Der Herr der Zeitenwende - Cloud van Miller - E-Book

Der Herr der Zeitenwende E-Book

Cloud van Miller

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Beschreibung

Wir sind nur ein Sandkorn im unendlichen Universum. Mit unserer Gier nach Reichtum und Macht haben wir diesen wunderbaren Planeten fast vernichtet. Tausende Jahre später durchbricht ein Lichtstrahl die ewige Dunkelheit. Die Überlebenden erhalten eine zweite Chance: Yoki Der Herr der Zeitenwende. Es beginnt ein Kampf gegen mächtige Feinde und eine entfesselte Natur.

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Der Herr der Zeitenwende

Das Erwachen der Steine

Yoki Band 1

Cloud van Miller

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.papierfresserchen.de

[email protected]

© 2019 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover gestaltet mit Bildern und Grafiken von © eyetronic (Steinmenschen),

© cherezoff (Weltkugel) blagorodez - Adobe Stock lizenziert

und © Cloud van Miller (Grafik)

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de

ISBN: 978-3-96074-057-5 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-086-5 - E-Book (2020)

*

Inhalt

Teil 1: Das Erwachen

Teil 2: Der erste Tag

Teil 3: Das neue Leben

Teil 4: Die erste Expedition

Teil 5: Die erste Ebene

Teil 6: Wieder zu Hause

Teil 7: Die Vorbereitung

Teil 8: Die andere Welt

Teil 9: Nicht allein

Teil 10: Auf der Flucht

Teil 11: Die erste Begegnung

Teil 12: Der Weg ins Ungewisse

Teil 13: Die Fremden

Teil 14: Basu, der Einsiedler

Teil 15: Mira

Teil 16: Die alte Welt

Teil 17: Der Aufbruch

*

Teil 1: Das Erwachen

Da ist es wieder, das Gefühl der Stille, keine entspannende Stille, nein, sie umklammert mich mit eiskalten Händen. Ich bin eine Gestalt aus der Seelenwelt, ohne Körper. Wie komme ich hierher? Was geschieht mit mir? Meine Auferstehung als Mensch kann nur bei einer Verbindung mit dem fremden Körper unter mir stattfinden. Der alte Mann versuchte schon mehrmals, mit seltsamen Zauberformeln, uns beide zu vereinen, vergeblich. Erneut ergreift mich diese erdrückende Einsamkeit und schneidet tief in meine Seele.

Tan, der Magier, ist überzeugt, dass dieser Körper aus der fernen Vergangenheit Leben in sich birgt. Sein langes goldenes Haar irritiert ihn. Die Menschen des Unteren Hauses haben kahle Köpfe und eine sehr blasse Haut. Ein gewaltiger Hut mit breiter Krempe verdeckt bei Tan diese Blöße. Seine beeindruckende Erscheinung wirkt dadurch Respekt einflößend. Ratlos starrt er auf den blonden jungen Mann, nicht ahnend, dass meine Seele, hier im Raum, verzweifelt eine Vereinigung mit ihm herbeisehnt.

Das warme fluoreszierende Licht der Wände verleiht dem fremden Wesen eine faszinierende Ausstrahlung. Ist er der Messias aus der Prophezeiung? Es ist die alles entscheidende Frage für die Bewohner des Unteren Hauses und Tan muss die Antwort finden. Ausgerechnet heute hatte er das Gefühl, dem Ziel sehr nahe zu sein.

„Lass uns gehen“, fordert er seinen Assistenten Morgan auf. Mit einem aufmunternden Lächeln schiebt er das zierliche Männlein, mit dem farblos grauen Umhang, in Richtung Ausgang. „Es kommt eine neue Gelegenheit. Wir überprüfen das Protokoll, ich bin sicher, es gibt einen Weg, ihn zum Leben zu erwecken.“

Er greift in Gedanken zu einem kleinen Tuch, um den oberen Teil des Körpers zu verdecken. „Ich spüre, da ist fremdes Leben in diesem Raum, Leben das uns viele Geheimnisse über die Menschheit offenbaren kann. Er hat den Untergang der Alten Welt miterlebt und kennt die Ursache der langen Dunkelheit. Mit ihm können wir die Bücher vergangener Zeit enträtseln und falsche Theorien berichtigen.“

Ratlos zupft er das kleine Stoffteil zurecht. „Er ist die Person aus der Prophezeiung, der Garant für die Zukunft unseres Volkes, glaube mir.“ Mit unverständlichem Gemurmel verlässt Tan das kahle Labor, liebevoll nennt er es sein zweites Zuhause. Der Arbeitsplatz wurde tief in die Felswand hineingearbeitet. Es gibt keinerlei besondere Schutzvorrichtungen, Diebstahl oder Einbruch sind hier fremd.

Im Unteren Haus ist das Licht der Sonne unbekannt. Der Lebensraum in den Hallen erstrahlt in einem wunderbaren bläulichen Glanz, verursacht durch den Hado-Stein. Dieses leuchtende Hellblau bricht sich in den unzähligen unterschiedlich großen Waben an den Decken und Wänden. Es gibt dem Unteren Haus die unfassbare Schönheit und Geborgenheit. Gleichzeitig sorgt es für das friedliche Zusammenleben der Bewohner. Ihre abgeschlossene Welt besteht aus mehreren, gewaltigen Hallen. Sie sind durch kunstvoll verzierte Portale untereinander verbunden.

Der hintere Teil ist erhöht, hier wachsen die Moosweiden für die Selche. Die kraftvollen zotteligen Vierbeiner versorgen die Bewohner nicht nur mit Fleisch und Milch. Das dicke Fell wird verwendet für Kleidung, Schuhe und zur Raumgestaltung. Hier züchten sie auch Pfeifhasen, eine völlig anspruchslose Tierart, die sich von Flechten ernährt. Die Kinder im Unteren Haus lieben diese niedlichen anschmiegsamen Tiere als Spielkameraden.

In einem tiefen Becken wimmelt es von unzähligen kleinen silbernen Tierchen, ein nährstoffreiches Grundnahrungsmittel. Jede Familie besitzt ein eigenes Rezept, das von Mutter zur Tochter weitervererbt wird. Die Pilzzucht ist die Krönung unter den Lebensmitteln.

Eine Besonderheit ist der von der Hohen Priesterin in einem großen Wasserbecken angelegte Algengarten. Bei den Algen handelt sich um ein vitaminreiches Gewächs. Neben den Pilzen zählt man sie zum Hauptnahrungsmittel der Bewohner.

Tief in Gedanken versunken verlässt Tan das Labor und begibt sich auf den Heimweg. Abwesend übersieht er die Menschen, die sich aufgrund seiner hohen Stellung ehrfurchtsvoll verbeugen. Viele Grüße bleiben unerwidert. Tans Geistesabwesenheit ist längst überall bekannt. Mit seinem wallenden Umhang schwebt er förmlich über den Boden.

Dieses Wesen lässt ihn nicht mehr los, es faszinierte ihn vom ersten Augenblick an. Der Körper des Jungen ist ein Geschenk des Volkes der zweiten Ebene an Schamal, den König des Unteren Hauses.

Die zweite Ebene befindet sich außerhalb des Berges in der düsteren Welt. Das Leben dort ist der Erzählung nach hart und voller Gefahren. Äußere Einwirkungen haben nicht nur die Natur, sondern auch das Aussehen ihrer Bewohner nachhaltig beeinflusst. Auffällig sind die krankhaft verformten Körperteile von Tier und Mensch sowie der veränderte Pflanzenwuchs. Die Evolution hat sich durch gefährliche Strahlung im Laufe der Zeit unkontrolliert weiterentwickelt. Viele Tierarten und Pflanzen sind ausgestorben. Allesfresser haben sich durch die Bestrahlung zu unberechenbaren Killern entwickelt. Es herrscht da draußen eine Welt der Extreme.

Das Haus von Tan liegt in unmittelbarer Nähe seines Labors – Belohnung von Schamal für besondere Dienste. Häuser sind hier etwas Einzigartiges und nur ein paar privilegierten Personen vergönnt. Die Häuser stehen auf einer Erhebung im Zentrum der großen Halle und sind für jedermann ein sichtbares Zeichen der Macht und Stellung des Besitzers. Die Mauern der Gebäude bestehen aus den leuchtend blauen Steinen. Trotz ihrer einfachen Beschaffenheit sind sie von beeindruckender Schönheit und wirken wie strahlende Diamanten.

Im Allgemeinen leben die Bewohner des Unteren Hauses in Räumen, die nach Bedarf mehrere Zimmer weit in den Felsen hineingearbeitet wurden. Die genialen Baumeister haben so Wohnraum über viele Etagen und damit Platz für die wachsende Bevölkerung geschaffen. Hier leuchtet das Licht hell, jedoch mit geringem Blauanteil. Dank des porösen Gesteines herrscht eine beständige, stets angenehme Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Der Fußboden ist bedeckt mit zotteligem Selchfell. Künstler haben mit handwerklichem Talent aus dem Hado-Stein Gegenstände wie Stühle, Tische und Regale erschaffen.

Der Poet, Tans einziger Freund, wartet schon ungeduldig vor dessen Haus. Die finstere Miene Tans spricht Bände. Er kennt ihn gut und spürt, wie sehr dieser unter der kaum zu lösenden Aufgabe leidet.

„Wieder erfolglos?“, bemerkt er vorsichtig.

„Lass mich in Ruhe, lasst mich alle in Ruhe. Wieso bin ich so unfähig? Warum findet mein Verstand keine Lösung, erkläre mir lieber das, statt deiner dummen Sprüche“, giftet Tan zurück.

„Eventuell ist des Rätsels Lösung keine Frage des Verstandes. Dein Wunder wird sich durch ein Wunder klären“, antwortet der Poet.

„Dummes Geschwätz, für alles gibt es eine Lösung. Die Magie des Unteren Hauses ist von unglaublicher Kraft und Allwissenheit. Sie baut auf die Erfahrung vieler großer Magier.“

Schweigend folgt ihm der Poet bis in seinen Arbeitsraum. Tan nimmt zum wiederholten Male das Buch der ersten Tage in die Hand. Der schwarze Umschlag ist bereits ziemlich abgegriffen und die Einprägung kaum noch zu erkennen. Dieses uralte Werk vergangener Kulturen gilt im Unteren Haus als Heiligtum. Das Buch der ersten Tage wird durch aktuelle Forschungen laufend erweitert. Alle Magier haben hier ihr Wissen niedergeschrieben. Es ist die Grundlage für die geistige Überlegenheit der Wesen des Unteren Hauses. Seine Verhaltensregeln verbinden die Bewohner zu einer verschworenen Gemeinschaft. Das Buch gibt Tan das Gefühl, des Rätsels Lösung hier zu finden.

Gespannt verfolgt der Poet das Vorgehen seines Freundes. Plötzlich springt er auf und eilt an Tan vorbei. Das laute Rufen lässt Tan aufhorchen. „Das Buch mit dem Kreuz, das Buch“, mit diesen Worten rennt er davon, zurück bleibt ein vollkommen ratloser Tan.

Unsanft werden die beiden Diener aus der Türe gestoßen und ihre heftige Unterhaltung jäh unterbrochen. Sie sehen den Poeten gerade noch in seiner Wohnung gegenüber verschwinden.

Kurz darauf erscheint der Poet mit einem mächtigen Buch. Er drückt es wie einen Schatz ganz fest an den Körper. Tan platzt förmlich vor Neugierde. Fasziniert beobachtet er den Poeten, wie dieser es vorsichtig öffnet.

„Was ist das für ein Buch?“ Seine Nerven sind bis auf das Äußerste gespannt.

„Ein Geschenk der Bewohner der zweiten Ebene an Schamal. Er bat mich, es zu studieren und das Geschriebene zu übersetzen“, erklärt er beiläufig.

„Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Jetzt, wo ich dein Problem kenne, hatte ich das Gefühl, dass hier ein Zusammenhang besteht.“

„Inzwischen konnte ich bereits einen Satz fast entziffern.“

Ich sage euch, dass die eine Stunde ... und ... ist, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben.

Tan blickt bewundernd auf seinen Freund, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Wie abwesend lässt er sich die Worte des Poeten durch den Kopf gehen.

„Ja, wir müssen enger zusammenarbeiten. Darauf trinken wir ein Glas Salmi, er wird unsere Gedanken neu ordnen“, wechselt Tan nun völlig überraschend das Thema. Der Salmi von Tan ist im Unteren Haus berühmt. Er braut ihn aus den vorgeschriebenen Kräutern, verfeinert mit einer eigenen Mischung an Zutaten. Der Salmi hat eine betörende Wirkung, hervorgerufen durch das starke Aroma. Bereits nach einmaligem Genuss verwandelt sich das Blau der Wände in ein Farbenspektrum ohnegleichen. Salmi mit Freunden zu teilen, ist eine feierliche Zeremonie, die in allen Kreisen des Unteren Hauses gepflegt wird. Die Folgen sind den Dienern bestens vertraut. Die entstehende Freizeit nutzen sie für eine ausgiebige Rast auf der Bank vor dem Fenster.

Tan legt den Kopf in die Hände, worauf das bläuliche Flimmern in eine dreidimensionale Tiefe übergeht. Das Licht treibt seltsame Spiele in allen Farben. Beide lassen genussvoll, mit einem erneuten kräftigen Schluck, den Augenblick auf sich wirken. Entspannt wechseln sie hinüber in einen anderen Raum, in eine andere Zeit, in ein anderes Sein.

Immer noch schwebt meine Seele über diesen fremden Körper. Er ist mir inzwischen ein wenig vertraut und dennoch irgendwie unheimlich. Mir ist klar, er ist der Schlüssel zur Wiedergeburt. Wer kennt das Geheimnis, das uns beide verbindet?

Wieder vernehme ich Schritte, diesmal aber kaum hörbar. Sie bedeuten im Augenblick alles für mich und sind eng verbunden mit Hoffnung oder Enttäuschung. Es sind fremde Schritte, so habe ich sie bisher nicht wahrgenommen. Hier bewegt sich jemand in einer ungewohnten Umgebung.

Unsicherheit und eine panische Angst ergreifen meine Seele. Mir ist bewusst, ohne diesen Körper gibt es kein Leben für mich.

Da liegt dieses wehrlose Wesen, nichts ahnend von der Gefahr, die auf ihn zukommt. Langsam nähern sich die Schritte, leise und vorsichtig. Gläser klirren gefolgt von aufgeregten Stimmen.

„Achte auf den Weg, du dumme Selch, was glaubst du, passiert, wenn Tan unser Eindringen bemerkt.“

„Sei endlich ruhig, mit deinem Geschrei hört uns doch jeder. Komm hierher, Hiroko, dort liegt er“, stellt sie begeistert fest.

Das größere Mädchen ergreift die Hand ihrer Begleiterin, bemüht, mithilfe des Lichtsteines nicht anzustoßen.

Ich spüre, wie die Angst weicht. Die zwei Eindringlinge sind nun deutlich erkennbar, kleiner und zierlicher als die Männer, die sich Tan und Morgan nennen. Im Gegensatz zu ihnen haben diese beiden beeindruckend hübsche Gesichter. Die Köpfe werden von den roten Kapuzen ihrer Umhänge leicht bedeckt. Jetzt stehen sie genau vor dem Körper. Wenn sie wüssten, dass ich sie von oben sehe. Fasziniert starre ich auf den Lichtstein in der Hand der größeren Person. Auch die andere hält einen Gegenstand fest, sofort erregt er meine Aufmerksamkeit. Erinnerungen an die alte Heimat, den See Osorezan, kommen zurück. Ich spüre eine Magie, es ist Wasser, gefrorenes Wasser. Die weißen Tücher bedecken nur einen kleinen Teil des Körpers. Auch wenn wir nicht miteinander verbunden sind, ist mir seine Nacktheit vor den beiden etwas unangenehm.

„Er sieht so komisch aus mit diesen langen hellen Haaren. Ein wenig ähnelt er den Besuchern aus der zweiten Ebene“, bemerkt die Kleinere.

„Er sieht wirklich nicht aus wie die jungen Männer hier im Unteren Haus, trotzdem sehr nett. Sieh mal, er hat auch so ein Ding wie die Männer bei uns“, flüstert Hiroko aufgeregt und Schamröte tritt in ihr Gesicht.

„Also, ich glaube es nicht, auf was du alles achtest“, mahnt Nobuko, ohne nicht ebenfalls den bewussten Gegenstand in Betracht zu nehmen.

„Stimmt, irgendwie tut er mir leid, er muss hier liegen und wird wohl niemals aufwachen“, bemerkt Hiroko ganz sachlich. Sie starrt immer noch wie gebannt auf den Körper. Ihre Sprache ist mir fremd, ich verstehe kein Wort. Sie wirken auf mich unsicher, keinesfalls ängstlich.

„Ich werde ihm etwas schenken“, spricht das Mädchen mit Namen Nobuko in feierlichem Ton. „Wenn er doch lebendig wird, soll er wissen, dass er eine Freundin hat.“ Vorsichtig öffnet sie die eine Hand und legt ihren Lichtstein hinein.

Die mit dem Namen Hiroko ergreift die andere. „Auch ich will deine Freundin sein. Es darf aber niemand merken, dass ich hier war. Dieses Geschenk ist deshalb nur von kurzer Dauer.“ Langsam lässt sie den Stein aus Eis in die Hand gleiten. „Schöner Fremder, solltest du aufwachen, können wir zusammen einmal Feuer und Eis spielen, du zeigst uns dann Spiele aus deiner Welt, wir warten auf dich.“

Hiroko greift nach Nobuko und beide verschwinden im Dunkeln, nicht ohne das Regal mit den Gläsern erneut anzustoßen.

Da ist sie wieder diese Stille, etwas ist jedoch anders als sonst. Ein bisher unbekanntes Gefühl nimmt plötzlich Besitz von mir. Empfindungen des fremden Körpers dringen in meine Seele. Ich spüre die Hand des Fremden wie die eigene. Der Würfel aus Eis fängt an zu brennen, so heiß, wie ich es noch nie gefühlt habe. Die Lichtkugel vertreibt die Stille um mich, so laut, wie ich es bisher nie gehört habe.

Es ist ein Wunder geschehen. Der Körper des jungen Mannes und meine Seele haben sich zu einer Person vereint. Ich spüre jedes Körperteil. Die Gefühle wechseln stoßweise. Da ist eine angenehme Wärme, die sich bis in die Fingerspitzen ausbreitet. Nein, es ist Kälte und sie ergreift Besitz von meinen Händen. Etwas verbindet uns unaufhaltsam. Übergangslos wird es dunkel und völlig still, ein tiefer Schlaf übermannt mich.

Mühsam öffnet Tan die Augen, langsam kehren die Sinne zurück. Die Visionen sind verschwunden. Sein Blick wendet sich dem Poeten zu. Dieser sitzt leicht nach vorne gebeugt, auf komische Art bemüht, sich schwerfällig zu erheben.

„Komm, mein Freund, nimm einen Schluck von dem erfrischenden Getränk, dann beginnen wir von Neuem mit der Lösung unserer Aufgabe“, muntert Tan ihn auf.

„Ich habe versucht, das Rätsel durch Visionen zu entschlüsseln“, entgegnet der Poet. „Um meine Gedanken zu vertiefen, benötige ich mehr Informationen. Es ist dringend erforderlich, dass ich dieses Wesen zu Gesicht bekomme, ich muss mich auf etwas konzentrieren können“, bemerkt er nachdenklich.

„Nichts einfacher als das, wie konnte ich das nur vergessen. Du wirst überrascht sein, wenn du ihn siehst.“

Heftig diskutierend und ziemlich benommen verlassen beide das Haus. Schon nach wenigen Schritten erreichen sie Tans Arbeitsräume.

Entsetzt starrt Tan auf die geöffnete Tür. „Sie war geschlossen, jemand hat die Räume betreten. Beeile dich, mein Freund, ich befürchte Schlimmes.“ Wie von Sinnen stürmt er in den Gang zu seinem Labor. Mühsam versucht der Poet, Schritt zu halten. Als dieser wie angewurzelt stehen bleibt, prallt er unsanft gegen Tans Rücken.

Vor den beiden präsentiert sich eine gespenstische Szene. Auf dem Tisch aufgebahrt liegt eine Gestalt von merkwürdiger Schönheit. In der einen Hand leuchtet ein Lichtstein, aus der anderen tropft Wasser.

Vorsichtig nähert sich Tan dem jungen Mann. Er berührt mit den Fingern den Hals und zieht sie wie elektrisiert zurück. „Er lebt, ich fühle seinen Puls. Etwas Außergewöhnliches ist vorgefallen“, bemerkt er teils voll Freude, teils voll Sorge.

Ich habe sie gespürt, das erste Mal habe ich eine fremde Berührung wahrgenommen. Meine Seele hat sich mit dem Körper verbunden. Ohne mein Zutun wurden wir zu einer Einheit zusammengefügt. Wie aus weiter Ferne sehe ich einen strahlend blauen See unter mir verschwinden.

„Das ist es“, höre ich Tan sagen. „Welcher Eindringling auch immer hier war, er wusste die Lösung.“ Fasziniert fällt sein Blick auf den Lichtstein und den tropfenden Eiswürfel. Wieder beugt sich Tan nach vorne, seine Finger berühren mich. Ich spüre, wie er meine Augenlider hochzieht. In diesem Augenblick nehme ich eine schemenhafte Bewegung wahr. Mit großer Mühe öffne ich das andere Auge.

„Hast du jemals solche blauen Augen gesehen?“, ruft Tan voller Begeisterung.

So viel Gefühl hat der Poet noch nie in dem faltenreichen Gesicht des Alten wahrgenommen.

„Wach auf, keine Angst, du bist jetzt zu Hause.“ Dabei streicht er mir zärtlich übers Haar und seine Stimme beginnt, fremde melodische Laute zu erzeugen. Ich sehe einen Regen aus blauen Sternen aus einer hellen Sonne entspringen. Ich verspüre eine Wärme in mir und das Gefühl, dass ich am Ende einer langen Reise angekommen bin. Deutlich schärfer nehme ich nun zwei Personen wahr, die sich vor mir bewegen. Einer von ihnen hebt meine Hand und drückt sie so kräftig, dass ich einen leichten Schmerz verspüre. Wie im Reflex halte ich dagegen. Offensichtlich überrascht von der Reaktion, lässt die Person meine Hand fallen.

„Der junge Mann hat bereits jetzt schon eine enorme Kraft“, stellt Tan mit Freude fest. Vorsichtig bemüht sich nun der Poet, mich aufzurichten.

Ich spüre, wie das Leben in mir zu pulsieren beginnt. So gut ich kann, unterstütze ich ihn dabei. Das erneute Öffnen der Augen fällt mir unheimlich schwer. Beide Gesichter sind jetzt zum Greifen nahe, ich nehme ihren Geruch wahr. Langsam öffne ich den Mund und versuche, mich akustisch bemerkbar zu machen. Ich schaffe es mit einem erbärmlichen Krächzen.

„Hast du verstanden, was er uns sagen will, Tan?“

Der schüttelt den Kopf, kommt aber meiner Nase sehr nahe. Zu nahe, sein Ohr kitzelt an einer empfindlichen Stelle. Ich muss so laut niesen, dass sein Trommelfell auf lange Zeit taub sein dürfte.

Erschrocken fährt Tan hoch. „Unser Freund hat eine erstaunliche Art der Kommunikation“, bemerkt er belustigt.

Die Müdigkeit kehrt zurück, mein Körper gleitet langsam auf die Liege. Der Poet sieht Tan an und flüstert verständnisvoll: „Er ist wieder eingeschlafen.“

„Das ist die anstrengendste Geburt, die ich je erlebt habe“, resümiert Tan erleichtert. Er ruft die beiden Diener herbei und beauftragt sie, mich vorsichtig in sein Haus zu tragen. Ganz sanft werde ich emporgehoben und verlasse den Ort, der mir nun wie ein Gefängnis erscheint. Wohin ich auch komme, ich lasse die lange Dunkelheit hinter mir.

*

Teil 2: Der erste Tag

Das neue Leben beginnt mit unglaublichen Schmerzen. Es pocht und sticht im Kopf. Dieses unerträgliche Gefühl ist mir völlig unbekannt. Der Versuch, die Qual durch den Druck der Hände zu vertreiben, bleibt ohne Erfolg. Um der Qual zu entfliehen, verkrieche ich mich in die dunkelste Ecke des Raumes. Ist das mein neues Leben? Wenn ja, will ich lieber wieder aus diesem Körper verschwinden. Das Geräusch der eintretenden Person dringt in den Kopf wie eine heiße Nadel. Das Licht verursacht einen Schmerz, er raubt mir fast das Bewusstsein.

Tan beugt sich über mich, betastet meine Haut und erschrickt, er spürt den kalten Schweiß auf meiner Stirn. „Lauf, bitte die Hohe Priesterin, dringend herzukommen, es geht um Leben und Tod“, befiehlt er seinem Diener.

Ein Blick auf den vor Schmerz zusammengekrümmten Körper treibt ihn zur höchsten Eile. Wie vom Leibhaftigen getrieben, stürmt er, ohne zu klopfen, in den Tempel der Offenbarung. Die Hohe Priesterin Vehn ist dort gerade mit der Segnung der Speisen beschäftigt.

Man kann viele Fehler im Leben machen, die Hohe Priesterin bei der Zeremonie zu stören, ist unverzeihlich. Ihr Ärger über diese Störung ist nicht zu übersehen. Ehe er sich versieht, wirft ihn eine gewaltige Kraft auf den Boden. „Ich gebe dir eine Chance, wie lautet deine Entschuldigung?“, versucht sie, ihn einzuschüchtern.

Tans Diener ist bekannt für Stärke und Furchtlosigkeit. Jetzt aber tritt das blanke Entsetzen in seine Augen. „Tan, Hilfe, Leben und Tod … “ Dann bricht er zusammen.

Trotz dieser spärlichen Information glaubt Vehn, den Grund der Unterbrechung zu wissen. Sie spürt, Tan ist in großer Gefahr und höchste Eile ist geboten. Sie hätte nicht so hart mit seinem Diener umgehen sollen. Bei diesem Gedanken wirft sie sich eine kleine Tasche über die Schulter und verlässt eilig das Haus.

Tan richtet den bewusstlosen Körper des Jungen vorsichtig auf und legt ihn behutsam auf das Bett zurück. Schweiß ist unbekannt im Unteren Haus, er steht vor einem weiteren Rätsel. Für ihn gibt es nur ein Ziel, er will den Jungen nicht wieder verlieren. In seiner Aufregung greift er zu der zufällig neben ihm stehenden Flasche Salmi und nimmt einen kräftigen Schluck. Zu spät bemerkt er seinen Irrtum. Plötzlich fühlt er sich ganz leicht, die Decke kommt bedenklich nahe. In diesem traumhaften Zustand entgeht ihm vollkommen das Erscheinen von Vehn.

„Du alter Narr, zum Saufen brauchst du Hilfe und schickst mir dein stinkendes Anhängsel.“

Wie aus der Ferne sieht er ihr Gesicht, in der Erinnerung war es jedoch wesentlich lieblicher und verständnisvoller. Ein harter Aufprall holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Mühsam deutet er zu dem Jungen und bittet Vehn um Hilfe. Beide kennen sich sehr gut. Vehn bewundert Tan und seine Arbeit. Häufig genug hat er sie mit seinem Wissen beeindruckt. Sie kann sich nicht erinnern, dass er sie jemals um Hilfe gebeten hat.

Erst jetzt bemerkt sie den schweißüberströmten Körper auf dem Bett. Bisher hatte sie keinerlei Kenntnis von der Anwesenheit des Fremden in Tans Obhut. Mit dem Gespür der Heilerin wendet sie sich dem wie leblos vor ihr liegenden Jungen zu. Nass klebt das blonde Haar an seinem Kopf. Ihre Hände spüren sofort, es ist noch etwas Leben in ihm. Der Kampf mit dem Tod findet bereits statt und nähert sich dem Ende. Um ihn zu retten, gibt es nur eine Möglichkeit. Trifft sie den falschen Entschluss, bedeutet dies den Untergang des Unteren Hauses. Mit dem Instinkt einer Mutter entscheidet sie sich für die Rettung des Jungen. „Hab keine Angst, mein Sohn. Diesen Kampf werden wir nicht verlieren“, spricht sie mit fester Stimme. Vehn holt aus ihrem Umhang ein wunderschön verziertes Fläschchen und öffnet es vorsichtig. Eine knisternde Energie in Form eines blauen Nebels entweicht und umhüllt ihre zierliche Figur. Beschwörend hebt sie die Arme und konzentriert sich auf die leblose Gestalt des blonden Jungen. Inzwischen umschließt eine grell leuchtende Energiekugel die Hohe Priesterin. Zischend, wie eine giftige Schlange, fährt ein geballter Lichtstrahl aus ihren Händen in meinen Körper.

Übernatürliche Kräfte heben mich empor und versetzen die Umgebung in gleißendes Licht. In dem Moment, als Vehn entkräftet zu taumeln beginnt, falle ich hart auf das Bett zurück.

Noch leicht betäubt, gelingt es Tan, die Hohe Priesterin vor dem heftigen Aufprall zu bewahren. Er sieht in ihr Gesicht und erkennt mit Schrecken, welch einen enormen Kraftaufwand sie diese Handlung gekostet hat. „Vehn, hallo, Vehn, kannst du mich hören?“ Völlig verzweifelt streicht er dabei ihre Wangen. Erinnerungen an seine Jugendzeit, tief im Herzen vergraben, werden bei der Berührung wach.

Vehns Blick richtet sich auf Tan, langsam öffnen sich ihre Lippen. „Er wird wieder leben, vertraue mir. Ich hoffe für uns alle, dass er der Richtige ist“, antwortet sie mit schwacher Stimme. „Etwas Übermächtiges zwang mich zu dieser Handlung“, begründet sie ihre Entscheidung.

Tans fragender Gesichtsausdruck zeigt ihr deutlich seine Unwissenheit.

„Es steht in der Prophezeiung, dass unser Lebensraum nur von begrenzter Dauer ist. Ein Wesen aus einer anderen Welt wird kommen, um uns den rechten Weg zu zeigen. Er besitzt nun sowohl die Kraft wie auch das Wissen aller Gläubigen, eine zweite Chance haben wir nicht“, flüstert Vehn. Schlagartig wird beiden die körperliche Nähe bewusst. Wie zwei ertappte Kinder raffen sie sich auf und gehen auf Abstand.

Vehns Worte schwirren durch Tans Kopf. „Was bedeutet das, woher kommt dein Wissen?“ Dabei ist ihm die Neugierde förmlich ins Gesicht geschrieben.

Vehn nimmt den noch etwas benommenen Tan bei der Hand. „Auch wenn du mir die Anwesenheit dieses jungen Fremden verschwiegen hast, ist es an der Zeit, offen miteinander zu reden. Komm mit, mein Freund, es ist notwendig, dass du alles über unsere Studie an einem zweiten Objekt erfährst. Es könnte die letzte Gelegenheit sein, mehr aus der Vergangenheit zu erfahren“, fordert sie ihn, mit noch immer geschwächter Stimme, auf.

Etwas unsicher, sich gegenseitig abstützend, begeben sie sich auf den Weg zum Tempel der Offenbarung. Noch nie hat jemand im Unteren Haus die beiden so vertraulich zusammen gesehen.

Tan hatte bisher kein großes Verlangen, den Tempel aufzusuchen. Das Untere Haus strahlt eine Wärme und Geborgenheit aus, sie gibt Tan Sicherheit. Dieser Ort mit seinem grellen blauen Licht ist genau das Gegenteil. Die Wände dort besitzen keine Wabenstruktur, stattdessen sind sie kalt und glatt wie Eis.

Sie stehen vor einem gewaltigen Tor, größer als alle anderen im Unteren Haus. Auf seiner metallischen Fläche fehlt jegliche Verzierung. Das mächtige Tor macht deutlich, dass sich dahinter etwas Außergewöhnliches befindet. Trotz seiner Größe gleitet es mit schwebender Leichtigkeit seitwärts in die Wand. Vor Tan offenbart sich eine Halle von unbeschreiblicher Schönheit. Hier wird selbst die Luft durch herrliche Farbspiele sichtbar.

Vehn ergreift seinen Arm und führt ihn weiter. Erstaunt stellt er fest, dass die Halle in der Form eines Theaters gestaltet wurde. Das lange Rund scheint kein Ende zu nehmen, die Stufen führen steil hinab. Vehns Anhänger, in ihren schwarzen Gewändern, haben bereits einen großen Teil besetzt und verfolgen aufmerksam Tans Abstieg. Trotz der vielen Anwesenden herrscht absolute Ruhe, nur seine Schritte unterbrechen die Stille. Immer mehr dunkel gekleidete Gestalten folgen und füllen die restlichen Plätze.

Tan war nicht bewusst, dass die Hohe Priesterin über so viele Untertanen verfügt. Unten angekommen, bittet sie ihn, neben ihr Platz zu nehmen. Er spürt, trotz des nun eintretenden Dämmerlichts, dass alle Blicke auf ihn gerichtet sind. Vehn erhebt sich und tritt nach vorne, ein Lichtstrahl unterstreicht ihre beeindruckende Erscheinung.

„Ihr Gläubigen des Unteren Hauses. Die Umstände zwingen uns, den Geist des Wesens erneut zu rufen. Vermutlich ist es das letzte Mal, um von seinem Wissen zu profitieren. Ich habe deshalb den großen Meister Tan gebeten, uns in die weite Vergangenheit zu begleiten. Noch etwas zu eurer Information: Meister Tan ist das gelungen, was uns leider verwehrt blieb. Auch er hatte die Aufgabe, ein fremdes Wesen wiederzubeleben. Mit seinem einzigartigen Können hat er es geschafft, diesen Menschen ins Leben zurückzurufen. Sobald er bei Kräften ist, werden wir ihn euch vorstellen“, verkündet sie mit fester Stimme. Bei diesem unverdienten Lob kann Tan ein mulmiges Gefühl nicht verhindern. Bewunderndes Gemurmel aller Anwesenden erfüllt die Halle. „Ich rufe nun den Geist des Menschen aus der fernen Vergangenheit und überlasse Tan die Befragung“, setzt sie fort.

Der gleißende Lichtstrahl richtet sich auf einen Altar in der Mitte der Halle. Ein großer durchsichtiger Kasten, ausgekleidet mit einem blauen Tuch, reflektiert das Licht in den Raum. Sein Inhalt ist ein Mensch aus alter Zeit, die Ähnlichkeit mit dem jungen Mann von Tan ist unübersehbar. Die schlafende Position kennt er zu Genüge. Voller Spannung wartet Tan auf den Augenblick der Kontaktaufnahme. Seine Unsicherheit betreffend der Kommunikation mit dem Fremden wird sehr schnell beantwortet. Die Kuppel der Halle erstrahlt und eine große flimmernde Fläche erscheint.

„Nun, Tan, ist es an dir, stell deine Fragen. Die Seele des Wesens wird uns die Antwort in Form von Bildern an der Decke zeigen“, fordert Vehn ihn auf.

Tan wendet sich ehrfurchtsvoll der schlafenden Person zu, dabei ist ihm die Erwartung aller hier im Raum bewusst. Die Schutzhülle um den aufgebahrten Körper hat sich in den Boden versenkt. Tief beugt er sich über das leblose Medium und berührt dessen eiskalte Stirn mit seiner Hand.

„Du kommst aus einer anderen Welt, zeig sie mir“, beginnt Tan etwas unsicher.

Das Flimmern an der Decke nimmt an Heftigkeit zu, bis ein roter Feuerball erscheint. Völlig lautlos steigt dieser langsam in die Höhe und eine wunderschöne Landschaft wird sichtbar. Sie ist von solch einer atemberaubenden Schönheit, wie sie keiner der Anwesenden je zu Gesicht bekam. Hohe, weiß bedeckte Berge, die weit in einen blauen Himmel ragen. Der rote Ball steigt weiter, dann geht der Blick hinab in ein Tal. Große, unbekannte Pflanzen wiegen sich im Wind und erfüllen die Halle mit einem angenehmen Rauschen. Sie sind ohne Blüten, nur grün. Das Bild verschwindet und geht in das ursprüngliche Flimmern über.

„Warte, Tan, es liegt an den langsam versiegenden Kräften, der Kontakt kommt gleich wieder zustande“, hört er Vehn im Hintergrund rufen.

Kurz darauf erscheint ein Bild, allerdings ohne den roten Ball. Sie sehen ein offenes Buch. Der Wind blätterte mit lautem Rascheln in den Seiten und plötzlich steht für alle sichtbar in ihrer Sprache zu lesen:

Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht.

Tan wendet sich erneut voller Aufregung an das Medium. Es sind diese Worte, die ihn nun schon tagelang begleiten. Noch nie war er dem Ziel so nahe, die Bedeutung der Worte Gott und Licht zu erfahren.

„Wo ist das Licht?“, ruft er dem fremden Wesen für alle hörbar zu.

Wieder beginnt die Decke heftig zu flimmern und die Kuppel strahlt in hellem Weiß. Eine wunderschöne Wolke steigt in den herrlich blauen Himmel empor. Sie hat die Form eines gewaltigen Pilzes, der stetig an Größe zunimmt. Die Wolken drehen sich mit hoher Geschwindigkeit ineinander. Hier handelt es sich um keine Schöpfung Gottes, es ist Menschenwerk von tödlichem Ausmaß. Sie dreht sich wie ein riesiges Ungeheuer in sich selbst, um alles zu verschlingen. Ein weiteres Bild erscheint, es zeigt eine Küste, an dessen Ufer sich die Wellen brechen. Völlig überraschend stürzt das Land in die Tiefe der Fluten und erzeugt eine gigantische Wasserwand. Wieder erscheinen – für jeden sichtbar – die Worte:

Der Mensch in seiner Gier nach Macht kam. Er löschte das Licht aus. Da war nur Dunkelheit. Es blieb nur die Finsternis, die Gott Nacht nannte. Es kam kein Morgen mehr.

Die große Halle ist, außerhalb des gleißenden Lichtstrahls auf den Jungen, vollkommen dunkel. Trotz der Finsternis spürt Tan deutlich die Blicke der Anwesenden. Er selbst steht noch immer unter dem Schock des entsetzlichen Geschehens. Warum haben die Menschen so etwas getan? Wieder wendet sich Tan dem Wesen zu. „Ist das deine Welt?“, will er wissen.

Erneut beginnt es an der Decke heftig zu flimmern. Der rote Feuerball erscheint und offenbart Tiere, die schwerelos in der Luft fliegen. Je weiter der Feuerball emporsteigt, desto mehr Leben wird sichtbar. Wesen, die elegant durch das Wasser gleiten oder völlig entspannt auf grünen Wiesen stehen. Jetzt richtet sich das Bild auf zwei größer werdende Gestalten, einen Mann mit einer Frau an seiner Seite. Kinder laufen vorweg und toben mit einer runden Kugel. Dann verschwindet das Bild, allerdings nur für einen Augenblick. Wieder liegt das Buch vor uns. Der Wind blätterte in den Seiten und alle lesen die Nachricht.

Und Gott sprach: „Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde und unserem Gleichnis.“

Die Worte sind Tan fremd, ihr Sinn aber wird durch die Bilder deutlich. Dieser Gott hat Leben in vielerlei Form geschaffen.

Plötzlich ist es dunkel und beängstigend still. Trotz der vielen Anwesenden herrscht ein Gefühl von unendlicher Einsamkeit. Der Lichtstrahl leuchtet nun gezielt auf den jungen Mann. Ruhig liegt das Medium vor Tan und strahlt im Gegensatz zu ihm vollkommene Zufriedenheit aus. Alle Blicke richten sich jetzt auf Vehn.

„Das, meine Schwestern und Brüder, war nun die letzte Sitzung, die wir erleben durften. Das Medium hat uns viele Informationen aus seiner Welt hinterlassen. Achtet darauf, dass nichts in Vergessenheit gerät.“ Der Geräuschpegel schwillt deutlich an, die Versammlung löst sich auf. „Einen Moment Tan, da ist ein wichtiger Punkt zu klären“, bittet Vehn um ein persönliches Gespräch.

Noch tief unter dem Eindruck des Erlebten folgt Tan der Hohen Priesterin in ihre Gemächer.

Bisher glaubte Tan, über ein großes Maß an Wissen zu verfügen, nun aber kommt er sich unendlich unwissend vor. Wie alle Bewohner des Unteren Hauses hat auch er ein fotografisches Gedächtnis. Das Bild der wunderschönen blauen Kugel, welche dieser Gott als Erde bezeichnet hat, erscheint erneut vor seinen Augen.

„Nimm bitte Platz.“ Dabei deutet Vehn auf einen mächtigen Stuhl aus blauem Gestein. Sie spürt seine Abwesenheit und gewährt ihm die Zeit der Besinnung. „Lasse es auf dich wirken und komm zu mir, sobald du dir eine Meinung gebildet hast“, bemerkt sie mit Blick auf Tans nachdenkliche Miene. „Zwei Dinge sollten wir jedoch vorher unbedingt klären“, setzt sie fort. „Der erste Punkt betrifft das Untere Haus. Auch dir, Tan, sind die Veränderungen außerhalb unseres Lebensraumes sicher nicht entgangen. Wie wir alle wissen, erscheint bereits für kurze Zeit Licht auf der zweiten Ebene. Für die Bewohner des Unteren Hauses zeigt sich das Phänomen durch das Aufleuchten des Trinkwassers am großen Speicher. Offensichtlich gibt es hier einen direkten Zugang nach oben“, ergänzt sie ihre Eindrücke zur aktuellen Situation. „Wir müssen feststellen, dass sich der Zeitraum des Lichtstrahls stetig verlängert. Leider hat das Licht auch eine unangenehme Nebenwirkung. Es bringt Wärme mit sich, Wärme, die sich negativ auf die Lebensumstände des Unteren Hauses auswirkt. Es ist damit zu rechnen, dass uns dieser Lebensraum nur noch für begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Wir sollten uns deshalb auf eine veränderte Zukunft vorbereiten und alles in Erfahrung bringen, was da draußen passiert. Ganz entscheidend wird sein, und somit komme ich auf den zweiten Punkt, dein Schutzbefohlener. Ich bin überzeugt, dass die Behandlung erfolgreich war und er inzwischen wieder bei Kräften ist.“

Dabei blickt sie mit sorgenvollem Gesicht auf ihre zarten Hände. „Es ist wichtig, zu prüfen, an was er sich erinnert und ob er besondere Fähigkeiten besitzt. Wir werden feststellen, über welches Wissen er verfügt. Er soll die bestmöglichen Voraussetzungen erhalten, um da draußen überleben zu können. Um unsere Zukunft zu sichern, benötigen wir ein besseres Bild von der damaligen Katastrophe“, setzt sie ihre Rede fort. „Ich gehe davon aus, dass nicht alles an ihnen schlecht war, so hat dieser Gott sie ja nicht geschaffen. Erinnerst du dich noch an die Worte des Mediums? Der Herr nannte es Tag und Nacht.“

Dann nimmt sie einen Schluck aus ihrem silbernen Becher, um auch gleich wieder fortzufahren. „Genau so muss es früher gewesen sein“, ergänzt sie etwas nachdenklich. „Die Gründlichkeit unserer Vorbereitung spielt eine entscheidende Rolle. Zur Sicherheit werden wir deinem Schützling vertraute Helfer des Unteren Hauses zur Seite stellen. Er soll sich schnellstmöglich eingewöhnen. Außerdem benötigt er einen persönlichen Beschützer. Du siehst, Tan, viele Aufgaben warten auf uns.“ Mit diesen Worten beendet sie ihre Rede.

Immer noch beeindruckt von dem Geschehen nimmt Tan alles wie aus weiter Ferne zur Kenntnis. Obwohl er für Vehn eine innige Zuneigung hegt, ist er froh, diesen Ort verlassen zu können. Mit einer höflichen Verneigung verabschiedet sich Tan. Unverbindlich gibt er die Zusage, sich in Kürze erneut zu treffen. Erleichtert verlässt er den Raum. Für Vehn, die ihm schmunzelnd nachblickt, sieht das Ganze mehr nach Flucht aus.

Wieder liege ich da, ich spüre deutlich meinen Körper. Aus Angst, die Schmerzen könnten wiederkehren, öffne ich langsam die Augen. Sofort wird mir bewusst, ja, es hat sich etwas verändert. Da sind Kräfte in mir, die ich bisher nicht wahrgenommen habe. Ist es eine Auswirkung der Krankheit? Ohne Mühe erhebe ich mich und beginne, die neue Umgebung zu entdecken.

Faszinierend, diese Vielzahl von Gerüchen. Wie lange hat das Leben in der anderen Welt gedauert. Wer bin ich und wo komm ich her? Warum unterscheidet sich mein Aussehen von ihnen. Viele Fragen gehen mir durch den Kopf, sie warten auf eine Antwort.

Erfreulicherweise kann ich mich jetzt mit Worten ausdrücken. Vor Freude beginne ich, laut zu denken. Ein Durchgang erregt meine Aufmerksamkeit.

Die Neugierde siegt, schon stehe ich in einem weiteren Raum. Die an den Wänden aufgebauten Regale platzen schier vor Büchern. Der große Tisch in der Mitte ist bis auf die kleinste Fläche mit Stapeln von Büchern belegt. Alles zieht mich magisch an, ich komme nicht umhin, wahllos eines dieser Schätze herauszunehmen. Der Umschlag fällt durch seine künstlerische Gestaltung auf. Gold und Silber umrahmen einen Stein mit beeindruckender Ausstrahlung. Voller Ehrfurcht öffne ich das mächtige Werk.

Für Tan, den großen Magier von Schamal, den König des Unteren Hauses, steht, gleich am Anfang, in kunstvoller Handschrift. Völlig unerwartet verschwimmen die Zeilen. Die folgende Seite öffnet sich von selbst, die Buchstaben sind kaum noch zu erkennen. Dieser Vorgang setzt sich mit zunehmender Geschwindigkeit fort. Am Ende schließt sich das Buch wie von Geisterhand. Die strahlend blaue Kugel schwebt direkt vor mir. Vergeblich versuche ich, sie mit den Fingern zu berühren. Für einen kurzen Augenblick wird mir schwarz vor den Augen und leichter Schwindel erfasst mich. Wunderschön liegt das Buch vor mir, so als wäre nichts geschehen. Immer noch etwas irritiert, stelle ich es in das Regal zurück und ergreife das nächste.

Salmi, das Getränk der Götter. Wie braut man Salmi auf göttliche Weise.

Als Verfasser sehe ich zu meiner Überraschung den Namen von Tan und eine Zahlenreihe. Das gleiche Schauspiel wiederholt sich, ich sauge den Inhalt der Bücher auf, wie ein trockener Schwamm.

Das wiederkehrende Schwindelgefühl nimmt ab, es stört kaum noch. Nach einer gefühlten Ewigkeit benötigt mein Gedächtnis dringend Ruhe. Es ist wohl besser, diesen Raum zu verlassen. Ganz leise öffne ich die große Tür. Eine fremde Person steht mir direkt gegenüber.

„Was machst du hier?“ Der überraschte Gesichtsausdruck von Tans Diener ist nicht zu übersehen.

Es sind die ersten Worte in einer mir unbekannten Sprache. Vorsichtig reiche ich ihm die Hand, die er zögernd ergreift. Genau wie bei den Büchern durchfließt mich eine Welle von Informationen. Das kurze Schwindelgefühl stellt sich auch hier erneut ein.

Für ihn völlig unerwartet lege ich freundschaftlich den Arm um seine Schulter. Mit großen Augen hört er voller Entsetzen, wie ich auf vertrauliche Weise über Dinge aus seinem Leben zu plaudern beginne. Tief betroffen bittet er, das Gesagte für mich zu behalten. Als Dank für mein Vergessen verspricht er Hilfe, wann immer ich sie benötige.

„Hallo, Mogul.“ Mit einem charmanten Lächeln begrüße ich die vorübereilende Schönheit.

Überrascht, dass nicht nur Tans Diener, sondern auch ich sie kenne, reicht sie mir verdutzt die Hand. „Woher kennst du meinen Namen?“

Wie selbstverständlich ergreife ich ihre Hand, erneut durchströmt mich diese Welle. Kurz darauf stellt Mogul mit Entsetzen fest, dass niemand sie besser kennt als ich. Es ist erstaunlich, zu sehen, dass die Wesen des Unteren Hauses ihre Gesichtsfarbe wechseln können.

Statt einer freundlichen Erwiderung bekomme ich nun allerdings ziemlich Ärger. Schnell bildet sich eine Gruppe von Passanten, die mir offensichtlich nicht sehr wohl gesonnen sind. Unerwartet teilt sich die Menge. Vor mir steht ein faltiger, mir sehr bekannter Mann mit wehendem Umhang.

Nach dem fluchtartigen Abschied von Vehn arbeitet Tans Kopf bereits auf Hochtouren. Klar, dass er jetzt noch neugieriger ist, mehr über seinen Schützling zu erfahren. Der Weg durch das Innere des Tempels erscheint ihm diesmal endlos. Mit jedem Schritt verbessert sich die Stimmung. Der Anblick seines Hauses beflügelt ihn zusätzlich. Im Gegensatz zu sonst erwidert er die zugerufenen Grüße, was wiederum bei den anderen Erstaunen auslöst. Augenblicklich verschwindet die Fröhlichkeit. Vor dem Haus wartet eine wild diskutierende Gruppe. Problemlos bahnt er sich einen Weg durch die Menge.

Etwas kleinlaut reiche ich ihm artig die Hand. „Ich besitze leider keinen Namen wie Ihr, Meister Tan“, stammele ich verwirrt.

Wieder befällt mich dieses Schwindelgefühl. Schlagartig wird mir klar, durch die Berührung von Personen nehme ich teil an deren gesamten Wissen. Ähnliches geschieht mit den Büchern. Aufgrund der negativen Erfahrung mit der schönen Dame Mogul sollte ich das Geheimnis besser verschweigen. Erneut beginne ich mit dem dümmlichen Satz. „Ich habe keinen Namen, Meister Tan, wir kennen uns jedoch.“

Tan ergreift meinen Arm und zieht mich murmelnd ins Haus.

„Ich sehe, du hast dich prächtig erholt. Entschuldige mein unfreundliches Verhalten, mir steckt der kurze Besuch in deiner früheren Welt noch tief in den Knochen. Da wird man alt wie ein Selch und lernt nie aus. Auch wenn es nicht der richtige Moment ist, um zu verarbeiten, was ich gerade erleben musste, benötige ich jetzt einen guten Salmi. Wir werden dabei überlegen, welcher Name für dich am besten geeignet ist.“

Wie selbstverständlich geht er davon aus, dass ich seiner Sprache mächtig bin.

„Kennst du überhaupt Salmi?“ Er sieht mich fragend an.

Tagelang könnte ich Geschichten zu dem Thema erzählen, aus seinem eigenen Buch und durch die Gedankenübertragung. „Natürlich kenne ich Salmi und mag ihn sehr“, kommt meine Antwort und erste Lüge mit fester Stimme.

„Du kannst einen Salmi zusammenbrauen?“ Tans Blick ist voller Zweifel, fassungsloses Staunen steht deutlich in seinem Gesicht. Es gibt wenige Dinge, die bei Tan Bewunderung hervorrufen, Salmi herzustellen, steht ganz vorne.

Irgendwo habe ich gelesen, dass die Bewohner des Unteren Hauses ein längliches Gras gegen Erkältung zu sich nehmen. Tans Verwirrung steigert sich, als ich ihn nun ausgerechnet um dieses Gras bitte. Kurz in einem Mörser zerstampft und mit den notwendigen Zutaten im Glas geschüttelt, fertig ist das erste Getränk.

Wenn man Misstrauen und Zweifel sichtbar machen könnte, sähen sie so aus wie das Gesicht von Tan. Vorsichtig nimmt er das Glas in die Hand, gefolgt von einer Geruchsprobe. Mit spitzen Lippen wagt er sich nun an das von mir gebraute Kunstwerk. Der Ausdruck wechselt über starke Abneigung zu unglaublichem Erstaunen bis zur völligen Überraschung.

Da sich nun auch seine Gesichtshaut langsam in ein kräftiges Rot verändert, ist das Fehlen von Spiegeln ein absoluter Glücksfall. Wie aus weiter Ferne dringt Tans Stimme zu mir. „Mein Junge, alleine dieser Salmi ist es wert, dich wiederzubeleben.“

Es folgten wahre Lobeshymnen über meine Braukunst, dann wird er für einen Augenblick still.

„Yoki, ich bin überzeugt, dass Yoki genau der richtige Name für dich ist.“

In der gleichen Glückslaune wie er beginne auch ich den Namen Yoki zu wiederholen. Seltsamerweise berührt der Klang des Namens eine Stelle tief in meinem Gedächtnis. Er vermittelt das Gefühl der Geborgenheit. Zum ersten Mal beginne ich, die Wärme des Lebens zu spüren und vor allem Glück.

Wir erwachen am nächsten Morgen fast gleichzeitig.

„Schön dich zu sehen, Yoki“, sind die ersten Worte und ein Lächeln verzaubert sein faltiges Gesicht.

„Hallo, Meister Tan, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen“, antworte ich leicht benommen.

„Weißt du, Yoki, ich bin mir absolut sicher, dass für uns ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Wir beide sind am Anfang unserer Beziehung, aber mit einem klaren Ziel vor Augen und voller Tatendrang. Lange durfte ich dieses Glücksgefühl nicht mehr spüren.“ Die Freude ist ihm anzusehen.

Meine Stimmung bleibt, angesichts der erst langsam nachlassenden roten Gesichtsfarbe von Tan, weniger euphorisch.

„Meister Tan, gestattet mir eine Bemerkung“, beginne ich vorsichtig, um seine positive Laune nicht zu stören. „Ich scheine ein Problem oder eine Gabe zu besitzen, die mich beunruhigt“, bricht es nun doch aus mir heraus. Mit hochgezogener Augenbraue fordert mich Tan auf weiterzureden.

„Sobald ich die Hand einer anderen Person berühre, nehme ich teil an seinem gesamten Wissen“, schildere ich etwas zaghaft meine Entdeckung.

Diese Aussage scheint Tan nun wiederum sehr zu überraschen, vorsichtshalber wiederholt er meine Worte.

„Das bedeutet also, er reicht mir seine Hand, nur durch die Berührung, so wie jetzt“, dabei lächelt er ungläubig.

Da ich sein Wissen bereits beim ersten Kontakt übernommen habe, bleibt auch das bekannte Schwindelgefühl aus. Sicher, dass es sich um eine kindische Einbildung handelt, stellt Tan mich auf die Probe.

„Damals in der Universität gab es ein Mädchen aus der Elitestufe, es gefiel mir besonders gut.“ Die Röte in seinem Gesicht nimmt erneut deutlich an Intensität zu.

Ich schließe die Augen, eine junge Frau von außergewöhnlicher Schönheit wird sichtbar. Ich kenne diese Person. Da ist ein Bild, wie durch einen Nebel erscheint eine wunderschöne Frau. Ja, jetzt sehe ich ein Gesicht, es ist das der Hohen Priesterin Vehn, nur jünger.

Leise kommt das Wort „Vehn“ über meine Lippen, worauf die Gesichtsfarbe Tans in ein fast dunkles Rot wechselt.

„Gut, Yoki, sei mir nicht böse, wenn wir uns in Zukunft die Hand nicht mehr reichen. Gehe sparsam mit dieser Gabe um, dein Gedächtnis wird sonst mit zu viel Müll belastet. Wir beide werden das Geheimnis für uns behalten, mal sehen, wozu es nützlich ist“, beendet er das Thema und fährt fort: „So, mein Sohn, lass uns gemeinsam über die weitere Zukunft sprechen. Deine Anwesenheit kommt für uns nicht völlig unerwartet. Im Buch der ersten Tage steht geschrieben, dass eines Tages ein Wesen von anderer Art erscheinen wird. Dieser Fremde hat die Unterstützung von außergewöhnlichen Freunden und verfügt über große Magie. Im Aussehen jung übertrifft er uns an Weisheit. Er stammt aus einer anderen Zeit, aus einer fremden Welt. Unser Lebensraum verändert sich dramatisch, doch er zeigt uns allen den richtigen Weg. Mit ihm erscheint das Licht. Die Dunkelheit wird weichen und neues Leben erwacht“, klärt mich Tan mit ernster Miene in Kurzform auf. „Die Hohe Priesterin und ich sind der Überzeugung: Du bist der Auserwählte. Vehn und ihre Anhänger haben dir das Leben gerettet. Ihre gemeinsame Kraft und Magie ist nun ein Teil von dir. Was das für dich bedeutet, wird sie dir selbst erklären. Wir beide begleiten auch deine weitere Ausbildung und Vorbereitung auf die große Aufgabe. Du besuchst die Universität des Unteren Hauses. Die besten Professoren bilden dich in den Fächern Bewegung auf allen drei Ebenen, Selbsterkennung, Geschichte, Medizin und Natur aus. Lesen und Sprache beherrscht du ja schon perfekt. Versuche, so viel und so schnell wie möglich zu verstehen. Die Zeit lässt uns keinen großen Spielraum. Von entscheidender Bedeutung wird die Erinnerung sein. Das Wissen um die Vergangenheit ist der Schlüssel für unsere Zukunft. Um die Aufgaben zu bewältigen, bist du auf Hilfe angewiesen. Du benötigst Gefährten mit Mut und Erfahrung. Wir suchen diese mit Bedacht aus, sodass ihr als Gemeinschaft ein Ganzes bildet. Was immer passiert, Vehn und ich stehen dir zur Seite. Durch die Gabe der Priester besitzt du die Möglichkeit, Gedanken zu senden und entgegenzunehmen.“ Damit beendet er seine Rede.

Große Enttäuschung überkommt mich. Wenn der Schlüssel für die Zukunft meine Erinnerungen sind, bin ich wohl der falsche Auserwählte. Meine Erinnerung an die Vergangenheit ist eine schwarze Wand. Da ist nichts, aber auch gar nichts, was mich an das angebliche Leben von damals erinnert.

*

Teil 3: Das neue Leben

Tan verschwindet hinter einem riesigen Stehpult und greift zur Feder. „Das Erste, was du brauchst, mein Sohn, ist jemand, der dich stets vor Gefahren beschützt. Damit stehen wir aber auch vor einem großen Problem. Wir müssen jemanden finden, der bereit ist, sein Leben dir völlig unterzuordnen. Ich werde mich mit Vehn beraten.“ Eine leichte Röte überzieht erneut sein Gesicht, welche er durch eine ernste Miene zu überspielen versucht. „Deine Bildung ist der nächste Schritt, hier wird dir deine Gabe sicher sehr behilflich sein. Ich bitte dich dennoch, versuche, dir die Dinge auf normalem Weg anzueignen. Es ist ein großer Unterschied, aus eigener Erfahrung zu lernen. Ferner müssen wir versuchen, Licht in deine Vergangenheit zu bekommen, auch wenn du im Augenblick keine Erinnerung hast. Als Erstes aber werden wir Schamal unsere Aufwartung machen, er wird es mir nie verzeihen, wenn ich dich nicht vorstelle.“ Ohne weitere Worte verlässt er den Raum.

Wie bereits geschehen, zieht mich auch dieses Mal der Raum mit den unzähligen Büchern magisch an.

Tan ruft nach seinem Diener und beauftragt ihn, bei Schamal um Audienz zu bitten. „Richte Schamal aus, dass der Moment gekommen ist, ihm das Wesen aus der anderen Welt vorzustellen.“ Dann entfernen sich ihre Schritte.

Ohne jegliches Zeitgefühl greife ich mir wahllos Bücher aus dem Regal und sauge deren Inhalt begierig auf.

Ein kaum wahrnehmbares Geräusch verrät Tans Anwesenheit. Er muss sich schon etwas länger dort aufhalten. Hat er mich heimlich beobachtet?

„Es freut mich, dass du deine Ausbildung so ernst nimmst.“ Während er mich lobt, erscheint auf seinem Gesicht ein hintergründiges Lächeln. „So, mein Sohn, nun werden wir dich erst einmal einkleiden und dein Aussehen dem Unteren Haus entsprechend anpassen.“

Ein Hinweis, die Lesestudien zu beenden.

Als wir das Haus von Tan verlassen, kann ich die Blicke förmlich spüren. Man grüßt Tan und verneigt sich höflich, das Interesse konzentriert sich jedoch ausschließlich auf mich.

Das Untere Haus beeindruckt durch seine unglaubliche Schönheit. Das warme, blaue Licht überstrahlt alles und verbreitet eine friedliche Stimmung. Die Wohnungen sind ein Teil des Berges, man hat sie systematisch in den Felsen hineingearbeitet. Die beleuchteten Fenster strahlen wie unzählige Augen aus den blau leuchtenden Wänden. Der Lärmpegel ist trotz des regen Betriebes erstaunlich niedrig.

Ein frei stehendes Haus zu besitzen, scheint ein Privileg zu sein. Die wenigen kann man an einer Hand abzählen. Durch ihre erhöhte Position und die ganz speziell leuchtenden Steinen wirken sie wie Inseln der Schönheit.

An einer der Felswohnungen bleibt Tan stehen und betritt den offenen Eingang. Vor uns liegen Berge von Stoffballen in allen möglichen Farben. „Dieser Stoff wird aus den Fäden von Spinnen gewonnen, wir züchten sie im hinteren Teil des Unteren Hauses“, erklärte mir Tan und hebt dabei mit spielender Leichtigkeit einen großen Stoffballen empor. „Der Stoff wird zum Schluss durch ein Bad aus besonderen Erzen gezogen und besitzt dann außergewöhnliche Eigenschaften. Er hält Hitze und Kälte vom Körper fern und sorgt somit für immerwährend angenehme Temperatur. Er ist außerdem von besonderer Haltbarkeit und Stärke, kein Messer kann ihn durchdringen. Es bedarf vieler Jahre Studium, um dieses besondere Material verarbeiten zu können, nur wenige besitzen diese Gabe“, informiert er mich beiläufig.

Mit höflicher Verbeugung steht wie aus dem Nichts ein kleiner rundlicher Mann vor uns. Tan erkundigt sich nach dem Befinden sämtlicher Familienmitglieder des Inhabers Meister Haruto und nimmt mit Betroffenheit das Ableben der Mutter des Ladenbesitzers zur Kenntnis. Nun wendet sich die Aufmerksamkeit auf meine Person.

„Das hier, Meister Haruto, ist mein Sohn Yoki. Er ist aus einer anderen Welt zu uns gekommen und soll unser Schicksal positiv beeinflussen.“ Mit diesen Worten unterstreicht er die hohe Bedeutung des zu erwartenden Auftrages.

Meister Haruto mustert mich, wie zu erwarten war, mit großen Augen und voller Bewunderung. „Ist er es, auf den wir alle warten, Meister Tan?“ Seine Worte drücken ungläubiges Staunen aus.

„Ich bin mir noch nicht ganz sicher, er hat aber scheinbar all die notwendigen Voraussetzungen, wie sie im Buch der ersten Tage beschrieben wurden“, unterstreicht Tan seine Aussage.

Voller Freude streckt mir nun der Ladenbesitzer seine Hand zum Gruß entgegen. Ganz im Reflex ergreife ich sie und der bekannte Schwindel überfällt mich. Deutlich verspüre ich nun die Angst, die diesen Mann erfüllt. Es ist eine Angst ausgerichtet auf die Zukunft. Ich sehe den Einsturz von Felswohnungen und die Toten in einer Reihe aufgebahrt. Tan bemerkt die Veränderung in meinem Gesicht, erkennt jedoch nicht die Ursache. Als Schneider des Unteren Hauses ist Haruto gleichzeitig Empfänger und Vermittler aller Vorfälle und Neuigkeiten.

„Ihr sollt aus ihm einen ansehnlichen jungen Mann machen, Meister. Nehmt Maß und fertigt ihm Kleider für das Tagwerk und den Feiertag. Ferner benötigt er eine komplette Garnitur für das Studium sowie eine Ausrüstung für den Kampf“, versucht er, die Lage wieder zu normalisieren.

Auf einen Wink von Meister Haruto werde ich nun von drei Männern vermessen, gezogen und gedreht. Es ist leicht erkennbar, hier sind Künstler ihres Berufes am Werk. Nun ist mein Geschmack gefragt, welcher Stoff und welche Farbe sind für mich geeignet. Die Wesen des Unteren Hauses haben sehr viel Sinn für bunte Farben.

„Chiba oder Kamakura?“, wendet sich Meister Haruto an Tan.

Ich sehe ihn fragend an, worauf der wie selbstverständlich „Kamakura“ antwortet.

„Nun, Meister Yoki, die Studenten der Kamakura Universität tragen weiße Uniformen mit einer gelben Schärpe.“

Für mich zur Information ergänzend kommt die Anmerkung: „Und in Chiba natürlich Rot mit weißer Schärpe.“

„Kamakura war meine Universität und die vieler bedeutender Persönlichkeiten des Unteren Hauses, das ist genau der richtige Ort für deine Weiterbildung, Yoki“, begründet Tan seine Entscheidung mit großer Bestimmtheit.

Nun, das Thema Schule und damit die Farbe der Kleidung sind geklärt. Für Sport und Kampf darf ich mich für eine braune Farbe, passend zu meinem blonden Haar, entscheiden. Für den Augenblick erhalte ich einen blauen Umhang, wie ihn die jungen Leute zu tragen pflegen. Nachdem Tan nochmals die schnelle Erledigung betont, verlassen wir Meister Haruto.

Offensichtlich sind wir im Geschäftsviertel des Unteren Hauses, denn Tan verschwindet bereits in dem gegenüberliegenden Eingang. Nun bin auch ich tief beeindruckt. Große und kleine leicht gekrümmte Stäbe hängen leuchtend in allen Farben von der Decke. „Was ist das und wo sind wir hier?“ Ich kann meine Neugierde nicht verbergen.

„Das hier, Yoki, ist Meister Taishi, ein Künstler in der Herstellung von Waffen“, klärt er mich Tan auf.

Ich kann mich kaum sattsehen und bin tief beeindruckt von dieser mystischen Pracht. Es ist, als würden diese Gegenstände ein eigenes Leben führen. Im Wechsel der Farben höre ich das Summen der Stäbe in allen Tonlagen.

Meister Taishi musterte mich kritisch von oben bis unten. „Ist er das, Meister Tan?“ Ehrfurchtsvoll flüstert er in seine Richtung.

„Die Hohe Priesterin und ich sind uns ziemlich sicher: Er ist es. Gebt ihm die Hand und begrüßt ihn als Freund“, fordert er Meister Taishi auf.

Nun bin ich sehr verwundert, da Meister Tan die Folgen doch kennt. Herr Taishi reicht mir die Hand und ein Strom von Energie fährt durch meinen Körper. Als das Schwindelgefühl sich wieder gelegt hat, bin ich tief beeindruckt von dem kräftigen Mann, der mir gegenübersteht. „Sie sind nicht nur der beste Waffenkünstler, Meister Taishi, sondern auch ein Nachtwanderer“, kommt es verwundert über meine Lippen.

Herr Taishi sieht mich mit großen Augen entsetzt an, fast so, als wäre ich ein Gespenst.

„Sie machen sich Sorgen um Ihren Sohn, den Sie seit der letzten Expedition vermissen“, offenbare ich sein wirkliches Problem.

Nun ist es an Meister Tan, überrascht zu sein. „Wo ist Ihr Sohn und wieso haben Sie ihn der Gefahr ausgesetzt?“ Die Frage ist sehr forsch und nicht ohne Kritik gestellt.

Meister Taishi bricht nun vollkommen zusammen. „Ich wollte es nicht, er ist mir heimlich gefolgt. Ich habe nur noch seine Stimme vernommen, als er um Hilfe rief. Er entfernte sich immer mehr, sodass ich nicht mehr folgen konnte. Er war meine große Hoffnung und voller Begabung. Ich bete zu unseren Göttern, dass er wieder gesund nach Hause kommt“, berichtet er Meister Tan mit flehenden Worten.

„Ich spüre ihn und die Gefahr, in der er sich befindet. Sich selbst zu befreien, ist nicht möglich“, unterbreche ich die beiden.

Meister Taishi und Tan sehen mich verwundert an. „Woher weißt du das? Hast du Kontakt mit ihm?“ Tan sieht mich fragend an.

„Ja, ganz schwach. Vater, komm hilf mir und denk an Katami, vernehme ich gerade seine Stimme.“

„Was ist mit Katami, Herr Taishi, sagt Ihnen das etwas?“ Verwundert wendet sich Tan an den Waffenschmied.

„Ja, Meister Tan, es war schrecklich damals. Mein Bruder und ich waren auf Nachtwanderung, als von oben etwas Großes meinen Bruder Katami packte. Im Licht des Schwertes meines Bruders konnte ich die Gestalt einer riesengroßen Spinne erkennen. Ich habe verzweifelt versucht, die Verfolgung aufzunehmen, aber vergeblich“, berichtet er nun unter Tränen.

„Ich dachte, Ihr Bruder ist an einem Herzleiden gestorben und auf der heiligen Erde bestattet worden“, antwortet Tan nun sichtlich verwirrt und setzt sich langsam auf den Stuhl.

„Nein, Meister Tan. Auf Wunsch von Schamal soll der Vorfall geheim bleiben. Er will vermeiden, dass Angst unter der Bevölkerung ausbricht. Wir waren ja im Auftrag des Herrschers unterwegs.“ Dabei beteuert er erneut, nichts Unrechtes getan zu haben. „Auf Bitten der zweiten Ebene sollten wir herausfinden, wer die Überfälle in der letzten Zeit verursacht hat. Unsere Expedition blieb erfolglos, drei Teilnehmer sind verschwunden“, erklärt er in kurzen Worten. „Die Wesen der zweiten Ebene haben nun eine Gürtelschnalle gefunden. Ich will prüfen, ob es die meines Sohnes ist. Wenn Meister Yoki recht hat, ist das nun völlig unwichtig“, lautet sein Fazit. Ich kann nicht erklären, wie der Kontakt zu dem Sohn des Waffenhändlers zustande kommt. Ich verspüre nur die Angst, die mir vermittelt wird, und vernehme deutlich die Hilferufe von der anderen Seite.

„Wir haben keine Zeit, hier zu sitzen, denn Ihr Sohn hat nicht mehr viel Zeit.“ Erregt springe ich von meinem Stuhl.

„So einfach geht das nicht, Yoki, du stehst unter dem persönlichen Schutz von Schamal. Ohne seine Zustimmung und der Genehmigung von Vehn und mir kann nichts unternommen werden“, stoppt Tan meinen Elan. „Es widerstrebt mir, dich ohne jegliche Ausbildung in so große Gefahr zu bringen. Deine Aufgabe für das untere Volk ist von unschätzbarer Wichtigkeit“, begründet er seine Aussage. „Dennoch, Meister Taishi, werde ich den Rat einberufen, um das weitere Vorgehen zu besprechen“, versucht er, den sichtbar geknickten Mann zu beruhigen.

Wir sind gerade im Begriff, den Raum zu verlassen, da bittet uns der Meister, kurz zu warten. „Einen Moment. Was immer auch geschieht, der Knabe ist der Auserwählte und er ist dazu berufen, die Heilige Kugel zu seinem Schutze zu empfangen.“ Deutlich erkennbar hat er seine Fassung wiedergewonnen. „Es wird der Tag kommen, wo er eins sein wird mit der Magie der Kugel, sofern er wirklich der Auserwählte ist. So steht es geschrieben und ich bin mir ganz sicher, er ist es.“ Dann übergibt mir Meister Taishi eine kleine Kiste. Nun ist er es, der mit seltsamer Stimme aus der alten Überlieferung zitiert.

Aus zwei wird eins, so soll es sein,

die Kunst der Alten will es so.

Die Kugel sei von nun an Dein,

sie schützt Dich dort im Nirgendwo.

„Diese Worte sind in goldener Schrift auf dem Deckel eingraviert“, mit diesen Worten öffnet er die kleine Truhe für einen kurzen Augenblick.

Eine kleine unscheinbare Kugel wird sichtbar. Wie ein Blitz durchzieht es meinen Körper, vor meinen Augen erscheint ein strahlend blaues Gewässer. An seinem Ufer sitzt eine Steinfigur, deren Haupt eine rote Kappe und die Schultern ein roter Umhang bedeckt. Kindliche Augen starren mir mit leblosem Blick entgegen. Überrascht nehme ich die Kiste entgegen und danke Herrn Taishi herzlich für das besondere Geschenk.

„Komm, Yoki, es wird Zeit“, mahnt mich Meister Tan zur Eile. „Wenn dein Gefühl stimmt, müssen wir schnell handeln“.

Vor der Tür steht wartend der Diener von Tan.

„Ich habe einen Auftrag von größter Wichtigkeit. Gehe sofort zur Hohen Priesterin und bitte sie, sich zu Schamal zu begeben. Eine Entscheidung von großer Tragweite muss umgehend getroffen werden. Sag ihr, dass der Junge und ich bereits auf dem Weg sind.“ Der leichte Stoß an die Schulter soll die Forderung zur Eile noch unterstreichen.

Tans Diener ist das Entsetzen förmlich ins Gesicht geschrieben. Die letzte Begegnung mit Vehn ist noch tief in sein Gedächtnis eingegraben. Erst ein weiterer kräftiger Stoß von Tan macht ihm Beine.

„Wir müssen gehen, die Zeit eilt“, fordert er mich nun auf, zu folgen.

Während wir durch die überfüllten Straßen in Richtung Palast eilen, macht mich Tan auf die Bedeutung der Kugel aufmerksam.