Gesammelte Werke: Krimis + Erotische Geschichten - Walter Serner - E-Book
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Gesammelte Werke: Krimis + Erotische Geschichten E-Book

Walter Serner

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  • Herausgeber: e-artnow
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Dieses eBook: "Gesammelte Werke: Krimis + Erotische Geschichten" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Walter Serner (1889-1942) war ein Essayist, Schriftsteller und Dadaist. Inhalt: Zum blauen Affen (Kriminalgeschichten): Mansardeskes Die Geschichte vom heißen Blütensamt Ein bedeutender Schlepper Zwei Ochsen Seilakt Philipp will sich rächen Wie Klara die Geduld riß Die bralasurende Saravala Eine eigenartige Konversation Der Pfirsich Kühles ganz seltene Stunde Mizzis Verführung Der Busenfreund Der rote Strich Der große Verbrecher Eine unhaltbare Konstellation Der Lebenskünstler Graf Ramuz Okenpunkolls Glück Unklarer Scherz Lola rangiert Peinliche Betriebsstörung Die Baumöl Der Doktor Sahob Die Rache des Serben Calenowitsch La dupe glissée Nierenräumer und der Sozialismus... Erotische Kriminalgeschichten: Ein Meisterstück Sein Truc Ein ungewöhnlicher Handel Wunder über Wunder Das Zéro Der Vicomte Die dilettierende Pension Eine kuriose Karriere Lampenfieber Das steile P Faule Zeiten Der Sturm auf die Villa Bukarest - Budapest Der berühmte Zedde Die Bande Kaff Sprotte schmust Das ominöse Schild Der Abreiser Die Ermordung des Marchese de Brignole-Sale... Der Pfiff um die Ecke: Der Beau Auf schwindelnder Höhe Daisy Die Frezzaria Der Freund aus Costa Rica Die schwarze Serie Die tückische Straße: Das Rendez-vous mit dem Goldzahn Die Clincher Box Las Tortilleras Narziss Die verhängnisvolle Camel Das Loch in der Weste Übersee Wong Fun Psycho-Dancing The mistery of Tottenham Court Road Auf dem Rummelplatz Deiters Putsch Im Hotel Fleißig Diluvialzeit Die Tigerin (Eine absonderliche Liebesgeschichte)...

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Walter Serner

Gesammelte Werke: Krimis + Erotische Geschichten

85 Titel in einem Buch: Literarische Sozialbilder der Halbwelt der Zwanziger Jahre: Zum blauen Affen; Erotische Kriminalgeschichten; Der Pfiff um die Ecke; Die tückische Straße; Die Tigerin…

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-2971-3

Inhaltsverzeichnis

Zum blauen Affen
Erotische Kriminalgeschichten
Der Pfiff um die Ecke
Die tückische Straße
Die Tigerin

Zum blauen Affen

Inhaltsverzeichnis

Dreiunddreißig Kriminalgeschichten

Der rote Strich
Die Geschichte vom heißen Blütensamt
Ein bedeutender Schlepper
Zwei Ochsen
Seilakt
Mansardeskes
Philipp will sich rächen
Wie Klara die Geduld riß
Die bralasurende Saravala
Eine eigenartige Konversation
Der Pfirsich
Kühles ganz seltene Stunde
Mizzis Verführung
Der Busenfreund
Der große Verbrecher
Eine unhaltbare Konstellation
Meg, der Troublist
Der Lebenskünstler
Graf Ramuz Okenpunkolls Glück
Lola rangiert
Peinliche Betriebsstörung
Die Baumöl
Der Doktor Sahob
Die Rache des Serben Calenowitsch
La dupe glissée
Nierenräumer und der Sozialismus
Angelisches
Die Betörung der Excentrique Fanoche
Trübe Sache
Fräulein Annas folgenschwerstes Abenteuer
Verborgene Begabung
Hahnebüchene Geschichten
Unklarer Scherz

Der rote Strich

Inhaltsverzeichnis

Jaccoud, sternhagelbesoffen, brüllte durch Gekreisch und Rauch:

»Morgenro-ot, Morgenro-ot, o, der Mensch ist ein Idio-ot. Nein, es ist das Morgenrö-ötchen, denn der Mensch ist ein Idiö-ötchen …«

Der Rest wurde von dem Radau zu Boden sausender Gläser verschüttet: Lucile war leidenschaftlich geworden.

»Bébé, hättest du jetzt das Näschen gerümpft, ich hätte dich wahrhaftig geschmissen.« Luciles übernasse Lippen verspritzten lieblich Moet-Chandon w. St.

»Nachdem er schon für vier Blaue geschmissen hat?« empörte sich Suntoff belustigt.

»Tais-toi, Iwan! Ich glaub einem die Begeisterung für meine Haut erst, wenn er sich déroutiert.« Luciles Kinn rieb sich schmeichelnd auf Bébé rundlich glitzernder Wange.

»Déroutiert?« Suntoff rülpste längere Zeit. »Ich wäre da stets im Zweifel, ob es sich nicht um reguläre Besoffenheit handelt.«

»Die Besoffenheit, c’est moi. Capito?« Lucile schluckte selbstbewußt.

»Capito,« benäselte sie nebenan Suzanne, deren Unteroffizier sich eben mit Ale beträufelte. »Schick doch mal ein Glas Schaum rüber! Ich möchte diesem Schwein die Hose putzen.«

»Morgenro-ot …« Jaccoud verkiekste sich, da Lucile, deren Achsel sein Mund benützen wollte, ihm einen Schluck Wein ins Gesicht spie.

Währenddessen flüsterte Madame Rosier, des Ensembles Besitzerin, da ihre Lippen ein roter Strich, Bébé ins Ohr: »Deux cents francs pour les verres cassés.«

»Deux …« lallte Bébé sulig und wühlte, von Luciles weißem Schenkel sehr lebhaft befeuert, ein Knäuel Banknoten aus seiner Hose, dem er fünf Fünfzigfrancs-Scheine entzupfte.

Einer flatterte zu Boden, in eine Weinpfütze: genau unter Suntoffs Schuhsohle.

Das soeben wieder weinfrei gewordene linke Auge Jaccouds hatte diesen sonderbaren Fall bemerkt. Sofort stieß er seinen Absatz auf Suntoffs Vorderfuß.

Der schrie entsetzlich auf. Vor Schmerz vornübergestülpt, kam er mit einem Ellbogen in Mayonnaise zu liegen.

Als ihn Luciles Fußtritte auf seinen Stuhl zurückgeliefert hatten, trocknete Jaccoud längst wie besessen seine Beute zwischen Stuhl und Hemigloben.

Suntoffs singendes Pedal verbot jede Erhebung; umsomehr, als Madame Rosier entzückt seine Lendengegend streichelte, tröstend: »Ich pfeif dir Suzanne her, ja? Die soll hier mitsaufen.«

Suntoff küßte dankbar ihren fetten Hals.

»Nein, es ist das Morgenrö-ötchen …« schmetterten Jaccouds fünfzig Francs.

»Am schönsten ist die Natur, wenn sie jouissiert,« äußerte der Unteroffizier Blech, in Zivil Literat, derzeit bereits einsam, und beglotzte melancholisch Suzannes fabelhafte Hüften.

Majestics Earl Ragtime begann gummig aus dem Hauptsalon einherzugeilen.

Blechs kahlrasierter Edelschädel hing deshalb bereits wie getrennt über der Tischplatte. Plötzlich aber blieb er lüstern in der Luft stehen: Mouches zartbehemdete Beine quollen rundlich heran.

Von Blechs Tressen und Ale jedoch jäh entzaubert, lenkte sie ihren Schwung geistesgegenwärtig auf Jaccouds zitternde Knie ab, der sie, schnell wild, wenn auch heiser umfing: »Nein, du bist das Morgenrö-ötchen …«

»Es gibt nur eine einzige Lösung der Hypothesenlehre,« rief jetzt gänzlich unvermittelt Suntoff. »Man koitiere sich in einem Zuge zu Ende.«

»Nein, in einem Puff,« schrie Jaccoud gröhlend.

Sofort bemühte sich Mouche, seiner Besoffenheit beizubringen, daß er sich daselbst befinde.

Doch Jaccoud seufzte bereits wieder: »O, der Mensch ist ein Idio-ot …«

Mouche, durchaus dieser Ansicht geworden, hüpfte so heftig von Jaccouds Knien, daß er vom Stuhl glitt; befäustelte kurz ihre Äuglein ob dem Anblick der plattgesessenen Banknote; flatterte die getrocknete flugs hoch, barg sie zärtlich unterhalb der Coiffure und wogte alsbald beflügelter denn je hinweg.

Blech taumelte, dadurch und durch Suzannes unentwegte Zärtlichkeiten für Suntoff zur Rache geneigt, schwerfällig empor und entschlossen, Energie zu entwickeln, auf den immerhin entgeisterten Jaccoud zu: »Sie Morgenro-ot, die also Entschwebende hat sie beerbt«; hierauf an Bébés Tisch, bereits Suzannes krachendes Händchen in den Schreibefingern: »Ich bin ein Genießer, kennt ihr meine Farben?«

»Bravo!« heulte Madame Rosier, drückte Blech ein Glas zwischen die Zähne und zerrte ihn dann an ihren Bauch.

Suzanne bog ihr Gelenk so genau gerade, daß sie zu schreien vergaß. Als es ihr einfiel, verhinderten sie Suntoffs fleißige Lippen bereits, es nachzuholen.

Lucile, die Blechs Hornhaut sich verdicken sah, setzte ihm ihr schuhloses Füßchen tremolierend in den Schoß, dessen Vergnügen Madame Rosier schnell auf sich zog, indem sie mit ihrem wulstigen nackten Unterarm so lange den dünnen Literatenhals massierte, bis der Edelschädel auf ihren zu diesem Behufe aufgesunkenen Mund niederhopste.

»Bébé, liebst du mich?« lispelte Lucile weinverschwitzt.

»Überall. Das sieht doch jeder Träumer.« Suntoff schob sich seitlich an Bébé heran, Suzanne als Deckung vor sich her küssend.

Und während Lucile, von Bébés lechzendem Kopfnicken wie hingerissen, sich in seinen Wanst verwalkte, preßte Suntoffs Knie die Faust Bébés, die seine letzten Banknoten umkrallt hielt, fest an das Fauteuilholz, so daß sie sich öffnete und mühelos leeren ließ.

Je mehr Bébé, nichts Gutes ahnend, sich unter Luciles Gluten wand, desto mehr steigerte er sie. Er schnaufte, schnappte, geiferte, quakte, quargelte, pfiff.

Lucile raste zweckentsprechend. Endlich stieß sie voll gut berechneter Begeisterung den Tisch um und schrie, Bébés Kopf von sich weisend: »Déroutier dich! Déroutier dich! Oder du liebst mich nicht!«

Madame Rosier nickte beifällig und versuchte vergeblich, Blech, der schon mit einem Fuße zwischen Suzannes von Suntoff verlassenen Beinen stand, zu betören.

Bébé hob erschüttert sein Fäustchen gen Himmel und ließ es drohend baumeln: »Suntoff, Suntoff, gib mir meine …«

Suntoff eilte überbeflissen herbei: »Galonen? Was, mein hehrer Gönner?«

»Meine, meine …« schwapperte Bébé verstört.

Suntoff warf ihm Lucile auf den Bauch.

»Bestohlen! Bestohlen!« Bébés zum Platzen rotgewordene Bäcklein erbebten gräßlich.

»Was?« Lucile fuhr vollendet beleidigt zurück. »Du Déroutenschwein! Das ist deine Liebe? Du kneifst? Ich – gestohlen?« Sie fetzte sich, nicht ohne Vergnügen, die Schwimmhose vom Leib. Und da sie Mouche, die gleichfalls splitternackt geworden war, und Jaccoud sich prügelnd um die Ecke wanken sah, watschte sie, eine suggestive Kollegin, Bébé jämmerlich.

Madame Rosier warf sich heiter verzweifelt auf sie, Blech auf Suzanne, Suntoff auf die Tür.

Macioces Aristocratic Fox-Trot gab allem den Takt.

Als unter tatkräftiger Mitwirkung des Hauptsalons allmählich Gemessenheit in die Bewegungen kam, sauste Suntoff, achthundert Francs unablässig küssend, in ein Taxi, dessen Schlag Madame Rosier zublitzte.

Wieder im Salon, riß sie, weil geschäftstüchtig und auf Blech scharfsichtig hoffend, Suzanne aus dessen langen Armen, hieb ihr schallend auf den Hintern und keifte: »En avant! Au salon!«

Blech, der ohnedies sehr befürchtet hatte, fünf Francs würden nicht genügen, ließ sich unglücklich, aber doch auch ein wenig mit dieser Erledigung zufrieden auf die Weinreste nieder und lispelte: »0, wie lieb ich das Gelichter des Lebens!«

Lucile war längst verschwunden. Sie plätscherte sich in ihrer Wanne Wein und Wehmut aus, streckenweise hauchend: »Suntoff, du bist tipp-toff!«

Bébé lag, eine dicke Weinleiche, in einer dunkelschillernden Pfütze. Sein Auge brach. Man ließ es geschehen.

Jaccoud jedoch, der seine fünfzig Francs endgültig verloren glaubte, fühlte sich plötzlich von hinten bedurft. Mouches flaumige Wange schob sich gegen die seine vor: »Komm, Bubi, du schläfst mit mir, du bist so stark …«

Jaccoud hatte soeben einen bläulichen Lichtstreifen oberhalb des Fenstervorhanges gesichtet und brüllte furchtbar: »Morgenrot, du Idio-ot!«

Die Geschichte vom heißen Blütensamt

Inhaltsverzeichnis

»… Drei Tage nachher schenkte mir ein spleeniger Unbekannter eine Fahrkarte dritter nach Brüssel. Das hat meine ganze Biographie von Grund aus verändert.«

»Gut, gut. Aber ich habe einmal … vor Jahren … Na, lieber in erquicklicher Kürze … Ich schleppte Anni, kompletten Unsinn schwatzend, in mein Zimmer und es begab sich sehr stürmisch … Dann aber ereignete es sich, daß sie von dem heißen Blütensamt meiner Lippen stammelte … Nun, ich war bewegt, aber die Lust war mir vergangen.«

»Paul, lüg nicht so!« Von Mittenmank näßte das eine Ende einer Zigarette und schwang sich graziös auf die Kommode.

»Aber Fritz! Du bist schon so blasiert, daß du mich ernst nimmst.« Und Hasedom hüstelte nachlässig.

Von Mittenmank versuchte vergebens, so erstaunt zu erscheinen, wie er tatsächlich war.

Da klopfte es zag.

Die beiden Augenpaare belauerten einander belustigt. Und als wäre es vereinbart, antwortete keiner.

Nun klopfte es so laut, daß Hasedom nicht mehr im Zweifel war und, einen plötzlichen Einfall lächelnd verarbeitend, von Mittenmank im Nu ins Nebenzimmer stupste.

Ein liebliches Fräulein näherte sich langsam, eine Zigarette unruhig in den Fingern, und sagte stockend: »Das gestern … das war wirklich eine Dummheit von mir.«

»Wovon sprichst du?« Hasedom, an die blumige Tapete gelehnt, sah mit Vergnügen die Klinke der Nebenzimmertür sich bewegen und blies in sich zur Sammlung.

»Aber du weißt es doch.«

Hasedoms Schenkel zuckten kokett: »Ach so, du meinst die Geschichte mit dem heißen Blütensamt.«

Das liebliche Fräulein setzte sich erregt: »Wie? … Nein, die mit Lili … O diese …«

»Wieso war das eine Dummheit?« Hasedom war so neugierig auf die Wirkung seiner Ahnungslosigkeit, daß er ein wenig zu anmaßend blickte.

»Was? … Was?« Ihr ganzes Ensemble fiel mit einem Mal auseinander und vermutlich ein Konzept um: »Man kann mich nicht beleidigen! Merken Sie sich das! Zur Liebe gehören schon zwei, das stimmt. Aber es kommt doch nur auf mich an!«

»Wieso?« fragte Hasedom leise und mit äußerer Vorsicht in den Zügen.

»Pfui!« Es klang wie ein Pfiff; dann sehr unbestimmt: »Ich und eifersüchtig!«

Hasedoms Körper straffte sich, endgültig orientiert. Dann begann er lächelnd und langsam: »Sie wollten wohl sagen, daß Sie der animierende Teil waren.«

»Nein, das habe ich nicht gesagt, weil es nicht wahr ist.«

»Wer zog mich am Ärmel?«

»Jawohl ich, aber nur, weil Sie mich nicht gegrüßt hatten.«

»Wer hat gestern vo … hm meinen Lippen gestammelt?«

Sie schleuderte die Zigarette aufs Bett, wo Hasedom sie kühn liegen ließ, kreischte sich vor ihn hin und schrie: »Ich, ich, ich … Aber nur, weil ich gestern …« Sie japste, außer sich.

»Weshalb aber kamen Sie denn jetzt auf die Geschichte mit Lili zu sprechen, wenn es … nur … auf Sie ankam?«

Eine kleine helle Stange sauste durch die Luft: Hasedom hatte eine Ohrfeige bekommen.

Es gelang ihm trotz mühsam verhaltenem Entzücken die Zigarette, die sonderbarer Weise kein Loch gebrannt hatte, langsam vom Bett zu holen, noch langsamer wieder zu entzünden und erst nach Minuten bewegungslosen Dastehens wieder aufzublicken.

Das liebliche Fräulein stand, die Finger ob dem Busen knetend, leicht zitternd am Fenster.

»Ich glaube annehmen zu dürfen, meine Liebe, daß Sie nicht wissen, weshalb ich Ihnen keine Ohrfeige gab.« Jede Silbe Hasedoms frohlockte. Mit innigem Genuß sah er, wie ihre Finger still wurden, wie alles an ihr gespannt wartete und wie die Nebenzimmertür sich fast unmerklich bewegte.

Nach einer geschickt mit peinigenden kleinen Geräuschen versehenen Pause äußerte er sachlich: »Deshalb: weil ich Sie sonst überhaupt nicht mehr los geworden wäre.«

Das liebliche Fräulein verharrte sekundenlang regungslos. Dann trippelte sie überzierlich zur Tür, entklinkte sie mit den Worten: »Trottel, blöder!« und machte eine lange Nase …

Schon stand von Mittenmank vor Hasedom: »Schäm dich! Du bist ja sentimental!«

»Bist du besoffen?« Hasedom war tatsächlich perplexiert.

»Besoffen? Du spielst doch noch den Tierbändiger, du Stümper!«

»Du hast schlecht gehorcht.« Hasedom lächelte enorm.

»Außerdem: die Geschichte mit dem heißen Blütensamt hat sich doch bekanntlich – vor Jahren bereits abgespielt, he … Mir den Gegenbeweis fabrizieren wollen! Mir!«

Hasedom drehte sich belustigt hin und her. Dann hüstelte er nachlässig: »Ich danke dir. Ohne dich wäre ich Fff …, wäre ich sie nicht so glatt los geworden.«

»Paul, lüg doch nicht so!« Plötzlich aber stutzte von Mittenmank, grinste, rannte zur Tür, auf die Treppe und rief: »Anni! Anni!«

Keine Antwort. Stille, nur vom hellen Tritt kleiner Holzabsätze unterbrochen.

»Heißen Sie Anni?« brüllte von Mittenmank. »Ich bitte Sie inständig, antworten Sie!«

Absolute Stille. Endlich ein gelles Stimmchen: »Nein, Sie Esel, – Franzi!«

Von Mittenmank ruderte größenwahnsinnig ins Zimmer zurück: »Na, du alter Lump, hab ich dich?«

Hasedom ließ sich gemächlich in ein Fauteuil rutschen.

»Du hast schlecht gelogen und doppelt, mein Junge.« Die Visage von Mittenmanks triumphierte fürchterlich.

Hasedoms Lider flatterten sehr amüsiert: »Gelogen – nein. Schlecht – ja. Doppelt – vielleicht.«

»Wa-a-a-a-s?«

»Schäm dich, du nimmst mich ernst … Übrigens, wie war das mit Brüssel? Aber bitte nicht lügen!«

Von Mittenmank mißlang es, nicht so erstaunt zu erscheinen, wie er tatsächlich war.

Dann gröhlten beide.

Ein bedeutender Schlepper

Inhaltsverzeichnis

Dungyerszki, der ein sehr bewegliches Gehirn besaß, bemerkte eines Abends, als er wieder definierte, daß ein Zuhälter einem Reichsgrafen durchaus vorzuziehen sei, da jener als Mitgiftjäger in Raten vor dem in Ehren, nämlich dem Reichsgrafen, nicht nur voraus habe, daß Madame auch etwas davon habe, sondern überdies das Risiko, nämlich den Mut.

Dungyerszki liebte es seit mehreren Wochen, zu definieren, weil es ihn sehr unternehmungslustig machte und sich selber interessanter.

An diesem Abend beschloß er denn endlich, nicht mehr zu hungern, vielmehr mit sich hervorzutreten und seine interessante Person zu fruktifizieren.

Er begab sich dieserhalb in die Kauffinger Straße und trat neben eine sehr farbig gekleidete und mit zweifelhaften Bijous fast verhängte junge Dame mit der höflichen Frage: »Was verstehen Sie unter ›Laster‹, meine Gnädige?«

»Wie, mein Herr?«

»Ich möchte mir die Frage gestatten, was Sie unier ›Laster‹ verstehen.«

»Gengerns weg. Frozzelns an andere als mi.«

»Weit gefehlt, meine Gnädige. Und damit Sie davon überzeugt sein können, hier meine Antwort: Laster ist eine Beschäftigung, welche es der Tugend ermöglicht, vorhanden zu sein.«

»Sö san einer. Gehns, sagns dös no amal.«

»Gerne.« Dungyerszki repetierte langsamer und tonvoller.

»Jessas, san Sö einer. Aber wo er recht hat, hat er recht.« Die junge Dame lächelte animiert.

»Nun wird es Ihnen aber sicherlich nicht schwer fallen, meine Gnädige, mir zu sagen, was Sie unter ›Tugend‹ verstehen.«

»Na, sagns es nur glei, daß Sies los wern.«

»Sie sind Psychologin. Nun denn …«

»Was bin i? Sö, gebns acht, was sagn.«

»Konträr, es war ein Lob. Nun denn: Tugend ist die Abwesenheit jeder Möglichkeit, sich dem Laster zu widmen.«

»Härns, Sö gfalln mer. Was hams denn für an Beruf?«

»Den, keinen zu haben. Denn ein Beruf ist der gelungene Nachweis des Mangels jeder besseren schlechten Eigenschaft.«

Die junge Dame lachte lieblich auf, sah schnell auf ihre Armbanduhr und holte sich hierauf, kurz entschlossen, Dungyerszkis Unterarm: »Kommens, ‘s is erscht sechse. Trinkens a Halbe mit mir.«

Dungyerszki tat es, ließ sich ›Zki‹ nennen, versprach erfreut, am nächsten Vormittag in der Kudlacher Straße 16 vorzusprechen und etwas für seine Garderobe zu tun. Hierauf wünschte er zwecks Veranstaltung einer Mahlzeit zwei Mark, erhielt sie mit einer geradezu großartig generösen Geste und verließ Fräulein Milli gehobenen Gemütes.

Dieser immerhin nennenswerte Erfolg seines ersten Hervortretens veranlaßte Dungyerszki, nachdem er opulent diniert, ein Café frequentiert und mehrere Waz-Zigaretten konsumiert hatte, gegen elf Uhr nachts zu einer Wiederholung.

Ein seriös gekleideter Herr mit einem Hautsack unterm Kinn, geröteten dicken Augenlidern, einer behaarten Warze auf der linken Wange und einem fettstrotzenden Körper dünkte ihm die dazu geeignetste Person.

Dungyerszki näherte sich unauffällig und sagte plötzlich vor der Theatinerkirche, der trotz dem geschlossenen Portal Weihrauchduft entströmte: »Mein Herr, könnten Sie mir sagen, was der ›Himmel‹ ist?«

Dungyerszki erblickte ein Gesicht, das verblüffende Ähnlichkeiten mit dem eines kranken Stationsvorstehers aufwies.

»Der Straßenlärm hat Sie wohl verhindert, mein Herr, mich zu verstehen,« fuhr Dungyerszki unbeirrt fort. »Ich bat Sie, mir zu sagen, was der ›Himmel‹ ist.«

Der Herr, ein gebürtiges Münchner Kind, begriff jetzt, daß es sich um einen Gschpaßigen handle, und begann entsetzlich zu grinsen: »Der Himmel? Dös kann i Ihner scho sagn. Der Himmel, dös is die Odeonsbar.«

»Das mag wohl sein. Ich fragte jedoch direkt.«

»Also direkt hams gfragt.«

»Vielleicht sind Sie meiner Auffassung: für mich ist der Himmel eine Einrichtung, die verhindern soll, daß der Mensch aus ihm fällt.«

»No ja …« Der beleibte Herr fühlte sich in seiner Bequemlichkeit gestört. »Da, kaufens Ihner a Halbe.«

»Ich danke. Möchte jedoch hinzufügen, daß ich Definist bin.«

»Was hams gsagt?«

»Daß ich Definist bin.«

»Was is an dös?«

»Definist ist, wer sämtliche Hauptworte so lange mit seinem Gehirn kitzelt, bis sie vor Lachen in einen Satz machen.«

Der beleibte Herr lachte sozusagen: von ungefähr kam es ihm lustig vor und sogar irgendwie verständlich. »Dö Hauptwort kitzeln? Machens dös do amal.«

»Aber gerne. Bitte nennen Sie mir ein Hauptwort.«

»Alsdann a Hauptwort … Alsdann sagn mer ›Liebe‹ hoho.«

Dungyerszki besann sich keinen Augenblick: »Liebe ist ein Schwindel, dessen süße Empfindungen manchmal entschuldigen, daß man auf ihn hineingefallen ist.«

»Dös hams gut gsagt.« Der beleibte Herr lachte glucksend. »Alsdann gehn mers weiter … eine ›Kakotten‹ hohoho.«

Dungyerszki lächelte darüber, welch elementare Vokabeln ihm serviert wurden: »Kokotte ist ein weibliches Wesen, das sich von einer anständigen Frau dadurch unterscheidet, daß es nur von Fall zu Fall ausgehalten wird, und der gemeinsamen Vorliebe für maskuline Abwechslung und auffallende Kleidung ungehinderter fröhnen kann.«

»Wahr is. Wahr is. Sagns, wo hams denn dös alls her.«

Dungyerszki lächelte mitleidig: »Wollen Sie bitte ungeniert weiterfragen, mein Herr.«

»Ham Sös aber happig. No ja, sagn mer no ›Theresienwiesen‹.«

»Eine zu windige Gelegenheit.«

»Hohohoho!« Der beleibte Herr schwang seine ringbesetzten Wurstfinger Dungyerszki auf die Schulter: »Jetzt aber no ›Nachtlöben‹.«

»Der meist mißlungene Versuch, wenn’s finster wird, aus einer Bar ein Vergnügungslokal zu machen.«

»Na, härns, auf die Baren da laß i nix kommen. Und gwies nöt auf die Odeonsbar.«

»Ich mache mich anheischig, Ihnen zu beweisen, daß Sie sich in Wirklichkeit bisher in der Odeonsbar fadisiert haben.«

»I und mi fadisiert?« Der beleibte Herr blieb empört stehen. »I mi? Wie wollns mer denn nacher dös beweisen, ho?«

»Ich schlage den Tatsachenbeweis vor: Sie gehen mit mir in die Odeonsbar.«

»No und nacher …«

»Und das, was Sie da an meiner Seite erleben werden, wird alles Dagewesene derart in den Schatten stellen, daß Sie, wenn Sie diesen Abend mit den früheren vergleichen werden, sich eingestehen müssen, sich zum ersten Mal nicht fadisiert zu haben.«

»Dös wolln mer segn, Sie Aufschneider.«

»Sie stimmen also zu?«

»Kommens, Sie Döfinist Sie.« –

Sie saßen noch nicht, als eine Dungyerszki bekannte Stimme aus einer Ecke der Bar schrie: »Jessas, der Zki!«

Die bereits angetrunkene Milli stellte alsbald drei Damen und zwei Herren Dungyerszki als den frechsten und gescheitesten Fremdling von München vor und fiel hierauf, gleichzeitig mit den drei restlichen Damen, dem beleibten Herrn freudeschluchzend um den Hals.

Als dieser morgens gegen vier Uhr in eine Droschke gerollt wurde, lallte er Dungyerszki weinend zu: »Zki, du bischt das fidelste Luder, was mir in München derzeit ham.«

Milli, die am Arme Dungyerszkis um ihre Lotrechte sich bemühte, bekräftigte diese Auffassung durch einen leidenschaftlichen Schlag auf seinen Bauch. Und als Dungyerszki eine zweite Droschke heranwinkte, stammelte sie begeistert: »Jetzt sag mir bloß, Zki, wo du im Handumdrehn den Oberhuber auftriebn hast. Dös is ja der reichste Fleischer ausm Sendlingerviertl.«

Dungyerszki zuckte wegwerfend die Achseln. Dann sagte er unnachahmlich: »Kudlacher Straße 16.«

»Ja, der Kopp!« seufzte Milli träumerisch …

Am nächsten Nachmittag kaufte sich Dungyerszki bei Tietz einen hellgrauen Anzug, dessen Hosen an den Seiten dunkle Lampas aufwiesen, einen braunen, kühn gewölbten Kiki und einen schwarzen Spazierstock mit Elfenbeinknopf.

Dergestalt verbessert erschien er um fünf Uhr an der Seite Millis in der zu dieser Stunde nur von Animierpersonal besetzten Odeonsbar, deren Direktor auf Millis und sämtlicher Anwesenden dringendste Empfehlung hin ihn mit einem Anfangsfixum von hundert Mark monatlich und zehn Prozent vom erzielten Weinkonsum als Schlepper engagierte. In dieser Eigenschaft war er von Milli, die in ihm bereits den hervorragendsten Geist des Kontinents sah und ihren endgültigen Typ, privatest längst auf halbpart verpflichtet worden.

Nach wenigen Wochen versorgte Dungyerszki auch andere Damen gegen ein monatliches Fixum privatest und galt bald nicht nur als die größte Definitions-Attraktion des beliebten Lokals, sondern unter dem Namen ›der lange Zki‹ als der bedeutendste Schlepper von München.

Zwei Ochsen

Inhaltsverzeichnis

Ein Geräusch, als scharrten hundert Hühner, begann andauernd zu werden.

Pufke tat, als ließe er sich nicht stören: »Ja, ik lieje kaum auf det Sofa neben die Vabindungstür, die mir von meinem Nachbar trennte …«

»Daher der Name Verbindungstür,« stöhnte Pollak.

»Also ik sitze möjlichst vornehm im Boardinghouse, Kurfürstendamm. Da platzt een Rohrpostwisch: ›Löser stinkt schon. Sag schön adieu. Aber fixe. Dein Bumbum!‹ Klingeln, Packen, Auto war eens.«

»Drei!« höhnte Pollak.

»Moment! Kennste die Rita Pepilla? Schonglöse! Nich?«

Pollaks Zungenspitze liebkoste verächtlich seine Oberlippe.

»Na, die hockte damals im selben Jang und besuchte mir jerade beis heftigste Packen. ›Wat machste denn?‹ haucht die Jans, ›Ik ziehe aus,‹ saje ik und denke mir: zaspring! ›Nanu, aba wohin denn?‹ fragt sie und jlotzt wie der janze Zoo. ›In die Schweiz!‹ saje ik. Nu aba kiekst det Biest, det die janze Anstalt wackelt und ik ihr mit ner Socke die Fresse stopfen muß …«

»Mahlzeit!« Pollak resignierte gut gebrochenen Auges.

»Ab’an feines Weib jewesen, die Rita – ffffffff … Moment!« Pufke sprang auf und stieß einem allem menschlichen Ermessen nach jüngeren Fräulein, das seit längerem mit einer Miederplanchette ohrenbetäubend einen Blechtopf malträtierte, diesen mit dem Fuß aus der Hand: »Ik werde dir jeben!«

»Tempus falsch, Vokabel falsch!« stellte Pollak, sich bemühend, deutlich zu grinsen, sachlich fest.

»Halt die Schnute!« schrie Pufke, sehr ärgerlich, weil er es für eine Beleidigung hielt und Emma, das jüngere Fräulein, sichtlich Ohnmachtsähnliches produzierte.

»Julius, Haltung! Emmachen s-t-simuliert!« probierte Pollak, das schwarze Auge unverwandt auf Emma gezielt.

»Ph!« ließ diese augenblicklich sich vernehmen und drehte sehr geschmeidig die halbnackten Schultern. »Quatschköppe! Von heute an schlafe ik überhaupt nur noch mit meine Plüschpuppe.«

»Lebensgroß?« hauchte Pollak.

»Hat sich wat mit euch.« Emmas Linke ergriff energisch und vielversprechend ihren Busen. Gleichwohl senkte sie ein Auge langsam auf Pollak.

»Je nun, Plüsch macht heiß!« Pufkes Hochdeutsch sollte die soeben erlangte Haltung unterstreichen, hatte jedoch lediglich das oft schon stattgefundene Schicksal, ganz außerordentlich komisch zu wirken.

Man rülpste, gluckste, kicherte und summte einher.

Pufke, nichts Böses ahnend, hub an weiter zu erzählen: »In der Schweiz …«

»Kusch!« zischte Emma. »Deine Rita is uns zwida.«

Und Pollak fiel prompt ein: »Jules, sei nich so kühl.«

Pufke fühlte auch jetzt noch nichts dräuen und schlug großartig vor, zu pokern.

Da es sich alsbald herausstellte, daß die zu dieser Beschäftigung erforderliche Zahl von Karten bloß um achtzehn herum sich bewegte, ordnete Emma entschlossen ihre Coiffure, erhob sich herausfordernd kompliziert und spie kräftig, aber formvollendet ins Zimmer.

»Na det is aba …« Pufke ließ beunruhigt die Karten knattern.

Pollaks Haupt pendelte teils sorgenschwer, teils hoffnungsträchtig.

Plötzlich drehte Emma sich auf ihrem Absatz herum (besonders schwungsicher, weil gummilos), hieb mit der Hand durch die Luft, daß die Finger scharf pfitschten, und flötete: »Salo, Süßer, kommste mit?«

Die Karten in Pufkes Hand erzitterten, als wollten sie sich beliebt machen.

Als aber Pollaks östliche Beine in entzückte Bewegungen gerieten und schließlich ins Gehen, faßte sich Pufke und persiflierte trompetend: »Emma, geliebte Emma, du bist ein Aas von hinten und von vorn.«

»Zu spät!« spottete Pollak und fing sich keß Emmas Hüfte.

»Leb wohl, Julius,« sagte Emma ernst, schon auf der Schwelle, und absichtlich zögernd: »Junge, Junge!«

Pufke schmiß ihr die Karten nach, naturgemäß ergebnislos, und deshalb hinterher einen angebissenen Apfel, der das Glück hatte, auf Pollaks hochtrabend zurückgewandter Nase anzukommen.

Pollak schrie wie gelernt auf und warf sich, vor Wut krummer als sonst, auf Pufke.

Stampfen. Keuchen. Stoßen. Wälzen. Staub.

»So.« Emma zückte, die Klinke im Fäustchen, etwas Dunkles, Rundes, rief: »Balgt euch nur, bis euch der Magen ins Maul hüpft, ihr Ochsen! Det Jeld habe ik, vastanden!« und schmetterte mit der Tür, nicht ohne sie abzusperren.

Pufke und Pollak ließen augenblicklich von einander ab und blickten sich tief in die Augen.

Endlich lispelte Pollak: »Wir Ochsen.«

Seilakt

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»Ich halte Sie für einen klugen Kerl,« begann Stornelli.

Thévenaz verneigte sich leichthin, den Mund verächtlich verziehend: »Was wollen Sie von mir?«

»Wertvoller Freund!« Stornelli machte eine übertrieben würdige Handbewegung.

»Freund?«

»Bon. Vorerst das Theoretisch-Unvermeidliche. Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, wie Sie über …« Stornelli schnalzte geringschätzig mit der Zunge, »… über Freundschaft denken?«

»Freundschaft? Schlechte Kameradschaft! Kameradschaft? Das Übereinkommen, halbpart zu machen, das aber anderen Verträgen gegenüber den besonderen Nachteil hat, nicht eingeklagt werden zu können.«

»Ganz meine Auffassung. Aber man muß wagen. Alles ist ja doch gewagt.«

Thévenaz schwieg.

»Sie sind nicht einmal neugierig?« fragte endlich verbissen Stornelli.

»Nicht mehr, seit ich Margot bei Gérard gesehen habe.«

Die beiden Augenpaare begegneten einander kurz und scharf.

Stornellis Gesicht zog sich gegen die Mitte zusammen: »So.« Er rauchte in kleinen Zügen, mit scheinbar ausschließlichem Interesse für diese Beschäftigung. »Ich wußte allerdings nicht, daß Sie Margot kennen.«

Atemlose Pause.

»Margot ist also hier.« Thévenaz blies den Rauch triumphierend und sehr geräuschvoll durch die auf einander gepreßten Lippen. »Was macht sie eigentlich jetzt?«

»Seilakt!« Stornellis Kinn zuckte.

»Jawohl … – Anseilakt!!«

»Sie sind ein toller Kerl, wahrhaftig.« Stornelli machte eine robuste Handbewegung.

Thévenaz verneigte sich abermals.

»Also hören Sie! Es handelt sich um keine Kleinigkeit.« Stornelli dämpfte die Stimme. »In meinem Hotel ist ein Amsterdamer Juwelenhändler abgestiegen, der übermorgen nach Madrid weiterfährt. Ich war längst über diesen Fink orientiert. Hatte aber Pech. Am Tage nach seiner Ankunft sprach ich ihn im Schreibzimmer an, ohne zu bemerken, daß es mein sehnsüchtig erwarteter Kunde ist, obwohl ich sein genaues Signalement besaß. Unverzeihlich! Aber nicht mehr zu reparieren. Wenn er mich nun im Zuge wiederfindet, im selben Coupé, wird er sofort mißtrauisch und wechselt den Wagon. Ich kenne das. Deshalb habe ich an Sie gedacht …«

Thévenaz Kopf blieb gesenkt: »Weshalb haben Sie gerade an mich gedacht?«

»Sie sind unverblüffbar und stets auf dem Sprung, zu bluffen.«

» Alles ist Bluff.«

»Gewiß! Deshalb nannte ich Sie ja einen tollen Kerl. Nur so ist glattes Arbeiten möglich … C’est entendu?«

Langsam hob Thévenaz den Kopf.

Stornelli saß noch in derselben Stellung: er mußte ihn unausgesetzt betrachtet haben, so – lang gleichsam war sein Blick.

»Wollen Sie mit mir dinieren?« Stornelli eilte, da Thévenaz zögerte, voraus, um ihn zu zwingen, ihm zu folgen, und wartete an der nächsten Straßenecke.

Als Thévenaz neben ihn trat, ging er wortlos weiter.

Nach dem Diner, das eine des Kellners wegen dünne Konversation begleitet hatte, trat Stornelli im Vestibül neben eine sehr elegant gekleidete Dame und kam nach kurzem Gespräch mit ihr auf Thévenaz zu: »Monsieur Fernand Thévenaz – Madame Rapha.«

Nachdem man saß, lächelte Madame Rapha: »Ich glaube, Sie bereits einmal gesehen zu haben. Im Café de l’Opera, wenn ich nicht irre.«

Thevénaz erinnerte sich nicht.

Madame Rapha begann, sich zu pudern und zu röten, ohne aufzuhören, zu lächeln.

Stornelli bestellte Dewars White Label und übernahm, plötzlich sehr jovial und vornehm witzig geworden, die ganze Unterhaltung.

Nach einer Viertelstunde erhob sich Madame Rapha sehr unvermittelt, verabschiedete sich gleichwohl aber überaus herzlich.

Kurz darauf stand Stornelli auf: »Kommen Sie doch in mein Zimmer. Ich möchte einiges ungestört mit Ihnen besprechen.«

Auf der Treppe fragte Thévenaz: »Wer ist diese Frau?«

»Margot,« sagte Stornelli ruhig, ohne sich umzuwenden.

Thévenaz biß die Zähne auf einander und lächelte.

In seinem Zimmer trat Stornelli vor den Schrankspiegel und bürstete seine Haare. Dabei sagte er langsam: »Sie brauchen Geld.«

»Ja.« Thévenaz lauerte angespannt.

»Bon. Darf ich Sie bitten, mich im Nebenzimmer zu erwarten?« Stornelli bürstete immer noch seine Haare.

»Es würde mich interessieren, zu erfahren, wieso Ihnen meine Geldverlegenheit …«

»Sie hätten andernfalls heute abend meinen Amsterdamer Vorschlag nicht nicht abgelehnt.«

Thévenaz grinste, summte die ersten Takte einer Arie aus Butterfly und ging ins Nebenzimmer.

Kaum hatte er die Tür geschlossen, als hinter ihm abgesperrt wurde.

Thévenaz zuckte die Achseln, auf das Allerletzte an Unerwartetem gefaßt, und sah sich kalt und sicher um: er befand sich in einem Schlafzimmer, das nur um weniges eleganter war als das Stornellis.

Thévenaz machte ein paar Schritte, blieb aber sofort wieder stehen, da er schräg hinter sich ein Geräusch gehört zu haben glaubte.

Doch noch bevor er sich hätte umsehen können, umhalsten ihn von hinten her zwei weiße Arme: Madame Rapha.

Thévenaz begriff und spielte, da ihm die Neuartigkeit dieser Situation mehr gefiel als seine Partnerin, mit leidenschaftlicher Verstellung den Routinier.

Madame tat sehr erstaunt und – überwältigt …

Gegen Morgen fragte Thévenaz: »Ist Margot Ihr wirklicher Name?«

Sie blieb auf dem Rücken liegen, spielte mit den Fingern im Haar und zirpte kokett: »Comme si comme ça.«

In unbestimmtem Zorn fragte er: »Erhalte ich mein Honorar von Ihnen oder von Monsieur Stornelli?«

»Wie?«

»Nun, das Honorar für diese Nacht.«

Sekundenlang glotzte sie ihn an. Dann sprang sie im Nu aus dem Bett, streckte die Hände mit unsäglich gespreizten Fingern wie zur Abwehr gegen ihn und schrie ganz absonderlich: »Allez, allez de suite!«

Thévenaz fand Stornellis Zimmer leer, riß Mantel und Hut an sich und verließ hastig das Hotel.

Nachmittags, mitten in einem Taumel von Reflexionen, erhielt er einen chargierten Expreßbrief aus Marseille, mit der Schreibmaschine geschrieben: Monsieur,

ich habe mir gestattet, Ihnen gewissermaßen aus dem Handgelenk zu zeigen, wie ich arbeite. Habe ich Sie für mich gewonnen? Sie haben in diesem Brief eine 500 Franc-Note gefunden. Ich bin, als ich Sie aufforderte, ins Nebenzimmer zu gehen, bereits Ihr Kamerad gewesen. Ihr Kumpan, wenn Sie wollen. Wer Madame Rapha tatsächlich ist, weiß ich nicht; jedenfalls steht so viel fest: eine vornehme Gans, der ich erzählte, Sie wären furchtbar von ihr entzückt, sehr ideal veranlagt, daher schüchtern (wenn auch feurig) und aus guter Familie. Madame, der ich solches mit denselben Folgen bereits einige Male (verschiedentlich variiert} besorgt hatte, war nun ihrerseits so entzückt, daß einer Anleihe von Frs. 1500.– in keiner Hinsicht mehr Schwierigkeiten entgegenstanden. Das Weitere ist Ihnen bekannt. Ich habe hier eine dicke Angelegenheit in den Fingern. Wollen Sie kommen? Ich wohne im Hotel de France. Herzlich grüßend Jean Gautier.

p. s.

Margot seilakt in Marseille und erwartet Sie ungestüm.

Verbrennen Sie diesen Brief.

Ich bin Voyeur. Leider mußte ich zu früh zu Bett, um ausgeschlafen zu haben.

Sollten Sie keine Narrheiten gemacht haben, so exploitieren Sie Madame rasch noch ein wenig sehr.

Der Amsterdamer war selbstverständlich eine Finte.

Madame Rapha heißt mit Vornamen Mela. Margot riet ich ihr sich Ihretwegen zu heißen. (Sind Sie mir böse?)

Mit dem Marseiller Abendschnellzug verließ Thévenaz Aix-les-Bains.

Mansardeskes

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Peter pflegte alltäglich gegen drei Uhr nachmittags sich darüber zu ärgern, daß er erwacht war. Diesmal dachte er, es sei doch wirklich schamlos, daß man nach acht Uhr morgens dem Tag nicht mehr entgehen könne.

Dann spuckte er elfmal. Da er die Decke der Mansarde nicht treffen konnte, beschloß er, so lange emporzuspucken, bis er den Speichel, wenigstens einmal, so kerzengerade hochgeschleudert hätte, daß er in den Mund zurückfiele.

Endlich begann seine Zunge dick zu werden und matt. Er besaß noch so viel Kraft, den Polster umzuwenden und sein Haupt für den Schlaf trocken zu legen.

Abends träumte er, daß jemand, vielleicht eine Kreuzspinne, mit einer Kanone auf sein linkes Ohr schösse.

Fifis Füßchen verschwand in einem Hemd, das auf der innern Türschwelle einen graugelblichen Haufen bildete. Sie sagte deshalb sehr laut: »So ein Schwein!«

In Peters Hirn langte mit breitem Knall eine große Kugel an und bewirkte, daß sein Kopf aus dem Bett rutschte und so lange durch die Diele wollte, bis der hinterherdrängende Körper ihn auf die Seite legte.

Fifi befreite seine Füße, die noch in der Decke hingen, so gewissenhaft, daß die Fersen heftig niederklopften.

Während Peter infolgedessen bemerkte, daß er abermals erwacht war, ließ Fifi mit ihrem Posterieur auf ein Brett sich fliegen, das über zwei Kisten genagelt war, um einen Schreibtisch zu verwirklichen. Dabei pfiff sie: »Nanette, ma belle coquette …«

Peter kletterte auf seine Beine und äußerte, indem er leise erfreut auf das Bett sich ringelte: »Beethoven und die Klamauke.«

Fifi fand diese Mitteilung im höchsten Grade belanglos und fragte: »Hast du etwas Geld?«

Peter war bezüglich dieses Gebrauchsgegenstandes der Meinung, daß es genüge, wenn andere ihn besäßen, und sagte: »Die Luft tönt wie ein blaues Lied.«

Fifi legte keinen Wert auf diese Feststellung und verlangte, ernährt zu werden: »Wir haben doch erst vorgestern wieder zusammen geschlafen.«

Peters Antlitz rötete sich vor Vergnügen: »Sie übersehen, daß Sie mich lieben.«

Fifi begriff augenblicks. »Du Schuft Sie, du wirst sehen, Sie sterben noch am Galgen.« Sie stand zitternd vor dem Bett.

Da Peter, den Hinterkopf zart in der Hand, sie ruhig betrachtete, hub sie zu weinen an, schnell und singend. Zwischendurch fand sie Zeit, zu sagen: »Du liebst mich nicht.«

»O, ich gebe mir alle Mühe. Aber du bist heute zu gelb.«

»Ja … ich habe noch zwanzig Mark, und Herr von Potthammer kommt erst in zwei Wochen van Mainz zurück.« Sie heulte wie getreten.

Peter befand sich plötzlich in seiner Hose und seinem nicht weniger unveräußerlichen Sakko, steckte diesen mangels Knöpfen mit einer des öfteren bereits gerade gebogenen Sicherheitsnadel zu, nachdem er eine Drahtnadel, die Fifi ihm aus ihrem Haar reichte, abgelehnt hatte, und schlang ein dunkles Tuch um den nackten Hals.

Fifi bekam durch diese Prozedur Mütterliches und fuhr ihm mit ihrem Taschentuch, das die Initialen R. dreimal »O!« und strahlte mit den Hüften.

Peter stieß jäh auf seinen unsäglichen Filz, der irgendwo am Boden still im Staube ruhte, und sprang bedächtig auf die finstere Treppe.

Fifi sperrte die Mansarde rasch ab, steckte hastig den Schlüssel ein und rief begehrlich: »So warte doch nur, Schuft!«

Philipp will sich rächen

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Philipp blieb auf dem Bayerischen Platz bei der Haltestelle der Trams stehen, pfiff sehr vergnügt ein paar helle Töne, tänzelte leicht hin und her und beobachtete bei alldem mit heimlichem Genuß sich selbst. Bis er auflachte, »Teufel nochmal!« flüsterte und den Kopf napoleonesk zurückwarf.

Da ein überaus junges Mädchen, mit einer Mappe unterm nackten Unterarm, dieses sah, grüßte Philipp höflich.

Die Kleine dankte dunkel errötend und betrachtete heftig ihre Pompes.

Wegen eines älteren Herrn, der Philipp deshalb finster musterte, bestieg er eine soeben haltende Tram und winkte, als der Wagen zu fahren begann, der Kleinen zu, die sich brüsk abwandte, nicht ohne durch ihre erregte Schulterhaltung sich zu dementieren.

Zwei Bäuche auf der Plattform lächelten darüber breit und bewegt.

Philipp wandte sich höhnisch ab, den Daumen am Zahn.

Als aber der Schaffner ihm stirnrunzelnd auf die Nase sah, kam er sich gleichwohl wie ertappt vor, lächelte maßlos übertrieben und näselte: »Ach so … einen Augenblick … ja, geradeaus.«

Dann bezahlte er, ärgerlich über sich selbst, mit einem Fünfmarkstück, obwohl er Kleingeld besaß. Während er den Rest auf die Hand gezählt erhielt, packte es ihn jäh, dem Schaffner die Hand voll Geld in die Höhe zu hirzen. Aber er brachte es nicht über sich. Verdrossen darüber neigte er sich aus dem Wagen, wechselte zum Ärger der Fahrgäste mehrmals seinen Platz und konzentrierte schließlich seine ohnehin nicht beliebte Aufmerksamkeit auf ein Ladenschild, immer weniger interessiert wahrnehmend, wie die Buchstaben zusehends kleiner wurden und schiefer: Hochstetter und Lang … Hochstetter und Lang …

Der Wagen hielt. Eine preziös arrangierte elegante Dame stellte sich Philipp an das Kinn. Ohne daß er es sofort gewahrte, so sehr erregte ihn diese Berührung, versuchte er, unausgesetzt schnaubend, festzustellen, wonach sie eigentlich röche. Schließlich der Dame und dadurch auch sich selbst aufgefallen, entschloß er sich, sie danach zu fragen.

In diesem Augenblick hielt der Wagen wieder. Die Dame stieg aus. Die Plattform leerte sich.

Philipp knickte ein: alle Spannung hatte ihn miteins verlassen. Der Wagen kränkte ihn. Er taumelte, und einmal in Bewegung, betrat er das Wageninnere und plumpste ein wenig schmerzhaft auf die Bank. Matt nahm er den säuerlichen Geruch der Fahrgäste wahr und das Zart-Idiotische ihrer Gesichter.

Endlich reizte ihn alles: das Rumpeln der Räder, das Hin-und Hertorkeln des Schaffners, das Rattern der Scheiben, das Raunen der Gespräche, die Berührungen seitlicher bejahrter Gliedmaßen.

»Rrraus!« drohte er sich halblaut.

Doch als der Wagen hielt, blieb er trotzig sitzen.

Seine Erregung wuchs dadurch noch mehr. Die Augen zuckten bereits irr umher, die Hände wechselten fortwährend ihren Platz. Und kurz vor der nächsten Haltestelle stürzte er so blindlings aus dem Wagen, daß mehrere Frauen ihm begeisternd kichernd nachglotzten, und sprang noch wahrend des Fahrens wütend ab.

Ohne daß eine Überlegung ihn bestimmt hätte, entschied er sich auf dem Wittenbergplatz für die unbelebteste Richtung. Der plötzliche Wunsch, in seinem jetzt sicherlich noch unaufgeräumten Zimmer auf der Chaiselongue sich zu rekeln, nachlässig zu rauchen, Juliette zu klingeln und sie zu fragen … etwa, warum man zurzeit in Berlin nicht ein Massenmeeting zur Einführung staatlich überwachter Bordelle abhalte … ergriff ihn so mächtig, daß er einen Augenblick sogar daran dachte, wirklich in sein Hotel zu fahren. Er trat aber schließlich doch lieber an einer Gerold-Ecke auf ein Schinkenbrot zu, in das er alsbald erfreut hineinbiß. Dabei lächelte er, weiß der Teufel warum, spöttisch, stellte den linken Fuß kokett über den rechten und kratzte sich soigniert die juckende Stirn.

Wieder auf der Straße, war es ihm jetzt, als sahen ihn alle verächtlich an, als verhöhnten ihn die Polizisten. Den Kopf feindlich eingezogen, ging er mit Düsteres verheißender Miene immer schneller und geriet bald in einen grotesken Eifer, aus dem ein Passant ihn riß, den er beinahe umgerannt hätte.

Da er sich nicht entschuldigte, beschimpfte ihn Philipp nicht unbegabt, wovon jedoch durchaus keine Notiz genommen wurde.

Philipp, dieses sichtlich sehr bedauernd, glotzte unentwegt auf das Pflaster dieses Vorfalls. Nach einer Weile aber beobachtete er, wie unter dem schwankenden Rocksaum einer Vorübergehenden kleine, rötlich bestrumpfte Knie vorstießen und wieder verschwanden.

Als er aufsah, erkannte er an der Mappe unterm nackten Unterarm jene Kleine wieder, deren erregte Schulterhakung seine Sinne immer noch enthielten.

»Teufel nochmal!« betonte er, sich ermunternd, und schwenkte vornehm auf die Mappe zu.

Daselbst befiel Philipp eine geradezu rabiat zu nennende Menschen-und Lebensverachtung, und er sagte mit hinreißendem Ausdruck: »Mein Fräulein, Sie sind zwar noch minderjährig. Gleichviel. Wir werden uns rächen.«

Ein nasser Blick, aus Wolken gefallen, vermochte Philipp nicht zu bestürzen.

»Rächen wir uns!« knurrte er unheimlich. »Rächen wir uns!«

Die Kleine schrie angstverquollen auf und setzte sich in rasenden Galopp.

Philipp tat ungesäumt desgleichen.

Einige Zeit.

Dann verminderte sich sein Eifer rapid.

Endlich blieb er, leicht pustend, stehen und seufzte: »Teufel nochmal!« Aber doch mit heimlichem Genuß an sich selbst.

Wie Klara die Geduld riß

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Klara wußte, welch großen Wert Clerc auf die von ihm veranstalteten Impressionen legte. Deshalb hatte sie ihm Suzy, ihre Favoritin, so lange aus dem Weg geschoben, bis er, allzu lüstern geworden, Suzy dadurch sich herbeiführte, daß er im richtigen Augenblick Wein wollte und noch etwas.

Jenen kaufte Klara, ein ahnungsloser Engel, dieses versagte sie strikt: »Ich will nicht mehr, hörst du? Ich habe keine Lust, noch länger deine dupe zu spielen. Gut, du kannst nicht treu sein. Bleiben wir gute Kameraden, willst du?«

Clerc wollte und schlug ihr deshalb vor, nicht seine, sondern ihre Wohnung zur Befeuchtung der neuen Kameradschaft zu benutzen.

Klara, welche in der zu Geräuschvollerem unbrauchbaren Lokalwahl ihre Rache unterwegs glaubte, wäre beim Bespringen der Tram vor Freude fast ihrer Flasche um den Hals gefallen. Glücklicherweise hatte ihr Clerc im letzten Moment, Halt liefernd, die Faust ins Gesäß geschoben.

Eingetroffen soff man, dämpfte auf Klaras diesbezügliches Gestöhn hin die Vokale und beging, schier festlich, Brüderlichkeiten von derart stattlicher Intimität, daß Clerc, der sein Arrangement bereits als gescheitert registrierte und nicht mehr nach der Treppe horchte, es unternahm, zu arrivieren.

Doch siehe da: Klara sprang hohnlachend empor, grinste schwelgerisch und spritzte: »Nein, mein Freundchen, du irrst. Diesmal werde ich nicht mehr schwach. Das ist aus. Ein für allemal!«

Clerc erboste sich doppelt: wo zum Teufel stak Suzy, der Frau Achselast auf sein Geheiß hin doch gesagt haben mußte, daß Klara sie heute abend bei sich erwarte?

Suzy stak in der Klemme. Und zwar unten im Hausflur. Die Klemme war ein Herr, der sie, dank dem Treppendunkel, auszuüben sich bemühte.

Den endlichen Erfolg verhinderte das Krachen der Tür, die Klara, halb angetrunken bereits, hinter sich zugewettert hatte.

Bald darauf war Clerc deshalb in der angenehmen Lage, »Herein!« rufen zu können und Suzys erregtes Händchen, erregter noch, zu drücken.

»Wo ist denn Klara?« hauchte Suzy, krampfhaft den nächsten Spiegel zu erreichen trachtend.

Der Antwort enthob den scharf taktisch überlegenden Clerc ein soeben vom Treppenflur her anhebendes, schnell heftig werdendes Stimmengezänk, aus dem alsbald der schmetternde Sopran Klaras dominierend sich hochschwang.

»Ja, was ist denn los?« lispelte Suzy, ohne ihre Frisur auch nur im mindesten weniger wichtig zu nehmen.

»Ach Quatsch!« machte Clerc, der mit einem innigen, freilich bloß gedachten Zungenschnalzen wahrnahm, daß die raufenden Organe die Nachbarwohnung gewannen, und, sofort über alles Erforderliche im Klaren, Suzy ein Glas Wein an die Lippen drängte.

Suzy, welcher der Spiegel eine Zufriedenheit appliziert hatte, die oft schon der Erfolg selber ist, trank lächelnd und quittierte vergnügt den ersterbenden Blick Clercs, den er ganz besonders meisterte.

Dies war sehr leichtsinnig. Denn im Nu hatte Clerc ihr das Glas aus der Hand gedrückt und, mit der Rechten beide Hände ihr unters Kreuz pressend, sie aufs Bett gezwungen.

Seine Lippen versaugten jeden Schrei. Seine Knie und seine Linke machten ihn herrschen …

Einigermaßen knapp vor dem Finish begann der Treppenflur sich wieder zu beleben.

Clerc antizipierte eine tolle Sensation und sann, der ganze Mensch ein jauchzender Nerv, wild darüber, sie zu veranstalten.

Klara jagte ins Zimmer.

»Wlacks-tacks!« japste sie augenblicks, wobei ihr entgeistertes Posterieur die Tür zubummte.

Den Hausschlüssel Clercs, den dessen Linke plötzlich gezückt hatte, hielt sie nun freilich tatsächlich für etwas Schießfähiges: was aber in Wirklichkeit sie an die Tür klebte, war der schließlich ganz zweifellos enorm fesselnde Anblick einer ogott so sehr geschätzten, aber nie noch unbeteiligt betrachteten Handlung.

Klaras Gesicht schwamm wie ein Öllicht. Ihre Zeigefinger drohten sich gegenseitig. Die Augen symbolisierten, geradezu vorbildlich, ein unsägliches Gemisch von unangenehmen Lustgefühlen und angenehmen Unlustgefühlen.

Clerc hatte, um all dieses auszuschlürfen, seinen auf Suzys Lippen befindlichen Mund sofort durch eine Wange ersetzt und hob diese nun, da es nicht mehr nötig war, Suzys Quargeltöne samt dem sie hervorbringenden Köpfchen niederzuhalten.

Nun sprang er blitzschnell direkt von Suzy weg hinter ein Fauteuil, dem er seine Toilette anzuvertrauen wünschte.

Vergeblich. Klara stürzte sich auf ihn. Er warf ihr deshalb das Fauteuil an die Knie. Sie purzelte hinein. Er über sie hinweg. Sie ihm nach. Er durch die Tür, die er so lange, die Zähne grinsend zusammenknarrend, zuhielt, bis er es für günstig hielt, schnell loszulassen.

Klaras Hinterhaupt sauste auf Suzys Bauch.

Beide kugelten schreiend über den Boden, dieweil Clerc, sehr mit seiner Hose beschäftigt, die Treppe hinuntertrommelte.

Auf der Straße kehrte seine Reflexionsfähigkeit allgemach zurück. Er erkannte es denn auch sofort als das einzig Zweckmäßige, hinter einer Litfaßsäule, schräg gegenüber dem Haustor, das Ergebnis der Unterredung, der die beiden Damen gegenwärtig vermutlicher Weise oblagen, abzuwarten.

Plötzlich fielen sein Hut, sein Mantel und sein Stock hastig aufs Pflaster, allwo sie melancholisch liegen blieben. Da ihnen von oben niemand nachblickte, bemächtigte sich Clerc straks ihrer und verwendete sie, nunmehr um vieles beruhigter, im Sinne ihrer Bestimmung, als Suzy sturmartig das Haus verließ.

Dadurch fiel Clerc ein, daß er verdienstlos geworden war. Sofort rannte er Suzy nach, die er an der zweitnächsten Straßenecke endlich abzufangen vermochte.

Suzy schrie durchdringend. Er, dadurch sinnlos gereizt, schlug.

Da sogleich Passanten dastanden und Meinungen äußerten, entschloß sich Suzy rechtzeitig, zu lächeln.

Nun spielte Clerc, nicht weniger geistesgegenwärtig, eine Straße lang mit Suzy Liebespaar, wobei es seinen kundigen Händen und seinem erprobten Scherzen rasch gelang, sie zum Betreten eines ihm wohl bekannten vorzüglichen Cafés zu überreden.

Daselbst rann seine Rede wie Honig, stürmten seine Augen bald heiß bald blind, bebten seine Knie streckenweise und richtig plaziert. Und nach knapp zwei Stunden war Suzys Selbstbestimmungsmöglichkeit vorbei und ihre Börse in Clercs Besitz.

In der nächsten Nacht war er deshalb in der angenehmen Lage, Suzy folgenden Brief ins Bett zu reichen:

Herrn Hans Clerc. Wollen Sie mir die Ihnen innerhalb eines Jahres schuksessive geliehenen Mk. 1700,– (Siebenzehnhundert Mk. umgehend rückerstatten, widrigenfalls ich Sie verhaften lasse. Weshalb, das dürfte Dir keine Kopfschmerzen machen, Du Hund. Jetzt ist mir die Geduld gerissen.

Klara Kofelkamm

Suzy lächelte ängstlich dem schwärzlichen Plafond zu, während sie leise sagte: »Die soll sich nur mucksen, dieses Aas. Dann sage ich, wer vor einem halben Jahr in ihrem Bureau den Scheck geschmuht hat.«

»Nicht nötig. Das war eigentlich ich.«

»Ja, aaaaaber …«

»Keine Sorge. Ich schick ihr jemanden ins Haus, der den Effekt genau so trifft wie son Geheimer von die Polente.«

Auf Suzys schönem Busen entstand ein stolzer Hauch.

Clerc entfernte ihn durch einen wohlgezielten Hieb. Er veranstaltete eine Impression.

Die bralasurende Saravala

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»Die kleine Flou will nach New York,« sagte Kaudor plötzlich.

»Weiß ich.« Slonker spie aus. »Sie sagte mir, daß in Paris bereits jeder wisse, was für Spitzenhöschen sie trage, und das sei ein gänzlich unhaltbarer Zustand.«

»Wieso? … Aber das sagt sie bereits seit vier Jahren. Was meint denn ihr Jockey dazu?«

»Der ist für Einführung von Tischautomaten und Tischtelephons als Ersatz für den in jeder Hinsicht unerträglichen Kellner … Flou behauptet übrigens, New York wäre, sicheren Informationen nach, die prüdeste Weltstadt auf dem ganzen Globus, so daß man nur dort, wenn überhaupt noch irgendwo, die Freude am Leben wiedergewinnen könne.«

»Flous bekannte Anlage zur Großzügigkeit.« Kaudor kratzte sich.

»Bim.« Slonker simulierte ein Glöckchen und begann zu stinken. Dann schwieg er vorsichtig.

Ilonkas rosiges Oval, das anfangs zu einem Lächeln eingesetzt hatte, verzog sich deshalb, aber auch Flous wegen sehr unliebsam; dabei musterte sie spitz ihren linken Handteller.

Die bisher tiefgestellt belassenen Brauen Kaudors schoben sich auf die Stirn empor: »Wenn du das machst, Ilonka … Bitte Slonker, gase abseits! … wirkst du allein als das, was du wirklich bist: eine spätgeborene altägyptische Saravala.«

»Du verdächtigst meine harmlosesten Kolportagen … Kruh.« Slonker übte einen Unkenruf. Dann spie er einen Prim haarscharf über die Glatze Kaudors hinweg an die Wand.

»Saravala? Was ist denn das?« fragte Ilonka neugierig, aber schon vom Klang des Wortes geschmeichelt.

Kaudor hüstelte gewichtig. »Halb Runendeuterin, halb Huri.«

Ilonkas Handteller verschwand. Sofort auch der Kopf Kaudors und unmittelbar darauf der ganze Herr.

Als er wieder heranwackelte, hatten Slonker und Ilonka derart heftig geschwiegen, daß ihn ein doppelseitiges Lächeln empfing.

Kaudor, also zärtlicher geworden, organisierte eine Wiederherstellung: »Du weißt nicht, Ilonka, daß Huri …«

Ilonka ließ ihren knurrigen Blick nicht von Kaudor packen. »Maul halten, du Gauner! Du willst dich natürlich wieder auf das i ausreden.«

»Das wäre eine zu schwache Genugtuung. Kiii.« Slonker vermittelte einen Stieglitz. »Laß das Odium … Sagt man Odium?«

Kaudor nickte bestürzt.

»… da das Odium dieses amüsanten Verdachtes auf dir lasten, bis du dir die Bestätigung seiner Grundlosigkeit persönlich geholt hast.«

Ilonka, die nicht verstand, aber zu vermuten schien, daß es eine Schmeichelei sei, betrachtete mit unschlüssiger Bewunderung ihren Busen.

»Du weißt nicht, Ilonka,« Kaudors blitzende Äuglein bissen sich geradezu fest, »daß diese altmohamedanische Spezies von femina dazu berufen war, mit der Herstellung von Kunstzwiebeln zum Zwecke der Herbeiführung mystischer Verdauungsstörungen und der dadurch unheimlich gesteigerten Weihekraft der Oberpriester sich zu befassen.«

Slonker lächelte vornehm: »Hör mal, du Mitteleuropäer peinlichster Obs … Obst …«

»… servanz, Observanz, mein Liebling.« Kaudor küßte innig seine schwarzen Fingerspitzen. »He, Ilonka, kannst du bralasuren?«

»Nein,« hauchte Ilonka preziös, und ihre Rougeflecken verdunkelten sich merkbar.

»Bim.« Slonker verstummte, scheinbar irgendwie konsterniert.

Kaudor kratzte sich ausschließlich.

In diesem Augenblick entstand ein selbst für ein Pariser Café sehr ungewöhnliches Geräusch.

Schließlich entdeckten alle drei fast gleichzeitig, daß ein wahrscheinlich unglücklich verliebter Herr im Sitzen in eine auf dem Fußboden befindliche Konservenbüchse zu urinieren trachtete. Leider vergeblich.

Die hingebungsvolle Betrachtung dieses seltenen Vorfalles störte einerseits der intervenierende Kellner, andererseits Flou und Pepino, die soeben in das Café ein-und direkt auf das Trio losschwänzelten.

Ilonka riß, wie stets bei Annäherung eines feindlichen Weibes, unterm Tisch an ihren Fingern, klemmte die Zunge zwischen die Zähne und sah leise wütend von Mund zu Mund.

»Ça va?« Flou hob ihr Röckchen bis unter den Busen.

»Und da ist sie unzufrieden, wenn ganz Paris ihre Spitzenhöschen kennt,« äußerte Kaudor nachdenklich.

»Das habe ich nie gesagt,« quietschte Flou. »Wer sagt das?«

»Slonker.«

»Du? … Sie?« verbesserte sie und wurde plötzlich leidend.

»Tu vois, ma gosse, je sais tout,« trillerte Pepino, rittlings einen Stuhl besteigend.

Slonkers Haltung geriet jedoch nicht um Haaresbreite ins Wanken. »Kaudor dahingegen sagte, daß Sie … daß du …« korrigierte er einfach genial, »… daß du sogar bereits seit vier Jahren behauptetest, ganz Paris kenne deine Spi–«

»Pfui, Kaudor, schämen Sie sich!« Flous lockere Situation machte sie völlig blöde: »Sie wollen sich wohl rächen?«

»C’est-à-dire venger?« Pepino holte sich grübelnd eine lange Zigarre aus dem Stiefel. Dann seufzte er kordial: »Also auch Monsieur Kaudor. Gutt, gutt.«

Ilonka riß längst nicht mehr an ihren Fingern. Sie stocherte, ein gefährliches Signal, mit einem Streichholz in einer ihrer zierlichen Ohrmuscheln.

Alsbald tiefstes Schweigen, nur von dem leisen Klirren der Sporen Pepinos unterbrochen und dem endlich vor sich gehenden Bekleidungstrieb des wahrscheinlich unglücklich verliebten Herrn.

Plötzlich aber ergriff Ilonka ihre beiden Oberschenkel. »Sie wollen nach New York, Flou?«

»Ich denke nicht daran.«

»C’est rigolo,« piepste Pepino.

Slonker und Kaudor blickten melancholisch in die Ferne.

»New York ist auch wirklich viel zu gemein.« Ilonka ging zweifellos zielbewußt vor.

»Natürlich,« versicherte Flou für alle Fälle, jedoch ein wenig ängstlich.

»Und dann soll in der Nacktgeschäften serr schlekt gezahlt sein.« Pepino beklopfte liebevoll den Bauch seiner Zigarre.

»Nacktgeschäft ist wonnig,« flüsterte Kaudor hingerissen.

»Wunderbar,« visperte Slonker.

»Na, den Tischautomaten erleben Sie nie im Leben, Pepino.« Ilonka ließ nicht locker.

»Pissotomaten? Comment? Ich?« Jetzt geriet auch Pepino ein wenig aus der auf zwei Stuhlbeinen hergestellten Sattelbalance.

Kaudor und Slonker stierten glasig in die Landschaft.

Ilonkas Augen erweiterten sich miteins heilseherisch: »Pepino, Sie werden vielleicht wissen, was ›Saravala‹ bedeutet.«

»Sa … Sara … vala? … O ja. So das Pferd von Champigny chaben gecheissen, welches vor acht Tagen chat gebrochen beider Beine.« Pepino fühlte sich immerhin erleichtert.

»Ja, aber was bedeutet dieses Wort?«

»Och, Champigny herstellt die Namen für Viecher selber. Das ist sehr vornehm, man es nicht versteht.«

»So.« Ilonka schlug sich bereits mit einem Kaffeelöffel regelmäßig in die Schläfengegend: das Katastrophensignal.

Da zuckte ein rettender Ruck durch Slonkers Erstarrtheit: »Dann wissen Sie wohl auch, Pepino, was ›bralasuren‹ bedeutet.«

»Aaaaaaber …« machte Pepino schwer ergötzt und verlor fast seine Balance.

»Nun? Bitte reden Sie! Ihre Antwort ist für mich von äußerster Wichtigkeit.« Slonker bezwinkerte Kaudor und Pepino kühn.

»C’est rigolo … Bralasuren? C’est-à-dire, das sein eine Fackausdruck, eine von Jargon von die Rennbahn … c’est-à-dire, wenn ein Gaul bei die Be … bei die Beschälung …«

Doch schon warf sich Ilonka heulend auf Kaudor, der, dies längst vorhersehend, ihr den ambulanten Kleiderständer in die geöffneten Arme stieß.

Slonker schrie begütigend: »Aber, Ilonka, du kannst doch gar nicht bralasuren!«

Pepino fraß seine Zigarre auf.

Flou näherte sich augenscheinlich dem Irrsinn.

Endlich gelang es dem Kellner und Slonker, Ruhe zu erpuffen.

Dann, nach einem Schweigen von penetrantester Peinlichkeit, sagte Kaudor und seine Brust hob sich gewaltig: »Solange man die Makrobiotik …«

»Maquereau, jawohl, das bist du!« keuchte Ilonka und schritt majestätisch auf die Straße.

»Bim … Kruh … Kiii …« Slonker begann zu stinken.

Kaudor kratzte sich wie sinnlos.

Flou aber folgte Ilonka fluchtartig und in dumpfer Kollegialität.

Pepino meinte nach einiger Zeit: »O ces gosses! Man muß brauchen das Kantare.« Hierauf wandte er sich gleichgültig dem Billard zu.

»Weiß ich.« Slonker, der einen neuen Prim eingelegt hatte, spie in mächtigem Bogen aus. »Leider aber, edler Kaudor, zu wenig Fremdworte, um so erfolgreich zu wüten wie du.«

»Ach, du blaguierst auch nicht übel!« Kaudor hüstelte, vielleicht ironisch. »Aber daß du mir nicht erzählt hast, daß du mit Flou …«

»Sie hat zu dünne Beine.«

»Hm, gegen mich hat sie eine Idiosynkrasie.«

»Eine Idio …?«

»… synkrasie.«

»Du bist ein Idiot.«

»Das will ich hoffen.«

Eine eigenartige Konversation

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»Guten Tag. Wie geht es? Ich ging gerade unten vorbei, als mir einfiel, daß Sie hier wohnen. Sie wundern sich wohl, daß ich mittags zu nachtschlafender Zeit herumgeistere? Tja, es ist sonderbar: wenn man schon einmal vor dem Einschlafen sich vornehmen muß, zeitig aufzustehen, kann man überhaupt nur ein paar Stunden schlafen. Ich war schon um zehn Uhr im Café. Phantastisch! Hören Sie, heiter: um vier Uhr werde ich bei Herrn Moriz Cohen sein, Handschuh-Engrossisten in Charlottenburg, Besitzer einer wunderschönen Tochter, die nicht Klavier spielt, obwohl sie es miserabel kann, und ansonsten leicht orientalisch träg ist und weich. Impression Harem, angenehm entfernt. Und wenn man sich retiriert und dabei die erforderliche Vorsicht außer acht läßt, kann man in der Küche ein Dingerchen seinem Zweck zuführen, also glatt süß … O, Sie sind sehr blaß. Vielleicht krank? Nicht? Sehr angenehm. Man macht ja doch stets unglückliche Figur vor fremdem Leid. Sie müssen wissen: parate Sätze hebe ich über alles; man genießt sich da viel mehr. Apropos: ich erinnere mich, daß Sie auch in der Nacht, als wir uns kennen lernten, sehr schweigsam waren. Hm, Schweigen. Ist Gold. Gewiß. Aber die alten Sprichwörter haben leider den Vorteil, daß ihre Wahrheit über den Leisten nicht hinausgeht. Ich meine, sie fangen vom Schuster aufwärts an, falsch zu sein. Alles ist relativ. Auch das Schweigen. Zwar: es wirkt im Anfang, speziell bei sachgemäßer Inszenierung, enorm, im Superlativ sogar heillos respekterzeugend; aber es ist zeitlich und individuell scharf begrenzt. Wird diese Linie überschritten, so wird bestenfalls der Abbruch menschlicher Beziehungen bewirkt, schlimmstenfalls aber ist es ein geistiges Armutszeugnis mit Auszeichnung. Zugegeben: die unumgehbare Entsetzlichkeit des Schondagewesenen. Ach, auch Goethe war kaum bei jeder Verrichtung geistvoll, und da die Scherzfrage, wer der Kaiser von Europa sei, prompt mit ›die Phrase‹ zu beantworten ist, muß eklatant sein, daß unsereiner die Verpflichtung hat, erfrischend zu wirken. Es strengt doch wahrhaftig nicht an. Apropos: wie gefällt Ihnen Frau Kroll? Klasse! Hochzucht! Nun? Entre nous: was von ihr im Café kolportiert wird, ist zweifellos erlogen. Ein Frauenzimmer, das chronisch pumpt, läßt sich nicht bezahlen. Gewiß, sie hurt. Das ist mehr als ein billiges Recht des Weibes. Das ist seine schwerst ethische Verpflichtung. Es ist aber gänzlich ausgeschlossen, daß dieses Weib wahllos ist. Sie fliegt, wie alle erstklassigen Weiber, auf den geistig hochwertigen Mann, sollte er auch mißgestaltet sein. Was freilich eine contradictio in adjecto ist. Kein einziger von diesen eitlen, körperlich lachhaften Kaffeehaushasen hat sie besessen. Man braucht doch bloß hinsehen, wie sie das Weib adorieren. Diese Trottel! Diese kubierten Idioten! Sie ahnen nicht, daß solch ein Weib ein totsicheres Gefühl für seine eigene Minderwertigkeit hat: je vorbehaltloser ein Mann es bewundert, desto eher ist es geneigt, ihn für minderwertig zu halten. Und das Rezept, das, richtig dosiert, sogar einen Affen ins Bett der Gräfin Rasurgi (die Sie sicherlich wenigstens par distance kennen) lanzieren könnte, ist doch gar nicht kompliziert: man vertreibe ihr die Langweile, das große Erbübel, an dem jedes Weib in allen Nuancen laboriert. Kenner erreichen hier in einer halben Stunde mit dem blühendsten Biographiekohl mehr als Oberlehrer mit jahrelanger Mondbenützung. Apropos: wie halten Sie es dein? Ne jute Jegend Balin, wat? Schon erfaßt, wie mich dünkt. Geben Sie acht, mein Geschätzter, die Lues soll immer noch nicht herzig sein. Oder machen Sie in allerletzten Equilibristiken? … Mm, es ist drei Uhr. Schon diniert? Nicht? Keine Münzen? Ach, glauben Sie, ich ließe mich durch einen Geburtstag im Hause Moriz Cohens abhalten, Spreeanglern zuzusehen, wenn ich mir nicht wieder mal so was wie eine Mahlzeit in den Bauch schlichten müßte? … Rauchen Sie? Langerprobtes Mittel gegen unbefriedigte Magensäfte! Nicht? Also ein ganz wild Gestufter. Oder kultivieren Sie mit Fleiß Hunger? Gewiß, enormes Stimulans, das nur den immanenten Nachteil hat, schließlich das Herz zutote zu kitzeln. Apropos, der Sozialismus ist für uns gar keine Hoffnung. Gleichheit? Stiefel! Solange die Geistesaristokratie an dem täglichen Problem kraut, wie ein Kaffee zu erschieben ist, bleibt es noch immer besser, wenn die Feudalen herrschen oder die Industriejobber, als wenn die Straßenkehrer mit mir intim tun. Übrigens, Sie gehen doch mit zu Herrn Cohen. Man frißt und weiter nichts. Es ist mir auch persönlich angenehmer. Man ist dann doch nicht so Insel. Kennen Sie jüdische Familien? O, Sie werden Tolles erleben! Diese Familie ist für jeden Unfall exemplarisch! Tatsache: man sollte es nicht für möglich halten: dafür, daß ein Mann sein Leben lang eine einzige Frau hat, die vielleicht bei schlechter Behandlung zehn, bei guter fünf Jahre jung bleibt, wird er zum schuftenden Sklaven. Warum kauft der Edle sich nicht wöchentlich ein kleines Fräulein? Ganz nebenbei: wenn es keine Geschlechtskrankheiten gäbe, wäre der coitus sicherlich ein allgemein beliebtes Gesellschaftsspiel. Schließlich: das Ergebnis der Ehe muß ja eine Pfütze sein. Man bedenke: ich kannte eine Dame, die mich mit ihrem Gatten betrog, als ein Anarchist sie besaß. Lieblich! Tja, da lob ich mir die Mohnenstamm! Alle Hochachtung vor diesem Betrieb! Und echt! Wenn die besoffen ist, ist sie immer im Zweifel, wo ihre Beine aufhören, und läßt Nachforschungen anstellen. Kürzlich hat man sie wegen beischlafähnlicher Bewegungen beim Tanzen eingesperrt. Welche Ehrung! Aber doch schaudervoll! Ach, hier in Deutschland gibt es, genau betrachtet, noch gar keine Erwachsenen. Selbstverständlich meine ich Preußen. Alles Drill, Uniformierung, Erziehung! Pfui Teufel! Ich bin neugierig, wann dieses vielleicht innerlich zu blonde Volk einsehen wird, daß die wahre Erziehung die Abwesenheit jeder Erziehung ist, daß ein unverprügeltes Gehirn mehr Chancen hat als ein Regierungsrat und daß ein besoffener Kutscher und die tanzende Mohnenstamm weniger Ärgernis erregen als der sie arretierende Schutzmann … Tja, ich langweile Sie wohl? Macht nichts … Holla, Sie sehen aus dem Fenster! Was gibts? Tja, da reitet was, das man sich ansehen darf. Die Baronin von Leidgeben. O, Sie sind ja regulär hingerissen, wie mich dünkt. Hm, kaufen Sie sich einen gutsitzenden Anzug letzten Schnitts und einwandfreie Unterwäsche, dann ist auch das dort auf dem Pferderücken nicht zu hoch für Sie. Freilich bleibt es dabei immer noch fraglich, ob Sie auch imstande sind, aus dem Handgelenk zu grüßen und ›Gnädige Frau‹ so auszusprechen, daß sie Ihnen die Heimatsberechtigung dazu glaubt. Tja, nicht so einfach. O, da oben gibt’s Exemplare! Schwerstes Tipp-Topp! Allerschwerstes! Aber im Grunde ist der Unterschied lediglich ein Phantasieakt. Man transponiere zum Beispiel Frau Kroll in Hundert-Mark-Meter-Grau und verbiete ihr, Schöps zu sagen, und die Illusion ist komplett. Eine kleine Ähnlichkeit ist übrigens vorhanden. Sollten Sie am Ende? Ich will es nicht fürchten. Frau Kroll soll ganz außerordentlich resolut sein und eine sehr lockere Hand haben wie alle besseren Weiber. Na, ich habe nichts dagegen. Aber seien Sie um des Himmels willen vorsichtig, wenn Sie überhaupt Gelegenheit erhalten sollten, es zu sein … Ja, was gibt’s denn? Ach, Sie wollen schon gehen? Gut, gehen wir … Ach so … Na ja … Übrigens, was glauben Sie denn eigentlich? Sie meinen wohl, ich lasse mich von Ihnen zum Besten halten? Sie irren, mein Verehrter! Sie sind vielleicht der Ansicht, ich wäre eifersüchtig auf Sie und hätte Sie nur aufgesucht, um Sie zu ärgern, um mich zu rächen, oder weiß der Kuckuck warum? Ich wiederhole Ihnen: Sie irren. Gründlich. Solche Sachen mache ich nur in besonderen Fällen und auch dann lediglich, wenn es sich um Beträge handelt. Wenn ich mir Sie hätte vornehmen wollen, hätte ich Ihnen vor einer halben Stunde schon eine Ohrfeige geben müssen und, mein sehr Verehrter, auch gegeben. Mein Gott, was man heutzutage alles erlebt! Ich will mir keinen guten Abgang zimmern, aber ich rate Ihnen angelegentlichst: lassen Sie sich behandeln! Adieu, mein Herr!«

Doch noch bevor er die Tür erreicht hatte, stieß der Andere, der ununterbrochen am Fenster gesessen war, sei es aus Hohn, sei es zu seinem Vergnügen, einen durchdringenden Fingerpfiff aus, der zur Folge hatte, daß jener halsüberkopf aus der Tür stürzte, die Treppe hinabraste, stolperte, zehn Stufen hinabkollerte und sich die Nase zerschlug, wodurch er so viel Charme und Zeit einbüßte, daß er Frau Kroll nicht nur überhaupt nicht mehr zu besitzen hoffen zu können vermochte, sondern sogar mit ansehen mußte, wie es dem Andern gelang.

Der Pfirsich

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Roger hatte soeben die kühn sich suggerierte Scheu davor, seine Hand zu ergreifen, überwunden und beabsichtigte, sich wieder in Bewegung zu setzen, als er spürte, wie etwas Weiches seinen Arm berührte.

»Wohin denn?« Der lange Jacques stand steil neben ihm.

» Sie sinds.« Roger beschrieb mit dem gesteiften Zeigefinger beschwörende Kreise.