Wiesbaden nur eine Station war. Laura wollte wissen, wie weit sie kamen, was sie alles erreichen konnten und wo ihre Grenzen lagen. Dafür hatte sie sogar ihren Plan, mit dreißig verheiratet zu sein, auf Eis gelegt.

Oliver wollte von Sesshaftigkeit und allem, was damit zusammenhing, noch nichts wissen. Er hatte andere Ziele. Immer wenn Lauras Elan nachließ, riss er sie mit, weiter nach vorn, zur nächsten Stufe und über den Horizont hinaus. Daher sah sie nun ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag entgegen, und statt ihr Zuhause weiter auszubauen, hatten sie sich für ein neues entschieden.

Sie lächelte ihrer Reflexion in der Scheibe zu und betrachtete ein kleines Mädchen, das mit seinem Hut kämpfte und ihn schließlich auf den Boden fallen ließ. Auf dem Bahnsteig ertönte die Ansage des Schaffners, kurz darauf schlugen die Türen zu. Es knarrte, und der Zug ruckelte leicht, um dann anzufahren.

Laura betrachtete den Bahnhof, bis die Gleise hinter ihnen lagen und der Zug Geschwindigkeit aufnahm. Häuser, Straßen und anschließend Felder, Wiesen und Bäume verwandelten sich in Schlieren aus Grau, Grün und dem goldenen Braun des Herbsts. Fast so, als würde sie direkt aus der Stadt in ein Gemälde eintauchen. Abstrakte Kunst, die sie verschlang und dort wieder ausspucken würde, wo die Uhren anders tickten und der Puls der Zeit einen schnelleren Takt schlug.

Sie schloss kurz die Augen, atmete durch und zog das Teebuch auf ihren Schoß. Auf dem Einband fand sie mehrere Kerben. Sie schlug es auf. Der leichte Gelbstich im Inneren verriet das wahre Alter. Es hatte einige Jahre auf dem Buckel, war aber gut gepflegt worden. Vielleicht hatte es einem Bücherliebhaber gehört oder jemandem, der Eselsohren hasste oder es ins Regal gestellt und selten oder nie herausgeholt hatte. Die Vorstellung fand Laura traurig. Bücher sollten in die Hand genommen und genutzt werden, gelesen, herumgereicht, man sollte darin blättern oder etwas nachschlagen. Sie nur zur Zierde aufzubewahren war beinahe, wie eine Blume in der Wohnung unter einer Glasglocke wachsen zu lassen.

Sie blätterte um, auf der Suche nach dem Jahr der Veröffentlichung, als ihr etwas in der linken oberen Ecke ins Auge fiel. Eine Adresse, in säuberlicher, leicht verschnörkelter Handschrift geschrieben und ebenfalls verblasst, aber trotzdem noch lesbar: Agatha Sperlich, Thomaestraße 22, 6200 Wiesbaden.

Überrascht fuhr sie mit dem Finger über die vor langer Zeit getrocknete Tinte. Agatha Sperlich musste das Buch vor sehr langer Zeit gekauft oder geschenkt bekommen haben. Wann waren die Postleitzahlen von vier auf fünf Ziffern umgestellt worden? Irgendwann in den frühen Neunzigerjahren. Und überhaupt, wer schrieb denn heutzutage noch seine Adresse in Bücher? Ihre Oma hatte das gemacht, als Laura noch klein gewesen war. »Bücher sind wertvoll, Schätzchen. Falls mal eines verloren geht, weiß der Finder, wo er es abgeben muss.«

Das Buch über Indien und seine Tees musste Agatha Sperlich viel bedeutet haben. Oder sie war jemand mit strengen Grundsätzen und schrieb ihre Adresse in Bücher, weil sie es schon immer so gemacht hatte. Interessant war auch, dass sie ein englisches Buch gekauft hatte.

»Agatha«, murmelte sie. In ihren Ohren hatte der Name einen extravaganten Klang. Eine Agatha war keine kleine, gebeugte Frau, sondern eine Dame mit erhobenem Kinn, edler Haltung und einem Blick, der Feinden das Fürchten lehrte. Jemand, der sein Eigentum als solches kennzeichnete und eines Tages auf die Idee kam, es auszusortieren und in den örtlichen Bücherschrank zu stellen. Ob sie sich daran erinnerte, dass sie ihre Adresse hineingeschrieben hatte? Oder war es ihr womöglich gleichgültig? Das Bewusstsein von Datenschutz war schließlich nicht in allen Generationen gleich stark ausgeprägt. Laura schmunzelte und schlug das Inhaltsverzeichnis auf, das mit weiteren Bildern angereichert war: eine Teeplantage, Flechtkörbe voller Anis, Safran, Zimt, Nelken und Kardamom, wunderschöne weiße Blüten in einem Meer aus Grün, zwei lachende Menschen, die Blätter in den Händen hielten. Fast konnte Laura die Aromen riechen und die zarte Beschaffenheit der Pflanzen unter ihren Fingern spüren, und auf einmal wünschte sie sich zurück in ihre Küche. Die vergangenen Wochen waren so vollgepackt gewesen mit Arbeit und Umzug, dass sie kaum dazu gekommen war, sich um ihr liebstes Hobby zu kümmern. Gut, sie hatte die Tees für ihre Kollegen gemischt, aber das hatte nur wenige Minuten gedauert, weil sie die Zutaten bereits getrocknet besaß und die Zusammenstellung zu ihrem Standardrepertoire gehörte. Sich dagegen Zeit zu nehmen, jedes Vorratsglas zu öffnen, um ausgiebig daran zu schnuppern und sich zu überlegen, welche Kräuter gut miteinander harmonierten, etwas Neues zu schaffen – das vermisste sie.

Indien hatte Laura noch nie besucht. Sie las den ersten Abschnitt des Vorworts und erfuhr, dass es das größte Land in Südasien und voller Gegensätze war: auf der einen Seite die facettenreiche, exotisch-bunte Kultur, der Hinduismus mit seinen Bauwerken sowie die Gastfreundschaft der Bewohner, auf der anderen dagegen die Überbevölkerung, eine marode Infrastruktur und daraus resultierende Probleme. Dennoch bereisten jährlich unzählige Touristen den Subkontinent mit seinen palmgesäumten Flüssen und dem weltberühmten Taj Mahal.

Laura blätterte weiter und spürte das Alter des Papiers unter ihren Fingern, als hätte es jemand angeraut und dann wieder glatt geschliffen, bis es dünner war als zuvor. Die Fotodrucke, vermutlich einst Hochglanz, schimmerten matt. Einige Seiten später strahlte ihr eine Blumenpracht entgegen, die auch die vielen Jahre nicht trüben konnten. Die Fotos zeigten Orchideen in so wunderbaren Farben, dass Laura unwillkürlich lächeln musste. Unzählige Rosa- und Violetttöne, gelbrote, weiße oder zart orangefarbene Blüten, gefleckt, gemasert, gestreift. Über sechshundert Arten, so verriet die Bildunterschrift, ließen sich am Sonnentempel von Konark bewundern.

»Entschuldigen Sie?« Überrascht blickte sie auf: Vor ihr stand der Schaffner. Sie hatte ihn weder kommen sehen noch bemerkt, dass er bereits die Fahrgäste vor ihr kontrolliert hatte. »Die Fahrkarte bitte.«

»Einen Moment.« Hastig schlug Laura das Buch zu, legte es auf den Sitz neben sich und kramte in ihrer Handtasche. Sie zog ihr Handy hervor, öffnete das Ticket in der App und hielt es dem Mann mit einem Lächeln entgegen. Der warf einen Blick darauf, nickte und scannte es. »Vielen Dank. Und hier«, sein Kopf verschwand, als er etwas vom Boden aufhob, »das haben Sie verloren.«

Verwirrt musterte Laura die Fotografie in seinen Händen. »Das ist nicht meins.«

Seine buschigen Brauen hoben sich. »Es ist eben aus Ihrem Buch gerutscht.«

»Oh.« Zögernd griff sie nach dem Foto und nickte. »Vielen Dank.«

Aber er hatte sich bereits zum nächsten Fahrgast umgedreht. »Die Fahrkarten, bitte.« Derselbe Spruch in höflichem Ton trat in den Hintergrund, als sie die Schwarz-Weiß-Fotografie betrachtete, deren Ränder gewellt und gelblich verfärbt waren: Ein Mann in beigefarbenem Hemd und einer geringfügig dunkleren Hose blickte an der Kamera vorbei zum Himmel, als hätte er dort etwas Faszinierendes entdeckt. Die dunklen Augen schimmerten, das ebenfalls dunkle Haar war zur Seite gekämmt. Er hatte energische Augenbrauen und schmale, aber freundliche Lippen in einem sanften Gesicht. Vermutlich war er nur einige Jahre jünger als sie selbst, aber das war schwer abzuschätzen. Laura betrachtete die Augen genauer. In ihnen lag ein Ausdruck, als hätte der Mann schon mehr erlebt, als sein Alter vermuten ließ. Aber da war auch die Hoffnung auf eine Zukunft, so groß, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen war. Diese Mischung aus Entschlossenheit, Stolz, Träumerei und Erfahrung hatte Laura noch nicht oft gesehen. Sie drehte das Foto um, doch zu ihrer Enttäuschung war die Rückseite leer.

Vorsichtig legte sie es beiseite, nahm noch einmal das Buch zur Hand und blätterte es durch, aber sie fand nichts. Weder ein weiteres Foto noch handschriftliche Einträge. Also schlug sie es noch einmal ganz vorn auf und sah zwischen der Adresse und dem Bild hin und her. Ein vermutlich indischer Mann aus der Vergangenheit – aus welcher Zeit mochte das Foto stammen? Aus den Vierzigerjahren, vielleicht auch den Fünfzigern? Und Agatha Sperlich aus Wiesbaden? Ob sie den Mann gekannt hatte? War Agatha gar nach Indien gereist und hatte den Band dort gekauft? Aber warum würde sie ein Buch samt einer solchen Erinnerung in einen Bücherschrank stellen?

»Wer bist du?«, murmelte Laura und drehte das Foto noch einmal um, als hätten sich dort in der Zwischenzeit wie von Zauberhand Buchstaben gebildet. Der Zug fuhr langsamer, und der nächste Bahnhof wurde angesagt. Laura lehnte sich zurück und schloss die Augen.

2

Der Regen machte ihr kaum etwas aus, mit ihm hatte sie gerechnet. Weniger schön war, dass Oliver schon vor zwanzig Minuten hätte hier sein sollen.

Laura wusste nicht, wie oft sie bereits auf ihr Handy gesehen hatte. Ihre letzte Nachricht – Ich bin da und stehe am Ausgang Ottenser Hauptstraße – hatte er nicht einmal gelesen. Aber sicher gab es einen guten Grund für die Verspätung, und irgendwann würden sie über diese zwanzig Minuten lachen, die sie am Bahnhofseingang gefroren hatte.

Fünfundzwanzig.

Sie zog ihr Halstuch ein Stück in die Höhe, sah noch einmal auf ihr Handy und wandte sich um. Länger warten oder sich in ein Café setzen?

»Laura!«

Laura kniff die Augen zusammen und erkannte seine Silhouette hinter den Silberfäden des Regens, die das Dunkel mit verhaltenem Rauschen durchschnitten. Sie ließ den Griff ihres Rollkoffers los, lief Oliver entgegen und schmiegte sich kurz darauf in seine Arme. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«

Oliver lachte leise und drückte sie an sich, ließ sie jedoch augenblicklich wieder los. Es war auf eine schöne Weise seltsam, dieses vertraute Gesicht in der Fremde. Seine dunklen Haare glänzten vor Nässe. Oliver schüttelte sich und fuhr mit der Hand über seine Stirn, wie er es immer nach dem Duschen tat. Langgliedrige Finger, von denen Laura regelmäßig dachte, dass sie einem Künstler gehören sollten. »Na komm, gehen wir, ehe wir beide patschnass sind.«

Die Fahrt mit dem Taxi in die Arnoldstraße dauerte knapp zwanzig Minuten. Während Oliver bezahlte, stieg Laura aus und musterte das fünfstöckige Gebäude mit der rot-weißen Ziegelfassade, das sie nur einmal zuvor bei ihrer Wohnungsbesichtigung gesehen hatte. An die zwei winzigen, von Hecken gesäumten Rasenstücke vor dem Haus hatte sie sich schon gar nicht mehr erinnert. Der Baum auf dem Linken hatte bereits einen Großteil seiner Blätter verloren, die nun auf Rasen und Gehweg klebten.

»Laura, kommst du? Der Regen wird stärker.« Olivers Stimme klang ungeduldig und wurde vom Klimpern des Schlüssels begleitet.

Laura betrat das Treppenhaus mit den Briefkästen zur Linken, der breiten Treppe, dem Flur in Mintgrün und dem schönen Bogenfenster im Hochparterre. Auf einer großen Abstellfläche reihten sich Kinderwagen aneinander.

»Und?« Sie deutete darauf. »Ist davon irgendwas zu hören oder sind die Wände dick?«

Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Wenn ich nach Hause komme, ist es spät, und wenn ich im Bett liege, schlafe ich meist schnell ein.«

Sie strich ihm mitfühlend über die Schulter. »Na, dann hoffe ich mal, dass du heute Abend etwas länger wach bleibst«, sagte sie. Sie waren im Bett miteinander niemals wild und unersättlich gewesen, aber sie hatte ihn vermisst und sehnte sich danach, seinen Körper zu spüren.

Oliver hob ihren Rollkoffer mit einer beiläufigen Geste hoch und hielt ihr den Schlüssel entgegen. »Nach Ihnen, Frau Nicolai. Vierter Stock!«

»Ich weiß!« Sie joggte die Treppen nach oben und blieb kurz darauf stehen. Drei Türen, nur eine davon ohne Fußmatte. Selbst wenn sie mit ihren restlichen Sachen nachkommen würde, mussten sie noch eine Menge kaufen, um alles gemütlich einzurichten. Vieles hatten sie ausrangiert, zurückgelassen oder verschenkt, weil es nicht mehr in ihr Leben passte. Laura schloss die Tür auf und trat in die kleine Diele, die mit Kartons, wenigen Schuhpaaren und einem Tischchen zugestellt war.

»Ich bin noch nicht dazugekommen, alles einzuräumen«, sagte Oliver hinter ihr. Er fasste sie an einer Schulter, drückte ihr einen Kuss auf das nasse Haar in ihrem Nacken und schob sie weiter.

»Hey, warte. Das schöne Parkett.« Laura schlüpfte aus ihren Schuhen, die bereits eine feuchte Spur auf dem Boden hinterlassen hatten, und ging ins Wohnzimmer. Für Hamburger Verhältnisse war es höchstwahrscheinlich riesig, die Zimmerdecke schwebte weit über ihnen, und die zwei hohen, schmalen Fenster würden am Tag genügend Licht einlassen. Von der Diele aus zweigten weitere Türen ab – links zur Küche, von der aus man den Balkon erreichte, und rechts in das Arbeits- sowie das Schlafzimmer, hinter dem sich das Bad befand. Die Wände waren weiß, an der Decke zog sich Stuckverzierung entlang, und den Boden hatte der Vermieter kurz vor ihrem Einzug neu schleifen und ölen lassen. Ihre Sofalandschaft sowie das Sideboard strahlten mit ihren klaren Formen und kühlen Farben Modernität aus. Laura musste an das Buch über Tee in Indien denken und fragte sich, wie es wohl in der Wohnung von Agatha Sperlich aussah. Vermutlich war der Kontrast zu dieser hier immens.

»Wow«, sagte sie, obwohl sie sich nicht wow fühlte. Sie fühlte sich gut, nicht überwältigt, aber das lag vermutlich an der Zugfahrt. »Es ist alles noch etwas nackt, aber wenn wir die Bilder aufhängen, die Deko aus den Kartons holen und ein paar Pflanzen kaufen, wird es sicher richtig gemütlich.«

Er nickte. »Die Kartons stehen im Schlafzimmer.«

Laura legte ihre Handtasche auf dem Sofa ab. »Okay, vielleicht kommen wir ja morgen dazu, den einen oder anderen auszupacken. Aber ich finde, jetzt sollten wir erst einmal duschen«, sagte sie mit der zweideutigsten Stimme, zu der sie in der Lage war. O Gott, sie musste das wirklich üben.

Oliver trat auf sie zu und nahm sie in die Arme, verzog dabei aber das Gesicht. Das graue Hemd klebte an seinem Oberkörper. »Ich würde gern, aber ich muss dringend noch zwei Telefonate führen. Ein möglicher Deal für die Firma.« Ein Kuss auf die Nasenspitze, niedlich und harmlos, aber nicht verspielt, weil er bereits das Handy aus der Hosentasche zog.

Laura unterdrückte ein Seufzen und nickte. Sie hatten ja heute Abend noch genug Zeit. »Kein Problem, ich beeil mich. Sind Handtücher im Bad? Und Duschgel?«

»Ja, klar, alles da.« Er wandte sich ab, ließ sich auf das Sofa fallen und schien sogar die feuchten Klamotten zu vergessen, als er auf seinem Display herumwischte.

Kurz darauf schäumte sie sich die Haare ein und überlegte, was das Wochenende wohl bringen würde. Bei ihrem ersten Besuch war durch die Wohnungssuche keine Zeit geblieben, sich die Stadt näher anzusehen, aber das würden sie jetzt nachholen.

Sie drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Nachdem sie sich abgetrocknet und eingecremt hatte, frottierte sie ihre Haare, bis sie ihr feucht und leicht verwuschelt über die Schultern fielen. In diesem Stadium sahen sie immer viel voluminöser aus, als wenn sie nach dem Trocknen wieder zu ihrer üblichen feinen Glätte zurückkehrten. Sie schnupperte an ihrem Unterarm – ja, die neue Bodylotion roch wundervoll, frisch und ein wenig nach Zimt –, schlang sich das Badetuch wieder um den Körper, öffnete das Fenster einen Spalt und trat aus dem Bad.

Oliver war noch immer auf dem Sofa in sein Handy vertieft. Mittlerweile musste seine Kleidung fast wieder getrocknet sein. Laura trat neben ihn und wartete, bis er zu ihr aufblickte, dann ließ sie das Tuch bis zu ihren Hüften rutschen. Ihre Haut schimmerte durch den leichten Goldeffekt der Lotion in der gedimmten Zimmerbeleuchtung, und auf einmal fühlte sie sich so verführerisch wie selten.

Olivers Augen wurden groß. Er stand langsam auf, legte beide Hände auf ihre Schultern und strich mit dem Daumen sachte über die empfindliche Stelle zwischen Brüsten und Achselhöhlen. »Was wird das denn?«

Laura lächelte. »Ich denke, du solltest mir das Schlafzimmer genauer zeigen«, sagte sie und ließ das Badetuch noch ein Stück weiter rutschen.

In Olivers Augen blitzte es auf, und er legte seine Hände an ihre Taille. Dann griff er nach dem Badetuch und zog es mit einem entschuldigenden Blick wieder nach oben. »Sorry.«

Sie hätte mit einigem gerechnet – dass sie es nicht bis ins Schlafzimmer schaffen und stattdessen auf dem Sofa bleiben würden. Dass sie küssend übereinander herfielen und vor dem Bett über einen Karton stolperten. Oder allerhöchstens, dass auch er noch duschen wollte und sie ungeduldig auf ihn wartete. Aber nicht damit. »Sorry?«

Er zuckte die Schultern und schenkte ihr diesen zerknirschten Blick, der bei ihm niemals ganz echt wirkte, weil Oliver einfach nie zerknirscht war. Dafür wusste er stets zu genau, was er wollte. »Schatz, setz dich bitte. Es haben sich … Dinge ergeben, die du erfahren solltest.« Er deutete hinter sich, und bei seinem ernsten Gesichtsausdruck verflog die Restwärme der Dusche in Sekundenschnelle.

»Was ist los? Ist was passiert?«

»Nein. Doch. Ach verdammt, Laura. Lass es mich in Ruhe erklären.« Seine Stimme klang dunkel, als schleppte sich jedes Wort widerstrebend aus seiner Kehle. Spätestens jetzt war ihr klar, dass etwas nicht stimmte, und die Puzzleteilchen, die sie nach und nach versucht hatte zu ignorieren, setzten sich zusammen: sein Zuspätkommen am Bahnhof, die Wohnung, die noch immer aussah, als wäre er erst seit gestern hier, seine seltsame Zurückhaltung, obwohl sie sich so lange nicht gesehen hatten, all die Blicke auf sein Handy. Und jetzt das.

Er hat jemanden kennengelernt.

Der Gedanke war urplötzlich da, glasklar und so selbstverständlich, als hätte er nur darauf gewartet, endlich hervorbrechen zu dürfen. Aber nein, nicht Oliver und sie. Nach seinem Umzug hatte sie über die Vor- und Nachteile ihrer ungewohnten Trennung unter der Woche nachgedacht und das Klischee Fremdgehen weil Fernbeziehung sofort von sich geschoben.

Sie fasste das Badetuch und zog es enger um sich. Auf einmal fühlte sie sich so nackt, als wäre das Stück Frottee durchsichtig.

»Ich ziehe mich besser erst an.«

Er nickte lediglich.

Laura riss sich zusammen, schnappte sich ihren Rollkoffer und ging zurück ins Bad. Dort kramte sie ihre Sachen hervor und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Auf einmal störte sie die Unordnung darin, und sie angelte nach ihrer Bürste. Als die Frisur wie gewohnt glatt und in der Mitte gescheitelt war, betrachtete sie sich im Spiegel. Sie sah blass aus mit ihren hellen Haaren und der noch helleren Haut. Das Grau ihrer Augen hatte den Grünanteil beinahe verdrängt. Ihr Blick fiel auf ihre Unterwäsche. Zartviolette Spitze. Welch eine Verschwendung! Sie atmete tief durch. Besser, sie brachte es hinter sich.

Laura stieg in ihre dunkle Stretchjeans, schlüpfte in die dünnen Socken und zuletzt in die rote Seidenbluse. Hand an den Türgriff, noch einmal durchatmen und los.

Oliver stand am Fenster und wandte sich um, als sie zurück ins Wohnzimmer trat. Er hatte sich in der Zwischenzeit ebenfalls umgezogen, statt Jeans und grauem Hemd trug er nun eine dunkle Stoffhose mit schwarzem Oberteil. »Setz dich doch.«

»Nein, ich stehe lieber.«

»Okay. Also dann.« Er fuhr sich durch die Haare, die bereits getrocknet waren und kein weiteres Styling benötigten, um gut auszusehen. Darum hatte sie ihn schon immer ein wenig beneidet.

Laura sah sich um und lehnte sich schließlich an die Fensterbank, da sie ihre Hände nicht vor der Brust verschränken wollte, sie aber irgendwie beschäftigen musste. So konnte sie immerhin mit den Fingern den Granitstein bearbeiten oder mit der Kordel des Rollos spielen.

Oliver räusperte sich und lächelte sie an. So ehrlich und direkt, dass sie stutzte. Unangenehme Situationen machten ihm keinen Spaß. Er mied sie auch nicht gerade – er hielt nichts davon, Problemen aus dem Weg zu gehen, und beseitigte sie gerne, indem er mitten hineingrätschte –, aber das bedeutete nicht, dass ihm die Konfrontation gefiel.

»Ich will nicht lange drum herumreden. Es geht um den Job bei Gracovian Ltd. Meine Performance hat unseren Vice President schon in den ersten Tagen stark beeindruckt. Ihm haben meine Ideen zur Umgestaltung der Prozesse gefallen, also haben wir in den vergangenen Tagen öfter zusammengesessen.« Seine Stimme veränderte sich. Er klang stolz, und unter anderen Umständen wäre sie das auch gewesen. Stolz auf ihn. »Wir haben die Abteilung auf dem Papier neu strukturiert, und anschließend hat er mich gefragt, ob ich Interesse an einer anderen Position hätte als der, für die man mich eingestellt hat.«

Laura runzelte die Stirn. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Es geht hier um eine Position in deiner neuen Firma?«

»Ja. Um eine weit bessere.«

Ihr war, als würde die Schwerkraft plötzlich schwinden, und fast hätte sie laut aufgelacht. Wie hatte sie nur darauf kommen können, eine andere Frau wäre im Spiel? Sie schüttelte den Kopf. »Mensch, Oliver, warum hast du mir davon nicht sofort erzählt? Ich habe ernsthaft gedacht, du hast jemanden kennengelernt, eine andere Frau, und wolltest daher …« Sie hatte sogar Probleme, den Unsinn auszusprechen!

Er wirkte fassungslos. »Was, warum das denn? Wann sollte ich das denn getan haben? In den wenigen Stunden, die ich nicht in der Firma bin, schlafe ich oder esse oder dusche.«

Nun lachten sie beide. Laura stieß sich von der Fensterbank ab und ging langsam auf ihn zu. »Tut mir leid, Schatz. Du warst nur vorhin so komisch und hattest überhaupt kein Interesse an mir. Ich bin vorübergehende Fernbeziehungen eben nicht gewohnt.« Sie legte die Hände an seine Brust … und starrte verwundert auf seine, die sich um ihre Handgelenke schlossen, um sie von sich wegzudrücken.

»Das war noch nicht alles, Laura.«

Sie blinzelte. »Nicht?«

»Mein neuer Titel wäre Head of Project Management.«

»Das klingt doch super!«

»In San Francisco. Du erinnerst dich, die Firma hat Dependancen in Übersee.«

Nach seinen Worten folgte Stille, die eine seltsame Kühle mit sich brachte. In alten Filmen wäre jetzt ein donnernder Paukenschlag ertönt, und genauso fühlte sich Laura: als hätte jemand etwas besiegelt, an dem sie nicht mehr rütteln konnte. Egal, wie sehr sie sich anstrengte.

»San Francisco. Das ist … wie hast du reagiert?« Natürlich hatte er abgesagt. Vermutlich war er deshalb so ungehalten und abweisend – insgeheim machte er sie dafür verantwortlich, dass er diese Chance nicht ergriffen hatte. Oder sein Vice President versuchte noch immer, ihn zu überreden.

»Ich habe akzeptiert. Es musste schnell gehen. Auf die Position sind einige Leute scharf, und ich hatte nicht allzu viel Bedenkzeit.« Er sah auf seine Hände, die noch immer ihre Gelenke umschlossen, und ließ sie los.

Durch Lauras Kopf schossen Puzzlestücke seiner Aussagen und mischten sich mit ihren Gedanken.

»Laura?« Olivers Finger berührten federleicht ihren Arm. »Schließ mich jetzt nicht aus.«

Ihn nicht ausschließen? Was tat er denn – beziehungsweise was hatte er bereits getan? »Du hast einen Job in San Francisco angenommen?« Die Worte fühlten sich seltsam auf ihrer Zunge an.

»Ja. Bereits zum nächsten Monat, die Firma kommt für sämtliche Kosten auf und kümmert sich um das Visum.« Er meinte es ernst.

»Wie …« Sie räusperte sich. »Wie lange wirst du bleiben?«

»Ich werde nicht pendeln. Ich ziehe ganz dort hin.« Kurze Pause. »Du kannst natürlich mitkommen. Ich würde angeben, dass meine Partnerin mich begleitet, dann bekommen wir eine größere Wohnung.«

Was erzählte er da? Laura rieb sich über die Stirn. »Mitkommen? Wie stellst du dir das vor? Du weißt doch, dass ich bald bei ProdScale anfange.«

»Ja.« Er zuckte die Schultern. »Ja«, sagte er dann noch einmal leise, als spräche er mit sich selbst.

»Weil wir geplant haben, zusammen nach Hamburg zu gehen. Du erinnerst dich?« Allmählich fand sie ihre Stimme wieder, und sie klang erstaunlich wütend. »Wir haben diese Wohnung gemietet, und ich habe in Wiesbaden gekündigt und mir hier etwas Neues gesucht, weil das unser gemeinsamer Plan war. Gemeinsamer Plan. Vielleicht erinnerst du dich nämlich auch, dass Hamburg nicht mein Wunschziel war.« Sie betonte jede Silbe.

»Aber es kann doch noch immer unser gemeinsamer Plan sein.« Er klang nicht einmal, als ob sie ihm wichtig wäre, sondern als würde diese Diskussion seine Zeit kosten. »Indem du …«

»Indem ich was? Dir nach San Francisco folge und hin und wieder nach Hause fliege, da ich dort keinen Job habe und das Land regelmäßig verlassen muss?«

»Quatsch. Mensch, Laura, natürlich suchst du dir dort auch etwas Neues.«

»Aber ich habe etwas Neues! Und davon abgesehen will ich auch nicht in den USA leben. Warum …« Sie war so fassungslos, dass ihr die Worte fehlten und sie einen zweiten Anlauf benötigte. »Warum hast du mich denn vorher nicht mal gefragt?«

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich schnell entscheiden musste. Da blieb keine Zeit.«

»Keine Zeit, um mich kurz anzurufen?«

»Ach komm schon! Du weißt doch genau, dass du über solche Dinge immer erst eine Nacht schlafen musst. Du bist da nicht so spontan, wie man einfach manchmal sein sollte, wenn man gute Chancen ergreifen will.«

Allmählich mischte sich Enttäuschung in die Fassungslosigkeit, als würde jemand Farbe in ein Wasserglas tropfen, die sich zu stetig dünner werdenden Schlieren zog. »Oliver. Du glaubst, dass du keinen Tag hättest herausschlagen können, wenn unsere gemeinsame Zukunft davon abhängt?«

Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Ich wollte es dir nicht so sagen, aber ich habe durchaus über die ganze Sache nachgedacht. Nicht über Nacht, aber zwischen den Meetings. Vor allem habe ich mir die Frage gestellt, was ich eher bereit bin aufzugeben, Laura. Unsere Beziehung, falls du nicht mit nach Kalifornien gehen willst, oder diese unglaubliche Chance.« Er presste die Lippen aufeinander. »Es tut mir wirklich, wirklich leid. Du und ich, das bedeutet mir sehr viel, aber du weißt auch, wie wichtig mir meine Arbeit ist und dass so ein Angebot vielleicht nur einmal im Leben kommt. Ich möchte nicht irgendwann in einer kleinen Firma sitzen und mich fragen, was ich alles hätte erreichen können und wo ich sein könnte.«

Irgendwo in Lauras Magen zog sich etwas zusammen und schickte unangenehme Vibrationen durch ihren Körper. Sie kämpfte eisern gegen den Drang, die Hände vor ihren Bauch zu pressen. Oliver hatte sie tief getroffen, und sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr. Sie blinzelte, wobei sie in Gedanken langsam zählte.

Drei. Fünf. Zwölf.

»Der Job ist dir also wichtiger als unsere Beziehung. Als ich.« Sie war froh, dass ihre Stimme nicht zitterte. Auf einmal war er nicht mehr ihr Vertrauter – im Gegenteil, fast fühlte es sich an, als stünde sie einem Feind gegenüber. Weil er sie gerade so unglaublich verletzt hatte.

Oliver holte Luft, dann entspannte sich seine Stirn, und er schüttelte sanft den Kopf. »Ach komm schon. Das ist bei dir doch nicht anders.«

»Das ist nicht wahr!«

»Ist es nicht?« Er seufzte. »Ich weiß, wie wichtig dir deine Karriere ist. Deshalb sind wir doch ein so gutes Team. Weil wir verstehen, wenn der andere mal länger macht oder kein Interesse an einem stinknormalen 9-bis-5-Job hat. Als ich dich kennengelernt habe, wolltest du immer weiter und niemals auf der Stelle stehen. Und das war so verdammt sexy.«

Sie brauchte eine Weile, bis sie begriff. »Du hast dich in mich verliebt, weil ich ehrgeizig bin?«

»Unter anderem, ja. Weil ich doch genauso bin. Wir denken gleich. Daher … na ja, ich habe geglaubt, wenn jemand meine Entscheidung versteht, dann du.« Seine dunklen Augen blickten wachsam. Sie würde die gesamte Nacht mit ihm diskutieren können, er würde nicht von seinem Standpunkt abweichen und auch keine andere Meinung akzeptieren. Wie konnte sie ihm erklären, was sie dachte? Erst einmal musste sie selbst klarkommen mit dieser Mischung aus Aufgebrachtheit und dumpfer Leere.

»Ich hätte uns gewählt«, sagte sie schließlich. »Oder ich hätte Zeit ausgehandelt. Wenn mich jemand unbedingt haben will, dann wartet er ein paar Tage. In denen hättest du mit mir reden können.«

»Und dann?« Nun hatte seine Mimik etwas Trauriges. »Versteh mich doch, Laura. Ich habe die Entscheidung allein getroffen, weil ich wusste, du würdest es nicht können.« Sein Handy meldete sich mit einem Signalton, und er warf einen Blick auf die eingegangene Nachricht. »Tut mir leid, aber die Führungskräfte der Firma treffen sich heute Abend in einer Bar, und es ist …« Immerhin hatte er jetzt den Anstand, den Blick zu senken.

»Es ist wichtig«, beendete sie den Satz tonlos. »Ich verstehe. Viel Spaß.« Jede Silbe war ein Kampf.

Er zögerte, dann wandte er sich ab. Seine Bewegungen waren langsam – die Schritte, der Griff zur Jacke, dann zum Handy und Portemonnaie –, als wartete er darauf, dass sie noch etwas sagte. Aber welche Worte blieben noch, wenn ihm selbst jetzt dieses Treffen in einer Bar wichtiger war, als zu reden? Laura versuchte, das dumpfe Pochen hinter ihren Schläfen zu ignorieren. Gleichzeitig schluckte sie, weil es in ihrer Kehle kratzte. Jedes Mal tat es weh und trieb ihr die Tränen in die Augen, aber sie wollte nicht weinen. Also kämpfte sie weiter gegen diesen Druck an, während Oliver mit schweren Schritten in Richtung Diele ging. »Es tut mir leid, Laura. Wirklich.«

Kurz darauf – oder viel später? – fiel die Tür ins Schloss. Die Stille war tiefer, als wenn Oliver einfach nur schweigen würde, fast so, als könnte sie spüren, ob sich außer ihr noch jemand in der Wohnung befand. In diesem Moment hätte sie der einzige Mensch in Hamburg sein können. Zumindest war sie der einsamste.

Ihre Wangen waren feucht. Sie tastete, fand Tränen, und dann brach etwas in ihr. Mit einem Schluchzen ließ sie sich auf das Sofa fallen. Oliver hatte eine Entscheidung getroffen, und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass kein Argument der Welt ihn umstimmen konnte. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Tränen flossen stärker, und dann weinte sie so ungehemmt, dass es sie schüttelte. Niemals zuvor hatte sie sich so hilflos gefühlt. Es war, als hätte sich unter ihr ein Abgrund aufgetan, und so sehr sie es auch versuchte, sie fand nichts, woran sie sich festhalten konnte. Dies war nicht der Moment des Fallens, sondern der kurz davor, in dem das Entsetzen über ihr zusammenschlug.

Sie presste die Hände vor das Gesicht, vor ihren Bauch, wollte die Tränen stoppen und gleichzeitig den Schmerz. Nach einer schrecklichen Ewigkeit ebbte diese Welle ab. Lauras Bauch tat weh, ihr Kopf dröhnte, und die Augen brannten. Einzig der Gedanke, dass Oliver zurückkommen und sie so finden könnte, verlieh ihr einen winzigen Energieschub. Er genügte, um sich aufzurichten, die wirren Haare aus dem Gesicht zu streichen und ins Bad zu gehen. Dort drehte sie den Wasserhahn auf und ließ den Strahl erst über ihre Handgelenke laufen, dann in die hohlen Hände, um ihr Gesicht zu benetzen. Nachdem sie das mehrmals wiederholt hatte, richtete sie sich auf und starrte in den Spiegel.

Natürlich sah sie grauenhaft aus. Jedes Topmodel der Welt hätte in einem solchen Moment so ausgesehen. Sie trocknete sich das Gesicht ab, ging zurück ins Wohnzimmer und blieb stehen. Ihr Blick glitt durch den Raum und über die Möbel, die ihr plötzlich so fremd schienen. Als sich ihr Handy meldete, fuhr sie zusammen. Ihr Herz schlug schneller, aus Hoffnung und Furcht zugleich. Oliver. Er wollte reden. Die Frage war nur, ob er auch bereit war, gemeinsam eine Lösung zu finden.

»Das wirst du nie erfahren, wenn du nicht rangehst«, murmelte sie, nahm ihre Handtasche und zog es heraus. Der Blick auf das Display ließ das bisschen Hoffnung, das sie gerade gefasst hatte, in sich zusammenstürzen. Es war Maja. Ihre kleine Schwester besaß das Talent, sich zu den ungünstigsten Gelegenheiten zu melden. Sie hatte beispielsweise genau in dem Moment bei Marina durchgeklingelt, als deren Wehen eingesetzt hatten, oder bei ihrem Freund, nachdem er beim Ausparken in ein anderes Auto gefahren war. Laura wollte sie schon wegdrücken, überlegte es sich dann aber anders.

»Hallo.«

»Hey Große, bist du schon in Hamburg?«

Die Stille in der Leitung erinnerte Laura an den Moment, nachdem Oliver gegangen war.

Maja räusperte sich. »Was ist denn passiert?«

»Wie kommst du darauf, dass etwas passiert ist?« Lauras Stimme klang fast normal.

»Weil du dich schrecklich anhörst.«

»Ich hab doch nur hallo gesagt.«

»Ja, aber das reicht mir doch, um so etwas zu merken.« Ihre kleine, süße Schwester! Ihr stiegen erneut die Tränen in die Augen. »Laura, erzähl mir, was los ist. Geht es Oliver gut? Ist jemand krank?«

Sie atmete tief durch. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Und, ja, ich bin in Hamburg. Oliver ist gerade gegangen, und ich bin nicht sicher, ob wir noch zusammen sind.« Ihre Worte reihten sich ohne Pause aneinander.

»Okay«, sagte Maja, als hätte sie ihr etwas vollkommen Alltägliches erzählt. »Verstehe. Sitzt du?«

»Nein. Es geht schon.«

»Du hast geweint, Laura, das höre ich doch. Und du musst bei mir nicht die Starke spielen. Komm, setz dich, und dann erzähl mir genau, was passiert ist.«

Majas Stimme war so sanft, dass Laura nicht einmal protestierte. Sie nahm wieder auf dem Sofa Platz und erzählte, was geschehen war – angefangen mit Olivers Zuspätkommen am Bahnhof bis zu der Tatsache, dass er nach seiner Neuigkeit allein die Wohnung verlassen hatte.

»Wenn er nicht mal geblieben ist, um dich nach dem Schock zu trösten oder auch nur mit dir zu reden, dann klingt es, als wäre die Beziehung für ihn definitiv vorbei, ja«, sagte Maja. »Es sei denn, du würdest mit ihm nach San Francisco gehen. Schöne Stadt, aber nur für den Urlaub. Versteh mich nicht falsch, aber ich würde nicht in die USA ziehen wollen.«

»Ich doch auch nicht«, sagte Laura und lehnte den Kopf zurück in die Kissen. »Und selbst wenn ich es tun würde – wie sollte das denn funktionieren? Jetzt weiß ich schließlich, wie wenig ich ihm wert bin. Für ihn bin ich nichts weiter als ein Anhängsel. Und ich habe es nie gemerkt.«

»Es tut mir so leid, Laura.«

»Schon in Ordnung«, flüsterte sie.

»Nein, das ist es nicht. Der Mann hat einen Karrierekoller. Er war in der Hinsicht schon immer ein ganzes Stück schlimmer als du, aber das jetzt, dafür habe ich keine Worte.«

Laura versuchte ein Lächeln. Ihre Mundwinkel zitterten. »Ich auch nicht.«

»Gibt es heute Abend denn noch einen Zug zurück nach Wiesbaden? Du kannst auf keinen Fall dort bleiben, das zieht dich nur runter. Es sei denn, du siehst noch eine Chance für euch.«

Auf einmal war es so still in der Leitung, als hielten sie beide den Atem an.

»Siehst du denn noch eine, Süße?«

Das Schlimmste an dieser Frage war, dass sie nicht darüber nachdenken musste. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie brauchte mehrere Anläufe, bis sie das Wort wirklich herausbrachte.

»Nein.« Nun liefen die Tränen wieder. »Das ist es ja. Ich wusste schon vorhin, als er es mir erzählt hat, dass ich nicht mehr kämpfen muss, weil es nichts zu gewinnen gibt. Als hätte ich all das schon lange geahnt. Aber das habe ich nicht.« Die Tränen kitzelten ihre Oberlippe. Verärgert wischte sie sie weg.

»Laura?«

»Ja?«

»Wenn du wirklich keine Zukunft für euch siehst, dann quäl dich nicht länger. Und das tust du, wenn du allein in einer fremden Stadt sitzt und darauf wartest, dass er zurückkommt, um dir noch einmal wehzutun.«

Natürlich hatte ihre Schwester recht. Mit allem. Sie würde kein weiteres Gespräch ertragen, in dem er ihr deutlich machte, dass ihre gemeinsame Zeit abgelaufen war, es sei denn, sie gab ihr eigenes Leben auf. »Du hast recht. Ich suche mir eine Verbindung raus. Ich hoffe, ich muss nicht stundenlang an irgendeinem Bahnhof warten.«

»So wie ich dich kenne, hast du ein Buch dabei«, versuchte Maja, sie aufzuheitern.

»Sogar zwei. Aus dem Bücherschrank bei uns in der Nähe.«

»Na dann los. Ruf mich an, wenn du abfährst, und gern auch heute Nacht, wenn es dir in irgendeinem Zug oder an einem Bahnhof unheimlich ist, hörst du?«

»Mache ich.« Laura atmete tief durch. »Danke, Kleine.«

»Hab dich lieb. Bis später.« Und schon hatte sie aufgelegt.

Kaum hatte sie eine Aufgabe, ging es ihr besser. Maja hatte recht, sie musste zurück nach Hause, und zwar noch heute. Sie sollte sich jetzt um sich selbst kümmern, und das war hier nicht möglich. Also nahm sie ihr Handy, öffnete die App der Bahn und suchte nach der nächstmöglichen Fahrgelegenheit, mit der sie Hamburg und all seine Tragödien hinter sich lassen konnte.

3

»Du meine Güte.« Lauras Mutter beäugte mit einer guten Portion Misstrauen die weißen Schälchen, die ihre Tochter auf dem Küchentisch aufgereiht hatte, sowie den Mörser daneben. »Was wird das denn nun? Und wonach riecht es denn hier schon wieder?« Sie rümpfte die Nase.

Laura schmunzelte. »Zimt, Kardamom, Nelken, Ingwer, schwarzer Pfeffer, Anis und Fenchel. Das mische ich alles mit schwarzem Tee, und dann wird es mit Milch aufgekocht.«

Dora Nicolai wedelte vor ihrem Gesicht herum und ging zur Spüle. »Lass mich damit bloß in Ruhe. Wir sind doch hier nicht irgendwo in der Steppe.«

»Indien, Mama. Der Tee nennt sich Masala Chai, und es gibt verschiedene Rezeptzusammenstellungen. Dieses hier habe ich aus dem Buch aus dem Bücherschrank.«

Ihre Mutter wusch sich die Hände, an denen Erde klebte. »Und wofür brauchst du das? Dein Vater würde sich bedanken, wenn ich ihm so was vorsetzen würde.«

»Du kannst nachher gern mal probieren. Und dazu könnte ich etwas Schönes kochen, quasi als Reise in ein anderes Land. Curry beispielweise.«

»Das kannst du gern tun, aber dann musst du es wohl allein essen. Wir gehen zum Petermann.« Das war die Art ihrer Mutter zu sagen, dass sie aus der Küche flüchten würde, sollten sich noch weitere seltsame Dinge darin ereignen, mit denen sie nichts anzufangen wusste. Petermann war das Gasthaus in der nahe gelegenen Schrebergartenkolonie und bot gutbürgerliche Küche. Das Essen war gar nicht mal so übel und die Speisekarte noch immer dieselbe wie vor zwanzig Jahren. Man wusste also, was man bekam.

Ihre Mutter betrachtete noch einmal den Tisch sowie das Regal in der Ecke, in dem sie Platz für Lauras Gläser mit getrockneten Kräutern und Gewürzen gemacht hatte, legte eine Hand auf die Schulter ihrer Tochter und verschwand.

Laura blickte ihr nach und machte sich wieder an die Arbeit. Majas Idee, ein paar Tage bei ihren Eltern zu bleiben, statt allein in ihrer halb leeren Wohnung zu hocken, in der sie so viel an Oliver erinnerte, hatte sich als goldrichtig herausgestellt. Sie brauchte eine Auszeit, um Energie zu tanken und den Kopf freizubekommen. Selbst das ewige Geplänkel mit ihrer Mutter trug dazu bei, dass sie sich besser fühlte. Hier warteten keine bösen Überraschungen auf sie, und mit allem anderen kam sie schon klar. In der Firma hatte sie einen Teil ihres Resturlaubs umgelegt, sodass fast eine ganze freie Woche auf sie wartete. Neben dem normalen Gepäck hatte sie all ihre Pflanzen nach Bensheim gebracht – zum einen konnte sie sich hier um sie kümmern und sich zum anderen endlich wieder ausgiebig ihrem Hobby widmen. Es lenkte sie ab.

Sie berührte die rosafarbenen Dolden des wilden Majorans, der in diesem Jahr sehr lange und spät blühte, beugte sich darüber und schnupperte. Das Aroma war in den vergangenen Wochen bereits schwächer geworden und zeigte sich eher verhalten.

In den vergangenen Wochen.

Als sie merkte, dass ihre Gedanken wieder abzudriften drohten, schaltete sie die elektrische Waage ein und maß die Zutaten für den Chai ab. Der Duft der Gewürze war so anregend, dass sie die Augen schloss und sich die Landschaften vorstellte, die sie im Buch gesehen hatte. Sie war noch nie in Indien gewesen, aber diese Mischung brachte sie ganz nah heran. Fast glaubte sie, fremde Stimmen zu hören oder Bauwerke mit Blumenreliefs und Marmorinkrustationen zu sehen, die hoch in einen klaren blauen Himmel ragten. Es war faszinierend, wie sehr Aromen und Gerüche die Vorstellungskraft beflügelten.

Energisches Hupen riss sie aus ihren Tagträumen. Überrascht wandte sie sich um und sah aus dem Fenster. Ein Taxi hielt vor dem Haus. Aber normalerweise hupten Taxifahrer doch nicht? Die Beifahrertür des Wagens öffnete sich. Zuerst tat sich nichts, aber dann leuchtete Danicas blonder Haarschopf auf. Laura stellte den Mörser ab, lief zur Haustür und öffnete sie. »Was tust du denn hier?«

Dani winkte dem Fahrer, der daraufhin mit einem vollendeten Rückwärtssprint anfuhr und dem Geräusch zufolge an der nächsten T-Kreuzung ordentlich Gas gab. In der Zwischenzeit hatte Dani beinahe die Tür erreicht. »Überraschung«, rief sie und grinste breit. »Ich hab dem Fahrer extra Trinkgeld versprochen, wenn er für den Showeffekt meine Ankunft standesgemäß ankündigt, und jetzt bedauere ich ein wenig, dass ich nicht gefragt hab, was er für ein richtig großes Trinkgeld machen würde.«

Laura schüttelte den Kopf. »Du bist unmöglich. Komm rein.«

In der Küche klapperte es, dann ließ sich Dani auf die Holzbank fallen und beäugte die Schälchen auf dem Tisch. »Kaum lässt man dich allein, schon machst du tolles Zeug.« Augenblicklich sah sie erschrocken auf. »Tut mir leid, so war das mit dem Alleinlassen nicht gemeint. Manchmal rede ich einfach, ehe ich nachdenke.«

Laura ignorierte den leisen Stich in der Magengegend und winkte ab. »Nicht schlimm.«

Oliver hatte seit ihrer Abreise nicht angerufen und nur eine knappe, unpersönliche Nachricht geschickt. Sie fragte sich, ob er ihr Zeit geben wollte oder ob es das von seiner Seite aus gewesen war. So kannte sie ihn nicht. Der Mensch, mit dem sie in den vergangenen Jahren zusammengelebt hatte, war innerhalb eines Abends zu einem Fremden geworden. Zwar geisterten er und das letzte Gespräch mit ihm jeden Tag durch ihren Kopf, aber mittlerweile konnte sie die Erinnerungen zumindest zwischenzeitlich in den Hintergrund schieben. Lediglich abends, wenn sie im Bett lag und hoffte, schnell einzuschlafen, kehrten sie in voller Pracht zurück und brachten Fragen und Zweifel mit sich.

»Nicht schlimm? Ehrlich?« Dani beugte sich vor und musterte sie eingehend. »Du siehst nicht einmal sauer aus.«

»Das bin ich auch nicht. Glaube ich zumindest.«

»Aber warum? Sogar ich bin sauer auf deinen Ex.«

Deinen Ex. Bisher hatte sie es nicht laut ausgesprochen, und es versetzte ihr noch immer einen Stich. Aber es war längst nicht so schlimm wie an dem Abend, als sie unter Tränen in den Zug gestiegen war. »Vielleicht bin ich es auch noch«, sagte sie, zog sich einen Stuhl zurück und ließ sich darauffallen. »Ich weiß es nicht. Bisher fahre ich ganz gut damit, mich abzulenken. Ich muss nicht andauernd an ihn denken oder daran, dass er mich nicht genug geliebt hat, um in Deutschland zu bleiben. Das genügt mir für den Moment.«

Dani nickte fast schon grimmig. »Falls du Dampf ablassen willst: Dafür bin ich jetzt da. Du kannst mir alles sagen, was dir durch den Kopf geht, und wenn es die schlimmsten Beschimpfungen sind, die ich jemals gehört habe.«

Laura zuckte die Schultern. »Das ist ja das Seltsame. Mir fallen keine ein. Ja, ich bin wütend auf ihn, und eigentlich sollte ich ihm Pest und Cholera an den Hals wünschen oder aber alles in Bewegung setzen, um unsere Beziehung zu retten. Aber …« Sie zuckte die Schultern.

Dani zog ein Knie an und legte ihr Kinn darauf. »Es ist alles noch so frisch. Vermutlich hast du einen Schock.«

»Nein.« Laura schüttelte den Kopf. »Den hatte ich an dem Abend in Hamburg. Da war alles hier drinnen wie tot. Ich hatte so dumme Gedanken wie dass ich dieses Jahr Weihnachten ganz allein verbringen würde. Aber jetzt ist es anders. Als würde ich wissen, dass es nichts bringt, zu toben oder ihn mit Vorwürfen zu überschütten. Oder ihm zu zeigen, was wir zusammen gehabt haben.« Ihre Stimme war leise geworden. »Und genau an dem Punkt bleibe ich immer wieder hängen. Ich frage mich, was wir wirklich hatten. Oder ob ich mir das alles nur eingebildet habe. Meine eigene, kleine rosa Welt, die Oliver vielleicht gar nicht so rosa empfunden hat. Vielleicht hat er mir das verschwiegen.«

»Ach Laura, wenn ich es nur wüsste.« Dani dachte eine Weile nach. »Erst einmal wirst du Weihnachten definitiv nicht allein verbringen. Deine Eltern würden froh sein, wenn du bei ihnen feierst und dieses Haus mal wieder auf Trab bringst. Alternativ würde Maja vermutlich alles dafür tun, dass du an den Feiertagen zu ihr fährst, aber das wird nichts, weil ich dich vorher abfange und mit zu uns schleppe.«

Laura schluckte, als der Bereich rund um ihr Herz warm wurde. »Danke«, flüsterte sie.

Dani lächelte sie an. »Für die andere Sache, also die mit Oliver, habe ich zwei Theorien. Erstens verdrängst du das erst mal, was völlig verständlich ist und ich vermutlich genauso machen würde, sollte Jens mich jemals verlassen.«

»Nein. Du würdest ihm alles an den Kopf werfen, was dir einfällt. Und damit meine ich nicht nur Worte. Der arme Kerl hätte Glück, wenn er anschließend nicht ins Krankenhaus muss.« Ihre Freundin konnte zuckersüß sein, hatte aber ein bemerkenswertes Temperament.

Dani wedelte diese Wahrheit mit einer Hand weg. »Zweite Theorie: Du hattest schon irgendwann mit Oliver abgeschlossen, es aber bei all deiner Planung nicht bemerkt.«

»Meiner Planung?«

»Na klar. Du hast immer einen Plan. Du weißt genau, wo du hinwillst, aber wenn du es erreicht hast, hältst du sofort nach dem nächsten Ziel Ausschau. Du lässt dir gar keine Zeit, um dich zu freuen.« Sie beugte sich über den Tisch und streichelte Lauras Arm. »Nimm das bitte nicht als Vorwurf, das ist eine neutrale Beschreibung. Kurz nachdem du in der Firma angefangen hast, hast du schon von der Gruppenleitung geredet, danach von der stellvertretenden Abteilungsleitung. Und Oliver kam mir stets noch schlimmer vor. Vielleicht hat genau das euch zusammengeschweißt.«

Laura stutzte. Hatte Oliver nicht auch etwas in der Richtung angedeutet? »Was willst du damit sagen? Dass wir im Grunde nur zusammen waren, weil wir ähnlich denken?«

»Vielleicht habt ihr euch ineinander verliebt, weil ihr euch gegenseitig angetrieben habt.«

Laura schob mit der Fingerspitze eine Zimtstange auf dem Tisch hin und her. Hatte sie wirklich zugelassen, dass aus ihrer Beziehung eine Art Geschäftsabmachung geworden war? Schlimmer noch, hatte sie sich mit Oliver jemanden gesucht, der nicht das war, was sie wollte – nämlich ein Mann, auf den sie sich voll und ganz verlassen konnte? Warum hätte sie sich selbst derart täuschen sollen?

»O nein«, murmelte sie und vergrub das Gesicht in beiden Händen.

Danis Stuhl schabte über den Boden, und dann schlang sie die Arme um Laura. »Hat sich der Idiot überhaupt schon bei dir gemeldet?«

»Nur eine kurze WhatsApp, um mir zu sagen, dass ich die Wohnung in Hamburg behalten kann.«

»Wie großzügig! So ein Spinner.« Dani tippte sich an die Schläfe. »Zahlt er wenigstens die Hälfte?«

»Nein, warum sollte er? Und das ist eh ein Problem. Die Mieten in Hamburg sind nicht ohne.«