Der Fengshui-Detektiv - Nury Vittachi - E-Book

Der Fengshui-Detektiv E-Book

Nury Vittachi

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Beschreibung

Nur aus Gefälligkeit nimmt der Fengshui-Meister C. F. Wong die siebzehnjährige Australierin Joyce als Praktikantin in seinem Fengshui-Büro in Singapur. Aber dass Joyce nicht mit ein wenig Ablage zufrieden zu stellen ist, damit hat er nicht gerechnet. Ebenso überraschend stellt sich heraus, dass bei seinen Aufträgen jeweils mehr hinter dem schlechten Fengshui steckt … Trotz aller Missverständnisse werden die vorlaute Joyce und der mürrische Wong ein unschlagbares Team. Mit britischem Humor, asiatischer Philosophie und gesundem Menschenverstand wenden die beiden auch noch das schlechteste Fengshui zum Guten.

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Über dieses Buch

Nur aus Gefälligkeit stellt der Fengshui-Meister C. F. Wong die siebzehnjährige Australierin Joyce als Praktikantin ein. Trotz aller Missverständnisse werden die beiden ein unschlagbares Team. Mit britischem Humor, asiatischer Philosophie und gesundem Menschenverstand wenden die beiden auch noch das schlechteste Fengshui zum Guten.

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Nury Vittachi (*1958) gilt - laut BBC – als »Hongkongs witzigster Kommentator«. Er lebt seit 1986 in Hongkong, wo er sich als Kolumnist, Buchautor und Herausgeber einer Literaturzeitschrift Kultstatus verschafft hat. Er arbeitet als Dozent an der Hong Kong Polytechnic University.

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Ursula Ballin, geboren 1939 in Hamburg, wuchs in England und Finnland auf. Viele Jahre verbrachte sie in China und Taiwan, zuletzt als Professorin für Geschichte in Taipeh. Sie arbeitet als freie Übersetzerin.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nury Vittachi

Der Fengshui-Detektiv

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Ursula Ballin

Der Fengshui-Detektiv (1)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel The Feng Shui Detective bei Chameleon Press, Hongkong.

Originaltitel: The Feng Shui Detective (2000)

© by Nury Vittachi 2000

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30599-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 23.11.2022, 16:49h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DER FENGSHUI-DETEKTIV

Das rote AtelierDruckfehlerDas Leben eines KüchengottesDer LöwenanteilRätselhaftes EigentumDer Geist aus der MaschineDie Würze des LebensDer TaxifahrerKlausur mit kleinen Fehlern

Anmerkungen

Mehr über dieses Buch

Über Nury Vittachi

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Dem Fengshui-Meister Lo Hung Lap gewidmet

Das rote Atelier

Kürzlich, vor eintausend Jahren, lebte ein Weiser in der Ebene der Krüge. Sein Name war Lu Xueʼan. Er sprach: »Das Beiwerk im Leben eines Menschen ist nicht sein Leben. Und doch ist das Beiwerk im Leben eines Menschen sein Leben.«

Ist dies ein Widerspruch? Ja und wiederum auch nein. Man möge bitte über folgendes Bild nachdenken.

Es ist ein heißer Tag. Du sitzt unter einem ganz kleinen Baum. Es ist gut. Da gibt es Schatten. Du kannst alles um dich her sehen. Nirgends kann sich der Eindringling verbergen. Der Schatten aber reicht nur für einen. Du empfängst keine Gäste. Du wirst einsam.

Du gehst zu einem größeren Baum. Der hat genug Schatten für zwei, drei Gäste, mit denen sich der Schatten teilen lässt. Das ist sehr schön. Der Stamm jedoch ist ziemlich breit. Hinter dir liegt ein Gelände. Du kannst nicht sehen, wer sich dort befindet.

Wir werden allmählich älter. Wir gehen zu noch viel größeren Bäumen. Du findest einen Banyan-Baum, so groß, dass ein ganzes Dorf in seinem Schatten sitzen kann. Nun hast du eine sehr große Welt. Doch Gefahr lauert. Hinter dir liegt unbekanntes Gelände, das ebenso weit ist wie das Gelände vor dir.

Manche gelangen nie an einen großen Banyan-Baum. Andere wechseln aus kleinen in große Welten. Aber etwas in ihrem Leben verstört sie. Sie kehren in sehr kleine Welten zurück.

Grashalm, wenn du jemandem begegnest, musst du ihm in aller Ruhe eine Frage stellen. Wie groß ist deine Welt? Dies gehört zu den wichtigsten Dingen, die du über einen Menschen in Erfahrung bringen kannst.

Mitunter begegnest du jemandem, und du erkennst, dass deine eigene Welt nicht groß genug ist, um ihn darin aufzunehmen. Dann stehst du vor einer Entscheidung. Sagst du, da sei kein Platz? Oder gehst du zu einem größeren Baum?

Des Weiteren sprach Lu Xueʼan: »Frage nicht die Unsterblichen, wie groß die Welt sei. Du erschaffst die Welt.«

(Gesammelte Sprüche östlicher Weisheit, von C. F. Wong, Teil 73)

C. F. Wong schloss sein tintenverschmiertes Notizbuch und legte es zusammen mit dem Federhalter in die Schublade. Dann streckte er die Finger und starrte aus dem Fenster. Obwohl er, während er schrieb, die Rolle des weisen alten Gelehrten zur Schau trug, spürte er doch oft, wie er hilflos zu einem getadelten Schüler wurde.

Zwar empfand er seine eigene Welt als groß. Nur: Sein Büro war so klein! Diese Tatsache rechtfertigte denn auch, wie er fand, seine spontane Abwehrhaltung gegen die Bitte des Mannes, der ihm im weltlichen, geschäftlichen Sinn vorgesetzt war.

Wongs Sekretärin und Bürovorsteherin Winnie Lim hatte ihm die schlechte Nachricht in ihrem breiten Singapurer Hokkien-Akzent überbracht. »Einer von Mr. Puns Kontak, er will von Sie Gefälligkeit. M. C. Queeny oder so. Er will Sie finden Job für sein Sohn, Sie wissen schon, nein?«

»M. C. Queeny? Ich habe nie von ihm gehört.«

»M.C.Q.U.I.N.N.I.E. Der Junge heiß Joe. Sein Daddy sehr gute Kunde von Betrieb. Freund von Mr. Pun. Sekretärin von Mr. Pun, sie ruf mir an, sag mir. Sie sollen den Junge geben ein Job für seine Schulferien, okay oder nein?«

Er seufzte. Einbrüche in seine Privatsphäre bedeuteten stets Unannehmlichkeiten. Ihm war bekannt, dass es in dieser Stadt, wie vermutlich überall in der modernen Welt, gang und gäbe war, dass Leute in Machtpositionen untereinander Jobs für ihre Söhne aushandelten. Das nannte man wohl, dachte er, »Old Boysʼ Network«, Seilschaften alter Kameraden, oder hieß es »junger Kameraden«, »Young Boysʼ Network«? Er musste das einmal in seinem Wörterbuch englischer umgangssprachlicher Wendungen nachschlagen. Der Haken war eben: Sein Büro bestand lediglich aus zwei Räumen, und seine Firma war so winzig. Es hatte nur Platz für ihn selbst, Winnie und ab und zu einen unterbeschäftigten chinesischen Philosophiestudenten, der an einer Teilzeitforschung arbeitete. Er hatte kein Budget, keinen freien Schreibtisch und auch gar keine Lust auszuhelfen.

Nach einer für ihre Verhältnisse langen Pause von drei Sekunden fügte Winnie folgende weitere Nachricht hinzu: »Mr. Pun, er sag mir, ich soll Sie sagen, dass er außerordentlich zu schätzen weiß, wenn Sie helfen. So hat gesag: ›Außerordentlich zu schätzen weiß‹.«

Dieser Ausdruck ließ Wongs Augen kurz aufleuchten. »Aha, ich verstehe.«

Es trat eine Stille im Raum ein, da die Hirntätigkeit seiner beiden Insassen sich auf die linke Hemisphäre, nämlich auf die Finanzwindungen, verlagerte.

»Wie viel glaub Sie?«

Der Geomant1 zupfte nachdenklich an den wenigen schütteren Haaren auf seinem Kinn. »Sagt er ›Ich bin froh‹, so heißt das, es ist kleine Zulage drin. Wenn er es aber ›außerordentlich zu schätzen weiß‹, könnte das bedeuten, dass Honorarerhöhung im Ofen schmort.«

»Im Ofen?«

»Umgangssprachliche englische Wendung. Habe ich von Dilip gehört. Bedeutet: wird bald kommen.«

»Gib jetzt schon Honorarerhöhung. Aber nicht für Sie-lah! Für Büro. Vorschuss wird erhöht, damit zahlen Junge sein Gehalt.«

»Wann?«

»Wenn komm.«

»Nein. Wann kommt er?«

»Nächste Woch. Montag.«

»Ach so. Wir können ihm ja etwas Ablage geben. Damit der Kleine beschäftigt ist. Weg von der Straße. Das will er doch im Grunde nur. Mo baan faat! Was soll man machen?«

In Wongs Bewusstsein trat das Problem bald in den Hintergrund. Langsam, auf Qigong-Art, atmete er aus, und mit dem Atem verströmten seine Ängste. Heute war so ein Tag, an dem es ihm einfach unmöglich war, sich über irgendetwas aufzuregen. Woran das lag, konnte er nicht genau sagen. Er schien eben unter dem Einfluss eines ganz allgemeinen Wohlbehagens zu stehen.

Ihm war bewusst, dass dieses positive Gefühl eher von innen als von außen kam. Das Büro der Firma C. F. Wong & Co. lag im ersten Stock der Wai-Wai Mansions, eines alten chinesischen Geschäftshauses im unmoderneren Abschnitt der Telok Ayer Street. Die schmale Fahrbahn draußen war zu einer viel befahrenen Ausfallstraße geworden. Ständig bebte der Fußboden, wenn schwere Fahrzeuge vorbeidonnerten. Heute Vormittag war es wieder schlimm gewesen. Zähflüssiger Verkehr hieß zwar, dass die Fenster weniger ratterten, doch dafür lieferten ungeduldige Pendler ein wüstes Hupkonzert.

Dieses Gefühl innerer Gelassenheit stammte gewiss nicht aus dem Ambiente des Büros selbst, voll gestopft wie es war mit Schreibtischen, Aktenschränken, Regalen und Bücherborden. Natürlich war es unter der Würde eines Fengshui-Meisters, in einem derart chaotischen Umfeld zu arbeiten. Doch Wong hatte längst jeden Versuch aufgegeben, die innenarchitektonischen Vorstellungen von Ms. Lim unter Kontrolle zu bringen. Da hoffte nun so mancher einflussreiche Geschäftsmann in Singapur für seine Büroeinrichtung auf Wongs orakelgleiche Urteilssprüche, doch Winnie gegenüber traute er sich nicht, ähnliche Ratschläge zu erteilen. Sie, als feurige Sechsundzwanzigjährige aus einer chinesischen Guching-Familie, ging davon aus, dass ihr als Vorstand auch die Verwaltung aller materiellen Belange des Büros zukam. Tatsächlich galt allerdings ihr Hauptinteresse tagsüber der Anwendung von Make-up und Nagellack und der Vervollkommnung entsprechender Techniken.

Etwa vier Jahre zuvor, als die Firma eröffnet worden war, hatten sie einen Teil des einen großen Raums, den sie damals mieteten, abgetrennt, um eine separate Kammer für den leitenden (und einzigen) Geomanten zu schaffen. Wong hatte ursprünglich versucht, sie zu einem die Chi-Energie konzentrierenden Arbeitsraum für sich selbst zu gestalten, doch sie erwies sich als zu klein und zu ungünstig positioniert.

Nach den Fengshui-Kriterien der Acht-Häuser-Schule handelte es sich bei dem Büro um einen Duigua-Raum, dessen Rückseite nach Westen, die Eingangstür nach Osten lag. Seine eigene gemütliche Ecke befand sich zwischen Südwesten (gut: Das stand für blühende Gesundheit) und Süden (schlecht: die Position der Fünf Geister), weshalb er erhebliche Mühe aufwenden musste, um sie benutzbar zu machen. Noch übler war, dass sie so nah an Winnies Schreibtisch lag. Die wohl überlegte Aufhängung eines metallenen Windspiels diente dazu, die schlimmsten Einflüsse ihres übermächtigen Feuer-Chi abzuwehren.

Dennoch arbeitete Wong in letzter Zeit im Hauptbüro, und zwar an einem Schreibtisch, der im rechten Winkel zu Winnies Tisch stand. In sein Privatzimmer ging er nur noch zur Meditation, zum Nachdenken, zur Ahnenverehrung, für die Rituale an Glück bringenden Tagen und für sein Mittagsschläfchen.

Nein, entschied er, das friedliche Gefühl kam zweifellos von innen. Es lag an der guten Nachtruhe, die er genossen hatte. Es lag an der ausgezeichneten in Öl gebackenen Teigrolle, die er auf dem Weg zur Arbeit an seinem Frühstücksstand verspeist hatte. Es lag am behaglichen Summen des Teekessels dort im Winkel des Büros. Es lag daran, dass heute sein sechsundfünfzigster Geburtstag war, obwohl er nie Geburtstage gefeiert hatte, nicht mal als Kind. Es war eine gute Zahl, diese Sechsundfünfzig, weit besser als die scheußliche Fünfundfünfzig mit ihrer so stark negativen Zahlensymbolik. Nein, sechsundfünfzig war fein, eine Zahl, die für Alter und Reife und Staatskunst stand. Ein Jahr der Weisheit. Ein Lebensabschnitt, in dem er gewiss etwas Wertvolles und Beachtenswertes zu sagen haben würde. Er sollte wirklich sein Buch fertig schreiben. Bei diesem Gedanken zog er sein Notizbuch aus der Lade und begann wieder zu kritzeln.

Der Montag dämmerte derart heiß und diesig herauf, dass sogar die Luft müde und lustlos wirkte. Langsam ging die Sonne auf und schien einen undurchsichtigen Dunstvorhang aus dem Boden zu ziehen. In ihren grellweißen, schräg durchs Fenster fallenden Strahlen drehten sich Staubgebilde, die der Luftzug hochwirbelte. Die Nachbarschaft war um sieben Uhr früh kurz durch einen harmlosen Notfall, ein kleines Feuer im Haus gegenüber, geweckt worden. Wie der Wachmann berichtete, wurde es wahrscheinlich durch ein Räucherstäbchen verursacht, das von einem dem Schutzgott geweihten Hausaltar gefallen war. Sirenen erschütterten die Gebäude, bis ein Feuerwehrmann eintraf. Er fand eine ältere buddhistische Nonne vor, die das Feuer mit ihren bloßen Füßen ausgetreten hatte – harten, schwieligen Hufen, denen die unsanfte Behandlung nichts hatte anhaben können.

Wong, der bereits die erste Konferenz des Tages hinter sich hatte, trat um halb zehn schwitzend durch die Tür seines Büros. Eine besorgt blickende Winnie begrüßte ihn und nickte zu einer großen Gestalt hin, die auf seinem Schreibtisch saß und eine ausländische Illustrierte las.

»M. C. Queeny. Wie Sie sehen, ist kein Junge«, sagte Winnie.

»Jawohl«, sagte er und sah.

Ms. McQuinnie sprang vom Schreibtisch, stapfte mit zwei Schritten quer durch den Raum und schüttelte ihm fest die Hand. Nein, sie heiße nicht Joe, sondern Joyce, obwohl alle sie Jo oder Joey nannten. An Ablage sei sie eher weniger interessiert. Sie sei zurückgestellt worden, was immer das heißen solle, und arbeite jetzt mit einem Privatlehrer an einem Projekt über asiatische Geomantie als Teil ihres Aufnahmeantrags zu einem exklusiven Uni-Kurs. Einige Wochen ihrer Sommerferien würde sie gern damit zubringen, Wong zuzuschauen und praktische Anwendungen zu studieren. Sie wolle sein »Schatten« sein, wie sie sich ausdrückte. Sie wolle beobachten, wie er im Büro arbeitete, und ihn zu Feldstudien bei seinen Besuchen begleiten. Seit drei Wochen sei sie in Singapur. Sie redete wie ein Wasserfall – doch in welcher Sprache nur?

»Ich dann also: ›Na, wie soll ich subito zu ʼner Fäng-schuh-i-Fachfrau werden oder was?‹ Mein Papi dann: ›Mein Kumpel Mr. Pun hat da ʼnen echten Fäng-schuh-i-Meister an der Hand, bei dem kannst du drei Monate jobben.‹ Ich dann wieder: ›Boh ey!‹«

Wong machte große Augen.

»Also ich, ja? Ich bin echt konkret ruhig oder wie oder was«, fügte sie auflachend hinzu. »Sie checken absolut null, dass ich überhaupt da bin. Ha ha ha ha ha!«

Wong wurde auf Anhieb klar, dass es dieser Person nicht gegeben war, ruhig zu sein, selbst wenn man ihr die Stimmbänder chirurgisch entfernte. Allein schon ihr Äußeres war laut. Sie war groß. Sie trug knallige Farben. Sie war Westlerin. Mit derselben Logik konnte eine Giraffe behaupten, sie sei unauffällig, bloß weil sie keine Stimme hatte. Manche Leute passten eben einfach nicht in ein gewisses Milieu. Wie hieß es noch in seinem Buch Fünfhundert Redensarten mit Erläuterungen? Sie war ein bunter Hund!

Ohne erkennbaren Grund lachte sie schon wieder. Wong merkte, dass es ein nervöses Lachen war. Einen Moment lang starrten sich die beiden an und schwiegen dann. Das kann ja gar nicht gut gehen, dachte er. Immerhin, denk an Mr. Pun; du musst dafür sorgen, dass er etwas Günstiges erfährt. »Sie haben also Interesse, selbst Fengshui-Meister zu werden?«, fragte Wong, zwang seine Wangen zu einem Lächeln und sprach den chinesischen Begriff für Geomantie betont deutlich in seinem kantonesischen Dialekt als fung-soi aus.2

Sie prustete los, was der Geomant für einen Ausdruck der Wut hielt. »Ich? Null Chance! Ich will reich werden. Wo kann ich denn hier meine Sachen abladen?«

Winnie räumte einen der Lagertische für Ms. McQuinnie frei, den diese als Schreibtisch benutzen konnte. Sofort schob der Eindringling den Tisch mit dem Fuß an ein Fenster. »Bessere Aussicht!«, erklärte Joyce, die nicht bedachte, wie taktlos es war, das Mobiliar in den Räumen eines Geomanten umstellen zu wollen. Nachdem sie sich häuslich eingerichtet hatte – von ihrem Tisch ging ein ungünstiger Energiewirbel aus und zielte direkt auf den Meditationsbereich –, erklärte sie Wong, sie wolle von rein akademischer Warte aus über Fengshui schreiben.

»Also, ich sag mal, ich weiß ja nicht, ob ich an das Zeug überhaupt glaube. Ich bin eigentlich ziemlich, na ja, skeptisch von wegen Magie und so Mumpitz. Ich meine, nicht dass ich Ihre Arbeit für Mumpitz halte, das nun grad nicht. Aber ich schreib vielleicht doch irgendwie mehr so demaskierend darüber. Mein Lehrer steht nämlich auf etwas kontroverse Thesen.«

Wong war sich zwar nicht sicher, was »Mumpitz« oder »demaskieren« bedeutete, doch eins wusste er genau: Mit dieser jungen Frau in seinem Büro würde er sich nicht wohl fühlen. Seine Beobachtungen während der folgenden halben Stunde bestätigten ihn. Sie war zu ausländisch, zu jung, zu laut, zu groß, zu neugierig auf seine Arbeit. Unablässig stellte sie Fragen. Sie notierte alles, was er sagte. Sie hörte bei all seinen Telefonaten gespannt zu. Er sah sich genötigt, auf Putonghua, Hakka, Hokkien oder Kantonesisch auszuweichen, sofern seine Gesprächspartner diese Dialekte ebenfalls sprachen.

Später ging sie einkaufen und kam mit einem riesigen Pappbecher zurück, der etwas enthielt, was sie als »doppelte Kapuze« bezeichnete und was nach bitterem Kaffee und Kuhmilch roch. Davon wurde ihm dermaßen übel, dass er seine geschmorten Kutteln, die er sich zu Mittag von einem Straßenhändler geholt hatte, nicht aufessen konnte. Am Telefon lachte sie mit ihren Freunden wie ein schreiender Esel. So durften eigentlich nur Männer lachen! Die Lachsalven waren derart lautstark, dass sie von seinen Freunden über sein Telefon gehört werden mussten. Er fürchtete, man würde glauben, er habe sein Büro auf einen Schlachthof verlegt.

Am Nachmittag, als er über seinen Berichten saß, beobachtete er sie aus den Augenwinkeln. Ms. Joyce McQuinnie war irgendwo zwischen vierzehn und dreißig (Wong fand es seit je schwierig, das Alter von Westlern einzuschätzen), und sie war ein äußerst geselliges Wesen, das viel Zeit am Telefon verbrachte, um ein Treffen zur Feier des neuen »Jobs« zu arrangieren. Als sie im Büro angekommen war, schien sie zwei, drei Zentimeter größer zu sein als er, doch seit sie sich eingerichtet und die Schuhe ausgezogen hatte, war sie auf sein Maß geschrumpft. Über ihrer sehr blassen Haut lag eine feine Schicht Sommersprossen, und ihr glattes Haar hatte das rötliche Braun eines Eichhörnchenpelzmantels. Sie trug maskuline Arbeitsstiefel mit dicken Gummisohlen, darüber nahm er dunkle Strumpfhosen, einen kurzen Rock und einen weiten, formlosen Pullover wahr. Im einen Ohr steckten offenbar fünf Metallknöpfchen, im andern sieben. Ringe trug sie keine, dafür baumelten an beiden Handgelenken mächtige indische Armreife, die bei jeder Bewegung klimperten und ständig drohten, ihren Kaffee umzukippen.

»Ist sie hübsch?«, fragte einer seiner Freunde, der aus Kuala Lumpur anrief.

»Sie ist eine mat-sellah, Ausländerin!«, flüsterte Wong.

Sie gab sich aber redlich Mühe, Interesse an ihrem Thema zu bekunden. Den Vormittag über sah die junge Frau Bücher über Fengshui durch, und nachmittags versuchte sie, das Ablagesystem in den Griff zu bekommen – keine leichte Aufgabe, da Winnie das System von Fall zu Fall neu erfand, worin denn auch der Hauptgrund dafür bestand, dass sie unersetzlich war.

Wong seufzte nur und versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Mo baan faat! Was soll man machen?

Doch als der Nachmittag verstrich, ertappte er sich dabei, wie er mit Interesse ihren Telefongesprächen zuhörte. Ihm wurde schlagartig klar, dass sich seine so lästige neue Assistentin am Ende doch als nützlich erweisen konnte. Denn sie war ja eine Gratisquelle englischen Konversationsunterrichts, für den sonst in Singapur unverschämte Preise verlangt wurden.

Erst spät hatte Wong begonnen, Englisch zu benutzen. Fast sein ganzes Leben hatte er in Guangdong verbracht und war erst vor zehn Jahren nach Hongkong gezogen, von wo aus man ihn fünf Jahre später nach Singapur versetzte. Er war stolz auf sein Sprachtalent (er beherrschte sechs chinesische Dialekte). Nur mit englischen Redensarten hatte er sich lange geplagt, denn er fand sie fast alle verwirrend und bar jeder Logik. Ms. McQuinnie verwendete, vielleicht ihrer Jugend wegen, eine Unmenge englischer Slang-Ausdrücke. Einige kannte er aus dem Buch, das er in der Woche zuvor studiert hatte: Howʼs Tricks? Umgangsenglisch II. Sein Entschluss, das nächste Buch auf Englisch zu schreiben, stand felsenfest (er hatte bereits zwei Fengshui-Bücher in Chinesisch verfasst), doch er fühlte sich im Englischen noch nicht firm genug. Er war nämlich davon überzeugt, dass der Schlüssel zur Anerkennung als guter Schriftsteller in der Beherrschung zeitgemäßer alltagssprachlicher Wendungen lag.

Er fragte sie nach der Bedeutung etlicher der fremdartigen Wörter, die sie benutzte, und sie passte scharf auf, als er sie sich notierte.

Unvermittelt fiel sie in die Rolle einer strengen Lehrerin, die ganz einfach alles korrigierte, was er von sich gab. »Bloß so lernt man was«, sagte sie. Sein anfänglicher Ärger verflog, als er merkte, dass sie die Dinge meist gut erklärte und dass sie es ihm vielleicht sogar ermöglichen würde, dem Lehrer und den Mitschülern in seiner englischen Konversationsgruppe zu imponieren.

Einmal, als sie am Telefon mit einer ihrer Freundinnen redete, brachte sie einen Schwall von Ausdrücken an, die er überhaupt nicht verstand. Er notierte sie und nahm sich vor, später nachzufragen.

Ständig sagte sie »cool«. Das kannte er. Aber sie sagte auch way, good fish, yo, hunky, ratted, soupy, pass the bucket, gloppy, wally, mega und wowser. Nichts davon stand in seinen Lehrbüchern. Ihr Wort für »ja« war anscheinend »egal« oder »von mir aus«.

Gerade blätterte er verstohlen in einem Wörterbuch, um etwas zu übersetzen, was ungefähr wie trip hop seedy klang, als das Telefon klingelte. Am Apparat war Laurence Leong, der stellvertretende Geschäftsführer der Firma East Trade Industries.

»Ich habe eben ein Fax an Sie losgeschickt«, sagte Leong. »C. F., es geht bei dem Memorandum um die kurzfristige Einschätzung eines Anwesens namens Sun House. Das Fax müsste eigentlich jeden Moment durchkommen.« In diesem Augenblick begann auch schon das Gerät neben Winnie zu grummeln.

Wong sah sich das dünne gerollte Papier fünf Minuten lang an, ehe er zurückrief. »Nein, würde ich sagen. Es ist ein Yin-Haus. Sehr großes Problem. Sehr negativ. Sogar dann, wenn wir es wirklich sauber aufräumen. Leute vergessen nicht. Ganz schwer wieder zu verkaufen! Ich empfehle, nicht kaufen.«

Leong bemühte sich nach Kräften, Wong umzustimmen. Erstens sei es nicht mal ein Jahr lang als Bestattungsunternehmen genutzt worden; höchstens sechs bis zehn Monate lang, sagte er. Zweitens hätte man in dem Gebäude lediglich zwei Tote versorgt. Denn nachdem die jetzigen Bewohner, ein älteres Ehepaar aus Kuala Lumpur namens Wanedi, das Objekt gekauft hätten, wären sie beide bereits knapp einen Monat später erkrankt. »Es scheint fast, als ob das Haus schon schlechtes Fengshui hatte, bevor die Leichenbestatter einzogen«, sagte er.

»Oftmals stimmt das«, sagte Wong.

Leong erklärte, dass die angeschlagene Gesundheit der Wanedis sie bewogen habe, das Geschäft zu schließen; vorübergehend, wie sie hofften. Die ansässigen Leute freuten sich darüber, denn ein Bestattungshaus in so unmittelbarer Nähe ihres Dorfs war ihnen nie recht geheuer gewesen. Die Ehefrau, von deren Geld Haus und Grundstück bezahlt worden waren (sie war Erbin eines mittelgroßen Vermögens), hatte sich erholt, anders als ihr Gatte, der sich nach wie vor in äußerst kritischem Zustand befand. Mit anderen Worten: Sie verkauften aus einer Notlage heraus – stets eine Verlockung für Immobilienkäufer.

»Der Mann steht also an der Schwelle des Todes, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn«, kommentierte Wong, der sich diebisch freute, sein Geschick im Umgang mit englischen Wortspielen vorzuführen.

»Was? Ach so, verstehe. Ganz recht«, sagte Leong. »Hören Sie, C. F., ich fände es auf jeden Fall gut, wenn Sie rasch runterflitzen würden und sich die Sache mal ansähen. Mr. P. ist wirklich scharf drauf! Die Wanedis sind ja immer noch ernstlich krank und haben letzte Woche beschlossen, das Objekt zu verkaufen und nach K. L. zurückzugehen. Daraufhin hat unser Mann in Melaka zugeschnappt. Bleiben Sie kurz dran, C. F., ich hab auf dem andern Apparat einen Anruf. Hallo?« Eintönig dudelte Greensleeves.

Wong wusste, dass die Firma weit mehr an dem großen Grundstück rings um das Gebäude als am Haus selbst interessiert war. Der Geomant wusste auch, dass seine Dienste, die man gewöhnlich eher als freiwillige Extraleistung sah, hier, wenn es sich um einen Ort des Todes handelte, plötzlich zu einem unverzichtbaren Faktor wurden. Seine Stimmung hob sich. Er könnte behaupten, bereits voll ausgebucht zu sein, und einen Aufpreis für die kurzfristige Einschätzung verlangen.

Und wer weiß, vielleicht würde es sogar ganz nett. Unter Fengshui-Gesichtspunkten waren alte malaysische Häuser oft recht interessant. Womöglich handelte es sich um ein Peranakan-Stadthaus oder ein Wohnhaus im niederländischen Kolonialstil. Außerdem lebte ein guter Freund in der Gegend: Jhoti Sagwala, einer seiner ehemaligen Schüler, der jetzt irgendwo in der Nähe von Melaka ein ranghoher Polizist war. Wong kam der Gedanke, ihn anzurufen und ihm aufzutragen, er möge die Zutaten für einen Bananen-Kokos-Curry besorgen – ein Gericht, für das Sagwala zu Recht berühmt war.

Greensleeves brach abrupt ab. »Wong, sind Sie noch dran?« Laurence Leong klang aufgeregt. »Der alte Mann ist gestorben: Wanedi, der Hausbesitzer. Das da eben am andern Apparat war unser Agent. Die Ehefrau ist einverstanden, dass die Gutachter und Sie das Objekt besichtigen, obwohl der Verstorbene sich eventuell noch dort befindet.« Wong nickte vor sich hin, zufrieden damit, dass der Tote sich an Ort und Stelle befand. Das würde ihm bei der Einschätzung und Bereinigung des Anwesens helfen, denn dann würde er erkennen, wie und wo man die Leichen aufbewahrte und wo der alte Mann gestorben war. »Okay, ich komme.«

Am folgenden Nachmittag fanden C. F. Wong und Joyce McQuinnie sich in einem ziemlich klapprigen Taxi wieder, das eine Steigung bei Melaka emporkeuchte. Joyce hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten. Ihr Vater werde ihren Unkostenanteil bezahlen, erklärte sie. Obwohl nur eine Brücke von Singapur entfernt, hatte Wong das Gefühl, sie seien auf einem andern Stern oder, falls noch auf demselben, wenigstens in einem andern Jahrhundert. Er blickte aus dem Fenster und musste daran denken, dass die blinkenden spiegelverglasten Wolkenkratzer Singapurs dort drüben nie und nimmer dieselbe Gattung Lebewesen beherbergen konnten wie diejenige, die hier in dieser üppigen grünbraunen Landschaft existierte. Über das Land verstreut lagen wie Pockennarben wenige hübsche alte Häuser, etliche ziemlich baufällige Hütten und eine deprimierend große Zahl kleiner hässlicher neuer zwei- und dreistöckiger Wohnblocks.

Der Geomant starrte auf die Neubauepidemie und gab jede Hoffnung auf. Das waren identische Rechtecke, so entworfen, dass sie gerade auf die schmalen Grundstücke der Eigentümer gezwängt werden konnten; in Windeseile hochgezogen, ohne jede Rücksicht auf Fengshui oder Ästhetik. Man war ja so stolz auf das malaysische Entwicklungstempo, doch er fürchtete, dabei gehe eine gewisse Spiritualität für immer verloren.

»Boh, was da für Neubauten aus dem Boden schießen!«, bemerkte Joyce. »Da müsste es für Fengshui-Leute vor Ort doch massenhaft Jobs geben.«

»Sehr traurig, meiner Meinung nach sind diese hier ganz hoffnungslos«, antwortete der Geomant.

Nur mit einiger Mühe gelang es ihnen, Sun House zu finden, und es half ihren Lebensgeistern nicht besonders, dass dessen Namenspatronin gar so heftig brannte.

»Puh, was für eine Affenhitze«, wusste Wong.

Joyce kicherte.

»Worüber lachen Sie denn?«, fragte Wong verletzt. »Das bedeutet: ist sehr heiß.«

»Ja, ja, schon! Bedeutet es. Ich find bloß, es klingt so witzig, wenn Sie das sagen.« Warum es witzig klang, konnte sie nicht erklären. Sie versanken in beklommenes Schweigen. Er merkte, dass sie ihm während der nächsten paar Minuten verstohlene Blicke zuwarf, und lehnte sich beleidigt zur Seite, sodass er ihren Gesichtsausdruck im Rückspiegel beobachten konnte. Hinter ihrem lauten, lässig zur Schau getragenen Selbstbewusstsein verbarg sich eine Unsicherheit, eine Nervosität, ein deutlich spürbares Unbehagen. Er sah es an der Art, wie sie die Brauen zusammenzog, wenn sie mit ihm sprach: Sie schien sich krampfhaft um Verständigung zu bemühen. Sie bewegte sich etwas linkisch, so als wären all ihre Gliedmaßen zwei, drei Zentimeter länger als von ihr selbst vermutet. Er kam zu dem Schluss, dass sie jünger als Winnie Lim sein müsse, obwohl sie größer war.

Als sie oben auf dem Hügel waren, zeigte sich etwa einen Kilometer weiter unten an der Straße zwischen Bäumen ein mit chinesischen Ziegeln gedecktes Dach. Der Fahrer stieß ein Triumphgeheul aus, und Wong wusste, dass sie angekommen waren. Beim Näherfahren sah er Steinmauern, die das Grundstück umschlossen, und erkannte, dass Sun House ein relativ imposanter Besitz war. Sie bogen in eine Einfahrt, deren Tore man geöffnet hatte, und fuhren bis vor ein niedriges, aber stattliches, eher ältliches als historisches Haus. Einiges wies darauf hin, dass es kürzlich renoviert worden war. Manche Fensterrahmen sahen neu aus. Er seufzte. Er konnte es nur bedauern, dass sein Arbeitgeber die Notlage anderer Leute ausnutzte, wie es so häufig im Geschäftsleben vorkam. Es musste einiges gekostet haben, das Gebäude (vormals ein heruntergekommener Bauernhof) in ein Bestattungsinstitut zu verwandeln, und es lag eine erschütternde Ironie darin, dass einer der wenigen Toten, die dieses Haus je beherbergt hatte, sein Eigentümer war.

Er ließ seinen geübten Blick an der Fassade entlangwandern. Äußerlich war das Haus eindeutig nach europäischem Muster geplant, obwohl es Elemente des Peranakan-Terrassenstils aufwies. Es gab durchbrochene Fensterläden, ursprünglich als dekorative Neuerung von den Portugiesen eingeführt, dann aber von den hiesigen Bauherren der älteren Generation übernommen. Vor hölzernen Doppeltüren, die mit chinesischen Verspaaren bemalt waren, hatte das Haus pintu pagar, die traditionellen malaysischen halbhohen Klapptüren, wie die Saloons im Western. Eine erhöhte Veranda lief an der gesamten Vorderfront des Hauses entlang. Die Seiten waren holzverkleidet, das steil abfallende Dach mit dunkelroten Ziegeln gedeckt. Die oberen spitzbogigen Fenster stießen aus diesem Dach hervor und zerschnitten das Chi. An allen Fenstern hatte man die Vorhänge zugezogen. Anscheinend wurde kein Gärtner beschäftigt, denn auf den Stufen und der Veranda lag Laub. Allerdings ließ sich in der Nähe eines seitlich gelegenen Schuppens ein jüngerer Mann in Arbeitskleidung sehen. Ausdruckslos, weder feindselig noch einladend, beobachtete er die Ankömmlinge, drehte sich dann um und betrat den Schuppen.

Während Wong das Haus musterte, flog die Vordertür auf, und er nahm im Schatten eine Gestalt wahr. Mrs. Elmeta Wanedi war eine kleine magere, fahrige Frau mit ungepflegtem Schopf, den man aber kaum sah unter der Haube, die zu ihrer nonnenhaften Traueraufmachung gehörte. Man hatte ihm zwar gesagt, sie sei Katholikin, doch in ihrem bodenlangen schwarzen Trauerkleid sah sie eher wie ihre muslimischen Schwestern aus.

Die Art, wie sie dastand, hatte etwas Zappeliges. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie redete. »Selamat tengah hari. Sind Sie die Leute von East Trade? Die Fengshui-Leute? Kommen Sie doch hier vorn herein. Nein, wir wollen erst hintenherum gehen. Nein, was möchten Sie als Erstes sehen?« Sie sprach in einem kultivierten Alt mit einem Akzent, der eine Mischung aus Malaysisch und etwas anderem war – Sri Lanka vielleicht? Für die englischen Buchstaben V und W benutzte sie ein und denselben, irgendwo zwischen beiden angesiedelten Laut, was auf den Zuhörer so wirkte, als spräche sie beide falsch aus. Die Wörter sprudelten derart rasch aus ihr hervor, dass Wong kaum folgen konnte. »Was wollen Sie sehen? Den Teil, wo die – die – die Arbeit getan wird, oder den Hauptbereich des Hauses?«

Wong war etwas erschlagen. »Äh, ich möchte gern erst Grundriss und Urkunden sehen.«

Joyce trat vor. »Bitte, dürfen wir Ihnen unser Beileid zum Verlust Ihres Mannes ausdrücken? Es tut uns echt Leid.«

»Ach was, machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, sagte sie. »Je eher Sie beide Ihre Untersuchungen durchführen und das Haus einschätzen, damit wir hier wegkommen, desto besser. Die Gutachter waren da und sind schon wieder fort. Die haben gesagt, dass Sie etwa einen Tag brauchen würden. Hab ich ›wir‹ gesagt? Oje! Das passiert mir dauernd. Ich kann mich einfach nicht an das ›ich‹ gewöhnen, ach Gott!«

Die Witwe schüttelte den Kopf, blickte zu Boden und war einen Moment lang um Worte verlegen. Dann sah sie auf und lächelte. »Saya minta maʼaf, verzeihen Sie, ich benehme mich ja schrecklich unhöflich! Ich weiß doch, dass Sie eine weite Reise hinter sich haben, ganz aus Singapur. Bitte, treten Sie näher, und trinken Sie erst einmal einen teh oder kopi, Ms. …?«

»Ich heiße Jo. Dies ist Mr. C. F. Wong. Also er, ja? Er ist der richtige Geomant. Ich bin bloß, ich sag mal: seine Assistentin. Hilfskraft. Cooles Haus!«

»Joseph und Mr. Wong.« Ohne ein weiteres Wort marschierte sie auf die Vorderfront des Hauses zu. Wong blieb kurz zurück und sagte dem Fahrer, er könne ein paar Stunden freinehmen, sich aber in der Nähe seines Telefons aufhalten.

Im düsteren staubigen Inneren des Hauses löste sich die Anspannung der Frau, die um die fünfzig sein mochte. Zuerst glaubte Wong, Gäste zu bewirten sei ihr ein Vergnügen, denn sie machte sich tatkräftig ans Werk, holte Tee und Geschirr und verlor bald jene draußen so auffällige Verwirrtheit.

Doch sie warf Tassen um und verschüttete überall Tee. Wie sie erläuterte, hatte sie eine Zugehfrau gehabt, die als Köchin und zugleich als Hausgehilfin für sie arbeitete. Aber vor zwei Tagen, am Vormittag nachdem ihr Mann gestorben war, habe sie sie entlassen. »Wie albern kam es mir vor, eine Köchin zu halten, wenn mir doch so war, als könnte ich nie im Leben je wieder etwas essen«, sagte sie. »Und ich brauchte Ruhe hier im Haus. Ms. Tong – so hieß sie – war ein so lärmendes Wesen. Ständig klapperte sie mit Töpfen und Tellern herum, verstehen Sie?«

»Sie haben einen Dienstboten, draußen?«, fragte Wong.

»Wie? Ach, der Junge im Schuppen? Das ist Ahmed Gangan. Er kommt aus der Nachbarschaft, ein paar Kilometer entfernt. Unten an der Straße steht ihr Hof, und die Gangans haben gefragt, ob sie den alten Anhänger leihen dürften; was er meinte, war, ob er ihn haben könne, jetzt, wo der Mann im Haus doch … Natürlich hab ich ihnen erlaubt, ihn zu holen und zu behalten.«

Sie hatte ungewöhnlich schlechten Tee gekocht. Er schmeckte verblüffenderweise nach nasser Ziege. Dann setzte sie sich Wong gegenüber. Unelegant ließ sie sich in einen Lehnstuhl fallen, fast als hätte man sie gestoßen.

Jäh richtete sie sich wieder auf. »Verzeihen Sie mein Benehmen«, sagte sie. »Aber in diesen Tagen bin ich nicht ich selbst. Hen – Hen – Henry und ich haben alles gemeinsam gemacht, und es ist so schwer, von vorn anzufangen, wenn man keine Hilfe hat.« Als sie den Namen ihres Mannes aussprach, fiel ihr Gesicht schlagartig in sich zusammen, ihre Stimme wurde brüchig. Sie rieb sich mit einem Taschentuch die Augen und begann zu weinen.

Joyce ging sofort zu ihr hinüber, setzte sich zu ihr, nahm ihre Hand und drückte sie. »Na, nun weinen Sie doch nicht. Es ist schon ätzend, wenn man jemand verliert. Meine Mammi hat meine Schwester und mich allein gelassen, als ich neun war, und ich heule immer noch nach ihr. Wenn man einen Ehemann verliert, dann muss das, na ja, also noch krasser sein!«

Mrs. Wanedi nickte unter Tränen, sagte aber nichts. Sie hielt Joyce fest bei der Hand, lehnte sich dann zur Seite und legte den Kopf schluchzend an die Schulter der jungen Frau.

Wong schaute interessiert zu. Erstaunt registrierte er, wie rasch es Frauen gelang, Intimität herzustellen.

»Das sind jetzt echt schwere Tage für Sie«, sagte Joyce. »Tut mir Leid, dass wir hier, ich sag mal: einbrechen müssen. Haben Sie denn hier herum nicht irgendwen? Also Verwandte …?«

»Nein, nein, nein«, sagte die Frau und hörte plötzlich nach einem langen, feuchten Schniefen zu weinen auf. »Es ist schon wieder gut. Zwei Tage hab ich ohne Pause geweint, aber heute früh war ich fertig. Unglaublich, wie viel ich weinen konnte. Acht Blusen hab ich, alle klatschnass vor Tränen. Mr. Wong, Sie würden gar nicht glauben, wie viele Tränen eine Ehefrau hat. Sind Sie verheiratet, Mr. Wong?«

»Nicht verheiratet.«

»Nun, Ihr ibu dann eben. Aber heute früh wachte ich auf und sagte mir: El – El – Elmeta, Alte, du hast nun mehr als genug geweint! Steh auf und tu, was getan werden muss. Verkauf dieses Haus und geh zurück in den alten kampong. Und Sie, Mr. – Mr. – Mr. – Sie gehören auch zu den Sachen, die getan werden müssen, daher ist es gut, dass Sie da sind. Und Sie, liebes Kind, haben Sie Dank für Ihre Freundlichkeit. Es tut mir Leid für Ihr ibu.« Mrs. Wanedi drückte Joyce die Hand.

»Wir machen, so schnell wir können, und sind dann echt so fix wie der Wind wieder weg«, sagte die junge Frau mit einem ermutigenden Lächeln.

»Ja, wir wollen anfangen«, sagte Wong dankbar, wobei er seine noch gefüllte Teetasse niedersetzte. »Haben Sie irgendwelche Papiere zu dem Haus, die wir uns ansehen können? Grundrisse, Katasterauszüge, Verträge und andere? So etwas? Ich möchte wissen, wann das Haus gebaut wurde, damit ich ein Loshu-Gitter machen kann.«

Die alte Frau holte einen dicken Ordner herbei und ließ die Besucher dann in einem stickigen übel riechenden Wohnzimmer allein, damit sie die Papiere durchsehen konnten. Sie sollten sich so viel Zeit wie nötig lassen, bot sie an, und sich frei im Haus bewegen, falls sie etwas auszumessen oder zu fotografieren hätten.

»Wir möchten Sie aber nicht stören«, sagte Joyce.

»Sie stören nicht. Ich bin im vorderen Schlafzimmer beim Kofferpacken.«

»Kann ich helfen?«

»Danke, mein Liebes, aber das ist nicht nötig. Morgen kommt meine Nichte und hilft mir beim Transport der Koffer und Kisten, und – und – jemand holt Henry ab. Ich komme schon zurecht.«

Mit einem seltsamen Laut, halb Lachen, halb Schluchzen, verließ sie das Zimmer.

Wong sah Joyce in neuem Licht. Das hatte sie wirklich fein gemacht, wie sie so lieb und nett zu der alten Dame sprach und ihre Hand hielt. Könnte er nie! In gewissen Situationen würde sie wohl doch recht brauchbar sein, etwa als Public-Relations-Mädchen. Er fragte sich, ob er sie nicht mit einem umgehängten Werbeplakat auf Singapurs Straßen schicken sollte, um das Geschäft ein wenig anzukurbeln. Sie war auf jeden Fall entschieden höflicher als Ms. Lim.

Er widmete sich den Plänen und blätterte mit Genuss darin. Das Haus war wirklich schön; ein echter Fund mit seinen geräumigen Zimmern, großen Fenstern und dem natürlichen Energiekreislauf. Es handelte sich um ein Humgua-Haus mit der Rückseite nach Osten, angefüllt mit Wasserenergie. Das reichlich vorhandene Holz-Chi in den Gebäudewänden glich das Wasser-Chi vorzüglich aus. Das schwierigste Problem stellte sich im Hauptwohnbereich, einem großen offenen Raum. Er lag nämlich im Nordwesten, der Richtung der Liu-sha, also der Sechs Todesfälle. Dies konnte zu Verlust und Verbrechen führen, falls man die schädlichen Einflüsse nicht ausreichend abwehrte.

Er zeichnete ein Loshu-Gitter nach der Methode des Fliegenden Sterns und fand heraus, dass das Haus zurzeit in eine positive Phase eintrat, da am Eingang eine doppelte Sieben stand. Daher schien es durchaus möglich, es in einen Wohnsitz mit äußerst günstigem Fengshui umzugestalten, vorausgesetzt man konnte mit seinem vorübergehenden Dasein als Yin-Haus fertig werden.

Die Pläne zeigten, dass es ein ungewöhnlich alter Bau war, der innen noch im niederländischen Stil mit einem offenen Lichthof in der Mitte des Wohnbereichs geplant worden war. Den hatte man inzwischen überdacht, doch es ließ sich etwas daraus machen, da war er sicher. Unter den europäischen Baumeistern waren ihm die Niederländer immer am liebsten gewesen. Er glaubte, dass es so etwas wie angeborenes instinktives Fengshui gab, eine elementare naive Veranlagung, zu der man weder Unterricht noch Übung brauchte. Seiner Meinung nach hatten manche niederländische Architekten vergangener Jahrhunderte diese Gabe besessen.

Dennoch: Alter und Stil des Hauses ließen ihn bezweifeln, dass East Trade es erhalten würde. Mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit würde ein rascher Abriss folgen und später dann der Bau eines Wohnblocks auf dem Grundstück. Angesichts dieser Situation wusste Wong nicht recht, was zu tun sei. Sollte er eine detaillierte Einschätzung sämtlicher Zimmer ausarbeiten in der Hoffnung, einer seiner Auftraggeber ließe sich durch seinen Bericht anregen, das Anwesen so zu nutzen, wie es war? Oder sollte er eher wie ein Geisterbeschwörer vorgehen – der Firma helfen, etwa vorhandene dunkle Kräfte zu bannen, sodass nichts Negatives zurückblieb, wenn man das Gelände einebnete, damit ein neuer, fraglos hässlicherer Bau hier in den Himmel ragen konnte?

Für eine gründliche Betrachtung dieser Fragen fehlte die Zeit, auch trieb ihn die Anwesenheit seiner jungen Assistentin an, mit der Arbeit zu beginnen und die Einschätzung des Hauses und des Grundstücks in Angriff zu nehmen. Die folgenden Stunden verbrachte er damit, Karten und Gitter zu zeichnen, Kompassanalysen zu erstellen, Notizen zu machen, Maß zu nehmen und zu fotografieren, die Sonne zu beobachten, sich über den Einfallswinkel der Schatten zu unterrichten und Quadrate zu berechnen. Langsam arbeitete er sich von Zimmer zu Zimmer vor.

Wong war sich nicht im Klaren darüber, ob die Bewohner von jeher exzentrisch gewesen waren oder ob die Ereignisse der jüngsten Zeit Mrs. Wanedi so aus dem Gleis geworfen hatten. Jedenfalls stieß er überall auf Anzeichen für Wirrwarr und Planlosigkeit. Im Flur trat er auf eine spitze Nadel, die schmerzhaft seinen Pantoffel durchstach – er hatte stets Hausschuhe dabei, wenn er in der Wohnung fremder Leute umhergehen musste. Die Nadel erwies sich als ein Ohrring. In der Küche fanden sie alles in wüster Unordnung: verderbliche Lebensmittel auf dem Tisch, Dosenfleisch im Kühlfach. In einem Winkel kochte noch immer der Kessel, aus dem man ihren ungenießbaren Tee aufgegossen hatte; er war schon fast trocken.

Im rückwärtigen Schlafzimmer entdeckten sie hinter einem Möbelstück ein gebrauchtes Kondom. Die zweite Tür dieses Zimmers ging auf einen Flur, der direkt auf den Gang zur Küche führte. Dies mochte erklären, warum Ms. Tong, die Köchin, so laut gewirkt hatte. »Sie hat ja wohl nicht nur mit Töpfen und Tellern rumgebumst«, stichelte Joyce, die wegen des Kondoms angewidert die Nase rümpfte. Im Bad neben der Küche herrschte Chaos. Kosmetika und Handtücher lagen am Boden. »Hier ist ein Typ drin gewesen!«, sagte Joyce und klappte die Toilettenbrille herunter. Wong musste ihr zustimmen. Das Haus war ganz eindeutig vor kurzer Zeit von einer männlichen Person aus der Gegend, einem Diener oder Nachbarn, besucht worden. Dieser Mr. Gangan vielleicht?

In einem Zimmer mit geblümten Vorhängen fanden sie ein hübsches Himmelbett. »Cool!«, sagte Joyce und merkte erst dann, dass Wong das Gesicht verzog.

»Was ist los?«

»Hier ist Henry Wanedi gewesen – und gestorben«, sagte der Geomant. »In der südwestlichen Ecke von Humgua-Haus sitzt die Todesmacht. Oftmals hat man die schlechte Gesundheit, wenn man an dieser Stelle schläft. Und hier, sehen Sie sich dies an!« Er zeigte auf einen Vorsprung, der durch einen Anbau an der Westseite des Hauses entstanden war. »Er zielt direkt aufs Bett. So kommt Giftpfeil-Chi genau zum Mensch im Bett. Ganz schlecht.«

»Also, das könnte ihn krank gemacht haben, oder was?«

»Könnte es schwer gemacht haben, gesund zu werden. Und hier, die Zimmerdecke! Senkt sich an dieser Stelle. Erdrückt das Chi: quetsch-quetsch. Ganz schlecht.«

Auch ohne Fachwissen über Fengshui fand Joyce das Haus offenbar bedrückend, denn sie hatte bald genug von ihrem Rundgang und trat in den Garten hinaus, um ein wenig Luft zu schöpfen.

Es war schon später Nachmittag, als Wong im westlichen Teil des Hauses ein Zimmer betrat und sich in einem Atelier befand, das man anscheinend in ein Labor umgestaltet hatte. Die Wände waren scharlachrot. Regale standen voll mit Chemikalien in Flaschen, Puderdosen und allerlei technischen Gerätschaften, die er nicht identifizieren konnte. An einer Seite des Raums standen mehrere große Kisten, in der Mitte ein paar aufgebockte Arbeitstische. Dies war nun also der Raum, nahm er an, in dem man die Verstorbenen herrichtete. Es war ihm nie richtig klar gewesen, was Leichenbestatter eigentlich mit den Toten anstellten. Sie würden sie vermutlich schön zurechtmachen, ihre Gesichter pudern, sie ankleiden, etwa so, wie ein Kaufhausdekorateur eine Schaufensterpuppe anzog. Die Wände waren mit einer altmodischen roten Samttapete ausgekleidet. Sie ließ Feuer-Chi in einen Li-Raum eindringen, was ein erschreckend destruktives Aufeinanderprallen von Feuer- und Metallenergie zur Folge hatte.

»Haben Sie meinen Mann gefunden?«

Hastig drehte er sich um und sah Mrs. Wanedi in einer Tür am anderen Ende des Zimmers stehen und ihn anblicken. Ihr lautloses Auftauchen hatte ihn überrascht, doch er versuchte, zu lächeln und gelassen zu wirken. »Ich störe Sie hoffentlich nicht«, sagte er.

»Aber nicht doch! Hier wurden die Toten zurechtgemacht, und weil Sie ein Fengshui-Mann sind, ist es nur zu verständlich, dass Sie gerade diesen Raum besonders sorgfältig untersuchen müssen. Er war früher einmal ein Atelier. Haben Sie meinen Mann schon gesehen?«

Sie schaute zu einer der großen Kisten an der Seitenwand hinüber, die, wie er jetzt sah, oben offen stand. Er warf einen Blick hinein und erkannte schattenhaft einen Leichnam. Ungewollt schauderte er zusammen und hoffte nur, dass man es ihm nicht anmerkte. »Verzeihen Sie«, sagte er. »Ich konnte nicht wissen, dass in diesem Raum noch teurer Verschiedener weilt.«

»Ach, vielleicht hätte ich ihn ins Wohnzimmer bringen und dort für eine Totenwache aufbahren sollen, wie sichs gehört, wenn wir hier irgendwelche Leute kennen würden, aber das ist ja nicht der Fall. All unsere Angehörigen sind tot oder ausgewandert, außer meiner Nichte aus Übersee. Es kam mir so sinnlos vor, ihn dort zur Schau zu stellen. Wer ist denn schließlich noch da für einen letzten Blick auf ihn? Darum hab ich meinen lieben Henry hier gelassen, wo ich ihn zurechtmachen kann.«

Er horchte auf vage Anzeichen von Geistesgestörtheit in ihrer Stimme, doch vergebens. Sie sprach ruhig, mit einem unverkennbar liebevollen Unterton.

»Henry hatte seine Arbeit gern. Obwohl wir hier nicht recht ins Geschäft kamen, hat er diese Werkstatt mit großer Freude hergerichtet. Wir haben zwei Bestattungen für Leute aus der Gegend gemacht, ehe er krank wurde. Es scheint nur recht und billig, dass Henry nun auch in den Räumlichkeiten versorgt wird, die er selbst eingerichtet hat.«

»Werden Sie, äh …?«

»Ob ich ihn selbst zurechtmache? Aber selbstverständlich! Ich war ja schon immer seine Gehilfin. Zuerst, als wir hier ankamen, hatten wir einen jungen Mann, der für uns arbeitete. Sam Ram sowieso. Wir brachten ihn aus K. L. mit, genau wie Ms. Tong. Aber als sich herausstellte, dass das Geschäft nur langsam in Schwung kam, hat er gekündigt, um etwas Aufregenderes oder Interessanteres zu finden. Er ist dann wohl nach Singapur gegangen. Henry meinte, ich könne doch seine Assistentin sein. Ich hatte ihm ja inoffiziell schon so oft, so oft assistiert.«

Sie trat an die Kiste heran und warf einen zärtlichen Blick auf den schemenhaften Leichnam. »Nie könnte ich dich anderen überlassen, Henry mein Schatz!«, sagte sie.

Eigentlich, fand Wong, hätte er selbst auf die Anwesenheit des Toten kommen können: Der Raum war klimatisiert und spürbar kälter als die übrigen Zimmer des Hauses. »Ich gehe?«, fragte Wong und machte Anstalten, sich zur Tür zu wenden.

»Nein. Sie brauchen nicht zu gehen. Ich möchte Sie aber um einen Gefallen bitten. Saya hendak ke … Ich muss in den Laden hinunter und ein paar Sachen holen, aber ich habe Angst vorm Fahren. Würden Sie mir Ihren Chauffeur ausleihen?«

»Aber gern! Es ist sowieso Zeit, dass wir aufbrechen. Joyce und ich, wir bringen Sie wohin Sie wollen. Ich rufe nur rasch meinen Fahrer an. Wir kommen dann morgen wieder, okay?«

»Ja natürlich. Kommen Sie jederzeit nach acht. Meine Nichte ist dann später hier, denn gegen Mittag bringt sie mich weg. Sie hat auch dafür gesorgt, dass jemand meinen lieben Henry abholt. Ich hoffe, dass Sie bis dahin fertig sind. Falls nicht, lasse ich die Schlüssel beim Immobilienmakler. Der Umzugswagen kommt wegen der Möbel vermutlich erst übermorgen.«

»Sehr wohl, Madam«, sagte Wong.

In der Abendbrise nickten die Palmen gemächlich dem Wagen zu, als der Geomant, seine Assistentin und ihre neue Freundin die stillen Landstraßen hinabrollten, vorbei an niedrigen Häusern mit gelb erleuchteten Fenstern. Hinter jedem zeigte sich eine kleine Szene mit einer Familie beim Abendreis. Es war angenehm kühl, und Wong ließ sein Fenster heruntergekurbelt. Die beiden Frauen saßen im Fond und plauderten, während der Geomant auf dem Beifahrersitz die Loshu