Gegen die Natur - Cloud van Miller - E-Book

Gegen die Natur E-Book

Cloud van Miller

0,0

Beschreibung

Zuerst ist es nur ein kurzer, blendender Lichtstrahl, der die über Jahrtausend währende Wolkendecke durchbricht. Er ist das sichtbare Zeichen für den Neubeginn unseres Planeten. Das Buch der ersten Tage warnt die Bewohner der unteren Ebene vor diesem Augenblick, er bedeutet das Ende ihres Lebensraumes. Die Prophezeiung kündigt das Erscheinen einer fremdartigen Person an. Sie wird ihnen und allen Überleben¬den der großen Dunkelheit den Weg in eine friedliche Welt zeigen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 538

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cloud van Miller

Geboren 1948 in Nürnberg, Freunde in Japan nennen mich Cloud. Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeiten wurden seine Menschen zu einem Ort von eindrucksvoller Faszination. Die Beziehung zu meinem Freund Mitsumune ist ein Geschenk.

Die Fantasy-Trilogie „Yoki - der Herr der Zeitenwende“ gibt mir die Möglichkeit, ein aktuelles Thema in diesem fernen Land aufzuarbeiten. Egoismus, die Krankheit unserer Zeit und ihre Folgen haben auch dort Einzug gehalten. Da der Mensch nicht in der Lage ist, aus seinen Fehlern zu lernen, ist der Weg zwangsläufig vorgezeichnet.

Inhalt

Die Welt der Anderen

Der Weg nach Aomori

Die drei Schwestern

Das Ende von Aomori

Der Shimin-Tempel

Tekassin

Das Tagebuch

Das Baumvolk

Der Angriff

Der Tanz der Kraniche

Der Aufbruch

Die Eisensammler

Vorwort:

Zuerst ist es nur ein kurzer, blendender Lichtstrahl, der die über Jahrtausend währende Wolkendecke durchbricht. Er ist das sichtbare Zeichen für den Neubeginn unseres Planeten.

Das Buch der ersten Tage warnt die Bewohner der unteren Ebene vor diesem Augenblick, er bedeutet das Ende ihres Lebensraumes. Die Prophezeiung kündigt das Erscheinen einer erstaunlichen Person an. Sie wird ihnen und allen Überlebenden der großen Dunkelheit den Weg in eine friedliche Welt zeigen.

Eines Tages bekommt der Hohe Magier Tan einen scheinbar leblosen Körper überreicht. Ein Zufall erweckt ihn zum Leben. Der junge Mann stammt aus der Alten Welt und ist für die Vereinigung mit der Heiligen Kugel auserwählt. Um seine Aufgabe zu lösen, benötigt er die Hilfe überdurchschnittlicher Freunde.

Das Untere Haus und seine Bewohner wurden ein Opfer der Naturgewalten. Yoki und seine Freunde setzen ihren gefahrvollen Weg fort um ihre Aufgabe zu erfüllen, die Suche nach dem Lebensraum und einem Wiedersehen mit den Freunden aus der alten Welt.

Teil 1 Die Welt der Anderen

Obwohl der Aufenthalt bei Prinzessin Hiroko und Prinz Surano von kurzer Dauer war, ist uns das Volk der zweiten Ebene ans Herz gewachsen. Der Klang ihrer Bambusflöten ist ein letzter Abschiedsgruß für lange Zeit.

Die Trennung von lieb gewonnenen Menschen und das nasskalte trübe Wetter drücken die Stimmung auf einen Tiefpunkt. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Gewaltig aufgetürmte Wolken, getrieben von heftigen Sturmböen, erschweren die Reise.

Der Weg durch das Yagen Tal hinauf zum Osore-zan ist allen inzwischen bestens vertraut. Während uns beim ersten Besuch des Vulkankessels der Atem still stand, ist heute von seiner unheimlichen Ausstrahlung wenig zu spüren. Von Zeit zu Zeit färbt die hochgeschleuderte heiße Lava den Kessel in gespenstisches Rot, reflektiert von den nach oben getriebenen Dampfsäulen, um kurz darauf wieder in tiefes Schwarz zu versinken. Beim Betreten dieses Ortes hat man nur einen Wunsch, fluchtartig die andere Seite zu erreichen. Das Unwohlsein lässt sich hier mit den Händen greifen und unterstreicht den Ruf des Tales „Tor zur Hölle“.

Der Lake Osore liegt wie eine silberne Scheibe zur linken Seite, während sich in der Ferne bedrohlich die scharfkantige tiefschwarze Silhouette des Gebirges abzeichnet.

Anders als sonst empfange ich, während wir dem Seeufer folgen, keinerlei Signale von den Seelen der toten Kinder.

Der stürmische Wind treibt den stinkenden Schwefelgeruch aus dem Tal und erleichtert die Durchquerung.

Einzig die Anwesenheit der Freunde vermittelt ein Gefühl von Sicherheit. Die Abenteuer der Vergangenheit haben uns zusammengeschweißt.

Mein Blick fällt nach vorne auf den Rücken von Amida, er hat die Führung übernommen. Von hier aus ist sein körperliches Handicap nicht erkennbar. Wie alle Bewohner außerhalb der Höhlensysteme haben er und seine Vorfahren unter der gefährlichen Strahleneinwirkung gelitten. Bei Amida fallen die verkürzten Arme auf, sonst ist er ein prächtig aussehender kräftiger Mann.

Hinter ihm befindet sich Meister Taishi, der Waffenexperte und Weltenwanderer des Unteren Hauses. Er hat als einer der wenigen das Leben außerhalb ihrer abgeschlossenen Welt erkundet.

Nobuko folgt dicht hinter ihm. Sie ist ein außerordentliches Wesen mit sensiblem Charakter. Ihre Ausbildung zur Heilerin stand kurz vor dem Abschluss, als ihre Heimat unterging.

Inzwischen hat sie mit ihrer Heilkunst einigen Menschen das Leben gerettet.

Ihre schmale Gestalt wird verdeckt von Kaito mit seiner sportlichen Figur. Er zeichnet sich durch unstillbaren Tatendrang und Mut aus. Für die Bewohner des Unteren Hauses sind dies keine selbstverständlichen Eigenschaften.

Mitsumune und ich haben eine enge Beziehung. Er ist für mich wie ein Bruder mit unfertigen Fähigkeiten. Ihm wurde die Gabe der Vorhersage gegeben, deren Umsetzung er aber nur teilweise beherrscht.

Direkt vor mir läuft Maiko, die Tochter der Hohen Priesterin Vehn. Es gehört zu meinen glücklichsten Momenten, dass dieses bezaubernde Geschöpf Gefühle für mich empfindet. Ihre Gabe, Veränderungen und Gefahren sofort zu erkennen, hat uns schon mehrmals das Leben gerettet.

Fast hätte ich den kleinen Takumi übersehen, er befindet sich direkt vor ihr. Ich habe versprochen, ihn nicht mehr Kleiner zu nennen und das zu Recht. Als Sohn Schamals, dem Herrscher des Unteren Hauses, hat er sich mehrfach als ernstzunehmender Freund gezeigt. Takumi besitzt die übersinnliche Fähigkeit, sich in Vögel jeglicher Art zu versetzen. Sie sind es, die seinen Anweisungen folgen und in kritischen Fällen Auseinandersetzungen zu unseren Gunsten entschieden haben.

Zum Schluss wende ich den Blick auf die junge Wölfin Sima in der Trage auf dem Rücken. Nachdem meine damalige treue Begleiterin mit gleichem Namen auf tragische Weise ums Leben kam, erhielt ich das Energiebündel von dem gleichnamigen Herrscher der Wölfe zu meinem Schutz. Trotz ihres Alters sind die Fähigkeiten, Gefahren frühzeitig zu erkennen, erstaunlich ausgeprägt.

Ich bilde den Schluss der Expedition. Mein leider verstorbener väterlicher Freund Tan hat mich Yoki getauft. Genau genommen stehe ich für zwei Personen. Da ist Yoki, der Herr der Zeitenwende, der laut Prophezeiung die Aufgabe hat, die Überlebenden vor den Fehlern der Vergangenheit zu bewahren.

In meinen Träumen höre ich auf den Namen Tommy. Ein Junge vor mehr als tausend Jahren, dessen Seele im Tor zur Hölle auf seine Auferstehung warten musste. In mir ruht die Heilige Kugel, ein Geschenk des Mönches Jizo. Im Buch der ersten Tage steht geschrieben, dass sie mit dem wahren Erlöser eine Verbindung eingehen wird. Inzwischen ist sie ein Teil von mir.

Die Heilige Kugel beschützt mich und mein Umfeld und verleiht mir übernatürliche Kräfte. Sie führt ein eigenständiges Dasein und wird, sobald Gefahr für mein Leben besteht, aktiv.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, dringt eintöniges Knirschen des gefrorenen Schnees in mein Ohr. Es ist Maiko, die unser Schweigen unterbricht.

»Habt ihr es auch bemerkt«, dabei richtet sie ihren fragenden Blick auf alle.

Niemandem ist etwas aufgefallen, jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Nachdem jeder fragend den Kopf schüttelt, hebt sie mahnend die Hand.

»Das ist es ja, kein Geräusch ist zu hören. Nichts brodelt, zischt oder explodiert, obwohl all das stattfindet. Über dem Osore–zan liegt Totenstille«, dabei flüstert sie, um diese nicht zu stören.

»Du hast recht, wo du es sagst, fällt mir die absolute Stille ebenfalls auf«, bestätigt Meister Taishi Maikos Wahrnehmung.

Schlagartig kehren alle aus ihren schwermütigen Gedanken zurück und registrieren ebenfalls diese erstaunliche Ruhe.

»Dann habt ihr mit Sicherheit nicht das unauffällige Poltern vernommen, als ob Steine behutsam beiseitegeschoben werden«, fährt sie fort.

Wieder schütteln alle den Kopf und sehen sie fragend an, in der Hoffnung auf eine Antwort.

»Wann soll das gewesen sein«, flüstert Takumi.

»Jetzt wieder, von dort«, dabei deutet sie ins Dunkel des Tales.

Mit Sicherheit hätte mich meine alte Sima gewarnt, das muss die Kleine noch lernen. Mir fällt ein, sie ist ja in der Trage am Rücken festgeschnallt. Vorsichtig befreie ich meine junge Beschützerin und setze sie am Boden ab. Sofort entblößt sie ihre furchteinflößenden Zähne und beginnt zu knurren, während sich die Nackenhaare warnend nach oben stellen.

»Ich versuche, mit meiner verstärkten Sehkraft, das Dunkel zu durchdringen. Gelingt das nicht, bleibt als letzte Möglichkeit der Lichtstein«, dabei lege ich die Hände wie üblich auf die Ohren.

Aufmerksam taste ich die Gegend ab in der Hoffnung, Außergewöhnliches zu entdecken. Ich wende den Blick erneut zurück.

Auf der Spitze eines Felsen sitzen zwei pechschwarze Vögel und starren vor sich auf den Boden. Gebannt folge ich der Ursache ihrer Aufmerksamkeit nach unten. Alles ist auf den ersten Blick unauffällig, eine schwarze Fläche. Trotz der eingeschränkten Lichtverhältnisse habe ich das Gefühl, als befinde sich etwas in ständiger Bewegung.

»Takumi, vor uns auf dem Felsen sitzen zwei schwarze Vögel. Sie weisen auf eine Gefahr hin, die ich trotz meiner Sehkraftverstärkung nicht erkennen kann. Nimm mit den Vögeln Kontakt auf und versuche, das Geheimnis zu lösen«.

Es dauert nur einen kurzen Augenblick, schon beginnt sich der starre Körper von Takumi zu bewegen. Schneller als erwartet und außer Atem berichtet er.

»Das ist kein Boden dort vor uns, sondern eine gewaltige Zahl ekelhafter Schlangen. Ihre Köpfe sind für den schlanken Körper überproportional groß. Das Problem ist, sie erwarten uns«, flüstert Takumi.

»Die Heilige Kugel zeigt keine Reaktion, ein Zeichen, dass die Gefahr im Augenblick beherrschbar ist«, wende ich mich an die Freunde.

Wieder ist es Maiko, die zuerst die Veränderung wahrnimmt.

»Dort der See, das Wasser kommt in Bewegung, etwas durchbricht die Oberfläche«.

Gebannt starren wir auf die immer größer werdenden Wellen in der Mitte des Lake-Osore.

»Das ist er, Satan persönlich, er hat mir die Kugel des Bösen überreicht«, warne ich die anderen.

Langsam erhebt sich sein schwarzer Umhang aus dem silbern spiegelnden Wasser, und seine gewaltige Statur ragt empor.

Mit ihm erscheint eine seltsame Helligkeit und gibt den Blick auf die Umgebung frei. Es ist nicht das bekannte Licht der Sonne.

Das Tal ist bis zu den Bergen giftgrün ausgeleuchtet.

Die Schlangen haben uns inzwischen fast vollständig umzingelt. Nur das giftige Wasser des Lake Osore bleibt als Fluchtweg offen. Ihr starrer Blick ist nicht auf uns, sondern ausschließlich auf die finstere Gestalt gerichtet. Sie stehen unter seiner Macht und folgen jeder Anweisung, die von ihm kommt.

Ich spüre den Blick unter der schwarzen Kapuze. Umgehend findet der Kontakt auf mentaler Ebene statt. Seine Gedanken berühren mich und dringen in mein Gedächtnis. Dank meiner Erfahrung gelingt es mir, den Zugriff zu verhindern.

»Gut zu sehen, dass du dich weiterentwickelt hast. Leider warst du nicht bereit, mein Geschenk anzunehmen und die Kraft meiner Kugel zu nutzen. Stattdessen trägst du sie wie eine Gefangene in dem Schwertgriff an deiner Seite«, fährt er fort.

»Wie du erkennst, bleibt Euch kein Spielraum, als auf mein Angebot einzugehen. Ich schlage dir vor, du gibst mir mein Geschenk zurück, da du die Kugel ja verachtest. Nachdem du den von mir erwählten Träger mit Namen Shaka, den Sohn deiner Freundin, getötet hast, erwarte ich von dir einen Ersatz.

Einer von Euch soll mit der Kugel zu mir kommen. Im Gegenzug werden meine niedlichen Tierchen den Weg freimachen«. Während er diese Worte mit süßlicher Stimme an uns richtet, haben sich seine kriechenden Bestien deutlich genähert.

»Ihr solltet sie auf keinen Fall reizen, sie sind aggressiv«, warnt er uns scheinheilig.

In Tans Bücher wurden sie Habuschlangen genannt, man erkennt sie an ihrem großen Kopf. Die Strahleneinwirkung der letzten Jahre haben ihren Körperbau beeinflusst, sie sind wesentlich größer als in dem alten Buch beschrieben.

Inzwischen haben sie uns bis an den Rand des Wassers zurückgedrängt. Die Heilige Kugel reagiert ohne Vorwarnung.

Während sich der Boden unter uns erhebt, strömt das giftige Nass des Lake Osore um die Erhöhung und überschwemmt die kriechende Brut. Das Wasser brodelt und schäumt beim Todeskampf der aggressiven Reptilien. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, es ist nicht nur das Wasser, meine ehemaligen Brüder, die Seelen der toten Kinder sind an diesem Kampf beteiligt. Wieder haben sie mir das Leben gerettet und ziehen die Bestien in die Tiefe.

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, den Seelen ist es nicht erlaubt, ihre Seite des Wassers zu verlassen. Der direkte Kontakt mit dem Element des Bösen bedeutet ihren Untergang.

Für einen kurzen Augenblick ist die schwarzverhangene Gestalt sichtbar irritiert. Erneut tritt die Heilige Kugel in Aktion, sie nützt die Chance des Augenblickes und wirbelt die Kugel des Bösen aus meinem alten Schwert unter die Kapuze der dunklen Gestalt. Ihre Reaktion kommt um Bruchteile zu spät.

Ein kurzes Aufleuchten der rötlichen Augen aus dem Dunkel der Kopfbedeckung zeigt die Wirkung.

»Für den Augenblick hast du deine Freunde und die Seelen gerettet, der Preis, den du dafür zahlen wirst, überschreitet deine Vorstellung. Egal wo du bist, meine Kugel wird dich finden, der Weg bis Koya-san wird für dich zur Ewigkeit. Dein Kreuz wird nicht das der körperlichen, sondern auch der seelischen Schmerzen werden«, mit diesen Worten verschwindet er aus meinem Gedächtnis im Dunkel des Wassers.

Im gleichen Augenblick setzt der übliche Lärm der Naturgewalten ein, und die Sonne schickt die ersten Strahlen herab.

Um die Freunde nicht zu erschrecken, behalte ich die letzten Worte des Bösen besser für mich. Der Eindruck der Begegnung mit Satan steht wie ein tiefer Schock in ihren Gesichtern. Dieser Kontakt brennt sich für ewig in das Gedächtnis ein.

»Die Heilige Kugel hat erneut schützend ihre Hand über uns gehalten, es besteht kein Grund zur Angst. Dort den Kraterrand empor und wir verlassen dieses schreckliche Tal.

Lasst uns zum Dank für die Hilfe der Seelen das Sakura Lied spielen«, dabei hole ich meine Bambusflöte hervor.

Getragen von der Besonderheit des Augenblickes schwingt sich das Lied empor und verbreitet seinen bezaubernden Klang in der Weite des Osore-zan. Auch die Feuer- und Dampfspuckenden Höllenschlunde sind sichtbar beeindruckt von der Faszination des Liedes und stimmen durch ihren tosenden Lärm mit ein.

Der Würde des Augenblickes angemessen, begeben wir uns respektvoll weiter zur anderen Seite des Kraters, den man nicht umsonst, das „Tor zur Hölle“ nennt.

Endlich haben wir den Bergkamm erreicht. Uns allen fällt eine gewaltige Last von der Seele, befreit von der beklemmenden Aura des Osore-zan.

»Dreht euch nicht um, lasst uns vorwärtsschauen. Dieser Ort ist wie ein starker Magnet, er wird uns niemals loslassen«, deutlich spricht die Erfahrung aus Amidas Worten.

»Amida hat recht, lasst uns auf unser Ziel konzentrieren und den weiteren Weg besprechen«, dabei hebt Meister Taishi demonstrativ die abgegriffene Ledermappe empor.

»Wenn wir uns an die alte Reiseerzählung des Dichters Basho halten, ist diese Richtung unser Weg. Nach meiner Schätzung werden wir dann nach etwa 6 Schlägen auf der Tamayorischeibe einen Ort erreichen, der den Namen „die kalte Quelle von Osore-zan“ trägt. Dort ist der Platz für unser erstes Nachtlager. «

Soweit das Auge reicht nur schneebedecktes Gebirge. Vor ewig langer Zeit standen hier gigantische Bäume mit grünen Nadeln und Blättern. Als mahnende Zeugen ragen jetzt unzählige abgestorbene Stämme wie schwarze Finger in den Himmel. Der gefrorene Schnee knirscht unter unseren Füßen.

Die Stimmung wächst mit jedem Schritt den wir uns von Osorezan entfernen.

»Lasst uns die Gelegenheit nutzen, Euch näher mit der Natur, die uns umgibt, vertraut zu machen. Viele Dinge, die den Bewohnern des Unteren Hauses fremd sind, können von entscheidender Bedeutung sein«, meldet sich Amida zu Wort.

Aufgrund der monotonen Landschaft ist jede Abwechslung willkommen. Alle Augen richten sich auf Amida und warten gespannt auf die erste Lektion.

»Die extreme Kälte in Verbindung mit der ewigen Nacht hat ein hohes Maß an Anpassung von den Tieren und Menschen gefordert. Wie ihr seht, hat Sima die Spuren seiner Artgenossen längst erkannt. Für uns Menschen sind Wölfe bisher lebensgefährliche Feinde und eine willkommene Beute.

Vorwiegend das Fell schützt uns als Kleidung vor der Kälte oder wärmt uns im Schlaf«, zärtlich streicht er dabei über seine Jacke.

»Die schwarzen Vögel dort oben sind Krähen oder Karasu.

Es sind blitzgescheite Tiere, Takumi kann euch mehr über sie erzählen«, dabei wendet er sich an den Kleinen.

»Macht euch keine Gedanken über die zwei Krähen, sie werden uns im Auftrag des Mönches Jizo die ganze Reise begleiten. Ihre Aufgabe ist es, den Weg vor uns zu sichern und auf den Stein des Bösen zu achten. In den alten Büchern stand über diese Vögel Folgendes geschrieben: Vor langer Zeit machte sich ein Tenno bereit für einen Feldzug. Leider verirrte er sich in den Bergen und war dabei, seine Macht zu verlieren.

Die Götter waren ihm zugetan und schickten einen fünf Fuß großen Raben, der ihn auf den richtigen Weg führte. Der Tenno gewann seinen Feldzug und wurde zum Kaiser gekrönt. Wie ihr seht, sind wir mit den Vögeln in bester Gesellschaft«, beendet Takumi seinen Vortrag zum Thema der Vögel.

Ich bin fasziniert und überrascht von unserem Jüngsten. Er steckt zwar im Körper eines Kindes, verhält sich aber immer öfter wie ein Erwachsener.

»An dieser Biegung wenden wir uns nach links«, meldet sich Maiko zu Wort.

»Woran hast du das erkannt? « dabei halte ich verzweifelt Ausschau nach irgendeinem Anhaltspunkt.

»Dort hinter der Schneewehe sind Steine sichtbar wie sie sonst in der Natur nicht vorkommen. Während deiner Abwesenheit mit dem Mönch Jizo hat mich Amida auf dem Weg nach Ohata begleitet. Die Stadt ist inzwischen im Meer versunken.

Von der alten Straße sind noch Reste erkennbar, es ist das gleiche Material wie dort drüben«, dabei deutet sie auf den Schneehaufen.

»Kaum zu glauben, du bist einmalig Maiko«, das Lob kommt von Meister Taishi.

»Wir haben die Hälfte unseres heutigen Etappenzieles geschafft, der Rest ist ein Kinderspiel«, muntert uns Amida auf.

Mit Sicherheit ist Sima den Weg inzwischen zweimal abgelaufen. Immer wieder verschwindet sie im Gestrüpp der Bäume vor uns, um in kurzen oder längeren Abständen aus anderer Richtung zu erscheinen. Diesmal ist sie fündig geworden und trägt ihre Beute stolz vor sich her. Wie es sich für einen Partner gehört, legt sie das Fundstück vor mir ab und wartet sitzend auf ein dickes Lob. Erst bei näherem Betrachten wird mir bewusst, worum es sich bei dem Fund handelt, eine Menschenhand liegt da vor mir.

Inzwischen haben sich auch die Freunde um das tiefgefrorene Exemplar einer menschlichen Hand versammelt.

»Es ist besser, wenn wir uns wachsamer verhalten, Menschenhände liegen nicht zufällig auf dem Weg. Wir gehen weiter zu der Kalten Quelle von Osore-zan«, dabei schaufle ich mit dem Fuß Schnee über die Hand.

Sima hat die Gruppe erneut verlassen, eine Eigenart, die ich ihr dringend abgewöhnen sollte. Nicht auszudenken, wenn sie uns auf diese Art mit der Kugel des Bösen beglückt.

»Solltet ihr, die wie eine Wurst endlos lang aufgeworfenen Schneehügel am Boden sehen. Wenn so etwas auf euch zukommt, flüchtet so schnell wie möglich nach oben, wo immer das ist. Hierbei handelt es sich um aggressive Würmer, sie vernichten alles, was ihnen in den Weg kommt«, setzt Amida seine Lektion fort.

Diesmal erscheint Sima von der Seite neben mir. Ihr Erfolgserlebnis besteht aus Fetzen eines orangefarbenen Umhangs. Die braunen Flecken sind Zeuge, dass der Träger dieses Kleidungsstück nicht freiwillig ausgezogen hat.

Langsam erzeugen die Fundstücke von Sima bei mir Nervosität. Beim Anblick des orangefarbenen Umhangs kommt mir mein letzter Traum ins Bewusstsein. Die Mönche von Koyasan trugen ebenfalls solche Kleidungsstücke«, bemerke ich mehr für mich.

»Besser ich sehe einmal nach der Quelle dieser Fundstücke«, wende ich mich an die Freunde.

»Ich begleite dich«, bietet sich Takumi an.

»Wir haben besprochen zusammen zu bleiben, wenn wir gehen, dann alle. Es besteht die Möglichkeit, dass es sich hierbei um eine Falle handelt«, entscheidet Mitsumune.

Einstimmiges Kopfnicken bestätigt seinen Einwand und insgeheim freue ich mich darüber. Wieder entfernt sich Sima, diesmal aber mit uns im Gefolge. Obwohl sie bei Wölfen noch in dem Rang eines Welpen steht, zeigt ihr Verhalten bereits erstaunliche Ansätze. Vorsichtig tastet sie sich an den Rand eines Schmelzwassertümpels auf der geschlossenen Schneedecke. Langsam, flach am Boden bewegt sich Sima am Wasserrand entlang. Die angespannte Konzentration ist ihr buchstäblich anzusehen.

Zu unserer Überraschung schiebt sich stückweise das Bein eines Menschen aus dem Wasser. Zuerst ist ein Fuß erkennbar, dem langsam ein Teil des Beines folgt. Sima nähert sich dicht am Boden kriechend in sicherer Entfernung dem Körperteil. In kurzen Abständen erheben sich plötzlich schlammige Blasen.

Ohne jede Vorwarnung wird die Heilige Kugel aktiv. Ein blaues flimmerndes Strahlennetz legt sich über den Tümpel. Die enorme Energie bringt das Wasser sofort zum Kochen. Mit einem dämonischen Schrei bricht ein gewaltiges Wurmartiges Monster aus der Mitte des Tümpels. Deutlich sichtbar lässt ihm das Strahlennetz nur eine geringe Ausweichmöglichkeit nach oben und versperrt der Bestie den Ausgang. Von Schmerzen gepeinigt windet sich das Reptil in dem mittlerweile kochenden Wasser. Jetzt erst wird der gewaltige Umfang sichtbar. Nur wenige Augenblicke hält das Monster der enormen Hitze stand, dann bricht es leblos zusammen.

So plötzlich wie es aufgetreten ist, verschwindet das strah - lenartige Gitternetz über dem Wassertümpel. Während uns allen der Schreck tief in den Knochen sitzt, tauchen zwei weitere dieser ekelhaften Monster zu beiden Seiten des toten Artgenossen auf. Ihre gewaltigen Gebisse schlagen sich gierig in seinen Körper und zerfetzen ihn regelrecht. Fluchtartig verlassen wir die Stelle des Grauens und eilen hinab in den Talgrund.

»Dieses Erlebnis unterstreicht die Notwendigkeit, zusammenzubleiben. Das hier war ein Beispiel, wie sich diese Erde verändert hat«, mahnt uns Amida mit leiser Stimme.

Es dauert ziemlich lange, bis die Stimmung wieder an Normalität gewinnt. Die Erleichterung aller ist deutlich spürbar, als wir die kalte Quelle Osore-zan erreichen.

»Ihr habt selbst erlebt, wie gefährlich diese neue Welt geworden ist. Zur Sicherheit schlagen wir unser Nachtlager oben in den Bäumen auf«, dabei löst Amida die Riemen an den Tragetieren.

Amida nimmt seine Kyuri in die Hand, sie ist ein wahres Wunderwerk. Mit Hilfe des Lichtsteines wird sie auch zu einer gefährliche Waffe. Auf ihrer anderen Seite befindet sich ein Greifer befestigt an einem sehr langen extrem stabilen Faden.

Der Greifer verbindet sich mit dem fixierten Punkt und zieht den Benutzer mittels einer Drehung dorthin.

»Die Hängematten werden auf halber Höhe in den Bäumen angebracht, wir sind dann vor unliebsamen Besuchern in der Nacht geschützt. Die Befestigung geschieht mithilfe der Kyuri und ist absolut sicher. Am Ende der Hängematte befindet sich dieser Kopf aus Metall, er wird vorne an der Kyuri fixiert. Ihr zielt halbhoch auf den Stamm, die Halterung befestigt sich selbstständig, während die Matte mit dem Seil am Boden liegt.

Nun knüpft ihr das Seil etwa drei Manneslängen hinter der Hängematte fest und zielt auf den nächsten Baum mit genügend Abstand für euren Ruheplatz. Nachdem auch diese Halterung befestigt ist, zieht ihr an dem Seil und spannt die Matte fest«, dabei bringt er die Hängematte mit geübten Handgriffen in die richtige Position.

»Was passiert mit den Tragetieren? «

»Sie bleiben schutzlos am Boden zurück«, kommt Kaitos Einwand.

»Dann haben wir keine andere Wahl und tragen unser nötigstes Gepäck selbst«, lautet Amidas lapidare Antwort.

»Ich sorge dafür, dass die Raben über sie wachen«, beruhigt ihn Takumi.

Mit wenigen Handgriffen hat Meister Taishi im Schatten eines Felsens Feuer entfacht. Inzwischen bereiten Maiko und Nobuko das Abendessen vor.

»Heute gibt es Pfeifhase vom Grill gewürzt mit Kräutern und Giersch Gemüse. Anschließend erhaltet ihr eine von Nobuko speziell zubereitete Selchmilch mit Tiju Aroma. «

Die Ankündigung dieses festlichen Abendessens treibt die Stimmung sofort nach oben. Zur allgemeinen Freude hat Maiko auf der gegenüberliegenden Seite eine muschelförmige Unterkunft entdeckt, die sich ausgezeichnet als Lagerplatz eignet.

Eng aneinandergerückt entwickelt sich eine wohlige Atmosphäre. Die unheilvollen Erlebnisse der vergangenen Tage geraten schnell in den Hintergrund. Langsam verbreitet sich in dem halb offenen Raum der aufregende Duft des Abendessens.

Sima starrt gebannt auf das sich knusprig färbende Fleisch, jeder verspürt inzwischen den aufkommenden Appetit.

Das Verspeisen der Mahlzeit wird zu einem schweigenden Ereignis. Nobuko hat hier wieder einmal ein Meisterstück der Kochkunst vollbracht. Als Heilerin verfügt sie über die besten Voraussetzungen beim Einsatz von Kräutern.

»Das Essen schmeckt einmalig Nobuko, wo findest du diese Kräuter«, wende ich mich voll des Lobes an sie.

»Diese hier habe ich in der Nähe des Eistümpels entdeckt, sie sind eine absolute Seltenheit. Die Kräuter nennt man Mitsuba, ich habe sie mit ein bisschen Yamogi gemischt«, antwortet sie auf ihre bescheidene Art.

»Du bist eine außergewöhnliche Frau. Während wir vor Angst wegen des Monsters im Eissee fast sterben, sammelst du Kräuter«, dabei bleibt mir nur ein anerkennendes Kopfschütteln.

Nachdem das Mahl beendet und die Kochgegenstände verstaut sind, verscharren wir die Speisereste. Auf Anweisung von Amida verhindert man damit, wilde Tiere durch den Geruch anzulocken.

»Bevor wir uns schlafen legen, lasst uns die Reiseroute für den morgigen Tag besprechen«, schlägt Meister Taishi vor.

»Laut der alten Karte sind wir hier an diesem Punkt, bezeichnet mit „kalte Quelle Osore-zan“. Wie Maiko ja festgestellt hat, bewegen wir uns entlang einer alten Straße, das müsste diese auf der Karte eingezeichnete Linie sein. Von hier aus führt der Weg weiter talabwärts zum Wasser, hier beschrieben mit Mutsu Bay. Ob das, wie auf der Karte eingezeichnet, der Wirklichkeit entspricht, werden wir bald feststellen. Wie es auch sei, wir haben keine andere Wahl, als die Richtung weiter einzuhalten«, damit schließt Meister Taishi die Ledermappe.

»Trotz der Kälte werdet ihr in der Hängematte nicht frieren, das Material ist absolut dicht und schützt vor Sturm und Wind.

Lasst euch nicht von dem dünnen Seil täuschen. Die Hängematte hält vier Personen aus«, dabei lächelt Amida augenzwinkernd zu Maiko und mir.

Inzwischen bin ich im Umgang mit der Kyuri geübt genug, um den Einstieg in die Matte, zusammen mit Sima auf meinem Rücken, problemlos zu bewältigen. In der Hängematte ist es wesentlich geräumiger, als ich erwartet habe. Während ich Sima vom Rücken entferne und für sie den idealen Platz zu meinen Füßen suche, trifft ein weiterer Gast ein.

»Hast ernsthaft geglaubt, dass ich in dieser unheimlichen Umgebung alleine schlafe? «, flüstert Maiko hinter meinem Rücken.

»Das war absolut richtig, ich hatte ebenfalls ein ungutes Gefühl, so alleine oben im Baum zu hängen«, grinse ich ihr zu.

»Na siehst du, warum sagst du nicht gleich, dass du dich dort oben fürchtest, jetzt stehe ich da, als wenn das meine Idee gewesen wäre«, spricht sie mit toternster Miene.

Eng aneinandergeschmiegt, mit Sima an den Füßen, begeben wir uns zur Ruhe. Langsam versetzt der Wind unsere Hängematte in beruhigende, wohlige Schwingungen. Aufgrund der Enge bin ich gezwungen, meine Hände auf Maikos Brust abzulegen, ein beruhigendes Gefühl, jedoch keine gute Idee.

Alleine diese Berührung verursacht Reaktionen, die aufgrund der eng aneinander geschmiegten Körper auch Maiko nicht verborgen bleiben.

Selbstverständlich hatte Amida recht mit der Feststellung, dass vier Personen in der Hängematte Platz finden. Er hat jedoch wissentlich verschwiegen, dass jegliche Bewegung unmöglich ist. Selbst der kleine Finger ist zur Untätigkeit verdammt. Einzig Sima scheint von diesem Problem befreit und macht sich als haarige Verbindung in unserer Löffelchenstellung breit. Ich komme mir vor, wie ein verdurstender in der Wüste, dem man eine Flasche klares Wasser vor den Mund hält, ohne Möglichkeit zum Trinken.

»Maiko, bist du wach? «, flüstere ich ihr über Simas Kopf hinweg zu.

Absolute Stille. Hilflos resigniere ich und versuche, die Umstände zu akzeptieren. Während Sima sich weiter in die Kuhle zwischen uns nach oben eingräbt, vermeide ich jede Bewegung, damit ich den strategischen Platz meiner Hand an Maikos Brust nicht verliere. Dank des monotonen Schaukelns falle ich trotz der Umstände in einen unruhigen Schlaf.

»Erinnerst du dich an mich, ich bin Sodo«, die Stimme des jungen Mönches in seinem orangefarbenen Gewand dringt aus weiter Ferne an mein Ohr.

Ich habe das Gefühl, als ob es an mir liegt, wie der Traum weitergeht. Maikos Nähe genießen oder in die Vergangenheit eintauchen, es ist meine Entscheidung. Langsam wird Sodos Gesicht deutlicher und ich spüre, wie seine Hand in meinem Nacken vorsichtig den Kopf anhebt.

»Trink mein Bruder, sonst wirst du niemals gesund«, fordert er mich auf.

Vorsichtig wischt er mit einem feuchten Tuch über meine trockenen Lippen.

»Schön, dass du wieder wach bist, das Fieber hat dich eine ganze Woche in tiefen Schlaf versetz t«, dabei hält er einen Becher frisches Wasser an meine Lippen.

»Trinke langsam, du schadest sonst deinem Körper. Das Fieber hat dich beträchtlich mitgenommen und geschwächt.

Zum Glück hat uns Frau Murakami eine Novizin aus ihrem Dojo geschickt. Sie hat die ganze Zeit an deinem Bett gewacht«, dabei lächelt er verschmitzt.

»Sie kommt gleich zurück, wir haben uns heute Nacht abgelöst«, setzt er seine Rede fort.

»Was ist da draußen passiert? «, mit kratziger Stimme versuche ich, mehr über die fürchterliche Naturkatastrophe zu erfahren.

»Seit einer Woche leben wir in einem Dämmerlicht. Die Sonne schafft es nicht mehr, das dicke Grau der Wolken zu durchdringen. Der Großmeister Haruto, du hast ihn ja kennengelernt, spricht von einer abnehmenden Welt«, mitleidig erkennt er meinen fragenden Blick.

»Die Perioden der abnehmenden Welt und des Chaos sind in unserer Religion das gleiche. Beide Begriffe beschreiben eine Veränderung eines Zustandes, wie er vorher war, sozusagen einen „Weltuntergang“ der bestehenden Welt. Bei der kommenden Weltentstehung wird aus dem, was da ist, eine neue Welt. Optisch hat sich vielleicht etwas verändert, aber nicht in Wirklichkeit. Die Fortdauer der entstandenen Welt beschreibt dann wieder den Neubeginn«, versucht er mir geduldig zu erklären.

Während ich über den Sinn seiner Worte nachdenke, erscheint eine bildschöne junge Frau mit schwarzem langen Rock. Ihre schlanke Taille wird von einem Ledergürtel mit silbernen Scheiben betont. An ihrer linken Seite steckt ein langes Schwert aus Holz, während die rechte ein Lederbeutel ziert.

Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie mein Erwachen registriert.

»Schön dich auf dem Weg der Besserung zu sehen, Tommy«, ihre Stimme klingt wie aus einer anderen Welt.

Während sie sich dem Bett nähert, legt Sodo meinen Kopf auf das Kissen zurück und verlässt rückwärtsgehend den Raum.

»Mein Name ist Chinatsu, das bedeutet tausend Sommer«, stellt sie sich mit zarter Stimme vor.

Im Unterbewusstsein regt sich bei Nennung des Namens Chinatsu etwas, das ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht zu deuten vermag.

»Unsere Meisterin, Frau Hideo Murakami, hat mir die Freude erwiesen, die Verantwortung für deine Gesundheit zu tragen. Wie der Großmeister Haruto ist sie der Meinung, dass dein Erscheinen unter den gegebenen Umständen ein Zeichen ist, du bist die Erde der Neuen Welt«.

Auch wenn beide ihr Bestes für mich geben, ihre Reden sind wie Rätsel, die zu lösen ich in meinem Zustand nicht in der Lage bin. Ungewollt verfalle ich wieder in einen tiefen Schlaf.

Wie aus der Ferne höre ich eine Nachricht, von der ich später nicht weiß, ob es ein Traum oder Wahrheit war.

»Ich habe eine gute Nachricht für dich. Deine Mutter hat kurz die Augen geöffnet, ihre ersten Worte galten dir. Laut Frau Murakami ist sie auf dem Wege der Besserung. «

Es ist Sima, die zappelnd versucht, sich aus der unbequemen Lage zwischen Maiko und mir zu befreien. Ich unterstütze sie, indem mein eingeschlafener und gefühlloser Arm sich krampfhaft bemüht, sie anzuheben. Erst als Maiko sich mir entgegen dreht, sind wir in der Lage, Sima nach vorne zu schieben. Ein intensiver Kuss treibt meinen Kreislauf zu früher Morgenstunde in schwindelnde Höhe.

»Ich denke, das nächste Mal sollten wir Takumi um Hilfe bitten, er hat sicher kein Problem, die Nacht mit Sima zu verbringen«, schlägt sie verführerisch strahlend vor.

Der Ausstieg aus der Hängematte bedarf einiger Übung, es dauert etwas länger, bis alle am Boden versammelt sind.

Zu unserer Überraschung stürmt Sima in den Wald, um kurz darauf laut zu bellen. Gespannt folgen wir in ihre Richtung und stoßen, zu unserer Überraschung, auf frische Fußspuren.

»Die Abdrücke der Schuhe sind erstaunlich groß, es handelt sich um fünf Personen«, schließt Amida aus den Abdrücken im Schnee. Er folgt der Spur einmal um unser Lager und kommt zu folgender Feststellung.

»Die Fremden haben sich unauffällig ein Bild von uns gemacht. Unser Verhalten hat sie verunsichert. Anschließend haben sie das Lager in die Richtung verlassen, die wir einschlagen wollen«, endet seine Beurteilung der Lage.

»Es ist besser, wenn Takumi diese Leute einmal genauer überprüft. Es ist beruhigender zu wissen, mit wem wir es zu tun haben«, schlage ich vor.

Ein kurzes Nicken und Takumi nützt die Anwesenheit der Raben für seine Verwandlung. Während wir uns auf das Frühstück vorbereiten, vernehmen zuerst Maiko und dann nach und nach der Rest der Gruppe das metallische Klingen von Blechinstrumenten.

»Die Geräusche kommen direkt auf uns zu«, flüstert Maiko.

»Ich kenne den Klang dieser Instrumente, fragt mich nicht woher. Die Heilige Kugel zeigt keinerlei Reaktion, Sima benimmt sich ebenfalls unauffällig«, stelle ich überrascht fest.

»Lasst uns weiter unsere Sachen aufräumen und sehen, wie sich die Dinge entwickeln«, dabei wuchtet Meister Taishi einen größeren Packen auf das Tragetier.

Während das Klingen der Metallinstrumente an Lautstärke zunimmt, erscheint der Rabe auf Takumis Schulter. Es folgt ein kurzer Gedankenaustausch, dann kehrt der Vogel zurück zu seinem Partner.

»Die Spuren wurden zum Schein nach vorne gelegt, in Wirklichkeit haben uns fünf erstaunlich große Männer in orangefarbenen Gewändern weiträumig umgangen und sich dann mit einer größeren Gruppe getroffen. Es handelt sich um fünfzig Männer in orangefarbener Kleidung. Waffen konnte ich keine entdecken«, lautet sein kurzer Bericht.

Der Klang ist inzwischen unüberhörbar, die ersten Personen sollten jeden Augenblick aus dem Dunkel der Bäume hervortreten. Um unsere friedliche Absicht zu signalisieren, spielen wir auf den Bambusflöten „Red Dragonfly“.

Es folgt ein erstaunliches Zusammentreffen. Hier begegnen sich Wesen der Gattung Mensch, die mehr als tausend Jahre nichts voneinander wussten. Die fünf großen Männer stellen sich zum Schutz vor die Mönche. Sie stehen uns ohne jegliche Waffen gegenüber, es besteht sichtbar keinerlei Gefahr.

Gemeinsam mit Sima löse ich mich von den Freunden und gehe ohne Zögern auf sie zu. Bewusst ist mein Blick auf den älteren Mönch hinter den Muskelpaketen gerichtet. Eingeschüchtert von meinem forschen Auftreten und der Tatsache, dass ich ohne Waffen komme, öffnen die Beschützer eine Gasse zu ihm. Inzwischen habe ich genügend Erfahrung mit dem Aufeinandertreffen fremder Kulturen. Jeder hat nach meiner ausgestreckten Hand gegriffen. Anders als bisher faltet der alte Priester die Hände vor dem Gesicht und vermeidet dadurch den direkten Kontakt. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass er nicht nur eine mir bekannte Sprache spricht, sondern ich für ihn auch kein Fremder bin.

»Wir warten seit geraumer Zeit auf dich „Herr der Zeitenwende“. Nachdem sich dein Kommen mehr und mehr verzögert hat, war die Befürchtung groß, dass etwas passiert ist. Drei unserer erfahrenen Brüder haben sich vor uns auf den Weg gemacht, um dir zur Hilfe zu eilen. Wir haben sie verpasst, sie sind bisher nicht zurückgekehrt. Unsere Hoffnung war, sie in eurer Gruppe zu treffen«, die Sorge um seine Gefährten ist ihm deutlich anzusehen.

»Entschuldige mein unhöfliches Auftreten, ich habe mich noch nicht vorgestellt«, dabei verneigt er sich dezent vor mir.

»Mein Name ist Haruto, meine Brüder haben mich zum Oberpriester unserer überschaubaren Gemeindschaft gewählt«, stellt er sich vor.

Wieder ein Name der mir bekannt vorkommt. Was verwirrt mich bei dem Namen Haruto? Warum kommt mir der Name bekannt vor?

»Man nennt mich Yoki, den Namen hat mir Meister Tan, der große Magier des Unteren Hauses, gegeben«, stelle ich mich vor.

»Das Licht der neuen Sonne wird nicht von endloser Dauer sein, wenn wir uns beeilen, werden wir das Ufer der Insel im Morgengrauen erreichen. Man wartet dort mit dem Boot auf uns«, fordert Haruto mich und meine Freunden auf ihnen zu folgen.

Nachdem Haruto den fünf Wächtern die notwendige Anweisung zugerufen hat, setzt sich die Gruppe in Bewegung. Auf mein Handzeichen hin schließen wir uns an.

»Hast du etwas über diese Leute in Erfahrung gebracht? «, höre ich die Stimmen meiner Freunde.

Dicht aneinandergedrängt bewegen wir uns vorwärts, jeder bemüht alles zu verstehen.

»Er ist der hohe Priester und nennt sich Haruto. Sein Name kommt mir bekannt vor. «

Gleichzeitig melden sich Kaito und Takumi zu Wort.

»Erinnerst du dich an das Tanabata Fest im unteren Haus?

Takumi, wir beide und Haruto, der Seher, waren eine Lebensgruppe«, hilft mir Kaito auf die Sprünge.

»Richtig, ich erinnere mich«, bestätige ich seine Aussage.

Trotzdem habe ich das Gefühl, den Namen in anderem Zusammenhang gehört zu haben. Genau, der alte Priester in meinen Träumen.

»Wir folgen ihnen zum Wasser, dort wartet ein Boot auf uns«, fahre ich fort.

»Seltsam, wieso ein Boot«, wirft Meister Taishi dazwischen.

»Es ist doch leichter, die alte Stadt Mutsu aufzusuchen, um dann über die Landenge auf die Hauptinsel zu kommen? «, folgert er anhand der Karte.

»So oder so, ich habe ein seltsames Gefühl bei der ganzen Sache«, flüstert Maiko uns zu.

»Ist euch ebenfalls aufgefallen, dass von den großen Männern statt fünf jetzt nur noch drei an der Spitze sind? «, begründet sie ihren Verdacht.

»Das Verhalten von Haruto erscheint mir unnatürlich, als ob er unter Druck stehe. Möglich, dass er und seine Männer als Geiseln mitlaufen und er erpresst wird, sich nach ihren Wünschen zu verhalten«, setzt sie mit ihrer Begründung fort.

»Dein Verdacht ist absolut berechtigt. Wir benehmen uns, als ob wir nichts bemerkt haben und ihnen vertrauen.

Inzwischen prüft Takumi die Lage, vor allem wo die beiden Abkömmlinge geblieben sind«, wende ich mich an ihn.

Während Takumi die Gruppe auf die ihm eigene Art verlässt, folgen wir als wäre nichts geschehen. Der metallische Klang ihrer Glocken setzt wieder ein und gibt dem Ganzen einen harmlosen religiösen Anstrich.

Dieses Mal dauert Takumis Erkundungsflug deutlich länger. Als er wieder unbemerkt in unserer Gruppe auftaucht, steckt er voller Neuigkeiten.

»Euer Verdacht ist nicht unbegründet, Freunde. «

»Die beiden vermissten Männer eilen im Laufschritt dem Wasser entgegen. Weit draußen wartet ein großes Boot auf unser Eintreffen. Allerdings liegen acht weitere Schiffe hinter einem vorspringenden Felsen in einer entfernten Bucht. Ob zwischen ihnen ein Kontakt besteht, vermochte ich nicht zu erkennen.

Den Einwand von Meister Taishi mit der alten Stadt Mutsu und dem Landweg hat sich als falsch erwiesen. Es gibt weder die Stadt noch eine Landverbindung wie auf der Karte. Das hier ist eine Insel, die andere Seite ist nur auf dem Seeweg zu erreichen«, endet er mit seinem Bericht.

Nach kurzer Überlegung bitte ich Haruto um eine Pause, die er ohne weitere Nachfrage akzeptiert. Sein Unwohlsein und die Angst, einen Fehler zu begehen, sind deutlich spürbar. Abseits der Mönche nehmen wir auf einer kleinen Anhöhe Platz, gut sichtbar, um kein Misstrauen zu schüren.

»Jetzt wird mir einiges klar. Das Ganze sieht verdächtig nach Hatchiman aus. Er benutzt die Mönche, um uns in eine Falle zu locken. Woher sonst sollte Meister Hurato die Informationen betreffend meiner Person bekommen. «, stelle ich fest.

Nach kurzer Pause fahre ich mit einem Vorschlag fort die Falle zu umgehen.

»Um auf die andere Seite zu gelangen, benötigen wir ihr Schiff. Das bedeutet, zuerst die Mönche von ihren Bewachern zu befreien. Sobald wir uns dann dem Boot nähern, soll die Besatzung den Eindruck haben, ihre Kameraden kehren mit den Gefangenen zurück. Spätestens auf dem Schiff werden sie ihre Maske fallen lassen, indem sie uns in einen Hinterhalt locken und gefangen nehmen«, flüstere ich den Freunden zu.

»Amida und ich lassen uns unauffällig zurückfallen. Wir werden dann die Gruppe seitlich überholen und vor euch bei dem Schiff eintreffen. Ihr versucht alles, das Weiterkommen zu verlangsamen. Da sie zum Ziel haben, uns in ihre Gewalt zu bekommen, sind sie gezwungen, Rücksicht zu nehmen. Unser Ziel ist es, dieses Schiff zu übernehmen. Als Zeichen, dass der Plan geglückt ist, hänge ich einen Lichtstein an die Bordwand, Maiko wird sie mit Sicherheit erkennen, ohne dass die anderen Verdacht schöpfen«, wie zur Bestätigung ergreife ich ihre Schulter.

»Wir setzen dann mit einem Boot über, und nehmen euch an Bord. Ihr bereitet inzwischen alles zur Befreiung der Mönche vor. Das größte Problem ist, ohne Erfahrung im Umgang mit der Seefahrt das andere Ufer zu erreichen«, beende ich eine Strategie, deren Ende ziemlich offen ist.

»Das schaffen wir, hab keine Sorge! Ich sehe uns bereits auf dem anderen Ufer neuen Abenteuern entgegengehen«, berichtet Mitsumune von seiner letzten Vision.

Da diese Aussage alle beruhigt, widerstrebt es mir, den Wahrheitsgehalt seiner Vorausschau in Frage zu stellen.

Unser Rastplatz bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich ungesehen von den anderen zu entfernen. Sima bleibt bei Takumi, da das Verschwinden des Wolfes sofort bemerkt würde.

Amida legt als geübter Jäger ein erstaunliches Tempo vor, es kostet Mühe, ihm zu folgen. Oben am Bergkamm wechseln wir auf die andere Seite und eilen im Wolfstrab dem Meer entgegen. Kurz darauf stoßen wir auf die Fußspuren der beiden Abtrünnigen. Die hinterlassenen Abdrücke zeigen den Weg.

Wir verlassen nach anstrengendem Marsch die Berge und durchqueren eine groteske Landschaft. Deutlich sichtbar standen hier, vor ewig langer Zeit von Menschen erbaute Häuser. Von den damaligen Gebäuden zeugen Mauerreste vom aussichtslosen Kampf gegen die Natur. Andeutungsweise lassen sich Strukturen einer einst lebendigen Stadt erkennen.

Als erfahrener Jäger läuft Amida nicht direkt in der Spur der beiden, die Nachfolgenden könnten sofort Verdacht schöpfen.

Immer wieder überprüft er die Richtung, um dann mit sicherem Abstand den beiden Männern zu folgen. Der Geruch des Wassers liegt inzwischen in der Luft, getragen von einer zunehmenden Meeresbrise. Das Geräusch von Vögeln ist ein weiteres Indiz, dass wir nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt sind.

Zu unser beider Überraschung endet der Weg an einem tiefen von Menschenhand geschaffenen Graben. Das Sonnenlicht erreicht den Grund nur schemenhaft. Trotz der Finsternis sind die Bewegungen von Lebewesen nicht zu übersehen.

»Es gibt ein Problem, bei den Wesen dort unten handelt es sich um die Schatten der Nacht. Die Strahlung hat diese Ratten zu gefährlichen riesenhaften Killern werden lassen«, warnt mich Amida.

»Wie sind sie auf die andere Seite gekommen? «, frage ich mich.

»Dort, das lange Gestell. Das war die Brücke, sie haben es nach ihrer Ankunft über den Graben gelegt und für den Rückweg dort liegen lassen.

»Wir werden uns auf keinen Fall da hinunter begeben.

Besser wir nutzen ebenfalls ihren Übergang. Mit den Greifern unserer Kyuri ziehen wir das Gestell zu uns herüber«, flüstere ich ihm zu.

Beide heben wir unsere Waffen und zielen auf die Stirnseite der Behelfsbrücke. Ich empfinde immer wieder tiefen Respekt vor den Erfindern der Kyuri. Lautlos verbinden sich die beiden Greifer mit dem Gestell. Durch Drehen am unteren Ende der Waffe setzt sich der Mechanismus zum Einziehen des Greifers in Bewegung. Seine Kraft ist in der Lage, Menschen auf Bäume oder Mauern hochzuziehen, der Widerstand der Behelfsbrücke ist daher kein Problem.

Inzwischen haben die Schatten der Nacht, wie sie Amida nennt, unsere Anwesenheit wahrgenommen. Das schräg einfallende Sonnenlicht verdeutlicht, welche Gefahr von dort unten droht.

Nachdem das Gestell die Hälfte des künstlichen Grabens überbrückt hat, neigt es sich gefährlich in die Tiefe. Hier zeigt sich die Erfahrung des Jägers Amida und seine Reaktionsgabe.

Mit der zweiten Kyuri verankert er einen weiteren Greifer in der Mitte und fordert mich auf, seinem Beispiel zu folgen. Sofort erhebt sich der längliche Übergang und gleitet problemlos auf unsere Seite.

»Lass uns keine Zeit verlieren, die Freunde dort unten nutzen die Körper ihrer Artgenossen, um mit ihrer Hilfe auf unsere Höhe zu kommen! «, bemerke ich nebenbei und löse die Greifer meiner Waffen.

Ohne einen weiteren Blick nach unten zu werfen, überqueren wir dieses nach Verwesung stinkende Hindernis.

»Lass das Gestell liegen, damit die anderen nicht erst suchen müssen«, empfiehlt Amida.

Vorsichtig bewegen wir uns über Schutt und Geröll ehemaliger Gebäude. Amida hebt die Hand als Zeichen, absolute Stille zu wahren. Vor uns breitet sich ein etwa hundert Manneslängen breiter Strand aus. Er besteht ausschließlich aus gebrochenen Steinplatten. Die beiden Männer denen wir folgen haben am Rande ein Feuer entfacht und zeigen keinerlei Anzeichen von Aktivität.

Mithilfe meiner Sehverstärkung verschaffe ich mir einen besseren Überblick. Wie üblich lege ich die Hände an die Ohren und überprüfe die Strecke bis zu dem auf und ab tanzenden Schiff weit draußen. Trotz mehrmaliger Prüfung sind keine Auffälligkeiten feststellbar. Zur Sicherheit konzentriere ich mich auf die Geräusche. Das tosende Rauschen der Wellen wird begleitet vom Kreischen der Vögel. Kaum hörbar ein weiterer Laut, er hat seinen eigenen Rhythmus.

Erneut konzentriere ich meine Sehstärke in diese Richtung. Ein kleineres Boot besetzt mit Männern an langen Rudern kämpft mit aller Kraft gegen die Strömung an. Für einen kurzen Augenblick werden sie auf dem Kamm der Welle sichtbar, dann verschwinden sie im nächsten Wellental.

Während ich in die Richtung des Bootes deute, informiere ich Amida über die aktuelle Lage.

»Das ist die Chance. Wir setzen die beiden am Feuer außer Gefecht und nehmen ihren Platz ein. «

Sein Nicken bestätigt meinen Vorschlag. Tief gebückt schleicht er rücklings an die Fremden heran. Die beiden fühlen sich vollkommen sicher und lassen jegliche Vorsicht außer Acht.

Ihre ganze Konzentration richtet sich auf das Schiff in der Ferne und auf den bevorstehenden Braten auf dem Feuer.

»Wir setzen sie am besten mit den Greifern unserer Kyuri außer Kraft«, schlägt Amida vor.

Die Kyuri ist die Allzweckwaffe des Unteren Hauses und besitzt zwei Funktionen. Durch die Wucht der Metallkralle befestigt sie sich überall. Die andere Seite verwandelt sie in Verbindung mit dem Lichtstein in eine vernichtende Strahlenwaffe.

Der Lichtstrahl bietet sich zwar als absolut wirksame Möglichkeit an, sein grelles Licht würde jedoch die Leute auf dem Boot warnen. Wie vorgeschlagen, entscheiden wir uns für die Kralle. Da die beiden sich nahe am Feuer platziert haben, bieten sie ein leichtes Ziel. Das Schmatzen der tief in das Fleisch eindringenden Krallen verbunden mit den Todesschreien der Fremden ist unser Zeichen, die Deckung zu verlassen. Die beiden liegen mit weit aufgerissenen Augen am Boden, während das Leben ihre Körper mit jedem Blutschwall verlässt.

Der Todeskampf dauert wenige Augenblicke, dann sind sie von ihrem Leid erlöst. Wir ziehen die beiden in das Dunkel der Büsche, die orangefarbenen Umhänge behalten wir als Tarnung zurück.

»Dieser Ort ist fast so wenig einladend wie das Tor zur Hölle. Der Sturm treibt die Wellen weg vom Land. Ich denke mit dem kleinen Boot benötigen sie noch einige Zeit, um den Strand zu erreichen«, die Worte werden Amida regelrecht aus dem Mund gerissen.

Während wir beide wie gebannt auf den Kampf der Männer in ihrer Nussschale starren, spüre ich ein aufkommendes Unbehagen in meinem Rücken. Der Sturm zeigt sich mit einem infernalischen Brüllen von seiner schlimmsten Seite, hinter uns ist ein seltsames Fressgeräusch nicht zu überhören. Die Sonne spendet wenig Licht und taucht die Umwelt in ein tristes Grau.

Die heftige Bewegung der Büsche, in denen wir die beiden Leichen verborgen haben, ist deutlich zu erkennen.

»Es klingt, als haben wir Bestien zu einem vorzüglichen Mal eingeladen«, raunt Amida mir zu.

»Lass uns weg von dem Feuer in Richtung Strand gehen, hier gibt es zu viele Möglichkeiten, uns nahezukommen! «, schlage ich vor.

»Das waren die Schatten der Nacht, sie haben zugeschlagen und ihren Hunger nach Fleisch gestillt. Diese Tiere verfügen über ein hohes Maß an Intelligenz, das macht sie zu gefährlichen Gegnern«, warnt er mich eingehend.

Flach auf den Boden gedrückt schieben wir uns auf dem steinigen Untergrund Richtung Wasser. Je näher wir der schäumenden Gischt kommen, desto deutlicher spürt man die ungezügelte Wildheit der Wellen. Ich beneide die Männer da draußen in dem kleinen Boot nicht.

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne geben den Blick auf die aus dem Gebüsch hervortretenden Monster frei. Mit ihrem unnatürlich langen Schwanz und den kurzen Beinen wirken sie furchteinflößend.

»Besser, wir warnen die anderen vor dieser Gefahr, dann sind sie vorbereitet«, versuche ich lautstark das Rauschen zu übertönen.

Jeder der Freunde hat eine herausragende Gabe. So ist mit Takumi, dem Sohn Schamals, eine Gedankenübertragung möglich. Der Kontakt kommt umgehend zustande, der Austausch von Gedanken vollzieht sich in wenigen Augenblicken.

»Sie sind in der Nähe des Grabens, haben den Übergang noch nicht entdeckt«, informiere ich Amida.

»Dort drüben Yoki, das Boot hat inzwischen den Strand erreicht, die Leute beginnen mit dem Ausstieg. «

»Fällt dir auch die Ähnlichkeit mit Hachimans Kämpfern auf, sicher gehören die Schiffe hinter der Landzunge ebenfalls zu seiner Streitmacht«, vermute ich.

»Lass uns die Kyuri als Strahlenwaffe benutzen, wir haben wenig Zeit. Die Gefahr, von den Schiffen hinter der Landzunge entdeckt zu werden, ist meiner Meinung nach gering«, schlägt Amida vor.

Mit zwei Griffen wird unsere Kyuri zur tödlichen Waffe. Es dauert zwei Wimpernschläge, und die Strahlen haben ihre vernichtende Aufgabe erledigt.

Nach wenigen Schritten erreichen wir die leblos im Wasser treibenden Leichen der Feinde.

»Es ist besser, wir bestatten sie draußen im Meer, damit der Hunger der Bestien nicht weiter befriedigt wird«, brülle ich zu Amida hinüber.

Die zusätzliche Last erschwert das Abstoßen von Strand.

Mühsam, Schlag für Schlag bewegen wir uns durch die Brandung hinaus auf das Meer. Inzwischen ist der letzte Sonnenstrahl dem Dunkel der Nacht gewichen. Die weißen Schaumkronen der mannshohen Wellen zeichnen sich gegen den dunklen Himmel ab. Die übertragene Gabe der hohen Priesterin Vehn kommt uns jetzt zugute. Dank ihres Heilmittels, mit welchem sie mich vor dem Tod gerettet hat, wächst meine Stärke im gleichen Maße wie die Kraft, die auf mich einwirkt.

Erstaunlich, welch eine Energie Amida mit seinen kurzen Armen entwickelt und das Boot dem Ziel näherbringt. Wir legen eine kleine Pause ein und entsorgen die Körper der Feinde in der stürmischen See. Den Lippenbewegungen von Amida entnehme ich, dass er den Toten tröstende Worte mit auf den Weg ins Jenseits gibt. Bei dem heftigen Wellengang wird sogar eine Seebestattung zur schweißtreibenden Arbeit.

Die Gewichtsreduktion ist deutlich spürbar. In der Ferne erkennen wir die auf und abtanzenden Signallampen des Schiffes.

»Warum seid ihr zu zweit, wo sind die anderen? «, hallt es in Wortfetzen herüber.

Welch ein Glück, dass ich ihre Sprache beherrsche.

»Die Fremden sind bewaffnet, wir benötigen zusätzliche Gewehre, um ihre Gefangenschaft zu ermöglichen«, rufe ich zurück.

»Und beeilt euch, wir haben keine Lust, bei diesem Sturm laufend hin und her zu paddeln. Ihr könnt gerne mit uns tauschen«, rufe ich verärgert hinterher.

»Ist ja gut, wir besorgen die Waffen, legt inzwischen an der Bordwand an«, versucht der Rufer, meinen Frust zu besänftigen.

Amida befestigt unser Boot an der Leiter, um ein Abtreiben zu verhindern. Wie eine Katze klettert er die Sprossen empor, sicher, dass ich ihm folge. Oben an Deck angekommen verstecken wir uns hinter den Fässern in der Nähe des großen Mastes.

Wie ein Kanonenschlag knallt der Sturm die Türe gegen die Wand. Die beiden Soldaten erscheinen mit mehreren Waffen in den Armen.

»So ihr Jammerlappen, da sind die Gewehre. «

Jäh unterbricht er seine Rede, als er das leere Boot entdeckt. Geistesgegenwärtig wirbelt er herum und greift im Fallen zur Waffe, gefolgt von seinem Kollegen.

Die Strahlen der Kyuri erfassen die beiden, bevor sie den Boden erreichen. Sie leistet ganze Arbeit und entfernt sogar Teile der Bordwand.

»Ich werde das Boot untersuchen. Wir müssen sicher sein, dass keine weiteren Soldaten auf dem Schiff sind«, rufe ich Amida zu.

»Nicht du alleine Yoki, wir haben vereinbart, dass niemand ohne Begleitung irgendwo hingeht, die Gefahr, dass etwas passiert, ist zu groß«, ermahnt er mich.

Mit dem Lichtstein in der Hand begeben wir uns in das Innere des Schiffes. Es herrscht neben der stickigen Luft eine absolute Ruhe. Lediglich der Aufschlag der Wellen und das Knarzen der schaukelnden Schiffskonstruktion ist zu vernehmen. Vorsichtig steigen wir eine Treppe tiefer.

Die Geräusche von schlafenden Personen sind deutlich hörbar.

Um niemanden zu wecken, vermeide ich das Öffnen der Türe.

Amida beugt sich zu einer versteckten Klappe am Boden. Ein schwerer Eisenriegel verhindert das Öffnen von innen. Beide knien wir zu Boden und lauschen auf Geräusche aus der Tiefe.

»Hörst du es, klingt wie der Singsang eines Gebetes«, flüstere ich Amida zu.

Vorsichtig schiebt er den Riegel zur Seite und hebt die Klappe ein Stück empor. Der fromme Gesang des Liedes klingt jetzt deutlicher zu uns herauf.

Leise schließt Amida wieder die Klappe und schiebt den Riegel in die alte Position.

»Da unten werden weitere Mönche gefangen gehalten. Mit Sicherheit sind sie das Druckmittel«, bestätigt Amida meinen Verdacht.

»Wir werden die Soldaten aus ihrer Kammer locken, dort unten können sie sich zu leicht verbarrikadieren. Wir versetzen sie mit einem vorgetäuschten Brand in Panik«, schlage ich vor.

In zwei Metallschüsseln sammeln wir Stoff und Holzteile. Ein Kanister mit öliger Flüssigkeit dient als Brennmaterial. Ganz leise platzieren wir die Schalen in der Nähe der Türe und öffnen sie ein wenig. Wie gehofft entwickelt sich kurz nach Auflodern der ersten Flammen eine dicke schwarze Qualmwolke.

Laut brüllend rufe ich „Feuer“, während Amida wie wild die Glocke schlägt. Völlig in Panik, halb bekleidet erscheinen die Ersten von Hustenanfällen geschüttelt und nach Luft ringend auf dem Deck. Mit einem Schlag der Kyuri befreit Amida sie von ihrem Leid und schenkt ihnen tiefe Träume. Nachdem zehn Personen sich bis zu dem Deck empor gekämpft haben, herrscht Stille, offensichtlich ist das die gesamte restliche Besatzung.

»Es wird Zeit, den Qualm zu stoppen und die Gefangenen zu befreien. Sicher glauben die, ihr Ende sei gekommen«, rufe ich Amida zu, dann zwingt mich der Qualm zu einem Hustenanfall.

Gerade als wir mit Eimern voll Wasser auf dem Weg sind das Feuer zu löschen, landet neben mir einer der beiden Raben.

Kurz darauf steht Takumi an meiner Seite und folgt unserem Treiben mit erstauntem Blick.

»Ich erkläre dir alles, jetzt nimm dir einen Eimer und folge uns. Es ist unmöglich, die Flammen zu löschen. Zu dritt schaffen wir es, mit dicken Tüchern die beiden heißen Schalen über Bord zu werfen. Amida ist unterwegs, die Mönche zu befreien. Inzwischen schildert mir Takumi die aktuelle Situation bei den Freunden.

»Als wir das Ufer erreicht haben, sahen wir zuerst ein einsames Lagerfeuer. Kurz darauf haben wir, trotz des Dämmerlichtes, die gewaltige Rauchentwicklung auf dem Schiff erkannt. «

Verwundert fällt sein Blick auf die armseligen Gestalten der befreiten Mönche, dann setzt er seine Rede fort.

»Die Reaktion der drei Bewacher kam umgehend. Sie zogen plötzlich ihre Waffen und begannen zu feuern. Die Körper der Mönche boten uns Schutz, wir konnten sofort reagieren. Leider sind fünf von ihnen ihren Verletzungen erlegen, drei weitere werden von Nobuko und Maiko behandelt.

Man hat mich auf den Weg geschickt, um festzustellen, was auf dem Schiff passiert ist«, beendet Takumi seinen Bericht.

»Wenn du zurückfliegst, kontrolliere die Lage der acht feindlichen Schiffe hinter der Landzunge. Es besteht trotz Dunkelheit die Gefahr, dass ihnen die gewaltige Rauchsäule nicht entgangen ist und sie entsprechend reagieren. Ich hoffe von den Mönchen, die Amida befreit hat, sind einige kräftig genug, um alle auf das Schiff zu holen«, als Zeichen meiner Dankbarkeit für seine Fürsorge drücke ich den Kleinen dabei fest an mich.

Amida wird buchstäblich von den Beinen gerissen, als das Schiff wieder mal in ein tiefes Wellental abtaucht.

Der Zustand der Mönche kann getrost als katastrophal bezeichnet werden. Wahrscheinlich haben sie unter Aufbietung der letzten Kräfte den Weg nach hier oben geschafft.

»Ohne fremde Hilfe werden wir das Problem nicht lösen«, wende ich mich an die beiden.

»Mein Name ist Kisho, ich kann euch helfen«, vernehme ich eine tiefe Stimme neben mir.

Überrascht blicke ich in ein von Falten durchzogenes Gesicht, umrahmt von einem kräftigen Bart. Im Gegensatz dazu wirken die Augen jugendlich und verschmitzt.

Um sicher zu sein, wer mir hier seine Hilfe anbietet, ergreife ich die Hand. Wie üblich vollzieht sich durch die Berührung, die Übertragung seines Wissens. Kurz danach ist die Überraschung auf meiner Seite.

»Es ist mir eine Ehre, deine Unterstützung in Anspruch zu nehmen, mein Name ist Yoki«, antworte ich erleichtert.

»Das Oberhaupt unseres Klosters hat uns auf deine Ankunft vorbereitet. Ein fremder Mönch wusste Genaues über dich zu berichten. Leider kam diese Information in die falschen Hände, wie du sicher festgestellt hast«, dabei durchzieht ein Lächeln das faltige Gesicht. Mit ruhiger Stimme erklärt er die weitere Vorgehensweise.

»Wir werden uns mit dem Schiff so nahe wie möglich dem Ufer nähern. Dabei benötige ich eure Hilfe. Obwohl heftiger Wind herrscht, werden wir mehr Segelfläche ausfahren. Einer von euch beiden öffnet das Großsegel. Wir steuern dann dicht an der Küste entlang. Die Fallwinde von den Bergen sind dabei die größte Gefahr, auf sie gilt es besonders zu achten. Dort, wo sich die Wellen mit weißem Schaum überziehen und zu hohen Bergen auftürmen, ist es absolut tödlich für uns. Wir lassen jetzt drei Boote besetzt mit kräftigen Männern zu Wasser. Ich versuche dann, das Schiff gegen die Wellen zu setzen und für eine kurze Zeit die Position zu halten. Die Boote bleiben mit dem Schiff verbunden. Nach dem Einsteigen der Freunde müssen sich alle auf den Boden legen und sichern. Mit ihnen im Schlepptau geht es unter vollen Segeln hinaus auf die offene See. Hoffen wir, dass die Seile die enorme Spannung aushalten. Macht ihnen klar, ein gewaltiger Ruck wird das Material bis an die Grenze der Belastbarkeit erschüttern. Auf See ziehen wir sie heran und bergen alle Insassen«, dabei legt er beruhigend seine Hand auf meine Schulter.

»Bist du sicher, dass wir ihm trauen können«, raunt mir Takumi ins Ohr.

»Du kannst sicher sein, wenn es einer schaffen wird, dann er«, beruhige ich ihn.

Mit diesen tröstenden Worten erhebt sich der Rabe in die Lüfte und verschwindet nach kurzer Zeit aus unserem Sichtfeld.

Gewohnt, Befehle zu erteilen, erklärt Kisho den Umgang mit dem Großsegel, nicht ohne auf die Gefahren bei falschem Umgang hinzuweisen.

»Sobald ich die Hand hebe, setzt ihr beide, wie ich es euch gezeigt habe, das Segel und kommt wieder hoch auf das Ruderdeck.

Als Kisho den Arm emporhebt, drehen wir wie wild die Kurbel, um das Segel zu setzen. Leider ist unsere Vorgehensweise ziemlich stümperhaft, das große Tuch schlägt mit peitschendem Knallen über uns und droht zu reißen. Mit Hilfe zweier Mönche gelingt es uns, das Segel zu spannen, während das Boot wie ein Pfeil durch die Wellen in Richtung Uferbrandung jagt.

Wieder hebt Kisho die Hand, das Zeichen der bevorstehende Wende. Die abrupte Richtungsänderung zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Zum Glück, der ausschwenkende Mast hätte sonst für erhebliche Verletzungen gesorgt.

»Na seht ihr, selbst bei starkem Wind kann man mehr Segelfläche ausfahren. Zieht das Großsegel hoch, wir halten Kurs entlang der Küste. Achtet auf die Fallböen, sie sind unberechenbar. Aus dem Ruder zu laufen, ist etwas anderes, als von Wellen hin- und hergeworfen zu werden«, dröhnt die Stimme des Alten zu uns herunter.

Ohne seine Unterstützung wären wir komplett aufgeschmissen gewesen und hätten das Schiff mit Sicherheit versenkt. Mit seemännischer Routiene nimmt er rechtzeitig den Wind aus den Segeln. Wild flattert das Stofftuch kraftlos im Wind, Kisho ist ein Meister seiner Zunft.

Mit aller Kraft rudern die Mönche verbunden mit dem Seil durch die mannshohen Wellen Richtung Strand. Meister Taishi hat alles Notwendige veranlasst, um den Einstieg zügig durchzuführen. In drei Gruppen stehen sie knietief im Wasser und trotzen mit Sprüngen der anstürmenden Brandung. Damit jeder sicher in den Booten Platz findet, ist nur eine begrenzte Aufnahme von Personen möglich. Das Ganze muss auf jeden Fall wiederholt werden.

Kurz darauf hebt Takumi den Leuchtstein, das Signal für den Steuermann Kisho. In Erwartung der heftigen Spannung liegen sie flach auf dem Boden. Mit einem gewaltigen Knall bläht sich das Großsegel und treibt das Schiff auf das Meer hinaus. Es fordert all sein Können, die kleinen Boote sicher durch die Brandung auf die offene See zu ziehen.

Als Meister Kisho beidreht, erschlafft das Segel erneut. Mit gemeinsamer Ruderkraft gelingt es ihnen, die Boote seitwärts anzulegen. Der Umstieg auf das Schiff wird durch den heftigen Wellengang zu einem riskanten Abenteuer.

In der Hoffnung, auch bei unserem zweiten Versuch alle sicher an Bord zu bringen, wiederholen wir das Manöver. Um den Vorgang zu beschleunigen, besetzen Amida und ich jeweils ein Boot. Wieder zeigt sich die Routine des alten Seebären. Trotz des kräftigen Wellenganges gelingt es ihm erneut, das Schiff rechtzeitig in Position zu bringen.

Ein kräftiger Mönch hält das mittlere Boot in sicherem Abstand auf Kurs. Fast gleichzeitig passieren wir die Brandung und erreichen den Strand. Sima ist kaum zu halten und nimmt als erste neben mir Platz. Kurz darauf erfolgt das Signal zum Ablegen. Als der kräftige Ruck der mit dem Schiff verbundenen Seile einsetzt, dringen Fetzen von panischen Rufen zu uns herüber.

Deutlich erkennbar hat der Mönch seine Besatzung nicht auf die bevorstehende Gefahr hingewiesen. Die Insassen wirbeln durch die Luft, während das leere Boot über die nächste Welle fliegt. Blitzschnell verschwindet die Unfallstelle aus dem Blickfeld. Da wir uns im Schlepptau des Schiffes befinden, ist ein Eingreifen unmöglich. Zum Glück ist das menschenleere Boot auf der Unterseite gelandet. Nach endlos langer Zeit verlangsamt sich die Fahrt, und wir gehen längsseits.

Die zweite Gruppe ist komplett an Bord, und das Ausmaß des Unglückes wird erkennbar. Neben dem Mönch am Steuer ist der Verlust weiterer sechs seiner Brüder zu verzeichnen. Zu unserem Entsetzen saß auch Kaito mit in dem Boot, er hatte mit Nobuko getauscht. Takumi blickt hinauf zum Mast des Schiffes zu den beiden Raben. Ich fliege hinüber, hoffentlich haben sie das Unglück überstanden.

Inzwischen wurden die überwältigten Soldaten in das Verlies gebracht und sicher verwahrt. Ohne Scheu drückt sich Maiko fest an mich und bringt ihre Erleichterung des Wiedersehens mit einem heftigen Kuss zum Ausdruck.

»Man hat uns eindringlich gewarnt. Wir sollen vermeiden, uns zu trennen, nur gemeinsam sind wir stark«, bemerkt Meister Taishi mit ernster Miene.