Der Gral - Lars Muhl - E-Book

Der Gral E-Book

Lars Muhl

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Beschreibung

Eine mystische Reise zu Herz und Verstand! Nach "Der Seher" und "Magdalena" der dritte Teil von Lars Muhls Reise hin zu Heilung und Erwachen. Ein altes spanisches Manuskript wird ihm übergeben, und zwei Jahre lang liegt es unberührt in seinem Büro, bis eines Tages die Sonne auf das Buch fällt und Lars es wieder aufnimmt. Die Seiten enthüllen Symbole und Zeichen, die er vorher nicht gesehen hatte. So beginnt der letzte Teil seiner Reise, um die Bedeutung des weiblichen Archetyps für unsere Zeit zu entdecken. Seine Wege führen ihn zu den Höhlen des heiligen Berges von Montsegur und weiter zu den südlichen Pyrenäen und der geheimen Höhle von Maria Magdalena in der Nähe von Perillos. Auf seinen Reisen begegnet Lars einem namenlosen Lichtwesen, das ihm Antworten auf viele der heutigen spirituellen Fragen gibt.

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Titel der Originalausgabe: GralCopyright © Lars Muhl 2006,First published by Lindhardt & Ringhoff 2006, Denmark

Lars MuhlDer Gral

Projektmanagement:

Marianne Nentwig

Übersetzung:

Maike und Stephan Schuhmacher

Lektorat:

Otmar Fischer

Gestaltung Umschlag/Innenteil:

Wilfried Klei

Coverillustration:

Peter Finch Christiansen

Autorenfoto:

© Tine Juel

Druck & Verarbeitung:

druckhaus köthen in Köthen

© Kamphausen Media GmbH, Bielefeld [email protected] | www.kamphausen.media

ISBN Printausgabe: 978-3-95883-282-4ISBN E-Book: 978-3-95883-283-1

1. Auflage 2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Buch wurde auf 100% Altpapier gedruckt und ist alterungsbeständig.Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.weltinnenraum.de

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen undsonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabesowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

DER GRAL

LARS MUHL

Aus dem Englischen übersetzt vonMaike und Stephan Schuhmacher

Inhalt

Prolog

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Zweiter Teil

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Die Lehren von den heiligen Zahlen

Die Lehre von den Erzengeln

Kapitel 12

Die Lehren über die inkarnierte Shekhinah

Kapitel 13

Dritter Teil

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Über den Autor

In einem Menschen des Lichts gibt es ein Lichtim Inneren,

und es erleuchtet die ganze Welt.

Leuchtet es nicht,

welche Finsternis!

Yeshua, Das Evangelium des Thomas1

1Zit. nach Jean-Yves Leloup: Das Evangelium des Thomas. Aus dem Französischen übersetzt von Maike und Stephan Schuhmacher. Winterthur, Edition Spuren: 2008.

Prolog

Vor einigen Jahren wurde mir ein altes spanisches Manuskript anvertraut. Sein Titel lautete San Gral, der Autor nannte sich Kansbar.

Der Mann, der es mir übergab, war zuerst mein Lehrer und später dann mein Freund. In der dazwischenliegenden Zeit erlitt er die Schmach, die dubiose, aber archetypische Rolle des spirituellen Vaters für mich zu erfüllen. Daraus folgte natürlich, dass ich die Rolle des pflichtbewussten Sohnes übernahm, dem es jedoch niemals gelang, seinen Vater vollkommen zufriedenzustellen. Der Beziehung wohnte die klassische Konfliktsituation inne: anfangs die Vergötterung des Vaters, gefolgt von dem unausweichlichen symbolischen Vatermord.

Das alte spanische Manuskript ist ungefähr 400 Seiten lang. Es besitzt keinen literarischen Wert. Die Inhalte sind mehr oder weniger uninteressant, zumindest für ein ungeschultes Auge. Wenn es darin überhaupt etwas gibt, das von Interesse wäre, so findet es sich zwischen den Zeilen. Und das bisschen, das ein begieriger Leser darin finden mag, ist nur für die wenigen bestimmt, die ihm einen Sinn abgewinnen können.

Beim Lesen der Widmung des Manuskripts hat man unmittelbar das Gefühl, dass der Inhalt eine Sache zwischen demjenigen ist, der das Manuskript übergibt, und demjenigen, der es empfängt. In diesem Fall zwischen Kansbar und Flegetanis.

Das Manuskript ist mit „Alhambra, 1001“ datiert. Die Widmung lautet folgendermaßen:

„Kansbar ist nicht mein richtiger Name. Aber aufgrund der Geheimnisse, die zu bewahren ich auserwählt bin, habe ich diesen alten persischen Namen gewählt, Kansbar, der Auserwählte. Kansbar, der Weise. Kansbar der Seher. Kansbar, der Hüter des Grals. Ich bin bald ein alter Mann. Viele Jahre lang habe ich nach dem einen Menschen gesucht, der diese Aufgabe nach mir übernehmen soll – vergebens. Aber jetzt erinnere ich mich wieder an den Tag, an dem ich Flegetanis, einen fahrenden maurischen Sänger, auf einem Marktplatz in einer kleinen Stadt an der andalusischen Küste traf. Dieses Manuskript ist für ihn. Es ist die Geschichte des Grals.“

Anfangs wusste ich nicht, was ich mit dem Manuskript anfangen sollte. Von einer leichten Neugier abgesehen, empfand ich lediglich einen kindischen Stolz, dass ich für wert befunden worden war, es zu hüten. Erst als ich es zu lesen begann und feststellte, dass der Inhalt nicht dem gerecht wurde, was die Widmung versprach, verflüchtigte sich meine neu entdeckte Wertigkeit wie Tau in der Morgensonne.

Zwei Jahre lang blieb das Manuskript unangetastet im Bücherschrank in meinem Arbeitszimmer, bis eines Tages die Sonne einen fahlen Strahl darauf warf, so als wolle sie meine Aufmerksamkeit noch einmal darauf lenken.

Daher öffnete ich das vergilbte Manuskript noch einmal ohne jegliche Erwartung. In dem Augenblick, in dem ich es in die Hände nahm, schien sich das Licht im Raum zu verändern. Ich zögerte und blickte von der leeren Seite auf.

Der leeren Seite?

Draußen stand die Sonne fahl und tief am Himmel. Offenbar hatte sich nichts im Raum verändert. Nur das Buch. Ich blätterte die Seite um. Nicht ein Buchstabe. Kein einziges Wort. Ich blätterte eine Seite weiter und noch eine, nur um zu sehen, dass offensichtlich nichts darin geschrieben stand. Stattdessen erschienen einige klare, beinahe transparente Schriftzeichen auf dem Papier. Die seltsamen Symbole und Zeichen schienen sich zu bewegen, und je mehr ich sie ansah, desto mehr schienen die Zeichen beinahe höhnisch und diabolisch vor meinen Augen zu tanzen.

Lange Zeit saß ich gedankenverloren da und grübelte über die merkwürdige Erfahrung nach, die ich soeben gemacht hatte. Als ich noch einmal auf das Manuskript blickte, stand der ursprüngliche Text plötzlich wieder auf den Seiten. Ich blätterte es durch und sah, dass der Text anscheinend wieder ganz vorhanden war. War all dies einfach ein Hirngespinst?

Dann dämmerte mir plötzlich, dass der Inhalt des Manuskripts, obwohl er an sich bedeutungslos war, doch einen Schutzschleier, eine Art Schlüssel zu einer sonst verschlossenen Welt darstellte. Erst später begriff ich, dass das Manuskript einfach eine Metapher, ein Spiegel oder ein Tor zu einer anderen Dimension war.

Die Informationen, die das Manuskript vermittelte, waren lediglich ein schwacher Abglanz eines viel tieferen Wissens. Der gewöhnliche Text erzählte eine in Andalusien angesiedelte Geschichte, in der es hauptsächlich um zwei Figuren, Kansbar und Flegetanis, ging. Die unerklärlichen Zeichen hinter dem Text waren irgendwie der Schlüssel zu diesem tieferen Wissen. Es war jedoch eine Art von Wissen, das sich nur demjenigen offenbart, der dafür bereit ist. Das Manuskript war somit eine Metapher für die Möglichkeit, die sich im Menschen selbst findet: ein Zugang zu der sogenannten Akasha-Chronik in dem großen ätherischen universalen Gedächtnis.

Ich schlug eine Seite um und begann zu lesen.

Erster Teil

Sylvia

1

Der Zug schnitt wie ein Messer durch die europäische Abenddämmerung. Der Regen peitschte gegen die Abteilfenster.

„Gott pinkelt“, sagte ein kleiner Junge, der mit seiner Schwester auf dem Sitz mir gegenüber saß.

„Carl!“

Ihre Mutter sah mich entschuldigend an, während sie sich zu ihrem Sohn hinüberbeugte und ihm mit einer Papierserviette den Mund abwischte.

„Gott pinkelt nicht“, antwortete seine Schwester, „er weint.“

Es war keine Aussage mit Trommelwirbel, eher die ruhige Feststellung einer Tatsache mit einem schwachen Ausrufezeichen dahinter. Wie ein unterdrückter Atemzug mit einer unmittelbar mattsetzenden Wirkung.

„Dann muss er wohl sehr traurig sein“, seufzte die Mutter resigniert mit leerem Blick auf die beschlagene Fensterscheibe, bevor sie sich wieder hinter einer Frauenzeitschrift versteckte.

Das Mädchen legte den Kopf klaglos auf die Schulter des Bruders. So, wie die beiden dasaßen, brachten sie den Protest einer ganzen Generation gegen die gedankenlose Ablehnung des Heiligsten aller Heiligen zum Ausdruck: die göttliche und zarte Fähigkeit des Menschen, präsent zu sein.

Ich lächelte ihnen mitfühlend zu und lehnte mich in der Hoffnung, etwas Schlaf zu finden, in meinem Sitz zurück.

In der Tasche neben mir lag das Ergebnis von zwei Jahren intensivster Arbeit, das Manuskript für das Buch über Maria Magdalena, die vergessene weibliche Kraft. Aber es war auch das Ergebnis des Aufbrechens eines Lebens. Zwei Jahre lang war ich mehr oder weniger umhergewandert, ohne einen anderen Zielpunkt als das Manuskript. Ich schrieb in einem kleinen Haus in den andalusischen Bergen, in der Gare du Nord in Paris, im Hôtel Costes in Montségur. Zeile für Zeile, Stück für Stück, an zufälligen Rastplätzen, in wechselnden Hotelzimmern und geschäftigen Bahnhöfen, wo immer es möglich war, mich mit meinem Laptop auf den Knien hinzusetzen.

Die Arbeit war vollbracht, und ich war auf dem Weg nach Dänemark, hundemüde. In den Tiefen meines Bewusstseins rührte sich eine Angst, ob die Teile wohl zusammenpassen würden oder nicht. Würde es Kohärenz in dem Chaos geben? Das war alles, woran ich denken konnte, bevor ich zum Klang der Tränen Gottes einschlief, die gegen das Fenster prasselten und bedeutsame Muster auf die Rückseite meiner Augenlider zeichneten.

Es gibt eine kleine Stadt, Bélesta, im Tal der Liebe, Val d’amour, in den Pyrenäen. In dieser Stadt gibt es ein Kind, das jedes Mal eine Träne vergießt, wenn ein Blatt vor seiner Zeit vom Baum fällt. Das Kind betrauert die Unwissenheit der Menschen. Beweint die allgegenwärtige Unwissenheit des Menschen um die wahre Essenz. Betrauert die spirituelle Blindheit des Menschen.

In dieser Stadt steht eine Kirche. Tief im Dunkeln der Krypta unter der Kirche gibt es ein Wasserbecken im Boden, das mit den Tränen dieses Kindes gefüllt ist. Sie bilden ein heiliges Wasser, in dem Pilger ihre Augen baden und ihr Sehvermögen wiedererlangen können.

Ist es nicht ein Paradox, dass die christliche Kirche, zumindest auf einer symbolischen Ebene, ihre wahre Kraft im Unbewussten versteckt?

Die Kirchen im Land der Katharer bergen viele Geheimnisse, die erst in letzter Zeit langsam ans Tageslicht treten. Es gab eine Zeit im Laufe meiner Bemühungen, einige dieser Geheimnisse aufzudecken, in der ich dachte, es gehe dabei um das Offenlegen von Misanthropie und Verlogenheit der katholischen Kirche. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte viele nicht wiedergutzumachende Gräueltaten begangen. Man ist beinahe müde, nur daran zu denken, sie alle aufzuzählen. Aber wie hätte die Kirche anders sein können angesichts der Tatsache, dass sie ein Produkt der dem Menschen eigenen Beschränktheit ist? Genau wie alle anderen Kirchen und Religionen der Welt. Ob ein Neugeborenes eine Initiation als Hindu, Buddhist, Muslim, Jude, Christ oder Atheist erhält, hängt allein von der Wahl der Eltern ab oder den Umständen, die von der jeweiligen Kultur bestimmt sind. Kein Mensch und keine Kirche bestimmt jedoch die wahre kosmische Identität des Kindes. Dies gilt wiederum für uns alle.

Ich glaubte, meine Reise sei fast vorüber. In Wirklichkeit sollte sie gerade erst beginnen, aber damals hatte ich davon keine Ahnung. Mir ging es einzig und allein um das Magdalena-Manuskript. Obgleich ich derjenige war, der es niedergeschrieben hatte, fühlte es sich eher wie ein Geschenk an, das man mir nach Hause zu bringen erlaubt hatte, als wie etwas, das ich persönlich geschaffen hatte. Es erfüllte mich mit tiefer Dankbarkeit, aber auch mit einer seltsamen Leere, einer anderen Art von Leere als der, die man normalerweise erfährt, wenn man etwas beendet hat.

Die Intuition kennt viele Wege. Grundsätzlich kann man sagen, dass Intuition den Menschen nicht benutzt, wenn er sie nicht benutzt. Bestenfalls war meine Reise ein Beispiel dafür, was alles passieren kann, wenn man sich von einer inneren Stimme leiten lässt, die materielle Realität loslässt und in die Seelenlandschaft reist, die im Grunde immer zugänglich ist, aber selten besucht wird und die durch die Einschränkungen der jeweiligen Persönlichkeit gewöhnlich verborgen ist.

Meine Begegnungen mit dem Seher haben mich Einblicke in die zahllosen Ebenen, die uns umgeben, gewinnen lassen, haben mir aber auch die zahlreichen Fallen gezeigt, in die ein Suchender leicht hineintappen kann. Ich habe auf meinen Astralreisen die Unterwelt besucht und bin meinen persönlichen Schatten sowie einer langen Reihe kollektiver Dämonen begegnet, die sich dort verbergen. Ich kam bei meiner Reise nach Toledo in Kontakt mit dem Orakel, einer inneren Stimme, mit der ich Kontakt aufnehmen konnte, wenn ich einigermaßen ausgeglichen war. Aber das alles waren nur Schule und zu lernende Lektionen. Auf einer entscheidenden Ebene war ich noch immer gebunden und voller Angst. Ich musste noch mit meiner grundlegenden Einsamkeit umzugehen lernen, und die zeitweilige Trennung vom Seher machte die Sache nicht einfacher.

Während einer unserer Sitzungen in Montségur, mitten auf dem Höhepunkt unseres Konflikts und um mich zu korrigieren, sagte er mir beharrlich, dass ich nichts weiter als ein Botenjunge des Direktoriums sei. Der Umstand, dass er über das Direktorium der Großen Beleuchtungsgesellschaft im Obergeschoss sprach, entspannte die Situation zwischen uns nicht gerade. Seither sind seine Worte immer und immer wieder zurückgekommen, und in diesem Augenblick klangen sie lauter denn je. Es gab kein Entkommen: Die Zeit war reif für mich, mein Erbe anzutreten. Ich musste mich auf meine eigenen Mittel verlassen.

Der Zug klagte mit all seinen Kupplungen. Der von weither kommende kreischende Klang der Bremsen holte mich aus dem Schlaf. Ich öffnete die Augen. Die Neonröhre an der Decke war ausgeschaltet. Die Mutter mit den beiden Kindern war verschwunden. Stattdessen erhaschte ich einen Blick auf eine Gestalt, die auf dem Sitz mir direkt gegenübersaß und von einem seltsamen, verschwommenen Licht umgeben war. Das Licht war nicht klar genug, als dass ich hätte sagen können, ob es sich hierbei um einen Mann oder eine Frau handelte. Völlig bewegungslos saß diese Gestalt da, und ich blinzelte, um den unsichtbaren Schleier zwischen uns zu durchdringen. Doch ich hatte keinen Erfolg.

Ich wollte etwas sagen und hatte das Gefühl, dass meine Lippen sich bewegten, aber aus einem unerklärlichen Grund gaben sie keinen Laut von sich. Merkwürdigerweise schien das mehr oder weniger normal zu sein. Es waren keine Worte nötig. Etwas, das unter normalen Umständen völlig frustrierend gewesen wäre, veränderte sich nun in vollkommene Akzeptanz. Erst in dem Moment bemerkte ich, welch ein Friede in der inneren Leere herrschte. Ich lehnte mich wieder zurück und überließ mich der Schaukelbewegung des Zuges. Ich war nicht allein.

Ich döste langsam ein und schwebte in der Zeit zurück, bis ich im Jahr 1982 aufwachte. Es war das Jahr, in dem ich, zusammen mit den Warm Guns, das Album Italiano Moderno in den Eden-Studios in London aufnahm. Es war einer jener Tage, an denen der legendäre Songwriter und Produzent Nick Lowe das Studio besuchte. Bei einem Bier hörten wir uns die Aufnahmen dieses Tages an, als er plötzlich auf eine Werbung in Time Out zeigte. Sie betraf „Mediale Lesungen“.

„Warst du schon mal bei einem Medium?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. Aber ich wusste sofort, dass ich es ausprobieren sollte.

Zwei Stunden später stand ich vor dem alten Sitz des „College of Psychic Studies“ im Zentrum von London. Vor dem Haus gab es eine kleine Schlange, in der Hausfrauen, Punks und ein Geschäftsmann aus der City warteten. Eine Eintrittskarte kostete zwei Pfund. Man geleitete mich in einen Raum im zweiten Stock.

Ich wurde von einer jungen Frau begrüßt. Wir sagten Hallo, und sie bat mich hinein. Ansonsten sprachen wir nicht. Sie forderte mich dann auf, ihr meine Armbanduhr zu geben. Als ich sie ihr gegeben hatte, hielt sie sie in den Händen und glitt mit geschlossenen Augen in einen tranceartigen Zustand. Nach einiger Zeit begann sie mit gedämpfter Stimme zu sprechen:

„Deine kleine Schwester lässt dir Grüße ausrichten. Sie sagt, es sei an der Zeit, deine Trauer und Schuldgefühle wegen der Ereignisse in eurer Kindheit loszulassen. Sie ist jetzt mit einem Mann verheiratet, der seine Kindheit in demselben Viertel der Stadt verbracht hat, in dem du gelebt hast. Er starb fast zur gleichen Zeit wie deine Schwester, als er zusammen mit einem Jungen seines Alters vor ein Auto lief. Jetzt haben er und deine Schwester geheiratet und eine Familie gegründet.“

Die junge Frau schwieg eine Weile, bevor sie weitersprach.

„Deine Großeltern grüßen dich. Ein Teil von ihnen, und du weißt, wer es ist, denn du hast seine kaputte Taschenuhr bei dir zuhause in einer Schreibtischschublade, sagt, dass dein Vater krank sei und dass du ihm sagen solltest, dass er sein Leben ändern müsse.“

Wieder schwieg die junge Frau und drehte meine Armbanduhr in ihren Händen um.

„Eines Tages wirst du deine gegenwärtige Beschäftigung aufgeben, weil du begreifen wirst, dass es eine andere Art von Musik gibt, die anderen und viel größeren Wert besitzt. Du wirst mit Heilung arbeiten. Im Laufe der Zeit wirst du mit Menschen in Kontakt kommen, die großen Einfluss auf dich und deine wahre Arbeit haben. Eine von ihnen heißt Sylvia. Wenn die Zeit gekommen ist, wird sie dir etwas mitteilen können, das du weitergeben musst. Sei wachsam und vergiss deine innere Kraft nicht. Vergiss nicht dein wirkliches Schicksal.“

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber es schienen mir nur wenige Augenblicke gewesen zu sein. Deshalb war ich überrascht, dass der Fremde nicht mehr im Abteil war und ich ihn nicht gehört hatte, als er ging.

Ich begann über die Vorstellung eines Zuhauses nachzudenken. Wohin gehört der Mensch? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

Wo leben die Obdachlosen am Hamburger Hauptbahnhof? Wo die Wohlsituierten, die erster Klasse reisen?

Wenn Zuhause ist, wo das Herz ist – wo leben wir dann alle?

Wo war mein eigenes Herz?

Wo ist es jetzt – während ich dies hier schreibe?

Ich habe Tausende von Orten besucht. Ich bin durch endlose Wüsten gewandert. Jetzt erkenne ich, wie oft ich mein Herz um anderer Orte, Vorstellungen, Firlefanz oder der Gesellschaft anderer willen verlassen habe. Alles in der Hoffnung, etwas Sinn zu finden, ein wenig Frieden und die Bestätigung, dass ich letzten Endes geliebt werde. Wobei ich die ganze Zeit vergaß, dass alles, wonach ich suchte, sich bereits in meinem Herzen fand, das ich zurückgelassen hatte.

Gut. Ich mag vielleicht mehr Hilfe bekommen haben als die meisten Menschen. Aber nicht alles, was ich getan habe, wurde gut aufgenommen. Und dafür gibt es Gründe.

Mein Buch über Maria Magdalena wurde quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit publiziert. Ohne eine einzige Besprechung war die erste Auflage nach einem Monat vergriffen. Die fünfte Auflage wurde innerhalb eines Jahres veröffentlicht – ein weiterer Beweis dafür, dass es letzten Endes eine andere Realität, ein verborgenes Netzwerk weit außerhalb des Interesses der Presse und der breiten Öffentlichkeit gibt.

Anderseits handelte mein Buch nicht von einem Niemand. Nach zweitausend Jahren der Vergessenheit begann sich Maria Magdalena und ihre wahre Beziehung zu Yeshua im Geist von immer mehr Menschen in aller Welt zu manifestieren. Das Ergebnis war eine ganze Reihe von Büchern zu diesem Thema, das letzte war Dan Browns Roman Sakrileg, der die Medienschranken mit einem Knall durchbrach und Millionen von Lesern faszinierte.

Mein eigenes Interesse an Magdalena als verborgener weiblicher Archetyp begann Mitte der 1980er Jahre. Dies geschah nach der Begegnung mit einigen Evangelien in den Schriften von Nag Hammadi sowie dem Evangelium der Maria und den gnostischen Schriften der Pistis Sophia. Sie führten mich nicht nur ins Herz einer häretischen Vergangenheit, sondern brachten mich auch in Kontakt mit Spuren, die auf eine Vergangenheit hinwiesen, die uns tiefere Dinge zu sagen hatte als Sensationsenthüllungen und vertrackte Kriminalrätsel.

Die Realität übertrifft immer jegliche Art von bunter Fiktion.

So geschah es, dass mir während eines Vortrags im Haus der Theosophischen Gesellschaft in Kopenhagen ein sechzigjähriger Herr eine Frage stellte, die, wie sich später zeigte, eine bedeutsame Auswirkung auf die Arbeit haben sollte, die ich mit Maria Magdalena begonnen hatte:

„Lars! Das letzte Bild in deinem neuen Buch ist das einer Frau. Aber dies ist das einzige Bild in dem ganzen Buch, das keine Legende oder Erklärung besitzt. Würde es dir etwas ausmachen, uns zu erzählen, woher du dieses Bild hast und wer darauf zu sehen ist?“

Die Frage schickte mir der Himmel. Ich hatte gerade davon gesprochen, dass man seine Intuition herausfordern und sich einige Fragen stellen muss, die man sich sonst nicht beantworten könnte, um auf diese Weise seine energetischen Sinne zu schärfen und Zugang zu der Akasha-Chronik zu gewinnen.

Ich berichtete, was wirklich wahr war, dass ich das Bild irgendwann im Jahre 1983 von einem Bekannten, dem Philosophen John Engelbrecht, bekommen hätte und dass dieser mir erzählt habe, es sei von drei medial begabten Mönchen gechannelt worden. Das Bild sei ein Porträt von Maria, das heißt der Jungfrau Maria. Später begriff ich, dass es genauso gut Maria Magdalena darstellen konnte. Aber da ich keinen echten Beweis dafür besaß, dass dies der Fall war, platzierte ich das Bild ohne weitere Informationen dazu. Das Bild war eine Art Notruf.

Der Herr stand nun auf:

„Vielleicht ist für dich von Interesse zu wissen, dass es meine eigene Mutter war, die dieses Bild in den 1960er Jahren nach Dänemark zurückgebracht hat, und es ist wahr, dass es von drei medial begabten Menschen gechannelt worden ist.“

Der Mann hielt inne, bevor er seine Trumpfkarte ausspielte:

„Des Weiteren kann ich dir bestätigen, dass es wirklich Maria Magdalena darstellt.“

Ein Seufzen ging durch die Menge. Ich hätte nicht mehr überzeugende Beweise für die Macht der Intuition verlangen können. Sie sprach ihre eigene klare Sprache.

Nach dem Vortrag versuchte ich vergeblich, den Mann im Publikum zu finden, um mehr Informationen über seine Mutter zu bekommen. Etwas in mir sagte mir, es sei wichtig, aber die Menschenmenge, die mir Fragen stellen wollte, war zu groß.

Später am Abend in meinem Hotelzimmer erlebte ich ein seltsames Lichtphänomen. Zuerst dachte ich, es sei die Glühbirne in der Lampe auf dem Schreibtisch, die kurz vor dem Verlöschen war. Später fand ich heraus, dass sie gar nicht eingeschaltet war. Eine matt pulsierende Lichtkugel, etwa von der Größe eines Tennisballs, hing in der Luft. Die Kugel wechselte ihre Farbe zu einem Blassblau umgeben von einem violetten Kreis mit einem strahlenden violetten Kreuz darin. Gleichzeitig spürte ich, dass noch eine andere Person im Raum war. Es schien nur eine Minute anzudauern, aber als ich auf meine Armbanduhr sah, stellte ich fest, dass eine Stunde vergangen war. Ich hatte solche Erfahrungen, in denen die Zeit verschwand, schon vorher gehabt. Das Neue hierbei war, dass offenbar keinerlei Bedeutung, Botschaft oder irgendeine Information damit verbunden war. Wohin war dieses Zeitsegment verschwunden, und was war in der Zwischenzeit passiert?

Das Kruzifix in Belcaire

Ich hatte die Erfahrung des strahlenden Kreuzes schon zuvor gemacht. Es geschah bei einem Besuch der kleinen Stadt Belcaire in den Pyrenäen, wo der Seher und ich einige Erkundigungen einholen wollten. Ein lebensgroßes Kruzifix war dort neben einem Denkmal errichtet worden, das an die gefallenen Söhne der Stadt erinnern sollte. Als ich davor meditierte, tauchte eine kleine hellblaue Kugel auf. Sie war von dem gleichen violetten Kreis mit dem violetten Kreuz darin umgeben. Sie sah am ehesten wie eine Seifenblase aus, die vor den Füßen des Gekreuzigten schwebte. Es gelang mir, in diesem Augenblick ein Foto zu machen.

Eine Woche nach meinem öffentlichen Vortrag klingelte mein Telefon. Am Apparat war Hasse Smerlov, der Herr, dessen Mutter das Bild von Maria Magdalena nach Dänemark gebracht hatte:

„Nun ja, es tut mir leid, dass ich dich erst jetzt anrufe, aber ich wollte dich nach deinem Vortrag nicht stören. Ich wollte nur sagen, dass meine Mutter noch immer am Leben ist und sie dich sehr gern kennenlernen würde. Sie wird allmählich alt und es geht ihr körperlich nicht besonders gut. Aber andererseits hat sie einen klareren Geist als die meisten anderen Menschen. Aber das musst du selbst erleben. Wenn du Papier und Stift hast, geben ich dir ihre Adresse.“

Ich kramte nach einem Stift und stieß dabei beinahe eine Kaffeetasse um, bevor ich einen Bleistiftstummel fand.

„Gut“, sagte ich.

„Ihr Name ist Sylvia. Sie lebt …“

Das war alles, was ich mitbekam. Nur ein einziges Wort blieb in der Luft hängen wie der Klang einer geheimen Glocke mit überaus reinen Obertönen, die sehr seltsame Harmonien bildeten und die mit einem sehr tiefen Unterton Widerhall in mir selbst fanden:

Sylvia!

„Entschuldigung, wie war gleich noch der Name?“

„Meine Mutter heißt Sylvia.“

Er hielt inne, um mir Zeit zum Aufschreiben zu geben. Ich schrieb den Namen und die Adresse in mein Notizbuch, als wäre ich in Trance, und als ich vor dem Telefon aufwachte, dessen Hörer aufgelegt war, konnte ich mich kaum erinnern, mich von ihm verabschiedet zu haben.

Könnte dies dieselbe Sylvia sein, von der das englische Medium mir vor 23 Jahren vorausgesagt hatte, ich solle sie treffen, weil sie mir etwas mitzuteilen habe?

All dies geschah zu einer Zeit, da meine Astralreisen seltener wurden und durch Augenblicke ersetzt wurden, in denen ich sozusagen „aus der Zeit fiel“. Ich konnte die Straße entlanggehen und mich plötzlich in einer anderen Zeit oder auf einer anderen Ebene wiederfinden. Die Umgebung war meistens mehr oder weniger die gleiche. Ich glitt geradezu unmerklich in eine synchronisierte Realität, die sich auf mein Zeitgefühl und das Tageslicht um mich herum auswirkte.

Während dieser „Ausfälle“ umgibt mich ein ätherisches Netz tanzender Lichtpartikeln, die sich gegenseitig widerspiegeln und allem, soweit ich sehen kann, mehr Lebendigkeit verleihen. Ich habe das Gefühl, mich in einem morphischen Feld zu befinden, der glitzernden Matrize hinter der sichtbaren, materiellen Realität. Manchmal ist die Erfahrung so stark, dass ich deutlich die kleinen, strahlenden, bewahrenden und schöpferischen Engelwesen, die Hüter des Lichts, sehen kann, die sich als Tausende von Funken oder als ein ewiges Netz kleiner Kristalle in der Luft um uns herum zeigen.

Es gab Tage, an denen diese Erfahrungen sich derart überwältigend körperlich auswirkten, dass ich nichts anderes tun konnte, als den ganzen Tag im Bett zu bleiben. Gewöhnlich hatte ich starke Schmerzen in der Medulla oblongata, genau dort, wo der obere Teil des Rückenmarks sich mit dem Gehirn verbindet. Zu anderen Zeiten folgten diesem Phänomen Schmerzen in der Solarplexus-Gegend sowie ein Verlust all meiner Energien. Es gab keinerlei Zweifel, dass diese Symptome jenen verdächtig ähnlich waren, die ich zehn Jahre zuvor erlebt hatte und die mich drei Jahre lang ans Bett gefesselt hatten, bis ich dem Seher begegnet war. Ich dachte, vielleicht kehre die alte Krankheit zurück, weil ich mich von dem Seher getrennt hatte.

Nein.

Dies war etwas anderes.

Das gewohnte Gefühl von Eisen und Blei tauchte unter den Symptomen nicht mehr auf. Dies hier hatte etwas mit einem Mangel an Klarheit, einer Blockade in mir zu tun, die beseitigt werden musste, damit die kosmischen Kräfte frei fließen konnten. Ich war nicht mehr die unbewusste Ursache und der gelähmte Zeuge meines eigenen Begräbnisses.

Ich sehe keinen Grund darin, Leiden zu kultivieren. Andererseits hege ich keinerlei Zweifel, dass in dem Augenblick, wenn der Leidende das Reinigende des Schmerzes begreift und seine befreiende Wirkung erfährt, das scheinbar Bedeutungslose eine Bedeutung gewinnt. Einfach ausgedrückt, es besteht ein Riesenunterschied zwischen dem Verstehen der tieferen Essenz des Leidens und dem Nichtverstehen.

Diese „Ausfälle“ brachten mich in eine Gemütsverfassung, in der es nicht mehr möglich war, irgendwelche Verabredungen oder überhaupt Pläne zu machen. Ich musste mehr oder weniger widerwillig alle Kontrolle aufgeben und erkannte, wie viel bewusste oder unbewusste Energie wir verbrauchen, um alles zu kontrollieren, und auch, dass diese Ausrichtung auf Kontrolle nur von einer einzigen Sache herrührt: Angst. Das Loslassen dieser Angst mag an sich schon Angst hervorrufen.

In der Nacht, bevor ich Sylvia begegnete, hatte ich einen Traum. Ich gehe eine Straße entlang, und ich kann nicht sehen, wohin sie führt. Niemand sonst ist da, und paradiesischer Friede herrscht über dieser verzauberten Landschaft. Dennoch spüre ich, dass diese Idylle etwas Dämonisches verbirgt, etwas, das einen unheildrohenden Eindruck hinterlässt, aber dennoch bin ich ruhig und zuversichtlich.

Nach einiger Zeit teilt sich die Straße in zwei kleinere auf, und ich weiß nicht recht, welche ich nehmen soll. Eine Gestalt nähert sich auf der zu meiner Linken. Anfangs ist es nur ein Punkt am Horizont, aber kurz darauf steht der Seher in seiner bekannten Pose mit seinem Pilgerstab vor sich in der Hand vor mir.

Dann nähert sich auf der Straße zu meiner Rechten eine andere Gestalt. Auch diese ist nur ein Punkt in der Ferne. Als sie näherkommt, erkenne ich ein Bild meiner selbst. Dieses Bild hält ebenfalls einen Pilgerstab vor sich in der Hand.

Die Situation scheint festgefahren zu sein. Etwas hält mich unten, während ich dem Seher zu meiner Linken und dem Abbild meiner selbst gegenüberstehe, bis ich begreife, dass beide Bilder Projektionen einiger Blockaden in mir sind. Diese beiden Gestalten stehen jetzt dort, hüten eine Schwelle und versperren den Weg. Ich stehe vor ihnen und versuche verzweifelt, eine Lösung zu finden. Zweifellos muss ich an ihnen vorbei, denn sie repräsentieren beide alte Formen, die ich nicht mehr benötige, deren Essenz ich jedoch anerkennen muss, bevor sie aufgelöst werden können und kein Hindernis auf dem Weg mehr darstellen. Aber wie? Welchen Weg soll ich wählen?

Während ich so völlig gelähmt dastehe, sehe ich einen blauen Engel am Himmel über den beiden Straßen. Er nähert sich sehr schnell, und plötzlich werde ich vom Boden gehoben, während eine Stimme sagt:

„Lass dich nicht in die Irre führen. Beide Wege führen zurück in alte Begrenzungen. Du hast eine lange Strecke auf diesen Wegen zurückgelegt, aber jetzt ist die Zeit gekommen, das Alte loszulassen.“

Der Engel trägt mich in seinen Armen, und wir verschwinden durch den Raum über den beiden Gestalten.

Es schneite, als ich in Charlottenlund nördlich von Kopenhagen aus dem Zug stieg. Dicke wattige Flocken schwebten aus schweren Wolken wie Manna vom Himmel herab. Die Luft war von Kristallen erfüllt. Meine Sinne waren so geschärft, dass ich durch die Leute, die mir auf der Straße begegneten, direkt hindurchsehen konnte. Es waren nicht die Blockaden oder Beschränkungen der einzelnen Personen, die mir auffielen, sondern es waren nur ihre höchsten Eigenschaften. Sie erschienen wie leuchtende Muster in der ätherischen Aura. Es war jedoch bemerkenswert, dass niemand sich der Hilfe bewusst war, die ihn umgab.

Über dem Kopf eines älteren Herrn, der auf jemanden wartete, schwebte eine uralte, pulsierende rotgoldene Krone. Die Krone reflektierte eine Sehnsucht – eine Sehnsucht nach der Frau, mit der er dreißig Jahre lang verheiratet gewesen war und die vor kurzem in eine andere Welt gegangen war. Die Sehnsucht war nun transformiert und stellte sich als Geduld dar.

Ein Paar geht Hand in Hand: Ein perlmuttfarbenes Dreieck umfängt sie und löst die Eifersucht zwischen ihnen auf.

Ein in seine Gedanken verlorenes junges Mädchen mit einer kleinen, strahlenden Tiara genau vor ihren knospenden Brüsten – der Libellen festlicher Tanz für den erwachenden Eros.

Eine schwangere Frau: Ein funkelndes Filigran aus Licht umfängt sie und das neue Leben in ihrem Schoß.

Eine Frau, die vergeblich ihre Tränen zu verbergen sucht, die wie Diamanten auf ihren Wangen glitzern: ein fahles pulsierendes Kreuz auf ihrem Magen; die Traurigkeit über den verlorenen Geliebten, das Bild des leeren Bettes; Kummer als der Erlöser eines neuen Lebens.

Die Apartmenthäuser im Künstlerviertel. Die durchsichtige Tür. Oberstes Stockwerk. Einweihung.

Ich klingelte an der Tür und hörte das schwache Klingeln irgendwo in der Wohnung. Ewigkeit. Ich klopfte an die Tür. Dann hörte ich ein leises Geräusch im Flur. Die Tür öffnete sich.

Der blaue Engel.

2

Der blaue Engel stand in der Tür, verkleidet als eine ältere Dame in ihren Achtzigern.

Eine Aura umgab sie, strahlend wie Sonnen und Monde in unendlichen Milchstraßen; die klaren und herzlichen Augen eines jungen Mädchens, das mich anlachte, erfüllt von Wärme, Fürsorge und Liebe, blickten mich durch die Augen der älteren Frau an, die nicht von dieser Welt war.

„Wieso hast du so lange gebraucht?“, lachte sie. „Doch besser spät als nie. Schön, dich zu sehen. Komm doch herein.“

Ihre Worte rollten sich wie ein roter Teppich aus, und als ich über die Schwelle schritt, wusste ich, dass ich in die Welt eintrat, nach der ich so lange gesucht hatte, von der ich aber nicht mehr glaubte, dass sie wirklich existiere. Irgendwie spürte ich, dass dies vielleicht der wichtigste Schritt war, den ich je auf meiner langen Reise nach Hause unternommen hatte.

Die Frau trug ein blaues Kleid mit einem passenden blauen Hut.

Im Wohnzimmer herrschte eine gewisse Ordnung inmitten der chaotisch ausgebreiteten Bücher, Ringordner und Dokumentenstapel auf Tischen und Bücherregalen. Wir ließen uns in zwei Lehnsesseln zu beiden Seiten eines niedrigen Tischchens nieder, das lediglich Platz für zwei Tassen bot, in die sie dampfenden, köstlich duftenden Tee eingoss.

„Ach Lars, könntest du uns die beiden Kuchen holen, die ich für uns gekauft habe. Sie sind in der Küche. Ich bin nicht mehr so beweglich, wie ich es einmal war.“

Ich stand auf, und es gelang mir, einen Weg zwischen den Büchern und Dokumenten zu finden. In der Küche standen zwei Stücke Weihnachtsgebäck, die so groß waren, dass sie für mindestens zwölf Leute ausgereicht hätten.

„Ach so, die beiden sind übrigens für dich“, rief sie aus dem Wohnzimmer herüber. „Ein junger Mann wie du braucht etwas Gehaltvolles. Ich für meinen Teil esse dieser Tage nichts.“

Das Lachen in ihrer Stimme erfüllte den Raum, ein glockenheller Klang, der durch mich hindurchströmte, als ich mir ein Stück von dem Kuchen abschnitt und es auf einem kunstvoll gravierten Kristallteller in das Wohnzimmer balancierte.

„Ich habe auf das Kommen dieses Augenblicks viel länger gewartet, als du dir jemals vorstellen kannst“, sagte sie, als wir uns wieder einander gegenübersaßen.

„Ich habe deine Bücher noch nicht gelesen, aber als mein Sohn mir das Bild der Maria in dem Buch Magdalena zeigte, war mir klar, dass der Bote, auf den ich vierzig Jahre lang gewartet habe, sich endlich gezeigt hatte. Ich war schon kurz davor, die Hoffnung aufzugeben. Das Direktorium im Obergeschoss weiß, wie oft ich gebetet habe, du mögest dich zeigen. Das Bild der Maria war ein ständiges Rauchsignal. Und jetzt haben wir beide unsere Antwort erhalten.“

Ihre Stimme war klar und hell und von Sonnenlicht erfüllt.

„Wusstest du selbst, was los war?“, fragte sie neugierig.

Ich erzählte ihr von dem Medium in London, das mir vor vielen Jahren vorausgesagt hatte, ich solle Sylvia begegnen. Ich erzählte ihr von dem Seher und der Arbeit mit ihm und auch von der unerwarteten Kraft, die in mir freigesetzt wurde, als wir unsere Verbindung abbrachen. Eine Kraft, von der ich mir nicht sicher war, ob ich mit ihr würde umgehen können. Schließlich erzählte ich ihr von meiner Intuition, als das Buch beendet war und auf dem Weg zur Druckerei war, die mir sagte, ich solle das Bild der Maria ans Ende des letzten Kapitels platzieren, ohne wirklich zu wissen, warum.

Während ich ihr davon erzählte, saß sie mit einem unschuldigen Lächeln vor sich hin summend da, als wüsste sie bereits alles. Als ich meine Geschichte beendet hatte, sagte sie:

„Alles ist gut. Alles ist genau so, wie es sein sollte.

Eine ununterbrochene Kette von Ankünften und Abfahrten, von Wiedererkennen und Anerkennen. Was sind wir denn, wenn nicht Reisende, die in einem ewigen Kreislauf sich begegnen und wieder trennen, weinen und lachen, tanzen und sterben. Reisende Seelen in Zeit und Raum. Eine Tasse kann keinen Ozean aufnehmen. Eine Wolke lässt sich nicht in eine Tasche stecken. Die Kenntnis der Ewigkeit kann nicht von einem einzelnen Menschen aufgenommen werden. Deshalb hat Gott mehr als ein Individuum geschaffen, und unter ihnen muss der Gralsritter die größte Last an Erkenntnis erwerben, das heißt, das Wissen um seine eigene Herkunft, seine Aufgabe und sein Ziel. Alles, was du bisher durchgemacht hast, deine Siege und deine Niederlagen, waren notwendige Schritte auf dem Weg, der dich hierhergeführt hat. Du gehst so oft fehl in deiner Richtung, bis du lernst, die Zeichen zu entziffern, aber am Ende gelangen wir alle dahin. Was dich und den Seher angeht, musst du dich erinnern, dass immer, wenn sich eine Tür schließt, eine andere sich öffnet. Eines Tages werdet ihr euch wiederbegegnen, vielleicht nicht in diesem Leben, sondern in einem anderen, in dem du dann die Aufgabe beenden wirst, die du vor langer Zeit auf dich genommen hast. Die Energien, denen du momentan ausgesetzt bist, sind klärend für dich. Die kosmische Macht kann sich auf der Erde nur durch Fleisch und Blut manifestieren und durch ein makelloses Wesen. Ich für meinen Teil bin nur so lange am Leben erhalten worden, damit ich in der Lage bin, mein Wissen an dich weiterzugeben.“

Sylvia – Der blaue Engel

„Was ist das für ein Wissen?“, fragte ich.

Sie blickte mich forschend an, so als zweifelte sie für einen Augenblick daran, dass ich der sei, den sie erwartet hatte. Dann sagte sie:

„Wenn ich von MU-Energie spreche, was sagst du dazu?“

Die Frage hing in der Stille zwischen uns. Gedanken blitzten durch meinen Kopf. MU-Energie. Das klang vertraut, aber ich hatte nicht das Gefühl, ihr hier und jetzt eine befriedigende Antwort geben zu können. War das eine Prüfung?

„Na gut, ich kann warten“, sagte sie, während sich ihr Blick durch die bröckelnden Überreste meines Verteidigungssystems brannte.

„Stattdessen könnte es dich vielleicht interessieren, wie lange es her ist, dass Maria Magdalena in meinen Besitz gelangte.“

Ich nickte eifrig.

„Als junge Frau wurde ich von einer holländischen Hohepriesterin nach Montségur in die Pyrenäen eingeladen. Soweit ich deiner Erzählung entnommen habe, hast auch du dort eine schwierige Schulung durchlaufen.“

Ich nickte bestätigend, und sie fuhr fort:

„Zu jener Zeit hatte ich keine Ahnung von der Gegend und ihrer Kraft. Wir waren dort zwölf, alles Frauen, die zur Burg von Montségur gebeten worden waren. Wir erhielten dort eine Initiation, von der ich dir aufgrund meines Schweigegelübdes nichts erzählen kann. Noch nicht. Vielleicht später. Wir werden sehen.“

Sie hielt inne, als ob sie nach den richtigen Worten suchte.

„Nach der Initiation, die drei Tage und drei Nächte dauerte, wurde jeder der neu initiierten Priesterinnen eine der Katharerburgen in der Gegend zugewiesen. Als die Hohepriesterin feststellte, dass es für mich keine Burg gab, wurde ich zur Kirche von Rennes-le-Château gefahren. Diese kam dann in meine Zuständigkeit.“

Sie erhielt erneut inne, um ihre Worte wirken zu lassen, und sah mich direkt an, bevor sie fortfuhr:

„Ich gehe davon aus, dass dir bewusst ist, dass ich von der Kirche Sainte Marie-Madeleine spreche. “

Ich nickte zustimmend. Das war zu schön, um wahr zu sein.

„Als wir in den kleinen Ort hineinfuhren, spürte ich unmittelbar die Präsenz einer machtvollen Energie, die ich mir damals jedoch nicht erklären konnte. Aber als ich in die Kirche der Maria Magdalena eintrat, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen, solch eine starke Wirkung hatte sie auf mich. Die Kirche befand sich zu jener Zeit in einem erbärmlichen Zustand. Das war vor der Auffrischung der von dem berühmten Priester Saunière vorgenommenen Restaurierung; durch sie wurden erneut einige der Hinweise auf das Geheimnis verhüllt, nach dem viele Abenteurer in Rennes-le-Château und Umgebung vergeblich Ausschau halten.“

„Was für Hinweise?“

Sie antwortete nicht, sondern lächelte geheimnisvoll und sah mich mit Augen an, die Sphären durchdrangen und in unbekannte Universen zu blicken schienen. Ein abwechselnd golden und violett strahlendes Licht umgab sie. Eine weiße pulsierende Krone aus Kristall schwebte über ihrem Kopf.

„Momentan gibt es ein großes Interesse an Rennes-le-Château. Meist aus den falschen Gründen. Weißt du, das Bedürfnis nach spiritueller Unterhaltung ist das Ergebnis tief verwurzelter Trägheit und neurotischer Abhängigkeit von Materie und Angst, die das Bedürfnis nach schneller Befreiung schaffen, schnelle Lösungen fördern und auf direktem Wege zu astralen Wahnvorstellungen führen. Auf diese Weise kann man tatsächlich für alle Ewigkeit auf der Oberfläche des spirituellen Vergnügungsparks weiterspielen. Das Ganze wird zu Illusion anstelle von Intuition, zu Schwärmerei anstelle von kreativer Vorstellungskraft, zu Halluzinationen anstelle von visionärer Kreativität. Es ist nichts falsch daran, nach Transformation zu streben. Aber du musst den Mut haben, dir deine eigenen Gründe anzuschauen, damit du verstehst, was aus alten Wunden, Angst, Minderwertigkeit und Bindungen an Dinge und andere Menschen stammt und was sich auf wahre genaue Überprüfung des eigenen Inneren, Bestätigung und Gewissheit gründet.“

Ihr ozeangleicher Blick umfing mich freundlich, als sie ihre Erklärung fortsetzte:

„Letztlich lässt sich alles auf einen Mangel an Liebe und einen Mangel an Wissen um die wahren Kräfte der Seele reduzieren. Es ist wirklich ziemlich banal, aber trotzdem wahr.“

Sie zeigte in Richtung Küche:

„Noch Kuchen?“

Ich schüttelte ablehnend den Kopf. Es war bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit sie zwischen der weisen, klarsehenden Hohepriesterin und der freundlichen älteren Dame, die um mein Wohlergehen besorgt war, hin und her wechselte.

„Ich bin froh, dass du da bist. Du und ich, wir haben viel zu tun, aber uns läuft die Zeit davon.“

Trotz ihrer offensichtlichen Fürsorge für mich spürte ich, dass da noch etwas war, das den Kommunikationsfluss zwischen uns hemmte. Sie las offenbar meine Gedanken, denn kurz darauf sagte sie:

„Lass dich nicht entmutigen, aber ich muss sicher sein, dass du die nötigen Qualifikationen besitzt, bevor ich dir das Wissen mitteilen kann, das hinter vierzig Jahren Schweigen verborgen liegt.“

Sie hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, als mich ein unbeschreiblicher Friede umfing. Das Wesen mir gegenüber, das bisher wie eine ältere Dame ausgesehen hatte, schien sich aufzulösen. An ihrer Stelle blickte ich nun in eine Sternen-Konstellation, die ich nur als engelsgleich beschreiben kann. Dann wurde ich sanft, aber energisch emporgehoben, als griffe mich eine Riesenhand und zöge mich durch die fließende Wand aus Kristallen, weiter durch ätherisches Licht in die Astralsphären wie ein endloser Atem, der eine Ebene nach der anderen durchbrach, bis ich durch den letzten Schleier der Begrenzung in eine Art fließendes Dasein gezogen wurde, für das ich nur das Wort Freiheit finden kann – nur um wieder zurück durch die Welten, zurück in das Wohnzimmer gezogen zu werden, wo ich mich mit einem Seufzer Sylvia und ihrem warmen Lächeln gegenüber wiederfand. Alles ging so schnell, dass es keine Zeit gab, darüber nachzudenken. Es war wie eine Prüfung, die etwas über meinen gegenwärtigen Bewusstseinszustand aussagen sollte. Eine weiße Rose erschien zwischen uns. Sie schwebte auf den Tisch vor mir herab.

„Sie symbolisiert deine Seele“, sagte sie, wobei sie mich aufmerksam ansah. Ruhig saßen wir in der Stille; dann fuhr sie fort:

„Es ist wichtig, dass du an deiner Erdung arbeitest. Ich kenne das Gefühl, unsicher zu sein, so wie du dich gerade fühlst. Daher weiß ich auch, wie wichtig es ist, dass du dir wieder eine solide Grundlage schaffst. Du musst nun den entscheidenden Abschnitt deiner Gralsreise antreten. Dabei wirst du das Geheimnis der gefangenen Prinzessin erfahren, die befreit werden muss, und des Drachen, der besiegt werden muss, bevor der Prinz seinen Becher heben und das Elixier der Ewigen Lebens trinken kann. Du wirst die metaphorische Wahrheit der Gralslegende begreifen wie auch all ihre allegorischen Bedeutungen. Nur wenn du diese Reise selbst machst, wirst du fähig sein, das wahre Wissen zu erwerben und es rein darzubieten.“

„Ist es dir möglich, einiges von deinem Wissen, das du bei deiner Initiation in Montségur empfangen hast, zu offenbaren?“

In dem Augenblick, da ich die Frage stellte, wusste ich, wie unangemessen sie war. Ihr kaum hörbarer Seufzer war eine deutliche Bestätigung dieses Umstands.

„Täte ich das, würde es die wichtigste Motivation für dich, aufzubrechen, beseitigen.“

„Wohin geht denn diese Reise?“

„Auf der körperlichen Ebene in das Land der Katharer. Auf der inneren Ebene zu der Gralsburg in deinem Herzen.“

„Weshalb genau das Land der Katharer?“

„Weil es eine zentrale Rolle in einigen deiner Inkarnationen spielt, teils als Priester und teils als Troubadour. Du trägst ein Abbild davon in deinem tiefsten Selbst.“

„Gibt es eine besondere Kraft in diesem Gebiet, die mir den Erfolg sichert?“

„Ja, genauso wie es überall der Fall ist, wo sich im Laufe der Jahrhunderte eine besondere Energie angesammelt hat. Du kannst auch nach Jerusalem oder Assisi gehen, nach Lourdes oder Damaskus. Es gibt zum Beispiel eine Kraft auf Island, die zurzeit gerade erst entdeckt wird. Du könntest auch hier in Dänemark anfangen. Es gibt eine Menge passender Orte, aber denke daran, dass diese Orte eher der Ausdruck einer inneren Realität sind als Ausdruck äußerer Ziele. Weder Shambhala noch Shangri-La sind Orte, sondern lediglich Geisteszustände. Jeder Mensch ist ein Tor zum Kosmos. Aber es setzt voraus, dass dieser in Frage kommende Mensch bereit ist, verantwortungsvoll zu sein und sich auf diese Erkenntnis zu konzentrieren. Es ist bedeutsam, dies zu verstehen.“

„Hat deine eigene Initiation irgendetwas mit meiner Reise zu tun?“

Nachsichtig schüttelte sie den Kopf:

„Es ist ziemlich berührend, wie du versuchst, mir meine Geheimnisse auf so unschuldige Weise zu entlocken, indem du vorgibst, nicht zu wissen. Aber du bist nicht sehr überzeugend. Es gibt keinen Grund, weshalb wir uns weiter auf die Probe stellen sollten. Lass uns jetzt zur Sache kommen.“

Der blaue Engel schwebte noch immer über meinem Kopf. Dann verschwand er schneller, als mein Auge ihm folgen konnte. Ich konnte nicht umhin zu denken, dass diese Vorstellung lediglich eine weitere Art war, auf die Sylvia mich prüfte.

„Von heute an wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Du musst damit rechnen, dass sich dein körperlicher Ausdruck verändern wird, von der Zellebene bis hin zu deiner körperlichen Erscheinung. Es werden neue Energien fließen; manche von ihnen werden dir recht schwer und mühsam vorkommen, weil sie aus unbekannten Universen stammen und weil du noch immer mit einigen persönlichen Begrenzungen kämpfst. Es ist irgendwie ein Paradox, denn nur durch das Loslassen deiner weltlichen Bindungen können die Energien frei fließen. Andererseits ist es auch notwendig, geerdet zu bleiben. Es geht darum, eine sehr feine Balance zu halten, die du finden und wahren musst.“

Während sie sprach, wurde ein Dreieck sichtbar. Auf der rechten Seite stand Sylvia auf der unteren Linie und auf der linken stand ein Abbild von mir. An der Spitze des Dreiecks stellten wir beide das engelgleiche Wesen dar.

„Bitte beachte, dass dieses Dreieck, das du siehst, die fehlende Spitze der Großen Pyramide ist. Auch wenn wir am Fuß des Dreiecks stehen, ist es der Fuß der kleinen Pyramide, die den oberen Teil der großen bildet. Das macht einen großen Unterschied aus. Zwischen uns schaffen wir den Engel an der Spitze der Pyramide, der von nun an dein Beschützer sein wird. Auf diese Weise kann der Mensch, paarweise oder in Gruppen, engelgleiche Gedankenformen zum Wohle der Menschheit manifestieren. Dies ist weiße Magie oder wahre Alchemie.“

Mit einigen Mühen stand sie auf und verschwand langsam in der Dunkelheit zwischen ihren Bücherstapeln. Zehn Minuten später kam sie mit einem Stück Papier wieder zum Vorschein, das sie vor mich auf den Tisch legte. Ich nahm es auf. Es erwies sich als eine Serviette mit einem seltsamen Symbol und den Buchstaben MU, die offenbar in großer Hast mit einem Kugelschreiber daraufgekritzelt worden waren.

„Das lässt dich an etwas denken, nicht wahr?“

„Aber was soll das sein“, fragte ich.

Sie antwortete nicht, sondern fragte mich stattdessen:

„Ist dir am zwanzigsten April irgendetwas Außergewöhnliches widerfahren?“

Ich überlegte, konnte mich jedoch nicht an den fraglichen Tag erinnern. Also holte ich mein Tagebuch heraus und fand den Tag. Bingo!

„Dies war der Tag, an dem mein Buch über Maria Magdalena veröffentlicht wurde.“

Sie gluckste glücklich:

„Ich war an jenem Tag im Krankenhaus. Eine Schwester brachte mir Kaffee und Kuchen. Die Serviette vor dir lag auf dem Teller.“

Unsere Blicke begegneten sich und wir konnten nicht umhin zu lachen. Das Bild des jungen Mädchens tauchte inmitten einer Mannigfaltigkeit von Sternen auf. Es dauerte nur einen Augenblick, dann verschwand es.

Sylvia nach ihrer Initiation

„Das Direktorium im Obergeschoss war ziemlich geschäftig“, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war.

Sie griff nach der Teekanne und goss mir Tee ein.

„Welche Bedeutung hat das Symbol in Verbindung mit MU?“, fragte ich.

„Ich bin mir noch nicht ganz darüber im Klaren. Aber wie du vielleicht weißt, ist MU der ätherische Kontinent der ersten Seelen auf Erden, LeMUria. MU ist im alten Ägypten das alte Zeichen für Wasser in allen Formen. Im griechischen Alphabet ist Mu der Mittelpunkt, oder etwas, das zwischen dem Anfang Alpha und dem Ende, Omega, liegt. MU ist der höchste Schwingungszustand des Elements und der Vorstellung von Wasser. Es ist lebendiges Wasser, die Voraussetzung für das transformierende Feuer, welches von Zarathustra und folglich durch Yeshua verkündet wurde. Die MU-Energie ist der höhere Äther, wo Wasser und Feuer zusammentreffen.

MU ist das buddhistische mystische Wort für die Eliminierung jeglicher Art von Versuchung. MU ist das Läutern der Seelen.“

Die Worte glichen kleinen Kerzen in der Luft, ein uraltes Wissen, das lediglich des rechten Impulses bedurfte, um sich zu manifestieren.

„Dein eigener Name ist eine Allegorie auf das Mysterium, um dessen Lösung willen du hier bist und das du weitergeben sollst. Einige Teile sind offensichtlich. Die ersten beiden Buchstaben in deinem Nachnamen ergeben MU. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob du in der Lage sein wirst, in deiner gegenwärtigen Verfassung alles über das in deinen Namen eingewobene Geheimnis zu verkraften.“

Ich wollte ihr widersprechen, aber sie fuhr stattdessen fort:

„Du bist eine alte Seele. Aber eine alte Seele, die in früherer Zeit tief gefallen ist. Dein Wesen besteht aus einem sehr schönen und strahlenden Zentrum. Es gibt eine Menge an Liebe und Heilung in dir. Aber du hast auch ein selbstzerstörerisches Element in dir, einen Anteil, den du noch nicht angenommen hast und um den du dich kümmern musst. Wenn du das schaffen kannst, wird dich nichts mehr auf deiner Seelenmission aufhalten.“

Ihre Worte waren ein Echo, das von einer unbekannten Mauer irgendwo in der Vergangenheit zurückgeworfen wurde. Trotz der vielversprechenden Aussichten war die Warnung deutlich.

„Du wirst die Prinzessin dort finden, wo der Drache ist. Finde die Prinzessin, und du findest den Drachen. Und dort, wo du sie findest, wirst du auch den Gral finden. Die drei sind unauflösbar miteinander vereint.“

„Was für eine Prinzessin?“

„Die Prinzessin in dir. Den weiblichen Aspekt im Mann. Aber es gibt auch eine Frau, die dort draußen wartet. Wenn Männer und Frauen bloß um die Möglichkeiten wüssten, die sie besitzen, wenn sie zusammen sind. Die im Altertum Initiierten arbeiteten immer paarweise. So wie Simon der Magier seine Helena hatte, Yeshua seine Mariam, Paulus seine Thekla. Nicht viele Christen sind sich dessen bewusst. Als sie im Jahr 325 die Kirche gründeten, war es zuallererst eine politische Tat mit der Absicht, die autonome gnostische und mystische Gesellschaft, die zu Yeshuas Zeit und in den Jahren nach seinem zeremoniellen Tod blühte, aufzuhalten. Bei Gründung der Kirche wurden auch die Dogmen und einige Riten des Mitras-Kultes und der Ishtar/Isis-Tradition übernommen, die unter neuen Titeln und Namen in das politische Programm passten. Der Rest wurde totgeschwiegen. Auf diese Weise schütteten sie buchstäblich den Weisheitsaspekt, Sophia, mit dem Bade aus. Die symbolische Parusie geschieht durch Sophia, das heißt den höheren Sophia-Aspekt, der geheim ist. Finde sie, und du hast die Prinzessin gefunden. Dies geschieht heute. Die Parusie des höheren Sophia-Aspekts ist nicht nur eine kollektive Angelegenheit, sondern auch ein Prozess, durch den jeder von uns gehen muss. Aus diesem Grund erfahren so viele Menschen, und insbesondere jene, die spirituell arbeiten, dass dies turbulente Zeiten sind. Dies schließt eine Konfrontation mit dem Alten ein, mit allem, was uns einschränkt. Und das ist für die meisten Menschen schwer. Schau dich um. Hast du bemerkt, wie viele Männer und Frauen sich in der heutigen Zeit gegenseitig verlassen? Nicht, weil irgendetwas mit ihnen nicht stimmt. Sie haben ihre Beziehung lediglich auf einer falschen Grundlage begonnen. Die Menschen müssen heute in eine wahre Beziehung eintreten. So ist es auf allen Ebenen. Nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch mit den Bindungen innerhalb von Familie und Freundschaften, und auch die alten Lehrer-Schüler-Beziehungen werden aufgrund des Neuen, das sich den Weg bahnt, aufgelöst.“

Sie sah mich prüfend an, als hätte sie etwas gesehen und fragte sich nun, ob sie es mir sagen solle. Dann sagte sie:

„Tritt aus dem alten Kreis heraus. Es ist immer schmerzhaft, sich von einem alten Lehrer zu verabschieden. Und umso mehr, wenn er eine Art spiritueller Vater für dich geworden ist. Aber alles hat seine Zeit. Der Seher hat dich viel gelehrt. Es gibt vieles, wofür du dankbar sein kannst. Andererseits hast du auch ihm das Beste von dir gegeben. Nun musst du begreifen, dass deine Zeit mit ihm vielleicht vorerst vorüber ist. Nimm alles auf dich, was aus der Tatsache entspringt, dass du niemandem etwas schuldig bist und es nichts gibt, was du nicht bereits hast. Lass es los. Sonst wird dich deine gewohnte Gestalt zum Zusammenbruch bringen. Der Pakt, den du geschlossen hast, wird dich schützen, wenn du seinen tiefsten Geboten entsprichst, die sich auf gegenseitigen Respekt gründen.“

Ihre Worte waren wie ein Samthandschuh, der mein Herz in das Licht hielt, um den Kummer zu offenbaren, sodass es einen Ausweg daraus fand. Nun sah ich, wie es sich wie ein Vogel am Horizont in der Luft auflöste, auf seinem Weg in die Freiheit, auf die es so lange Zeit gewartet hatte.