Der frivole Jackie - Paul Rosenhayn - E-Book

Der frivole Jackie E-Book

Paul Rosenhayn

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Beschreibung

Das Todesurteil für George Robert Kinnaird ist für seinen Verteidiger Gordon Carpenter eine persönliche Niederlage. Allein auf Indizien beruhte das Urteil, dass sich wie zum Hohn zwei Tage nach der Hinrichtung als falsch herausstellt. Als selbst Carpenters Eingabe ins Parlament unter der Devise "Tod dem Indizienbeweis" keinen Erfolg zeigt, beschließt er eines Abends im Haus seines Schwiegervaters zusammen mit zwei Mitstreitern, den Beweis für die Fehlbarkeit eines ausschließlich auf Indizien beruhenden Verfahrens selbst zu erbringen. Die Freunde überlegen, dass einer von ihnen zum Schein ermordet werden solle. Es gilt, den Mord so zu inszenieren, dass aller Verdacht auf Carpenter fällt. Im Moment des Urteilsspruches, so der Plan, soll der Ermordete den Gerichtssaal betreten und den Indizienbeweis ein für alle Mal der Lächerlichkeit preisgeben. Die Wahl des scheinbaren Opfers fällt ausgerechnet auf Lord Fairbanks, der sich gewisse Chancen auf Maud, die Verlobte Carpenters, ausrechnet. Und gerade diese Tatsache bringt Carpenter zu Fall. Denn während des Prozesses, der der perfekt in Szene gesetzten Beweislage nach von einem Mord ausgeht, obwohl keine Leiche zu finden ist, wird Lord Fairbanks auf einmal tot aufgefunden ... In bester britischer Krimitradition gelingt es Paul Rosenhayn in allen sieben Detektivgeschichten dieser Sammlung, völlig unerklärliche Verbrechen und Phänomene bis zum Schluss spannend zu erzählen. Dass er dem britischen Humor in nichts nachsteht, zeigt zum Beispiel die Titelgeschichte vom Papagei Jackie, der von einer Stunde auf die andere vom sprechenden Gentleman zum vulgären Marktschreier wird.Ob Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, John le Carré oder Ian Rankin: Britische Krimis haben bis heute das gewisse Extra an Exzentrik und schwarzem Humor. Mühelos gelingt es dem Autor Paul Rosenhayn, in sieben Detektivgeschichten dieses Genre fortzusetzen. Alle garantieren Spannung und vergebliches Mitraten – denn es erfordert genaue Beobachtung und intelligente Schlussfolgerungen, um den völlig unerklärlichen Phänomenen auf die Spur zu kommen.-

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Paul Rosenhayn

Der frivole Jackie

Saga

Der frivole Jackie

© 1924 Paul Rosenhayn

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711592724

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Indizien

Die Geschworenen kehrten schon nach einer Viertelstunde aus dem Beratungszimmer zurück. Gordon Carpenter, der Verteidiger, hatte das Geräusch der sich öffnenden Tür überhört; erst als Mr. Ramsden, der Reporter der Pall Mall Gazette, das Gespräch jäh unterbrach, sah er sich um. Die Mienen der Jury waren von jener amtlichen Eisigkeit, die vorschriftsmässige Neutralität ausdrücken soll und die in Wahrheit, solange es Richter und Gerichtete gibt, von jedermann als der Ausdruck einer unbegreiflichen Mitleidslosigkeit empfunden wird.

Der Lord Oberrichter setzte die schwarze Kappe auf ... Der Angeklagte warf einen Blick hinüber zu Carpenter, der leichenblass geworden war; und fast schien es, als ob der Angeklagte seinem Verteidiger mit den Blicken eine Art Trost auszusprechen wünsche.

Das Richterkollegium hatte sich erhoben, ebenso die Zuhörer, die den Raum bis auf den letzten Winkel füllten, und während der Lord Oberrichter, der einzige, der in diesem Saal sitzengeblieben war, den Obmann durch eine Handbewegung verabschiedete, tauchte wie aus dem Boden gewachsen eine schwärzliche Gestalt neben ihm auf: der Kaplan.

„Du, George Robert Kinnaird, bist schuldig befunden worden des Mordes an Charles Austin aus Belfast. Das Gesetz befiehlt, dass man dich nehmen wird von dem Ort, wo du stehst, und dich aufhängen wird am Halse, bis du des Todes bist. Und möge der Allmächtige deiner Seele gnädig sein.“

Das Amen des Kaplans kroch wie ein dunkles Tier durch den Saal, auf dem das Schweigen einer vollkommenen Atemlosigkeit lag. Der Verurteilte, der halb in seinen Sitz zurückgesunken war, öffnete den Mund; er rang nach Worten; vielleicht auch, dass er die Kraft zu sprechen verloren hatte in der irren Hetze dieser letzten Minuten; aber der Lord Oberrichter machte eine Handbewegung zu ihm hinüber:

„Der einzige Weg, der Ihnen noch zur Verfügung steht, ist der Appell an die Gnade des Königs.“

Aber es ist nicht der Prozess dieses armen Teufels Kinnaird, von dem diese Zeilen berichten sollen. Obwohl seine Schicksale bunt und verworren genug sind, bilden sie doch unter den Dingen, von denen ich hier spreche, nichts als den Auftakt; denn sie leiten in gerader Linie hinüber zu dem seltsamen Abenteuer seines Verteidigers, des Rechtsanwalts Gordon Farman Carpenter, von dem hier die Rede sein soll.

Denn dass Kinnaird unschuldig war: das war Carpenters unerschütterliche Überzeugung; und der junge, kaum dreissigjährige Verteidiger hatte diese Überzeugung zur Parole seiner Handlungen, seiner Taktik gemacht — sie bildete die Inschrift des Banners, das zuversichtlich und kühn über seinen Taten flatterte.

Er hatte mit dem Obmann der Jury, Mr. Melford, mehrfach Zusammenkünfte in der Angelegenheit des Verurteilten gehabt. Um die Wahrheit zu sagen: diese Besuche hatten einen doppelten Grund. Denn Mr. Melford war nicht nur der Obmann der Jury, sondern auch der Vater einer jungen und schönen Tochter. Zeigte nun Mr. Melford dem Bewerber Carpenter ein bereitwilliges Entgegenkommen — so verschloss er andererseits dem Verteidiger Carpenter unerbittlich sein Ohr. Carpenter war berühmt wegen seiner Dialektik — in diesem Falle versagte sie. Auch Mauds Versuche in dieser Hinsicht blieben völlig ergebnislos. Der alte Melford hatte den Fall Kinnaird mit der gewissenhaften Umständlichkeit eines alten Rentiers studiert, nach allen Richtungen das Für und Wider der Einzelheiten erwogen; so war er, auf Grund einer ehrlich gewonnenen Überzeugung, zu seinem Verdikt gelangt, und alle Versuche, ihn umzustimmen, erregten lediglich seinen Argwohn: denn er sah in ihnen nichts anderes als kniffliche Advokatenkunststücke, dazu bestimmt, aus Schwarz Weiss zu machen. So kam es, dass das Gnadengesuch des Verurteilten ohne die Unterstützung der Geschworenen blieb; und dass es abgewiesen wurde, ergab sich fast als eine Selbstverständlichkeit. — —

Zwei Tage nach der Hinrichtung Kinnairds wurde ein Mann verhaftet, nicht weit von Birmingham, der zwei Uhren verkaufen wollte. Sein scheues Gebaren hatte den Verdacht erhöht. Während man ursprünglich an eine alltägliche Langfingerei dachte, machte der Polizei-Inspektor an Hand seiner Listen eine alarmierende Entdeckung: die beiden Uhren stammten aus dem Besitze des ermordeten Charles Austin, dessen Mörder George Kinnaird vorgestern hingerichtet worden war ... Auf das Telegramm des Inspektors erschienen sofort drei der gewiegtesten Londoner Kriminalisten in Birmingham in Begleitung des Rechtsanwalts Carpenter. Und in der Nacht fuhren die vier heim: der Verhaftete hatte sich nach langem Kreuzverhör als Mörder Austins bekannt. Das bedeutete die erschütternde Gewissheit, dass das Schwurgericht von Old Bailey an George Robert Kinnaird einen Justizmord begangen hatte. —

Selten hat ein Ereignis das Gewissen der Menschheit so zu den letzten Erregungen gepeitscht wie der Fall Kinnaird. Eine Welle der Empörung raste durch die Insel, und sie warf Carpenter, den kühnen und unbeirrten Verteidiger, wie einen Triumphator in das Sonnenlicht des allgemeinen Interesses.

Gordon Carpenter war der Held des Tages, der Freund der Unschuldigen, der Retter der Verfolgten — der Liebling der Frauen. Aber er war klug genug, den Sturm nicht ungenutzt vorüberrasen zu lassen: diesen ungeheuren Sturm, der seine Segel treiben, seine Mühlen drehen konnte. Er hatte den Fall Kinnaird aller Überflüssigkeiten entkleidet auf eine letzte Formel gebracht: Tod dem Indizienbeweis! Unter dieser Devise brachte Carpenter eine Bill ins Parlament ein — die furchtbare Lehre des Justizmordes an Kinnaird sollte einer neuen Generation zugute kommen — aus ihrem blutgedüngten Boden sollte der Baum der Erkenntnis erwachsen, der seine Zweige schirmend über die Menschheit breitete.

Aber die öffentliche Meinung ist eine Molluske. Sie mag dem, der sich nichts aus ihr macht, wie ein fester und ehrlicher Körper erscheinen; wer sie im Ernst anpackt, der sieht sie zu seiner Bestürzung wie Gallert seinen Händen entgleiten. Sie hat Nerven — kein Gewissen. Sie kocht — und sie verdampft. Sie schäumt — und verströmt. Als die Bill, die Gordon Carpenter eingebracht hatte, im Parlament abgelehnt wurde, da wunderten sich höchstens ein paar junge Idealisten, die den Lauf der Welt und die Gesetze der Dinge nicht begriffen hatten.

An jenem Abend sass Gordon Carpenter im Hause seines zukünftigen Schwiegervaters; denn er hatte inzwischen Maud Melford einen offiziellen Antrag gemacht. Melford war, als ein ehrlicher Mann, bedingungslos auf die Seite Carpenters getreten, und die Bill hatte durch ihn eine Unterstützung erfahren, die ihr eigentlich erst das Rückgrat der Ernsthaftigkeit gab. Ausserdem waren anwesend: der Marquis Fairbanks und der junge Sportsmann Jerome Jeffries. Alle Teilnehmer dieser kleinen Gesellschaft waren überzeugte Förderer der Carpenterschen Bestrebungen, und alle traf die Zeitungsmeldung von der Ablehnung der Bill wie ein persönlicher Schlag.

Der Marquis trank stumm ein Glas Gin nach dem andern und füllte eben ein neues. Maud sprach in gedämpftem Ton auf Carpenter ein, der nur schweigend den Kopf schüttelte; und Jeffries, der langbeinige Sportsmann, pflückte in verzweifelter Wut die Darmsaiten aus seinem Tennisrakett. Die Atmosphäre der Rivalität, die sonst fühlbar zwischen diesen jungen Leuten lag, war wie fortgeweht im Wirbelsturm der niederschmetternden Meldung; und während zwischen den Klubsesseln dieses dunklen Musikzimmers sonst leise oder schärfere Ironien hinüber und herüber flogen wie gut parierte Bälle, lag heute wie ein schwerer Schatten tiefe Niedergeschlagenheit über dem Raum.

„Es ist also aus“, sagte Jeffries. „Die Welt geht weiter, als ob nichts geschehen wäre. Als ob man nie das Blut eines unschuldig Hingerichteten vergossen hätte. Die Justiz dieses Landes will nicht lernen aus ihren Fehlern, sie sieht ihre Verpflichtung, ein furchtbares Verbrechen wieder gutzumachen, nicht ein, ja, sie erkennt nicht einmal, dass sie ein Verbrechen begangen hat. Das ist ein trübes Zeichen.“

Der alte Melford nickte schwer. „Es ist eine Schamlosigkeit. Jeder kann irren. Aber man erwartet von ihm, dass er sich seines Irtums schämt und dass er Vorkehrungen treffen wird, die neue Irrtümer ausschliessen. Nie hätte ich geglaubt, dass sich für die Ablehnung unseres Antrags eine Majorität finden würde.“

Der junge Marquis rückte mit gerunzelter Stirn die Flasche fort. „Es würde am besten sein,“ sagte er, „wenn man diesem Lande den Rücken wendete. Gerechtigkeit ist das Fundament eines Rechtsstaates. Wo sie aufhört, ist Willkür — Dekadenz — Anarchie.“

„Gibt es denn gar keine Möglichkeit mehr?“ fragte die Tochter des Hauses schüchtern.

„Nein, liebes Fräulein Maud,“ antwortete Jeffries, „leider nicht die geringste. Fast möchte ich sagen: Fairbanks hat recht. Es lebt sich auch anderswo gut; auch dort, wo nicht der Union Jack weht.“

Carpenter, der junge Verteidiger, stand auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab. „Nein,“ stiess er heraus, plötzlich stehenbleibend, „ich gebe den Kampf nicht auf. Ich habe eine Schlappe erlitten — ich habe vielleicht eine Schlacht verloren. Aber solange ich lebe, darf ich den Glauben an das Gelingen meiner guten Sache nicht verlieren.“

Die beiden Freunde sahen sich an. „Das ist ganz schön,“ lächelte Jeffries, „das ist ganz schön. Wenn man Sie reden hört, so muss man sagen, Sie haben recht. Wie aber denken Sie sich diesen Kampf, von dem Sie sprechen? Was wollen Sie tun? Wir alle stehen auf Ihrer Seite, das wissen Sie. Aber soweit meine bescheidenen Verstandeskräfte die Dinge beurteilen können, so liegt die Sache doch so: dass alle Möglichkeiten erschöpft sind — gescheitert sind, muss ich wohl richtiger sagen. Haben Sie noch irgendeinen Pfeil im Köcher? Heraus damit. Wir wollen von Herzen gern Ihre Sekundanten sein!“

Carpenter versenkte die Hände in die Hosentaschen; der Marquis blinzelte Jeffries an: diese Geste kannte er.

„Ich habe eine Idee.“

„Nun?“

„Um es gleich zu sagen: was ich Ihnen jetzt vorschlagen werde, ist eine Frechheit.“

„Jede grosse Tat ist eine Frechheit“, sagte der Marquis.

„Die Geschichte ist auch nicht ungefährlich. Aber ich stelle Ihnen anheim ...“

„Erzählen Sie schon, Carpenter!“ drängte der alte Melford.

„Ich muss auf Ihre unbedingte Diskretion rechnen.“

„Lassen Sie uns endlich wissen, was los ist.“

„Also hören Sie: ich habe es mit dem Pathos versucht — und habe ein Fiasko erlebt.“

„Das habe ich nicht recht begriffen“, sagte Melford.

„Ich habe appelliert an das Gewissen, an den Gemeinsinn, an den Begriff der Gegenseitigkeit. Mit allem Pathos eines Apostels. Den Erfolg haben Sie gesehen. Vielleicht komme ich mit dem Gegenteil weiter. Mit dem Lachen ...“

Maud schüttelte den Kopf. „Mit dem Lachen?“

Die anderen blickten gespannt auf den Redenden.

„Man sagt, dass Lächerlichkeit tötet. Sie sollen lachen. Hört ihr, sie sollen lachen.“

Melford nahm das runde Zigarrenetui aus dem Schränkchen. „Wenn ich nur erst wüsste, worüber.“

„Die Sache ist in wenigen Worten gesagt. Einer von uns wird ermordet.“

„Oho!“

„Zum Schein, versteht sich. Einer von uns ist der Mörder.“

„Nanu?“

„Zum Schein — versteht sich. Alle Indizien werden so hergerichtet, dass sie mit unfehlbarer Bestimmtheit auf denjenigen weisen, den wir heute für diese Rolle ausersehen werden: einen von uns. Nun beginnen die Unannehmlichkeiten. Er lässt sich verhaften, und er sagt weder ja noch nein, wenn man ihn verhört. Sind Sie mir gefolgt?“

„Vollkommen.“

„Der Termin, der Hauptverhandlungstermin im Schwurgerichtssaal wird angesetzt. Auch hier leugnet der Beschuldigte beharrlich — ohne indessen, das ist selbstverständlich, ein Alibi vorbringen zu können. Sie haben mich verstanden?“

„Selbstverständlich,“ sagte Jeffries; „erzählen Sie nur weiter, wir sind gespannt.“

„Nun kommt das Verdikt der Geschworenen; wenn alles gut geht, lautet es auf Schuldig.“

„Gut geht, ist gut!“

„Das bedeutet die Verurteilung zum Tode.“

„Alle Wetter!“

„In dem Moment nun, da der Lord Oberrichter das Urteil gesprochen hat, öffnet sich die Tür — und herein tritt der Ermordete.“

Die Anwesenden sprangen auf. „Ausgezeichnet! Carpenter, Sie sind ein Mordskerl!“

„... herein tritt der Ermordete. Dann wird ein Gelächter durch das Vereinigte Königreich brausen, wie die Welt es noch nicht erlebt hat — und in diesem Brausen wird der Indizienbeweis, das mittelalterliche Fundament unserer Strafrechtspflege, davongefegt werden wie modernder Kehricht. Wer macht mit?“

Da sagten Jerome Jeffries und der Marquis von Fairbanks, indem sie Carpenter die Hände boten:

„Wir alle machen mit.“

„Schön. Ich danke Ihnen. Es handelt sich also darum: wer ist der Ermordete?“

„Ich“, sagten beide in bittendem Ton.

„Zwei Ermordete kann ich nicht brauchen.“

„Ich möchte darauf hinweisen,“ bemerkte der Marquis, „dass ich ein gewisses Anrecht darauf habe, der Ermordete sein zu dürfen. Ich hatte ohnehin die Absicht, auf einige Zeit nach Paris zu fahren, und ein Zufall will es, dass noch niemand von diesen Reiseplänen weiss. Ich versäume also nichts, wenn ich auf einige Zeit aus London verschwinde; gleichzeitig erweise ich einer guten Sache einen guten Dienst. Tun Sie mir also den Gefallen und ermorden Sie mich.“

„Ich muss doch sehr bitten,“ sagte Jeffries; „warum sollte ich nicht ebensogut ermordet werden dürfen wie der Marquis? Bin ich weniger, weil ich bürgerlich bin?“

„Sie haben das Tanzturnier vor, mein lieber Jeffries,“ sagte Fairbanks lächelnd, „und auch in Cowes haben Sie, wenn ich nicht irre, eine Anmeldung belegt.“

„Er hat recht.“ Carpenter klopfte Jeffries auf die Schulter. „Seien Sie nicht böse, vielleicht kommen Sie später mal dran. Diesmal wollen wir den Marquis umbringen.“

„Und wer ist sein Mörder?“

„Ich natürlich,“ sagte Carpenter, „dies Vergnügen dürfen Sie mir nicht streitg machen.“

Maud machte ein ängstliches Gesicht; aber ihr Vater streichelte ihr beruhigend die Wange. „Es ist im Dienst einer guten Sache, mein Kind. Wenn Carpenter Erfolg hat — und nach menschlichem Ermessen scheint mir dies sicher — dann wird sein Name untrennbar sein von der Geschichte der britischen Rechtspflege, und man wird ein Gesetz nach ihm nennen: die lex Carpenter. Er wird der berühmteste Anwalt von London werden.“

„Ja,“ sagte Maud, „ihr habt recht, ich sehe es ein. Aber ich wünschte doch, diese Geschichte wäre erst vorüber.“

Die drei sassen behaglich in den Klubsesseln der Fairbanksschen Villa. Weiche Mondnacht lag über der Themse, die hart hinter den Fenstern des Hauses vorüberfloss.

„Haben Sie vielleicht einen Kohlensack?“ erkundigte sich Carpenter.

„Ich habe so viel Kohlensäcke, wie Sie wünschen“, sagte der Marquis stolz.

„Ausgezeichnet.“

„Darf ich fragen, was Sie damit wollen?“

„Ich will ihn zum Fenster hinauswerfen mit einem lauten Plumps. Wir müssen dafür sorgen, dass man es hört. Denn Sie dürfen nicht vergessen: das wichtigste Indizium wird in unserem Falle fehlen: nämlich die Leiche des Ermordeten.“

„Richtig.“

„Deshalb müssen wir das Drum und Dran so arrangieren, dass das Gericht zu der Auffassung gelangen wird: ich hätte den Marquis getötet und seine Leiche in die Themse geworfen. Die Wasser der Themse haben sie dann hinausgespült in die Nordsee.“

„Sehr schön,“ sagte Jeffries; „aber sagen Sie mal, lieber Carpenter: warum haben Sie denn den Marquis getötet? Nach dem Motiv wird selbst der gewissenloseste Richter fragen.“

„Stimmt.“ Carpenter sah die beiden nachdenklich an. „Warum habe ich Sie denn ermordet, Fairbanks?“

„Tja; es ist zwar eigentlich Ihre Sache; es ist ein bisschen viel verlangt, wenn sich Ihr Opfer auch noch den Kopf darüber zerbrechen soll, warum Sie es getötet haben. Aber weil Sie es sind, Carpenter, will ich Ihnen einen Tip geben: Maud Melford!“

Carpenter runzelte die Stirn. „Es ist mir nicht lieb, dass der Name meiner Braut in diesem Zusammenhang auftaucht.“

„Verzeihung,“ sagte der Marquis, „Sie greifen den Dingen, wie mir scheint, ein wenig vor. Fräulein Maud Melford ist nicht Ihre Braut, das möchte ich nur feststellen. Ich hatte mit ihr gestern eine längere Unterredung, in deren Verlauf sie mir erlaubt hat, bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten.“

„Herr Marquis ...!“

„Aber meine Herren,“ sagte Jeffries, „vergessen Sie ganz, warum wir hier versammelt sind?“

„Wenn doch Fairbanks ...“

„Wenn doch Carpenter ...“

„Sind wir hierhergekommen, um uns Liebesgeschichten zu erzählen? Oder um uns zu ermorden? Im übrigen, da gerade von Maud Melford die Rede ist: ich bin heute früh mit ihr ausgeritten, wie Sie wissen. Und — nur weil es die Sache erfordert und unter strengster Diskretion — sie hat mir Avancen gemacht, die eine Frau einem Manne nur macht, wenn sie ihn liebt.“

„Was heisst das?“ erkundigte sich Carpenter.

„Und jetzt wollen wir endgültig von unserem Vorhaben sprechen.“

„Nur noch ...“

„Nicht ein Wort mehr, oder ich verlasse das Haus.“

„Er hat recht,“ sagte der Marquis; „soll unsere Mission an einem persönlichen Zerwürfnis scheitern? Also an die Posten, wenn ich bitten darf.“

„Was sollen wir eigentlich tun?“ erkundigte sich Carpenter.

„Das ist doch sehr einfach“, sagte Jeffries. „Sie beide geraten in einen heftigen Streit. Die Tür steht offen: so kann Ihr Gärtner, der unten im Hause wohnt, die einzelnen Phasen Ihrer Erhitzung bequem verfolgen. Man hört das Zubodenschlagen schwerer Gegenstände; man vernimmt einen Schrei. Dann wird ein schwerer Körper in die Themse geworfen; holen Sie mal den Kohlensack, Fairbanks. Wenn der Gärtner heraufkommt, findet er die Tür verschlossen. Er muss sie aufbrechen: das Zimmer ist in wüster Unordnung. Alles deutet auf einen stattgehabten wütenden Kampf; aber keine der Personen, die daran teilgenommen haben, ist mehr im Hause.“

„Aber mein Kammerdiener“, wandte der Marquis ein.

„Richtig; den hatte ich ganz vergessen. Wir müssen ihn aus dem Hause schaffen. Ich habe hier zwei Opernbillette, die werde ich ihm schenken.“

„Sehr gut.“

Der Marquis klingelte. „John,“ erklärte er dem Eintretenden, „Herr Carpenter sagt mir eben, er müsse sich für verschiedene Gefälligkeiten revanchieren, die Sie ihm in letzter Zeit erwiesen haben.“

„Oh, Herr Carpenter“, wehrte der Diener ab.

„Es ist in der Tat so, John,“ sagte Carpenter freundlich; „Sie waren immer, weit über Ihre Pflicht hinaus, dienstwillig gegen mich. Wollen Sie heute abend ins Theater gehen? Ich habe hier zwei Karten; vielleicht haben Sie eine Tante, die Sie begleitet? Oder eine Cousine?“

„Von Herzen gern, Herr Carpenter. Ich bin Ihnen sehr dankbar, und wenn der Herr Marquis nichts dagegen hat ...“

„Gehen Sie nur, John.“

„Sie müssen sich aber beeilen,“ sagte Carpenter; „ich glaube, der Zug geht in einer Viertelstunde.“

„So ist es. Ich danke sehr.“ Damit ging John ab.

Die drei lauschten seinen Schritten, die in den Tiefen des Hauses verklangen. Türen schlugen; wenige Minuten später trat John auf die Strasse hinaus.

„Ich denke, meine Herren: auch ich werde jetzt gehen,“ wandte sich Jeffries an die beiden, „diese Mordangelegenheit wird nur glaubhaft, wenn Sie sie unter sich abmachen. Ich wünsche Ihnen also ein vergnügtes Jenseits, Fairbanks; und Sie, Carpenter, sehe ich ja morgen. Wo werden Sie übrigens in Paris wohnen, Fairbanks?“

„Im Hotel Royal, Place Vendôme.“

„Guten Abend, meine Herren.“ — — —

„Gin netter Kerl, der Jeffries,“ sagte Carpenter, ihm nachblickend, „und mit welch rührendem Eifer er sich für unsere Sache einsetzt!“