Der Engel mit dem schwarzen Haar - Karin Bucha - E-Book

Der Engel mit dem schwarzen Haar E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. »Ich bitte dich, Joachim, sieh doch endlich die Notwendigkeit meines Vorschlages ein.« Fürstin Elisabeth von Felsenstein legt einen beschwörenden Ton in ihre Stimme, dabei mustern ihre lebhaften dunklen Augen mit Wohlgefallen die imponierende Erscheinung ihres Sohnes, des regierenden Fürsten Friedrich-August Joachim von Felsenstein. »Du bist nun zweiunddreißig Jahre alt und es wird Zeit, daß du an die Gründung einer Familie denkst. Die Felsensteiner wollen ihr Oberhaupt, das du nun einmal bist, als Familienvater im Kreise einer Schar Kinder sehen. Schau sie dir wenigstens einmal an, die Prinzessin Josefina von Lichtenbach. Ich bitte dich, Joachim. Ich habe für dich getan, was ich konnte, damit du deinen Neigungen leben und deine Freiheit genießen konntest. Zum Teil trägt an diesem Lotterleben dein Freund und Sekretär Dr. Martin Weidlinger die Schuld. Wäre er verheiratet, würdest du dich längst nicht so sträuben. Wir Felsensteiner können es uns einfach nicht erlauben, nach dem Herzen zu wählen. Wir müsssen auf unseren Namen Rücksicht nehmen.« Die Fürstin verstummt, und Joachim bemerkt zum ersten Mal einen müden, erschöpften Ausdruck auf den sonst so beherrschten Zügen seiner Mutter. Sie ist herzensgut, aber Namen und die damit verbundenen Überlieferungen und Traditionen bedeuten ihr alles. Sie ist so erzogen, und sie wird sich auch nicht mehr ändern. Er geht rasch auf sie zu und führt ihre Hand an seine Lippen. »Gut, Mama«, erklärt er sich mit belegter Stimme bereit. »Ich werde mir also die für mich bestimmte Frau ansehen. Ich bin auch guten Willens, ein guter Ehemann zu werden, wenn sie mir nur einigermaßen zusagt – sonst – sonst garantiere ich für nichts.«

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Karin Bucha Classic – 4 –

Der Engel mit dem schwarzen Haar

Karin Bucha

»Ich bitte dich, Joachim, sieh doch endlich die Notwendigkeit meines Vorschlages ein.«

Fürstin Elisabeth von Felsenstein legt einen beschwörenden Ton in ihre Stimme, dabei mustern ihre lebhaften dunklen Augen mit Wohlgefallen die imponierende Erscheinung ihres Sohnes, des regierenden Fürsten Friedrich-August Joachim von Felsenstein.

»Du bist nun zweiunddreißig Jahre alt und es wird Zeit, daß du an die Gründung einer Familie denkst. Die Felsensteiner wollen ihr Oberhaupt, das du nun einmal bist, als Familienvater im Kreise einer Schar Kinder sehen. Schau sie dir wenigstens einmal an, die Prinzessin Josefina von Lichtenbach. Ich bitte dich, Joachim. Ich habe für dich getan, was ich konnte, damit du deinen Neigungen leben und deine Freiheit genießen konntest. Zum Teil trägt an diesem Lotterleben dein Freund und Sekretär Dr. Martin Weidlinger die Schuld. Wäre er verheiratet, würdest du dich längst nicht so sträuben. Wir Felsensteiner können es uns einfach nicht erlauben, nach dem Herzen zu wählen. Wir müsssen auf unseren Namen Rücksicht nehmen.«

Die Fürstin verstummt, und Joachim bemerkt zum ersten Mal einen müden, erschöpften Ausdruck auf den sonst so beherrschten Zügen seiner Mutter. Sie ist herzensgut, aber Namen und die damit verbundenen Überlieferungen und Traditionen bedeuten ihr alles. Sie ist so erzogen, und sie wird sich auch nicht mehr ändern.

Er geht rasch auf sie zu und führt ihre Hand an seine Lippen.

»Gut, Mama«, erklärt er sich mit belegter Stimme bereit. »Ich werde mir also die für mich bestimmte Frau ansehen. Ich bin auch guten Willens, ein guter Ehemann zu werden, wenn sie mir nur einigermaßen zusagt – sonst – sonst garantiere ich für nichts.«

Fürstin Elisabeth richtet sich noch höher auf. »Was willst du damit sagen, Achim?«

»Alles widerstrebt sich in mir, eine Frau zu heiraten, die ich nicht liebe, die ich nicht kenne, von der ich überhaupt nichts weiß.«

Fürstin Elisabeth erhebt sich. »Dann lerne sie kennen«, sagt sie schroff. »Es muß sein, Achim. Selbst wenn sie dir nicht gefallen sollte, mußt du sie heiraten. Josefina von Lichtenbach ist die einzige Prinzessin, die für dich in Frage kommt.«

Joachim von Felsenstein schweigt und geleitet wortlos seine Mutter zur Tür, die er behutsam hinter ihr ins Schloß zieht.

Bedrückt geht er zurück ins Zimmer, klingelt und bittet Dr. Weidlinger zu sich. Wenig später steht der Freund und Sekretär vor ihm. Er ist gleichfalls hochgewachsen, blond und blauäugig, während der Fürst zu seinem dunkelbraunen Haar faszinierende hellgraue Augen hat. Sie sind zwei Erscheinungen, die man nie und nirgends übersehen kann.

»Es ist soweit«, empfängt der Fürst den Freund. »Wir müssen wieder einmal die Koffer packen –«

Dr. Weidlinger läßt sich in die Polster eines der bequemen Sessel fallen? »– um auf Brautschau zu gehen«, vollendet er ruhig.

»Woher weißt du?« Fürst Joachim entzündet sich jetzt nervös eine Zigarette.

»Ein guter Sekretär muß alles wissen und ein guter Freund alles verstehen«, gibt Dr. Weidlinger ruhig zurück. In seinen Augen blitzt der Schalk. »Du siehst aus, als müßtest du zu einer Hinrichtung gehen. Ansehen, sage ich. Die letzte Entscheidung liegt bei dir, nur bei dir.«

»Und das Hausgesetz?« wirft der Fürst unwillig ein.

»– besagt, daß du eine Prinzessin mit einer siebenzackigen Krone heiraten mußt. Menschenskind, Achim, es gibt doch wirklich noch mehr Prinzessinnen, die den Ansprüchen des Hauses Felsenstein genügen. Muß es denn unbedingt Josefina von Lichtenbach sein?«

»Meine Mutter –«

»Allen Respekt vor Ihrer Durchlaucht, der Fürstin Elisabeth, aber ein bißchen Liebe muß doch wohl dabei sein.« Dr. Weidlinger erhebt sich und geht hinüber zu dem Freund, den er selten so unschlüssig und bedrückt gesehen hat. »Also, Achim, wir packen und sehen uns Prinzessin Josefina von Lichtenbach an.«

Ein Seufzer aus tiefstem Herzensgrund zittert durch den weiten, hohen Raum, der Dr. Weidlinger nur ein herzliches Lachen entlockt.

»Also, auf zur Brautschau, Achim«, tröstet er und legt dann den Arm um die Schultern des Freundes. »Den Kopf kostet es doch wirklich nicht. Vielleicht verliebt sie sich in mich – und du hast nichts mehr zu melden.« Dr. Weidlinger hat erreicht, was er wollte. Der Freund lächelt wieder, wenn auch etwas gequält.

»Herrgott, warum kann man nicht leben, wie man gern möchte«, stöhnt er und drückt den Rest seiner Zigarette in der Schale aus. »Immer dieser Zwang, immer das harte Muß. Ich habe es wahrhaftig satt.«

»Na, na«, besänftigt Dr. Weidlinger ihn. »Bisher hat Ihre Durchlaucht doch alles von dir ferngehalten. Du konntest reisen, wohin du wolltest, du konntest deinen Neigungen leben. Du hast sogar flotte Rennen gefahren. Ist das etwa nichts? Nun mußt du Ihrer Durchlaucht diesen kleinen Gefallen tun.«

Fürst Joachim drückt auf den Klingelknopf, und als Heinrich, sein Kammerdiener, erscheint, bittet er: »Wir reisen, Heinrich. Es heißt wieder einmal, Koffer packen.«

*

Josefina von Lichtenbach und ihre Mutter, die Fürstin Ernestine von Lichtenbach, sitzen sich auf der Terrasse des Schlosses, das im englischen Landhausstil erbaut ist und der Familie zum Sommeraufenthalt dient, beim Frühstück gegenüber, als die Mitteilung von ihrer Base, Fürstin Elisabeth von Felsenstein, eintrifft, worin sie den Besuch ihres Sohnes Joachim ankündigt.

In das sonst so bleiche Gesicht steigt schwache Röte. Über den Brief hinweg betrachtet sie die Prinzessin.

»Jetzt endlich ist es soweit.«

»Was, Mama?« erkundigt Josefina sich uninteressiert.

»Fürst von Felsenstein kommt zu Besuch.«

»Ist das der Millionär?« forscht Josefina mit phlegmatischer Ruhe weiter.

»Er ist es.« Die Stimme der Fürstin klingt ärgerlich gegenüber der Interessenlosigkeit ihrer Tochter. »Bist du so naiv – oder stellst du dich nur so, Josefina? Er kommt deinetwegen.«

»Meinetwegen?« erwidert sie gedehnt und reicht die Tasse dem servierenden Diener zum Auffüllen. Als er verschwunden ist, spricht sie gelassen weiter: »Zeit genug hat er sich gelassen. Natürlich kenne ich deinen und Tante Elisabeths Plan. Von mir aus kann er kommen.«

»Wir müssen doch einige Vorbereitungen treffen«, nimmt die Fürstin nach einer Pause das Gespräch wieder auf. »Zimmer müssen gerichtet werden. Der Fürst bringt seinen Kammerdiener und den Sekretär mit.«

Josefina greift zu einem Modejournal. »Du wirst schon alles regeln, Mama.«

Prüfend betrachtet Fürstin Ernestine ihre Tochter. Ehrlich zugegeben, besonders hübsch ist sie nicht. Sie schluckt ein paarmal. Aber das ist schließlich nicht ausschlaggebend. Letztlich war sie auch nicht hübsch und hat den reichen Fürsten Lichtenbach bekommen. Warum soll es bei Josefina anders sein?

*

Josefinas Herz schlägt doch rascher, als die durchdringenden grauen Augen des Fürsten Joachim auf ihr ruhen und sich sein dunkler Kopf über ihre kühle Hand neigt.

In respektvoller Entfernung steht Dr. Weidlinger. Ach, du lieber Gott – denkt er – niemals hat eine Frau weniger Chancen bei Joachim gehabt als gerade diese Prinzessin. Er, der erklärte Frauenliebling, dem die Mädchenherzen nur so zufallen, der die schönsten und gefährlichsten Frauen besessen hat, wird sich niemals mit dieser Heirat einverstanden erklären.

Nachdem der Empfang vorüber ist, sucht Dr. Weidlinger den Freund in seinem Wohnzimmer auf. Er findet ihn tief in Gedanken versunken vor dem Fenster.

Ohne sich umzuwenden, er hat den Freund am Schritt erkannt, sagt Joachim: »Das einzige, was mir hier gefällt, ist die wunderbare Aussicht und die Lage des Landhauses. Sonst –« Er dreht sich rasch ins Zimmer. »Was sagst du, Martin?«

Martin pustet vor sich hin, als sei ihm besonders heiß. »Sonst bin ich deiner Meinung, Achim. Wollen wir die Koffer gepackt lassen?«

Joachim muß nun doch lachen. »Wie gut du mich kennst.« Er grübelt wieder vor sich hin. »Rein äußerlich gesehen bereitet mir die Prinzessin physisches Unbehagen. Aber, vergiß nicht, wir sind auf höheren Befehl hier. Also heißt es vorläufig aushalten.«

»Also doch auspacken.« Diesmal seufzt Weidlinger tiefsinnig.

Ihre Freundschaft hat sich in ungezählten ernsten und heiteren Situationen bewährt, und unzerreißbar ist das Band, das sie verbindet. Sie verstehen sich meist ohne viel Worte. Mitunter genügt schon ein Augenblinken, und sie wissen Bescheid.

»Vielleicht hat sie einen guten Charakter«, gibt Martin zu bedenken.

»Diese Josefina kennt nur ihre eigene reizlose Person, darauf kannst du dich verlassen«, ereifert der Fürst sich. »Ich müßte mich sehr täuschen, hinter der Stirn Geist oder Witz zu vermuten.«

»Leider täuschst du dich nie. Das kann ein schönes Theater werden.« Martin Weidlinger hat sich auf einen der zierlichen Sessel gesetzt und die langen Beine weit von sich gestreckt.

»Sag mal«, forscht Martin, »hast du niemals ein Bild von dieser Prinzessin gesehen?«

»Nie!«

Dr. Weidlinger schüttelt den Kopf. »Ich verstehe Ihre Durchlaucht, Fürstin Elisabeth, nicht. Wie kann sie dir eine solche Frau andrehen wollen? Wegen des Geldes? Davon hast du doch selbst genug. Nein, Achim, die Frau, die zu dir paßt, die stelle ich mir anders vor.«

»Ich auch«, sagt Fürst Joachim lakonisch.

»Und was geschieht, wenn du plötzlich entdeckst, daß du doch ein Herz hast?« gibt Martin zu bedenken.

»Ich sagte dir schon«, erwidert der Fürst, jede Silbe betonend, »Fürstenkinder dürfen kein Herz haben.« Das klingt so resignierend, daß Weidlinger verstummt. Kurz vor dem Portal richtet Fürst Joachim wieder das Wort an ihn. »Damit du nicht überrascht bist, zum Sommerfest werde ich mit Prinzessin Josefina sprechen. Dann sind die Würfel gefallen.«

Weidlinger hätte noch so viel Argumente dem Entschluß des Fürsten entgegenzusetzen. Doch er kennt die Eigenwilligkeit des Freundes, und so sucht er sichtlich verstimmt sein Zimmer auf.

*

Mit kaum zwanzig Kilometer Geschwindigkeit fährt der Wagen, ein sehr altes Modell, mit einem Motor, der sich anhört wie eine alte Dreschmaschine, durch die Hauptstraße der kleinen, verträumten Stadt.

Die Lenkerin dieses alten, von ihr überaus geliebten Gefährtes, Prinzessin Viktoria von Cottenberg kennt ihre Cottenberger. Plötzlich schlagen sie einen Haken und kreuzen von einem Fußsteig über die Fahrbahn auf die andere Seite.

Plötzlich bringt sie den Wagen zum Stehen und fährt dann dicht am Gehsteig entlang, bis sie neben einer zierlichen Mädchengestalt hält.

»Hanna!«

»Viktoria, Prinzessin!«

Erfreut kommt das junge Mädchen an den Wagen heran.

»Steig ein, Hanna. Bis zur Schloßschänke fahren wir, dann machen wir noch einen kleinen Bummel«, sagt sie energisch und öffnet den Schlag.

Johannas Madonnengesicht färbt sich dunkelrot. »Aber ich kann doch nicht«, stammelt sie verlegen, denn sie bemerkt, daß sie bereits Aufsehen erregen.

»Rede nicht so viel, Hanna, komm«, kommandiert Viky. »Ich wundere mich nur«, ärgert sie sich, als Hanna tatsächlich neben ihr sitzt, »daß du mich nicht mit meinen sämtlichen Taufnamen anredest. Stell dir vor, wie das klingt: Margareta, Maria, Bettina, Viktoria.«

»Viky!« sagt Hanna sanft und mit leichtem Vorwurf.

»Na also«, kommt es erleichtert aus Vikys Mund. »Endlich bist du wieder normal.«

Hanna muß lachen. Das ganz sanfte Gesicht wird dadurch schön. Sie haben sich schon immer glänzend verstanden, Johanna Valentin und Prinzessin Viky. Einmal war auch Johanna eines der reichsten Mädchen in der Stadt. Wenigstens nahm man das an. Ihr Vater besaß das größte Kaufhaus am Platze. Dann ließ er sich in gewagte Spekulationen ein, hatte Weibergeschichten und begann zu trinken. Auf einmal war alles vorbei. Hannas Vater schoß sich eine Kugel durch den Kopf, und die lebensuntüchtige, immer von ihrem Mann beherrschte Hildegard Valentin, ebenso sanft und geduldig wie ihre Tochter Hanna, stand einem Chaos gegenüber, dem sie nicht gewachsen war.

Da kam die Schwester ihres Mannes, unverheiratet, mürrisch, ewig unzufrieden, aber sehr energisch. Sie schlug sich mit den Gläubigern herum, rettete einen Teil wertvoller Möbel, und zu dritt bezogen sie die Mansarde des einst ihnen gehörenden Patrizierhauses. Es wurde sehr ruhig um die drei Frauen. Und als Hildegard Valentin an einer Lungenentzündung starb, war Hanna Tante Trautes Herrschaft hilflos ausgeliefert.

In dieser schweren Zeit war es Prinzessin Viky, die der einsam gewordenen Freundin die Treue hielt. Hanna hatte ein Hüftleiden. Kaum merklich noch, hinkte sie etwas. Man vergaß jedoch diesen körperlichen Fehler, wenn man in die schönen Braunaugen sah, in das schmale, regelmäßige Gesichtchen unter dem braunen Madonnenscheitel.

Selbst Ihre Durchlaucht, Fürstin Irene von Cottenberg, sah es gern, wenn die temperamentvolle Nichte, die ihr Herz auf der Zunge trug, sich in Hanna Valentins Gesellschaft befand. Schon immer hatte die taktvolle, feinfühlige und stille Hanna einen heilsamen Einfluß auf die wilde Prinzessin Viky ausgeübt.

Viky war es, die Hanna den Rat gab, ihr natürliches Talent auszunutzen, und sie sorgte dafür, daß sie auch die beste Kundschaft bekam. Hanna konnte wunderbare Kleider anfertigen. Kleider, von denen die mehr oder weniger eingebildeten Bürgerinnen der Stadt, die irgendwo tonangebend waren, sehr gern behauptet hätten, sie seien aus Paris bezogen.

Tante Traute verwaltete das Geld. Allzuviel bekam Hanna von ihrem Verdienst nicht ab, aber doch immerhin so reichlich Taschengeld, daß sie bei ihren bescheidenen Ansprüchen noch sparte und hier und da ihrer geliebten Viky eine Freude machen konnte. Denn es war allzu wahr, die Cottenbergs, die auf der Cottenburg, einem entzückenden Schlößchen aus dem vierzehnten Jahrhundert, saßen, waren arm.

»Du lachst noch dazu? Ach, es ist zum Weinen und keinesfalls spaßig. Du bist wirklich zu beneiden.«

»Ich?« Hannas Augen werden kugelrund. Sie findet ihr Dasein unter Tante Trautes Herrschaft durchaus nicht beneidenswert. Wie oft weint sie sich vor Sehnsucht nach der allzeit gütigen, verständnisvollen Mutter in den Schlaf.

»Ja – du!« behauptet Prinzessin Viky.

»Das mußt du mir näher erklären, Viky.«

»Du kannst wenigstens deine Kräfte regen, Hanna, während ich ein Faulenzerdasein führe, führen muß, auf allerhöchsten Befehl. Tante Irene will es nun einmal so. Du kennst ja ihre Einstellung. Eine Prinzessin aus dem Hause Cottenberg verdient sich nicht ihren Lebensunterhalt.«

Hanna legt ihre Hand auf die wunderschönen, schmalen Finger der Freundin. »Daran wirst du niemals etwas ändern, Viky«, versucht sie zu trösten. »Finde dich mit Ihrer Durchlaucht, Fürstin Irenes, Einstellung ab. Sie lebt in einer anderen Welt und kann die unsrige nicht verstehen. Dafür ist sie aber die gütigste und liebevollste Tante, die versucht, dir das Leben so angenehm wie möglich zu machen.«

»Ich werde mich dafür entschädigen und einen ganz reichen Mann heiraten«, trotzt Prinzessin Viky. Das klingt eher wie eine Drohung, denn als Wunsch.

*

Eine zauberhafte, die Herzen milde stimmende Sommernacht. Eine auserlesene Gesellschaft durchflutet die festlichen Räume im Hause der Fürstin Ernestine von Lichtenbach. Da es sich um ein Fest auf dem Lande handelt, gibt man sich ungezwungen. Zwei Diener betreuen das prächtig aufgebaute, jedem Geschmack entsprechende kalte Büfett. Dezente Musik trägt zur Hebung der Stimmung bei, und Melodienfetzen dringen bis in den hell erleuchteten Park.

Schritte knirschen auf weißem Kies über die gewundenen Pfade. Süßen Duft verströmen die Blumenrabatten. Und über allem ein dunkel geflammter Himmel mit unzähligen Sternen, die die Welt unendlich klein und verloren erscheinen lassen.

Fürst Joachim geht an Prinzessin Josefinas Seite und ist von einer innerlichen Ruhe und Ausgeglichenheit wie selten. Es gibt kein Schreckgespenst mehr, das Heirat heißt. Er hat sich damit abgefunden und gibt sich alle Mühe, seine stumme Gefährtin zu unterhalten.

Sie gibt nur kurze einsilbige Antworten und schließlich gehen sie wortlos und schweigend durch den Park. Auch das findet er anziehend. So kann er in Muße die mitternächtliche Stimmung auf sich wirken lassen. Er findet alles schön und ist geneigt, auch die Frau in dem Abendkleid mit der unmöglichen Farbe milder zu beurteilen. Schließlich bricht er das Schweigen.

»Sie wissen, weshalb ich gekommen bin, Prinzessin?«

»Gewiß, Fürst Joachim«, gibt sie gleichmütig, ihm scheint zu gleichmütig, zur Antwort, was wie eine kalte Dusche auf ihn wirkt.

»Dann bedarf es nicht vieler Worte meinerseits, Prinzessin Josefina. Wenn es Ihnen recht ist, werden wir morgen zusammen mit Fürstin Ernestine den Termin unserer Verlobung festlegen.«

»Ich bin damit einverstanden«, erwidert sie. Es klingt weder besonders freundlich noch ermunternd. Besondere Gefühle scheinen sie nicht zu bedrücken. Nun gut – atmet er auf – dann kommt sie seinem Wunsch nur entgegen. Wie geahnt, würde sie eine bequeme Frau werden.

Trotzdem irritiert ihn etwas bei der ganzen Angelegenheit, ohne daß er es in Worte hätte fassen können. Ist es ihre Kühle – ihre Beherrschtheit, die ihn einesteils beruhigt, dann wieder verletzt? Auf einmal hat er einen faden Geschmack auf der Zunge, und er macht den Vorschlag: »Wollen wir zurück ins Haus gehen? Ich hätte Durst auf ein Glas Sekt.«

»Gern«, sagt sie und geht wie ein gehorsames Hündchen neben ihm her.

Im Haus herrscht sehr fröhliche Stimmung. Fürstin Ernestine ist mit dem Verlauf des Abends wirklich sehr zufrieden, und sie hat es sich etwas kosten lassen. Als sie die beiden hochgewachsenen Menschen einträchtig die Halle betreten sieht, läuft ein kaum merkliches Lächeln über ihre strengen Züge.

»Nun?« forscht sie, nachdem Fürst Joachim sich mit einem Handkuß von ihrer Tochter abgewandt und Dr. Weidlinger mit Beschlag belegt hat. »Wie steht es?«

»Morgen wird Fürst Joachim mit dir sprechen«, gibt Josefina ruhig Antwort, Ihre Augen tragen weder erhöhten Glanz noch die schmalen Lippen ein glückliches Lächeln.

»Dann ist ja alles gut, Kind«, erwidert die Fürstin erleichtert, während sie einigen Bekannten höflich zunickt, die an ihr vorübergehen.

*

Noch in der Nacht, als endlich in dem weitläufigen Landhaus Ruhe eingekehrt ist, schreibt Fürst Joachim an seine Mutter.

… Du wirst zufrieden mit mir sein, liebe Mama, morgen halte ich um Josefinas Hand an. Aber eine Bitte verbinde ich damit, die Du mir gewähren mußt. Laß mich noch vierzehn Tage meine Freiheit genießen, bevor Du Josefina und ihre Mutter zur Verlobung einlädst. Meine Adresse werde ich Dir mitteilen, damit mich jederzeit Deine Nachrichten erreichen. Wenn Du mich rufst, werde ich pünktlich zur Stelle sein.

Dein gehorsamer Sohn Joachim.

Noch ein paarmal liest Fürst Joachim den Brief durch, bevor er ihn endgültig adressiert.

»So«, sagt er laut vor sich hin, »die Würfel sind gefallen. Vierzehn Tage gehören mir, und ich will sie nützen und genießen.«

Dann legt auch er sich nach diesem ereignisreichen Tag zur Ruhe nieder.

*

»Heiliger Bimbam!« schimpft Fürst Joachim am Steuer seines eleganten, schwarzglänzenden Wagens vor sich hin. Laut genug, um Dr. Weidlinger aus seinem Halbschlummer zu reißen.

»Was ist denn los?« fragt er schläfrig und unwillig über die Störung.

»Verfahren habe ich mich. Weiß der Kuckuck, wie ich in diese gottverlassene Gegend geraten bin. Jetzt können wir sehen, wie wir die Autobahn erreichen. Und die Steigung ist auch nicht von schlechten Eltern. Mir kommt es vor, als führen wir direkt in den Himmel.«

Fürst Joachim ist wegen seiner Ungeschicklichkeit schlechter Laune. Außerdem ist er müde und sehnt sich nach Schlaf. Sie haben einen wunderbaren Tag hinter sich, nachdem sie gleich nach dem Frühstück das Landhaus der Fürstin Ernestine und deren Tochter verlassen haben.

Es war ein fast warmer Abschied, selbst Josefina hat sich erwärmt und freundlich versichert, daß sie sich sehr auf die Residenz und auf ihr zukünftiges Heim freue.

Sie haben zuletzt eine kleine schlafende Stadt passiert, und nun sitzen sie mitten im Wald, dessen Bäume sich ächzend im Winde beugen.

Fürst Joachim kurbelt das Fenster herunter und neigt den Kopf hinaus. »Brrr!« schüttelt er sich. »Welch unfreundliche Nacht. Ich bin überzeugt, wir müssen im Wagen schlafen.«

Dr. Weidlinger reißt die Augen gewaltsam auf. »Dort ist ein Licht.« Er weist mit der Hand geradeaus. »Es könnte ein Hotel sein. In solchen Gegenden wimmelt es meist von Ausflugsorten und Hotels.«

Auch Heinrich, der Kammerdiener, der ziemlich eingezwängt zwischen Gepäckstücken auf dem Rücksitz seinen Platz gefunden hat, starrt in das nur durch die Scheinwerfer erhellte Dunkel.

»Vielleicht sollten wir den Weg wieder zurückfahren?« schlägt er vorsichtig vor.

»Umgekehrt wird nicht«, sagt Fürst Joachim entschieden und Martin Weidlinger lehnt sich wieder bequem in die Polster zurück.

»Mir soll es recht sein«, murmelt er und gähnt diskret hinter der Hand. »Hauptsache, wir kommen bald in ein Hotel. Ich bin hundemüde.«

Mit verbissenem Ernst lenkt Fürst Joachim den Wagen den Berg hinan, dem Licht zu, das ihm den Weg weist. Schließlich treten die gespenstisch erscheinenden Bäume zurück, ein freier Platz tut sich vor ihnen auf, und der Wagen hält vor einem von Säulen getragenen Portal.

Ein einziges Fensterviereck ist erleuchtet, sonst liegt das unbekannte Haus in Dunkel gehüllt vor ihnen.

»Ich weiß nicht«, sagt Fürst Joachim und geht auf die schwereichene Doppeltür zu. »Wie ein Hotel sieht das nicht aus.«

Er hat einen Knopf neben dem Eingang entdeckt und drückt mit dem Finger vorsichtig darauf.

Gespannt warten sie, was sich tun wird. Minuten vergehen voller Ungeduld. Endlich hören sie Schritte, die sich der Tür nahen, und auf einmal stehen die drei nächtlichen Eindringlinge in einem fast grellen Licht. Zugleich öffnet sich die Eingangstür, und ein alter Mann steht in flüchtig geordneter Kleidung vor ihnen. Sein schlohweißes Haar flattert im unwirschen Nachtwind.

»Die Herren wünschen?« fragt er mit verblüffender Ruhe, als käme es jeden Tag vor, daß sich zur nächtlichen Stunde Fremde anmelden.

Fürst Joachim macht den Sprecher. »Wir haben uns verfahren. Können wir wohl für eine Nacht Unterkunft haben?«

Die freundlichen, vom Alter verschwommenen Augen des Mannes, sicher ein Bediensteter des Hauses, mustern die vor ihm Stehenden. Dann macht er eine einladende Handbewegung und öffnet weit die Tür.

»Darüber kann ich nicht entscheiden«, gibt er höflich zur Antwort. »Wenn die Herren einstweilen in der Halle Platz nehmen wollen?«

»Danke!«

Der Diener Erasmus weist auf die Sesselgruppe vor dem Kamin, in dem noch ein schwaches Feuer glimmt, dann schlurft er davon, die Freitreppe empor und verschwindet auf der Galerie.

Zaghaft klopft er an die Tür, die zu den Gemächern der Fürstin Irene führt. Der schwache Lichtschein, der unter der Tür herausquillt, hat ihm den Mut dazu gegeben.

Walburga, die Kammerfrau, kommt eiligst herbeigelaufen.

»Was gibt es denn, Erasmus?«

Erasmus tritt ein. Er findet Fürstin Irene vor ihrem Toilettentisch. Das immer noch schöne weiße Haar ist bereits für die Nacht gerichtet. »Nun, Erasmus?« wendet sie sich an den zögernd näherkommenden Diener. »Was gibt es?«

Der Butler erklärt in seiner knappen Art, was los ist, und setzt abschließend hinzu: »Sie sehen sehr vertrauenerweckend aus, wenn ich Ihre Durchlaucht darauf aufmerksam machen darf. Außerdem handelt es sich nur um eine Nacht.«

Fürstin Irene schmunzelt vor sich hin. »Du meinst also, man solle die Fremden nicht abweisen?«

»Ja, Ihre Durchlaucht, wenn ich meine Meinung äußern darf.«