Der gute Tod - Seneca - E-Book

Der gute Tod E-Book

Seneca

0,0
5,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Senecas Gedanken über den Tod, vor fast 2000 Jahren formuliert, sind erstaunlich zeitlos und von großer Aktualität: Nicht nur, dass wir uns mit dem Tod auseinandersetzen sollen, statt die Gedanken an ihn beiseite zu schieben, nein: Wir sollten uns freuen, dass es den Tod gibt, der manchmal eine Erlösung sein kann! Auch dafür, dass wir die Möglichkeit haben, unserem Leben ein Ende zu setzen. Wir sollten uns überlegen, wie wir sterben wollen, und entsprechende Vorkehrungen treffen. Und wer einen Freund verloren hat, der solle die Trauer irgendwann ablegen und sich dankbar der gemeinsam verlebten Zeit erinnern. In einer Einleitung ordnet Gerd König Senecas Anschauungen über den Tod in die antike Philosophie ein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 118

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Seneca

Der gute Tod

Ausgewählt und aus dem Lateinischen übersetzt von Gerd König

Reclam

2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961288-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019460-7

www.reclam.de

Inhalt

EinleitungI. Die Furcht vor dem TodII. Der Tod als Teil des vorbestimmten LebenswegsIII. Folgerungen für eine gute LebensgestaltungIV. Der Tod als BefreiungV. Der LebensabendVI. Suizid und »guter Tod«VII. Der Umgang mit dem Tod NahestehenderLiteraturhinweise

Einleitung

»Niemand ist derart weltfremd, dass er nicht weiß, dass er irgendwann einmal sterben muss.« Bereits vor 2000 Jahren stellte das Seneca im 77. Brief seiner Epistulae morales (Briefe über die Ethik) fest, in denen er sich typisch menschlichen Grundgegebenheiten und philosophischen Problemen widmete. Trotz der Einsicht, dass das Sterben von Natur aus zum Leben dazugehört, ist der Tod seit jeher ein großes Tabuthema. Jeder, der einen lieben Menschen verloren hat, weiß, wie schmerzhaft es ist, diesen Verlust zu akzeptieren, und wie lange es dauern kann, bis man die Phase des Trauerns überwunden hat. Doch selbst in solchen Situationen, in denen wir unmittelbar mit dem Tod konfrontiert sind, denken wir meist nur kurzzeitig an unsere eigene Sterblichkeit. Es scheint leichter, den Tod auszublenden, als sich bewusst mit ihm auseinanderzusetzen.

Ganz selbstverständlich legen wir den Fokus unseres täglichen Lebens nur auf das Leben. Hierfür plant man, hierfür nimmt man Kredite auf: Der eine will in zwei, drei Jahren heiraten und seine eigenen vier Wände bauen; der andere träumt von einer Luxusweltreise, sobald in einigen Jahren endlich die Lebensversicherung fällig wird. Man malt sich etwas in den schönsten Farben aus, doch dann kommt alles oft ganz anders, als man denkt. Seneca rät uns, anstatt in ausgiebige Planungen lieber in die Gegenwart zu investieren, denn sie allein können wir beeinflussen. Was dagegen in der Zukunft geschieht, ist reine Spekulation. Manche wiederum leben von Tag zu Tag, wollen noch vieles ausprobieren, sich zigmal umorientieren und geben sich nie mit dem Erreichten zufrieden: Wankelmut ist in Senecas Augen eines der schlimmsten Übel. Denn dem, der stets auf der Suche ist, wird die Lebenszeit niemals reichen. Der Großteil der Menschen nutzt die Zeit nicht so, wie man sie nutzen könnte. Der Gedanke an die eigene Sterblichkeit sollte vielmehr, so Seneca, dauernd präsent gehalten werden und unsere gesamte Lebensgestaltung beeinflussen.

Zumindest über die Lebensgestaltung unmittelbar vor dem Tod machen wir uns heute vermehrt Gedanken: Unsere Selbstbestimmung, unsere Freiheit in der Lebenswahl möchten wir auch im Moment des Sterbens gewährleistet wissen. Das Horrorszenario, ans Bett gefesselt zu sein und leidend vor sich hin zu vegetieren, möchte keiner von uns erleben. Nur zu gut nachzuvollziehen ist der Wunsch, im Ernstfall durch ein wie auch immer geartetes Arrangement eine unnötige Lebensverlängerung zu verhindern, um dann aus dem Leben scheiden zu können, wenn die Zeit reif ist. In Europa wurde in den letzten Jahren mit Nachdruck die Frage danach, was ein »guter Tod« ist, und ob man nicht jedem Menschen einen solchen ermöglichen soll, verhandelt. Deutschland hat sich im Gegensatz zu Belgien oder den Niederlanden gegen die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen, auch wenn die Beihilfe zum Suizid, etwa durch Bereitstellen tödlicher Mittel, für Privatpersonen straffrei ist. Doch selbst wenn man ganz legal die Chance hat, eine Zyankalikapsel zu schlucken, bevor es soweit kommt, stellt sich doch die Frage: wann ist es ›so weit‹? Wenn der Körper definitiv nicht mehr zu retten ist? Beim ersten Anzeichen auf geistigen Verfall? Zu fließend sind die Übergänge. Zu wenig prognostizierbar Krankheitsverläufe. Zu leicht verpasst man den entscheidenden Moment, um dem Leid noch bei völliger Zurechnungsfähigkeit ein Ende setzen zu können.

Auf einigen Internetseiten, auf denen Befürworter der aktiven Sterbehilfe die Rückschrittlichkeit aktueller Gesetze monieren, wird mitunter auf Seneca als fortschrittlichen antiken Denker verwiesen. In der Tat stellt er etwa das Recht eines jeden Menschen auf den Freitod heraus, den man nur vor sich selbst zu rechtfertigen hat. Ein solches Menschenrecht wurde jüngst erst in der Schweiz etabliert. Überblickt man Senecas Gesamtwerk, so wird das Phänomen, das wir heute als aktive Sterbehilfe bezeichnen, nur beiläufig und in aller Kürze behandelt, z. B. in De ira (Über die Wut), wo ohne moralische Bedenken ganz selbstverständlich davon die Rede ist, dass man als Arzt einem Patienten ohne Hoffnung auf Besserung beim Sterben hilft. Deutlich mehr Interesse zeigt Seneca für den vor der Entscheidung stehenden ›Patienten‹ selbst, der unter gewissen Umständen durchaus den Freitod wählen darf.

Der vorliegende Band möchte die Lesefrüchte, die man aus Senecas Gesamtwerk zum Thema ›Tod‹ sammeln kann, bündeln, strukturieren und sie vor dem philosophischen Gedankengebäude verstehen, das sich Seneca aus verschiedenen Philosophenschulen (d. h. ›eklektisch‹) zusammenstellt und mit eigenen Impulsen anreichert. Die dargebotenen Passagen wurden neu übersetzt. Absichtlich wurde mitunter eine das Textverständnis im Deutschen erleichternde Übertragung gewählt, die beispielsweise Satzteile des Originals umstellt oder typische Füllwörter hinzufügt. Auslassungen sind durch »[…]« gekennzeichnet.

Senecas philosophisches Werk besteht insbesondere aus den sog. Dialogi (›Dialogische Schriften‹).1 Erst nachträglich wurden hierbei 12 Bücher zu einer Einheit zusammengefügt, die um zwei Themenkomplexe kreisen, nämlich ›Schicksalsbewältigung‹ (wir werden öfter aus De providentia – Über die Vorsehung zitieren) und ›Der Mensch auf dem Weg zu seinem persönlichen Glück‹ (man beachte v. a. De tranquillitate animi – Über die Seelenruhe und De brevitate vitae – Über die Kürze des Lebens). Hinzukommen drei Trostschriften (consolationes), besonders diejenige an Marcia2, die um ihren früh verstorbenen Sohn trauert. Als Hauptquelle dienen Senecas ca. 62–64 n. Chr. verfasste 20 Bücher der Epistulae morales (Briefe über Ethik), bestehend aus 124 Briefen. Seneca schreibt hier seinem ca. zehn Jahre jüngeren, philosophieinteressierten Freund Lucilius. Man geht jedoch davon aus, dass es sich hier nicht um echte Briefe handelt, die den historischen Lucilius in dieser Form erreicht haben, sondern um Kunstbriefe (Lucilius wird von seinem Freund Seneca also als Widmungsträger geehrt). Seneca hat für seine Schriften die Briefform gewählt, um – anders als bei einer wissenschaftlichen Abhandlung – seinen Lesern auf Augenhöhe begegnen, ihnen im Plauderton von Freund zu Freund Tipps geben zu können und dabei die Möglichkeit zu haben, ungeniert persönliche Erfahrungen miteinzubeziehen, ohne philosophische Themen systematisch abhandeln zu müssen. Die Briefe bauen aufeinander auf, wodurch sich eine Art Lehrgang mit spürbar steigendem Schwierigkeitsgrad ergibt.3 All die Aspekte der Todesthematik, die für Seneca von besonderem Interesse sind, lassen sich textübergreifend immer wieder finden: So hat z. B. die grundlegende Feststellung, dass der Mensch zu spät an seinen eigenen Tod denkt, obwohl um ihn herum tagtäglich Leichenzüge durch die Straßen ziehen, sowohl in den Epistulae morales und den Trostschriften an Marcia und Polybius als auch in De tranquillitate animi ihren Platz.

Bei der Zusammenstellung relevanter Textausschnitte hat man als Herausgeber zwei Möglichkeiten: man könnte einzelne längere Briefe bzw. Buchkapitel in Gänze vorstellen, wodurch man den Text ohne Zerstückelung im (komplexen) Originalkontext wiedergeben kann. Allerdings bietet ein solches Vorgehen keinen schnell verständlichen, geordneten Überblick über Senecas häufigste Aussagen zum Tod. In diesem Band folge ich daher der zweiten Möglichkeit: ich gruppiere entscheidende Passagen zum Tod unter thematischen Überpunkten. Das hat den Vorteil, dass man nicht von vornherein Stellen ausklammern muss, an denen die Todesthematik besonders treffend, aber eben nur in ein oder zwei Absätzen behandelt wird. Denn bei Seneca ist das durchaus der Regelfall: weniger als zehn der Epistulae morales sind ausschließlich dem Tod gewidmet und Senecas Schriften zeichnen sich gerade durch ihren Assoziationsreichtum aus. So wird im vorliegenden Band z. B. Senecas 24. Brief nicht als Einheit präsentiert, sondern in wichtige Passagen mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten aufgespalten. Eine findet sich im Kapitel VI (in »Gegen den Suizid aus bloßem Lebensüberdruss«), eine andere ergänzt in Kapitel II (in »Die Länge des Lebens ist irrelevant«) die Vorstellung, dass jeden Tag ein Teil von uns stirbt, und eine wurde dem Kapitel zur Todesfurcht zugeordnet. Dieses Vorgehen wird jedoch nur in dem Maße betrieben, wie es noch zweckdienlich erscheint: Es sollen ja noch Texte präsentiert werden, keine Kurzzitate; natürlich muss man sich bewusst sein, dass thematische Überlappungen nicht völlig auszuschließen sind und manche Passagen nicht einer einzigen Kategorie zugeordnet werden können.

An den Buchanfang wurde ein Kapitel zur Todesfurcht gesetzt, die den Tod erst zu etwas Schrecklichem macht. Das kommt nicht von ungefähr: Die gesamte antike Philosophie hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Menschen bei ihrem Weg zur Glückseligkeit die Grundängste zu nehmen: allen voran die Furcht vor den Göttern und die Furcht vor dem Tod. Die beiden wohl einflussreichsten antiken Philosophenschulen, die Epikurs und die der Stoa, binden den Tod in ein wohldurchdachtes Gesamtkonzept ein. Die Epikureer nehmen an, dass es durch puren Zufall zum Zusammenstoß von Atomen kommt und so das entsteht, was wir ›Leben‹ und ›Welt‹ nennen; und ferner, dass nach dem Tod die Körper schlicht wieder in ihre Einzelteile zerfallen und damit keine ewigen Qualen in der Unterwelt warten können. Die Stoiker, deren Lehre Seneca als Repräsentant der ›Jüngeren Stoa‹ für seine Zwecke weiter ausbaut, gehen von einem Kreis ewigen Werdens und Vergehens aus: Ein Weltenbrand (die sog. Ekpyrosis) tötet alles Irdisch-Körperliche und generiert es neu. Die Seele aber ist unsterblich. Sie hat Anteil am logos (»Weltvernunft«), am schicksalshaften Plan, der alle Vorgänge der Welt bestimmt. Der Tod ist damit nur Teil des ewigen Kreislaufs, der unseren Wesenskern, die Seele, gar nicht tangiert: ›Vor dem Tod‹ ist ›nach dem Tod‹ und damit braucht man ihn nicht zu fürchten; er ist nur ein wertneutrales Gut, ein adiaphoron. Wann und wie er eintritt, ist irrelevant; ob jemand moralisch gut oder schlecht lebt, hängt nicht damit zusammen, ob er länger oder kürzer lebt. Gleiches gilt etwa für den Umstand, ob man reich ist oder arm, gesund oder krank.

Mit diesem kurzen Exkurs sind wir nunmehr beim zweiten Kapitel angelangt: In den dort zu findenden Passagen wird der Tod mit dem über allem waltenden Schicksal in Verbindung gebracht: Der Tod ist unveränderliche Grundvoraussetzung und wir wissen nicht, wann er eintreten wird. Anstatt nun aber den Tod zu verdrängen, kommt es der Stoa (und Seneca) darauf an, ihn zusammen mit anderen Schicksalsschlägen, die uns Menschen erwarten (können), ständig gedanklich vorwegzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen (praemeditatio). Wer dies umsetzt, hat im Ernstfall nicht unter seinen Affekten zu leiden, sondern kann alles, was auch immer geschieht, im Zustand der Gelassenheit (apatheia) ertragen. Anders als die ›Ältere Stoa‹, die in ihrem strengen philosophietheoretischen Konstrukt nur zwischen der breiten Masse an Törichten (moroi) und dem Weisen (sophos) unterscheidet, der sich sittlich perfekt verhält und bei Schockerlebnissen keinerlei Gefühlsregungen zeigt, lässt Seneca durchaus Zwischenstufen zu: Sein Konzept des prokopton (»einer, der Fortschritte macht«) wurde merklich von der an der Lebenspraxis orientierten Philosophenschule der Sextier inspiriert, deren Anhänger sich jeden Abend im Rahmen einer Gewissensprüfung die Frage stellten, inwieweit man sich in den vergangenen 24 Stunden zu einem besseren Menschen gemacht hat. Seneca glaubt fest an die Perfektibilität des Menschen und erfüllt ein Stück weit die Rolle eines Therapeuten: Solchen Menschen, die bisher den Tod verdrängt haben, will er zur philosophischen Auseinandersetzung mit diesem Thema bewegen. Viele Überschriften in den einzelnen Kapiteln lassen sich daher auch als Imperative formulieren, da Seneca als weiter vorangeschrittener prokopton dem Leser direkt oder indirekt Ratschläge erteilt. In den Textausschnitten des dritten Kapitels fordert er ihn dazu auf, die Lebensdauer gering zu schätzen und mit dem Tod im Hinterkopf der Gegenwart besondere Bedeutung beizumessen.

Die in den Kapiteln IV, V und VI versammelten Passagen lassen Senecas eigene Einstellung zum Tod am stärksten durchschimmern. Zeit seines Lebens hatte er eine spezielle Affinität zum Tod, was sich einmal biographisch begründen lässt: Seit seiner Kindheit litt Seneca an schwerem Asthma, an Atemnot und Bronchitis. In seinem 54. Brief gibt er ausführlich Auskunft über sein Krankheitsbild; im 78. gibt er offen zu, wie er selbst über Selbstmord nachgedacht und ihn damals nur die Liebe zu seinem Vater davon abgehalten hat. Die Textstellen in Kapitel IV lassen erkennen, dass der Körper für Seneca nicht mehr ist als eine bloße Hülle. Und die ist für die Seele nicht einmal sonderlich adäquat, sondern eher hinderlich. Der Tod wird gedeutet als Befreiung von den irdischen Fesseln und Ungerechtigkeiten, was eindeutig den Einfluss des Philosophen Platon (427–347 v. Chr.) erkennen lässt, von dem etwa das bekannte Diktum stammt: »Der Körper ist das Grab der Seele.«

Andererseits lässt sich Senecas Sensibilität für den Tod auch auf das spezielle Epochengefühl seiner Zeit und seinen Kontakt zum Kaiserhaus zurückführen: Bei ihrem Weg von der Republik hin zur in Senecas Jugend etablierten Erbfolgemonarchie hat die römische Gesellschaft gravierende Veränderungen durchlebt. Anders als in der Republik liegt die politische Macht nunmehr in den Händen Einzelner. Bei den Bürgern stellt sich aufgrund mangelnder Identifikation mit dem Staat sowie fehlender Möglichkeiten, an der Politik teilzuhaben, ein Gefühl der Ernüchterung ein. Auch lässt sich ein sozialer Umbruch verzeichnen, der sich etwa im Auflösen ehemals fester Standesschranken und in den neuen Aufstiegsmöglichkeiten für skrupellose Kapitalisten zeigt. Die Stoa erfährt unter diesen Umständen einen großen Zulauf, da ihre Ethik des Duldens und gelassenen Ertragens widriger Umstände samt ihrem Fokus auf der Suche nach dem persönlichen Glück diesem Epochengefühl entspricht. Seneca selbst erlebt tagtäglich die unangenehmen Folgen des Kaisertums und ist dem Machthunger der führenden Köpfe unmittelbar ausgesetzt. Schon im Jahr 39 n. Chr. zieht Seneca durch seine Fähigkeiten als Anwalt den Neid des Kaisers Caligula auf sich. Nur durch das Zutun einer Mätresse des Kaisers wird er am Leben gelassen: sie argumentiert, Seneca würde aufgrund seines Asthmas ohnehin bald sterben … Nach Caligulas Tod räumt die dritte Frau des neuen Kaisers (Claudius) ihre Nebenbuhlerinnen aus dem Weg. Die Kaiserschwester Julia Livilla wird verbannt, nachdem man sie des Ehebruchs bezichtigt hat – und zwar mit keinem anderen als Seneca. Erneut in Todesgefahr, wird Seneca zwar durch Claudius verschont, muss jedoch acht Jahre im Exil auf Korsika verbringen. Es sind für ihn die entbehrungsvollsten Jahre seines Lebens, von denen die Trostschriften an seine Mutter Helvia und an Polybius Zeugnis ablegen. In letzterer versucht er zwischen den Zeilen, den einflussreichen kaiserlichen Freigelassenen und Leiter des Referendariats für Bittschriften zur Aufhebung der Verbannung zu bewegen. Als Seneca im Jahr 49 von Claudius’ vierter Frau, Agrippina, aus dem Exil geholt wird, geschieht dies aus reinem Kalkül, da Seneca ihr als bester Lehrer für ihren Sohn, den zukünftigen Kaiser Nero, erscheint. Ab 54