Der Fengshui-Detektiv im Auftrag Ihrer Majestät - Nury Vittachi - E-Book

Der Fengshui-Detektiv im Auftrag Ihrer Majestät E-Book

Nury Vittachi

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Beschreibung

In der Kasse gähnende Leere, im Meditationsraum Klopapier bis unter die Decke … Da kommt dem Fengshui-Detektiv ein lukrativer Auftrag wie gerufen: Die Briten wollen das größte und teuerste Flugzeug aller Zeiten an China verkaufen, und C. F. Wong soll im Superjet für gutes Fengshui sorgen. Als an Bord der Maschine ein Mord geschieht, sieht der Fengshui-Detektiv sein Honorar explodieren – bei all der freigesetzten negativen Energie. Zudem wird er von Queen Elizabeth höchstpersönlich nach London eingeladen, um im Buckingham-Palast unsichtbare Unheilquellen aufzuspüren. Nichts leichter als das. Doch bis zum Shakehands mit der Königin muss C. F. Wong noch einige Probleme lösen.

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Über dieses Buch

Dem Fengshui-Detektiv kommt ein lukrativer Auftrag wie gerufen: C. F. Wong soll im teuersten Flugzeug aller Zeiten für gutes Fengshui sorgen. Zudem wird er von Queen Elizabeth persönlich nach London eingeladen, um im Buckingham-Palast Heilquellen aufzuspüren. Doch es kommt alles anders.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Nury Vittachi (*1958) gilt - laut BBC – als »Hongkongs witzigster Kommentator«. Er lebt seit 1986 in Hongkong, wo er sich als Kolumnist, Buchautor und Herausgeber einer Literaturzeitschrift Kultstatus verschafft hat. Er arbeitet als Dozent an der Hong Kong Polytechnic University.

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Ursula Ballin, geboren 1939 in Hamburg, wuchs in England und Finnland auf. Viele Jahre verbrachte sie in China und Taiwan, zuletzt als Professorin für Geschichte in Taipeh. Sie arbeitet als freie Übersetzerin.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nury Vittachi

Der Fengshui-Detektiv im Auftrag Ihrer Majestät

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Ursula Ballin

Der Fengshui-Detektiv (5)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel Mr Wong Goes West bei Allen and Unwin, Australien.

Originaltitel: Mr Wong Goes West (2008)

© by Nury Vittachi 2008

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Cihan Demirok / Sunheyy / Ling Cui (Montage)

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30600-4

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 23.11.2022, 15:04h

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Inhaltsverzeichnis

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DER FENGSHUI-DETEKTIV IM AUFTRAG IHRER MAJESTÄT

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Über Nury Vittachi

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Dienstag

Zur Zeit des Gelben Kaisers lebte ein Minister für Recht und Gesetz. Er glaubte, auf dieser Welt sei nichts vollkommen, bis er eine Tochter bekam. Sie war schön, klug und zärtlich. Kein einziges Haar auf ihrem Kopf hätte er ändern mögen.

»Für meine vollkommene Tochter suche ich einen vollkommenen Gemahl«, gab er dem Volk bekannt. Deshalb verkündete er ein Edikt: Nur ein Mann, welcher einen vollkommenen Kreis zeichnen könne, dürfe seine Tochter heiraten.

Viele Männer versuchten ihr Glück. Doch sie alle scheiterten. Zuletzt war nur einer übrig, der noch keinen Versuch gewagt hatte. Er saß im Kerker zur Strafe dafür, dass er den vielen Gesetzen des Landes nicht den gebührenden Respekt erwiesen hatte. Der Gefangene sagte: »Wenn Ihr mich hinauslasst, werde ich sechs vollkommene Kreise ziehen.«

Da seine einsame Tochter sich nach einem Ehemann sehnte, ließ der Minister ihn hinaus. »Führt mich zum Steilufer am See der Abgrundtiefen Stille in West-Tianting«, sagte er. Der Gefangene, der Minister und dessen Tochter begaben sich an jenen Ort.

Der Mann sprang von der Klippe in den See der Abgrundtiefen Stille und verschwand. Dort aber, wo er ins Wasser getaucht war, sahen sie sechs vollkommene Kreise nach außen treiben.

Grashalm: Wir meinen, Gesetze würden von Menschen gemacht. Wer aber schuf die Naturgesetze?

(Gesammelte Sprüche östlicher Weisheit, von C. F. Wong)

Tanzende Flecken zweifach gespiegelten Sonnenlichts; eine leichte Brise, die das Schläfenhaar fächelte; blauer Himmel und blaueres Wasser: Es gab keinen idyllischeren Winkel auf Gottes Erdenrund als den Hafen. Bis eine Schiffssirene plötzlich so durchdringend gellte, dass eine erschreckte Schar Möwen ihren Kot auf einen offenen Touristendampfer fallen ließ. Die eigentümliche Akustik der Kaianlagen trug herzhafte amerikanische Flüche über das ganze Hafenbecken.

»Arrr!«, kreischte eine Möwe.

»Verdammter Mist!«, kreischte eine Touristin.

Ungerührt beobachtete der Fengshui-Meister das Geschehen. Die kurze Störung würde vorübergehen wie alles Zeitliche. Das belebende Zusammenspiel der Elemente dagegen, aus denen diese energiegeladene Umgebung bestand, würde bleiben. Perfektion von derart massiven Ausmaßen ließ sich nicht so leicht verderben.

Je älter er wurde, desto klarer erkannte C. F. Wong, dass selbst komplexe Gedankengebäude auf einfachen Wahrheiten errichtet waren. Seine gesamte Kunst und Wissenschaft der Umweltoptimierung lief letztlich auf ein einziges Wort hinaus: Gleichgewicht!

Das im Grunde simple Konzept ließ sich aber keineswegs leicht verwirklichen. Aus Erfahrung wusste er, dass sich an den energiereichsten Orten extreme Gegensätze in angespannter Beziehung zueinander befanden. Ein Seiltänzer brauchte nur eine Stange zu halten, die lang und schwer genug war, um fest und sicher dazustehen, unerschütterlich, ohne zu schwanken.

Wong atmete langsam und tief ein. Um sein eigenes Gleichgewicht zu finden, schloss er die Augen, ließ die Schultern fallen, hielt die Luft an, zählte gemächlich bis sechs und atmete dann behutsam aus.

Danach öffnete er die Augen und sah sich zufrieden in dem kleinen Königreich um, das er geschaffen hatte. Mit einem letzten Blick über die unmittelbare Umgebung prüfte er, ob auch hier alles ebenso vollkommen war wie die Aussicht.

Die in Kürze angesetzte Besprechung war ihm überaus wichtig, weshalb er den optimalen Treffpunkt arrangiert hatte: eine luxuriöse schwimmende Terrasse, den Balkon einer Suite erster Klasse auf dem sechsten Deck des Kreuzfahrtschiffs Princess Starlight Charisma, das an diesem herrlich warmen, strahlenden Wintertag an einem Pier im Hafen von Singapur vor Anker lag.

Hängende Terrassen boten denkbar günstige Voraussetzungen für das erstrebte Gleichgewicht. Ein Balkon befand sich sowohl außen als auch innen. Man fühlte sich frei von einengenden Hüllen, als Teil der weiten Welt, Wind und Wetter ausgesetzt, mit den Elementen und dem pulsierenden Ökosystem spürbar in Kontakt, dennoch geschützt, im eigenen Bereich, wo kein Eindringling störte, wo man die Umgebung unter Kontrolle hatte, wo sich niemand unerlaubt nähern konnte. Es gab wirklich keinen besseren Ort: offen und doch privat.

Nachdem Wong sich für einen Balkon entschieden hatte, war er bei seinen Überlegungen wegen des Gleichgewichts zwischen Land und Wasser auf die Idee gekommen, das Treffen auf einem Schiff stattfinden zu lassen. Wasserfahrzeuge besaßen eine wunderbare Balance: Schwer, stark, stabil wie ein Gebäude, lagen sie zugleich leicht auf den Wellen. So ein Schiff konnte mühelos gleiten, fahren, beidrehen, tanzen. Es besaß eine Freiheit, an die kein Bauwerk an Land heranreichte.

Heute, zu diesem entscheidenden Anlass, gewann sogar das Wetter an Bedeutung. Freilich war es heiß, schließlich befand man sich in Singapur. Doch das Schiff lag in einem solchen Winkel zur offenen See, dass es von einer kühlen Brise gestreift wurde. Auf dem Balkon gab es natürlich keine Klimaanlage, man vermisste sie aber nicht, denn der Westwind blies so frisch herüber, dass die Stirn trocken blieb. Die salzige Seeluft weitete die Stirnhöhlen, dehnte die Lunge und weckte die Lebensgeister. Nicht zufällig lag diese Suite bei der üblichen Position der Princess an den Landungsbrücken gegen Süden: für einen Geschäftsabschluss die passende Richtung die für ihn, den im Jahr des Tigers Geborenen, gerade heute äußerst günstig stand. Quer über den Balkon lief von Süd nach Nord eine Energielinie.

Selbst die Lichtverhältnisse erwiesen sich als ausgewogen. In Singapur staute sich zwar die Hitze, in der dunstigen City war man nach wenigen Minuten unter der prallen Sonne schweißgebadet. Auch diese Suite lag in blendendem Sonnenlicht. Doch die Markise über dem Balkon sorgte zu dieser Tageszeit für angenehmen Schatten. Wong hatte die Sitzgelegenheiten ausprobiert, um sicherzugehen, dass sie sogar dann im Schatten standen, wenn sich das Treffen ein, zwei Stunden hinziehen würde – was er eigentlich nicht erwartete. Denn im Grunde brauchte er ja nichts weiter zu tun, als die Kundin zur Unterschrift des Vertrags aufzufordern und das Geld in Empfang zu nehmen – einen Scheck, den er unverzüglich in Cash verwandeln konnte: Bares zum Anfassen, zum Streicheln und Durchblättern, zum Wegschließen.

Hinzu kam die bloße Szenerie. Singapur war eine herrliche Stadt, und nirgends wirkte sie schöner als am Hafen. Vor der kubistischen Kulisse klar umrissener Wolkenkratzer, die sich in Pastelltönen im graublauen Wasser spiegelten, bot sich ein wahrhaft bezauberndes Bild. Wong hoffte, dass der Anblick eine Auswärtige zu folgenschweren Taten hinreißen würde – etwa zum Abschluss des Geschäfts und zur Übergabe des opulenten Schecks.

Ja, alles passte. Dass er sich diese Suite von einem reichen Kunden geborgt hatte, war ein Geniestreich gewesen. Jetzt, nachdem er sich vom Gleichgewicht der allgemeinen Umgebung überzeugt hatte, wurde er mit untergeordneten Dingen wie Mobiliar und Raumgestaltung relativ leicht fertig. Zum Glück ließ auf diesem Kreuzfahrer der Geschmack des Innendekorateurs nichts zu wünschen übrig: Auf dem Balkon standen Tisch und Sessel aus hochwertigem Naturrohr, das Farbschema war stilvoll gedämpft in blassgrünen und erdigen Nuancen. Wong brauchte fast nichts zu ändern und nur dafür zu sorgen, dass der Balkon nicht überladen war. Er entfernte etwas von der Dekoration und einige Pflanzen. Auch den Rettungsring warf er verstohlen über Bord: An einem so friedlichen Ort schien ihm der unterschwellige Hinweis auf Gefahr und Sterblichkeit durchaus entbehrlich.

Glücklich überblickte er das kleine geborgte Reich und seufzte gerade zufrieden, als er unter seinen Füßen ein leichtes, unmerkliches Knirschen spürte. Zehn Sekunden später ging ein längeres Knarren durchs ganze Schiff. Was war das? Ein Schwindelgefühl kroch in ihm hoch, sein Körpergewicht schien sich unfreiwillig zu verlagern.

Es konnte nur eins bedeuten: Das Schiff fuhr!

Wie war das möglich? Es sollte doch den ganzen Tag, nein, die nächsten beiden Tage an diesem Kai festliegen? Waren die andern überhaupt schon an Bord? Das durfte nicht wahr sein: Nein, nein, nein!

Panisch jagte er aus der Kajüte und sprang wie ein Hase durch einen engen Gang zur anderen Seite des Schiffs, die an der Kaimauer lag. Dort klammerte er sich an die Reling und beugte sich gefährlich weit vor, um nach der Vertäuung zu sehen. Eben machten Männer in babyblauen Matrosenanzügen dicke Taue los, und mittschiffs wurde die Gangway, ein schnörklig verzierter, überdeckter Landesteg, eingeholt und beiseitegeschoben. Wong hörte, wie die Schraube das Wasser aufwirbelte. Das Schiff begann sich bereits vom Kai zu entfernen. Wo blieben seine Kundin und sein Lieferant? Sie hätten schon vor ein paar Minuten eintreffen sollen. Oder hatten sie sich verspätet? Wieso aber, zur siebten Hölle, legte das verdammte Schiff ab? Wie lange musste man warten, bis es wieder anlegte? Was wurde aus seinem ungeheuer wichtigen Geschäft? Da durfte nichts schiefgehen!

Wong lief übers Deck, stolperte hastig eine Eisentreppe hinab und rannte durch schmale Gänge zu den Matrosen, die mit dem Tauwerk hantierten. Sein guter Orientierungssinn half ihm, sich in den Korridoren zurechtzufinden, sodass er bei ihnen ankam, ehe sie alle Taue eingeholt hatten.

»Nein, warten, stopp!«, rief er zuerst auf Englisch, dann auf Chinesisch.

Die mit ihrer Arbeit beschäftigten Männer würdigten ihn keines Blicks.

»Halt!«, wiederholte Wong, griff hastig nach der Trosse, die einer der Matrosen hielt, und riss sie ihm aus der Hand.

»He! Was soll das?«, rief der verdutzte Mann. »Was wollen Sie?«

»Nicht fahren! Ganz wichtig.«

Mit aller Kraft warf der Fengshui-Meister das Tau über Bord an den Kai, wo es sich tatsächlich um einen Eisenpoller schlang – mehr aus Glück denn aus Geschicklichkeit.

»Sie sind ja plemplem!«, sagte der Matrose. Seine Kameraden starrten herüber.

Wong schüttelte den Kopf: »Wir müssen dableiben. Sehr wichtig!« Er zerrte an dem festgemachten, fünfzehn Zentimeter dicken Tau und versuchte, das abdriftende Schiff aufzuhalten oder gar an die Mole zurückzuziehen. Der Maat, ein runzliger, sonnengegerbter Mann um die fünfzig, kam auf ihn zu und wollte ihm das Tau abnehmen. Wong trat nach ihm, um ihn sich vom Leib zu halten. Der alte Seebär wich zurück und griente: »Na, dann mal los. Immer tüchtig. Hau ruck! Verrückter Kerl.« Immer mehr Matrosen drehten sich um und schauten zu. Manche lachten aus vollem Hals.

Wong stemmte die Füße gegen die Reling und zog mit Leibeskräften, aber das Schiff entfernte sich stetig vom Kai.

»Aijaaa!«, quiekte er, denn er merkte, wie ihm das Tau entglitt. Jetzt stützte er einen Fuß an die oberste Sprosse der Reling und lehnte sich fast waagerecht zurück.

Das Schiff nahm weiter Fahrt auf.

Unterdessen riefen die Seeleute andere Kameraden herbei, damit sie sich das Theater ansehen sollten. Auch ein paar Passagiere blieben stehen. Im Nu sammelte sich eine kleine Menschenmenge und ergötzte sich an dem bemerkenswerten Schauspiel, wie ein winziger, knochendürrer, dreiundfünfzig Kilo wiegender Mann gegen ein Schiff von 47 265 Tonnen kämpfte. Während Wong sich abmühte, drückten die Mienen seines Publikums wechselnde Gefühle aus: Ärger wurde zu Staunen und schließlich zu Bewunderung.

»Den reißt es gleich von Bord«, sagte ein Matrose.

»Hoffentlich«, brummte ein anderer zurück.

Wong kämpfte noch, als aus den Lautsprechern ein Musikakkord erklang, der zweimal wiederholt wurde. Dann sagte eine seidenweiche Stimme, deren Echo sich an den harten Metallflächen des ganzen Schiffs brach: »Meine Damen und Herren, Princess Charisma Kreuzfahrten begrüßt Sie an Bord der Princess Starlight Charisma. Im Moment ändern wir ein wenig unsere Position. Daher können Sie in den nächsten zwanzig Minuten das Schiff leider nicht verlassen. Wir bitten um Ihr Verständnis.«

Die Maschinen dröhnten lauter, das Wasser schäumte wilder, und das Schiff gewann an Tempo. Das Tau schoss jetzt so rasch davon, dass es Wong unversehens über die Reling zerrte. Zwei Matrosen und ein Passagier packten ihn an den Hosenbeinen. Sie unterdrückten ihr Gelächter und stellten den wütenden Mann an Deck, wo er ärgerlich ihre Hände abschüttelte. »Ganz lästig!«, donnerte er. Seine Handflächen waren von der Trosse rot und wund gescheuert.

»Bloß keine Aufregung, Opa«, sagte ein junger Janmaat. »Wir gehen ja nicht in See. Der Kasten fährt nur mal eben um die Ecke zu ʼnem anderen Pier. So ʼn wichtiger Typ an Bord gibt ʼne Party für ʼne Besuchsdelegation aus irgend ʼnem afrikanischen Land, dafür will er ʼne bessere Aussicht aus seiner Suite. Wegen dem Heini ziehn wir um. Dauert aber bloß ein paar Minuten, dann machen wir wieder fest.«

»Wo?«

»Da drüben.« Er zeigte auf ein Hafenbecken, das nicht zur offenen See lag.

»Dämonen der siebten Hölle!«, fluchte Wong. Bei der dortigen Position würde sein Balkon von einem nordwestlichen Energiestrom durchkreuzt werden. Das war verheerend. Tragisch. Katastrophal!

»Falls Sie sich Sorgen machen, dass jemand uns verpasst hat, kann ich Sie beruhigen«, sagte ein Steward‚ der eine Klemmtafel hielt. »Es befinden sich praktisch alle an Bord.«

Wong sah ihn fragend an. »Ich erwarte zwei Gäste. Eine reiche ausländische Geschäftsfrau.«

»Groß, blond, Designerkleidung? Sie kam kurz vor unserer Abfahrt.«

Aijaa! Sie war schon hier! Wartete womöglich vor seiner Kajütentür und fragte sich, wo er blieb.

Ohne ein Wort raste er los, zurück durch dieselben Korridore, über dieselben Stufen, dieselben Gänge entlang. Im Laufschritt, damit er möglichst vor der Kundin bei der Suite ankam. Sekunden später erreichte er atemlos die Erste-Klasse-Kajüte 672. Aber da stand sie schon: die goldblonde europäische Geschäftsfrau.

»Mr. Wong! Wie reizend, Sie wiederzusehen«, gurrte sie.

»Ja. Ja, sehr nett«, keuchte er, öffnete mit der Schlüsselkarte und trat mit ihr ein. Die Frau schenkte ihm zwar ein strahlendes Zahnpastareklamelächeln, ihr Blick jedoch schoss in der Suite umher. Anscheinend war sie wegen des Meetings ebenso aufgeregt wie er selbst. »Ungewöhnlicher Treffpunkt, auf einem Schiff. Welch eine charmante Idee.« Sie war ungewöhnlich groß, doch offenbar gefiel ihr die Welt von erhöhter Warte aus, denn sie unterstrich ihre Größe noch durch hohe Absätze.

»Gutes Fengshui«, gab der Geomant zurück. »Schön, Sie zu sehen, Ms. Crumley. Ich bin sehr froh, dass Sie an Bord kamen, bevor das Schiff ablegte.«

»Ja. Aber dass es so plötzlich losfahren würde, hätte ich nicht gedacht.«

»Ich auch nicht«, knurrte er.

»Das Personal sagte mir, man würde nur rasch die Position ändern und gleich wieder anlegen. Ist Mr. Daswani schon da? Hoffentlich hat er es geschafft, ehe sie die, äh … Zugbrücke eingeholt haben, oder wie man dieses Treppending nennt.«

»Kommt! Kommt ganz bald, ich glaube, er ist schon an Bord, hoffe ich, jawohl, ohne Frage, vielleicht«, haspelte er und knetete sich die Finger. »Kommen Sie auf den Balkon. Sehr hübsch, sehr bequem.«

Er führte sie nach draußen, und beide nahmen auf den Rattansesseln Platz. Wong schenkte ihr ein Glas Kokoswasser ein.

Mit Schrecken wurde ihm wieder einmal sein unterentwickeltes Talent für höfliches englisches Geplauder bewusst. Heimlich flehte er, sein Vertragslieferant möge bald erscheinen – jener Arun Asif Iqbal Daswani, der als »einziges indisches Mitglied der Triaden«, der chinesischen Mafia, bekannt war. Nervös kauerte der Geomant auf der Sesselkante und strich sich über seine graue Jacke mit dem chinesischen Stehkragen. Schneider Jimmy in Wan Chai hatte sie ihm angefertigt, als er sechs Jahre jünger und zwei Kilo leichter gewesen war.

Ms. Crumley trug ein hellgraues Sommerjackett aus Stretchbaumwolle mit Krause und Gürtel, das sie sich vorige Woche für zwölfhundert Dollar im Ausverkauf bei Prada geholt hatte. Über die Balkonbrüstung hinweg betrachtete sie die Aussicht. Auch wenn die Suite jetzt nicht mehr zur See hinaus lag, sondern zur City, bot sich immer noch ein atemberaubendes Panorama. »Also dann …«, gab sie ihrem Gastgeber das Stichwort für ein paar der erwarteten einleitenden Komplimente.

»Also dann«, antwortete Wong nervös. »Ha, ha.«

In diesem Stadium deutete manches darauf hin, dass die Unterhaltung an Lebhaftigkeit verlor.

Der Summer an der Tür schnarrte. Kurz darauf stürmte Daswani mit wallenden Gewändern auf den Balkon. Der massige Inder liebte scheichartige Roben, in die er zahlreiche Taschen hatte einarbeiten lassen. »Sorry, sorry, sorry! Bedaure, dass ich Sie warten ließ. Haben Sie es sich bequem gemacht, ja?«

Der Neuankömmling fiel schwer auf einen Sessel, sodass das Rohrgeflecht ächzte, der Sitz sich um mehrere Zentimeter senkte und die Stuhlbeine sich nach außen spreizten. Er griff nach Wongs Glas und stürzte das Kokoswasser in einem Zug hinunter. »Ah! Hab noch nie so einen Durst gehabt. Nun, und wie gehts uns, Ms. Crumbly?«

»Crumley, bitte. Aber nennen Sie mich Cecily. Eigentlich Cecily-Mary, gut katholisches Mädchen, wenn Sie verstehen.«

»Wie interessant. Ich bin Sindhi.«

»Cindy?«

»Ja.« Er bemerkte ihre Verblüffung und fragte: »Kennen Sie viele Sindhis?«

»Nein. Sie sehen gar nicht aus wie eine … Cindy. Als Kind hatte ich eine Cindypuppe, ein kleines blondes Ding, dünn wie eine Bohnenstange … « Wong glaubte, er könne einigermaßen Englisch, aber die Logik der in dieser Sprache geführten Gespräche entging ihm regelmäßig. Wo in aller Welt war Ms. Crumley kleinen, blonden, spindeldürren Sindhis begegnet? In Asien nicht, das stand fest. Ob sie Daswani beleidigt hatte? Am besten sagte er rasch etwas, um die Situation zu retten. »Auf unserem Erdteil sind Sindhis große, dicke Männer, nur selten blond«, verkündete er. »Wie Mr. Daswani hier. Ganz fett.«

»Das ist kein Fett, alles Muskeln«, protestierte der Inder und klatschte sich auf den Bauch. »Kommt vom vielen Verdauen.« Ms. Crumley ließ ein klangvolles, einstudiertes Kichern hören. Da aber keiner der beiden einstimmte, brach sie sofort wieder ab.

»Hören Sie«, sagte der Geschäftspartner, der ein Sindhi war, »lassen Sie uns zur Sache kommen, ja?«

Wong schluckte. Der Moment war da. Trotz der Brise war ihm auf einmal heiß. Nun begann die entscheidende Wendung seines Lebens, mit diesem Vertragsabschluss, der ihm eine neue Karriere eröffnen sollte. Der siebenundfünfzigjährige Geomant, Chef der Firma C. F. Wong & Co., Fengshui-Konsultationen, hatte ein Zweigunternehmen namens Harmoney gegründet. Der Grundgedanke war, seine Fähigkeit zur Einrichtung harmonischer Umgebungen auch für Geschäftsverhandlungen einzusetzen. Und dies war seine erste Unternehmung, bei der er alle Elemente in ein positives Gleichgewicht zu bringen hoffte.

Ms. Crumley arbeitete als Einkäuferin einer führenden europäischen Bürobedarfskette. Die Gruppe OffBox, die sie vertrat, befand sich in der Übergangsphase vom Produktvertrieb zur Fertigung unter eigenem Label. Sie hatte Singapur als Operationsbasis gewählt, weil man im Stadtstaat Ware von internationalem Qualitätsstandard zu asiatischen Preisen bekam. OffBox begann mit einer Schreibartikelserie, und heute ging es um Textmarker, die wie kleine Früchte geformt waren. Sie spähte über Daswanis Schulter, als würde sie hinter ihm die versprochene Lieferung vermuten. »Wo sind die … äh?«

Salbungsvoll lächelnd gab er ihr Bescheid: »Die Ware steht unten am Hafen in unserem Transporter. Sie wird an die angegebene Adresse ausgeliefert, sobald die letzten Formalitäten erledigt sind.«

Wong musste erneut schlucken. Ein erregtes Zittern lief ihm durch Mark und Bein. Mit »Formalitäten« war der Höhepunkt des Treffens gemeint: Zahlung! »Der Scheck sollte auf Harmoney Private, Ltd. ausgestellt werden«, warf er ein. »Harmoney mit e, wie Har und Money.«

»Selbstverständlich«, sagte sie und fragte dann den Lieferanten: »Haben Sie eine Probe dabei? Ich muss ein letztes Mal die Qualität überprüfen. Reine Formsache, versteht sich, in diesem Stadium.«

»Alles klar«, sagte Daswani und brachte aus den Falten seiner Robe eine Schachtel zum Vorschein. »Prüfen Sie, so oft Sie wollen.«

Er legte einen weißen Pappkarton auf den Tisch, auf dem die Worte »Textmarker: Banane« standen, öffnete ihn flink und entnahm ihm eine kleine Plastikbanane, die er elegant schwenkte. »Diese Schachtel enthält zwölf Stück, Bananendesign. Insgesamt liefern wir fünfzehntausend Kartons zu je zwölf Stück, in vier verschiedenen Fruchtdesigns. Macht hundertachtzigtausend Stück. Alle von einer Qualität und zu einem Preis, die weltweit unschlagbar sein dürften.« Erleichtert lächelte Cecily Crumley beim Anblick des Produkts. »Sieht hübsch aus«, sagte sie. »Also brauche ich Ihnen wohl nur noch dies hier zu überreichen.« In ihrer teuer aussehenden, aber politisch korrekt aus Lederimitat gefertigten Mappe kramte sie nach dem Scheck.

Wong stand auf und winkte seinem Partner zu, sich ebenfalls zu erheben. Ein befreundeter Geschäftsmann hatte ihn belehrt, dass es sich so gehöre, wenn die Zahlung erfolgte und damit der feierliche Höhepunkt der Transaktion erreicht war.

»Behalten Sie doch Platz«, sagte sie. »Wir brauchen nicht so förmlich zu sein.« Sie reichte Wong einen weißen Umschlag, den er sogleich aufzureißen begann. Er wollte absolut sichergehen, dass kein Irrtum möglich war.

Sie wandte sich an den Inder: »Übrigens, Cindy, wie haben Sie das Farbproblem gelöst?«

Wong, dessen Finger tief im halb geöffneten Umschlag steckte, hielt in der Bewegung inne und zog die Brauen hoch. »Farbproblem?«

Daswani lächelte eine Idee zu breit. »Ich teilte Ms. Crumley vor zwei Wochen mit, dass wir momentan Schwierigkeiten bei der Beschaffung gelber Leuchttinte hätten.«

Sie nickte. »Dann haben Sie wohl erst mit einer anderen Farbe angefangen?«

»Richtig. Wir liefern die gelben in allernächster Zeit nach.«

»Und welche Farbe haben diese hier?«

»Hm?«, machte der Partner, als hätte er sie nicht verstanden.

»Welche Farbe ist in dieser Partie? Neongrün?«

Nervös blickte Daswani sie an und dann zur Seite. »Wir haben für diese Lieferung eine andere Farbe verwendet. Sie erhalten die gelbe Version in Kürze.«

»Aber welche Farbe? Pink? Blau?«

Er wedelte mit dem Textmarker. »Äh … Tatsächlich gab es bei der Beschaffung dieser Tinte ebenfalls Probleme.«

Die Einkäuferin erstarrte. »Damit auch? Ja, wie denn?«

Daswani kaute auf der Unterlippe. »Eine hochwertige Tinte aus einer Fabrik, die einem Freund meines Vetters gehört. Beste Qualität, erstklassige Fließeigenschaft, Aktionspreis für uns durch die Beziehungen. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Ms. Crumley. Die Tinte ist in Ordnung. Sie haben die persönliche Gewähr von Mr. Wong.«

Sie wurde ungeduldig. »Welche Farbe, wenn ich bitten darf!«

»Äh … neutral.« Seine Stimme verriet Unsicherheit.

»Was soll das heißen: neutral?«

Als der Vertragspartner nicht sofort antwortete, griff sie nach einer der Plastikbananen. Er schnappte ebenfalls danach. Wong saß wie angewurzelt da. Entsetzt beobachtete er die beiden.

Sie erwischte den Stift vor dem Inder, riss die Verschlusskapsel ab und zog mit wütendem Schwung eine Linie über den Tisch.

Alle drei starrten auf den pechschwarzen Strich auf der hellen Tischplatte. Ms. Crumley fand als Erste die Sprache wieder. »Schwarz! Sie haben die Textmarker mit schwarzer Tinte gefüllt!«

»Das Beste auf dem Markt heutzutage, Ms. Crumley. Es gibt nichts Besseres.« Unglücklich rang Daswani die Hände.

»Das ist völlig unmöglich!«

»Diese hochwertige Tinte floss sehr geschmeidig in die Farbkammer des Produkts, und sie fließt ebenso glatt aus. Eine klare, äh … sanfte Linie.«

»Aber … ich meine … kein Mensch markiert mit Schwarz!« Hilflos blickte sie von Daswani zu Wong. »Sagen Sie es ihm. Das geht einfach nicht!«

»Ein kleines Problem?«, stammelte Wong, innerlich in Panik.

Daswani löste langsam seine ineinander verkrampften Finger. »Darf ich Sie an Folgendes erinnern? Als wir Sie vor zwei Wochen anriefen wegen der Schwierigkeit mit der gelben Tinte, sagten Sie, wir könnten eine andere nehmen.«

»Schon. Aber ich meinte natürlich andere Textmarker-Farben. Neongrün, Babypink, Himmelblau. Doch nicht Schwarz!«

»Seien Sie vernünftig, Ms. Crumley. Sie haben Schwarz nicht ausdrücklich ausgeschlossen.«

Einen Moment lang war sie sprachlos, aber nach ein paar heftigen Atemzügen setzte sie sich aufrecht, sodass sie die beiden Asiaten überragte. »Lassen Sie uns das jetzt mal klarstellen. Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass Sie uns hundertachtzigtausend Textmarker in Fruchtform mit schwarzer Tinte liefern?«

Daswani gab keine Antwort.

Für Wong ging eine Welt unter. »Schwarz ist ganz nett, sehr elegant«, versuchte er verzweifelt. »Modisch und gutes Fengshui. Ha, ha.«

Mit bebenden Nasenflügeln wandte sich Ms. Crumley an ihn und zischte langsam aus fast geschlossenen Lippen: »Falls Sie glauben, dass ich auch nur ein einziges von diesen Dingern kaufe, befinden Sie sich in einem schwerwiegenden Irrtum. Guten Tag, Mr. Wong! Guten Tag, Mr. Daswani!«

Mit einer raschen Bewegung riss sie Wong den Scheck aus den Händen und marschierte in die Suite. Die Männer hörten eine Tür zuschlagen. Nach kurzer Stille vernahmen sie, wie sie wieder geöffnet wurde: Ms. Crumley war aus Versehen ins Schlafzimmer geraten.

»Ausgang dort hinten«, rief Wong hilfsbereit.

»Danke«, murmelte sie, stürmte aus der richtigen Tür und knallte sie hinter sich zu. Die beiden Partner auf dem Balkon starrten sich an. »Nicht sehr gut gelaufen«, meinte Wong.

»Sie sagte, wir könnten eine andere Farbe verwenden. Dass Schwarz nicht geht, hat sie nie gesagt«, klagte Daswani gekränkt.

Wong nickte ihm zu. »Was machen Sie jetzt mit den vielen schwarzen Textmarkern?«

Der Inder schüttelte den Kopf. »Nicht mein Problem. Sie sind der Mittelsmann. Der Deal läuft auf Harmoney Private, Ltd., oder? Ich will mein Geld, und zwar sofort. Die Frage lautet: Was machen Sie mit so vielen Markern in Schwarz?«

*

Ein wandernder Fengshui-Meister betrat ein Kloster in Guizhou.

»Ich bin gekommen, um einen Titel zu verleihen«, sagte er. »Einer der Mönche hier soll zum Meister der Demut ernannt werden.«

Die Mönche waren aufgeregt. Wer von ihnen war der Meister der Demut?

»Ich bin der Abt. Gewiss steht mir der Titel zu«, sagte der Abt.

»Ich bin der niedrigste Novize«, sagte der jüngste Novize. »Sollte er nicht mir gebühren?«

»Ich stehe weder hoch noch niedrig«, sagte ein Mönch. »Vielleicht verdiene ich den Titel, da mich nichts anderes auszeichnet?«

»Ich verdiene gar nichts«, sagte ein anderer Mönch. »Darum mögt Ihr ihn mir zusprechen, wenn Ihr es für angemessen haltet.«

Über viele Stunden zog sich die erregte Debatte hin. Keine Einigung wurde erzielt.

Der Fengshui-Meister nahm seinen Reisesack und schickte sich zum Aufbruch an.

»Wer von uns bekommt den Titel?«, fragten die Mönche.

»Keiner«, sagte der Fengshui-Mann. »Der Meister der Demut weilt nicht mehr hier.«

Grashalm: Manchmal ist Geben Nehmen, manchmal ist Nehmen Geben. Wer eine Feder fangen will, die im Wind treibt, wird sie höchstens weiter von sich wegstoßen. Denn manche Federn lassen sich nicht erhaschen.

(Gesammelte Sprüche östlicher Weisheit, von C.F. Wong)

Bedrückt schlurfte der Geomant C. F. Wong die Straße hinunter. Nichts, davon war er überzeugt, konnte seine Laune verschlechtern: Sie war zugleich pechschwarz und glutrot. Sein Leben hatte sich unversehens mit düsterem Grauen und brennendem Drama gefüllt. Der kleine Mann mit den Hängeschultern ging noch gebeugter als sonst. Sein Blick haftete am Boden. Er glich einem schmächtigen Atlas, der einen unsichtbaren Planeten trug. Die Last, die ihn drückte, wog ja auch wirklich so schwer wie der Globus, weil es unmöglich schien, sie abzuschütteln.

Was er gerade erlebt hatte, war ein derartiger Albtraum, dass ihm fast der Verstand stillstand. Er hatte sich soeben verpflichtet, eine Unsumme – über die er nicht verfügte – zu zahlen, für eine Unzahl winziger, hässlicher Stifte in Fruchtform, die er nicht brauchte. Nachdem Ms. Crumley abgerauscht war, hatte er die scheußlichen Plastikbananen ausprobiert. Ihre kräftigen schwarzen Striche waren zum Schreiben zu breit, zum Markieren zu dunkel. Wer würde sie wollen? Sie waren nutzlos. Die Firma Harmoney Private, Ltd. war schon bei ihrem ersten Deal zum Bankrott verurteilt. Kein gutes Vorzeichen! Wenn seine Konkurrenten davon erfuhren … nicht auszudenken! Wie hatte alles bloß so entsetzlich schiefgehen können? Er schob die Schuld jenem Unbekannten zu, diesem Wichtigtuer, der die Verlegung des Schiffs angeordnet hatte. Aber bei wem konnte er sich beschweren? Hoffnungslos!

Arun Daswani hatte Wong am Schluss des Treffens zehn Tage Zahlungsfrist gewährt und ihm nochmals seine Karte gegeben, nicht ohne nachdrücklich auf die Zeile hinzuweisen, die ihn als »weltweit einziges indisches Mitglied der Triaden« bezeichnete. Dem hatte er die kaum sehr dezent verschleierte Drohung folgen lassen, er würde seine Mafiapartner veranlassen, sich um die Sache zu »kümmern«, falls der volle Betrag nicht termingerecht eingehe. Dabei war Daswanis Blick hart und seine Miene steinern geworden. So endete eine fragwürdige Freundschaft.

Wo sollte Wong derart kurzfristig eine solche Summe auftreiben? Auf seinen Bankkonten ließ er immer nur geringe Beträge stehen. Seine wenigen Ersparnisse hatte er in kleinen Unternehmen in Chinas Provinz Guangdong angelegt, aber die Depots wurden von einem Verwandten verwaltet, den er nur einmal jährlich traf. Man würde Wochen, ja Monate brauchen, um etwas davon zu verkaufen. Andere Aktiva, die sich zu Bargeld machen ließen, besaß er nicht.

Müde schob der Fengshui-Meister seine elenden Knochen in Richtung des heruntergekommenen Bürohauses am billigeren Ende der Telok Ayer Street, die sich am Rand des Geschäftsviertels von Singapur hinzog. Er stieg in den vierten Stock hinauf. Als Chinese wusste er, dass die Vier eine Unglückszahl1 war, aber etwas Besseres konnte er sich nicht leisten. Als er die Bürotür aufstieß, fuhr seine Sekretärin Winnie Lim – Bürovorsteherin, bitte! – erschrocken zusammen. Feindselig herrschte sie ihn an: »Aijaaa! Sie brechen Tür, ich reparier nicht!«

Er erwiderte ihren finsteren Blick mit verkniffenen Augen und murmelte unhörbare Flüche. Es war geradezu tragisch, dass ein Mensch nicht mal in seinem eigenen Büro den Foltern des Lebens entkam. Er musterte den kleinen, vollgestopften Raum mit dem zusammengewürfelten Mobiliar und der stehen gebliebenen Wanduhr. Kein angemessenes Büro für einen Fengshui-Berater, wie ihm schmerzlich bewusst war. Kunden wurden hier niemals empfangen.

Ein wenig tröstete ihn allenfalls, dass der Schreibtisch seiner mehr als lästigen Assistentin Joyce McQuinnie im Moment nicht besetzt war. Die junge Frau war ihm von Mr. Pun aufgedrängt worden, dem Immobilienunternehmer, dessen regelmäßiges Honorar Wongs Firma am Leben hielt. Eingetreten war Joyce als Praktikantin auf Zeit, doch inzwischen hatte sie sich auf grausige, bedrohliche Weise als ständige Mitarbeiterin eingenistet. Wong widmete einen beträchtlichen Teil seiner Zeit Überlegungen, wie er sie loswerden konnte, ohne seinen Geldgeber vor den Kopf zu stoßen.

Er achtete nicht weiter auf die wutschnaubende Winnie, sondern trabte an seinem Schreibtisch vorbei zum Meditationszentrum – ein reichlich pompöser Name für die ungünstig proportionierte Kammer, zu klein für andere Zwecke als ein Regal mit Bürobedarf. Seinerzeit, als Wong die Büroetage mietete, hatte er darauf bestanden, dass dieser Raum leer blieb, abgesehen von seiner Meditationsmatte und einer flackernden Kerze (rot, elektrisch, bei einer katholischen Devotionalienhandlung erworben). Damals stellte er auf einem kleinen Altar an der Seitenwand einen handgeschnitzten Haarstab des uralten Qidan-Volks auf, eine Art Totempfahl mit Haarsträhnen, die Dreadlocks ähnelten. Die großen, stieren Augen und die heraushängende Zunge der Figur sollten böse Geister vertreiben. Aus mehreren Gründen hing Wong daran. Einmal erinnerte sie ihn an seinen Großonkel Rinchang, der in einer Hütte im Kunlun-Gebirge gelebt hatte. Zum andern hieß es, dass die Qidan echtes Blattgold für ihr Kunstgewerbe verwendet hatten, weshalb er die Figur für wertvoll hielt. Drittens aber war sie so hässlich, dass sie die Frauen davon abhalten würde, seine Kammer zu betreten oder für eigene Zwecke zu nutzen.

So gut seine Absicht gewesen war, sich einen Meditationsraum im Büro zu reservieren, als so undurchführbar erwies sie sich. Ständig stand er unter Druck, musste Geld verdienen, um die Miete zahlen zu können, sodass er sich selten dort aufgehalten hatte. Weder Winnie noch Joyce schienen sich für Meditation zu interessieren, obwohl Joyce manchmal zum Yoga und zu irgendeiner Sekte ging. Winnies einziger Lebenszweck bestand aus der Nagelpflege. Sie benutzte den Bürocomputer, um sich Newsletters über angesagte Farben oder Nagelapplikationen schicken zu lassen. Joyce dagegen hatte nichts anderes im Sinn, als sich ihre iPod-Kopfhörer in die Ohren zu stecken, wobei sie zum tsch-tschicka-tsch-tschicka-tsch mit dem Kopf auf und ab nickte und lässig in Prominentenzeitschriften blätterte.

Auf grobe Weise verletzten diese beiden Frauen die Reinheit seines Büros. Es war doch schließlich der Arbeitsplatz eines Meisters jener alten, mystischen, männlich dominierten spirituellen Kunst. Aber was konnte er tun? Mr. Pun zahlte und ließ ihm keine Wahl: Er musste Joyce als Assistentin behalten. Und Winnie organisierte das Ablagesystem dermaßen willkürlich, dass nur sie allein etwas wiederfand. Er hatte die beiden unwiderruflich am Hals. Sein zeitliches Leben stand unter einem Fluch. Er musste sich dringend an einen besseren Ort verziehen, um seine geistigen Batterien aufzuladen. Wenn er je seinen Meditationsraum gebraucht hatte, dann jetzt. Er öffnete die Tür und blinzelte hinein. Da er die Kammer seit Wochen nicht betreten hatte, nahm er an, dass sie ziemlich stickig sein würde. Doch etwas stimmte nicht. Sie war überfüllt. Er schaltete das Licht ein und erblickte zwei übel riechende Mopps, drei rote Plastikeimer und eine Wand, höher als er selbst, aus mehreren hundert Rollen Toilettenpapier. Wong trat zurück und wandte sich der Bürovorsteherin zu. »Winnie!«, bellte er, »was ist da in meinem Meditationsraum?«

»Mopps, Klopapier und so was«, sagte sie, ohne von ihren Händen aufzublicken, denn sie klebte gerade Miniaturdrucke alter Bilder auf ihre Nägel.

»Weiß ich. Aber wieso?«

»Weil ich Toilettenregal für andere Sachen brauch. Alles voll. Kein Platz für das da.«

»Wozu brauchen wir zweihundert Rollen Toilettenpapier?«

»Nicht zweihundert.«

»Wie viele?«

»Fünfhundert.«

»Aber wozu brauchen wir fünfhundert?«

»Sonderangebot. Zwanzig Prozent Rabatt für fünfhundert, billiger als vierhundert. Dazu zehntausend Bonuspunkte auf unsere Kundenkarte.«

»Wir brauchen keine fünfhundert Rollen. Keine vierhundert. In einer Woche benutzen wir höchstens eine oder zwei.«

»Dann reicht für lange Zeit.«

»Zehn Jahre.«

»Genau, zehn Jahre.«

»Aber der Mietvertrag für dieses Büro läuft in acht Monaten aus.«

»Dann nehmen wir mit in neues Büro.«

Wong war sprachlos vor Wut: Sollte er etwa extra einen Lieferwagen mit Fahrer mieten, bloß um Hunderte WC-Rollen in die neuen Räume zu schaffen?

Dann fiel ihm plötzlich etwas anderes ein: Wo war sein antikes Blattgold-Idol des Qidan-Volks geblieben? Diese Sorge löste ihm die Zunge. »Wo ist mein Totem?«

»Was?«

»Mein Totem. Mein Haarstab.«

»Sie meinen ekliges Klobürstending? Im Klo.«

Er setzte zu einer Erwiderung an, verschluckte sie dann aber. Für manche Dinge gab es keine Worte.

»Sie meckern immer, sogar wenn ich Geld für Firma spare«, maulte Winnie.

Das konnte Wong nicht hinnehmen. »Sie kaufen fünfhundert Rollen Toilettenpapier, die wir nicht brauchen, und nennen das sparen? Sie sind ja verrückt. In Wirklichkeit werfen Sie unser ganzes Geld zum Fenster hinaus.«

»Wir kriegen zehntausend Treuepunkte«, schrie Winnie. »Keine Vergeudung!«

Wong überlegte kurz. Zehntausend Punkte – dafür konnte man tatsächlich etwas kaufen. Was war nötig? Ach, so vieles! Allem voran eine neue Wanduhr. Es war nicht nur peinlich, sondern geradezu demütigend, dass die Uhr eines Fengshui-Meisters seit zwei Jahren stand. Ausgerechnet bei ihm, der jedes Beratungsgespräch mit einem kleinen Vortrag begann, worin er seine Klienten ermahnte, darauf zu achten, dass sich in ihren vier Wänden weder defekte Uhren noch ausgebrannte Glühbirnen, weder tropfende Wasserhähne noch verwelkte Pflanzen befanden. Das hatte gar nichts mit Magie zu tun. Er überredete die Leute lediglich zu einer symbolischen Wandlung. Im Grunde handelte es sich um angewandte Psychologie: Wer die kleinen konkreten Alltagsdinge unter Kontrolle bringt, wird auch die großen metaphysischen Lebensfragen unwillkürlich in den Griff bekommen.

Aber Wong selbst? In seinem Büro gab es Beispiele für alle vier Fehler!

»Auf der Stelle gehen Sie in den Laden«, schnauzte er Winnie an, »und holen für die zehntausend Punkte eine neue Bürouhr. Die brauchen wir!«

Winnie schielte schuldbewusst zu ihm hinüber. »Viel Arbeit«, sagte sie. »Heute zu viel Papierkram.« Ihr musste selbst klar sein, wie wenig überzeugend das Argument klang angesichts der Tatsache, dass sie mit ihrer Maniküre beschäftigt war, und so wedelte sie demonstrativ über den Stapel Papiere und Briefumschläge, die vor ihr lagen.

»Öffnen Sie die Post. Dann gehen Sie die Uhr kaufen!«

»Kann nicht«, murmelte sie.

»Wieso?«

Zögernd unterbrach Winnie ihre Tätigkeit und blickte im Büro umher, als erwarte sie sich Rat bei den wackligen Tischen und Stühlen. Wong begriff natürlich, dass sie mit sich rang, wie ehrlich sie sein sollte. Schließlich sah sie ihm kalt entschlossen ins Gesicht, als wolle sie sich von vornherein jeden Einwand verbitten: »Hab Punkte schon verbraucht.«

»Was sagen Sie?«

»Sie hören. Punkte verbraucht.«

»Wofür?«

»Das hier.« Sie machte eine Kopfbewegung zu der Lampe auf ihrem Schreibtisch. Erst jetzt fiel Wong auf, dass es keine gewöhnliche Schreibtischleuchte war, sondern etwas, das ein wenig an die Strahler erinnerte, die man beim Zahnarzt über sich sah.

»Die Lampe?«

»Keine Lampe. Pro-Maniküre-Set.«

»Was soll das sein?«

»Na, dies hier.«

»Wozu brauchen wir so etwas?«

»In unserm Büro kein Pro-Maniküre-Set. Also kaufe ich. Sowieso in diesem Monat Aktion, fünfzehn Prozent Rabatt für zwei Stück.«

»Haben Sie etwa zwei gekauft?«

»Logisch. Fünfzehn Prozent prima Rabatt.«

Wong richtete sich zu seiner vollen Größe von einem Meter sechzig auf. »Sie gehen jetzt gleich hin, geben die Dinger zurück und holen eine Uhr!«

»Aktionsware, kein Umtausch. Aber ich geh sowieso raus. Sie schlechte Laune. Ich brauch Pause.«

Sie blies auf ihre Nägel, nahm ihre Handtasche und warf die Eingangstür hinter sich zu, sodass die Mattglasfüllung krachte. Demnächst würde sie herausfallen. Noch eine Ausgabe, die auf ihn zukam. Aijaa!

Immerhin hatte alles sein Gutes. Beide Frauen waren fort. Eine Weile wenigstens würden sie ihn in Ruhe lassen.

Er ging in den zur Hygieneablage umfunktionierten Meditationsraum und beschloss, das Toilettenpapier in eine Art Sitz umzuschichten. Es kostete etwas Zeit und Mühe, denn die Pakete waren schwerer als gedacht. Dann aber hatte er sich einen recht bequemen Thron zurechtgemacht. In seinem Alter saß er lieber wie die Westler mit aufgestellen Beinen statt im Schneidersitz am Boden.

Nun begann er zu meditieren. Zunächst kam das Atmen in drei Stufen.

Man atmet langsam ein und zählt bis sechs.

Dann atmet man ebenso langsam aus und zählt wieder bis sechs.

Dann hört man sechs Sekunden lang auf zu atmen, zu denken, zu existieren.

Danach erwacht man zu neuem Leben und wiederholt den ganzen Ablauf.

Nach einigen Minuten hatte er seine Gelassenheit zurückgewonnen. Dreistufiges Atmen war eine einfache Übung, aber sie wirkte jedes Mal. In den sechs Sekunden zwischen Ein- und Ausatmen genoss man reinstes, köstliches Nichtsein, schien sich wirklich aufzulösen. Obwohl man nicht atmete, fühlte man weder Panik noch Verlangen.

Nach und nach dehnte er die Intervalle auf sieben, acht, zehn, zwölf, fünfzehn Sekunden aus, bis er bei zwanzig ankam, sodass jeder Drei-Phasen-Zyklus eine volle Minute dauerte. Diese Übung setzte er mehrmals fort.

Endlich wurde er ruhig. Seine Gedanken schwiegen. Sein Herz klopfte sanft und regelmäßig. Vorübergehend hatten sich all seine Sorgen verflüchtigt.

Der Sitz auf den Papierrollen erwies sich als überraschend behaglich. Entspannt, mit geschlossenen Augen, saß er da und spürte um sich nichts als eine weiche, wohlige, weiße Welt.

Sie weckte eine Erinnerung. Woran nur? An einen Sessel aus Schnee, den er sich als Kind einmal gebaut hatte. Wo und wann war das gewesen? Konnte er sich zurückversetzen? Er leerte sein Bewusstsein und ließ seinem Gedächtnis freien Lauf.

Als erstes Bild erschien vor seinem geistigen Auge eine graue Holzhütte auf einem schneebedeckten Berg. Er erkannte sie sofort. In diesem Haus in Westchina hatte sein Großonkel Rinchang lange Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1993 gelebt. Es stand südlich der Wüste Takla Makan am Rand des tibetischen Hochlands. 1966 hatte man den zwölfjährigen Wong dort hinaufgeschickt, weil in Chinas Städten politische Unruhen ausbrachen. Nur unwillig war er in eine so kalte, entlegene, einsame Gegend gezogen. Doch das Jahr in den Bergen wurde zu einer Erfahrung, die sein Leben veränderte. Bei seinem Großonkel und den andern Gebirgsbewohnern erfuhr er, dass es einen gemächlicheren, tieferen Lebensrhythmus gab als das oberflächliche Stakkato der Großstädte. Onkel Rinchang war wortkarg, aber er brauchte auch nur selten etwas zu sagen. Wie er mit ruhigem Ernst seinem Tagewerk nachging – er versorgte seine Yaks, sammelte Essbares, handelte auf den Märkten, saß mit Freunden zusammen, betete zu den Berggöttern –, das hinterließ bei Wong einen prägenden Eindruck. Jene zwölf Monate hatten ihn abgehärtet und zugleich nachdenklich gemacht.