Seelenverkäufer - Wilhelm Ernst Asbeck - E-Book

Seelenverkäufer E-Book

Wilhelm Ernst Asbeck

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Beschreibung

"Zederström, der vornehme Gast aus Stockholm, hatte sein Glas erhoben und wollte gerade zum Abschluß des festlichen Tages den letzten Trinkspruch ausbringen, als plötzlich eine gewaltige Detonation die Stille der Nacht zerriß und weit draußen auf See eine riesige Stichflamme zum Himmel emporloderte." Die kleine Gesellschaft vor der Lofotenküste, die an Bord der Luxusjacht "Dagmar" soeben den 18. Geburtstag der gleichnamigen Tochter des reichen Osloer Kaufmanns, Schiffseigners und Kapitäns Nicolai Lund feiert, vermutet eine Schiffsexplosion und sticht sogleich in See, um den vermeintlichen Schiffbrüchigen zur Hilfe zu eilen. Sie finden aber nur ein Rettungsboot mit einer reichlich anrüchigen vierköpfigen Gesellschaft unter Führung des südamerikanischen Kreolen Ernesto Serrato. Hat es den von den vier schroffen Männern behaupteten Untergang eines Lastschiffs mit überaus wertvoller Fracht überhaupt gegeben? Während sich Dagmar immer mehr in Olof verliebt, häufen sich weitere sonderbare und zwielichtige Vorkommnisse, und sowohl Olof Zederström als auch den Ermittlern um Kriminalinspektor Mac O'Patrick wird es zunehmend zur Gewissheit, es bei den Männern um Serrato mit einer Seelenverkäuferbande zu tun zu haben. Aber wie ihnen ihr ruchloses Handwerk legen? Wilhelm Ernst Asbecks ungewöhnliches Buch, das Seefahrer- und Kriminalroman vereint, ist nicht nur außerordentlich spannend, sondern auch ungemein lesenswert!

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Wilhelm Ernst Asbeck

Seelenverkäufer

Kriminalroman

Saga

Seelenverkäufer

© 1942 Wilhelm Ernst Asbeck

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517871

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I.

Die Schiffbrüchigen der „Mary“.

Die Schiffsuhr schlug zwölf.

Zederström, der vornehme Gast aus Stockholm, hatte sein Glas erhoben und wollte gerade zum Abschluß des festlichen Tages den letzten Trinkspruch ausbringen, als plötzlich eine gewaltige Detonation die Stille der Nacht zerriß und weit draußen auf See eine riesige Stichflamme zum Himmel emporloderte.

Dagmar stieß einen Schreckensschrei aus. Ihr Glas fiel klirrend zu Boden. Der junge Schwede war mit einem Satz an ihrer Seite. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte, um sie zu stützen. Sie hatte jedoch den Schwächeanfall bereits überwunden und ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Sanft löste sie sich aus seiner Umarmung, aber aus ihrem Blick sprach Vertrauen und Dankbarkeit. „Was ist geschehen?“ fragte sie und in ihrer Stimme zitterte noch die Erregung nach.

„Ich weiß es nicht, Fräulein Lund, vermutlich eine Schiffsexplosion.“

Dagmars Vater, Kapitän Nielsen, Erik und Svend, die beiden dienstbaren Geister, waren an die Reling geeilt. Selbst Ol Larsen, der dicke Schiffskoch, der sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, riß die Tür zu seiner Kombüse auf um zu sehen, was sich ereignet hatte.

Eine schwere Katastrophe mußte stattgefunden haben, denn in weiter Ferne hing eine pechschwarze Rauchwolke über dem Meeresspiegel, die allmählich die Gestalt einer langen Fahne annahm und träge in nordwestlicher Richtung entwich.

Schiffseigner und Kapitän verstanden sich ohne viel Worte. Lund ließ die Anker lichten und Nielsen warf den Motor an, darauf nahm er seinen Platz am Steuer ein. Mit voller Fahrt fuhr er der Unglücksstätte entgegen.

Die Faust des Schicksals war gleich einem Blitz aus heiterm Himmel mitten in die Festesfreude der kleinen Gesellschaft an Bord der Luxusjacht „Dagmar“ herniedergesaust. In frohester Laune hatte man in der Bucht dieser winzigen, den Lofoten vorgelagerten Insel Anker geworfen. Es war eine jener wundervollen lauen nordischen Sommernächte, wo selbst um die Mitternachtsstunde noch fast Tageshelle herrschte. Bis in unabsehbare Fernen dehnte sich der Meeresspiegel, dessen Wellen, vom Winde bewegt, im leichtbeschwingten Reigen auf- und niedertanzten.

Dagmar Lunds achtzehnter Geburtstag wurde gefeiert! Dagmar, das einzige Kind des reichen Osloer Kaufherrn Nicolai Lund. Groß war der Jubel gewesen, als ihr Vater bekannt gab, daß er die schnittige, mit allem Luxus ausgestattete Jacht seiner Tochter zum Geburtstag schenkte, nachdem er sie schon vorher nach ihr benannt hatte. Der Schiffskoch hatte alle Hände voll zu tun. Erik und Sven schleppten die auserlesensten Speisen und Getränke herbei und mancher Sektpfropfen flog mit lautem Knall in die Luft.

Niels Nielsen, der junge, weltgewandte Kapitän, sang Seemann-Shanties und begleitete sich selbst auf dem Schifferklavier. Er hatte einen unerschöpflichen Vorrat lustiger Weisen auf Lager und verstand es, sie wirkungsvoll vorzubringen.

Oluf Zederström, der Sohn eines Stockholmer Geschäftsfreundes, war an Bord der einzige Gast. Zwischen ihm und Dagmar hatte sich schnell ein freundschaftliches Verhältnis angebahnt. Er bewunderte ihr feines Antlitz, ihre sportgestählte schöne Gestalt und die Anmut ihres Wesens.

Jetzt waren urplötzlich Lachen, Gesang und frohe Reden verstummt. Ein unheimliches Schweigen lagerte über der See, nur von dem gleichmäßigen Tack-tack-tack des Motors und dem Plätschern der Wellen, die sich am Bug des Schiffes emporbäumten, unterbrochen.

Nielsen verlangsamte jetzt zusehends die Geschwindigkeit. Als er auf Lunds Stirn die Unmutsfalte entdeckte, sagte er: „Wenn unsere Jacht auch nur einen geringen Tiefgang hat, so ist größte Vorsicht doch geboten.“ Er wandte sich nunmehr an Dagmar: „Ja, Fräulein Lund, unter uns liegt eine gewaltige Gebirgswelt begraben. Kuppen und haarscharfe Bergspitzen ragen, teils kaum noch vom Wasser bedeckt, nahe bis zur Oberfläche empor.“

Der junge Seemann wandte keinen Blick von dem tückischen Meeresspiegel. Dagmar war ihm dankbar für seine Worte. In dieser gewaltigen, mit Spannung geladenen Stille hatte die Stimme des Kapitäns erlösend gewirkt, als habe sie einen unerträglichen Bann gebrochen. Die Sinne der Menschen waren aufs höchste angespannt. Mitten in ihre Festesfreude hinein hatte die Hand des Schicksals gegriffen. Alle wußten, sie fuhren einer Stätte des Todes und des Grauens entgegen. Was würden sie erleben? Jede Minute war kostbar und doch zwangen die Umstände zu diesem Schneckentempo, denn mehr als einmal steuerten sie im letzten Augenblick an gefahrdrohenden Klippen vorüber. Endlos deuchte ihnen die Zeit. Endlich wurde die Spannung gebrochen.

„Boot in Sicht!“

Fast gleichzeitig stießen die drei Männer den Ruf aus.

Ein winziges Fahrzeug, in dem sich vier Seeleute befanden, tauchte auf. Zwei von ihnen bedienten die Riemen, ein dritter saß am Steuer und der vierte kauerte mit hochgezogenen Beinen am Bug.

Kaum waren sie in Hörweite der Jacht gekommen, als der Mann am Steuer rückwärts deutete und in englischer Sprache rief: „Damned, beeilt euch!“

„Was ist geschehen?“

„Fragt nicht lange, sondern setzt den Motor auf volle Fahrt, oder ihr mögt es mit eurem Gewissen vereinbaren, wenn achtzehn brave Schiffer den Tod finden!“ kam grob die Antwort zurück.

„So? Und ihr wollt es mit eurem Gewissen verantworten, wenn wir auflaufen und absacken?“ entgegnete Nielsen nicht minder grob und fügte seinen Worten hinzu: „Wem ist dann geholfen? Niemand!“

Die „Dagmar“ hatte das Boot bereits überholt und ihre Insassen konnten daher das gemeine, hohnvolle Grinsen nicht bemerken, das um die Lippen des Sprechers der Schiffbrüchigen spielte.

Die Rauchfahne hatte sich inzwischen in eine graufarbige, breite Mauer verwandelt, die langsam aber stetig ihre Formen änderte und sich allmählich in zahlreiche kleine Wolken aufzulösen begann.

Nielsen hielt den Kurs scharf auf dieses einzige Zeichen, das die Richtung der Unglücksstätte andeutete. Beklemmende Angst lastete bleischwer auf der noch vor kurzem so fröhlichen, kleinen Gesellschaft.

Endlos schien sich die Zeit zu dehnen. So scharf auch alle Ausschau hielten, nirgends war ein Schiffswrack zu entdecken.

„Da!“ rief plötzlich Zederström und deutete mit der Hand backbord voraus.

Jetzt sahen auch die übrigen eine Planke und bald darauf andere Schiffstrümmer im Wasser treiben. Weit verstreut schwammen die einzelnen Teile. Die Gewalt der Explosion mußte eine furchtbare gewesen sein.

Sorgsam, in langsamster Fahrt, umkreiste Nielsen die Unfallstätte. Merkwürdig, so gewissenhaft er auch weit und breit jeden Zoll absuchte, kein lebendes Wesen war zu finden. Stundenlang wurden die Bemühungen fortgesetzt. Atembeklemmend war das grausige Schweigen über dem Seemannsgrab.

„Wir sind zu spät gekommen!“ sagte Lund endlich und fügte nach einer Weile bedeutsam hinzu: „Achtzehn Menschenleben vernichtet, weil die Rettung zu spät kam!“

Wie ein Vorwurf hatten die Worte geklungen. Nielsen antwortete nicht, er wies nur stumm auf eine nadelförmige Felsspitze, die, kaum einen halben Meter unter dem Wasserspiegel liegend, in diesem Augenblick deutlich sichtbar wurde.

Das kleine Rettungsboot trieb inzwischen wie eine verlorene Nußschale in der unendlichen Weite der See, aber der Mann am Steuer hielt den Kurs genau auf die Insel, deren hügeligen Umrisse allmählich nebelhaft in der Ferne auftauchten. Er war ein breitbrüstiger, stiernackiger Kerl. Sein rotes, aufgedunsenes Gesicht mit dem hervorstehenden Kinn, den wulstigen Lippen zeugte von Brutalität und aus seinen Augen sprach List und Verschlagenheit. Sein Haupt bedeckte wirres graues Haar und sein starker, schlechtgepflegter Voll- und Backenbart verlieh seinem Äußeren etwas Wildes, Abschreckendes. Er war ein Hüne von Gestalt und verfügte über außergewöhnliche Körperkräfte. Jim Brown lautete sein Name. Er war der Kapitän des untergegangenen Schiffes gewesen. Wütend sah er der entschwindenden Jacht nach und als er sich überzeugt hatte, außer Hörweite zu sein, stieß er einen gotteslästerlichen Fluch aus.

„Muß sich ausgerechnet heute nacht dieses aufgedonnerte, nichtsnutzige Pack in dieser Gegend herumtreiben! Damned, hätte ich ein Maschinengewehr zur Hand gehabt, die Bande läge jetzt mitsamt ihrer hübschen Spielzeugjacht auf dem Meeresboden!“

„Sahen nicht aus, als ob sie stillgehalten hätten. Schätze, die guten Leute hatten vorzügliche Schußwaffen an Bord und verstehen damit umzugehen“, rief ihm der Mann am Bug zu. Er maß den Kapitän mit einem spöttischen Blick und verlieh seinen Worten einen Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen und hatte eine hohe, hagere, aber sehnige Gestalt. Die Sonne des Südens hatte sein Antlitz ausgedörrt, es war eingefallen, gelb und erinnerte an gegerbtes Leder. Seine Kleidung zeugte von einer gewissen Eleganz und sein Äußeres war sorgfältig gepflegt, ja, diese Sorgfalt grenzte schon an Eitelkeit. Er trug ein übertriebenes Selbstbewußtsein zur Schau, wie solches so oft in der Natur der südamerikanischen Kreolen verankert liegt. Sein Gehaben erinnerte immer irgendwie an ein auf der Lauer liegendes, beutegieriges Raubtier. Er war eine Führernatur, dessen Willen sich — wenn auch widerstrebend — selbst Käpp’n Brown beugte. „Master“ ließ er sich nennen. Sein richtiger Name lautete Ernesto Serrato. Er hatte sich außerdem den Titel eines Ingenieurs zugelegt, ob zu Recht oder Unrecht, vermochte niemand zu sagen.

Auf der Ruderbank saßen der Steuermann Bob Smith und der Matrose Stanislaus Polaczewsky. Ersterer war ein alterprobter wetterfester Seemann, der sich an die dreißig Jahre auf allen Meeren herumgetrieben hatte. Im übrigen paßte sein Charakter zu denen seiner Vorgesetzten, nur, daß sie ihn geistig überragten. Der polnische Matrose war eine jener stumpfsinnigen Kreaturen, die um Geld für jede Schurkerei zu haben war, der das Denken anderen Menschen überließ und demgemäß wie ein willenloses Werkzeug behandelt und ausgebeutet wurde.

Serrato begann nach einiger Zeit aufs neue: „Los, Leute, werft euch in die Riemen! Wollen versuchen, mit unserem Kriegsschiff früher an Land zu kommen, als die Herrschaften von der Jacht.“ Spöttisch fügte er hinzu: „Ich fürchte, ihr löblicher Eifer, sich Rettungsmedaillen zu verdienen, dürfte vergeblich sein.“

Smith und Polaczewsky grinsten teuflisch. Brown aber war die Lust zum Lachen vergangen. Das unerwartete Auftauchen des schnellen Osloer Fahrzeuges hatte wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf ihn gewirkt. Er war argwöhnischer Natur und witterte überall Unheil. Alles andere hätte er eher erwartet, als in dieser abgelegenen Gegend auf Menschen zu stoßen.

Als könne Serrato seine Gedanken lesen, wandte er sich in seiner hochmütig-spöttischen Weise an ihn und sprach: „Ja, ja, Käpp’n, ist ein kleiner Strich durch unsere Rechnung. Die Leute sind nicht so einfältig, wie Sie sie einzuschätzen belieben. Taten Ihnen auch nicht den Gefallen, auf Ihren plumpen Leim zu kriechen und Selbstmord zu begehen. Schienen auch nicht zu denen zu gehören, die sich durch Ihre Grobheit einschüchtern ließen. Schätze, der geschniegelte Herr Kapitän zeigte weder Furcht noch Respekt Ihnen gegenüber und hat auf einen groben Klotz einen vorzüglich groben Keil gesetzt. Eine richtiggehende Abfuhr war das, Mister Brown!“

„Ich werde mir den frisierten Affen noch vornehmen und ihm die Knochen im Leibe zerbrechen!“

„Das werden Sie hübsch bleiben lassen! Es ist durchaus nicht nötig, daß Sie Ihrer ersten Dummheit eine zweite, noch größere hinzufügen. Im übrigen, schätze ich, würde er sich zu wehren verstehen!“

Brown machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Ich wünsche nicht, Käpp’n, daß Sie mit den Leuten Streit suchen! Verstanden?“

Drohend und befehlend zugleich klang die Stimme des Ingenieurs. Er fuhr fort: „Gebt alle acht! Ihr befleißigt euch alle, ohne Ausnahme“, wandte er sich an Brown, „größter Höflichkeit. Was ihr zu sagen habt, wenn ihr gefragt werdet, wißt ihr. Im übrigen macht nur dann den Mund auf, wenn ihr zu antworten habt und überlaßt alles andere mir. Ich werde schon vollauf zu tun haben, das Mißtrauen zu beseitigen, daß durch Ihre Voreiligkeit wachgerufen wurde, Käpp’n. Wir können in unserer jetzigen Lage keine Feinde brauchen. Verstanden?“

„Ja, Master“, antworteten Steuermann und Matrose, während Brown nur mürrisch mit dem Kopf nickte und einen Fluch herunterschluckte.

Lange schon bevor die Jacht in die Bucht der kleinen Insel einlief, sah man auf einem Felsvorsprung die hagere Gestalt Serratos stehen. Sobald das Schiff in Hörweite kam, rief er: „Wieviel sind gerettet?“

Ehe ein anderer antworten konnte, schrie Zederström ihm ein einziges Wort entgegen: „Niemand!“ Es klang schneidend, anklagend, feindlich.

Der Kreole ließ die Arme sinken. Sein Kopf neigte sich auf die Brust und er schien Mühe zu haben, sich auf den Beinen zu halten.

„Zederström, wie konnten Sie nur dem Mann so schonungslos die schreckliche Wahrheit ins Gesicht schleudern?“ fragte Dagmar. „Sehen Sie nur, er scheint unter der Wucht des Gehörten zusammenzubrechen.“

„Ich glaube, Sie brauchen sich seinetwegen keine Sorge zu machen, sein Gemüt dürfte nicht so zart sein, wie es den Anschein hat, Fräulein Lund“, lautete die Antwort. Der Schwede kämpfte offensichtlich eine gewaltige Erregung nieder, aber es kostete ihm Mühe, wenigstens äußerlich Ruhe und Gelassenheit zur Schau zu tragen.

Nielsen steuerte die Jacht diesmal hart ans Ufer heran, wo Brown, Smith und Polaczewsky sich eingefunden hatten. Der Pole fing geschickt die ihm zugeworfene Leine auf und vertäute sie um eine Felszacke. Ein Laufsteg bildete alsdann die Verbindung zwischen Schiff und Insel.

Inzwischen hatte sich auch Serrato eingefunden. Er fragte fassungslos: „Ist es denn wirklich wahr? Alle sollen ums Leben gekommen sein? Ich kann es nicht glauben!“ Seine Stimme zitterte vor Erregung.

Lund trat an ihn heran, schüttelte ihm die Hand und sagte: „Leider. Wir haben im weiten Umkreis den Ort der Katastrophe sorgfältigst abgesucht, aber nichts mehr gefunden als ein paar Schiffstrümmer.“

Der Ingenieur bedeckte mit der Hand die Augen und schwankte. Lund stützte ihn. „Fassen Sie sich! Kommen Sie zu uns an Bord. Ihnen und Ihren Leuten wird eine Stärkung vonnöten sein.“ Serrato folgte ihm.

Dagmar eilte an Land. Sie forderte die drei Männer auf, ebenfalls ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Schwerfällig, wie unter der Last des Schicksals gebeugt, mit gesenktem Haupt, wankten Brown und Smith — ihren Vorgesetzten nachahmend — über den Steg. Kein Wort kam über ihre Lippen. Nur der junge Pole schien von dem Vorgefallenen wenig beeindruckt. In seinen kalten, nichtssagenden Gesichtszügen stand der Ausdruck einfältigen Staunens zu lesen, den er über den ihm fremden Luxus und Reichtum der Jacht empfand.

Lund sorgte, daß die Schiffbrüchigen reichlich mit Speise und Trank versorgt wurden. Der Koch hatte alle Hände voll zu tun und die beiden Bedienten ließen es an Aufmerksamkeit nicht fehlen.

Brown, Smith und Polaczewsky entwickelten einen gesegneten Appetit und ließen sich auch den Wein munden, nur Serrato rührte die Herrlichkeiten kaum an und schien die Umwelt vergessen zu haben. Er saß da, scheinbar in tiefes Nachdenken versunken.

Lund legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich verstehe Ihren Schmerz und fühle mit Ihnen. Erleichtern Sie Ihr Herz und erzählen Sie uns, wie alles gekommen ist.“

Der Kreole blickte auf, als sei er durch die Worte einer anderen Welt entrückt. Er begann zu sprechen, stockend, als müsse er sich erst wieder mit den Geschehnissen zurechfinden:

„Selbstredend bin ich Ihnen Auskunft schuldig. Vielleicht haben Sie schon einmal von der Reederei Asher & Serrato in New York gehört? — Nicht? — Nun, wer kann all die unzähligen Reedereien kennen, nachdem in der Nachkriegszeit die Zahl der Neugründungen ins Uferlose gestiegen ist. Jedenfalls genießen wir in den Staaten einen gewissen Ruf.“

Smith konnte es nicht unterlassen, Brown einen vielsagenden Blick zuzuwerfen und es kostete ihm Mühe, das aufsteigende Lachen zu unterdrücken.

Der Ingenieur fuhr fort: „Wir hatten eine besonders wertvolle Ladung für unsere Geschäftsfreunde in Bodö und Tromsö zu verfrachten: Fleischkonserven sowie landwirtschaftliche Produkte. Als Rückfracht sollten Walöl, Heringe und Fischkonserven geladen werden. Diese Abschlüsse wollte ich persönlich tätigen und hatte mich daher entschlossen, die Reise auf unserer guten „Mary“ mitzumachen. Sie müssen nämlich wissen, die Mary war nicht irgendein beliebiges Schiff, o nein, sie war ein erstklassiger Frachter, das kann ich Ihnen sagen! — Ist es so, wie ich sage, Käpp’n?“

Brown setzte eine ehrwürdige Miene auf, zog die buschigen Brauen hoch, seufzte schwer und sagte: „So ein Schiff gab es nur einmal!“

Der Steuermann fügte wohlweislich nur in Gedanken hinzu: „Gott sei Dank, daß es das nur einmal gab. Es war der schlimmste schwimmende Sarg, der mir in meiner langen Seemannslaufbahn vor Augen gekommen ist.“

Serrato legte eine Kunstpause ein, dann fuhr er fort: „Die Mary war unser bester Kahn. Sie war uns allen ans Herz gewachsen wie ein lieber, treuer Kamerad. Es ist unfaßbar zu denken, daß wir nie wieder die Bretter unserer Mary unter unseren Füßen haben sollen, daß sie nie wieder die Nase ins geliebte Salzwasser stecken wird! Ich glaube, sie noch immer vor mir zu sehen.“

„Na, und wie kam es denn nun eigentlich zur Katastrophe?“ unterbrach Nielsen den Wortschwall des Südamerikaners.

„Ja, wie es kam? Die Geschehnisse muten mich an wie ein wüster Traum. Wir hatten eine gute Ausfahrt und unsere Reise ging bis vor zwei Tagen bei schönstem Wetter glatt vonstatten. Die See lag so ruhig wie ein Spiegel. Kein Hauch rührte sich. Die Sonne brannte stechend, die Luft wurde heiß und stickig. Wir lagerten nachts auf Deck, kaum bekleidet und vermochten trotzdem keinen Schlaf zu finden. Einen Tag und zwei Nächte hielt dieser Zustand an. Dann schlug das Wetter um. Ganz unvermittelt setzte ein scharfer Wind ein und nun geschah alles so schnell, daß sich die Ereignisse überstürzten. Der Wind schwoll nach wenigen Minuten zum Orkan an. Die See wurde unruhig, als werde sie von unterirdischen Kräften aufgewühlt. Urplötzlich wuchs am Himmel eine graublaue Wand empor, die mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit näher kam und bald den ganzen Horizont bedeckte. Was dann geschah, war der tollste Hexentanz, den ich je mitgemacht habe. Es heulte in den Lüften, als seien alle bösen Geister losgelassen. Unablässig rissen grelle Blitze die Wolkenwand auseinander und der Donner brüllte ohne Unterbrechung. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, sich bei dem Tumult von Mann zu Mann verständlich zu machen.“

Dagmar hatte mit leuchtenden Augen und glühenden Wangen zugehört. Als Serrato wieder eine Pause einlegte, rief sie: „Ich denke es mir herrlich, Zeuge eines so gigantischen Kampfes der empörten Elemente sein zu dürfen! Ich finde alles schön, das aus dem Rahmen des trägen Alltags herausfällt. Ich liebe die Urkräfte der Natur! Ich liebe den Kampf und das Abenteuer! Herrgott, warum bin ich kein Mann geworden?“

Zederström betrachtete das Mädchen, wie es in seiner schlanken Schönheit dastand, die Arme gen Himmel streckend, die Wangen gerötet, ganz hingerissen von jugendlichem Feuer. Bisher hatte er nur die wohlerzogene Dame an Dagmar kennengelernt, jetzt zeigte sie ihr feuriges Temperament, das sich sonst nur in Sportwettkämpfen austoben konnte. Sie hatte ihm aus der Seele gesprochen. Ging es ihm nicht wie ihr? Waren sie nicht beide eingezwängt in die Enge der Wohlerzogenheit und der gutbürgerlichen Schablone? Hatte nicht auch er oft das Empfinden, in einen Käfig eingesperrt und von unsichtbaren Gittern umgeben zu sein? Aber er war ein Mann! In dieser Stunde hätte er darüber jubeln mögen und es wuchs in ihm der Entschluß, die engen Fesseln zu sprengen. Sehen wollte er fremde Länder und fremde Menschen, auch ihn lockten Kampf- und Abenteuerlust.

Der alte Lund dachte anders. Er schüttelte den Kopf über den Gefühlsausbruch seiner Tochter. Er konnte nicht begreifen, wie man Verlangen spüren konnte, den sicheren Hafen mit seinem reichen Segen gegen eine ungewisse, gefahrvolle Zukunft einzutauschen.

Serrato wandte sich jetzt an Dagmar und es klang in seinen Worten ein Ton hochmütiger Überlegenheit: „Es ist gewiß spannend und nervenkitzelnd zugleich, wohlgeborgen auf festem Boden so einem Kampf der Elemente beizuwohnen, würden Sie selbst aber in solchen Stunden auf den Planken eines Schiffes stehen, ich schätze, verehrtes Fräulein, Sie würden die Sache weniger ‚interessant‘ finden und kein Verlangen spüren, eine zweite solche Fahrt mitzumachen.“

„Ich wünschte, ich hätte Gelegenheit, Ihnen das Gegenteil zu beweisen! Sie scheinen meinen Mut nicht hoch anzuschlagen!“ gab Dagmar beleidigt zurück.

Serrato stellte sich sofort auf die Empfindlichkeit seiner Gastgeberin um. Er gab durch Blick und Gesten sein Bedauern kund und sprach mit öliger, lammfrommer Stimme: „Liebes Fräulein Lund, Sie haben mich mißverstanden. Keine Minute ist es mir in den Sinn gekommen, die Aufrichtigkeit Ihrer Worte anzuzweifeln. Aber das alles hat nichts mit persönlichem Mut zu tun, denn der Mensch ist in solchen Augenblicken so winzig klein und steht der Allgewalt der Naturkräfte arm und hilflos gegenüber.“

Lund mischte sich ins Gespräch: „Meine Dagmar hat hin und wieder so seltsame Anwandlungen, doch schweifen wir nicht zu weit von dem Kern der Sache ab. Ich bin gespannt, was weiter geschah.“

Serrato verbeugte sich höflich und fuhr fort: „So plötzlich, wie das Unwetter auftauchte, ging es auch wieder vorüber. Die bleigraue Wolkenwand entschwand in der Ferne. Eine Weile grollte noch der Donner und man sah das Wetterleuchten der Blitze. Dann entschwand alles wie ein Spuk. Die Sonne strahlte wieder in ihrer Pracht vom Himmel hernieder und allmählich beruhigte sich auch das Meer. Eine angenehme, erfrischende Kühle hatte die erdrückende Hitze abgelöst. Ja, wir hätten erfreut aufatmen können, wenn der Orkan nicht so verheerende Zerstörungen angerichtet haben würde. An Deck lag alles drunter und drüber, das Schlimmste aber war, daß unser Steuer von der Gewalt der Wellenberge zerbrochen worden war. Die Mary trieb manöverierungsunfähig auf dem Wasser, wohin sie just die Strömung entführte. Um aber das Unheil voll zu machen, war das Kartenhaus mitsamt dem Kompaß über Bord gespült und wir vermochten nicht einmal festzustellen, wo wir uns befanden.“

Serrato hatte sich allmählich völlig in seine Rolle hineingelebt. Er verlieh seinen Worten durch Gesten und Handbewegungen Nachdruck. Jetzt schwieg er wiederum, als müsse er sich die weiteren Vorgänge erst wieder ins Gedächtnis zurückrufen.

Brown benützte die Pause, um die Worte des Masters zu unterstreichen, indem er sagte: „Sie dürfen uns glauben, wir befanden uns in einer verdammt unangenehmen Lage. Wir hatten die Notflagge gehißt, aber was half es, da wir uns auf einem Teile des Meeres befanden, der von keinem Schiff befahren wurde? So blieb uns nichts übrig, als alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Die großen Rettungsboote und das kleine Beiboot wurden überholt, sorgfältig abgedichtet und außerdem für alle Fälle mit Trinkwasser und Lebensmitteln ausgerüstet. Nicht wahr, Master?“

Serrato nickte zur Bestätigung mit dem Kopf und bekräftigte die Worte seines Kapitäns, indem er hinzufügte: „Ja, unsererseits geschah alles, das Leben der uns anvertrauten Leute vor Schaden zu bewahren. Brown kam Tag und Nacht kaum noch von den Trümmern der Kommandobrücke herunter. Jeder Mann war genau unterrichtet, wie er sich in der Stunde der Gefahr zu verhalten hatte und in welches der Boote er hineingehörte. Jeder Griff schnellen Inwasserlassens war unzählige Male geübt worden. Und als dann das Schreckliche geschah, kam doch alles anders, als wir gedacht hatten. Mitschiffs wurden wir gegen einen der unsichtbaren Felsen geschleudert, der sich wie eine Säge in die Planken bohrte. Wir alarmierten sofort alle Mann und überzeugten uns, daß sie die Boote klarmachten, bevor wir in unsere Nußschale stiegen. Kaum hatten wir darin Platz genommen und waren von der Mary abgestoßen, als die furchtbare Explosion das Schiff im wahren Sinne des Wortes auseinanderriß. Eine wohl an die hundert Meter hohe Flammengarbe schoß zum Himmel empor. Zerrissene Menschenleiber und Schiffsteile sah man hoch in die Luft geschleudert. Ein grausiger Anblick. Doch nur wenige Sekunden währte dieses schaurig-schöne Schauspiel, dann sank die Flamme in sich zusammen und eine dichte Rauchwolke nahm jede Sicht. Wir wurden von einem Funkenregen überschüttet, hörten markerschütternde Schreie und rings um uns klatschten Gegenstände ins Wasser.“

Wieder schwieg Serrato, als sei er von den Erlebnissen zu sehr ergriffen, um weitersprechen zu können.

Zederström unterbrach die Stille: „Und wie erklären Sie sich die Ursache der Explosion?“

„Ich vermute, daß Wasser in die Dampfkessel gedrungen ist.“

Scharf betont fragte der Schwede: „Sprengladung hatten Sie nicht an Bord?“

Für den Bruchteil einer Sekunde stutzte Serrato, doch dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er blickte Zederström mitleidig an und lächelte, wie man etwa über die unverständige Frage eines unwissenden Kindes lächelt. Fast ironisch klangen seine Worte: „Schätze, Ihnen bereits gesagt zu haben, welcher Art unsere Ladung war und wüßte nicht, was Sprengstoff auf unserem Schiff zu suchen hätte.“

„Erleiden Sie einen großen Schaden durch den Verlust der Mary?“ versuchte Lund das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

„Damit wird wohl zu rechnen sein, aber darüber würde ich mich hinwegsetzen, wenn nur meine brave Besatzung gerettet worden wäre. Wir hatte alle Hoffnung auf Ihre Jacht gesetzt und ich bitte Sie, daher zu verzeihen, wenn Käpp’n Brown in seiner derben Art es bei unserer ersten Begegnung an Takt und Höflichkeit fehlen ließ. Seine ganze Sorge galt den Schiffbrüchigen!“

„Nur“, warf Nielsen nicht ohne Schärfe ein, „hätte er wissen müssen, wie gefahrvoll das klippenreiche Wasser war und seine Pflicht wäre es wohl gewesen, uns zu größerer Vorsicht anzuhalten, anstatt uns zu unsinniger Eile anzutreiben.“

Brown erhob sich schwerfällig und erwiderte: „Soll das eine Anklage gegen mich bedeuten, so muß ich sie zurückweisen. Unsere Mary hatte einen ganz anderen Tiefgang als Ihre leichte Luxusjacht und ich hätte mich ohne weiteres getraut, mit voller Geschwindigkeit, wie es die Not der Stunde erforderte, zur Unfallstelle zu eilen!“

Nielsen schoß das Blut zu Kopf. Er rief zornig: „So? Nun, dann kann ich Ihnen versichern, daß Sie mitsamt der Jacht jetzt längst auf dem Meeresgrund lägen. Sie scheinen in der Tat von diesem Fahrwasser auch nicht die geringste Ahnung zu haben!“

Bevor Brown etwas entgegnen konnte, schaltete sich Serrato ein: Mit der verbindlichsten Art seines Wesens suchte er die Spannung zu überbrücken: „Käpp’n Nielsen, ich glaube Ihnen aufs Wort und zweifle nicht, daß Sie durchaus im Rechten sind. Sie als Norweger werden natürlich die Gewässer Ihrer Heimat kennen und so handeln, wie es in solcher Lage die Umstände erfordern. Wie ich Ihnen schon sagte, hatten wir Kompaß und Karten bei dem Orkan eingebüßt und es ist daher verzeihlich, wenn Brown sich ein falsches Bild machte in Unkenntnis des Fahrwassers. Verstehen Sie doch, sein Herz blutete, als er sah, wie gemächlich Sie fuhren, wo höchste Eile so dringend erforderlich war. Ich bitte Sie, dieses zu bedenken und keinen Mißton zwischen uns aufkommen zu lassen.“

„Ich bitte auch Sie, Herr Serrato, zu bedenken, daß es für einen Seemann keine größere Beleidigung gibt, als ihm vorzuwerfen, er habe sich Schiffbrüchigen nicht mit allem Eifer angenommen.“

„Sicher verstehe ich Ihren durchaus berechtigten Standpunkt. Käpp’n Brown, ich erwarte, daß Sie sich wegen Ihrer kränkenden Worte entschuldigen!“ Ein stechender Blick traf den Genannten.

Der alte Seebär schluckte ein paarmal, als habe er einen Kloß im Hals, der nicht herunter wollte. Dann nuschelte er ein paar unverständliche Worte in den Bart.

Nielsen winkte ab. „Für mich genügt es, im übrigen weiß ich selbst, was ich meiner Ehre schuldig bin!“

Ganz unvermittelt ließ sich jetzt Zederström vernehmen und stellte die Frage: „Die Mary war doch sicher gut versichert, Herr Serrato?“

„Nicht höher und nicht niedriger, als es erforderlich war, Herr Zederström“, lautete die Antwort.

„Ist denn die Gesellschaft auch sicher?“

„Seltsame Frage. Ich denke doch, daß die United States Insurence Co. immer noch als erstklassig angesehen werden darf, aber ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie es in solchen Fällen zu ergehen pflegt und welche Schwierigkeiten und Zeitverluste zu überwinden sind, bevor die Versicherung ausbezahlt wird.“ Im stillen verwünschte er den lästigen Frager, der ihn gewissermaßen überrumpelt hatte, indem er sich durch den unvermuteten Einwurf hinreißen ließ, den Namen der Versicherungsgesellschaft zu nennen.

Der Schwede ließ noch immer nicht locker und meinte kühl: „Da man Versicherungen im allgemeinen doch so hoch abzuschließen pflegt, daß ein gewisser Gewinn einkalkuliert wird, so kann, nach meinem Dafürhalten, von einem materiellen Verlust für Sie überhaupt nicht die Rede sein!“

Der Kreole faßte seinen Gegner ins Auge, als wolle er ihm bis auf den Grund der Seele sehen. Er entgegnete kühl: „Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen. Jedenfalls habe ich bisher hierüber nicht nachgedacht, da mir meine achtzehn Kameraden wichtiger erscheinen, als die materielle Seite der Katastrophe und da mir auch mit meiner Mary ein Freund ins Meer versunken ist, aber das werden Sie nicht begreifen, denn Sie sind eben Kaufmann und für eine Landratte — wie wir in der Seemannssprache zu sagen pflegen — bleibt ein Schiff eben ein toter Gegenstand — — der nur von der materiellen Seite bewertet wird.“

Eine Weile herrschte Schweigen. Jeder spürte, daß zwischen diesen beiden Männern eine unüberbrückbare Feindschaft bestehe.

Die kurze Zeit der Dämmerung ging zur Neige. Es versprach, ein wundervoller Morgen zu werden. Lund gähnte. Ihn überwältigte die Müdigkeit. Er erhob sich und sprach: „Ich denke, wir legen uns jetzt ein paar Stunden aufs Ohr und wollen uns dann überlegen, was weiter geschehen soll. Etwas Schlaf wird uns guttun.“

Decken und Kissen wurden an Deck geschafft und, so gut es gehen wollte, Lagerstätten für die Gäste bereitet.

Serrato hatte sein Nachtlager etwas abseits aufgeschlagen. Er hielt darauf, stets einen gewissen Abstand, selbst Brown gegenüber, zu wahren.

Als die drei Männer der Mary unter sich waren, brach Smith in ein glucksendes Gelächter aus.

„Was ist dir?“ fragte sein Käpp’n.

„Ich muß daran denken, daß du, Jim, schon ein gutes Seemannsgarn zu spinnen verstehst, aber gegen unseren Master bist du doch nur ein armseliger Waisenknabe!“