Der Erdbeerbaum - Anne Erwand - E-Book

Der Erdbeerbaum E-Book

Anne Erwand

0,0

Beschreibung

Der Erdbeerbaum ist nicht nur der größte und älteste, sondern auch der schönste Baum auf der ganzen Welt. Jeden Tag treffen sich die vier Freunde Anna, Ole, Samuel und Merenda bei ihm. Eines Tages jedoch wird der Baum krank. Seine Blätter werden schwarz, und er beginnt zu sterben. Schnell sperren die Erwachsenen ihn mit einem Band ab. Der kranke Baum sei gefährlich, sagen sie. Weil die Freunde ihren Baum nun nicht mehr besuchen dürfen, machen sie sich auf die Suche nach einem neuen Treffpunkt. Sie wissen nicht, dass das Schicksal des Erdbeerbaumes allein von ihnen abhängt. Ihre Wege führen sie über steile Felsen, durch geheimnisvolle Höhlen, übers Eis und durch die Wüste. Ob die Freunde ihren Erdbeerbaum am Ende retten können? Eine besondere Geschichte über Nachhaltigkeit und darüber, wie in der Natur alles mit allem zusammenhängt: für Kinder ab 8 Jahren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 129

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anne Erwand
Der Erdbeerbaum
Von vier Freundenund einerabenteuerlichen Reise
mit Illustrationen vonBeatrice Davies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2019 oekom verlagGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Umschlagabbildung: Beatrice Davies, BerlinLektorat: Elena Bruns, LingenKorrektur: Maike Specht, BerlinGestaltung und Satz: Ines Swoboda, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-567-5
Als ich noch zur Schule ging,wurde ich gefragt, was ich werden will,wenn ich groß bin.
Ich antwortete: »Glücklich.«
Sie sagten mir, ich hätte die Aufgabenicht verstanden.
Ich sagte ihnen, sie hätten das Lebennicht verstanden.
John Lennon

INHALT

Der Anfang
Merenda
Ole
Die Mitte
Anna
Samuel
Das Ende und der Neubeginn
Jeden Tag kurz vor Sonnenaufgang trafen sich Ole und seine Freunde unter dem größten und ältesten Baum der Welt. Der Baum war so hoch wie fünf Häuser und so alt wie zehn Schildkröten. Aber das Beste war, dass er nach Erdbeeren roch. Darum nannten ihn alle nur den Erdbeerbaum. Der Erdbeerbaum war nicht nur der größte und älteste, sondern auch der schönste Baum auf der ganzen Welt. Seine schweren, dunklen Äste waren verwinkelt und krumm und seine Blätter und Zweige dicht und dunkelgrün. Jedes Jahr im April blühte der Erdbeerbaum, und dann hatte jede seiner Blüten eine andere Farbe. Sie glänzten und strahlten bei Tag und bei Nacht. Wenn die Sonne schien, leuchteten sie wie die Steine in einem Kaleidoskop. Und wenn der Mond schien, sah es so aus, als hingen hundert bunte Lichter zwischen den verwinkelten Zweigen.
Ole und seine Freunde Merenda, Samuel und Anna liebten den Baum sehr. All ihre Spiele, Träume und Gedanken teilten sie mit ihm. Unzählige Stunden verbrachten sie unter seinem vertrauten und schützenden Blätterdach. Und obwohl sie jeden Tag dort waren, wurde es ihnen nie langweilig. Denn die Lichtung, die den Erdbeerbaum umgab, war in Wahrheit ein Raumschifflandeplatz (auch wenn nur sie das wussten und sonst niemand). Der nahe gelegene See war ein riesiger Ozean, das Gebirge ringsherum eine Ritterburg, die Feuerstelle am Fluss die Heimat von Steinzeitmenschen und der nicht weit entfernte Wald ein Fußballstadion. Manchmal war aber auch alles total anders. Dann war der Wald ein verwunschenes Labyrinth. Oder ein fremder Planet. Und manchmal ganz einfach nur ein gewöhnlicher Wald. Und so lebten, träumten und spielten Ole und seine Freunde, und ihre Welt war immer grenzenlos.
Die Zeit verging, und es schien fast so, als würde sich nie irgendetwas ändern. Doch dann, eines Tages – Merenda, Samuel, Anna und Ole hatten sich gerade wieder unter dem Baum zusammengefunden –, da sahen sie, dass der Baum kein einziges Blatt mehr trug. Über Nacht hatte er alle Blätter verloren, und am Ende stand nur noch eine einzige silbrig leuchtende Blüte an der Spitze des Baumes. Am Anfang glaubten die Kinder noch, der Winter sei dieses Jahr besonders früh gekommen. Doch die Monate vergingen, der Frühling zog ins Land, dann der Sommer, und nichts passierte. Keine kleinen hellgrünen Spitzen trieben aus, keine bunt leuchtenden Knospen öffneten vorsichtig ihre Blätter, so wie es sonst all die Jahre gewesen war. Die Kinder hörten alle davon sprechen, dass der Baum bald sterben würde. Lange wollten sie das nicht glauben. Doch egal, wie lange sie warteten, es änderte nichts: Der Baum blieb leer und kahl und tot.
Irgendwann schließlich kamen die Erwachsenen und sperrten den Baum ab. Es sei zu gefährlich, sagten sie, sich in seiner Nähe aufzuhalten. Jeden Moment könne er umfallen, oder vielleicht bräche auch ein schwerer Ast ab, der unvorsichtig spielende Kinder leicht verletzen könnte. Und so spannten die Erwachsenen ein rotes Band zwischen dem Erdbeerbaum und den Kindern. Sie erklärten nicht, warum der Erdbeerbaum so plötzlich zu sterben begonnen hatte, und fragten nicht, ob man ihn vielleicht doch noch hätte retten können. Stattdessen waren sie sehr damit beschäftigt, schnell wieder alles in Ordnung zu bringen. Am Ende malten sie ein großes Schild, auf dem Betreten verboten! stand, und steckten es vor dem Erdbeerbaum tief in die dunkle, verkrustete Erde.
Ole, Merenda, Samuel und Anna waren zuerst erschrocken und traurig. Doch dann beschlossen sie, dass so ein lächerliches Absperrband sicher kein Grund sein konnte, nicht mehr zum Erdbeerbaum zu gehen. Und so schlichen sie sich weiterhin jeden Morgen unter dem Absperrband hindurch zu ihrem Baum. So ging es – und lange ging es gut – , bis sie eines Tages doch dabei erwischt wurden. Einer der vielen Schildaufsteller und Bandbefestiger hatte anscheinend damit begonnen, den Baum rund um die Uhr zu bewachen, und nun schrie und schimpfte er und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Wenn er sie noch ein einziges Mal hinter der Absperrung erwischen würde, rief er, hätte das ernsthafte Folgen. Ob ihnen denn nicht klar sei, dass sie gerade gegen eine Vorschrift verstoßen hätten?! Sein Kopf wurde ganz rot und seine Augen ganz klein vor lauter Aufregung.
Anna, Samuel, Ole und Merenda erschraken, erwiderten aber nichts, sondern ließen den Mann schimpfen. Sie wagten nicht, ihm zu widersprechen. Seine laute Stimme, sein kräftiger Körper und seine wilden Gesten machten ihnen Angst. Und so starrten alle vier nur schweigend auf den Boden und versuchten, den bösen Blicken des Mannes auszuweichen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ der schimpfende Mann sie schließlich gehen. Was genau er eigentlich gesagt – oder besser geschrien hatte –, das vergaßen Ole und seine Freunde aber gleich danach wieder. Denn all ihre Gedanken kreisten in diesem Moment nur noch um den Erdbeerbaum. Würden sie jetzt tatsächlich nie wieder bei ihm spielen dürfen? Es gab doch sonst keinen anderen Ort für sie! Auf dem Weg zurück nach Hause gingen sie lange schweigend und in Gedanken versunken nebeneinanderher. Niemand wollte aussprechen, was doch alle vier ganz deutlich spürten: Durch ihre grenzenlose Welt würde ab jetzt immer ein dickes, rotes Absperrband verlaufen.
Als die Sonne am nächsten Tag aufging, trafen sich Ole und seine Freunde wieder. Allerdings nicht unter dem Erdbeerbaum, denn da konnten sie ja nicht mehr hin. Keiner der vier Freunde hatte Lust (oder war mutig genug), sich noch einmal dem schreienden Mann und seinem »Betreten verboten!«-Schild zu widersetzen. So trafen sie sich an diesem Morgen also vor Annas Haus, um zu beraten, wie es nun weitergehen könnte. Eines war allen klar: Sie wollten weiterhin einen Ort haben, an dem sie sich treffen und spielen konnten. Aber wo könnte dieser Ort sein? Auf den Straßen war es zu laut, auf den Feldern zu leer, in der Schule zu langweilig und in den Wohnungen zu voll. Solange sie auch nachdachten, es fiel ihnen einfach kein Ort ein, der auch nur ansatzweise so schön und einzigartig für sie hätte werden können wie ihr Erdbeerbaum es einmal gewesen war.
Schließlich kam Ole doch noch eine Idee: »Ich weiß, warum uns kein Ort einfällt!«, rief er.
»Warum?«, fragte Merenda, schon leicht erschöpft vom vielen Nachdenken.
»Weil wir gar nicht alle Orte auf der Welt kennen!«, erwiderte Ole. »Wir müssen dahin gehen, wo wir noch nie zuvor gewesen sind. Dort finden wir sicher einen Platz, der genauso schön ist wie der Erdbeerbaum!«
Anna sah ihn skeptisch an. »Woher willst du das denn wissen?«, fragte sie.
»Wissen tue ich es nicht«, entgegnete Ole. »Aber wenn wir es nicht probieren, können wir es auch nicht herausfinden. Also – wer ist dabei?«
Die anderen drei zögerten zunächst. Doch eine bessere Idee hatten sie auch nicht, und so stimmten sie schließlich zu.
»Gut«, sagte Samuel. »Dann machen wir es so. Aber wo fangen wir an mit unserer Suche?«
»Na, beim Erdbeerbaum natürlich!«, antwortete Ole. »Wir schleichen uns morgen früh noch ein letztes Mal hinter die Absperrung, und von da aus beginnen wir unsere Suche – ihr werdet sehen: Das wird uns Glück bringen! In Ordnung?«
Alle waren einverstanden. Auch wenn natürlich jeder insgeheim hoffte, dass sie nicht wieder auf den schreienden Mann treffen würden.
Nach einer langen Nacht, in der alle vier unruhig schliefen, zog endlich die Morgendämmerung herauf. Ole, Merenda, Samuel und Anna schlichen auf leisen Sohlen in Richtung Erdbeerbaum. Und tatsächlich: Sie hatten Glück – dieses Mal wurden sie nicht erwischt. »Wenn die Sonne untergeht«, flüsterte Ole ganz leise, um nicht doch noch entdeckt zu werden »treffen wir uns wieder hier. Dann können wir gemeinsam entscheiden, wer den besten Ort gefunden hat!« Die Freunde nickten leise. Dann stellten sie sich mit dem Rücken zum Erdbeerbaum im Kreis auf, fassten sich kurz an den Händen, atmeten einmal tief durch und zogen schließlich feierlich davon – ohne noch ein weiteres Wort miteinander zu sprechen.
Jedes Kind ging in seine eigene Richtung.
Merenda ging nach Osten in Richtung des Waldes. Sie kletterte über einen kleinen Hügel, kroch unter einer riesigen Wurzel hindurch und gelangte schließlich auf eine Straße, die scheinbar endlos in die Ferne reichte. Weder auf der linken noch auf der rechten Seite war irgendetwas zu sehen. Keine Häuser, keine Bäume, keine Menschen und keine Tiere. Nur eine kahle trostlose Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte. Durch sie verlief die Straße wie ein feiner, heller Faden. Merenda folgte ihr. Um sie herum war es totenstill. Die ganze Gegend war düster und unheimlich, und Merenda spürte mit jedem Schritt, wie ihr immer unwohler wurde. Eigentlich kannte sie den Weg zum Wald sehr gut – sie war ihn oft genug gegangen. Doch die trostlose Straße, die nun vor ihr lag, hatte mit diesen vertrauten Erinnerungen so gar nichts mehr zu tun.
Merenda fragte sich, wie das sein könne. Es sah so ganz anders aus als sonst. Am liebsten wäre sie sofort wieder umgekehrt. Doch wenn Merenda eines nicht wollte, dann mit leeren Händen zu ihren Freunden zurückzukehren. Deshalb lief sie immer weiter. Um sich selbst Mut zu machen, malte sie sich dabei den unbekannten schönen Ort aus, den sie ganz bestimmt am Ende des Weges finden würde. Und es half. Schon nach wenigen Minuten kamen Merenda tausend Bilder in den Sinn: Farben, Geräusche und Gerüche und der Geschmack von Abenteuer.
Leider hielt diese Wirkung jedoch nicht lange an. Der Wind, der nun immer heftiger zu wehen begonnen hatte, riss Merenda schon bald wieder aus ihren Träumen. Das Mädchen musste jetzt kaum noch selbst einen Fuß vor den anderen setzen, so stark blies der Wind und schob es Meter um Meter die Straße entlang. Als Merenda an einer großen Kreuzung angekommen war, flaute der Wind plötzlich ab und ließ sie zum Stehen kommen.
Von dieser Kreuzung zweigten zwei kleine Wege ab. Wohin sie führten, konnte Merenda nicht erkennen. Bevor sie sich jedoch für eine Richtung hätte entscheiden können, fing der Wind schon wieder an zu tosen. Er erfasste das zierliche Mädchen mit einer Böe und drückte es in Richtung der rechten Abzweigung.
Obwohl Merenda das Gefühl hatte, keine Kontrolle zu haben, in welche Richtung sie ging (oder vom Wind geschoben wurde), verspürte sie keine Angst. Im Gegenteil, sie fühlte sich sogar erleichtert. Der Wind wies ihr den Weg und nahm ihr somit die Entscheidung ab, wohin sie gehen sollte. Es war, als würde er sie direkt zu dem besonderen Ort führen, nach dem sie suchte. Dementsprechend erwartete Merenda hinter jeder Wegbiegung eine spektakuläre Entdeckung. Doch nach einiger Zeit musste sie feststellen, dass die Straße immer weiter so vollkommen unbedeutend und langweilig verlief wie zuvor. Zwar gab es weiterhin Hügel, Täler, Flüsse und Berge, doch trotzdem blieb die Landschaft ringsherum eigentümlich leer und trostlos.
Langsam dämmerte es Merenda, dass sie hier wohl keinen zweiten Erdbeerbaum mehr finden würde. Der Wind war ihr auf der Suche doch keine Hilfe gewesen und wurde nun auch wieder schwächer. Merenda beschloss, sofort umzukehren. Doch erneut passierte etwas, das ihr keine Wahl ließ: Sie musste auf der Stelle stehen bleiben, denn mit einem Mal erschien – mitten auf dem Weg und direkt vor ihr – eine große Holztür. Wie aus dem Nichts heraus war sie plötzlich aufgetaucht. Überrascht und erschrocken hielt Merenda an und blickte erstaunt an der Tür empor. Die Tür stand dort nicht allein, sondern gehörte zu einem kleinen Haus mit grünen Fensterläden. Das Haus selbst war aus Stein gebaut, und seine Mauern waren verwittert und voller Moos. Merenda machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn. Mit ihren Fingerspitzen tippte sie sanft gegen einen der Steine in der Mauer, um zu prüfen, ob sie sich das Haus nicht vielleicht doch nur einbildete. Doch der Stein war kalt und rau: so, wie es nur echte Steine sein können. Merenda blinzelte und trat näher an die Tür heran.
Was war das? Eine Klingel? Unter dem kleinen Knopf, den Merenda neben der Tür entdeckt hatte, war ein winziges helles Schild angebracht, auf dem in geschwungener Schrift ein Name zu lesen war.
»Alice Erd-beer-baum«, flüsterte Merenda und erschrak.
Wie konnte das sein? Dieser Name? Und dieses Haus? Mitten im Nirgendwo … War das alles etwa ein Traum? Ihre Gedanken begannen zu rasen, und ihr Herz klopfte schwer und kräftig.
Genau in diesem Moment ging die Sonne hinter dem Horizont unter. Mit einem Mal wurde Merenda klar, dass sie schon viel zu lange weg war. Sie hätte viel früher umkehren müssen! Die anderen würden sicher schon ungeduldig auf sie warten. Aber in der Dunkelheit zurücklaufen? Vielleicht sollte sie ganz einfach nachsehen, ob jemand in dem Haus wohnte, der ihr helfen könnte? Doch wer würde ihr hier die Tür öffnen? Andererseits: Hatte sie überhaupt eine Wahl? Allein in der Dunkelheit zurückzulaufen kam für Merenda nicht infrage. Und so nahm sie schließlich ihren ganzen Mut zusammen, schloss die Augen, ging einen Schritt auf die schwere Holztür zu und drückte mit ihrem Zeigefinger fest auf den kleinen runden Klingelknopf.
Der Ton, der erklang, war hell und klar. Oder eigentlich waren es mehrere Töne – fast hörte es sich an wie eine kleine Melodie. Nur wenige Sekunden später hörte Merenda, wie sich jemand von innen der Tür näherte. Langsame, dumpfe, schlurfende Schritte. Sie bereute noch im selben Augenblick, geläutet zu haben, und spürte, wie die Angst wieder in ihr emporkroch. Doch jetzt war es zu spät. Als sich die Tür öffnete, zuckte Merenda kurz zusammen und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah Merenda eine sehr, sehr alte Frau, deren Gesicht so übersät war mit Falten und Furchen, dass ihre Augen kaum noch zu sehen waren. Ihr Mund ähnelte einem feinen dünnen Strich, und ihre Nase war klein und schmal. Gestützt auf einen Gehstock, konnte sie sich nur noch mühsam aufrecht halten.
»Entschuldigen Sie«, begann Merenda mit zittriger Stimme. »Ich habe mich verlaufen und …«
Die alte Frau nickte nur und öffnete die Tür weit und einladend so selbstverständlich, als sei Merenda ein lang erwarteter Gast.
»Komm herein, mein Kind«, murmelte sie. »Ich bin Alice. Bitte fühl dich wie zu Hause.«
Trotz der freundlichen Worte folgte das Mädchen der alten Frau zunächst nur zögerlich. Gerade wollte es mit seiner Entschuldigung fortfahren, erklären, wer es war und wonach es suchte, doch Merenda kam nicht mehr dazu. Mitten im Satz brach sie ab, blieb mit weit geöffnetem Mund im Türrahmen stehen und bestaunte ungläubig und fasziniert die wundersame Welt, die sich vor ihren Augen aufgetan hatte.