Der erste Jetpilot - Lutz Warsitz - E-Book

Der erste Jetpilot E-Book

Lutz Warsitz

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Beschreibung

Testpilot zu sein, ist auch heute noch ein gefährlicher Beruf. In den dreißiger Jahren aber war er ein absolutes Glückspiel mit dem Sensenmann. Allzu oft gewann er leider auch. "Wir hocken auf des Teufels Schippe" pflegten wir damals zu sagen, und Erich Warsitz tat es gleich im Übermaß. Er erprobte als erster drei neue Triebwerke mit drei verschiedenen Flugzeugen. Dass er dieses Abenteuer überlebte, kann man ruhig als schieres Wunder bezeichnen. Am 20. Juni 1939 startete er zum ersten Flug mit der He 176 und nur sechs Wochen später, am 27. August 1939 hob er das zwar weniger gefährliche, aber eben auch noch nie geflogene Flugzeug He 178 mit Strahlturbine zum Erststart vom Boden. Beide Flüge bedeuteten den Beginn der Raumfahrt und unserer heutigen Düsenflugzeuge. Der Tod dieses Mannes sollte daran erinnern, dass Testpiloten ebenso zum Fortschritt in der Luftfahrt beitragen, wie Wissenschaftler und Techniker. Erich Warsitz gehörte zu den großen Pionieren der Fliegerei. Nachruf von Mano Ziegler (Messerschmitt Me 262 & Me 163 Pilot), – Oktober 1983

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Seitenzahl: 250

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Gewidmet meinen Eltern Doris & Erich Warsitz

Jesaja 40, 31

»Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.«

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort von Lutz Warsitz

Wernher von Braun Verkehrshaus der Schweiz – 30. August 1971

Hans Pabst von Ohain in einem Brief an Doris Warsitz – 14. April 1988

ERICH WARSITZ ERZÄHLT

Das Raketenfieber

Das Himmelfahrtskommando

Lufterprobungen in Neuhardenberg

Peenemünde

HEINKEL HE 176

– Das Projekt

– Bau & Entwicklung

– Luftsprünge

– Der erste Flug

– Die Vorführung vor Hitler

– Die Reichskanzlei

HEINKEL HE 178

– Geheimste Entwicklung

– Der erste Jet-Flug der Welt

– Die Vorführung

Stopp der Weiterentwicklung

Frankreich 1941 – Truppenlehrung

Heinkel He 280 oder Messerschmitt Me 262?

Die Kapitulation & Sibirien

Nachkriegszeit & Wiedersehen

Die Schweiz

1982 … ERICH WARSITZ

Nachwort

Danksagung

Literatur, Presse & Links

VORWORT

LUTZ WARSITZ

Jedes Mal, wenn ich mit meinem Hund »Luna« bei dem kleinen Flugplatz Lugano-Agno im Tessin/Schweiz spazieren gehe, erfasst mich eine große Bewunderung und Faszination bei den Starts und Landungen von Flugzeugen jeder Art, besonders wenn sie das typische heulende Geräusch einer Turbine begleitet. Oftmals schaue ich mich dann um und bemerke, dass die meisten Passanten, ob jung oder alt, ob weiblich oder männlich, ob verliebt oder besorgt, auch ihre Zeigefinger oder Köpfe in Richtung Himmel heben.

Natürlich ist es heute eine Selbstverständlichkeit, Düsenflugzeuge, in die fast jeder schon einmal eingestiegen ist, am Horizont zu sehen, und dennoch besitzen sie nach wie vor jene magische Kraft, die uns dazu veranlasst, ihnen mit unseren Blicken in die Weite zu folgen.

Über achtzig Jahre sind vergangen, als das Jet-Zeitalter seinen Anfang nahm. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begann die wichtige Pionierzeit der Entwicklung der Raketen- und Strahltriebwerke, in der mein Vater eine besondere Rolle spielte.

Als Sohn eines berühmten Fliegers habe wahrscheinlich auch ich etwas von seiner Fliegerseele abbekommen. Schon seit meiner Kindheit fühle ich mich von seiner fliegerischen Tätigkeit angezogen. Als ich etwa zehn Jahre alt war, bastelten wir zusammen Modellflugzeuge, die wir dann fliegen ließen – nicht immer erfolgreich, aber stets mit großem Spaß.

Leider bin ich mit meinem Vater als Piloten nie geflogen. Er hingegen begleitete mich bei meinem ersten Flug, und zwar als Passagier auf einem eher unspektakulären Linienflug zwischen Zürich und München. Im Gegensatz dazu war ich nach meinem ersten Flug mit einer heutigen Sportmaschine, den ich vor einigen Jahren unternahm, froh, heil wieder gelandet zu sein. Meine Hochachtung vor der fliegerischen Leistung meines Vaters stieg um einiges, zumal es sich damals um reine Versuchsflugzeuge mit neuen, noch nie erprobten Antriebsaggregaten gehandelt hatte, die besonders bei der He 176 eine sehr gefährliche und wilde Sache waren.

Anfang der Achtzigerjahre plante ich für meine Maturaprüfung über meinen Vater und sein außerordentliches Leben zu schreiben. Er war sehr stolz darauf und erlaubte mir, ihn über ein Jahr lang zu interviewen. Es begann eine schöne und spannende Forschungsarbeit mit ihm, in der er mit den damaligen noch lebenden Beteiligten oder deren verbliebenen Familien Kontakt aufnahm, um nach wichtigem verwendbarem Material zu forschen.

Eines Tages sagte er zu mir: »Vielleicht schreibst du ja eines Tages mal ein Buch über mich.«

In der Vergangenheit ist zwar schon eine Menge über den Beginn des Raketen- und Jet-Zeitalters geschrieben worden, aber leider, so berichtete mir mein Vater, wurde dabei auch viel »Mist verzapft«. Vieles entsprach nicht der Wahrheit und wichtige Fakten wurden übersehen. Die vielen unwürdigen Fehler und Auslassungen, die die Luftfahrtgeschichte anbelangen, sind zum Teil eine Folge des am 1. September 1939 unmittelbar erfolgenden Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs.

Aus diesen Tatsachen ergab sich mein Vorhaben, ein Buch über meinen Vater zu verfassen, um erstmals in dieser Form seine fliegerische Leistung zu würdigen und – nicht zuletzt – die historischen Fakten richtig zu stellen. Mein Buch erlaubt ihm als wichtigem Zeitzeugen, diese Pionierzeit aus eigener Erfahrung und von seinem Standpunkt aus zu schildern: von der technischen Seite her als Ingenieur und von der fliegerischen Seite her als erster und alleiniger Einflieger dieser revolutionären »Kisten«. Besonders wertvoll sind die Beiträge von Walter Künzel, der meinen Vater bei seiner Erzählung unterstützte. Unter seiner Verantwortung wurden seinerzeit nicht nur die He 176 und die He 178 gebaut, sondern ihm unterstand auch die gesamte Erprobung auf dem Boden und in der Luft. Gemeinsam mit meinem Vater erlebte er seinerzeit von Anfang bis Ende alles hautnah mit.

Neu und wertvoll, in dieser zweiten Auflage meines Buches, sind Beiträge von Hans Pabst von Ohain, Karl Schwärzler und natürlich Ernst Heinkel, sowie einige lustige Anekdoten. Des Weiteren wurden sehr viele neue Bilder eingefügt, wovon mehrere noch nie veröffentlicht wurden, wie zum Beispiel vom Flugprüfungsbuch meines Vaters. Weiterhin habe ich über seine letzten Jahre berichtet, und zwar über seine Tätigkeit in der Schweiz und seine Krankheit.

Weil ich in diesem Buch tunlichst die originale Fliegersprache meines Vaters bewahren wollte, habe ich so weit wie möglich alles so belassen, wie es aus dem Interview mit ihm resultierte. Darüber hinaus vermochte er es außerordentlich gut, in interessanter, spannender und abenteuerlicher Weise zu erzählen, wovon Sie sich im Folgenden überzeugen können.

Bevor ich allerdings das Wort meinem Vater übergebe, möchte ich noch etwas zu den in diesem Buch veröffentlichten Fotos sagen, in denen Hitler, die damalige Generalität und Symbole des Dritten Reiches abgebildet sind. Diese Fotos dienen der staatsbürgerlichen Aufklärung und Veranschaulichung geschichtlicher, wissenschaftlicher und militärhistorischer Ereignisse und sind nicht als Sympathieträger irgendwelcher neonazistischen Aktivitäten oder rechtsradikaler Gruppen anzusehen. So wurden zum Beispiel Hakenkreuze auf den historischen Fotos belassen und nicht manipuliert. Einige Fotos, die zum Teil aus seltenen Archivfilmen herauskopiert worden sind, entsprechen angesichts ihrer mangelnden Bildqualität nicht den heutigen Ansprüchen. Trotzdem wollte ich die Bilder verwenden, weil sie als unersetzliche Zeugen dieser wichtigen Pionierzeit der Erzählung meines Vaters dienen.

Erich Warsitz hat als Flieger unter Einsatz seines Lebens – und als Mitarbeiter hervorragender Spezialisten, wie Wernher von Braun, Ernst Heinkel, Hans Pabst von Ohain oder Hellmuth Walter – neue, die gesamte Flugtechnik umwälzende Antriebsaggregate erprobt und die Voraussetzungen mitgeschaffen, die es der heutigen Flugtechnik erlauben, Zeit und Raum zu überbrücken.

WERNHER VON BRAUN

VERKEHRSHAUS DER SCHWEIZ – 30. AUGUST 1971

… Ich möchte am Ende noch einen weiteren Freund erwähnen, der sich hier im Raum befindet – Erich Warsitz. Erich ist 1939 das erste Raketenflugzeug der Welt geflogen. Wir bauten zuerst einen Raketenmotor in eine Heinkel 112 ein, und auf dem Flugplatz Neuhardenberg, hundert Kilometer östlich von Berlin, ist Erich Warsitz mit diesem Ding zum ersten Mal gestartet. Das sollte aber nur der Anfang sein. Derselbe Raketenantrieb und ein weiterer, von der Firma Walter in Kiel entwickelt, wurden später in ein kleines Flugzeug eingebaut, nämlich die Heinkel 176, die im Gegensatz zur 112 keinen Propellermotor mehr vorne besaß, sondern ausschließlich mit Raketenantrieb flog. Dieses Flugzeug war selbst nach heutigem Begriff eine absolut wilde Sache, so wild, dass selbst der berühmte Flieger Ernst Udet, damals General in der deutschen Luftwaffe, nach einem Flug von Erich Warsitz, den er gesehen hatte, ihm prompt verbot, das Ding noch einmal zu fliegen: Das sei kein Flugzeug, »so ’n Ding, das keine Flügel hat«, das könne man nicht fliegen. Es dauerte einige Zeit, bis Erich ihn endlich überredet hatte, doch noch weitere Flüge zu unternehmen. Hier liegt ein Anfang für die Weltraumfahrt, der ebenfalls eine ganz wichtige Rolle gespielt hat im Aufbau der Elemente, der Technik und auch des fliegerischen Anteils an der Entwicklung der bemannten Raumfahrt …

HANS PABST VON OHAIN

BRIEF AN DORIS WARSITZ – 14. APRIL 1988

Ich erinnere mich gut an mein erstes Treffen mit Erich Warsitz in Peenemünde, etwa in den ersten Sommertagen 1939. Heinkel hatte mich eingeladen, beim zweiten Flug der He 176 anwesend zu sein. Es war für mich ein großes Erlebnis, den Wagemut von Warsitz, sein hervorragendes Können und seine eindrucksvolle Flugvorführung zu beobachten. Am Abend hatte ich dann bei einer großen Feierlichkeit Gelegenheit, kurz mit Warsitz über die bevorstehende Flugerprobung der He 178 zu sprechen.

Wir sahen uns in der Folge einige Male in Marienehe, wo er sich mit dem Triebwerk He S3 B und seinem Betriebsverhalten am Prüfstand vertraut machte und sich überzeugte, dass wir tatsächlich sehr nahe den gewünschten Schub von etwa fünfhundert Kilogramm im eingebauten Zustand erreicht hatten. Schließlich machte er am frühen Morgen des 27. August 1939 den ersten Flug.

Dies war der erste Flug eines Strahl-Flugzeugs in der Welt.

Wiederum hatte Warsitz durch sein enormes fliegerisches Können und seinen mutigen Willen ein völlig neues Flugprinzip zum ersten Mal in der Welt zum Fliegen gebracht.

Ein weiteres Mal konnte ich sein großes Können erleben, als er am 1. November 1939 die He 178 vor Heinkels Gästen, Udet, Milch und Reidenbach, vorflog. Diese Vorführung war höchst eindrucksvoll. Auch wenn Milch seine Gefühle nicht zeigte, so glaube ich fest, dass durch die Vorführung der He 178 von Warsitz bald darauf der Auftrag für die Entwicklung der He 280 an Heinkel erteilt wurde.

In späteren Jahren habe ich oft an Erich Warsitz zurückdenken müssen. Ich bewundere ihn noch heute und bin der festen Überzeugung, dass er durch seine mutige Opferbereitschaft und sein fliegerisch-technisches Können wesentlich zur schnellen Entwicklung der Turbinen-Strahl-Triebwerke und Raketen für bemannte Flugzeuge beigetragen hat. Sein Bild im »National Air and Space Museum«, Washington D. C., in der ersten Heinkel He 178 fliegend, wird für immer davon Zeugnis ablegen.

Ich war mit ihm nur etwas über vier Monate zusammen, von Ende Juni 1939 bis 1. November 1939. Aber so kurz auch diese Zeitspanne war, sie hat einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen!

FLUGKAPITÄN ERICH WARSITZ

ERZÄHLT …

Die Sonne hatte soeben den Horizont verlassen und mit der Dämmerung entfalteten sich jetzt die schönsten Farben am Himmel. Ich zündete mir eine weitere Zigarette an, setzte mich auf den Fensterbalken, schaute in die Weite und genoss einen Augenblick einen leichten, warmen und südlich aufkommenden Wind. Aber meine innere Unruhe lauerte und riss mich schlussendlich mit einer Unmenge von Gedanken aus dieser wunderschönen Sommernacht. Es war der 19. Juni 1939.

Nachdem ich mir eine weitere Zigarette angesteckt hatte, grübelte ich über die bisherigen, nur teilweise gelungenen Versuche nach, die ich mit dem Vogel gemacht hatte. Weil ich es nicht mehr abwarten konnte und darauf brannte, mit der »Kleinen« in die Luft zu gehen, fasste ich endlich meinen Entschluss: »Morgen wird geflogen!«

An den bevorstehenden Tag und an meine Liebsten denkend setzte ich mich an meinen Schreibtisch. Ich zündete mir abermals eine Zigarette an und begann eine gedankenvolle Reise in die Vergangenheit – bis zu jenem Tag, als alles begann …

… Am 18. Oktober 1906 wurde ich in Hattingen an der Ruhr geboren. Ein Jahr später siedelte mein Vater, Oberingenieur Robert Warsitz, zunächst allein nach Russland, um ein Hochofenwerk aufzubauen, ehe er 1908 die Familie nachkommen ließ. Wir bewohnten ein großes Haus mit schönem Garten. Mutz, meine Mutter, die kein Russisch sprach, hatte bald durch meinen älteren Bruder Kurt, der damals fünf war, einen guten Dolmetscher. Nach Beendigung von Vaters Aufgabe kehrten wir nach Hattingen zurück, und gegen 1911 begann er mit dem Hausbau an der Grünstraße 36, wo wir – ab 1913 kam meine Schwester Bruni dazu – einen idealen Tummelplatz fanden.

ERICH IN DER ZWEITEN REIHE VON OBEN, GANZ RECHTS

In der Volksschule machten sich meine ersten Veranlagungen Flugzeugen gegenüber bemerkbar, und dies nicht zur Freude meines Vaters. Er wurde des Öfteren zum Schuldirektor gerufen, weil ich dem Unterricht keine Aufmerksamkeit schenkte, sondern es vorzog, Papierflugzeuge zu basteln, sie fliegen zu lassen und dabei zu träumen. Einmal landete eines auf dem Schreibtisch des Lehrers, der mich daraufhin ernstlich verwarnte. Eines Tages, während des Unterrichts, schaute ich aus dem Klassenfenster und sah ein Flugzeug ganz niedrig fliegen, das nicht weit von der Schule entfernt auf einem Feld zur Landung ansetzte. Fasziniert schaute ich zu, bevor mir der Geduldsfaden endgültig riss. Auf Lehrer und Konsequenzen pfeifend rannte ich aus dem Klassenzimmer, sprang auf mein Fahrrad und raste zu dem Feld. Obwohl der Pilot nicht mehr da war, blieb ich, bis es dunkel wurde, und starrte das schöne Flugzeug an. Am nächsten Tag schwänzte ich die Schule und begab mich mit einer Tüte voller Brötchen wieder auf das Feld. Ich wollte auf alle Fälle die Rückkehr des Piloten und den Start nicht verpassen. Das Risiko, mit meinem Vater den Direktor aufsuchen zu müssen, ging ich ein. Am dritten Tag erschien der Pilot mit einem Treibstoffwagen, um das Flugzeug aufzutanken. Nachdem ich einen Moment im Cockpit sitzen durfte, grüßte er mich, startete und flog davon. Das Geräusch des Motors bedeutete die schönste Musik in meinen Ohren. Ich fing an zu weinen und ging ganz traurig nach Hause. Aber eines wusste ich jetzt: Ich wollte fliegen!

Die Jahre vergingen und meine größte Leidenschaft wurden Motoren jeglicher Art.

An Wochenenden fuhren meine Freunde und ich häufiger mit unseren Motorrädern zum Nürburgring, um uns dort Motorradrennen anzuschauen. Und eines Tages – wir kamen gerade zu viert oder fünft von einem solchen Wochenende zurück – geschah etwas, was mich endgültig der Fliegerwelt übergab. Als wir am Flugplatz von Hangelar vorbeikamen, beschlossen wir, einen Rundflug zu unternehmen. Ich sollte der Erste sein, und meine Freunde bestachen den Piloten, gegen Extrabelohnung, einen Looping mit mir zu fliegen. Und so geschah es! Der Funken sprang nun endgültig auf mich über, und von nun an wusste ich, wohin mein Leben gehörte.

Fortan fuhr ich jedes Wochenende mit dem Motorrad nach Hangelar, um Unterricht zu nehmen – heimlich natürlich! So begann, neben meiner praktischen Ausbildung und meinem technischen Studium, meine fliegerische Ausbildung als Sportflieger für den A2-Schein bei der Akademischen Fliegergruppe Bonn/Hangelar.

ERICH WARSITZ (RECHTS VON DEM FRÄULEIN) & FREUNDE

Mein Fluglehrer, der Mediziner Dr. Siegfried Ruff, sollte später ebenfalls eine wichtige Rolle in der Raketengeschichte spielen. Erst als ich zur ersten Prüfung unter anderem meine Geburtsurkunde brauchte, musste ich meinen Eltern alles gestehen. Sie zeigten sich entsetzt! Aber jetzt war es zu spät. Die Fliegerei hielt mich fest in ihren Händen, und das verstanden sie auch – sie mussten!

IN DER MITTE DR. SIEGFRIED RUFF EBENFALLS IM BILD, DIE GEBRÜDER HORTEN (HO 229)

Darauf folgten etappenweise die B1- und B2-Ausbildungen auf verschiedenen Flughäfen bei den damaligen Luftsportvereinen und eine weitere fliegerische Ausbildung bei der Deutschen Verkehrsfliegerschule Stettin (DVS), das heißt die C2-Ausbildung für Landflugzeuge und für die »gewerbsmäßige Personenbeförderung« sowie sämtliche Seeflugscheine. Zwischendurch machte ich den großen Kunstflugschein K 2 und absolvierte die Blindflug-Ausbildung sowie das Steuermannspatent für »kleine Fahrt«. Nachdem ich die DVS besucht und dort sämtliche Flugscheine gemacht hatte, betätigte ich mich zunächst einmal reichlich als Sportflugzeuglehrer, ehe ich später zur Reichsbahnstrecke (RB-Strecke: eine Tarnbezeichnung für die Langstreckenerfahrung, verborgen unter dem 100.000-Mann-Heer) als Fluglehrer, Gruppenfluglehrer und Ausbildungsleiter abkommandiert wurde. Bei diesen Schulungen machte ich viele Erfahrungen, doch vor allem begegnete ich wenig später Wernher von Braun und Dr. Heinkel, die mich schließlich mit der He 176 in die Raketengeschichte und mit der He 178 in das Düsenzeitalter einführten. Die wichtigsten fliegerischen Tätigkeiten meines Lebens begannen …

FLUGPRÜFUNGSBUCH – A2-SCHEIN

ANEKDOTEN VON FREIHERR VON WASSENBERG

DIE GEISTERSTUNDE

Erich Warsitz, Fliegerlehrgang B1 - Schule, Düsseldorf. Wenn ein Kamerad sich irgendwie unbeliebt machte, kam für ihn nachts “Der Heilige Geist“. Dieser in Form einer handfesten Abreibung, meist mit gelben und blauen Flecken als Folge. Zur Zeit lief nichts derartiges, man stellte fest, Erich war noch nie dran. Also wurde provoziert aber nur so zum Scherz!

Erich als Stubenkamerad erfuhr von mir davon: “Erich, heute Nacht hat man es auf dich abgesehen!“ Erich wurde sichtlich nervös und wir begannen die Stubentüre mit Möbel zu verrammeln. Es wurde Mitternacht, und trotz Blockade flog die Tür auf!

Erich leichenblass im fußlangen weißen Nachthemd flüchtete er durchs Fenster auf den Flugplatz, hell schien der Mond, es war Februar und 10° unter null.

Ein zitterndes Schreckgespenst irrte auf dem Rollfeld umher und wir hielten uns die Bäuche vor Lachen, weil uns der Spaß so gut gelungen war.

Erich wurde mit harten Getränken (damals noch üblich) wieder auf Temperatur gebracht, worauf er unseren Scherz gnädigst verzieh!

DER GROßE (G)KÖNNER

Im gleichen Fliegerlehrgang “B1“ in Düsseldorf, lud uns Erich beim üblichen “Samstags-Flanieren“ in pickfeiner Uniform auf der “Düsseldorfer Kö“ in ein sehr feines Lokal ein seine Gäste zu sein! Wir dachten an einen Witz, da Erich ansonsten doch als “kniepig“ (sehr sparsam) galt. Vorsicht war geboten, aber wie sich herausstellte unbegründet. Er zeigte uns bare RM 450.-, damals viel Geld für uns Jungens. “Hast wohl in der Lotterie gewonnen wie?“ Erich grinste nur. Mitte im “Gelage“ erzählte er uns lachend folgende Geschichte: Erich musste noch Überland-Kilometer für B1 fliegen und musste wegen Motorschaden notlanden. Geschickt wie er war, erwischte er in der Nähe von Münster eine große Wiese gleich nicht weit einem bekannten Wasserschloss. Die Herrschaft lud den “traurigen“ Flieger ein als Gast im Schloss zu wohnen und ihn zu versorgen.

Nach Telefonat mit Düsseldorf wurde ihm beschieden, dass man ihn vor Montag nicht abholen könne. Da Erich technisch sehr begabt, machte er selbst den Motor bald wieder flott und lud mit großer Grandezza die Herrschaft zum Rundflug ein, worauf auch die ganzen Dorfbewohner geflogen werden wollten. Erich konnte nicht nein sagen und so ging das den ganzen Samstag und Sonntag rauf und runter, natürlich gegen entsprechende Bezahlung.

Wir frugen ihn ungläubig woher er dann die Maschine immer wieder aufgetankt hätte? Mit vorgehaltener Hand: “aus einer in der Nähe befindlichen ARAL-Autotankstelle!“

Das Flugbuch verschwieg “verschämt“ die vielen Starts und Landungen. Ja damals, da waren solche Fliegerstreiche noch möglich!

DAS RAKETENFIEBER

Nach dem Ersten Weltkrieg, als in Deutschland das Raketenfieber ausbrach, arbeiteten Leute wie Oberth, Valier, von Opel und viele andere an diesen relativ neuen Antriebsaggregaten. Zum Beispiel machte der Pilot Fritz Stamer schon Ende der Zwanzigerjahre, genauer gesagt am 11. Juni 1928, auf der Wasserkuppe in der Rhön den ersten bemannten Gleitflug der Welt mit einem mit Pulverraketen angetriebenen, von Alexander Lippisch entworfenen und die »Ente« genannten Segelflugzeug. Ein Jahr später folgte der erste Flug von Espenlaub und im selben Jahr, am 30. September, startete Fritz von Opel das erste Mal in der Welt mit Raketenantrieb. Diese Flüge kann man eigentlich noch nicht als »ersten reinen Raketenflug der Welt« bezeichnen, da es sich damals wegen ihrer großen Spannweite um Segelflugzeuge handelte, die nicht durch eigene Kraft starteten, sondern im Fall der »Ente« mithilfe von gespannten Gummiseilen und bei von Opel kraft eines Raketenkatapults. Sie absolvierten auch keinen richtigen Flug – es handelte sich eigentlich um Luftsprünge –, aber es war ein Anfang!

FRITZ VON OPEL, AM 30. SEPTEMBER 1929

JUNI 1928, VON RECHTS ING. SANDER UND FRITZ VON OPEL

Aber auch davor hatte sich schon sehr viel auf diesem Gebiet getan. Experimente mit Raketenwagen und Raketenschlitten zum Beispiel, die den jungen Wernher von Braun, der sich schon seit seiner Kindheit für die Astronomie interessierte, in ihren Bann zogen. So wie mich damals Flugzeuge faszinierten, träumte Wernher von Raketen und dem zu erobernden Weltall. In die Idee seiner Rakete völlig vernarrt vertiefte er sich in die verschiedensten Schriften, wie jene des Raketenforschers Professor Hermann Oberth. 1930, als ziemlich junger Kerl, wurde von Braun Oberths Assistent. In dieser Zeit entwickelte Letzterer einen sehr primitiven Raketenmotor, der mit flüssigem Treibstoff funktionierte, und zwar mit flüssigem Sauerstoff und Benzin, und bewies damit, dass flüssige Treibstoffe viel geeigneter waren als pulvrige. Später machten sich von Braun und Oberths Assistententeam (Rudolf Nebel und Klaus Riedel) selbstständig, indem sie auf einem alten unbenutzten Schießplatz in der Nähe von Berlin experimentierten. Dieser Platz erhielt den Namen »Raketenflugplatz Berlin«.

RUDOLF NEBEL UND WERNHER VON BRAUN

Dieser kleine »Verein« hatte gehungert, von Feldern Kartoffeln geklaut, in einem erbärmlichen Holzschuppen seine Versuche gemacht, und das ohne einen Pfennig Geld – sie bekamen ja keinerlei Unterstützung vom Staat. Sie waren damals als Fantasten, Narren und dergleichen verschrien. Als sich zwischendurch die Reichspost Hannover einmal für Postraketen interessierte, erhielten sie einige tausend Mark und kamen ein bisschen weiter, bis schließlich nichts mehr ging. Kurz, es ging ihnen dreckig.

Aber nun stand das Dritte Reich vor der Tür und das Interesse wuchs. Schon im Jahre 1929 hatte das Heereswaffenamt Berlin Raketen für militärische Zwecke nutzen wollen.

1931 übernahm der Versuchsplatz des Heeres-Waffenamtes in Kummersdorf die Entwicklung von Flüssigkeitsraketen. Hauptmann Dornberger, der auf dem dortigen Schießplatz seine Artilleriegeschossversuche unternahm, interessierte sich sehr dafür. Er machte damals Versuche mit normalen Artilleriegeschossen, die noch am hinteren Teil mit einem Pulver-Treibsatz versehen waren. Nachdem diese abgeschossen worden waren, schaltete sich nach einer gewissen Zeit automatisch der Treibsatz einer Pulverrakete ein, wodurch ganz andere Reichweiten erzielt wurden.

Seit 1932 arbeitete von Braun in Kummersdorf mit und entwickelte eine flüssigkeitsbetriebene Rakete, deren Treibstoffe hochprozentiger Spiritus und flüssiger Sauerstoff waren, womit er die ersten Versuche startete. Schon im Jahre 1934 konnte er seine zweite Rakete, die A2, von der Nordseeinsel Borkum aus starten. Mit Erfolg!

Nach Abschluss dieser ganzen Versuche interessierte von Braun nun auch, wie sich sein Triebwerk in der Luft mit einem Flugzeug verhalten würde, und dazu benötigte er natürlich ein Flugzeug und die entsprechende Unterstützung. Keine leichte Aufgabe zur damaligen Zeit. Anfangs waren die finanziellen Mittel äußerst beschränkt, und offiziell wollten die höchsten Dienststellen im OKH (Oberkommando des Heeres) und im RLM (Reichsluftfahrtministerium) von solchen Fantastereien, wie sie es nannten, nichts wissen. Ein Teil der maßgebenden Leute, Techniker und auch Koryphäen auf dem Gebiet behaupteten, dass sich ein vom Rumpfende aus getriebenes Flugzeug in der Luft nicht mehr ordnungsmäßig verhalten und sich überschlagen würde.

1933 BESICHTIGT HITLER KUMMERSDORF VON BRAUN LINKS VON DEM EINZIGEN SOLDATEN MIT HELM

Nur die wenigsten waren vom Gegenteil überzeugt. Einer von ihnen, Major Werner Junck vom RLM, gab von Braun den guten Ratschlag, sich an einen der größten Flugzeugkonstrukteure jener Zeit zu wenden, bei dem er selbst zuvor als Chefpilot und Einflieger tätig gewesen war: Dr. Ernst Heinkel!

DR. ERNST HEINKEL

Im Herbst 1935 setzte sich von Braun mit Heinkel persönlich in Verbindung und erzählte ihm von dem Raketenantrieb, den bisherigen Versuchen und seinem Vorhaben, dieses jetzt mit einem Flugzeug in der Luft zu erproben – am besten, wie nach Empfehlung von Major Junck, mit einer He 112. Er fügte noch hinzu, dass anfangs nur ein Rumpf für Standversuche genügen werde und alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit erfolgen müsse. Heinkel hörte von Braun aufmerksam zu, denn er interessierte sich zu jener Zeit ungeheuer für solche Neuerungen, also Rückstoß-Antriebe – das heißt die Rakete und die Düse –, weil ein Zeitpunkt erreicht war, an dem die Geschwindigkeiten der herkömmlichen Flugzeuge mit Ottomotor und Luftschraube vorne kaum noch gesteigert werden konnten.

Karl Schwärzler (Chefkonstrukteur bei Heinkel): »Das Prinzip des Düsenmotors war eigentlich schon erdacht, als die Fliegerei ihren Anfang nahm und die ersten Flugzeuge ihre Grashüpfer machten. Die Geschwindigkeit der Flugzeuge war aber noch viel zu klein, um dieses Prinzip verwirklichen zu können. Auch hätte es an geeigneten Werkstoffen gefehlt, die den hohen Temperaturen standhielten. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Flugzeuge stieg auch ihre Geschwindigkeit rasch an. Es dominierte der Kolbenmotor mit Luftschraube. Das letzte schnelle Jagdflugzeug mit Kolbentriebwerk, das Heinkel baute, war die He 100, mit der Ernst Udet am 5. Juni 1938 einen neuen Weltrekord für Landflugzeuge mit 634,7 km/h aufstellte. Mit einer He 100 V8 erhöhte Hans Dieterle am 30. März 1939 den absoluten Geschwindigkeits-Weltrekord auf 746,6 km/h und brachte damit diesen Rekord zum ersten Male an Deutschland. Die Geschwindigkeit dieses Flugzeuges war schon so hoch, dass wir uns Gedanken machen mussten, wie eine weitere Steigerung möglich wäre, denn mit Kolbentriebwerken und Luftschrauben war kaum noch viel mehr zu erreichen, vielleicht 800 km/h. Wir mussten nach anderen Antriebsmitteln suchen.«

5. JUNI 1938 – IN DER MITTE UDET UND HEINKEL SCHWÄRZLER UND GÜNTER LINKS VON UDET HERTEL ZWEITER VON RECHTS

HANS DIETERLE AM 30. MÄRZ 1939

In den neuen Entwicklungen sahen die Fachleute eine Möglichkeit, in höhere Geschwindigkeiten vorzustoßen, von denen man damals nur träumen konnte. Obwohl man bis dahin alles Mögliche versucht hatte, frisierte Motoren und Änderungen an den Flugzeugen und Luftschrauben, schien die Spitze erreicht zu sein, schneller ging es nun einmal nicht mehr! Dazu kam, dass Heinkel ohnehin geschwindigkeits- und rekordbesessen war! Wenn er etwas von Geschwindigkeitserhöhung vernahm – und obendrein noch vielleicht »Heinkel Weltrekord« –, tat er alles dafür. Aus diesem Grund war er im Jahre 1936 sofort von von Brauns Raketenantrieb und von Dr. von Ohains Strahlantrieb begeistert und versprach, sie in jeder Beziehung zu unterstützen. Heinkel kamen auf dem Gebiet dieser Entwicklung enorme Verdienste zu. Während alles noch schlief, handelte Heinkel – der Kleine! … Das musste man schon sagen!

Nachdem Heinkel seine Unterstützung ohne Zögern zugesagt hatte, stellte er von Braun zunächst für die Standversuche seinen Ingenieur Walter Künzel zur Verfügung, einen tüchtigen Zellen-Fachmann, sehr jung, wendig und von einer ungeheuren Willenskraft und Initiative. Ich lernte Walter Künzel wenig später kennen.

An die damalige Zeit erinnert er sich denn auch folgendermaßen:

»Die damaligen Heinkel-Werke Rostock-Marienehe haben den Gedanken, Flüssigkeitsraketentriebwerke in die Flugtechnik einzuführen, schon sehr frühzeitig ernstlich aufgegriffen. Bereits im Jahre 1934 wurden die Anwendungsmöglichkeiten eines Raketenzusatzschubes bei Jagdflugzeugen besprochen. In aller Stille musste ich damals einige Einbauuntersuchungen nach sehr optimistischen Werten durchführen und Ende 1935 wurde ich nach einer besonderen Geheimhaltungsverpflichtung im RLM in Kummersdorf bei Herrn Dr. Wernher von Braun eingeführt.

Die nüchterne Aufgabenstellung lautete wie folgt:

Ein Flüssigkeitsraketentriebwerk von 1.000 kp Schub, das bisher für unbemannte ballistische Geschosse vorgesehen war, in einer engen Zusammenarbeit zwischen Raketen- und Flugtechnikern zu einem für den bemannten Flugbetrieb zulässigen Triebwerk umzukonstruieren und zu erproben.

Ein Flugzeug – gewählt wurde die He 112 – so umzubauen, dass der Einbau dieses Triebwerks möglich ist. Aufgrund des höheren Gewichts und der zu erwartenden höheren Geschwindigkeiten waren solche Maßnahmen zu treffen, die ein sicheres Fliegen mit diesem Triebwerk gewährleisteten.

So nüchtern die Aufgabenstellung für das Triebwerk auch klingt, so schwierig war sie damals zu lösen:

Umstellung vom vertikalen auf den weit schwierigeren horizontalen Betrieb.

Für den sicheren bemannten Flug musste eine Regelbarkeit des Triebwerks zwischen etwa vierzig und hundert Prozent Schub gefordert werden. Das bedeutete eine Neuentwicklung entsprechender Regelorgane und des dazu geeigneten Einspritzsystems.

Es war der Nachweis zu erbringen, dass bei Beschleunigungen keine thermische Überanspruchung der Brennkammerwand eintritt, was sonst zu einer Katastrophe geführt hätte.

Bei der Zelle waren die aus dem höheren Abfluggewicht und der zu erwartenden Geschwindigkeit von etwa 700 km/h resultierenden dynamischen und statischen Probleme zu übersehen und konnten für diesen Bereich nachgewiesen werden. Der Umbau der Zelle bereitete somit keine allzu großen Schwierigkeiten, dagegen aber die Durchführung der Flugversuche. Der praktische Nachweis gegen einen immer wieder auftretenden Einwand von Halbfachleuten, der Strahl der Verbrennungsgase habe eine so starke stabilisierende Wirkung, dass die volle Steuerbarkeit des Flugzeugs mit aerodynamischen Rudern nicht mehr gewährleistet sei, bereitete uns Sorgen. Aber dieser Nachweis – wenn auch für heutige Verhältnisse vielleicht primitiv – wurde ebenfalls gebracht. Die Grundlage für einen exakten rechnerischen Nachweis war damals noch nicht gegeben.

Unsere damaligen ersten Aussprachen ergaben, dass eine erfolgreiche Lösung der uns gestellten Aufgabe nur in engster Zusammenarbeit zwischen Raketen- und Flugtechnikern zu lösen war. Der Schritt von einem Triebwerk, das für unbemannte ›Versuchsraketen‹ gerade zufriedenstellend arbeitete, zu einem Triebwerk für bemannte Flugzeuge war so groß, dass man den Punkt, wo der Fuß nach dem Schritt aufsetzen sollte, noch nicht sehen konnte. Ich erinnere mich noch sehr genau der ersten Aussprache nach unserer Rückkehr von der Versuchsstelle in Kummersdorf bei Herrn Prof. Hertel (Technischer Direktor der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Heinkel), an welcher auch Herr Schwärzler teilnahm, dass es auch eine Bauaufsicht geben und auch bei diesem speziellen Triebwerk die wichtigsten Sicherheitsvorschriften wenigstens annähernd zur Anwendung kommen müssten. Was diese nüchterne und selbstverständliche Forderung von Herrn Schwärzler bedeutete, kann sich nur der vorstellen, der den damaligen Stand der Raketentechnik wirklich kannte.

Um die erforderliche enge Zusammenarbeit zu sichern, wurde beschlossen, dass die Konstrukteure und Mechaniker, die den Umbau des Flugzeugs durchführen sollten, nach Kummersdorf übersiedelten, was Anfang 1936 geschah, und über ein Jahr haben wir dort zusammen mit Dr. Wernher von Braun und seinem Kollektiv gearbeitet.

Bei den Versuchen mit dem Triebwerk auf dem Prüfstand brannte jedoch immer wieder der untere Teil der Brennkammer (BK) durch. Messungen an verschiedenen Brennkammern ergaben, dass der untere Teil des BK-Mantels höhere Temperaturen aufwies als der obere. Wir zogen daraus den Schluss, dass sich durch die zu geringe Einspritzgeschwindigkeit – die wir aus gewichtigen und anderen konstruktiven Gründen aber nicht mehr erhöhen konnten – aufgrund der Schwere auf der unteren Seite der BK eine Brennstoffkonzentration bildete, die dann zu einer thermischen Überbeanspruchung der Wand führte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Beschleunigungen senkrecht zur Brennkammerachse ein Durchbrennen verstärkt auftreten würde, war nach diesem Sachverhalt gegeben. In einer Beratung mit Herrn Prof. Hertel wurde dann festgelegt, eine Zentrifuge zu bauen, auf der das eben erwähnte Problem untersucht werden sollte. Diese Zentrifuge ist als das erste von Raketen getriebene Karussell in die Geschichte eingegangen. Da wir nicht den Originalrumpf auf die Zentrifuge setzten konnten, wurde für diesen Zweck ein weiterer Rumpf vorgerichtet, in dem die komplette Triebwerksanlage eingebaut wurde. Dieser Rumpf mit der Triebwerksanlage wurde dann auf die Zentrifuge gesetzt. Wir führten nun eine größere Anzahl von Beschleunigungsversuchen durch, und mit einem verbesserten Einspritzsystem konnte der Nachweis erbracht werden, dass die BK auch im Zustand von Querbeschleunigungen nicht mehr durchbrannte.«