Der geheimnisvolle Hof - Wilhelm Ernst Asbeck - E-Book

Der geheimnisvolle Hof E-Book

Wilhelm Ernst Asbeck

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Beschreibung

Ole Dale, Hofherr in Norwegen, lebt allein mit seiner Tochter Astrid und seiner Mutter Petra auf einem einsamen Hof weit draußen. Eines Tages erhalten sie einen merkwürdigen Besuch: Der Mann gibt an, wie magisch hierhergezogen worden zu sein, und die Hofbewohner, besonders Astrid, haben das Gefühl, genau auf ihn gewartet zu haben. Das Gespräch kommt auf den Schriftsteller Bratt Ullewold, dessen drei Bücher Astrid gerade gelesen hat, und es stellt sich heraus, dass der Fremde niemand anderes als der Schriftsteller Ullewold selbst ist. Als er von der alten Petra, der letzten aus dem uralten Geschlecht der Sörke, von ihrem verlassenen Herkunftshof erfährt, dem Genganger-Seater oder Gespensterhof, von wo sie, vor mittlerweile über fünfzig Jahren, nach dem Tod ihres Mannes geflohen ist – ein Hof in den Bergen, der aber heute verflucht und verfallen ist –, beschließt Bratt Ullewold sofort, ebendiesen geheimnisvollen Hof aufzusuchen. Dort scheint es zu spuken, er hört seltsame Geräusche und sieht schattenhafte Gestalten, allerlei Ereignisse zwischen Traum und Wirklichkeit stürzen auf ihn ein, und es hat den Anschein, als seien alle Geister und Ereignisse der Vergangenheit in diesem Hof noch immer lebendig. Doch das waren teils sehr schlimme, schauerliche Ereignisse, wie Ullewold bereits vom Totengräber erfahren hat, der soeben den Schädel von Birk Rollen aus dessen aufgelassenem Grab gezogen hat – einem bösen Spötter, der vor fünfzig Jahren ebenfalls seinen Tod auf dem Genganger-Seater fand. Als Bratt Ullewold nun auf dem Gespensterhof den geisterhaften Stimmen der Vergangenheit lauscht, begreift er, was sie von ihm wollen: Er soll die Geschichte ebendieser Vergangenheit aufschreiben. Und ist er doch ein Schriftsteller! Er greift zum Stift, und ehe er sich's versieht, hat er eine Geschichte zu Papier gebracht, die unter dem Titel "Der geheimnisvolle Hof" bald als sein viertes Buch veröffentlicht wird. Und auch der Leser versinkt in dieser Geschichte ... Wilhelm Ernst Asbecks reizvolles Spiel mit der Fiktion, das auf bemerkenswerte Weise die Brücke zwischen Heimat- und Gruselerzählung schlägt, gehört sicher zu seinen interessantesten und noch heute unbedingt lesenswerten Werken.Wilhelm Ernst Asbeck (1881–1947; Pseudonym: Ernst Helm) war ein deutscher Schriftsteller. Wilhelm Ernst Asbeck lebte in Hamburg; während des Zweiten Weltkriegs übersiedelte er nach Burg (Dithmarschen). Sein literarisches Werk besteht vornehmlich aus Romanen, Erzählungen, Märchen, Theaterstücken und Hörspielen, die sich häufig historischen Stoffen annehmen und überwiegend in Asbecks norddeutscher Heimat, etwa im Raum Hamburg und an der Nordseeküste, aber auch etwa in Skandinavien angesiedelt sind.-

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Wilhelm Ernst Asbeck

Der geheimnisvolle Hof

Eine Erzählung aus dem Norden

Saga

Der geheimnisvolle Hof

© 1940 Wilhelm Ernst Asbeck

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517864

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com.

1.

Der späte Gast

Der Hofhund begann plötzlich zu heulen.

Vater und Tochter wechselten einen Blick. Der alte Dal erhob sich und ging zur Tür. Die grosse Standuhr auf der Diele liess ein surrendes Geräusch vernehmen, dann schlug sie langsam und bedächtig elfmal. Draussen fiel die Gartentür ins Schloss.

Es war eine jener wundervollen nordischen Hochsommernächte, in denen die Finsternis keine Macht gewinnt und selbst um Mitternacht ein fahler Schein alle Gegenstände deutlich erkennen liess.

Eine schlanke, stämmige Gestalt — das Felleisen umgehangen, den Knotenstock in der Hand — schritt über den Weg, der zum Gutshaus führte. Jetzt öffnete sich das Tor, und der Herr des Hofes trat ins Freie. Er war ein Mann von etwa 60 Jahren, kräftig, vierschrötig. Seine stahlgrauen Augen musterten den Ankommenden. Er sah in ein wettergebräuntes, offenes Gesicht, über dem sich eine hohe Stirn wölbte und das von einer mächtigen Mähne umrahmt wurde.

Lachend rief der späte Wanderer: „Ich hatte mich schon darauf vorbereitet, im Grünen zu übernachten, als ich, vom Berge kommend, Licht im Tal erblickte. Da bin ich nun und lade mich bei Euch zu Gast!“

Das ungezwungene Wesen gefiel Dal. Er reichte dem Fremden die Hand und sagte: „Seid uns willkommen!“

Sie betraten die geräumige Diele. Der Wanderer sah sich um und sagte: „Ist es nicht seltsam: Euch, dieses Gehöft, den Vorgarten, dort die alte Standuhr, die Truhen, den grossen Schrank — alle diese Dinge habe ich schon vor Jahren genau so im Traum erblickt. — Habt Ihr nicht ein altes Mütterchen und eine Tochter im Hause?“

„Ja, die alte Petra und Astrid, mein Kind.“

„Alles hier ist mir vertraut, als ob ich es seit langem kenne.“

„Auch Ihr kommt nicht als Fremder zu uns — wir haben Euch erwartet. — Woher stammt Ihr?“

„Vom Nordland, über Hammerfest hinaus.“

„Aus der Gegend kamen meine Vorfahren, aber es liegen Jahrhunderte dazwischen.“

Die Männer traten ins Wohnzimmer.

Ein unsichtbares Band schien diese drei Menschen zu umschlingen, als seien sie Bekannte, Freunde, seit vielen Jahren.

Astrid trug Trank und Speise herbei.

Der Hausherr fragte: „Woher kommt Ihr jetzt?“

„Von Drontheim herunter. Ich habe seit heute früh keinen Hof mehr gesehen.“

„Nun, es liegen ihrer doch mehrere an der Landstrasse.“

„Ich gehe Seitenpfade oder auch quer durch Buschwerk und Gesträuch, wohin es mich gerade lockt. Es ist ein Zufall, oder richtiger gesagt, Bestimmung, die mich wieder auf die Landstrasse führte. Ich liebe die Einsamkeit der Berge und Wälder.“

„So habt Ihr kein Ziel vor Augen?“

„Doch!“

„Welches?“

„Ich weiss es nicht.“

Dal sah den Gast fragend an.

„Allzulange habe ich es nie an einem Ort ausgehalten. Plötzlich, oft von einer Stunde zur anderen, werde ich von der Unrast befallen. Dann gibt es kein Halten mehr! Eine unsichtbare Gewalt zwingt mich, aufzubrechen.“

„Ihr solltet Euch derartigen Einflüssen nicht hingeben!“

„Ich habe versucht, mich dagegen zu wehren. Es ist zwecklos gewesen. Dieses andere „Ich“ in mir ist stärker als mein Wille. Erklären lässt es sich nicht. Es ist „die innere Stimme“, die ruft, und der ich folgen muss.“

„Die innere Stimme?“ wiederholte Astrid, und sie sprach die Worte mit seltsamer Betonung.

„Ja, die innere Stimme! Immer führte sie mich zu einem starken Erlebnis; sie meisterte und formte mein Schicksal und machte mich zu dem, der ich heute bin.“

Eine Weile herrschte Schweigen.

Die Augen des Gastes ruhten voll Wohlgefallen auf dem jungen Mädchen. Es mochte einige zwanzig Jahre zählen und war eine stattliche Erscheinung.

Der Fremde setzte nach einiger Zeit die Unterhaltung fort: „Ich verstehe, dass es Euch ungewöhnlich erscheint, wenn jemand seiner ‚inneren Stimme‘ folgt.“

„Das war es nicht, aber gerade heute Abend habe ich ein Buch gelesen, das diesen Titel trägt.“

„Ihr lest Bratt Ullewold?“

„Ja, wir haben auch seine beiden anderen Werke: ‚Die seltsamen Erlebnisse Holger Holgersens‘ und ‚Die Welt, die um uns ist‘ gelesen.“

Jetzt mischte sich Ole Dal ins Gespräch: „Drei Bücher, und eines ungewöhnlicher als das andere.“

„Man urteilt sehr verschieden über Bratt Ullewold. Wie denkt Ihr über sein Schaffen?“ sagte der Wanderer.

„Im Grunde haben die Leute, die über ihn urteilen, immer nur ihr eigenes Urteil gesprochen“, entgegnete der Alte.

Unvermittelt fragte Astrid den Gast: „Und wie ist Eure Einstellung?“

Er erwiderte lachend: „Ich habe keine zu ihm, die überlasse ich anderen Leuten.“

Fast feindselig antwortete das Mädchen: „Seid Ihr auch einer von denen, die ihn Narr, Phantast oder gar Landstreicher schelten?“

„Er wird von allen Dreien etwas im Blute haben.“

„Meint Ihr?“

„Ja, das meine ich, denn jeder wahre Dichter muss die Weisheit und Einfalt eines Narren, den Gedankenflug eines Phantasten und die Fernsehnsucht des Landstreichers in sich tragen.“

„Recht gesprochen“, fügte Dal den Worten hinzu. „Es sind die Menschen der grossen Städte, die ihn Narr und Phantast schelten. Sie beweisen nur, dass sie das Gefühl für die Natur und der mit ihr verbundenen Kräfte eingebüsst haben. Ihre Weisheit besteht im Hasten und Jagen nach Geld, Ehren und Titeln. — Landstreicher nennen ihn die Bequemen und Satten, die den Hof, das Handwerk oder den Laden ihrer Väter erbten. Sie leben in der Enge, haben nie die Scholle verlassen, nie die Sorge, aber auch nie die Sehnsucht, in unbekannte Fernen und Weiten zu schweifen, in sich gespürt. Wie sollten sie ihn verstehen? Ihr satter Bauch ist ihr Heiligtum, und ihr Wohlstand ist ihnen ihr Paradies auf Erden. Darüber hinaus zu denken sind sie zu abgestumpft und träge.“

Der Gast drückte Ole Dal die Hand, als wolle er sich bei ihm bedanken, und aus seinen Augen leuchtete etwas wie Stolz und Freude.

Wieder schwiegen die drei Menschen eine Weile, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Nur das einförmige Ticken einer Uhr unterbrach die Stille.

Endlich sprach Astrid: „Es ist eine merkwürdige Nacht, die uns zusammenführt. Ich hatte, kurz bevor Ihr ins Haus tratet, das dritte Buch des Dichters gelesen. Der Zauber seiner Worte war, wie aus einer anderen Welt kommend, auf mich übergegangen. Eine seltsame, fast unirdische Ruhe herrschte im Raum. Ich dachte: dieser Bratt Ullewold muss ein aussergewöhnlicher Mann sein, und ich wünschte ihn kennen zu lernen. — In demselben Augenblick sagte mein Vater: es kommt jemand vom Berg herunter; jetzt fühlte ich ganz deutlich, wie er zu uns hinüberdenkt. — Wir spürten beide Euer Nahen, bevor wir Euch sehen oder hören konnten — — wir erwarteten Euch!“

Ein seltsames Empfinden hatte Dal und seine Tochter gepackt. Es liess sich nicht in Worte fassen. Es war, als habe man die Grenze der mit unseren irdischen Sinnen wahrnehmbaren Dinge überschritten. Zeit und Raum schienen aufgehört zu haben. Ein Hauch der Ewigkeit, die Stille der Unendlichkeit hielt die drei Menschen umfangen.

War es nur eine Sekunde gewesen oder waren Stunden darüber vergangen? Draussen erwachte der junge Tag. Das Surren der alten Standuhr auf der Diele, dem vier Schläge folgten, rief die Drei in die Wirklichkeit zurück.

„Wer seid Ihr?“ fragte Astrid beklommen.

„Bratt Ullewold!“

2.

Die innere Stimme ruft

Nun waren schon vier Wochen ins Land gegangen und immer noch hingen Felleisen und Knotenstock am Haken auf der Diele. Der Ruhelose hatte auf dem Dalhof anscheinend eine zweite Heimat gefunden. Er war kein weltfremder, verträumter Dichter, nein, er stand mit beiden Füssen fest auf der Erde. Er verstand es, den Pflug zu führen, die Sense und Sichel zu handhaben; er wusste mit Pferden und Vieh umzugehen und sich in Haus und Hof nützlich zu machen. Ole Dal beobachtete ihn mit stiller Freude, wenn der Gast aber abends mit Astrid auf der Bank im Garten sass, so schlich der Alte sachte davon. Dann wurde der Dichter wieder zum Träumer. Stunde auf Stunde verbrachte er in andächtigem Schweigen.

Seine Blicke streiften von dem anmutigen Tal, in dem der nur aus wenigen Höfen bestehende Ort Kirkedal gelegen war, zur Anhöhe. Dort stand die Kapelle, vom Friedhof umgeben, eingebettet in Wiesen und Felder. Ringsum türmten sich kahle Felsen und mit Wald bestandene Gebirgszüge. Bratt Ullewolds Augen blieben schliesslich auf der Landstrasse haften, die sich vom Bergesgipfel heruntersenkte. Vor wenigen Wochen war er von dort herniedergekommen. Eine Wandlung ging seitdem in seinem Innern vor sich; ein Gefühl, über das er sich nicht Rechenschaft zu geben wagte — — glaubte er doch die Freiheit seiner Person über alles zu lieben.

Das junge Mädchen sass ihm zur Seite. Ihr genügte es, ihn um sich zu wissen. Nie riss sie ihn aus seinen stillen Betrachtungen heraus. Fast schien es, als führten beide wortlose Gespräche, als könne der eine die Gedanken des anderen lesen. Nur die Hände fanden sich. Ein Druck oder auch ein Blick sagte ihnen mehr, als viele Worte vermocht hätten.

In Astrids Herzen war die grosse Sehnsucht erwacht, aber zu ihr gesellte sich die Furcht, dass alles nur ein kurzer, schöner Traum sein möge, aus dem sie eines Tages erwache und von dem dann nur die Erinnerung bleiben würde. — —

Mit Bratt Ullewolds Einkehr auf dem Dalhof war ein Wunder geschehen. Die alte, menschenscheue Petra hatte zu ihm, dem Fremden, vom ersten Augenblick an, wo sie ihn sah, Vertrauen gefasst. Sie, von deren Lippen seit vielen Jahren kein überflüssiges Wort gekommen war, freute sich, wenn er zu ihr ins Zimmer trat. Ihre fahlen Wangen belebten sich, und ihr Mund formte Worte, langsam und schwerfällig, als würde sie von einer geheimnisvollen Macht getrieben, über das zu sprechen, was ihr müdes Herz seit vielen Jahren bedrückte.

Eines Tages sassen die beiden wieder beisammen. Petra sprach: „Nun bin ich 85 Jahre alt geworden und lebe seit mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Dalhof. Es sind gute Menschen, und doch, es drückt mich schwer, auf meine alten Tage das Gnadenbrot essen zu müssen.“

„In Eurem Alter habt Ihr ein Anrecht auf Ruhe, und Eure Hände erzählen mir, dass Ihr ein arbeitsreiches Leben hinter Euch habt. Zudem, was macht es für den reichen Ole Dal aus, Euch das Wenige zu geben? Er und Astrid tun es frohen Herzens.“

„Und doch ist es eine fast unerträgliche Last für mich, nehmen zu müssen, statt geben zu können.“

„So habt Ihr in Eurer Jugend bessere Tage gesehen?“

Ein bitteres Lachen irrte über die Gesichtszüge der alten Frau: „Ja, aber ich denke nicht gern an meine Jugend zurück.“

„Und später?“

„Wurde ich Sörkes Frau und wohnte oben auf dem Berghof.“

„Ist Euer Mann gestorben?“

„Vor mehr als 50 Jahren.“ Leise, als spräche sie mit sich selbst, fügte sie hinzu: „All die Jahre habe ich um das Heil seiner unsterblichen Seele gebetet.“

„Was ist aus dem Hof geworden?“

„Er gehört mir noch heute.“

Erstaunt blickte Ullewold die Alte an.

„Ja, aber er heisst im Volksmunde nur der Genganger-Seater, der Gespensterhof.“

„Wo liegt er?“

„Irgendwo in den Bergen.“

„Ich möcht’ ihn sehen.“

„Nein. Niemand soll ihn wieder betreten. Er hat zwei Opfer und das Leben Sören Sörkes gefordert. Es ist genug. — — Ich bitt’ Euch, lasst mich jetzt allein.“ — —

In Gedanken versunken schritt Bratt Ullewold durch das Dorf. Irgend etwas war in ihm aufgerüttelt worden. Geheime Fäden schienen das Schicksal der alten Petra mit dem seinen zu verknüpfen.

Er ging über den Friedhof. Ein Grab wurde ausgegraben. Ein paar Überreste verfaulten Holzes, die einmal zu einem Sarg gehört hatten, und das Gerippe eines Mannes lagen darin. Der alte Asle stand in der Kuhle. Er hob den Totenschädel heraus und sprach: „Schaut ihn Euch an, sieht er nicht aus, als wolle er sich über uns lustig machen?“

„Weiss Gott, man könnte glauben, er grinse uns an“, erwiderte Ullewold.

Ein altes, zerbrochenes Holzkreuz ragte aus den aufgehäuften Erdmassen heraus. Die Schrift war verblichen, aber der Name noch schwach zu lesen. Er lautete: Birk Kollen.

Der Totengräber fuhr fort: „Ich war ein Bursche von zwanzig Jahren, als der hier zu Grabe getragen wurde. Ich habe ihn gut gekannt. Machte er den Mund auf, so kam etwas Witziges heraus, aber, Herr, es war kein Witz, der das Herz erfreut. Das Lachen ging auf Kosten anderer Leute. Ich erinnere mich manchen Mannes und manchen Mädchens, denen die Augen nass wurden, wenn die anderen lachten. Niemand war vor Birk Kollens Bosheiten sicher.“ Leiser fügte er hinzu: „Auch mir hat er mein Lebensglück zerstört. — Nun hat er fünf Jahrzehnte in der Erde gelegen und muss jetzt der Platz machen, die er damals von mir riss, um sie nach einem kurzen Rausch von sich zu stossen, wie unsereins ein ausgedientes Kleidungsstück von sich wirft.“

Hass leuchtete aus Asles Augen.

Der Dichter fragte: „Sein Tun scheint ihm keinen Segen gebracht zu haben, denn er muss jung gestorben sein.“

Der Alte schien die Frage zu überhören. „Bärenkräfte hatte der Birk. Niemand konnte sich mit ihm messen, bis er doch an einen geraten ist, der ihm überlegen war. Seht, Herr, selbst so ein dicker Schädel wie seiner konnte eingeschlagen werden!“

Asle blickte auf den Totenkopf nieder und hielt ihn wie abwägend in der Hand. Dann setzte er seine Erzählung fort, als spräche er jetzt aber zu dem Verstorbenen. „Ja, ja, Birk Kollen, hast es dir damals nicht träumen lassen, als du mich mit deinen groben Tatzen so unsanft zu Boden warfst, dass ich deinen grinsenden Totenschädel auf den Misthaufen werfen würde!“ Verächtlich schleuderte er den Kopf von sich, der in wilden Sprüngen bergab kollerte.

Bratt sagte: „Ihr müsst ihn sehr gehasst haben, dass Ihr nach fünfzig Jahren noch nicht vergessen und vergeben könnt.“

Ein heiseres Lachen antwortete ihm: „Damals lachten er und seine Saufgenossen über mich, warum sollte ich heute nicht einmal über ihn lachen? — Ich habe alle überlebt und keinem eine Träne nachgeweint, als ich ihren Sarg mit Erde bedeckte. Dieser hier musste als erster ins Gras beissen.“

„Und wie ist er gestorben?“

„Er glaubte, selbst der Toten spotten zu dürfen. Oben auf dem Genganger-Saeter hat er sein Ende gefunden.“

Bratt Ullewold ging langsam davon. Am anderen Morgen hing er sein Felleisen um, nahm den Knotenstock und reichte Dal und Astrid die Hand: „Habt Dank! — Ich muss jetzt gehen.“

„So plötzlich?“ fragte das Mädchen. „Warum?“

„Die Unrast hat mich befallen. — Die innere Stimme ruft. — Auf Wiedersehen!“ Ein kurzer Händedruck und, ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich zum Gehen.

Astrid sah ihm nach. Ein bläulicher Dunst lag über der Erde. Es schien, als werde Bratt Ullewolds Gestalt allmählich vom Morgennebel aufgesogen, als verschwinde sie in eine fremde, überirdische Welt.

3.

Der verlassene Hof