Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler - Nury Vittachi - E-Book

Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler E-Book

Nury Vittachi

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Beschreibung

Wenn ein malaysischer Geistheiler jemanden ganz ohne Spuren umbringen will, dann muss er nach Süden gehen. Ganz runter, nach Australien. Am besten nach Sydney, und dort am besten zur Oper. Denn das Opernhaus von Sydney hat das allerschlechteste Fengshui. Also ein Fall für den Fengshui-Detektiv C. F. Wong und seine Assistentin Joyce McQuinnie. Es hilft nichts, dass auch noch eine von Geistererscheinungen geplagte Zahnarztfamilie und die Hongkonger Triaden mitmischen: Sydney ist nach den turbulenten Aktionen unseres Pärchens nicht mehr dieselbe Stadt.

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Seitenzahl: 398

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Über dieses Buch

Der Fengshui-Detektiv C. F. Wong und seine Assistentin Joyce sind wieder unterwegs – auf dem Dach der Oper von Sydney. Hier herrscht das schlechteste Fengshui überhaupt, ein perfekter Ort, um jemanden umzubringen, ohne Spuren zu hinterlassen. Die hinterlässt dafür C. F. Wong. Die Stadt ist nach seinen turbulenten Aktionen nicht mehr dieselbe.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Nury Vittachi (*1958) gilt - laut BBC – als »Hongkongs witzigster Kommentator«. Er lebt seit 1986 in Hongkong, wo er sich als Kolumnist, Buchautor und Herausgeber einer Literaturzeitschrift Kultstatus verschafft hat. Er arbeitet als Dozent an der Hong Kong Polytechnic University.

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Ursula Ballin, geboren 1939 in Hamburg, wuchs in England und Finnland auf. Viele Jahre verbrachte sie in China und Taiwan, zuletzt als Professorin für Geschichte in Taipeh. Sie arbeitet als freie Übersetzerin.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nury Vittachi

Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Ursula Ballin

Der Fengshui-Detektiv (2)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel The Feng Shui Detective Goes South bei Chameleon Press, Hongkong.

Originaltitel: The Feng Shui Detective Goes South (2002)

© by Nury Vittachi 2002

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: L. Clarke

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30602-8

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Version vom 27.05.2024, 21:54h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

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Inhaltsverzeichnis

DER FENGSHUI-DETEKTIV UND DER GEISTHEILER

Samstag — Sterben ist schlechtes FengshuiMontag — Ein Toter begeht ein VerbrechenDienstag — Gespenster gibts nichtMittwoch — Das Leben ist keine FernsehserieDonnerstag — Geister können nicht sterbenFreitag — Ein perfekter TodMontag — Mit menschlichen Händen

Anmerkungen

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Über Ursula Ballin

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»Das Ende ist immer eine Art Beginn.«

C.F.Wong

Samstag

Sterben ist schlechtes Fengshui

Irgendetwas in dieser Wohnung war verkehrt, doch er hatte nicht die leiseste Ahnung, woran es lag. Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. So hoffte er, sich harmonisch mit seiner Umgebung zu verbinden. Eine volle Minute lang hielt er die Luft an.

Dann atmete er aus. Während die Luft seiner Lunge entströmte, versuchte er, sich ganz leer zu machen und mit seinem Umfeld eins zu werden.

Eine leise und doch nagende Unruhe blieb. »Nicht gut, nicht gut«, murmelte er vor sich hin.

Nur: Warum war es so ungut? Er öffnete die Augen und sah sich noch einmal prüfend in den sauberen, hellen Räumen um, wobei er die Brauen runzelte und die Lippen zusammenkniff.

Er spürte, dass er durch sein Unbehagen seine Klientin alarmierte.

»Es stimmt was nicht, stimmts?«, fragte Cady Tsai-Leibler und zögerte mit der Teekanne in der Hand.

Ehe er antworten konnte, drang aus einem benachbarten Zimmer ein Knall herüber wie von zersplitterndem Glas. Ohne sich zu rühren, rief die junge Mutter: »Melly? Hast du was zerbrochen? Pass auf, ja?«

»Okay, Mama!«, erklang die Stimme eines kleinen Mädchens, dazu das Geklirr von Glasscherben, die auf dem Fliesenboden mit dem Fuß zusammengeschoben wurden.

Mrs. Tsai-Leibler stellte ihre James-Sadler-Teekanne ab und ging nach dem Rechten sehen.

Allein fühlte sich C.F.Wong wohler. Noch einmal ließ er den Blick durchs Zimmer wandern.

Die hundertsechzig Quadratmeter große Wohnung lag in einem in mehrere Apartments unterteilten Haus im ländlichen Abschnitt an Singapurs Ridley Park. Sie wirkte absolut vollkommen. Die neuen Eigentümer hatten sie ja auch mit Bedacht aufgrund ihrer günstigen Lage gewählt. Das Gebäude stand an einem sanften Abhang auf einem Grundstück, von dem aus man ein altes malaiisches »Black and White«-Haus sehen konnte. Vorn sorgte ein offenes Areal für genügend Atemluft, und das Gebäude selbst war gefällig, wenn auch etwas einfallslos in mehrere Rechtecke über drei Etagen unterteilt. Dennoch – irgendetwas stimmte einfach nicht.

»Muss nachdenken«, sagte der Fengshui-Meister und ließ sich auf einen Sitz auf dem kleinen Balkon fallen, der den Blick auf einen geschmackvoll angelegten, chinesischen Garten freigab.

Nach den technischen Voraussetzungen der alten Lehre von der geografischen Positionierung stand hier alles bestens. Bei dem Häuserblock handelte es sich um einen rechteckigen Bau auf einem fast quadratischen Fundament. Mit seiner nach Südwesten ausgerichteten Haustür gehörte er zur Kun-Kategorie. Das Wohnzimmer lag vom Mittelpunkt aus direkt nach Westen zu. Dies war eine der gedeihlicheren Richtungen für den zentralen Wohnbereich. Man nannte sie die Richtung des Himmlischen Arztes.

Eine Störung wurde möglicherweise durch den Chi-Strom verursacht, der aus der Küche in das direkt gegenüberliegende Gästeschlafzimmer floss. Doch das war kein so ernstes Problem, als dass man es nicht durch ein paar passende, sorgfältig angebrachte Gegenstände abwenden konnte, die dann jeden allzu heftigen Ansturm der Wasser- oder Feuerenergie auffangen und umlenken würden.

Der lachsfarbene Anstrich, den die Hausherrin für das zentrale Wohnzimmer ausgesucht hatte, würde zwar nicht jedem gefallen, doch Wong erkannte, dass der Farbton zu ihr passte. Calida »Cady« Tsai-Leibler, eine aus Hongkong stammende Chefsekretärin, verheiratet mit einem Zahnarzt aus New York, hatte Holz als persönliches Element und war im Zeichen der Ziege1 geboren.

»Mutyek si?«, seufzte er und klopfte sich mit den Fingerknöcheln gegen die Schläfen. Was war hier los?

Seit drei Wochen gehörte die Wohnung der Familie, doch erst vor zwei Tagen war sie eingezogen. Obwohl man schon etliche Möbel ausgepackt und aufgestellt hatte, war der zentrale Wohnbereich erfreulich frei geblieben. Angenehm berührt nahm Wong zur Kenntnis, dass Mrs. Tsai-Leibler sich für eine offene Inneneinrichtung im amerikanischen Stil entschieden hatte, statt das in Hongkonger Wohnungen übliche gedrängte, jeden Zentimeter ausnutzende Arrangement zu wählen. So wie die Wohnung jetzt vor ihm lag, gab es darin mehrere günstige Passagen, durch die das Chi frei strömen und sich sammeln konnte. Was also störte?

Die Tür eines Zimmers, in dem man unausgepackte Umzugskartons stapelte, flog auf, und Mrs. Tsai-Leiblers Ehemann trat ins Wohnzimmer. Es war ein großer, unfreundlich dreinblickender Mensch mit umdüsterter Stirn, dessen Anwesenheit das Zimmer sofort zu klein wirken ließ.

»Fertig?«, knurrte Gibson Leibler. Diese Frage richtete er an seine Frau, nicht an den Fengshui-Meister, und seine Miene drückte aus: Will ich doch hoffen.

»Mr. Wong schaut sich nur noch ein letztes Mal um«, piepste die auf einmal recht unruhige Cady Tsai-Leibler.

Dr. Leibler, der immer noch seine Frau anblickte, sagte kurz: »Also ich finde die Wohnung prima.« Ein Unterton ließ klar erkennen, dass nur seine Meinung zählte.

»Sie ist größtenteils in Ordnung, ja?«, sagte die demütige Frau mit einem an Wong gerichteten Flehen in der Stimme. »Ich meine, vielleicht gibts irgendeine Kleinigkeit, die wir richten müssen. Aber meistens ist alles okay …« Sie verlor den Faden. Seit ihr Ehepartner den Raum betreten hatte, schien sie um einige Zentimeter geschrumpft zu sein.

Der Fengshui-Meister ahnte, dass seine Anwesenheit den Ehemann störte und dass er seine Einschätzung so bald wie möglich abschließen sollte.

Dr. Leibler, ein hoch gewachsener, übergewichtiger Mann Mitte dreißig, drehte sich um und sah Wong an. »Ich finde, dass die Wohnung in Ordnung ist, Mr. Fengshui-Mann«, sagte er. »Was meinen Sie?«

»So nett«, sagte Wong, der, plötzlich nervös, wie die Spielzeugfigur auf einem Armaturenbrett nickte. »Sauber, hell, ganz gut.«

»Na, dann brauchen wir ja auch nichts zu verändern.« In seiner Stimme lag nur noch ein leises Grollen.

War es eine Frage gewesen? Wong spähte nach dem Gesichtsausdruck des Mannes und begriff, dass dieser eine Tatsache verkündet hatte.

»Mr. Wong mag die Wohnung«, flötete die Frau des Zahnchirurgen. »Er findet sie gut, größtenteils.« Die letzten Worte hauchte sie fast.

Der Fengshui-Meister nickte wieder. Dann beugte er den Kopf zur Seite. »Nur etwas ist falsch.«

Dr. Leiblers Gesichtsmuskeln fielen in sich zusammen, sodass das gekünstelte, angedeutete Lächeln verschwand. »Und was, wenn man fragen darf?« Sein Brustkorb spannte sich.

»Ich weiß nicht«, sagte der Geomant2 mit einem hilflosen Blick in die Runde.

Ein offensichtlicher Nachteil dieser Wohnung waren die Gitter vor den Fenstern, die sie wie ein komfortables Gefängnis wirken ließen. Natürlich wusste Wong, dass in Singapur einsam gelegene Häuser als bevorzugtes Ziel fassadenkletternder Einbrecher galten. Der vorige Eigentümer hatte an allen Fenstern Eisenstäbe und vor der Wohnungstür eine Stahlgitterpforte anbringen lassen. Solche Vorkehrungen waren jedoch im sicherheitsorientierten Stadtstaat durchaus an der Tagesordnung, sodass die Bürger sie keineswegs als hässlich oder fragwürdig empfanden.

Zahlen schwirrten dem Fengshui-Meister durch den Kopf. Er hatte früher schon die Geburtsdaten von Mrs. Tsai-Leibler, ihrem Mann und deren Kind mit dem Bautermin des Anwesens verglichen. Es war ja für hiesige Verhältnisse ein ungewöhnlich altes Gebäude: Als Neubau in den Fünfzigerjahren errichtet, hatte man es 1972 und nochmals 1991 beträchtlich umgestaltet. Dennoch ergaben sich aus den Daten keine Unstimmigkeiten, die sich nicht mit einigen unbedeutenden praktischen Maßnahmen ausgleichen ließen.

Im Übrigen hielt sich in der Wohnung noch eine junge, grüblerisch wirkende Frau aus Hongkong namens Madeleine auf, die ihm als Mrs. Tsai-Leiblers Kusine vorgestellt worden war. Obwohl es hieß, dass sie nur eine Woche bleiben würde, hatte er auch ihre persönlichen Daten einer gründlichen Analyse unterzogen und nichts gefunden, was zu den Daten des Wohneigentums im Widerspruch stand.

Kurz – selten genug fand sich eine Wohnung, die wirklich perfekt zu einer Familie passte, doch diese hier kam dem nahe.

Allerdings blieb er sich der unbequemen Tatsache bewusst, dass es für jede Einschätzung einer Behausung stets zwei wichtige Aspekte gab: die technische und die immaterielle, nichttechnische Analyse. Für erstere verwendete er seine Loban3, dazu Bücher, Tabellen, Magneten und genaue Studien des Gebäudegrundrisses und des Lageplans der Umgebung.

Die zweite aber war leichter und viel schwieriger zugleich. Sie wurde ohne Hilfsmittel vorgenommen und bestand im Abwägen der Festigung eines Lebensraums. Hierfür stand einem Fengshui-Meister keine anderes Werkzeug als sein eigener Verstand zur Verfügung. War das Heim still? War es unruhig? War es neu oder schon älter? War es leer oder bewohnt? Stand es bereit? Würde der Mensch, der es nutzen wollte, sich darin wohl fühlen? Bewohner und Wohnung mussten auf dieselbe Tonlage gestimmt, auf dieselbe Wellenlänge eingestellt sein. Leider besaßen nur wenige Menschen ein bewusstes Gespür für die Signale, die das innere Selbst aussendet, ganz zu schweigen von der Fähigkeit, das spirituelle Wesen ihres Heims oder Büros zu erfassen. Daher war es an ihm, diese Dinge für seine Klienten aufzuspüren, und zwar in Rekordtempo während weniger kurzer Besuche – grundsätzlich schon einmal keine leichte Aufgabe.

»Eine winzige Kleinigkeit stimmt vielleicht nicht, ja?«, half ihm die immer noch schrumpfende Mrs. Tsai-Leibler nach. »Gefallen Ihnen die lachsfarbenen Wände nicht? Das kann ich ändern. Zuerst hatte ich sowieso an lindgrün gedacht. Wäre das besser, lindgrün?«

»Farbe ist kein Problem, Mrs. Tsai-Leibler«, sagte Wong, den das seltsame Gefühl beschlich, dass die Frau regelrecht durchsichtig zu werden begann.

»Rosa? Beige?«, schlug sie vor und sprach es in ihrem Hongkong-Akzent »bietsch« aus. Ihr lag eindeutig daran, die Sitzung zu beenden.

Wong spähte in die Runde. Wo steckte denn bloß die Störung? Bei der Beleuchtung? Jetzt am späten Nachmittag fielen helle, wenn auch diffuse Strahlen der glühend heißen tropischen Sonne durch die Balkontüren ins Wohnzimmer und durch das Panoramafenster ins Schlafzimmer. Der Einfallswinkel war jedoch steil genug, sodass das blendende Licht kaum weiter als etwa zwei Meter in den zentralen Bereich mit der Sitzgruppe reichte. Diese Wohnung nahm Sonnenschein auf, ohne ihn zu stauen. Nein, auch die Beleuchtung war kein Problem.

Hatte er etwa doch draußen etwas übersehen? Zum zwanzigsten Mal suchte er den Horizont ab. Wenngleich kein deutlich erkennbarer geologischer Drache das Anwesen schützte, lag doch auch kein absolut negativer Faktor vor. Da gab es das nach Westen zu stehende alte schwarzweiße Haus, dazu eine üppige Vegetation mit einigen besonders stattlichen Obstbäumen direkt gegenüber und im Osten. Eine so prächtige Aussicht konnte dieses Heim nur bereichern. Die Widrigkeit kam nicht von außen!

»Mr. Wong hat bemerkt, dass der Küchenhahn leckt und der Duschkopf tröpfelt«, sagte Mrs. Tsai-Leibler, um das unbehagliche Schweigen zu brechen.

Ihr Mann verschränkte die Arme. »Das heißt wohl, dass Geld oder Glück davonfließt«, polterte er mit höhnischem Unterton. »Sollen wir nun also einen Goldfisch ins Bad stellen? Was macht ein Fengshui-Mann, wenn sein Wasserhahn tropft?«

»Holt einen Klempner«, antwortete Wong.

Der Zahnchirurg fixierte den Besucher. Offenbar versuchte er sich darüber klar zu werden, ob man ihn auf den Arm nahm. Doch die Züge des Geomanten ließen keine Gefühlsregung erkennen.

»Zwei Glühbirnen in der Wohnung sind ausgebrannt, und die Tür zum Gästezimmer klemmt«, fügte die Hausherrin zaghaft hinzu. »Und eine Steckdose hat keinen Strom.«

Ihr Mann blickte finster. »Um das zu merken, braucht man keinen Fengshui-Berater. Dazu reicht gesunder Menschenverstand.«

»Na ja, schon vor Wochen hast du gesagt, du würdest alle diese Sachen in Ordnung bringen, aber bis heute hast du nichts gemacht«, parierte sie schnippisch und erstaunlich aufbrausend.

»Ich hatte zu tun«, gab der große Mann bockig zurück. »Das hätte ich schon noch erledigt.«

»Sechs Wochen hast du gebraucht, bis du endlich die Glühbirnen in Mellys altem Zimmer ausgewechselt hattest. Und dann hast du auch noch die falschen gebracht!«

»Ich bin ein viel beschäftigter Mann.«

Wong mischte sich ein: »Ich kann einen Handwerker besorgen, der Steckdose repariert und Glühbirnen anbringt. Klempner auch, wenn Sie wollen.«

Dr. Leibler nahm keine Notiz von ihm, denn seine Feindseligkeit hatte sich auf seine zierliche Ehefrau verlagert.

Der Geomant plapperte weiter: »Manche Fengshui-Beratung ist wie gesunder Menschenverstand. Wenn Ihre Umwelt nicht klappt, wenn zum Beispiel Türen in Ihrer Wohnung klemmen, dann klemmt vielleicht auch Tür zu Ihren Möglichkeiten, Sie verstehen? Reparieren Sie Wasserhähne bei sich zu Hause, dann ändern Sie auch Ihre Einstellung, können metaphorisch leckende Hähne in Ihrem Leben abdichten, straffere Kontrolle gewinnen, verstehen Sie oder nicht? Bei Fengshui handelt es sich zum Teil um innere Einstellung. Geht darum, Kontrolle zu übernehmen. Wenn Sie Kontrolle über Ihre materielle Umwelt haben, führt dazu, dass Sie über immaterielle Elemente in Ihrem Leben auch Kontrolle bekommen. Alles klar oder nein?«

Der Zahnarzt wandte sich um und fasste den Geomanten scharf ins Auge. Offensichtlich hatte ihn eine derart lange Ansprache seines asketischen, wortkargen Besuchers verblüfft. Die Unterbrechung brachte den Streit denn auch zum Stillstand.

»Wir wollen Tee trinken«, sagte Mrs. Tsai-Leibler im Bemühen, das Thema zu wechseln. »Dabei können wir uns alle entspannen. Danach kommen wir dann zum Abschluss.« Mit großen Augen bat sie ihren Mann um Zustimmung.

Gibson Leibler verzog angesichts des Teetabletts das Gesicht, ging in die Küche und kam mit einer geöffneten, eisgekühlten Flasche Anchor-Bier zurück.

Wong betrachtete die süßlich duftende Flüssigkeit in der Tasse, die sie ihm gereicht hatte. Als Tee würde er das nicht bezeichnen!

Seine Gastgeberin hatte es bemerkt. »Tut mir Leid. Wir haben keinen grünen Tee. Dies ist Früchtetee. In Amerika sehr beliebt. Mango-Kiwi-Ingwer-Geschmack. Er wird Ihnen schmecken.«

Der Geomant roch an dem Tee – und blickte plötzlich lächelnd auf. »Ich habs!«

»Sie haben Mango-Kiwi-Ingwer-Tee?«

»Ich hab die Antwort!«, sagte der Fengshui-Meister, setzte seine Tasse ab und sprang auf.

Dr. Leibler nahm den unwillkommenen Besucher ins Visier.

Wong schmunzelte. Die Wohnung roch falsch! Ein kaum wahrnehmbarer Geruch hing im Gebäude. Und es war der falsche Geruch, ein übler, ein böser Geruch, eine leise, aber unangenehme Duftmarke, die die vollkommene Harmonie des Ortes störte.

Er schritt durchs Wohnzimmer und witterte mit seiner breiten, flachen Nase nach der Herkunft der Störung.

»Haben Sie herausgefunden, was mit der Wohnung nicht stimmt?«, fragte Mrs. Tsai-Leibler mit neu erwachtem Interesse.

»Ja«, sagte Wong, über dessen Züge sich ein strahlendes Lächeln der Erleichterung breitete. Rätsel gelöst – und eben noch rechtzeitig! Er atmete tief ein, um seinen Verdacht zu erhärten, und nahm eine feine, aber unverkennbare Mischung wahr: das betäubende Aroma von etwas wie Petroleum, den beißenden Gestank schwelender Materie und einen säuerlichen Aschegeruch.

»Das Haus brennt«, erklärte er.

»Du meine Güte!«, rief Mrs. Tsai-Leibler. Die Designer-Teekanne fiel ihr aus der Hand und zerschlug am Boden.

Dr. Gibson Leibler fuhr hoch. Nachdem er einmal kurz geschnüffelt hatte, raste er an die Tür, riss sie auf – und zog seine Finger heftig vom heißen Griff zurück. Fast im selben Moment krochen Flammen an beiden Seiten der Tür hoch. Er sprudelte wüste Flüche hervor.

»Nicht!«, schimpfte Cady Tsai-Leibler. »Melly kann dich ja hören!«

Wong starrte nur. Die Flammen kamen aus durchtränkten Lumpen, die man quer vor die Wohnungstür gelegt hatte.

Entsetzt sah der Fengshui-Meister, wie eine üble Flüssigkeit langsam von der Tür aus über den Boden rann. Dr. Leibler sprang unbeholfen zurück. Eindeutig hatte erst vor wenigen Minuten jemand den Inhalt eines mit hochentflammbarem Öl gefüllten Kanisters unter der Tür ausgeschüttet, dann die Lumpen in die schmale Öffnung gestopft und angezündet.

Als sie noch gebannt zusahen, explodierte die anschwellende Lache plötzlich in einer Flammengarbe, die sich langsam wie Lava auf sie zuschob. Im Nu wurde es sengend heiß im Zimmer.

»Mammiii!«, schrie Melody, die hereingekommen war und in die Arme ihrer Mutter flog.

Cady Tsai-Leibler kreischte noch lauter als ihre Tochter. Sie rannte zum Balkon und hielt dabei ihr großes Kind mit beiden Händen umklammert.

Dr. Leibler fluchte wieder und stapfte rückwärts vom Feuer weg. »Wo ist der Feuerlöscher?«, tobte er.

»Hat kein«, schrie seine Frau, die in ihrer Panik in ihren gebrochenen Hongkong-Akzent verfiel. »Warte! Draußen ist einer.«

Es war überhaupt nicht daran zu denken, bis zur Wohnungstür, geschweige denn bis nach draußen ins Treppenhaus zu gelangen.

»Ruf die Feuerwehr!«, brüllte ihr Mann. »Dann lauft durch die Hintertür raus. Ich seh mich nach einem Eimer oder so was um.« Er stürmte in die Küche und riss sämtliche Schranktüren auf.

»Die Feuerwehr anrufen«, sagte Mrs. Tsai-Leibler laut vor sich hin, ließ das Kind fallen und griff nach dem Telefon auf einem Beistelltisch. Es funktionierte nicht. Nun kramte sie atemlos in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. Mit vor Schreck zitternden Fingern tippte sie die Rufnummer ein. Zweimal musste sie den kleinen Bildschirm wieder löschen und neu wählen. Schließlich war sie verbunden und schrie die Adresse durch. »Schnell, schnell! Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Mit plötzlich tränenfeuchtem Gesicht blickte sie den Fengshui-Meister an. »Ich glaub, sie schaffen es nicht rechtzeitig. Keine Straße durch den Vordergarten, nur ein schmaler Fußweg. Wir müssen zum Fenster raus oder was. Aijaaaah!«

Doch die Fenster waren vergittert. Als einzige Öffnung blieb der Balkon – aber da man sich im dritten Stock befand, würde es für einen Sprung wohl zu tief sein.

Madeleine Tsai, der junge Hausgast, wankte leicht benommen ins Zimmer. Sie hatte offensichtlich geschlafen, obwohl es schon auf den Abend zuging.

»Das Haus brennt!«, kreischte Cady.

Ihre Kusine, ein älterer Teenager, wirkte seltsam unbeteiligt angesichts der Feuersbrunst. Ruhig ging sie zur Tür, kam auf knapp einen Meter in Reichweite der Flammen und holte sich ihre Schultertasche.

Nimmt Drogen, stellte Wong fest. Ausgetrocknete Haut.

Nun kam Dr. Leibler ins Wohnzimmer zurück. Krachend stieß seine massige Gestalt gegen den Rahmen der Küchentür. »Nichts, womit man das Feuer löschen kann. Wir müssen alle zur Hintertür raus.« Er sah seine Frau und das Kind an, die beide starr vor Angst waren. Schreiend fügte er hinzu: »Habt ihr gehört? Sofort!«

Cady Tsai-Leibler und C.F.Wong warfen sich einen Blick zu. Niemand mochte dem zornigen Mann die schlechte Nachricht überbringen. Die Frau aus Hongkong fand als Erste die Sprache wieder. »Wohnungen wie diese haben keine Hintertür. Hast du das nicht gemerkt?«

Ihr Mann reagierte unerwartet sanft. Ruhig sagte er: »Okay. Packt eure Wertsachen zusammen. Wir springen vom Balkon, wenn die Feuerwehr kommt.«

Cady hastete durchs Zimmer, steckte ihr Handy in die Tasche, die sie sich über die Schulter warf, und suchte dann nach ihren Schuhen.

»Mein Rucksack, mein Rucksack, mein Rucksack!«, plärrte Melody, der man befohlen hatte, auf dem Balkon stehen zu bleiben. Sie hüpfte auf und ab und zeigte auf einen Winkel des Zimmers, wo ein rosa Rucksack mit Pu-Bär-Motiv an der Wand lehnte.

Tapfer den Flammen trotzend, schnappte ihre Mutter den Beutel und warf ihn auf den Balkon. Das Kind zog sofort den oberen Reißverschluss auf und sah trostlos aus. »Mein Miffy-Federkasten ist nicht drin.«

»Raus mit dir!«, brüllte ihr Vater.

»Ich mag aber meinen Miffy-Feeeeederkasten«, winselte die Kleine und brach in Tränen aus. »Ich will ihn haaaaaben!«

Ihre Mutter entdeckte die fehlende Schachtel unter einem Sessel. »Hier!«, rief sie und warf sie der Tochter zu.

Das Kind drückte sie an sich und begann heftig zu weinen. »Ich will nach Haus!«, heulte es.

Madeleine Tsai stand auf dem Balkon und beobachtete von dort aus das Chaos. »Aijaah!«, hauchte sie. Erst allmählich schien ihr zu dämmern, was sich da abspielte.

»Tun Sie doch was, Mr. Wong!«, schrie Mrs. Tsai-Leibler. Die Hitze nahm ständig zu.

»Mach ich, mach ich«, sagte Wong. Er kramte in einem unordentlichen Stapel auf dem Tisch. »Muss meine Unterlagen finden.«

»Lassen Sie Ihre Unterlagen. Retten Sie sich. Retten Sie uns!«

Sie hetzte ins Schlafzimmer. Sekunden später kam sie wieder heraus, beide Arme voller Seidenkleider. Sie eilte zu den Schiebetüren und warf alles vom Balkon.

»Hast du irgendwo ein Hello-Kitty-Täschchen gesehen?«

»Lass doch jetzt den blöden Kinderkram«, tobte ihr Mann.

»Nicht Melodys«, sagte Mrs. Tsai-Leibler. »Meins.«

»O Gott!«, stöhnte der Amerikaner.

Stetig breitete sich das Feuer im Wohnzimmer weiter aus.

»Wir müssen springen!«, kreischte sie.

»Nein«, sagte Wong. »Sie verletzen sich nur. Bleiben Sie da.«

»Wenn wir bleiben, werden wir gebraten«, sagte ihr Mann.

Wie auf ein Stichwort begann ein Stuhl neben der Wohnungstür lodernd zu brennen. Auch an einem kleinen Teppich in der Mitte des Zimmers züngelten bereits Flammen.

»Wo ist meine Digitalkamera?«, donnerte Gibson Leibler.

»Und mein Schmuckkästchen?«, sprudelte seine Frau.

»Mein Computer! Ich muss die Festplatte retten. Und mein Laptop, wo steckt mein Laptop, verdammt noch mal?«

Die Eheleute starrten sich an.

»Muss meine Papiere finden«, sagte Wong. Er war der festen Überzeugung, sie auf den Esstisch gelegt zu haben, aber von dort waren sie verschwunden.

»Lassen Sie doch die Zettel!«, rief Mrs. Tsai-Leibler. »Holen Sie wichtige Sachen.« Dann besann sie sich und sagte zu Wong: »Ich hab sie auf den Sessel da getan, um Platz für die Teekanne zu schaffen.«

»Der Kerl ist übergeschnappt!«, sagte Dr. Leibler, der geistesabwesend einen Hammer gepackt hielt, um gegen das Feuer anzugehen, bis er merkte, dass ihm der nichts nützte.

Wong fand seine Unterlagen auf dem Sessel. Er setzte sich und blätterte sie Seite für Seite durch.

Sie hatten nun wirklich nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Dr. Leibler entwickelte einen Plan. »Also, der Alte springt zuerst auf den Balkon unter uns«, ordnete er an. »Du hältst Melly, und ich lass euch beide vorsichtig zu ihm runter.«

Doch angesichts der knochendürren Arme des Fengshui-Meisters änderte er seine Meinung. »Der schafft es nicht, euch aufzufangen. Besser spring ich zuerst und nehme euch entgegen. Oder Madeleine. Einer von euch lässt dann Melly runter. Was glauben Sie – könnten Sie die Kleine halten? Wäre sie Ihnen nicht zu schwer, Mr. Wong? Vielleicht springt doch erst Madeleine.«

»Scht!«, sagte Wong. »Ich lese.«

Als Mrs. Tsai-Leibler die Balkontüren öffnete, um zu ihrem Kind hinauszutreten, fauchten die Flammen lichterloh empor. Es wurde siedend heiß.

Fassungslos starrte Gibson Leibler auf Wong hinab. »Kapieren Sie denn überhaupt nicht, was hier los ist? Wenn wir nicht sofort aus dieser Wohnung verschwinden, kommen wir um. Wir sind tot! Sterben ist ja wohl ganz schlechtes Fengshui, Mr. Wong, was?«

Wong wendete ein Blatt Papier um und lächelte: »Gefunden!«

Mit dem Blatt in der Hand wanderte er mitten durch das brennende Wohnzimmer. Über das Prasseln des Feuers hinweg rief er: »Diese Wohnung muss zum Kun-Typ gerechnet werden, denn sie liegt nach Südwest. Aber Wasserquellen kommen von Süd. Wirklich genau hier.«

»Übergeschnappt«, wiederholte Dr. Leibler, »komplett!«

Der Fengshui-Meister zeigte auf die Wand und murmelte auf Kantonesisch einige Ziffern vor sich hin, bis er ausgerechnet hatte, dass sich die Stelle, die er suchte, von der Ecke aus einen Meter fünfzig nach links befand.

Dann nahm er den Hammer, den der Zahnarzt weggelegt hatte, und schwang ihn gegen einen balkenartigen Vorsprung zwischen Wand und Zimmerdecke. Der Schlag hatte so gut wie keine Wirkung. Erneut holte er aus, und diesmal krachte es dumpf im lachsfarbenen Anstrich. Nach einem dritten, noch heftigeren Schlag bröckelten etliche Zentimeter rote Grundierung und weißer Gips herunter. Beim vierten hörte man, wie Metall auf Plastik traf. Nach dem fünften gab es ein feines Zirpen – er hatte ein Rohr angeknackst. Der sechste brach das Rohr auf, sodass ein Wasserstrahl aus der Wand spritzte, der Wong im Nu durchnässt hatte. Der brennende Läufer hinter ihm zischte, als ein paar Tropfen in die Flammen sprühten.

Wong hämmerte weiter gegen das Rohr, bis sich ein Sturzbach ins Zimmer ergoss.

Montag

Ein Toter begeht ein Verbrechen

Kürzlich, vor dreitausend Jahren, lebte in China ein auf dem Wasser treibendes Volk. Es wohnte über den Fluten und speiste mit dem Wind. Jede Familie hauste auf einer Rampe in einer Bucht. Wenn ein Knabe erwachsen wurde, stellte er sich an den Rand seiner Rampe und rief. Das Mädchen, das er liebte, rief zurück. Dann baute er zwischen seiner und ihrer Rampe eine Brücke. Hatte seine Familie das Mädchen gern, so half sie ihm beim Bau der Brücke. Die Wohnstätten wurden verbunden, und beide Familien vereinigten sich.

Eines Tages hörte ein Jüngling des auf dem Wasser treibenden Volks von jenseits des Horizonts ein Flüstern. Es kam von einem weit entfernten Mädchen. Lange riefen sie einander zu. Dann wollten sie heiraten.

Seine Familie sagte Nein. Das Mädchen gehörte einem andern Volk an und lebte zu weit entfernt.

Doch der Jüngling hatte sich entschieden. Er machte sich an den Bau einer Brücke bis zum Horizont. Er grub tief in den Meeresgrund, um ein festes Fundament zu legen.

Seine Familie half ihm nicht. Sie sagte, die Tradition, sich mit Nachbarn zu verheiraten, würde die Gemeinschaft stärken.

Seine Brücke nannte sie »Flüsterbrücke«. Sie befahl ihm innezuhalten.

Aber er hörte nicht auf sie. Acht Jahre lang baute er an seiner Brücke. Als er fertig war, begegnete er dem Mädchen, das ihm von jenseits des Horizonts zugeflüstert hatte, und sie wurden auf der großen Brücke vermählt.

Im folgenden Jahr erhob sich ein gewaltiger Sturm. Er zerstörte die Rampen mit den Wohnstätten des auf dem Wasser treibenden Volks.

Die Flüsterbrücke aber blieb stehen.

So geht es auch uns, Grashalm. Was mit langer Mühe aufgebaut wird, lässt sich auch nur langsam zerstören. Etwas zu tun, das sich eigentlich nicht tun lässt, ist schwierig. Hat man es aber erst geschafft, kann man es auch nicht mehr ungeschehen machen. Willst du sichergehen, dass eine alte Tradition ihre Wirksamkeit behält – dann ändere sie.

(Gesammelte Sprüche östlicher Weisheit, von C.F.Wong, Teil 342)

C.F.Wong blies über das Papier, um die Tinte zu trocknen. Er saß an seinem Schreibtisch und schrieb in sein Notizbuch. Für das Kapitel, das er derzeit bearbeitete, stellte er aus den Schriften der alten Weisen Anekdoten zusammen, worin es um geniale Lösungen schwieriger Probleme ging. Ab und zu blickte er auf und schaute aus dem Fenster. Es war früher Morgen in Singapurs City.

Während der Stoßzeit schwoll das ständige Summen des Verkehrs auf der Church Street und der Cross Street zu nervenaufreibendem Getöse an. Rumpelnd schoben sich Doppeldeckerbusse voran, die alle paar Schritte mit den Bremsen quietschten und wieder anfuhren. Viele Fahrzeuge waren ständig überhitzt. Das Sirren ihrer automatischen Kühlanlagen fügte dem Lärm schrille Obertöne hinzu. Taxis schlängelten sich von einer Spur auf die andere und wurden immer wieder, quer auf dem Trennstrich stehend, eingekeilt. Die Motoren vibrierten, die Fahrer gähnten.

Einen seltenen Kontrast bildeten Privatwagen, ausnahmslos deutsche Fabrikate, in denen leitende Angestellte ins Büro fuhren. Der Luxus der meist nagelneuen Limousinen hob sich drastisch von der Masse der Verkehrsteilnehmer in den Nebenstraßen ab: hageren älteren Männern in schmutzigen Unterhemden, die auf Fahrrädern Körbe voll zappelnder Fische fürs Mittagessen in die Werkkantinen brachten.

Regelmäßig, etwa alle zwei Minuten, stieg der Geräuschpegel weiter an, wenn die Ampeln auf Grün schalteten und aus den Querstraßen weitere Fahrzeuge in die längst verstopfte Ringstraße drängten. Dann schwoll das Getöse zu einer derart höllischen Kakofonie an, dass Fußgänger kaum noch ihr eigenes Wort verstanden. Nur hin und wieder, wenn der Lärm ein wenig nachließ, bildete das Ticka-ticka-ticka der Fußgängerampeln einen hellen Kontrapunkt über dem allgemeinen dumpfen Brausen.

Singapurs zentrales Geschäftsviertel, eine Reihe steil aufragender Schluchten, sorgte von seiner Struktur her dafür, dass der Morgenverkehr in Wellen eintraf. Manche Kreuzung wurde rasch zu einer Falle, in der man gefangen saß und in der blendenden Sonne schmorte. Andere Abschnitte lagen noch in dunstigem Schatten, beleuchtet vom Widerschein blasser Beton- und Glasfassaden. Vor dem stärker werdenden Tageslicht nahm man die höheren Wolkenkratzer mit ihrem Spiegelglas nur als graue Umrisse wahr, wenigstens bis gegen zehn Uhr. Um diese Zeit saßen dann die meisten Leute in ihren Büros, und Ruhe – relativ gesprochen – kehrte in die Straßen der Löwenstadt ein.

Zur Zeit der Nördlichen Song-Dynastie (960–1279) stritten zwei Herrscherfamilien um einen Besitz. Beide hatten teil an einer großen Erbschaft.

Einer der Fürsten ging zum Obersten Minister Zhang Qixian und sprach: »Der Anteil meines Bruders ist größer als meiner. Ich habe ein Verzeichnis dessen, was mir gehört. Es beweist, dass ich die Wahrheit sage.«

Doch der Bruder des Mannes ging ebenfalls zum Obersten Minister Zhang Qixian. Er sprach: »Das Gegenteil ist wahr. Meines Bruders Anteil ist größer als meiner. Ich habe ein Verzeichnis meines Besitzes. Es beweist, dass ich die Wahrheit sage.«

Zhang Qixian nahm die beiden Verzeichnisse, prüfte sie und verglich sie miteinander.

Die streitenden Brüder warteten und lauerten.

Da kratzte Zhang die Namen am Ende der Schriftrollen heraus. Er trug jeweils den Namen des anderen Bruders ein.

Er gab die Verzeichnisse zurück. Zum ersten Bruder sprach er: »Nun habt Ihr mehr als Euer Bruder.« Und zum andern Bruder sprach er: »Auch Ihr habt mehr als der Eurige.«

Wenn du eine Schlacht dadurch gewinnen kannst, dass du die Pfeile deines Gegners hinnimmst, Grashalm, dann wird dein Sieg von allen Seiten unantastbar sein.

(Gesammelte Sprüche östlicher Weisheit, von C.F.Wong, Teil 343)

Er schrieb fieberhaft, da er wusste, wie selten und knapp bemessen die Augenblicke kreativer Ruhe waren, hier im Büro seiner Firma C.F.Wong & Co. in der Telok Ayer Street. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass es zehn nach zehn war. Seit fast drei Stunden hatte er allein und ungestört gearbeitet. Wie waren die Götter ihm gnädig, dass sie ihn mit Personal segneten, welches ständig zu spät kam. Möge es seinen Gewohnheiten noch lange treu bleiben! Er legte die Hände aneinander und verneigte sich kurz und dankbar in Richtung des nächsten Tempels, der ein paar hundert Meter südlich seines Bürohauses stand. Obgleich nicht wirklich fromm, hielt Wong doch äußerlich gewisse daoistische Rituale ein, die er als Kind in Baiwan, einem Dorf in der chinesischen Provinz Guangdong, gelernt hatte. An keinem Tempel, selbst wenn er auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, konnte er ohne eine rasche Verbeugung und ein flüchtiges Winken mit zusammengelegten Händen vorbeigehen.

Zehn Uhr vorbei! Er blickte kurz aus dem Fenster und blinzelte. Nächstens würde Winnie Lim, die in Personalunion als seine Empfangsdame, Sekretärin, Schreibkraft und Bürovorsteherin wirkte, wohl den ganzen Vormittag schwänzen – oder gar nicht erscheinen. Wie hieß es doch gleich auf Englisch? Awol.4 Oder war das eine Art Vogel?

Dann gab es da noch diese albtraumhafte Praktikantin, die ihm sein Chef Mr. Pun vor einigen Monaten aufgedrängt hatte. Nie würde er den grauenhaften Tag vergessen, als die schlaksige junge Ausländerin in seinem Büro aufkreuzte und einen bizarren, unverständlichen Dialekt sprach. »Also mein Pappi, ja? Der dann so: ›Mein Kumpel Mr. Pun hat ʼnen echten Fäng-Schuh-i-Meister5 an der Hand, bei dem kannst du drei Monate jobben‹, und ich dann so: ›Boh ey!‹«, hatte sie gesagt.

Es hatte lange gedauert, bis er einigermaßen mit Joyce McQuinnie kommunizieren konnte. Sie stammte von britisch-australischen Eltern ab, doch sie drückte sich nur in einem abstrusen Kauderwelsch namens »Teenager« aus. Ein früher Durchbruch war ihm gelungen, als er begriff, dass sie statt Ja »egal« sagte. Erst kürzlich hatte er herausgefunden, dass ihr Wort für Nein »als ob« lautete.

Bei ihrer Ankunft in der Telok Ayer Street hatte sie als Erstes ihren Schreibtisch und ihren Stuhl umgeräumt, um mehr Licht zu bekommen. Wer außer einem extrem unsensiblen Menschen würde von sich aus das Mobiliar im Büro eines Fengshui-Meisters umstellen? Von da an hatte sie die meiste Zeit in diesem Jargon mit ihren Freundinnen telefoniert und dabei so gelacht, wie nur Männer lachen durften. Wenn sie sich im Büro aufhielt, fand er es praktisch unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn mit McQuinnie zu arbeiten.

Problematisch war aber nicht nur der Lärm, den sie verbreitete. Jeden Vormittag gegen elf verschwand sie für zehn Minuten und kam mit einem Getränk zurück, das sie Latte nannte – einem Pappbecher voll Schaum, der das Büro nach bitterem Kaffee und Kuhmilch stinken ließ. Als wäre das nicht störend genug, schnupperte sie auch noch angeekelt nach dem würzigen Nasi kandar in seiner Lunchbox und rümpfte mit einem eindeutigen »Ääh!« die Nase. Sie selbst holte sich mittags Sandwiches, die dermaßen dick belegt waren, dass sie sie kaum in den Mund bekam. Fast jeden Nachmittag war ihr Schreibtisch buchstäblich übersät mit Salatfetzen – von rohem Salat, wohlgemerkt.

Doch das Schlimmste war, dass sie ihn unbedingt zu vielen seiner Aufträge begleiten musste. Ihr lautes und schrilles Auftreten – sie trug formlose Kleidung und viel zu viel Schmuck – machte seine Klienten nervös. Ein paar Mutige hatten versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ein Makler namens Tak hatte sich höflich nach ihren schulischen Erfolgen erkundigt, worauf sie geantwortet hatte: »Ach, das lief so weit okay, ich habs auch bis zur Oberstufe gepackt. Aber Pappi zog ja ständig wieder woanders hin, und da gings dann eben den Bach runter.«

Der alte Tak hatte Wong gefragt: »Den Bach runter? Ist das gutes Fengshui?«

Um eine Antwort verlegen, hatte Wong nur weise genickt.

Mit Schaudern erinnerte er sich an die frühen Verständigungsversuche. Dann ging ihm ein angenehmerer Gedanke durch den Kopf.

Wenn Winnie und Joyce verschwanden, stünden ihm ja genug Platz und Geldmittel für eine echte Hilfskraft zur Verfügung, jemanden, der ihm einen Teil seiner Arbeitslast abnahm, statt sie unerträglich zu erschweren. Dann könnte er das Büromobiliar umstellen und sich von der Schmach befreien, unter der er derzeit litt, nämlich als Fengshui-Berater in einem so entsetzlich schlecht eingerichteten Büro zu sitzen. Das würde gewiss seine Lebensgeister ankurbeln, ganz zu schweigen von seinen Einnahmen. Ach gib doch, dass Winnie und Joyce Awol sind! Unter diesem köstlichen Wunschbild, das ein schuldbewusstes Lächeln auf seine Lippen zauberte, wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.

Indem er seine Atmung verlangsamte, sammelte der Fengshui-Meister seine zerstreuten Gedanken und konzentrierte sich auf das Meisterwerk, an dem er seit mehreren Jahren arbeitete: den Band, der hoffentlich zu seiner ersten bedeutenden englischsprachigen Veröffentlichung werden würde. Dieses handgeschriebene Notizbuch, zerfleddert und voller Eselsohren, bildete seinen stolzesten Besitz. Auf zweihundert Seiten enthielt es Anekdoten und Zitate und war bereits über anderthalb Zentimeter dick. Doch es gab noch viel zu tun.

Um wieder in die Arbeit hineinzufinden, musste er zunächst alle ablenkenden Gedanken hinter sich lassen. Das würde kaum schwer fallen. Es war still im Büro. Die Wanduhr stand (was er bei einem Klienten nie geduldet hätte, denn eine stehende Uhr bedeutete einen inakzeptablen, negativen Fengshui-Faktor). Die Klimaanlage rasselte jämmerlich, doch nach vier Jahren störte ihn das nicht mehr. Der normalerweise tropfende Wasserkühler war ausgeschaltet, weil die Bürovorsteherin ihn seit zwei Wochen nicht gefüllt hatte. Vollkommener Friede, absolute Ruhe breiteten sich aus.

Die Worte seines Lieblingsdenkers Mo Di6 gingen Wong durch den Kopf. Ihm war, als hörte er die ruhige und doch klare Stimme des großen Weisen über die Kluft von zweieinhalb Jahrtausenden Geschichte hinweg. Ein paar herrliche Minuten lang war das Kratzen seines Federhalters auf dem Papier das einzige Geräusch im Büroraum.

Das war denn auch der Moment, den Winnie Lim für ihre Ankunft wählte.

»Aijaaah!«, schrie sie mit ihrer krächzenden Stimme, denn sie hatte die Tür so heftig aufgestoßen, dass diese von der Wand abprallte und gegen ihre noch vorgestreckte Hand schlug. Es gab ein Klirren, und in der Mattglasfüllung zeigte sich ein hell schimmernder Sprung.

»Aijaaah!«, rief Winnie wieder. »Glas bricht. Billiges Glas. Ich klage Sie!«

»Ich verklage Sie, weil Sie zu spät zur Arbeit kommen«, gab Wong zurück.

»Für das kann Sie nicht klagen.«

»Kann ich wohl. Ich nehme amerikanischen Freund. In Amerika kann man wegen all und jedem klagen.«

Wong dachte kurz darüber nach und fand, dass er Recht habe. Er zog sich in hilfloses Schweigen zurück. Winnie warf die Handtasche auf ihren Stuhl und verschwand, um den ersten Job des Tages zu erledigen: fünf Minuten lang in der Toilette ihr Make-up zu überprüfen – eine unnötige Mühe, da sie fast den ganzen Tag damit zubrachte, es in allen möglichen Stilvarianten neu aufzulegen.

Als sie hinausging, knallte sie wieder mit der Tür. Der leere Wasserkühler ratterte.

Wong schloss sein Notizbuch und legte es in die Schublade. Heute Vormittag würde er kaum noch weiterschreiben können.

Als die Bürovorsteherin zurückkam, hatte Wong den Vorsatz gefasst, wenigstens versuchsweise Herr der Lage zu werden. »Ich habe heute sehr viel zu tun. Sie müssen sich um Korrespondenz kümmern, Postausgang, Ablage, Anrufe. Ich muss dringend an meinem Buch arbeiten. Fast fertig«, log er.

Sie erstarrte, wandte sich ihm zu und maß ihn mit eisigem Blick, ohne ein Wort zu sagen.

Fest entschlossen, die Zügel, die er unbeholfen ergriffen hatte, fester anzuziehen, setzte sich Wong kerzengerade auf und blickte streng zurück. Er nahm sich vor, ihr eine detaillierte Liste mit den anstehenden Aufgaben zu schreiben, damit sie heute einmal etwas Nützliches leistete.

Sekundenlang starrten sie einander an. Dann nahm Winnie gelangweilt Platz und machte sich an ihrem Schreibtisch zu schaffen.

Der Fengshui-Meister beobachtete sie besorgt über ein Blatt Papier hinweg. Er gab vor, einen Brief zu lesen, doch er war zu verärgert, um auch nur ein einziges Wort aufzufassen.

Das Telefon klingelte. Klingelte nochmals. Und hörte nicht auf zu klingeln.

»Nehmen Sie ab!«, bellte Winnie. »Bin beschäftigt!« Er spähte hinüber und sah, dass sie gerade winzige Sticker mit Bildern von Popsängern auf ihre kirschroten Fingernägel klebte.

Er nahm den Hörer ab: »Hallo?«

»Guten Tag. Wer spricht, bitte?«, fragte eine Stimme.

»Sie sprechen«, antwortete der Geomant, der ohne moderne Technik aufgewachsen war und sich mit den Feinheiten der Telefon-Etikette noch immer schwer tat.

»Spreche ich mit Mr. Wong? Als ich letztes Mal anrief, hatten Sie eine Sekretärin, dachte ich.«

»Sie ist beschäftigt. Macht Bilder von Musikleuten auf ihre Finger.«

»Ach so«, sagte die Anruferin.

»Wer sind Sie?« Die Stimme klang vertraut.

»Hier Mrs. Tsai-Leibler.«

»Oh, Mrs. Tsai-Leibler! Wie geht es Ihnen? Alles okay? Geht es Ihnen jetzt besser? Ganz schrecklich, was am Samstag passiert ist. Heute alles okay?«

»Okay. Kann ich jetzt mit Ihnen sprechen, wäre das okay?«

»Okay. Worüber wollen Sie sprechen?«

»Das Feuer. Vom Samstag. Ich weiß, wer das getan hat. Ich weiß es genau.«

»Aha, Mrs. Tsai-Leibler, sehr interessant. Aber ich meine, besser Sie sagen es nicht mir. Besser, Sie erzählen es Polizei. Feuer ist doch sehr ernst. Sehr kriminell. Ganz und gar Sache für Polizei. Nicht für mich. Ich bin nur ein Fengshui-Meister.«

Die Frau am Telefon seufzte. »Mr. Wong, ich muss mit jemandem reden. Darf ich Kantonesisch mit Ihnen sprechen?«

»Hai-ah.«

»Gut«, sagte sie und wechselte in ihre Mundart. »So können wir uns besser verständigen. Mr. Wong: Wer auch immer letzten Samstag versucht hat, mich und meine Familie umzubringen, der hat auch Sie zu töten versucht! Diese Sache betrifft Sie. Sie sind beteiligt, ob Sie wollen oder nicht.«

»Ja schon. Stimmt, stimmt. Aber trotzdem möchte ich wiederholen: Brandstiftung ist ein Verbrechen, mit dessen Aufklärung sich die Polizei befassen sollte. Wenn Sie einen Verdächtigen wissen, sollten Sie das der Polizei mitteilen. Nicht mir.«

»Hab ich ja«, sagte sie verzweifelt, »nur – die Polizei hat kein Interesse.«

»Nein! Bestimmt ist sie höchst interessiert daran.«

»Aber wenn ich es Ihnen doch sage: Sie hat kein Interesse!«

»Wieso nicht? Gibt es denn ein Problem?«

»Ja, so könnte man sagen. Also, der Mann, der versucht hat, uns umzubringen, war ein Mensch namens Joseph Hardcastle Oath. Ein ehemaliger Patient meines Mannes.«

»Oh, gut! Dass Sie den Namen des Verdächtigen kennen, erleichtert es, ihn zu finden. Wissen Sie auch, wo er sich aufhält?«

»Allerdings! Im tiefsten Schlund der Hölle. Er ist vor zwei Jahren gestorben.«

C.F.Wong wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. »Aha! Verstehe. Die Polizei ist nicht geneigt, ein Verbrechen aufzuklären, das von einem Toten begangen wurde.«

Calida Tsai-Leibler sprach fast eine Stunde lang mit C.F.Wong. Gegen Ende des Telefonats hatte sie ihn von zweierlei überzeugt. Erstens, dass sie es aussichtslos fand, die Polizei für ihre Theorie zu interessieren – nämlich, dass das Feuer in ihrer Wohnung vor zwei Tagen von einem Gespenst gelegt worden war; sie hatte es wahrlich versucht, doch man hatte ihr unmissverständlich erklärt, dass man davon nichts wissen wollte. Zweitens begriff er, dass sie nicht eher wieder auflegen würde, bis er versprach, sich der Sache anzunehmen und für die Aufklärung der von ihr behaupteten Umstände tätig zu werden.

Mrs. Tsai-Leibler war der felsenfesten Meinung, dass es sich bei dem wahren Ziel der Brandstiftungsattacke weder um ihren Mann noch um sie selbst handelte, sondern um ihre sechsjährige Tochter Melody. »Als dieser Oath den großen Krach mit meinem Mann hatte, brachte er ständig Melly ins Spiel. Oath hatte einen Sohn, der auch Patient meines Mannes war«, erläuterte sie. »Das ist länger her, es war vor etwa drei Jahren in Hongkong. Meine Scheidung war gerade rechtskräftig geworden, und Gibson und ich hatten uns verlobt. Melly war damals drei. Es gab eine Komplikation mit dem Narkosearzt. Wie sich herausstellte, war er drogensüchtig. Das scheint bei Anästhesisten oft vorzukommen. Die hantieren ja ständig mit allen möglichen Drogen, und da können sie wohl der Versuchung nicht widerstehen, sie selbst auszuprobieren. Jedenfalls hat der Narkosearzt dem Sohn von Oath das falsche Mittel gegeben. Mein Mann zog dem Jungen vier Zähne. Der Kleine ist nicht mehr aufgewacht. Er ist gestorben. Es war grässlich, einfach grässlich!«

Wong wollte das alles gar nicht hören. »Aber …«

»In allen Zeitungen hat es gestanden. Oath klagte wegen ärztlichem Kunstfehler gegen meinen Mann und den Narkosearzt, den mein Mann empfohlen hatte. Aber ehe die Sache vor Gericht kam, starb der Anästhesist an einer selbst injizierten Überdosis von irgendwas. Oath konnte nur noch meinen Mann bezichtigen, der aber doch an allem schuldlos war. Er rief uns ständig an, verfluchte uns – fragte, wie wir uns fühlen würden, wenn unser Kind gestorben wäre. Melly war erst drei. So unschuldig! Können Sie sich vorstellen, dass man eine Dreijährige verflucht? Kurz nachdem die Gerichtsverhandlung begonnen hatte, starb Oath. Seine Frau wollte den Fall nicht weiterverfolgen. Damals dachten wir, damit wäre die Sache erledigt. Aber seit langem hab ich gespürt, dass etwas Böses mein Kind bedroht. Der Geist von Mr. Oath! Jetzt weiß ich sicher, dass es stimmt.«

Weiter erklärte sie, wie eine Reihe unguter Vorzeichen sie davon überzeugt habe, dass ihrer Familie durch eine boshafte Erscheinung Schaden zugefügt wurde. Und dann wurde die kleine, sanfte Frau zu Wongs Verblüffung mit einem Mal angriffslustig und drohte, sie würde »einflussreiche Freunde aus Hongkong« nach Singapur holen, um ihrer Familie beizustehen, wenn sich hier sonst niemand dafür interessierte. »Mit Menschen kann ich fertig werden«, sagte sie, »aber ich weiß niemanden, der es mit einem Gespenst aufnimmt.«

Wong hörte ihr geduldig zu. Aus Erfahrung wusste er, dass viele Klienten oder potenzielle Klienten einfach jemanden brauchten, dem sie ihre Probleme erzählen konnten. Als sie schließlich eine Atempause einlegte, versuchte er ihr klar zu machen, dass der Umgang mit Geistern Verstorbener nicht in den Arbeitsbereich eines Fengshui-Meisters fiel. Manche Fengshui-Berater glaubten überhaupt nicht an Geister, sagte er. Doch er teilte ihr mit, dass er regelmäßig mit einer Gruppe von Leuten zusammenkam, die sich mit solchen Dingen befassten – nämlich dem Beiratsausschuss der Singapurer Gesellschaft der Berufsmystiker.

Das Gespräch endete damit, dass Wong versprach, Mrs. Tsai-Leibler mit Superintendent Gilbert Tan bekannt zu machen, einem hochrangigen Kriminalbeamten, der ihre Sorgen vermutlich ernster nehmen würde als seine Kollegen. Tan sei eine Art Kontaktmann zwischen der Singapurer Polizei und den Berufsmystikern. Wong erwähnte in diesem Zusammenhang auch Madam Xu Chongli, eine chinesische Wahrsagerin, die ständig mit übersinnlichen Vorkommnissen zu tun hatte und den vorliegenden Fall sicher gern in allen Einzelheiten mit ihr besprechen würde.

»Mr. Tan ist gewohnt, sich ungewöhnliche Erklärungen für Vorfälle anzuhören«, erklärte der Geomant. »Ich gebe Ihnen jetzt erst einmal seine Telefonnummer. Wenn Sie mit ihm gesprochen haben, rufen Sie Madam Xu an. Sie ist sehr hilfsbereit. Sie wird Ihnen zu durchaus konkurrenzfähigem Preis eine Fachberatung in Ihrer Sache anbieten. Bei Misserfolg Rückerstattung garantiert.«

Als er den Hörer auflegte, zuckte er zusammen, denn Winnie Lim war an seinen Schreibtisch herübermarschiert, stand da und sah ihn durchdringend an.

Sie reichte ihm ein Blatt Papier.

»Da!«, sagte sie.

Einen Augenblick lang wusste er vor Nervosität nicht, ob er auf das Papier oder in Winnies unfreundliches Gesicht blicken sollte.

»Ich muss weg. Sehr eilig beschäftigt. Hier ist Liste mit Sachen, die Sie macht, bis ich wieder da«, sagte sie.

»Wo gehen Sie hin?«

»Weg. Beschäftigt.«

»Ach so.«

»Nummer drei und vier auf Liste ganz wichtig. Längst fällig. Nicht vergessen!«

»Nummern drei-vier«, wiederholte er mechanisch.

Ihre Unverschämtheit verblüffte ihn dermaßen, dass er bewegungsunfähig dasaß. Winnie Lim nahm seelenruhig ihre Handtasche und spazierte, einen Schlager von Jacky Cheung summend, hinaus.

Erst als ihre Trippelschritte im Treppenhaus verklungen waren, kam wieder Leben in ihn.

»Aijaaah!«, seufzte er mit einem Blick auf die Liste, die sie ihm dagelassen hatte. Punkt drei lautete: »Neue Uhr Kaufen«. Punkt vier: »Nachfül Flaschen Für Wasser Küler Bestellen«.

In einer alten, mit rotgoldenen Velourstapeten ausgekleideten Wohnung in der Bussorah Street im Singapurer Vorort Kampong Glam stand ein rosa Plastiktelefon – ein Modell, das seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr auf dem Markt war – und schrillte.

Dilip Kenneth Sinha griff nach dem Hörer. »Jaaa-haa?«, sagte er und dehnte das Wort zu einem lässig-eleganten Satz.

»Hallo!«, sagte die Anruferin.

»Jaaa?«

»Dilip, sind Sies? Ich bins.«