Der elfte Finger - Walter Serner - E-Book

Der elfte Finger E-Book

Walter Serner

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Beschreibung

Fiese, erotische und böse Geschichten von Huren, Dieben – den großen und den kleinen – und Mördern, Halunken und sonstigen Halsabschneidern. Walter Serner ist der "Maupassant der Kriminalistik" [Theodor Lessing] Null Papier Verlag

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Walter Serner

Der elfte Finger

Erotische Kriminalgeschichten

Walter Serner

Der elfte Finger

Erotische Kriminalgeschichten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: P. Steegemann, Hannover, 1923 (260 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962815-68-4

null-papier.de/641

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ein Meis­ter­stück

Sein Truc

Ein un­ge­wöhn­li­cher Han­del

Wun­der über Wun­der

Das Zéro

Der Vi­com­te

Die di­let­tie­ren­de Pen­si­on

Eine ku­rio­se Kar­rie­re

Lam­pen­fie­ber

Das stei­le P

Fau­le Zei­ten

Der Sturm auf die Vil­la

Bu­ka­rest – Bu­da­pest

Der be­rühm­te Zed­de

Die Ban­de Kaff

Sprot­te schmust

Das omi­nöse Schild

Der Abrei­ser

Die Er­mor­dung des Mar­che­se de Bri­gno­le-Sale

P. L. M.

Pfef­fer weiß sich zu hel­fen

Das Ge­heim­nis der Con­cet­ta Capp

Das si­chers­te Spiel

Eros vanné

Der gel­be Ter­ror

Über­kom­bi­niert

Un dé­brouil­lard

Dan­ke

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Ein Meisterstück

Ma­da­me Gu­er­cel­les war eine je­ner Ko­kot­ten, die hübsch ge­nug sind, um nicht die Stra­ße ma­chen zu müs­sen, und klug ge­nug, um es ver­hin­dern zu kön­nen, für eine Ko­kot­te ge­hal­ten zu wer­den. Da ihr zu­dem eine klei­ne Re­ve­nue, wel­che die Fa­mi­lie ih­res to­ten Man­nes ihr aus­ge­setzt hat­te, die Mög­lich­keit bot, wenn es ein­mal nicht mehr an­ders gin­ge, als Klein­bür­ge­rin zu le­ben, ver­füg­te sie trotz ih­rer großen Ju­gend über eine ganz au­ßer­or­dent­li­che Si­cher­heit.

Es war da­her nicht ver­wun­der­lich, dass auch de Par­no, ein Ho­tel­dieb größ­ten Stils, als er ihr in der Hall des Ho­tels Beau Ri­va­ge in Genf be­geg­ne­te, nach ein­ge­hen­der Prü­fung ih­res de­zen­ten Schmucks und ih­rer rest­li­chen Hal­tung, sie für eine vor­neh­me Wit­we hielt, die dar­auf aus ist, einen zwei­ten Gat­ten zu fin­den. Nach die­ser Fest­stel­lung wäre sie für ihn er­le­digt ge­we­sen, wenn er nicht ei­nes Abends, ge­le­gent­lich ei­ner zu­fäl­li­gen Be­geg­nung im Kor­ri­dor der zwei­ten Eta­ge, eine Ner­vo­si­tät an ihr wahr­ge­nom­men hät­te, wel­che sei­nem er­fah­re­nen Auge ver­däch­tig er­schi­en.

Schnell husch­te er in die Toi­let­te, war­te­te, bis die Tür von Ma­da­me Gu­er­cel­les Zim­mer sich ge­schlos­sen hat­te, und be­zog hier­auf sei­nen Beo­b­ach­tungs­pos­ten, den er be­reits seit Ta­gen in­ne­hat­te, um die Ge­wohn­hei­ten der Grä­fin Banf­fy, auf de­ren höchst wert­vol­len Schmuck er es ab­ge­se­hen hat­te, zu stu­die­ren.

Nach etwa ei­ner Vier­tel­stun­de ver­ließ Ma­da­me Gu­er­cel­les, einen brau­nen Re­gen­man­tel um die Schul­tern, ihr Zim­mer, lief auf den Fuß­spit­zen in schnells­tem Tem­po den Kor­ri­dor ent­lang und ver­schwand ge­räusch­los hin­ter ei­ner Tür, die au­gen­schein­lich nur an­ge­lehnt war.

De Par­no, der nicht ohne In­ter­es­se kon­sta­tiert hat­te, dass Ma­da­me Gu­er­cel­les Zim­mer ne­ben dem der Grä­fin lag, merk­te sich die Num­mer der Tür, wel­che Ma­da­me Gu­er­cel­les so­eben auf­ge­nom­men hat­te, und be­gab sich, über­aus ver­gnügt, noch in die Hall, wo er sich un­auf­fäl­lig dem Por­tier nä­her­te, um ihn in ein Ge­spräch zu zie­hen. Als­bald wuss­te er, dass Ma­da­me Gu­er­cel­les in dem Ap­par­te­ment des Kon­suls a. D. Stef­fens aus Ham­burg sich be­fand, ei­nes ele­gan­ten al­ten Herrn, der ihm be­reits des öf­te­ren im Spei­se­saal auf­ge­fal­len war.

Die­se Nacht schlief de Par­no be­son­ders vor­züg­lich, wie stets, wenn er eine si­che­re und über­dies amüsan­te Sa­che vor sich hat­te.

Am nächs­ten Nach­mit­tag ließ er Ma­da­me Gu­er­cel­les im Le­se­zim­mer über sei­nen Stock stol­pern und sprang ihr ab­sicht­lich so un­ge­schickt bei, dass sie zu Fall kam. Wäh­rend er ihr half, sich auf­zu­rich­ten, stam­mel­te er eine Ent­schul­di­gung über die an­de­re, be­müh­te sich mit Er­folg, zu er­rö­ten und über­haupt alle Merk­ma­le schwers­ter in­ne­rer Ver­wir­rung dar­zu­bie­ten, und er­griff das Händ­chen, wel­ches ihm Ma­da­me Gu­er­cel­les lie­bens­wür­dig lä­chelnd zum Dank ent­ge­gen­streck­te, mit zit­tern­der Be­glückt­heit.

Noch am sel­ben Abend ka­men sie, wäh­rend man den Kaf­fee in der Hall nahm, ins Ge­spräch. De Par­no ge­lang es mit größ­ter Leich­tig­keit, ju­gend­lichs­te Ver­liebt­heit zu heu­cheln, und nicht viel schwie­ri­ger war es ihm, sei­ner rasch und im rich­ti­gen Au­gen­blick vor­ge­brach­ten Bio­gra­fie Glau­ben zu si­chern.

Ma­da­me Gu­er­cel­les, wel­cher der schlan­ke dunkle männ­li­che Ita­lie­ner über al­les ge­fiel, be­trach­te­te des­halb zum ers­ten Mal seit dem Tode ih­res Gat­ten einen Mann nicht le­dig­lich mit dem Kal­kül der Ko­kot­te, son­dern mit je­nem halb­ver­spon­ne­nen Blick, hin­ter dem der Traum­ge­lieb­te der Back­fisch­jah­re sei­ne Au­fer­ste­hung fei­ert. Gleich­wohl war sie zu klug, um die­ser plötz­li­chen sü­ßen Auf­wal­lung zu er­lie­gen. Sie schütz­te Mü­dig­keit vor und zog sich, nicht ohne eine Ein­la­dung zum Tee für den fol­gen­den Tag an­zu­neh­men, be­stri­ckend lä­chelnd zu­rück.

De Par­no folg­te ihr vor­sich­tig und sah wie­der­um, wie sie den Kor­ri­dor ent­lan­glief und im Zim­mer des al­ten Kon­sul ver­schwand. Im Nu war er an der Tür ih­res Zim­mers, zog sie hin­ter sich zu und öff­ne­te mit sei­nem Alu­mi­ni­um-Ta­schen­be­steck die ver­schlos­se­ne in­ne­re Tür. Nach­dem er, das elek­tri­sche Licht kurz an- und ab­dre­hend, zu sei­nem größ­ten Be­dau­ern ge­se­hen hat­te, dass nach dem Zim­mer der Grä­fin kei­ne Tür führ­te, trat er zur Re­ko­gnos­zie­rung1 auf den Bal­kon, den er nach kur­z­er Zeit sehr zu­frie­den­ge­stellt ver­ließ. Dann dreh­te er das Licht wie­der an und setz­te sich mit­ten ins Zim­mer in ein Fau­teuil.2

Da­selbst er­blick­te ihn, nach drei Stun­den zu­rück­keh­rend, Ma­da­me Gu­er­cel­les, wie er, mit al­len Zei­chen hef­tigs­ter Er­re­gung, ein Paar ih­rer Sei­den­st­rümp­fe lei­den­schaft­lich küss­te.

Nach­dem er sich ver­ge­wis­sert hat­te, den ge­wünsch­ten Ein­druck her­vor­ge­bracht zu ha­ben, sprang er ent­setzt auf und warf sich, de­mü­tig um Ver­zei­hung bet­telnd, Ma­da­me Gu­er­cel­les zu Fü­ßen.

»Wie lan­ge sind Sie schon hier?« hauch­te sie, de­ren Ei­tel­keit mit ih­rer Be­sorg­nis kämpf­te.

De Par­no ver­kniff ein Lä­cheln. »Vi­el­leicht fünf Mi­nu­ten.«

Eine ge­wis­se schmerz­haf­te Span­nung auf Ma­da­me Gu­er­cel­les pup­pen­haf­tem Ge­sicht ließ lang­sam nach. Sie trat, be­reits wie­der im Be­sitz ih­rer vol­len Si­cher­heit, von de Par­no weg und setz­te sich wür­de­voll auf einen Stuhl. »Ste­hen Sie auf!« be­fahl sie her­risch und füg­te wie ge­quält hin­zu: »O Gott, wie konn­ten Sie nur! … Aber wel­ches Glück, dass ich noch nicht zu Bett war! … Un­be­greif­lich, dass ich ver­ges­sen konn­te, die Tür ab­zu­sper­ren.«

»Ich weiß selbst nicht, was da über mich ge­kom­men ist«, stöhn­te de Par­no. »Aber es war stär­ker als ich. Ich muss­te hin­auf … in Ihre Nähe … Ich hielt es nicht län­ger aus … Bit­te, glau­ben Sie nicht, dass ich eine schlech­te Ab­sicht hat­te, Ti­en­net­te.«

»Ti­en­net­te?« In Ma­da­me Gu­er­cel­les Au­gen dun­kel­te es dro­hend.

»Ver­zei­hen Sie bit­te … Ich habe die­sen Na­men in Ge­dan­ken so oft ge­flüs­tert, dass …«

»Wie, und Sie wuss­ten auch mei­ne Zim­mer-Num­mer?«

»Ich habe Sie doch schon vom ers­ten Au­gen­blick an … Ich fol­ge Ih­nen ja be­reits seit Ta­gen …« De Par­no spiel­te mit sei­nen Fin­gern wie ein er­tapp­ter Gym­na­si­ast.

Auf Ma­da­me Gu­er­cel­les Nase sprang eine kur­ze Angst auf: ›Wenn er doch et­was be­ob­ach­tet hät­te?‹ Aber ein schnel­ler Blick auf sei­ne spie­len­den Fin­ger be­ru­hig­te sie. »Ge­hen Sie jetzt!«

De Par­no ging. Lang­sam. Sto­ckend. Un­ge­lenk.

An der Tür wand­te er sich noch ein­mal um, die Lip­pen schmerz­lich ver­zo­gen, in den Au­gen einen hün­disch zärt­li­chen und zu­gleich weh­muts­vol­len Blick. Das war zu viel.

Das war zu viel für Ma­da­me Gu­er­cel­les oh­ne­hin tief auf­ge­rühr­te Ju­gendträu­me. Sie er­hob sich ma­je­stä­tisch, trat auf de Par­no zu und reich­te ihm ihr Händ­chen, das er stür­misch er­griff und, fast schluch­zend vor Glück, mit hei­ßen Küs­sen be­sä­te.

Ma­da­me Gu­er­cel­les, neu­er­lich im Bann je­ner sü­ßen Auf­wal­lung, er­lag ihr nun. Sie hob de Par­nos Kopf hoch, fass­te ihn mit bei­den Hän­den und zog sei­nen be­ben­den Mund lang­sam auf den ih­ren.

De Par­no ließ sich, sehr be­hut­sam ab­ge­stuft, in Glut ge­ra­ten, pack­te Ma­da­me Gu­er­cel­les im­mer fes­ter, ächz­te im­mer hef­ti­ger und ge­lang­te ohne Schwie­rig­kei­ten auf den Punkt, wo er sich ohne Ge­fahr be­sin­nungs­los ge­bär­den und zur Tat hin­rei­ßen las­sen konn­te.

Ma­da­me Gu­er­cel­les ließ sie mit aus­ge­zeich­net ver­steck­tem Ge­nuss an sich be­ge­hen …

Tags dar­auf er­war­te­te de Par­no sie an der Ecke der Rue du Mont Blanc und fuhr mit ihr in den Parc des Eaux-Vi­ves zum Tee.

Als Ma­da­me Gu­er­cel­les nach zwei Stun­den al­lein in das Ho­tel zu­rück­kehr­te, war sie, was sie selbst sehr er­staun­te, in de Par­no so­zu­sa­gen sterb­lich ver­liebt, ja ko­ket­tier­te be­reits in An­se­hung der vor­neh­men Mai­län­der Fa­mi­lie, der er an­ge­hör­te, und dem Ver­mö­gen, das er be­saß, mit dem für sie nun wie­der hold ge­wor­de­nen Ge­dan­ken, sich zum zwei­ten Male zu ver­hei­ra­ten.

Am Abend, wäh­rend sie an ver­schie­de­nen Ti­schen ein­an­der ge­gen­über­sa­ßen, stell­te de Par­no mit Be­frie­di­gung fest, dass der alte Kon­sul an Ap­pe­tit­lo­sig­keit litt und über­haupt al­lem An­schein nach mit ei­ner schwe­ren Ver­stim­mung rang; und eine hal­be Stun­de spä­ter, dass die Grä­fin Banf­fy zum Auf­bruch dräng­te, um, was sie je­den zwei­ten Tag zu tun pfleg­te, den Kur­saal zu be­su­chen.

Beim Kaf­fee in der Hall be­stürm­te er des­halb Ma­da­me Gu­er­cel­les, ihn um zehn Uhr bei sich zu emp­fan­gen. Nach den ob­li­ga­ten, im­mer schwä­cher wer­den­den Wei­ge­run­gen gab sie, ver­schämt das Köpf­chen sen­kend, end­lich nach und schritt ei­lig hin­weg, als woll­te sie so ver­mei­den, nicht schließ­lich doch noch an­de­ren Sin­nes zu wer­den.

De Par­no lach­te sich in­ner­lich ins Fäust­chen, ließ sich eine hal­be Fla­sche Heid­sick sec brin­gen und, nach­dem sie ge­leert war, vom Groom Man­tel und Hut aus sei­nem Zim­mer ho­len. Hier­auf schlen­der­te er, eine Zi­ga­ret­te läs­sig in den Fin­gern, aus dem Ho­tel.

Dicht ne­ben dem Gar­ten­git­ter blieb er je­doch ste­hen, war­te­te we­ni­ge Mi­nu­ten und lug­te dann vor­sich­tig nach dem Ho­te­lein­gang: nie­mand war zu se­hen. Mit ei­ni­gen ra­schen Schrit­ten war er wie­der an der Tür und husch­te hin­ter einen Flü­gel. Hier war­te­te er, bis ein Kell­ner, der al­lein in der Hall an ei­ner Säu­le lehn­te, weg­ge­gan­gen war, rann­te, von nie­man­dem ge­se­hen, auf die Trep­pe und ge­wann in vier Etap­pen, im­mer wie­der vor er­schei­nen­dem Per­so­nal sich ver­ber­gend, Ma­da­me Gu­er­cel­les Zim­mer.

Nach ei­ner hal­b­en Stun­de wand sich die­se in hol­des­ten Ent­zückun­gen. »Sil­vio, fühlst du, dass ich dich mit dem Her­zen lie­be?« Sie war der Auf­fas­sung, mit die­ser Fra­ge de Par­no in die­sem Au­gen­blick end­gül­tig zu be­se­li­gen.

De Par­no schloss, wie ins In­ners­te ge­trof­fen, die Au­gen und ver­harr­te se­kun­den­lang re­gungs­los. Dann griff er, gleich­sam um sei­ner über­mensch­li­chen Er­re­gung Herr zu wer­den, durch das Hemd hin­durch sich auf die auf und nie­der wo­gen­de Brust. Dies je­doch le­dig­lich, um einen da­selbst be­find­li­chen Ge­gen­stand, der an sei­nem Hal­se hing, los­zu­lö­sen, zu öff­nen und blitz­schnell Ma­da­me Gu­er­cel­les auf Nase und Mund zu pres­sen. Es dau­er­te nur ei­ni­ge Se­kun­den, bis die Nar­ko­se ihre Wir­kung ge­tan hat­te …

De Par­no klei­de­te sich has­tig an, nahm Ma­da­me Gu­er­cel­les Schmuck an sich und eil­te auf den Bal­kon, von dem aus er mit ei­nem klei­nen, wenn auch nicht ganz un­ge­fähr­li­chen Sprung den Bal­kon des Ne­ben­zim­mers er­reich­te, des­sen Tür zu­fäl­li­ger­wei­se of­fen­stand. Mit Hil­fe sei­ner elek­tri­schen Ta­schen­lam­pe ori­en­tier­te er sich und fand nach lan­gem Su­chen (er muss­te zwei Hand­kof­fer auf­schnei­den) die stäh­ler­ne Schmuck­kas­set­te, die er mit ei­nem von ihm selbst kon­stru­ier­ten In­stru­ment er­brach. Hier­auf be­fes­tig­te er, ir­re­füh­rungs­hal­ber, ein gut ein­ge­seif­tes Sei­den­seil am Git­ter des Bal­kons, tat, be­vor er es auf­warf, einen ra­schen Blick auf die lee­ren Ti­sche der Ter­ras­se und ließ die hirsch­le­der­nen Hand­schu­he, wel­che er wäh­rend des Ar­bei­tens ge­tra­gen hat­te, auf dem Bal­kon lie­gen. Den Rück­weg trat er durch das Zim­mer der Grä­fin an, des­sen in­ne­re Tür er zwei­mal ab­schloss.

Un­ge­se­hen in der Hall an­ge­langt, schlug er den Kra­gen hoch, schlich sich in das lee­re Le­se­zim­mer und ent­fern­te den Por­tier, von dem nicht zu er­war­ten war, dass er sein Pult so bald ver­las­sen wür­de, da­durch, dass er eine fast manns­ho­he chi­ne­si­sche Vase mit ei­nem Fuß­tritt von ih­rem So­ckel ge­gen die Wand stieß, an der sie kra­chend zer­trüm­mer­te. Der Por­tier rann­te er­schreckt her­zu, de Par­no im sel­ben Au­gen­blick aus dem Ho­tel.

Fünf Mi­nu­ten spä­ter hat­te er sei­ne Beu­te ei­ner hüb­schen Kran­ken­schwes­ter, wel­che auf der Ho­tel­sei­te pro­me­nier­te, zu­ge­steckt, und nach wei­te­ren fünf Mi­nu­ten er­schi­en er in ei­ner Loge des Kur­saals, trat wäh­rend der fol­gen­den Pau­se, um sich ein ganz be­son­ders fes­tes Ali­bi zu zim­mern, der Grä­fin Banf­fy im Ves­ti­bül auf die Schlep­pe, dass es nur so knat­ter­te, und ent­schul­dig­te sich so de­vot, dass die Grä­fin ihm mit bes­tem Wil­len nicht böse sein konn­te …

Um Mit­ter­nacht wur­de der Dieb­stahl be­merkt. Der Ver­dacht fiel so­fort auf Ma­da­me Gu­er­cel­les, de­ren Be­zie­hun­gen zu dem al­ten Kon­sul und zu ei­nem gleich­falls im Ho­tel woh­nen­den jun­gen Fran­zo­sen dem Ho­tel­per­so­nal nicht un­be­kannt ge­blie­ben wa­ren. Da sie um elf Uhr vor­mit­tags noch nicht er­schie­nen war, klopf­te man und schloss, als kei­ne Ant­wort er­folg­te, die Tür auf.

Ma­da­me Gu­er­cel­les, der ein Riech­fläsch­chen un­ter die Nase ge­hal­ten wur­de, fühl­te sich nach ei­ner Vier­tel­stun­de so weit wohl, dass sie den Zu­sam­men­hang zu be­grei­fen be­gann. Sie hü­te­te sich, zu sa­gen, was sie wuss­te, und ver­ließ sich dar­auf, dass es, zu­dem an­ge­sichts ih­res feh­len­den Schmucks, schwer war, ihre Be­haup­tung, sie müs­se wäh­rend des Schlafs nar­ko­ti­siert wor­den sein, zu wi­der­le­gen.

In den Zim­mern des al­ten Kon­suls und des jun­gen Fran­zo­sen wur­den eben­falls Durch­su­chun­gen vor­ge­nom­men; die bei­den Her­ren wa­ren sehr er­staunt, als sie er­fuh­ren, dass ihr zärt­li­ches Ge­heim­nis kei­nes war.

De Par­no, auf den nicht der kleins­te Schat­ten ei­nes Ver­dach­tes ge­fal­len war, lä­chel­te lei­se, als er Ma­da­me Gu­er­cel­les abends im Spei­se­saal ge­gen­über­saß.

Aber auch Ma­da­me Gu­er­cel­les lä­chel­te. Sie hat­te mit ih­rem be­schei­de­nen Schmuck nicht all­zu viel ein­ge­büßt, da­für aber eine Er­fah­rung ge­won­nen, die je­den Rück­fall in Ju­gendträu­me aus­schloss und ihr jene letz­te Si­cher­heit gab, wel­che al­lein die große Ko­kot­te ge­währ­leis­tet.

Spä­ter ging sie in der Hall, die Kaf­fee­tas­se in der Hand, an de Par­no vor­bei und zisch­te ihm schnell zu: »Das war ein Meis­ter­stück.«

De Par­no tat, als hät­te er nichts ge­hört.

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Sein Truc

war wirk­lich erst­klas­sig. Er hat­te we­der den Vor­teil, der oft ein Nach­teil ist, ein­fach zu sein, noch den Nach­teil, Kom­pli­ka­tio­nen her­bei­zu­füh­ren. Er re­üs­sier­te stets und im­mer glatt und hat­te der Be­trof­fe­ne ei­ni­ger­ma­ßen von sei­ner Ver­blüf­fung sich er­holt, so er­war­te­te ihn die neue, nicht her­aus­brin­gen zu kön­nen, wie es ge­sche­hen war. Fest stand al­tem An­schein nach bloß, dass ein Tic die Haup­trol­le in den Ma­nö­vern spiel­te, wel­che Mis­ter Gam rie­si­ge Sum­men ein­tru­gen und den Schwer­ge­schä­dig­ten das kom­plet­te Nach­se­hen.

Als Fénor es hat­te, hat­te er es buch­stäb­lich. Er stand näm­lich an der Ecke der Rue Fro­chot, wo das Nachtre­stau­rant Le Rat Mort sich be­fin­det, und sah Mis­ter Gam nach, der lang­sam die Place Pi­gal­le über­quer­te und, in Zwi­schen­räu­men von etwa fünf bis zwan­zig Se­kun­den, mit dem Kopf zuck­te. Das war sein Tic.

Mis­ter Gam war längst im Ne­bel ver­schwun­den, als Fénor im­mer noch un­be­weg­lich da­stand. Plötz­lich blick­te er auf und zuck­te mit dem Kopf, als könn­te ihm die Nach­ah­mung je­ner Be­we­gung ir­gend­wie Auf­schluss über die Metho­de ge­ben, mit de­ren Hil­fe Mis­ter Gam ihm zehn­tau­send Fran­cs ab­ge­nom­men hat­te. Auch ihm war es, als ob je­ner Tic das Wich­tigs­te ge­we­sen wäre. Er ver­moch­te aber we­der ihn sich zu er­klä­ren, noch den Rest. Schließ­lich ließ er den gan­zen Her­gang noch ein­mal an sich vor­über.

Er war von Mis­ter Gam, dem er beim Ver­las­sen des Gau­mont-Palace be­geg­net war, zum Sou­per ein­ge­la­den wor­den und hat­te an­ge­nom­men, ob­wohl er von den Ver­lus­ten ge­hört hat­te, die un­ter ver­schie­de­nen Um­stän­den ei­ni­ge sei­ner Be­kann­ten in Ge­sell­schaft Mis­ter Gams auf un­er­klär­li­che Wei­se er­lit­ten hat­ten. Dass jene Um­stän­de sich durch­aus von der Ge­le­gen­heit un­ter­schie­den, die Mis­ter Gam ver­an­lasst hat­te, ihn zum Sou­per ein­zu­la­den, hat­te sein an­fäng­li­ches Miss­trau­en ver­scheucht: Mis­ter Gam konn­te nicht wis­sen, dass er zehn­tau­send Fran­cs, wel­che ihm in­fol­ge ei­ner zu­fäl­li­gen Be­geg­nung im Gau­mont-Palace über­ge­ben wor­den wa­ren, in sei­ner Brust­ta­sche trug; und er konn­te nicht wis­sen, dass er, Fénor, sich da­selbst be­fin­de, denn er hat­te erst im letz­ten Au­gen­blick, le­dig­lich von ei­ner Lau­ne be­stimmt, sich dazu ent­schlos­sen, ins Ci­ne­ma zu ge­hen. Beim Sou­per war Mis­ter Gam, wie im­mer, über­aus amüsant ge­we­sen, hat­te tref­fen­de Beo­b­ach­tun­gen und wit­zi­ge Be­mer­kun­gen über die an­we­sen­de Le­be­welt ge­macht und ei­ni­ge sei­ner Rei­seaben­teu­er er­zählt, die alle sich da­durch aus­zeich­ne­ten, dass ba­na­le Hand­lun­gen und gro­tes­ke Zu­fäl­le einen un­wahr­schein­li­chen und des­halb umso in­ter­essan­te­ren Vor­fall her­bei­ge­führt hat­ten. Die­se mit ge­schick­ter Dis­po­si­ti­on und fei­ner Dik­ti­on er­zähl­ten Ge­schich­ten hat­ten auf Fénor durch­aus den Ein­druck ge­macht, wahr zu sein, um­so­mehr als Mis­ter Gam in ih­nen ent­we­der nur eine ne­ben­säch­li­che Rol­le spiel­te oder so­gar eine pas­si­ve. Und es war ge­ra­de wäh­rend ei­ner sol­chen Er­zäh­lung ge­we­sen, als Fénor, sei­ne Kra­wat­te rich­tend, ah­nungs­los mit der Hand über sei­ne lin­ke Brust­sei­te streif­te: die har­te Wöl­bung, wel­che das Por­te­feuil­le ver­ur­sach­te, war ver­schwun­den. Ein schnel­ler Griff in die Ta­sche hat­te be­stä­tigt, wor­an er ei­gent­lich nicht mehr ge­zwei­felt hat­te. Mis­ter Gam schi­en kei­ne No­tiz von die­ser Fest­stel­lung ge­nom­men zu ha­ben und sprach in sei­ner sug­ge­s­ti­ven Art wei­ter, ohne dass sei­ne wei­che vi­brie­ren­de Stim­me auch nur das ge­rings­te Désé­qui­li­b­re ver­ra­ten hät­te. Nur sein Kopf­zu­cken, das zu­vor au­ßer­or­dent­lich häu­fig statt­ge­fun­den hat­te, wur­de nun auf­fäl­lig sel­te­ner.

Fénor frös­tel­te. Er war über­zeugt, dass die­ser Tic die Lö­sung ent­hielt. Vi­el­leicht diente er als Ver­stän­di­gungs­mit­tel, viel­leicht gab er Mor­se­zei­chen? Fénor grins­te müde, schloss mit ei­ner re­so­lu­ten Ges­te den Man­tel­kra­gen und wink­te ei­nem Taxi. Als es über den Bou­le­vard de Cour­cel­les roll­te, ju­bel­te er in­ner­lich auf, dass er sich be­herrscht und nichts von sei­ner to­ben­den Wut sich hat­te an­mer­ken las­sen; und lä­chel­te dar­über, welch fürch­ter­li­che Sze­nen die ihm vor­her­ge­gan­ge­nen Op­fer er­geb­nis­los auf­ge­führt hat­ten. Plötz­lich wur­de sein klu­ges Ge­sicht starr. Und mit ei­nem halb un­ter­drück­ten Auf­schrei schlug er sich auf die Knie: er hat­te ge­fun­den, was al­lein ihm eine Chan­ce bot, Mis­ter Gams Truc zu ent­de­cken.

»Ich muss mich noch ein­mal von ihm hin­ein­le­gen las­sen«, sag­te er mehr­mals laut vor sich hin. »Und ich muss da­bei auf­pas­sen, als be­fän­de ich mich in To­des­ge­fahr.« –

Die nächs­ten Tage ver­brach­te Fénor fast aus­schließ­lich mit ver­geb­li­chen Ver­su­chen, Mis­ter Gam auf un­ver­däch­ti­ge Wei­se in den Weg zu kom­men. Hier­auf ver­such­te er es mit sorg­sam ge­fälsch­ten Rohr­post­kar­ten, die Mis­ter Gam zu Ren­dez­vous be­stell­ten, mit fin­gier­ten Te­le­fon­ge­sprä­chen, die ihn auf vie­ler­lei Art in eine be­stimm­te Stra­ße brin­gen soll­ten, und end­lich mit ei­ner De­pe­sche aus Me­lun. Nichts ver­fing. Fénor gab es re­si­gniert auf, die­sen Über­fuchs an­zu­lo­cken, und muss­te sich ent­schlie­ßen, die so sehr her­bei­ge­sehn­te Be­geg­nung ei­nem Zu­fall zu über­las­sen.

Die­ser war ihm be­reits am Abend nach die­sem Ent­schluss hold. Fénor be­fand sich, eben als er aus der Rue Cas­tiglio­ne auf die Place Ven­dô­me ein­bog, ganz plötz­lich ne­ben Mis­ter Gam, wel­cher, die Hän­de in den Man­tel­ta­schen, un­be­weg­lich dicht an der Mau­er stand.

Fénor wich, al­ler­dings ohne jede Über­le­gung, schnell zu­rück und bog um die nur ein paar Schrit­te ent­fern­te Ecke. Hier blieb er ste­hen und dach­te nach. Nach we­ni­gen Se­kun­den war es für ihn au­ßer Zwei­fel, dass Mis­ter Gam je­man­dem auf­lau­er­te. Sein Plan war so­fort ge­fasst.

Fénor schlen­der­te an die Ecke her­an und lug­te vor­sich­tig her­vor: Mis­ter Gam stand nach wie vor un­be­weg­lich da und hat­te al­ler Wahr­schein­lich­keit nach den Ein­gang des Ho­tel Ritz im Auge. Fénor lehn­te sich an die Mau­er, zün­de­te sich eine Zi­ga­ret­te an und tat nur von Zeit zu Zeit einen Blick um die Ecke.

End­lich, nach etwa zehn Mi­nu­ten War­tens, lös­te Mis­ter Gams Rücken sich lang­sam von der Haus­wand.

Fénor folg­te Mis­ter Gam in ei­nem Ab­stand von un­ge­fähr vier­zig Schrit­ten, sah, wie er in der Nähe des Ho­tel Ritz ei­nem äl­te­ren, schon et­was be­leib­ten Herrn ge­schickt in den Weg trat, so­fort mit ihm in ein sehr leb­haf­tes Ge­spräch ge­riet und kurz dar­auf an des­sen Sei­te das Re­stau­rant Edouard VII. be­trat. Fénor ließ eine Vier­tel­stun­de ver­strei­chen. Dann be­trat er gleich­falls das ele­gan­te Re­stau­rant. Es ge­lang ihm, nicht ohne ei­ni­ge Schwie­rig­kei­ten, un­ge­se­hen zu blei­ben und an dem hin­ter Mis­ter Gams Rücken be­find­li­chen Tisch Platz zu neh­men. Gleich­zei­tig mit dem Di­ner be­stell­te er den Fi­ga­ro, um eine De­ckung pa­rat zu ha­ben, falls Mis­ter Gam eine Wen­dung nach rück­wärts ma­chen soll­te.

Der Mis­ter Gam ge­gen­über sit­zen­de Herr war Fénor un­be­kannt, aber ein in je­der Hin­sicht ganz aus­ge­zeich­net ge­wähl­tes Op­fer. Er trug eine fin­ger­na­gel­große Per­le in der Kra­wat­te, zwei Bril­lant­rin­ge, die auf min­des­tens fünf­zig­tau­send Fran­cs zu schät­zen wa­ren, und hör­te, was Fénor ein hä­mi­sches Lä­cheln ent­lock­te, sei­nem un­aus­ge­setzt spre­chen­den Tisch­ge­nos­sen mit de­vo­ter Be­geis­te­rung zu.

Fénor be­dau­er­te sehr, dass er Mis­ter Gams Ge­sicht nicht se­hen konn­te, be­schied sich je­doch rasch, als er be­merk­te, dass die Zahl der Kopf­zu­ckun­gen von Mi­nu­te zu Mi­nu­te zu­nahm. Ei­ni­ge for­schen­de Bli­cke ge­nüg­ten, um fest­zu­stel­len, dass we­der ei­ner der Gäs­te an den Ne­ben­ti­schen noch ei­ner der Kell­ner auf das Kopf­zu­cken ach­te­te. Man hat­te es zwar al­lent­hal­ben mit Ver­wun­de­rung wahr­ge­nom­men, sich aber so­fort da­mit ab­ge­fun­den und es wei­ter­hin igno­riert.

Es ver­strich fast eine hal­be Stun­de, ohne dass der bis zum Schweiß­aus­bruch auf­merk­sam be­ob­ach­ten­de Fénor ir­gend et­was hät­te be­mer­ken kön­nen, das sei­ne wil­de Neu­gier auch nur im ge­rings­ten be­frie­digt hät­te.

Mit ei­nem Mal aber schi­en es ihm, als wäre in den Aus­druck der Au­gen des ge­spannt zu­hö­ren­den äl­te­ren Herrn et­was Blö­des, Glot­zen­des ge­ra­ten, das vor­her nicht da­ge­we­sen war. Fénor sah noch schär­fer hin und glaub­te, eine un­na­tür­li­che Un­be­weg­lich­keit in der gan­zen Hal­tung je­nes Herrn be­mer­ken zu kön­nen. Eine lei­se in ihm sich er­he­ben­de Ver­mu­tung wur­de ihm fast zur Ge­wiss­heit, als er sich ein we­nig zur Sei­te neig­te und sah, dass Mis­ter Gams lin­ke Hand fest auf der sei­nes Ge­gen­über lag. Und fast gleich­zei­tig ge­sch­ah es.

Mis­ter Gam er­griff mit der Rech­ten sei­ne Ser­vi­et­te und fuhr mit ihr sei­nem Op­fer übers Ge­sicht, als woll­te er ihm in lie­bens­wür­di­ger Wei­se ein Stäub­chen ent­fer­nen. Sei­ne Lin­ke aber senk­te sich blitz­schnell in die frem­de Brust­ta­sche, es­ka­mo­tier­te das er­gat­ter­te Por­te­feuil­le in die Ser­vi­et­te und leg­te die­se dann ne­ben sich auf den Tisch.

Fénor hat­te ei­gent­lich be­reits ge­nug ge­se­hen. Es in­ter­es­sier­te ihn aber doch noch, zu wis­sen, wie Mis­ter Gam das Por­te­feuil­le ver­schwin­den las­sen wür­de. Es dau­er­te denn auch nicht lan­ge, da glitt die Ser­vi­et­te un­auf­fäl­lig zu Bo­den, ge­nau zwi­schen die Füße Mis­ter Gams, die sich als­bald un­ter sie scho­ben und, von ihr be­deckt, al­ler­lei Be­we­gun­gen aus­führ­ten, um schließ­lich mit ei­nem Ruck still zu ste­hen. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten beug­te sich Mis­ter Gam nach­läs­sig zur Sei­te, um die Ser­vi­et­te auf­zu­he­ben. Da­bei lan­zier­te er schnell das Por­te­feuil­le in den lin­ken in­ne­ren Ho­sen­rand, in dem kunst­ge­recht eine klei­ne Ta­sche an­ge­bracht war …

Fénor, der das Re­stau­rant dar­auf­hin so­fort ver­las­sen hat­te, war­te­te im Schat­ten der Ven­dô­me-Säu­le, über­zeugt, Mis­ter Gam bald er­schei­nen zu se­hen.

*

Nach ei­ner Vier­tel­stun­de fuh­ren zwei Po­li­zei­be­am­te im Taxi vor. Und nach ei­ner wei­te­ren Vier­tel­stun­de stürz­te Mis­ter Gams Op­fer in hef­tigs­ter Auf­re­gung aus dem Re­stau­rant, sprang in das noch war­ten­de Taxi und fuhr in der Rich­tung der Rue de la Paix da­von. ›Zwei­fel­los zum nächs­ten Pri­vat­de­tek­tiv.‹ Fénor lä­chel­te selbst­zu­frie­den.

Bald dar­auf er­schi­en Mis­ter Gam un­ter dem Por­tal des Re­stau­rants, um­ge­ben von ei­ner Schar schwat­zen­der ges­ti­ku­lie­ren­der Kell­ner und den eif­rig auf ihn ein­spre­chen­den Be­am­ten, die er mit im­mer ab­wei­sen­de­ren Hand­be­we­gun­gen sich vom Lei­be hielt, und ging, als man ihn end­lich in Ruhe ließ, lang­sa­men Schrit­tes auf die Rue Cas­tiglio­ne zu.

Fénor folg­te ihm bis un­ter die Ar­ka­den des Ho­tel Con­ti­nen­tal. Der um die­se Nacht­stun­de nur spär­li­che Ver­kehr, auf den Fénor im Nu sei­nen Plan auf­ge­baut hat­te, war nicht ein­mal vor­han­den. Das zer­streu­te sei­ne letz­ten Be­den­ken.

Er rann­te auf den Fuß­spit­zen ganz nahe an Mis­ter Gam her­an, stell­te ihm von hin­ten ein Bein, riss dem Hin­ge­stürz­ten das ge­stoh­le­ne Por­te­feuil­le aus der Ho­sen­bein­ta­sche und steck­te es ein.

Mis­ter Gam war rasch wie­der auf den Bei­nen und so ver­dutzt über die An­we­sen­heit Fénors, dass er gar nicht dar­an dach­te, sei­nen über und über stau­big ge­wor­de­nen Man­tel zu säu­bern. »Sie hier?« hauch­te er, ver­wirrt ver­su­chend, sich zu sam­meln.

»Al­ler­dings.« Fénor war­te­te, bren­nen­de Scha­den­freu­de in den Au­gen.

Mis­ter Gam strich sich mit bei­den Hän­den die Wan­gen ent­lang, ab­wech­selnd Fénor und die Stra­ße mus­ternd. Sei­ne klei­nen grau­en Au­gen fla­cker­ten ei­gen­tüm­lich. Mi­teins hiel­ten sei­ne Hän­de inne. Sein Kopf senk­te sich lang­sam, fast un­merk­lich.

Fénor, dem kei­ne der Be­we­gun­gen Mis­ter Gams ent­gan­gen war, sah, wie er den rech­ten Fuß am lin­ken Knö­chel rieb. ›Um fest­zu­stel­len, ob der kost­ba­re Raub noch an sei­nem Platz ist.‹ Fénor grins­te höh­nisch.

»Also Sie!«, zisch­te im sel­ben Au­gen­blick Mis­ter Gam. »Ge­ben Sie mir we­nigs­tens die acht­tau­send Fran­cs her­aus, die zu viel dar­in sind.«

»Sie ge­ben also zu, mir zehn­tau­send Fran­cs ge­stoh­len zu ha­ben, Herr Hyp­no­ti­seur?«

»Pa­ta­ti pa­ta­ta.« Mis­ter Gam nahm sich, plötz­lich wie­der völ­lig ru­hig ge­wor­den, eine Zi­ga­ret­te. »Sie ha­ben sich Ihr Geld nicht un­ge­schickt zu­rück­ge­holt. Sie mö­gen es be­hal­ten. Aber was nicht Er­geb­nis Ih­rer Ar­beit ist, kommt Ih­nen nicht zu.«

Fénor rück­te la­chend an sei­nem Hut. »Nicht Er­geb­nis mei­ner Ar­beit? Ist ein gut in den Weg ge­stell­ter Fuß ein schlech­te­rer Truc als ein vor­züg­lich ver­wen­de­ter Tic? Es wäre üb­ri­gens sehr lie­bens­wür­dig von Ih­nen, mir den ei­gent­li­chen Zweck Ihres köst­li­chen Tics zu ver­ra­ten. Alle rest­li­chen De­tails Ihres Ar­bei­tens sind mir jetzt end­lich klar.«

»Mit Ver­gnü­gen.« Mis­ter Gam lä­chel­te ver­bind­lich. »Er dient le­dig­lich der Ver­schleie­rung der Hyp­no­se. Er fes­selt die Auf­merk­sam­keit mei­nes Man­nes in ho­hem Gra­de, macht es ihm aber an­de­rer­seits un­mög­lich, zu be­mer­ken, dass ich ihm un­aus­ge­setzt in die Au­gen sehe.« Er hat­te sich wäh­rend die­ser Wor­te Fénor ge­nä­hert, er­griff plötz­lich mit bei­den Hän­den des­sen Kopf, press­te sie auf die Schlä­fen und stier­te ihm in die Au­gen …

Als Fénor zu sich kam, lehn­te er, halb ein­ge­sun­ken, an ei­nem Ar­ka­den­pfei­ler. Ein Po­li­zist stand ne­ben ihm, klopf­te ihm auf die Schul­ter und riet ihm freund­lich, doch end­lich heim­zu­ge­hen. Fénor nick­te me­cha­nisch und ging.

Nach ei­ni­gen Schrit­ten er­in­ner­te er sich. Die Zäh­ne auf­ein­an­der­knar­rend, griff er in die Ta­sche: das Por­te­feuil­le, das er er­jagt hat­te, war ver­schwun­den; aber auch sein ei­ge­nes, in dem sich al­ler­dings bloß zwei­hun­dert Fran­cs be­fun­den hat­ten.

Er hät­te sich nicht wo­chen­lang fast krank ge­är­gert, wenn er ge­wusst hät­te, dass das ge­stoh­le­ne Por­te­feuil­le nur neun­hun­dert Fran­cs ent­hal­ten hat­te.

Ein ungewöhnlicher Handel

Tral­cof griff, kaum dass er er­wacht war, has­tig nach dem Te­le­fon­ap­pa­rat, der auf dem Nacht­tisch­chen stand, und lä­chel­te ver­schmitzt, wäh­rend er auf die Stim­me der Be­am­tin war­te­te. »Cen­tral 46 88 … Ja … Die Si­gno­ri­na For­be­na, bit­te … Ja … Lui­sa? Gu­ten Mor­gen. Aus­ge­schla­fen? … Aber das muss doch wie­der ein­mal auf­hö­ren. Ich glau­be, dass es für die Er­hit­zung er­kal­te­ter Be­zie­hun­gen ge­nügt, wenn man sie drei Wo­chen lang … Wie? Sechs Wo­chen? Si. Also wenn man sie sechs Wo­chen lang auf den Rost ei­nes flam­men­den Bruchs legt. Poe­tisch, nicht? … Ja, du hast recht. Ich war stets ein sach­li­cher Träu­mer. Du glaubst mir doch hof­fent­lich kein Wort. Jetzt, da mich die Sehn­sucht treibt … Ja, bit­te, treibt. Also jetzt kann ich es dir ja ein­ge­ste­hen, dass ich mit dir nur ge­bro­chen habe, weil es so nicht mehr wei­ter­ging und weil … Was ich ei­gent­lich will? O, du Tief­sin­ni­ge! Ers­tens mich mit dir aus­söh­nen, um die Fried­lich­keit mei­ner seit drei, scu­sa­te, seit sechs Wo­chen schwer troub­lier­ten Näch­te wie­der­her­zu­stel­len … Ach, ich pfei­fe dar­auf, ob du es glaubst oder nicht. Wich­tig ist mir nur, dass du wie­der­her­stellst … Nicht? … Wirk­lich nicht? War­te bit­te, be­vor du mir end­gül­tig ab­läu­test, mein Zwei­tens ab … Ja, heiß­ge­lieb­tes Mäd­chen … Du lachst nicht ein­mal? Dann al­ler­dings ist die Ge­fahr des Ab­ge­läu­tet­wer­dens be­trächt­lich ge­stie­gen … Ja, ja, ja, also kurz und gut und zwei­tens: wie konn­test du eine der­art fürch­ter­li­che Dumm­heit ma­chen, dich mit die­sem Frau­en­zim­mer in der Via Chiaia zu zei­gen und noch dazu am hel­len Mit­tag? … Ob ich sie ken­ne? Ganz Nea­pel kennt die­se Per­son. Wie konn­test du nur! … O, ich ver­mu­te, dass es ein Rück­zug ist, wenn man nach solch ei­ner feuch­ten Mit­tei­lung plötz­lich kei­ne Zeit mehr hat … Was? Um sie­ben Uhr? Zur Wie­der­her­stel­lung? … Nein? … Also um sie­ben Uhr. Ar­ri­ve­der­ci!«

Tral­cof ließ sich schmun­zelnd in die Kis­sen zu­rück­glei­ten: er war nun si­cher, dass er jene schö­ne Frau, die er am Tag vor­her am Arm Lui­sas, das ers­te Mal in sei­nem Le­ben, ge­se­hen hat­te, in we­ni­gen Ta­gen ken­nen wür­de.

Abends aß er mit Lui­sa im Es­po­si­to auf der Pi­az­za S. Fer­di­n­an­do.

Lui­sa hat­te so­fort, als er bei ihr ein­ge­tre­ten war, Frau Ver­cel­li in lei­den­schaft­li­cher­wei­se zu ver­tei­di­gen be­gon­nen: sie sei die Wit­we ei­nes rö­mi­schen Co­lo­nels, der in Tri­po­lis ge­fal­len wäre, be­woh­ne drei Zim­mer im Ho­tel Bri­tan­ni­que auf dem Cor­so Vit­to­rio Ema­nu­e­le und ver­keh­re über­haupt nur mit zwei Men­schen, mit Lina Dini und Car­lo Gel­li, durch den sie zu­fäl­lig ihre Be­kannt­schaft ge­macht habe. Lui­sa war wäh­rend die­ser Ver­tei­di­gungs­re­de ge­ra­de­zu auf­ge­regt ge­we­sen.

So hat­te Tral­cof, ohne selbst auch nur ein ein­zi­ges Wort ge­sagt zu ha­ben, mü­he­los er­fah­ren, was er zu wis­sen wünsch­te; dar­auf­hin die Mög­lich­keit ein­ge­räumt, dass er sich ge­irrt ha­ben könn­te, dass viel­leicht eine ver­blüf­fen­de Ähn­lich­keit vor­lä­ge, und, schnell ab­len­kend, Lui­sa eine gut dis­po­nier­te Lie­bes­er­klä­rung ge­macht, die zwar zu kei­nem deut­li­chen Er­geb­nis führ­te, aber im­mer­hin zur An­nah­me der Ein­la­dung zum Di­ner.

Beim Des­sert, dem vor­züg­lich ge­bän­dig­te Sprachat­ta­cken und mehr oder we­ni­ger hef­ti­ge Wie­deran­nä­he­rungs­ver­su­che auf dem Sou­ter­rain vor­her­ge­gan­gen wa­ren, ließ Tral­cof eine klei­ne Pau­se ein­tre­ten, um mit der er­for­der­li­chen Harm­lo­sig­keit sa­gen zu kön­nen: »Nein, ich glau­be doch nicht dass ich mich ge­irrt habe. Die Ähn­lich­keit war zu groß.«

»Du musst dich ge­irrt ha­ben.« Lui­sa wur­de au­gen­blick­lich wie­der auf­ge­regt, so­dass Tral­cof ver­wun­dert auf­merk­sam wur­de. »Es ist gänz­lich aus­ge­schlos­sen, dass Pina nicht ist, was sie scheint.«

Tral­cof lä­chel­te dünn. »Pina sagst du be­reits? Also schon so in­tim? Nun, ich er­in­ne­re dich an das, was ich dir frü­her öf­ter zu be­den­ken gab: dass man im­mer nur et­was zu sein scheint und dass es des­halb le­dig­lich dar­auf an­kommt, her­aus­zu­be­kom­men, ob man den früh­zei­tig und end­gül­tig an­ge­nom­me­nen Schein vor sich hat oder einen nur vor­über­ge­hend an­ge­nom­me­nen.«

Lui­sa mach­te eine ei­gen­sin­ni­ge Hand­be­we­gung und fis­tel­te ner­vös: »Lass bit­te dei­ne Er­zie­hungs­ver­su­che! Da­rauf fal­le ich nicht mehr her­ein. Au­ßer­dem hat mir Pina tat­säch­lich be­wie­sen, dass sie es ehr­lich mit mir meint.«

Tral­cof schwieg schlau­er­wei­se und be­schränk­te sich dar­auf, als er Lui­sas for­schen­den Blick auf sich ge­rich­tet fühl­te, wie für sich hin zwei­felnd den Kopf zu be­we­gen.

»Du kannst dich ja selbst da­von über­zeu­gen, wenn du willst.« Lui­sa spiel­te är­ger­lich mit ih­rer Ser­vi­et­te. »Ich gehe mor­gen mit ihr und Gel­li ins Thea­ter. Komm in die Loge! Ich stel­le dich vor.«

Tral­cof zuck­te, sehr mit sei­nem Vor­ge­hen zu­frie­den, leicht die Ach­seln und nahm sei­ne Be­stri­ckungs­tä­tig­keit wie­der auf, die ihn denn auch nach Mit­ter­nacht in Lui­sas Bett brach­te …

Als er am nächs­ten Abend in Frau Ver­cel­lis Loge er­schi­en, war Lui­sa des­halb so hei­ter, dass der güns­ti­ge Ein­druck, den er auf jene mach­te, noch durch die na­he­lie­gen­de Ver­mu­tung, er konn­te die­se Hei­ter­keit her­vor­ge­ru­fen ha­ben, er­höht wur­de.

Tral­cof er­kann­te so­gleich, wie vor­teil­haft sei­ne Si­tua­ti­on sich ge­stal­te­te, und zö­ger­te nicht, ihr kräf­tig nach­zu­hel­fen: er igno­rier­te Frau Ver­cel­li fast, ver­wi­ckel­te aber Lui­sa und Gel­li in eine schlecht­hin be­tö­rend amüsan­te Kon­ver­sa­ti­on und ver­ließ, als es ihm ge­lun­gen war, der fins­ter ab­seits Sit­zen­den ein Lä­cheln zu ent­lo­cken, über­ra­schend un­ver­mit­telt die Loge.

Am fol­gen­den Mor­gen war es da­her Lui­sa, die an­klin­gel­te, um ihn mit je­nen ge­wis­sen hal­b­en Tö­nen hei­ßen Stol­zes zu bit­ten, sie abends ab­zu­ho­len und ins Ho­tel Bri­tan­ni­que zu be­glei­ten.

Da­selbst ver­ur­sach­te Tral­cof mit bos­haf­ter Ge­nug­tu­ung ein ei­si­ges Di­ner, in­dem er sich dar­auf be­schränk­te, mit dem Kopf zu ni­cken oder ihn lei­se zu schüt­teln. So­dass der sonst sehr zähe Gel­li es nach ei­ni­gen ver­zwei­fel­ten Ver­su­chen auf­gab, Tral­cof zum Re­den zu brin­gen.

Umso grö­ßer war dar­um des­sen Er­folg, als er, wah­rend man noch Kaf­fee trank, ans Kla­vier ging und die reiz­volls­ten deut­schen und fran­zö­si­schen Ka­ba­rett­schla­ger spiel­te, zwi­schen­durch sang und scherz­te und schließ­lich die ge­wag­tes­ten Spä­ße mach­te, wel­che Frau Ver­cel­li im­mer wie­der vor die Wahl stell­ten, ihn hin­aus­zu­wer­fen oder zu be­wun­dern. Da sie selbst­ver­ständ­lich die­ses vor­zog, war es nicht wei­ter ver­wun­der­lich, dass sie Lui­sa neu­gie­rig frag­te: »Ist er im­mer so?«

»Nein, so war er noch nie.« Lui­sa ahn­te nicht ein­mal, was al­les sie mit die­ser Fest­stel­lung ver­nich­te­te.

Denn Frau Ver­cel­li zwei­fel­te nun nicht län­ger, wem Tral­cofs Göt­ter­stim­mung gel­te, und er­kann­te, dass des­sen vor­her­ge­gan­ge­ne Lau­nen be­wuss­te, auf sie ge­rich­te­te Ma­nö­ver wa­ren.

Als Lui­sa und Tral­cof spät nachts sich ver­ab­schie­de­ten, bat Frau Ver­cel­li um Bü­cher. Tral­cof, be­reits in­ner­lich sich als Sie­ger hul­di­gend, ver­sprach wel­che; Lui­sa, sie zu brin­gen.

Doch Tral­cof kam ihr zu­vor. Schon am an­de­ren Mor­gen. Und zwar um acht, über­zeugt, Frau Ver­cel­li noch im Bett an­zu­tref­fen und gleich­wohl vor­ge­las­sen zu wer­den.

Kaum hat­te das Zim­mer­mäd­chen, das ihm mit­ge­teilt hat­te, er möge ein we­nig war­ten, den Sa­lon ver­las­sen, als Tral­cof kur­zer­hand Frau Ver­cel­lis Schlaf­zim­mer be­trat.

»Gior­no. Ich wuss­te, dass Sie nicht war­ten wür­den.« Frau Ver­cel­li blieb, ihm nur den Kopf zu­wen­dend, im Bett lie­gen.

Tral­cof ließ die Bü­cher fal­len. »Sie … Sie … Sie …« keuch­te er, nicht ohne ef­fekt­vol­le Kli­max, und warf sich, nicht we­ni­ger be­dacht, auf Frau Ver­cel­li, die ihn ohne den ge­rings­ten Wi­der­stand emp­fing und nach ei­ner Stun­de im­mer noch fest­hielt.

Erst als eine ganz be­son­ders durch­ge­ar­bei­te­te Er­schöp­fung statt­ge­fun­den hat­te, be­gann sie zu spre­chen. »Bist du wirk­lich Lui­sas Apoll?«

»So da­ne­ben vor­bei ge­we­sen.« Tral­cofs mäch­tig ge­schwun­ge­ne Brau­en zuck­ten wie ge­kränkt. »Vor vie­len Mo­na­ten ein­mal habe ich, ge­wiss, über … ich fing nur dei­net­we­gen wie­der an.«

»Sie muss schon reich­lich be­jahrt sein, das We­sen.«

»Drei­und­drei­ßig.«

»Si. Seit sechs Jah­ren.« Frau Ver­cel­li ließ Tral­cof nicht aus den Au­gen. »Bei die­sem Le­ben geht es eben rasch.«

»Ko­kot­te ist sie ei­gent­lich nicht.«

»Doch.«

»Du willst mich aus­hor­chen.« Tral­cof zupf­te miss­trau­isch an ih­ren Ach­sel­haa­ren.

»Vi­el­leicht. Liebst du sie?«

»Wie macht man denn das?«

»Bene. Hat sie mich be­schimpft?«

»Nein. Viel­mehr dich hef­tig als an­stän­di­ge Frau ver­tei­digt, als ich dich eine schwe­re Ka­val­le­rie-Hure nann­te.«

»Was?« Frau Ver­cel­li, de­ren präch­ti­ger Ober­kör­per vi­per­n­ähn­lich auf­ge­schnellt war, ließ sich als­bald grin­send zu­rück­sin­ken. »Üb­ri­gens wes­halb, wenn man fra­gen darf?«

»Zur Ori­en­tie­rung. Sage mir, auf wen eine Frau schimpft, und ich wer­de dir sa­gen, wel­che von bei­den vor­zu­zie­hen ist.«

»Nett. Aber sie hat mich doch nicht be­schimpft.«

»Eine Frau, die eine an­de­re ver­tei­digt, muss schwer hin­ein­ge­fal­len sein.«

»Bra­vo. Aber be­ob­ach­tet sprichst du noch bes­ser. Hör mal, willst du mit mir ar­bei­ten?« Frau Ver­cel­li räus­per­te auf­mun­ternd.

Tral­cof setz­te sich auf, es mit Er­folg ver­mei­dend, er­staunt zu sein. »Was soll das hei­ßen?«

»Das soll hei­ßen, dass du mir in je­der Hin­sicht will­kom­men wärst. Und wenn du mein Lieb­ha­ber blei­ben woll­test, umso herz­li­cher.«

Frau Ver­cel­li wei­de­te sich, fast mit lei­sem Hohn, an Tral­cofs ge­spiel­ter Gleich­gül­tig­keit. »Die Ver­än­de­rung wäre nicht zu dei­nem Nach­teil. Wie viel gibt dir Lui­sa, ca­ris­si­mo?«

»Sind Sie … Bist du des­sen si­cher?«

»Er ver­spricht sich! Also doch noch ein we­nig be­lei­digt.«

»Ich wun­de­re mich über dei­ne go­ti­sche Psy­cho­lo­gie. Un­nö­tig. Lui­sa gab mir ges­tern tau­send.« Tral­cof, der bloß fünf­hun­dert er­hal­ten hat­te, är­ger­te sich, nicht einen hö­he­ren Be­trag ge­nannt zu ha­ben.