Der Hortensiengarten - Marie Lamballe - E-Book
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Der Hortensiengarten E-Book

Marie Lamballe

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Beschreibung

Als die junge Steinmetzin Giselle in der Bretagne eintrifft, ist sie sogleich fasziniert von der Landschaft. Besonders der verwunschene Garten des Klosters, dessen Kreuzgang sie restaurieren soll, hat es ihr angetan. Als Giselle dort auf eine geheimnisvolle Grabinschrift stößt, trifft sie auf eine Mauer des Schweigens. Nur Bertrand, ein junger Mann aus dem Dorf, ist ebenso neugierig geworden. Gemeinsam begeben sie sich auf die Spur eines Geheimnisses, dessen Wurzeln weit in die Vergangenheit reichen ...

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

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ÜBER DIE AUTORIN

Marie Lamballe wurde in Hannover geboren. Ihre Liebe zu Frankreich entdeckte sie bereits früh; sie studierte Französisch und begann schon kurz nach dem Studium mit dem Schreiben. Inzwischen lebt die Mutter zweier erwachsener Kinder in der Nähe von Frankfurt. Ihre Ideen kann sie am besten in ihrem Lieblingscafé entwickeln.

Marie Lamballe

DER HORTENSIEN-GARTEN

Bretagne-Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Ulrike Strerath-Bolz, FriedbergTitelillustration: © shutterstock/haraldmuc; © Arcangel/Marie Carr; © shutterstock/Milan Vachal; © shutterstock/Paul Briden; © shutterstock/Julia Tsokur; © shutterstock/Sergii Rudiuk; © shutterstock/gdelaUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3963-5

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Prolog

EIN SEE BEI HUELGOAT, SOMMER 1930

Die Hitze lastete wie eine Glocke auf dem See. Still lag seine Oberfläche, ohne Bewegung, ohne Wellen, nur hie und da blitzte es in seiner Mitte kurz auf, wenn ein Fisch nach oben stieß, um ein Insekt zu schnappen. Die späte Nachmittagssonne spiegelte den Wald so deutlich auf dem Wasser, dass man jeden Ast, jedes Blatt, jeden Halm erkennen konnte. Brocéliande, der Zauberwald, war schweigsam wie der See.

»Ich halt es nicht aus«, rief Sema und wischte sich stöhnend die schweißnasse Stirn. »Ich zerfließe gleich. Ich platze vor Hitze …«

Die Zwölfjährige begann, die Bluse aufzuknöpfen. Schuhe und Socken hatten beide Mädchen längst von sich geworfen.

»Wir dürfen doch nicht …«, warf Maelle zögernd ein. »Wir haben keine Badeanzüge mit …«

Sema stand schon in Unterhemd und Höschen. Sie war obenherum noch platt wie ein Kind, kein bisschen Busen wollte ihr wachsen. Maelle, die nur ein Jahr älter war, hatte schon hübsche, spitze Hügelchen. Ganz plötzlich waren sie da gewesen, ein paar Tage hatte es nur gedauert, Sema hatte gesagt, man hätte dabei zusehen können.

»Ach was – Badeanzüge«, meinte Sema verächtlich. »Nur ganz schnell hineinlaufen und abkühlen. Und dann wieder anziehen. Oder hast du etwa Angst, die Wasserfee holt dich?«

»Quatsch!«

»Na also. Und danach essen wir den Kuchen, ja?«

Der Pardon, die Prozession zu Ehren der heiligen Anna, hatte den ganzen Tag gedauert. Es war unfassbar heiß und staubig gewesen, die Frauen in ihren schwarzen Trachten mit den weißen Hauben waren in der Hitze fast verglüht. Zwei waren ohnmächtig geworden, die alte Anne Seznec und Joanna Prigent, die im vierten Monat schwanger war. Nachdem sich alle auf dem Dorfplatz vor der Kirche an den langen Tisch gesetzt und Kaffee getrunken hatten, waren die Jugendlichen einer nach dem anderen verschwunden, um eigene Wege zu gehen.

Maelle ließ den Blick am Seeufer entlangschweifen. Eichen und Buchen reckten ihre Äste bis zum Wasser hin. Drüben, wo die Ruinen des Klosters in den See hineinragten, gab es schlanke Weiden. Dahinter blühten roséfarbene und weiße Hortensien, die längst verblichene Nonnen im Klosterhof gepflanzt hatten. Die Klosterruine war ein verfluchter Ort. In der Nacht, so hieß es, gingen dort ruhelose Seelen um.

Sema hatte ihr blondes Wuschelhaar hochgebunden und lief jetzt nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, in den See hinein. Es ging nicht ohne Gekreisch und Gespritze, denn obwohl das Ufer hier flach war, gab es Steine, über die man stolpern konnte.

»Komm doch endlich!«, rief sie der Freundin ungeduldig zu.

Maelle warf einen letzten Blick in die Runde und streifte dann die Kleider ab. Welche Wohltat, die durchgeschwitzten Sachen loszuwerden und das kühle Wasser auf der Haut zu spüren. Zuerst war es angenehm, aber als sie bis über die Oberschenkel im Wasser stand, fand sie es plötzlich kalt. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und spürte die noch ungewohnten Wölbungen, die ihr jetzt schrecklich lästig waren. Warum konnte man nicht einfach ein Kind bleiben? Alles wäre leichter. Mamas Vortrag neulich abends in der Schlafkammer hatte sie erschreckt und unbestimmte Ängste geweckt. Sie sei jetzt eine Frau und würde bald zu bluten anfangen. Dafür könne sie die Lumpen in der Truhe benutzen, die aus alten Kleidern zurechtgeschnitten und in eine gestrickte Hülse gesteckt wurden. Und wehe, sie ließe sich mit einem Burschen ein. Dann würde Papa sie grün und blau prügeln …

»Du bist so hübsch«, sagte Sema neidisch. »Ich will auch einen Busen!«

Sie schwamm mit kräftigen Zügen Kreise im grünlichen Wasser, die Sonne ließ ihr Haar leuchten. Maelle tauchte entschlossen bis ans Kinn unter, spürte die schwappende Wasseroberfläche an Mund und Nase kitzeln und bemühte sich, ja keinen Tropfen Wasser zu schlucken. Es hieß, wer das Wasser des Sees trank, über den hatte die Wasserfee Macht. Die wohnte in einem kristallenen Palast in der Mitte des Sees, dort, wohin man besser nicht schwimmen sollte, weil es sehr tief war. Natürlich waren sie alle trotzdem dort gewesen und hatten versucht, den Palast der Wasserfee auf dem Grund zu erkennen. Aber da war alles nur schwarz und unheimlich gewesen, und Semas Bruder Marno hatte später gemeint, der Palast sei ja auch durchsichtig, daher könne man ihn nicht sehen.

Maelle schwamm zu einem umgestürzten Baum, der zur Hälfte im Wasser lag, zog sich an einem der Äste hoch und setzte sich auf den trockenen, sonnengewärmten Stamm. Es war unfassbar schön, hier zu sitzen, den sonnenfunkelnden See vor sich, umfasst vom dichten Wald der Brocéliande, der sich wie ein dunkler, beweglicher Schatten im Wasser spiegelte. Harmlose Wölkchen, flauschig wie Schafwolle, zogen über den Himmel. Zwei Möwen glitten vorüber, flogen weiter nach Norden zur Küste. Drüben zwischen den Klosterweiden wagten sich jetzt ein paar braune und graubunte Enten aufs Wasser, um hinauszupaddeln und ihr Abendbrot zu fischen.

»Gefällt dir auch, wie?«, hörte sie Semas triumphierende Stimme dicht neben sich.

Kühles Wasser spritzte über ihren von der Sonne gewärmten Bauch, sie kreischte auf, lachte, half der Freundin auf den Stamm hinauf. Semas Haut war hell und voller Sommersprossen. Als sie neben ihr saß, zappelte sie mit den Füßen, ließ das Wasser aufspritzen und kicherte vergnügt.

»War eine gute Idee«, gestand ihr Maelle zu.

Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und bot ihr Gesicht der Abendsonne. Wassertröpfchen trockneten kitzelnd auf ihrem Hals, ein kleines Rinnsal rann aus dem feuchten Haar ihren Rücken hinab.

»Heilige Mutter Anna!«

Sema klatschte ihr mit der Hand auf den Oberschenkel, sodass sie erschrocken die Augen aufriss. O Gott, da waren sie. Alle drei. Maelles Brüder Connan und Dustin und dazu Marno. Sie standen drüben am schmalen Waldweg, der nahe am Kloster vorbeiführte und eigentlich verboten war.

»Die können uns sehen …«

Sema rutschte ins Wasser wie ein Fisch, der lautlos in sein Element zurückgleitet, Maelle plumpste hinterher, kam sich schwer und ungeschickt wie ein Sack Mehl vor. Sie schwammen mit hastigen Stößen, als ginge es um ihr Leben, krochen an Land, zerrten Hemd und Unterhose über die nassen Körper, nahmen sich keine Zeit, die Ameisen aus Röcken und Blusen auszuschütteln. Dann saßen sie verärgert und beschämt im Ufergras und starrten hinüber zu den drei Störenfrieden. Richtig eilig hatten die Jungen es eigentlich nicht, sie schwatzten miteinander, feixten, alberten herum.

»Vielleicht haben sie ja gar nichts gemerkt?«, flüsterte Sema, die das Wasser aus ihrem verfilzten Zopf drückte.

»Denkst du, die sind blind?«

Sema zuckte die Schultern und behauptete, es könne ihnen ja im Grunde egal sein. Früher, als sie ganz klein waren, hätten sie alle miteinander nackig im See gebadet, da müsse man sich jetzt nicht so anstellen.

Maelle schwieg. Sie dachte an den Vortrag ihrer Mutter. Wenn Dustin oder Connan es Mamm erzählten, dann würde es schlimm. Dustin würde das nicht tun, aber Connan ganz sicher …

Erst als die drei schon dicht heran waren, fiel ihnen der Kuchen ein. Sie hatten sich an der Festtafel ein paar Stücke abgeschnitten und den mit einem Küchentuch bedeckten Teller mitgenommen. Für die alte Gwen, hatte Sema ihrer Mamm erklärt. Da hatte man sie ziehen lassen. Sie hatten der alten Frau, die unbeweglich wie tot in ihrem Bett lag, nur scheu eines der Kuchenstücke auf den Nachttisch gelegt, dann waren sie mit ihrem Teller durch den Wald zum See gelaufen.

Natürlich hatte Connan das Küchentuch und den Teller darunter längst erspäht. Connan war schon fünfzehn, groß und sehnig wie Tad, und er hatte die gleichen hellen, scharfen Augen.

»Mamm hat dich gesucht, Maelle!«, rief er ihnen entgegen. »Du solltest Kaffee einschenken und Tante Iwa beim Crêpebacken helfen.«

Maelle schwieg. Connan war einer, der es schaffte, immer recht zu haben. Immer auf der guten Seite zu stehen. Der kluge, besonnene, vernünftige Connan.

Sema war nicht beeindruckt. Kein Wunder – Connan war ja auch nicht ihr Bruder.

»Ach ja?«, meinte sie ungläubig und blinzelte Connan an. »Und da hat eure Mamm dich ausgeschickt, uns herbeizuschaffen?«

Sema hatte etwas an sich, das Connan verlegen machte. Das war immer schon so gewesen. Wahrscheinlich war es die Art, wie sie den Kopf zur Seite legte und ihn anblinzelte.

»Das hab ich nicht gesagt«, knurrte er und sah an ihr vorbei. »Und von dir war sowieso nicht die Rede …«

Der elfjährige Dustin, Maelles jüngerer Bruder, hatte eine Ecke des Küchentuchs gelupft, um zu sehen, was darunter verborgen war. »Das ist Tante Iwas Königskuchen … Und gleich drei dicke Stücke … Da kriegen wir was ab, oder?«

»Finger weg!«, befahl Maelle. »Das gehört uns. Du hast dir auf dem Fest schon den Bauch vollgeschlagen.«

Dustin zog die Wangen nach innen und bot das Bild eines hohlwangigen Hungerleiders. »Nur ein Eckchen …«

»Hör auf mit den Faxen.«

»Heute ist der Tag der heiligen Anna!«

»Was hat das damit zu tun?«

»Da müssen alle Mädchen ihren kleinen Brüdern Kuchen schenken.«

»Das hast du geträumt, Dustin«, lachte Maelle.

»Gib ihm schon was!«, unterbrach Sema das Wortgefecht. »Ihr bekommt alle etwas ab. Setzt euch hin – ich teile aus!«

Ihre einladende Geste hatte etwas von einer reichen Hofherrin, die ihre Knechte zu Tisch lädt. Dustin hockte sich ohne Umschweife neben sie, Connan zögerte zunächst, wechselte einen Blick mit Marno, der die ganze Zeit über schweigend daneben gestanden hatte, und erst als auch Marno sich im Ufergras niederließ, suchte sich Connan einen Sitzplatz auf einer vorstehenden Baumwurzel.

»Es wird ehrlich geteilt!«, bestimmte Sema.

»Drei Kuchenstücke in fünf Teile – das geht gar nicht!«, feixte Dustin.

»Wer die größte Klappe hat, bekommt das kleinste Stück!«

Connan schlug vor, jedes Kuchenstück in fünf Teile zu schneiden, und stellte sein Taschenmesser zur Verfügung. Sema nahm das Angebot an und säbelte drauflos. Dustin meinte schließlich, es sei wohl einfacher, alles zu zerkrümeln und mit dem Löffel zu essen. Semas Backpfeife wich er geschickt aus. Schließlich ließ sich auch Connan zu einem Lächeln herab, weil Sema ihm einen der größeren Happen zuteilte, und Dustin behauptete, hier draußen am See schmecke der Kuchen ganz anders und viel besser.

»Das muss an der Ameise liegen, die du eben mitgegessen hast!«, bemerkte boshaft der große Bruder.

»Bäh …«

Gelächter kam auf, steckte alle an. Auf einmal waren sie wieder die verschworenen Freunde, die Kinder der LeHaziff und der Tabarly, deren Höfe nebeneinander lagen, sodass die Kleinen immer miteinander gespielt hatten. Sie hatten stets zusammengehalten gegen die anderen Kinder aus Plouvan, sie waren etwas Besonderes, lebten wie Geschwister, saßen gemeinsam mal hüben, mal drüben am Tisch, schliefen alle miteinander in der großen Scheune der Tabarly, trafen sich bei Regenwetter auf dem Dachboden der LeHaziff, wo man zwischen Schmalztöpfen, eingemachtem Obst und Säcken mit Korn und Buchweizen so wunderbar Verstecken spielen konnte.

Alles ist wie immer, dachte Maelle erleichtert. Dann spürte sie Marnos Augen, die schon die ganze Zeit auf sie gerichtet waren, und sie wusste, dass es nicht stimmte. Marno war sechzehn, im Winter war er unfassbar gewachsen, jetzt überragte er sogar seinen Tad, worüber viel gewitzelt wurde. Er war nicht glücklich über das rasche Wachstum gewesen, zumal er erschreckend dünn blieb und sein Haar einen immer stärker werdenden Stich ins Rötliche aufwies. Feuerkopf, hatte Dustin gewitzelt. Rotbarbe. Rotkopf. Marno hatte dazu verlegen gelächelt; er war keiner, der sich gegen dumme Witze zur Wehr setzte. Marno war sanft und redete nur wenig. Heute hatte er noch gar nichts gesagt. Nur geschaut hatte er. Mit braunen, verträumten Augen, die jedoch nicht minder scharf waren als die von Connan.

»Warum starrst du mich so an?«, fragte Maelle, die sich unter diesem Blick unbehaglich fühlte. Hatte er sie vorhin gesehen? Als sie nackt auf dem Baumstamm saß?

Marno hatte ebenso wie Sema jede Menge Sommersprossen im Gesicht. Trotzdem konnte man sehen, dass er errötete. Vor allem an seinen Ohren sah man es gut.

»Ich war … ich hab an etwas anderes gedacht …«

Er schaute jetzt angestrengt zum gegenüberliegenden Seeufer, wo die Enten auf den niedrigen Mauerresten der Klosterruine hockten. Die Hortensienbüsche leuchteten in blassem Rosa.

»Woran denn?«, wollte Sema belustigt wissen.

Marnos Gesicht wurde noch ein wenig dunkler. Er sah seine Schwester vorwurfsvoll an.

»Er denkt über die Hexe nach«, kam ihm Dustin zu Hilfe.

Alle wussten, was er meinte. Drüben im alten Klostergarten gab es zwischen den wilden Hortensien und allerlei Gestrüpp einen Brunnen. Er war aus Sandstein gemauert und von Moos bewachsen, früher hatten die Nonnen dort ihr Wasser geschöpft. Damals – so hatte es Madame LeBoff, die Lehrerin, erklärt –, damals war der wilde Hortensiengarten der Kreuzgang des Klosters gewesen. Mauern hatten ihn umgeben, die jetzt umgestürzt waren, und in der Mitte hatte der Brunnen gestanden. Er hatte sogar einmal eine schmiedeeiserne Haube gehabt, und darauf hatte eine Statue der Jungfrau Maria gestanden. Die war aber bei einem Gewitter vom Blitz getroffen worden und zerborsten. Gesehen hatte das niemand, aber ein Professor aus Paris, der sich für alte Klöster interessierte, hatte dort herumgesucht und gesagt, die Trümmer der Jungfrau befänden sich unter dem Gras. Die Reste der eisernen Haube waren schon vor langer Zeit verschwunden.

Er hatte auch Maelles Großtante Iwa befragt, die alle Sagen und Geschichten kannte. Auch die ganz alten, die schlimmen, von denen der Abbé sagte, es sei böser Aberglaube und eines Christenmenschen unwürdig. Aber Iwa scherte sich nicht um den Abbé, und das war gut so, denn für kalte, dunkle Winternachmittage gab es keinen besseren Ort als Iwas Kaminstube. Wenn sie erzählte, hatte man das Gefühl, all die Hexen, Feen und Zwerge schauten ihr über die Schulter, und man empfand ein wohliges Gruseln.

»Die Groac’h ist noch im Brunnenschacht gefangen«, meinte Dustin. »Es sei denn, jemand hat den Stein vom Rand genommen.«

Die Geschichte der Hexe Groac’h hatte besonders die Gemüter der Jungen erregt. Schön war sie gewesen, eine Fee mit langem, seidigem Haar und Augen wie blaue Edelsteine. Großtante Iwa hatte auch ihren weißen Körper beschrieben, da hatten die Knaben verlegen gegrinst, die Ohren aber weit aufgesperrt. Wenn die Frauen in den alten Geschichten schön waren, dann handelte es sich ganz sicher um arge Huren und Sünderinnen. Die Groac’h war eine Fee und konnte zaubern. Sie nahm sich jede Nacht einen anderen Mann, den sie am Morgen in ein Tier verwandelte. Dafür machte Gott sie zur Strafe zu einer scheußlichen Hexe und sperrte sie in den Brunnenschacht. Solange der Stein mit dem eingeritzten Kreuzzeichen auf dem Brunnenrand lag, war sie an diesen Ort gebannt. Manchmal, wenn der Wind über Wald und See fegte, konnte man die Groac’h im Brunnen heulen hören.

»Leid tut sie mir schon«, meinte Sema nachdenklich. »Es muss da drinnen ziemlich feucht und modrig sein.«

»Ja«, stimmte Connan zu. »Voller Frösche und Asseln. Sicher auch Wasserspinnen.«

»Und eng … Und ganz dunkel …«, erweiterte Dustin die Szene.

»Tja – das kommt davon. Sie hat’s aber auch gründlich verdient«, fand Connan. »Dass sie bis zum Jüngsten Gericht da unten sitzt, ist nur gerecht.«

Maelle war anderer Ansicht. Schon weil sie sich über Connan ärgerte. Wieder einmal war er auf der guten Seite. Es war gerecht. Die Hexe hatte es verdient. Für ihn war die Welt so leicht zu verstehen, es gab Gut und Böse, mehr nicht.

»Ich finde, dass sie lange genug gebüßt hat. Tausend Jahre oder mehr – das reicht ja für drei Sünder und zwei Teufel aus …«

Sema fing an zu lachen. Dann stand sie Maelle zur Seite. Jawohl, die arme Groac’h hatte lange genug im Brunnen gesessen.

»Was meinst du, Dustin? Sollten wir den Stein wegnehmen?«

»Unbedingt«, fand Dustin.

Connan grinste überlegen und meinte, es sei jetzt langsam Zeit, ins Dorf zurückzukehren. Tatsächlich war die Sonne hinter die hohen Baumwipfel gesunken und das Licht, das durch das Gezweig blitzte, warf unstete Streifen über den dunkler werdenden See. Auf dem Dorfplatz würde man jetzt die Lampions und Kerzen anzünden, Teller mit Fisch, Wurststücken und Brot würden aufgetragen, die Gläser mit Bier und Cidre, wohl auch mit Calvados und anderem gefüllt. Man saß nach einem Pardon oft noch lange beieinander, schwatzte, phantasierte, lachte – mitunter wurde auch gestritten oder es gab eine richtige Prügelei. Connan, der seit einem Jahr mittrinken durfte, zog es jetzt dorthin.

Sie klopften Sand und kleine Steinchen aus den Kleidern, bevor sie losgingen, Sema nahm den Teller, Maelle das Küchentuch. Ohne sich abgesprochen zu haben, liefen sie am Seeufer entlang, stiegen über umgestürzte Stämme, kämpften sich durch hohes Gras. Der Waldweg, der im Bogen zum Dorf hinüberführte, hätte weniger Hindernisse geboten, außerdem war er der erlaubte Weg, während sie nun dem Kloster zustrebten. Doch heute war nicht der Tag der erlaubten Wege.

Die Enten hatten schon die Köpfe unter die Flügel gesteckt. Als sie die Eindringlinge hörten, starrten sie sie mit erstaunten, glänzenden Augen an, einige quakten verärgert. Zwei ängstliche Erpel flogen über den See zum anderen Ufer.

Marno blieb bei den bemoosten Steinblöcken stehen, kreuzte die Arme vor der Brust und sah Maelle herausfordernd an.

»Du willst also, dass der Stein fortgenommen wird, ja?«

Maelle blieb verblüfft stehen und wechselte einen Blick mit Sema. Was war denn in Marno gefahren? Der zählte doch sonst nicht zu den Waghalsigen.

»Was meinst du damit?«, fragte Maelle unsicher zurück.

»Wenn du das willst, dann geh ich hinein und lege den Stein auf die Erde.«

Marno, der sommersprossige Schlacksel mit dem Rotschopf, er wirkte plötzlich wie einer, der zu allem entschlossen war. Es war so beeindruckend, dass Maelle verstummte. Auch den anderen fiel nicht viel ein, nur Dustin murmelte:

»Wir dürfen da nicht rein … da gehen die Geister um …«

Marno wartete ein Weilchen, mit gekreuzten Armen und festem Blick. Aus dem rötlichen Haarschopf ragten die noch röteren Ohren. Trotzdem erschien er Maelle sehr beeindruckend, wie er da stand. Als alle schon glaubten, er würde mit dem Quatsch aufhören, drehte er sich um und kletterte über die bemoosten Steine, die einmal zur Klostermauer gehört hatten.

»Der macht das tatsächlich …« flüsterte Connan, mehr erstaunt als bewundernd.

Atemlos sahen sie zu, wie Marno zwischen die blühenden Hortensienbüsche kletterte, kratziges Weißdorngezweig beiseiteschlug, über Steinbrocken stieg. Der Brunnen war jetzt im Sommer völlig zugewuchert. Im Winter, wenn alles kahl war, sah man ihn besser.

»Marno!«, rief Maelle, die es mit der Angst bekam. »Marno, komm zurück!«

Er antwortete nicht, verschwand im dunklen Wacholdergestrüpp. Tauchte nicht wieder auf.

»Und wenn die Hexe ihn geholt hat?«, wisperte Dustin.

»Die Hexe wohl nicht«, meinte Connan. »Die sitzt ja im Brunnen. Aber der Teufel.«

Sema stellte den Teller auf einen Stein und kletterte über die Mauerreste. Maelle folgte ihr, weil sie begriff, dass Sema ihrem Bruder gegen den Teufel beistehen wollte. Was sehr mutig von ihr war, daher würde sie Hilfe brauchen. Auch die beiden Jungen stiegen jetzt über die bemoosten Ruinen, allerdings plagte sie weniger die Sorge als die Neugier.

»Marno! Tu’s nicht! Lass den Stein liegen …«, rief Maelle, so laut sie konnte.

Ihre Stimme klang dumpf – Gras, Moos und das alte Gemäuer dämpften den Ton. Von irgendwoher war ein Summen zu hören, zunächst fein, dann lauter, feindlich, gefährlich. Gezweig knackte, ein Schrei erklang, eine wild gewordene Windmühle stürzte auf sie zu. Marno wedelte mit beiden Armen durch die Luft, rannte an ihnen vorbei, stolperte, raffte sich auf, kämpfte immer weiter mit wütenden Armschlägen gegen einen unsichtbaren Feind.

Sema begriff als Erste. Sie fasste Marno bei der Hand und riss ihn und die anderen mit sich fort. Zum See hinunter. So schnell wie möglich. Ins Wasser hinein und untertauchen. Anders konnte man sich vor einer Schar wütender Wespen nicht retten.

Einer nach dem anderen liefen sie in den See hinein, tauchten unter, spritzten, schwammen zum anderen Ufer hinüber, wo sie die Plagegeister endlich loswurden.

»Und?«, fragte Sema später, als sie nass und von Wespenstichen angeschwollen heimwärts gingen. »Hast du den Stein weggenommen?«

Marno war so zerstochen, dass er vor Schmerz kaum sprechen konnte. Er schüttelte nur den Kopf.

1

PLOUVAN, SOMMER 1939

Die Kartoffelpflanzen waren in Reihen angeordnet und angehäufelt, die Rinnen dazwischen schon wieder voller Unkraut.

Maelle zog ihr Kopftuch zurecht, das über das linke Ohr gerutscht war, und warf einen besorgten Blick zum Himmel. Von Westen zog dunkles Gewölk heran – sie würden wieder einmal nass werden. Ihre Mutter, die zwei Reihen neben ihr die Hacke schwang, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Mari LeHaziff war eine kleine, gedrungene Frau. Wenn sie das Unkraut aus dem Boden zog, bückte sie sich aus der Hüfte heraus, knickte einfach mit gespreizten Beinen nach vorn, ohne die Knie zu beugen. Alle Bäuerinnen in der Gegend bückten sich auf diese Weise, es schonte die Knie, hieß es. Maelle fand jedoch, dass es peinlich aussah, wenn die Frauen ihre Kehrseite so hochstreckten.

Sie hatte mit Sema oft Witze darüber gemacht. Sema hasste die Landarbeit, das eintönige Unkrautjäten auf den von Hecken umschlossenen Äckern, das mühsame Ernten des Buchweizens, das Dreschen, Heumachen, das schweißtreibende Rühren beim Marmeladekochen. Sema war gerade einundzwanzig geworden, sie wollte so schnell wie möglich fort aus Plouvan. Nach Morlaix. Oder Brest. Vielleicht auch Lannion. Auf jeden Fall in eine Stadt, wo man eine »anständige« Arbeit finden konnte. Eine Arbeit, bei der man nicht ständig mit rissigen Händen und dreckgeränderten Fingernägeln herumlief.

»Mach zu!«, rief die Mutter streng zu Maelle hinüber. »Steh nicht herum und träum!«

Maelle hackte emsig, sammelte das Unkraut aus dem Boden, warf es in den Korb, hackte weiter, sammelte, warf es in den Korb. Der war jetzt voll, sie musste ihn auf die Schulter heben und an dem dafür vorgesehenen Platz dicht bei der Hecke ausleeren. Im Vorübergehen sah sie, dass einige der Kartoffelpflanzen schon weiße Blüten hatten. Ein roter Käfer war unvorsichtig genug, sich erwischen zu lassen. Kartoffelkäfer musste man sofort umbringen, denn wenn sie sich vermehrten, konnten sie die Ernte verderben. Sie fraßen das ganze Kraut ab, sodass die Knollen im Boden nicht richtig gediehen.

Mutter und Tochter hielten sich wacker, schafften es bis zur letzten Reihe, leerten noch ihre Körbe aus und legten die Gerätschaften auf die hölzerne Schubkarre. Wind war aufgekommen, er trieb feinen Nieselregen herbei. Der lange Rock der Mutter bauschte sich, während sie die Karre den Weg entlang zum Dorf schob. Maelle ging hinter ihr her, fröstelte ein wenig und überlegte schon, wie sie nach dem Abendbrot noch schnell in die Scheune der Tabarly entwischen könnte. Es gab ein paar Dinge, die sie unbedingt mit Sema besprechen musste.

»Maelle!« Die Mutter drehte sich um und ruckte auffordernd mit dem Kopf. Geh neben mir her, ich will mit dir reden, bedeutete die Geste. Maelle gehorchte, wenn auch unwillig. Was Mamm ihr zu sagen hatte, konnte sie sich denken. Schließlich redete sie seit Wochen von nichts anderem.

Dieses Mal zog die Mutter die Angelegenheit von einer neuen Seite auf.

»Es wird Krieg geben, Maelle.«

Ach du lieber Herr Jesus! Immer diese Unkenrufe. Wahrscheinlich kam das daher, weil die Eltern den Weltkrieg noch in Erinnerung hatten. Da waren zehn oder elf junge Männer aus Plouvan umgekommen, man konnte ihre Namen auf dem Gedenkstein bei der Kirche lesen. Joel Seznec hatte einen Arm verloren und Ael, der Vater von Joanna Prigent, war mit einem Holzbein zurückgekommen. Als ob irgendjemand Lust auf einen neuen Krieg haben könnte!

»Wer sagt das, Mamm?«

Ihre Mutter bugsierte die Schubkarre durch eine tiefe Pfütze, die Hacken klapperten, einer der Körbe fiel herunter. Maelle beeilte sich, ihn aufzuheben und zurück auf die Karre zu stellen. Der Nieselregen wurde stärker, ihre Mutter beugte sich vor, um das Gesicht mit dem Ärmel zu wischen.

»Patrik hat es gesagt …«

Maelle lachte ungläubig. Patrik Tabarly, ihr Nachbar, bekam aus Morlaix eine Wochenzeitung geschickt, die nach Ansicht seiner Frau Armelle die pure Geldverschwendung war. Aber Semas Vater war der Ansicht, dass man auf dem Laufenden sein musste, sonst machten die da oben in Paris, was sie wollten.

»Patrik – der sagt heute dies und morgen das«, erwiderte sie leichthin. »Je nachdem, was er gerade in der Zeitung gelesen hat.«

Aber Mamm schüttelte stur den Kopf. Nein, dieses Mal war es ernst. »Tante Iwa hat es auch gesagt …«

Maelle zuckte die Schultern. Tante Iwa sollte besser bei ihren Geschichten bleiben, dachte sie, wagte aber nicht, es laut zu sagen, um Mamm nicht aufzubringen. Ihre Mutter gab viel auf Tante Iwas Meinung; sie behauptete, Iwa habe schon oft Dinge vorhergesagt, die später eingetroffen seien. Maelles Einwand, dass Tante Iwa auch viel erzählt habe, was sich als Irrtum erwies, ließ Mamm nicht gelten.

»Warten wir es einfach ab, Mamm. Wir können es ja doch nicht ändern«, meinte Maelle versöhnlich.

»Ändern können wir es freilich nicht«, gab die Mutter zurück. »Aber Vorsorge treffen, das können wir …«

Ah, daher wehte der Wind. Maelle warf einen abschätzenden Blick zum Dorf hinüber. Wenn sie nur schon auf dem Hof wären, da könnte sie rasch die Hühner in ihren Stall sperren, damit der Fuchs sie über Nacht nicht holte. Mamm würde Schubkarre und Geräte in der Remise verstauen und darüber ihre Predigt vergessen. Aber leider war es noch ein gutes Stück bis zum Dorf, und die Mutter schien es nicht eilig zu haben.

»Verstehst du, Maelle? Vorsorgen für den Hof, für den Besitz. Damit es weitergeht, auch wenn unsere Männer wieder in den Krieg ziehen müssen …«

Maelle ging schneller, es half jedoch nichts, weil ihre Mutter nicht mitzog. Stattdessen blieb sie mitten auf dem Weg stehen, stellte die Schubkarre ab und richtete das Kopftuch.

»Wir werden nass, Mamm …«

»Ist das deine einzige Sorge?«, fuhr die Mutter sie zornig an. »Ich will jetzt endlich von dir wissen, ob du zu Verstand gekommen bist. Marno hat gestern mit deinem Tad geredet …«

Maelle drehte sich ärgerlich zur Seite. Dieser Feigling! Ging zu Tad, um hinter ihrem Rücken zu verhandeln. Anstatt zu ihr zu kommen. Na, dem würde sie was erzählen!

Die Mutter war aber noch längst nicht fertig. Sie packte Maelle beim Arm und zwang sie, ihr ins Gesicht zu sehen.

»Worauf wartest du? Auf einen Prinzen? Einen schönen Ritter, der für dich in den Kampf reitet? Wach auf, Maelle! Wir leben nicht im Wolkenland, sondern hier in Plouvan. Marno ist der Hoferbe, und er will dich zur Frau nehmen. Das ist ein großes Glück für dich. Der Besitz der Tabarly ist dreimal so groß wie der unsere, du wirst also eines Tages die reichste Bäuerin von Plouvan sein …«

»Ja, Mamm …«

Wenn ihre Mutter sich so in Rage redete, hatte es wenig Zweck zu widersprechen. Und natürlich – es war alles sehr vernünftig, was sie da sagte. Mamm war überhaupt eine vernünftige Frau, von ihr hatte Connan seine nüchterne Art. Connan, der so gerne Sema geheiratet hätte. Nicht nur, weil er in sie verliebt war. Connan hatte ganz sicher auch an die Mitgift gedacht …

»Was ist los?«, fuhr die Mutter aufgebracht in ihre Gedanken hinein. »Bekomme ich eine Antwort?«

»Was willst du denn hören, Mamm?«

Die ausweichende Gegenfrage machte die Mutter erst richtig wütend. Sie riss an Maelles Arm, schüttelte sie, schalt sie ein freches Ding. »Dass du Marno dein Jawort geben wirst, das will ich hören!«

Maelle stand mit gesenktem Kopf, wischte sich das regennasse Gesicht mit dem Handrücken, zog den Knoten ihres Kopftuchs fest.

»Aber das kann ich dir nicht versprechen …«

Die Mutter ließ ein tiefes, zorniges Stöhnen hören. Es klang wie: Dieses Kind bringt mich noch ins Grab. »Und warum nicht?«

»Weil … weil ich … Er hat mich ja nicht einmal gefragt!«

Dieses Argument schien der Mutter einzuleuchten. Sie nickte und fasste die hölzernen Griffe der Schubkarre.

»Am Sonntag nach der Messe wird er es tun.«

Maelle gab keine Antwort, und auch die Mutter schien nichts hinzufügen zu wollen. Sie hob die Karre an und setzte den Weg fort. Am Sonntag also. Falls Marno den Mut aufbringen würde. Aber wenn er schon mit Tad geredet hatte, dann schien er jetzt wirklich Ernst zu machen.

Maelle hatte im Grunde nichts gegen Marno. Er war ein lieber Kerl, immer hilfsbereit, immer rücksichtsvoll. Ein freundlicher Schatten, ein sanfter Begleiter ohne eigenen Willen, dienstfertig, unsichtbar, langweilig. Nur selten unternahm er den Versuch, etwas Besonderes zu wagen. Etwas, was die anderen beeindrucken könnte. Damals, als sie im See gebadet hatten – wie lange war das jetzt her? Fast neun Jahre – du liebe Zeit. Da hatte er ganz plötzlich den Helden spielen wollen. Es war ihnen allen jedoch schlecht bekommen. Besonders Marno hatte es damals schlimm erwischt. In der Nacht musste Tad ihn ins Krankenhaus nach Morlaix fahren, weil Marno keine Luft mehr bekam und sie Angst hatten, er könnte sterben. Danach hatte er nur noch zweimal den Angeber gemacht. Einmal im darauffolgenden Winter. Da hatte er mit Connan gewettet, er könne auf dem dünnen Eis bis zur Mitte des Sees gehen. Natürlich war er eingebrochen, Connan hatte vorsichtshalber schon ein langes Seil mitgebracht, damit sie ihn herausziehen konnten. Das andere Mal – vor vier Jahren – hatte er bei Erwan LeBlochs Hochzeit zu viel getrunken und sich geprügelt. Er war sogar auf Dustin losgegangen. Connan und Tad hatten den wild um sich schlagenden Rotschopf schließlich gepackt und in die Remise gesperrt, damit er dort wieder nüchtern wurde. Die Zeit danach hatte er kaum gewagt, Maelle anzuschauen, so sehr schämte er sich. Sie hatte das rührend gefunden, Sema aber war ärgerlich auf ihren Bruder gewesen.

»Es ist schade, dass er solch ein Dummkopf ist. Eigentlich hättet ihr beide doch gut zueinander gepasst.«

»Eigentlich hätte Connan doch gut zu dir gepasst, Sema …«

»Ganz bestimmt nicht!«

»Siehst du!«

Ganz früher, als sie noch kleine Mädchen waren, hatten sie sich vorgestellt, dass jede den Bruder der anderen heiraten würde, damit sie für immer nebeneinander wohnten. Damals erschien ihnen eine Heirat die einfachste Sache der Welt. Man ging miteinander in die Kirche, dann wurde ein großes Fest im Dorf gefeiert, und schon war man Mann und Frau. Maelle wollte zwei Töchter und einen Sohn haben, Sema fand drei Söhne und eine Tochter besser. Die würden dann natürlich miteinander spielen, mal hüben, mal drüben, so wie sie es auch hielten …

Die schöne Vorstellung bekam erste Risse, als sie in die Schule kamen und Sema sich in Erwan verliebte. Sie war sechs Jahre alt und er neun, aber sie liefen miteinander über die Apfelwiesen, und Sema küsste Erwan auf den Mund. Später lachte sie darüber und meinte, es seien nur Kindereien gewesen. Aber sie wisse jetzt, dass man verliebt sein musste, um einen Mann zu heiraten.

Maelle war damals sehr traurig gewesen, weil Sema behauptete, sie könne auf keinen Fall Connans Frau werden, weil sie ihn nicht liebte. Maelle hielt noch ein wenig länger an ihrem kindlichen Plan fest – erst als sie zwölf war und ein Buch über die Artussage in die Finger bekam, war Marno als Ehemann aus dem Rennen. Mit heißen Wangen las sie von Lanzelot und Guinevere, von König Artus und den tapferen Rittern der Tafelrunde, von Merlin, dem Zauberer, der von der Fee Viviane verführt wurde und in ewigen Schlaf sank.

Nein, sie war nun genau wie Sema der Meinung, dass man ohne Liebe nicht heiraten durfte. Und Marno hatte leider nichts an sich, was Maelle dazu veranlasst hätte, sich in ihn zu verlieben.

Die Vorstellung, sich von ihm anfassen und küssen zu lassen, war nicht angenehm. Und das andere, von dem sie inzwischen ziemlich genau wussten, wie es ablief, das mochte Maelle mit Marno schon gar nicht tun. Sie hatten Erwan und seine Braut Annik dabei beobachtet. Sie taten es an einem Sommerabend auf der Apfelwiese, und sie stöhnten so laut dabei, dass Joel Prigent, der Besitzer der Wiese, herbeilief und sie davonjagte.

Nur die Eltern, vor allem die Mütter, hielten an dem längst vergessenen und verworfenen Plan fest. Weil es vernünftig sei. Und weil die Liebe oft nach der Hochzeit käme. So sei es im Dorf schon immer gewesen.

»Ein Strohfeuer ist das, was du für Liebe hältst«, hatte die Mutter gesagt. »Stroh ist leicht angezündet und brennt rasch aus. Für ein gutes Kaminfeuer aber braucht man trockenes, abgelagertes Buchenholz, man muss die Scheite sorgfältig aufschichten und nur obendrauf eine Schicht Reisig legen. Wer solch ein Feuer entzündet, der kann lange Zeit im Warmen sitzen …«

Tatsächlich aber hatte Tad ihr einmal verraten, dass er seinerzeit ganz verrückt nach der hübschen, lebhaften Mari gewesen sei. Das Feuer musste damals ziemlich hoch gelodert haben, denn Connan kam schon sechs Monate nach der Hochzeit zur Welt.

Zu Mamms Plänen sagte Tad nichts. Er überließ diese Dinge seiner Frau und würde sich erst einmischen, wenn es ernst war und ein Vertrag ausgehandelt wurde. Das machten alle Väter so.

Am Abend saßen sie wie immer am langen Tisch vor dem Kamin, in dem heute sogar ein Feuer brannte. Großtante Iwa hatte darum gebeten, weil ihr oft kalt war, sogar im Sommer, wenn eigentlich kein Holz verbraucht werden musste. Sie war alt geworden, die Großtante, nur selten erzählte sie noch ihre Geschichten, und wenn sie es tat, dann redete sie leise und sehr langsam. Das lag daran, dass sie kaum noch Zähne im Mund hatte. Aber sie thronte immer noch auf ihrem Platz gleich neben Tad, der vorn beim Kamin saß und von Mamm immer als Erster den Teller gefüllt bekam. Mamm hatte ihm gegenüber ihren Platz, dann kamen die Kinder: Connan und Dustin saßen bei Tad, Maelle neben ihrer Mutter. Danach die beiden Mägde, Swana und Annik, auf der anderen Tischseite der alte Tin, der die Kühe versorgte, und der Hütejunge. Meist auch zwei oder drei Knechte, die im Sommer bei der Ernte halfen und dafür bezahlt wurden. Im Herbst mussten sie gehen, weil man sie im Winter nicht mit durchfüttern konnte.

Kamen Gäste, dann setzte man sie dazwischen. Wobei Mamm streng darauf achtete, dass die Rangfolge eingehalten wurde. Immer saßen die Knechte und Mägde am unteren Ende des langen Tisches, und wenn der Platz auf den Bänken knapp wurde, dann mussten sie eben zusammenrücken.

Maelle liebte diese gemeinsame Abendmahlzeit. Die Arbeit war getan, man hatte das Recht, auszuruhen, lustig zu sein, auch genügend Cidre zu trinken. Die Kinder schwatzten drauflos, lärmten, zogen die Köpfe ein, wenn sie zurechtgewiesen wurden, um gleich darauf unbefangen weiterzureden. Mamm füllte die Teller mit Eintopf, der Korb mit Brot wurde herumgereicht, Krüge mit Wasser und Cidre machten die Runde. Wenn aber Tad etwas mit lauter Stimme sagte, herrschte augenblicklich Ruhe und alle hörten ihm zu. Meist ging es dann um die anstehenden Arbeiten, zu denen er die Knechte einteilte, um Kühe und Kälber, weggelaufene Schafe oder Hühner. Es kam auch vor, dass die Knechte nicht in Frieden miteinander waren, dann wies er den einen oder anderen zurecht. Fortgeschickt hatte er noch keinen. Sie waren junge Burschen, Bauernsöhne oder auch Fischer, die daheim kein Erbteil erwartete und die ihr Glück auf eigene Faust suchen mussten. Der eine oder andere hatte Maelle Blicke zugeworfen, ihr auch zugelächelt, doch die Mutter hatte stets dafür gesorgt, dass es dabei blieb.

Heute war das leidige Thema »Krieg« an der Reihe, das – wie es schien – nicht nur Patrik Tabarly umtrieb, sondern auch Tad beschäftigte.

»Sie sind gefährlich, die Deutschen«, sagte Tad zu Connan. »Glaub es mir. Auch wenn wir sie zu Boden gezwungen haben – sie stehen wieder auf und marschieren …«

»Ach, Tad«, meinte Dustin. »Wenn die Deutschen tatsächlich marschieren, dann bestimmt gegen die Russen.«

Dustin war erst achtzehn, mit dem Mundwerk war er schon immer flott gewesen. Er glich Maelle und der Mutter, hatte blaue Augen und dunkles Haar, ein hübscher Bursche, nach dem sich die Mädchen heimlich umsahen. Der Vater rührte bedächtig in seinem Eintopf und gab keine Antwort. Connan schwieg ebenfalls. In Tads Gegenwart redete er erst, wenn er ganz sicher war, das Richtige zu sagen.

»Die Deutschen«, ließ sich jetzt Großtante Iwa undeutlich hören. »Gib ihnen eine Blechdose und sie machen eine Kanone daraus …«

»Kanonen haben sie schon lange, Iwa«, meinte Dustin unverdrossen. »Aber keine aus Blech. Richtige. Aus Eisen. Und auch Panzer. Weißt du, was ein Panzer ist, Großtante? Das ist ein kleines Haus aus Stahl mit Rädern drunter und einer langen Kanone obendrauf. Darin sitzen Soldaten, die die Kanone bedienen …«

Mamm warf Dustin einen zornigen Blick zu, denn die Großtante ließ vor Schreck den gefüllten Löffel unter den Tisch fallen. Man hörte den Hund schmatzen.

»Keine Räder«, sagte Tad. »Ein Panzer hat Ketten. Er kriecht wie eine Raupe. Ich habe einmal einen Panzer gesehen, damals im Krieg. Wie große Blechkäfer sehen sie aus …«

Er schien noch mehr sagen zu wollen, doch er hielt inne und schwieg. Tad hatte nur selten vom Weltkrieg erzählt, nur dass er in Italien und in Belgien gewesen sei. Auch an der Marne. Später in Deutschland. Als Kriegsgefangener.

»Warum sollten sie Krieg machen, jetzt, wo sie keinen Kaiser mehr haben?«, fragte eine der Mägde vorwitzig.

»Weil sie jetzt den Monsieur Ittler haben«, gab ein junger Knecht zurück. »Der ist der neue Kaiser der Deutschen. Die sagen auch nicht mehr ›Bonjour‹. Die sagen ›Eil Ittler‹ und dabei machen sie so mit dem Arm …«

Er streckte den rechten Arm aus und fuhr der Magd dabei an die Brust. Sie wich zurück und schalt ihn aus, die anderen lachten.

»Die sollen es nur versuchen«, sagte Tad und hielt Mamm den leeren Teller hin. »An der Grenze, da steht eine Festung neben der anderen. Da kommen sie nicht durch. Auch nicht mit ihren Panzern …«

»Maginot« hieß das Zauberwort, das hatte Patrik Tabarly immer wieder gesagt, weil es in der Zeitung stand. Die Maginot-Linie. Da war kein Durchkommen für die deutschen Soldaten. Wie die Hasen würden die französischen Soldaten sie da abschießen. Frankreich war sicher. Und die Bretagne sowieso.

2

Es regnete immer noch, als Maelle über die niedrige Mauer stieg, die den Hof der LeHaziff vom Anwesen der Tabarly trennte. Die Steine, auf die sie die Füße beim Hinüberklettern setzte, waren von unzähligen Tritten abgeschliffen. Jetzt, da sie nass waren, musste man aufpassen, dass man nicht ausglitt.

Komisch, dachte sie. Als ich klein war, erschien mir diese Mauer gewaltig. Connan stieg damals einfach drüber und lachte mich aus. War es nicht Marno, der mir gezeigt hat, wie man die Füße setzt? Ja, das könnte sein. Ich glaube, er hat es auch Sema und Dustin gezeigt. Connan hat sich nie um die jüngeren gekümmert, das war immer Marno …

Der ausgetretene Pfad führte hinter dem Komposthaufen vorbei und an den Gemüsebeeten entlang bis zur Rückseite der nachbarlichen Scheune. Eine Windböe schüttelte die Johannisbeerbüsche, und Maelle musste die Kapuze ihres Regencapes festhalten, sonst wäre sie ihr vom Kopf gerissen worden. O weh – das nasse Wetter würde den Buchweizen niederdrücken und vielleicht auch die Zwiebeln faulen lassen. Es würde wohl kein gutes Jahr werden. Sie sah sich nach dem elterlichen Wohnhaus um, bevor sie die Leiter zum Schlupfloch hinaufstieg. Unten beim Kamin war noch Licht in den Fenstern, das konnten nur Mamm und Tad sein, denn die Mägde und Knechte waren schon hinüber zum Stall gegangen. Sie schliefen dort auf dem Zwischenboden, da war es immer gut warm.

Während sie hinaufstieg, riss der Wind an Regencape und Rock. Beinahe hätte sie einen der alten Holzschuhe verloren. Die trug man bei solchem Wetter, um die teuren Lederschuhe nicht dreckig zu machen. Das Türchen, durch das man auf den Scheunenboden gelangte, hatte Patrik LeHaziff vor Jahren eingebaut, als hier noch der alte Ziegenstall stand. Es war praktisch, denn so konnte man den Ziegen das Heu einfach hinunterwerfen. Inzwischen gab es einen neuen, größeren Ziegenstall auf der anderen Seite der Scheune – das Türchen aber war geblieben.

Maelle ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie eigentlich schon zu alt für solche Dummheiten war. Sie war eine erwachsene Frau. Ob ihr das nun gefiel oder nicht. Die Zeiten, als Sema und sie im Heuversteck saßen, geklauten Kuchen aßen und beim Licht der Stalllaterne Bücher schmökerten, waren vorbei. Und doch hatten sie beide an diesen heimlichen Treffen festgehalten. Sie waren seltener geworden, manchmal wartete man auch vergeblich auf die Freundin, die Besseres zu tun hatte. Aber wenn sie dann beisammen hockten, im Halbdunkel zwischen den alten Holzbalken, in ihrem Nest aus knisterndem Heu – dann war die alte Vertrautheit wieder da. Es gab niemanden auf der Welt, dem Maelle so bedingungslos und offen alle ihre Gedanken anvertraute, wie Sema. Und umgekehrt war es genauso.

Ein schwaches Licht schimmerte durch das Heu – sie war da! Maelle stieg eilig durch die Öffnung und zog das Türchen hinter sich zu, damit der Regen nicht eindrang.

»Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr«, seufzte Sema, die mit angezogenen Beinen neben der Laterne hockte und ein Zeitungsblatt studierte.

»Musste noch abwaschen …«

Maelle nahm das triefende Regencape ab und ließ sich neben Sema nieder. Sie fröstelte ein wenig, es war jedoch ein angenehmes Gefühl und hatte nichts mit der abendlichen Kühle zu tun. Man hörte, wie der Regen auf das Scheunendach trommelte, ab und zu strich eine Windböe heulend um die Scheune, irgendwo klapperte ein loses Brett.

»Liest du etwa auch von diesem dummen Krieg, der angeblich bald ausbricht?«, wollte Maelle wissen.

»Krieg?«, meinte Sema und schüttelte den Kopf. »Das ist doch dummes Geschwätz. Manchmal denke ich, dass mein Tad alt wird. Er hat ständig Angst vor irgendeinem Unglück. Krieg. Krankheit. Sturm. Überschwemmung …«

Beide kicherten fröhlich, lehnten sich eng aneinander und fühlten sich geborgen in ihrem Nest. Es bestand aus einem Rest vom Vorjahresheu, und da die Tiere nun schon lange draußen auf den Weiden waren, würde es ihnen noch ein Weilchen zur Verfügung stehen. Ende Juni wurde wieder Heu gemacht, dann zerstörten die Knechte die kleine Mulde und sie mussten sich eine neue bauen.

»Da, schau – ich habe das Blatt wegen der Anzeige mitgenommen«, sagte Sema und deutete mit dem Finger auf einen dunkel umrandeten, fett gedruckten Text.

Neugierig nahm Maelle die Zeitung in die Hand. Da suchte eine Fabrik Arbeiterinnen. In Morlaix. Eine Fischfabrik. Acht Stunden am Tag, drei bezahlte Urlaubstage, Schichtarbeit, gute Bezahlung …

»Äh!«, meinte sie und verzog das Gesicht. »Da muss man stinkende Fische aufschneiden und die Innereien rausholen. Acht Stunden am Tag. Widerlich. Willst du dich etwa bewerben?«

Sie hatte die Frage nicht ernst gemeint und war verblüfft, als Sema entschlossen nickte.

»Für den Anfang ist das gar nicht schlecht, Maelle. Ich bin nicht empfindlich, ich kann zupacken. Acht Stunden bei guter Bezahlung. Da bleibt noch Zeit …«

»Die wirst du auch brauchen, um den Fischgeruch abzuwaschen.« Maelle schmunzelte. Es war nicht das erste Mal, dass Sema plante, aus Plouvan fortzugehen. Natürlich hatten ihre Eltern gehofft, sie würde Connan heiraten. Dann wäre alles ganz einfach gewesen. Aber Sema mochte Connan nicht leiden, und Maelle, die ihren Bruder kannte, konnte das gut verstehen. Sema hatte eine Weile gehofft, in einem Hotel in Huelgoat Arbeit zu finden. Dort verkehrten viele Touristen, reiche Engländer vor allem, die gute Trinkgelder gaben. Aber es gab schon zu viele Mädchen aus den umliegenden Dörfern, die dort in Stellung gehen wollten – Sema hatte kein Glück gehabt. Auch der Brief an eine entfernte Tante in Brest blieb erfolglos – sie antwortete einfach nicht. Schließlich hatte Sema vorgehabt, einfach auf gut Glück nach Morlaix zu fahren und sich dort eine Stellung zu suchen. Aber das hatten ihre Eltern verboten. Sie war noch nicht volljährig, und Geld für die Reise würde sie auch nicht bekommen.

»Hier auf dem Hof brauchen wir jede Hand«, hatte Armelle, ihre Mamm, gesagt. »Schlag dir die Dummheiten aus dem Kopf!«

Sie hatte wieder zu hören bekommen, dass Anne LeCunff und Britt Guézennec vor Jahren nach Morlaix gegangen waren und dass sie beide ohne Geld, dafür aber schwanger zu den Eltern zurückkehrten. Und natürlich hatte es zu den Kindern keine Väter gegeben.

»Das ist hundert Jahre her, Mamm!«, hatte Sema gestöhnt. »Heutzutage kann eine Frau einen Beruf lernen, sie muss nicht immer nur als Hausmädchen arbeiten.«

»Einen Beruf?«, hatte Armelle laut gerufen. »Heiliger Mériadeg – schütze mein Kind vor einem Beruf. Sünde ist das, was die Frauen in der Stadt tun …«

Sema und Maelle waren sich darin einig, dass man mit ihren Müttern unmöglich reden konnte. Mari und Armelle waren in manchen Dingen recht unterschiedlich, aber wenn es um die Töchter ging, war die eine so stur wie die andere. Oberste Regel: Die Mutter hatte immer recht. Ganz gleich, worum es ging. Die Mutter kannte das Leben, sie wusste, was gut für die Tochter war. Bei den Söhnen war es anders. Zumindest dann, wenn sie eine tiefe Stimme bekommen hatten und mit ihrem Tad Gespräche über die Welt, die Politik und die Arbeit auf dem Hof führten. Da konnten sich Connan, Dustin und auch Marno bei ihren Müttern viel mehr herausnehmen.

Jetzt wollte Sema also nach Morlaix fahren und in einer Fischfabrik arbeiten. Einfach so. Und ganz sicher gegen den Willen ihrer Mamm.

»Und wie willst du dorthin kommen? Hast du Reisegeld?«

»Ich nicht. Aber du.«

Die Zeitung rutschte Maelle von den Knien. Draußen klapperte das lose Brett im Ansturm des Windes, vermutlich gehörte es zur Remise, da war seit einiger Zeit eine Dachlatte locker.

»Ich?«

Sema kicherte und nahm die Zeitung vorsichtshalber wieder an sich. »Pass auf«, sagte sie verschwörerisch. »Ich habe mir das so gedacht …«

Wie mutig sie war! Nie im Leben hätte Maelle gewagt, einen solch wahnwitzigen Plan auszuhecken. Zumal sie ja gar nicht nach Morlaix wollte. Sie liebte ihr Dorf, die Wälder, die es umgaben, die gewaltigen Felsen, den geheimnisvollen See. War hier nicht der Ort, an dem König Artus und seine Ritter einst umhergezogen waren? Schlief der König nicht dort oben in der Grotte seinen langen Schlaf? Natürlich waren das nur Märchen – aber sie waren in Maelles Gemüt sehr lebendig.

»Warum sollte mir Tante Iwa das Geld für die Reise geben?«

»Sie wird es bestimmt tun, Maelle. Hat sie nicht erzählt, dass sie selbst einmal vor Jahren aus Plouvan fortgehen wollte? Und außerdem bist du ihr Liebling …«

Sema konnte sehr überzeugend sein. Sie und Maelle würden in Morlaix ein Zimmer mieten, hatte sie vorgeschlagen. Mitten in der Stadt in einem schmalen, alten Haus unterm Dach. Dort würden sie gemeinsam wohnen, alles miteinander teilen, sich niemals wieder trennen. An den freien Tagen und am Wochenende würden sie die Stadt erkunden, den Hafen anschauen, in der weiten Bucht von Morlaix den Geruch des Meeres atmen.

»Zunächst arbeiten wir beide in der Fabrik. Wenn wir etwas Geld gespart haben, lernen wir Schreibmaschine schreiben. Es gibt Kurse dafür. Dann können wir in einem Büro arbeiten. Da verdienen wir mehr Geld. Wir kaufen uns hübsche Kleider und moderne Schuhe, lassen uns die Haare beim Frisör legen, gehen in ein Tanzcafé …«

»Du spinnst ja!«, lachte Maelle. »Dir geht es wie dem Mädchen, das den Milchkrug nach Hause trägt und von einem Huhn, einem Schweinchen und dann sogar von einer Kuh träumt. Und weißt du auch, wie die Geschichte ausgeht?«

Sema rollte die Augen. »Das ist eine Lügengeschichte. Glaub mir, Maelle: Wenn man nur fest daran glaubt, dann bekommt man alles, was man haben will.«

»Das sagst du so einfach …«

Sema faltete das Zeitungsblatt zusammen, bis es ganz klein war, und steckte es in ihre Schürzentasche. Zur Bestätigung klopfte sie noch einmal mit der Hand darauf.

»Wenn du nicht mitmachst – ich schaffe es auch allein!«

Maelle schwankte. Am Sonntag will Marno mich fragen, ob ich seine Frau werden will, dachte sie. Und ich werde gewiss nicht Ja sagen. Die Mutter wird wütend sein und mir das Leben schwer machen. Auch Tad wird unzufrieden mit mir sein. Vielleicht finde ich in Plouvan niemals einen Ehemann und bleibe eine alte Jungfer wie Tante Iwa. Und später, wenn Connan den Hof übernimmt, wird er mich zwar durchfüttern, aber zu melden habe ich nichts. Das Sagen auf dem Hof hat Connans Frau. Und das wird nicht Sema sein. Sema ist dann weit fort in Morlaix … Nein, ich mag Sema nicht verlieren!

»Wir müssen sehr vorsichtig sein …«, begann sie langsam. »Mamm darf auf keinen Fall bemerken, was ich mit Tante Iwa bespreche …«

»Also doch? Oh, ich wusste es …«, jauchzte Sema. Sie umarmte Maelle, küsste sie, drückte sie an sich. Sie würde schon sehen, alles würde großartig klappen, es sei viel einfacher, als man es sich so vorstellte. »Wenn wir erst in Morlaix in unserer kleinen Wohnung sitzen … Ach, Maelle! Wir werden frei sein! Kannst du dir das vorstellen? Frei und glücklich. Wie die Vögel, die über dem Meer fliegen und sich vom Wind tragen lassen …«

Maelle verdrückte ein paar Tränen und schmiegte sich an die Freundin. Ihre himmelhohe Begeisterung teilte sie nicht. Vielmehr plagten sie Ängste, sie könnte etwas falsch machen oder die Eltern könnten ihren Plan aufdecken. Und was, wenn die Tante ihr das Geld nicht gab? Die Freiheit, von der Sema schwärmte, schien ihr im Grunde genommen gar nicht so erstrebenswert.

3

Die nächsten Tage verstrichen, ohne dass Maelle den Mut fand, das Gespräch mit der Großtante zu führen. Es war ohnehin wenig Zeit dazu, da es auf den Äckern und im Garten viel Arbeit gab und Mamm sie kaum aus den Augen ließ. Wann immer sie gemeinsam hackten und jäteten, schilderte die Mutter ihr den nachbarlichen Besitz in leuchtenden Farben. Das zweistöckige Wohnhaus. Der neue Ziegenstall. Der Hausgarten. Die Wiesen am Bachlauf. Alles war schöner, größer, fruchtbarer als das, was die LeHaziff aufzuweisen hatten.

»Ein gutes Stück Wald gehört auch dazu. Und der See mit der Klosterruine. Damit ist freilich nicht viel anzufangen – aber wer weiß? Es kommen vielleicht Zeiten, da kann man es günstig verkaufen und steckt einen ordentlichen Batzen Geld ein …«

Geld. Land. Besitz. War das wirklich alles, worauf es im Leben ankam? Maelle hörte der Mutter schweigend zu und nickte an den richtigen Stellen, um sie nicht unnötig aufzubringen. Es würde noch Ärger genug geben, wenn Marno am Sonntag seinen Antrag vorbrachte und sie ihm einen Korb gab.

In den Nächten schlief sie kaum. Sie kam sich schlecht vor, undankbar den Eltern gegenüber, die es doch nur gut mit ihr meinten. Schlimmer noch war der Gedanke, ihr Dorf für immer zu verlassen. Nie mehr im See baden. Nie wieder über die glatten Felsen klettern, die Füße im Silberbach kühlen. Nie mehr die Rehe im Morgendunst auf den Wiesen beobachten. Stattdessen würde sie glubschäugigen Fischen den Bauch aufschneiden und ihre blutenden Innereien herauszerren. Acht Stunden am Tag. Der einzige Lichtblick in dieser trüben Zukunft war das Zusammensein mit Sema. Die Freundin verlor nie den Mut, sie war immer fröhlich, sie war eine starke, verlässliche Kraft an ihrer Seite. Mit Sema zusammen würde sie auch die Fischfabrik ertragen.

Trotzdem vermied sie es, zu dem gemeinsamen Versteck zu schleichen – Sema wartete zwei Abende vergeblich auf sie. Am Samstag schließlich kam Sema hinüber zu den LeHaziff, um einen Topf mit selbst gemachtem Käse zu bringen. Sie schlenderte über den Hof und blieb bei Maelle stehen, die damit beschäftigt war, den Hühnerstall zu reinigen. Es war eine unangenehme Arbeit, weil der Hühnermist so staubig war und sich schlecht zusammenkehren ließ. Außerdem musste man sich vor dem scharfen Schnabel des Gockels in Acht nehmen, der jedes Mal, wenn der Stall ausgekehrt wurde, glaubte, man wolle ihm seine Hennen wegnehmen.

»Hast du sie gefragt?«, wollte Sema wissen. Sie hatte nicht einmal »Guten Morgen« gewünscht, lehnte einfach an der Stalltür, den irdenen Topf mit dem Käse auf die Hüfte gestützt, und blinzelte in den Hühnerkackestaub.

»Noch nicht«, sagte Maelle und hustete.

»Und wann?«

»Heute Abend …«

Sema schüttelte unzufrieden den Kopf. »Sie sitzt drüben unter dem Kirschbaum auf der Bank. Du brauchst nur hinzugehen.«

Tatsächlich saß die Großtante auf der alten Holzbank und hielt ihr Strickzeug in den Händen. Ihre Finger bewegten sich nicht, sie schlief.

»Ich muss erst den Stall sauber machen. Mamm ist in der Küche, sie kann mich durchs Fenster sehen …«

Sema warf einen kurzen Blick zum Küchenfenster hinüber, dann tat sie einen unzufriedenen Seufzer. »Weißt du, was ich glaube? Du willst es gar nicht tun. Das war nur Gerede neulich in der Scheune. Du kannst es mir ruhig sagen, Maelle. Ich bin dir nicht böse, wenn …«

Maelle betätigte den Handfeger so heftig, dass sie von grauem Dunst völlig eingenebelt wurde. Sema verpasste dem vorwitzigen Hahn einen Tritt und rückte den Topf mit Käse zurecht, der schwer auf ihrer Hüfte lastete. Armelle war sehr stolz auf ihren Weißkäse, niemand im Dorf bekam ihn so gut hin wie sie.

»Doch, doch …«, versicherte Maelle. »Ich geh nachher zu ihr. Morgen sage ich dir Bescheid. Ganz sicher. Morgen. Spätestens übermorgen …«

Sema zog die Augenbrauen hoch und wandte sich wortlos dem Wohnhaus zu. Maelle ärgerte sich. Sie glaubte ihr nicht, das war ihr deutlich anzusehen. Wie kam sie dazu? Natürlich würde sie alles daransetzen, das Geld von der Großtante zu bekommen. Schließlich hatte sie es ja versprochen. Aber sie hatte auch gesagt, dass sie dabei vorsichtig zu Werke gehen musste.

Nachdem sie mit den Hühnern fertig war, klopfte sie Rock und Jacke aus und ging langsam hinüber zum Kirschbaum. Großtante Iwa schlief noch immer, das Wollknäuel war von ihrem Schoß gefallen und unter die Bank gerollt. Maelle angelte es darunter hervor, wickelte den Faden auf und setzte sich neben Iwa.

»Deine Wolle, Tante Iwa … Sie war unter der Bank …«

Bei Maelles Anrede fuhr die alte Frau zusammen und erwachte. Ihre Lider waren mit dem Alter faltig geworden, sie konnte die Augen nur noch einen Schlitz weit öffnen. Trotzdem war Iwas Sehkraft immer noch gut, sie wusste, wie viele Tauben auf dem Dach hockten, und brauchte auch zum Stricken keine Brille.

»Bist ein gutes Mädel, Maelle … Dank dir … Bin wieder mal eingenickt. Hörst du es summen über uns? Die Bienen sind Boten der Heiligen Jungfrau … sind aber auch mit Nimue, der Groac’h, gut Freund … Erzählen ihr von Sonne und Blüten … Es wird sie freuen, dort unten im Dunkel …«

Maelle hatte heute ausnahmsweise keine Lust auf die alten Sagen. Solange Mamm sie hier nicht entdeckte und nach ihr rief, musste sie die Zeit nutzen.

»Du hast mal erzählt, dass du von hier fortgehen wolltest, Großtante. Damals, als du noch jung warst …«

Iwa sah hinauf in den blühenden Kirschbaum und bewegte lautlos den Mund. Hatte sie die Frage überhaupt gehört?

»Das stimmt doch, oder nicht?«, setzte Maelle nach.

»Kann mich nicht erinnern.« Iwa nahm sich das Strickzeug wieder vor. Maelle hockte niedergeschmettert neben ihr und sah all ihre Hoffnungen davonfliegen.

»Aber das hast du erzählt, Großtante. Du warst verliebt in einen Seemann aus St. Malo, und du wolltest mit ihm davonlaufen.«

Die alte Frau zählte bedächtig die Maschen auf ihrer Stricknadel. Zwischendurch warf sie Maelle einen belustigten Blick zu. »Mag sein … War so eine Geschichte … Lange her … Hab’s erfunden …«

Erfunden! Sie hatte es erfunden. Maelle war entsetzt. Was mochte sie noch alles erfunden haben? Neben den alten Sagen und Gruselmärchen hatte ihnen die Großtante auch immer wieder Geschichten aus dem Dorfleben erzählt. In einigen kamen sogar ihre Eltern und Großeltern vor … Waren das etwa alles Lügengeschichten gewesen?

Iwa hatte Maelles erschrockene Augen gesehen, und wie es schien, rührte sich jetzt ihr Gewissen.

»Mach dir nichts draus, Mädel. Bin eine alte Frau. Wahr oder erfunden – geht alles durcheinander in meinem Kopf. Und am Ende ist’s auch egal …«

»Egal?«

Die Großtante sah sie durch die schmalen Liderschlitze mit hellen, heiteren Augen an. Sie grinste sogar. »Geschichten werden aus Geschehen gebacken, Maelle. Buchweizen und Honig, der König an der Tafel, Salz dazu, die Hexe im See. Mehl und Eier, die Korrigan in den alten Bäumen, Gargantua wirft seine Felsen, Rosinen in Calvados …«

Die alte Frau kicherte jetzt so heftig, dass sie das Strickzeug loslassen musste, um sich die Augenwinkel zu wischen. Hatte Großtante Iwa möglicherweise den Verstand verloren?

»Schon gut, Mädel …«, krächzte sie. »Nimm’s mir nicht übel. Bist doch mein Liebling, Maelle. Sollst mich beerben, wenn ich einmal gehe.«

Maelle wurde jetzt noch unbehaglicher zumute. Der Gedanke, dass Iwa sterben könnte, gefiel ihr gar nicht. Die Großtante war immer da gewesen, hatte sie und ihre Brüder mit großgezogen. Die Stunden, die sie alle in Iwas Kammer verbracht hatten, waren ihre schönsten Kindheitserinnerungen …

»Du wirst noch lange nicht gehen, Großtante …«

Iwa zählte schon wieder ihre Maschen, doch sie war nicht ganz bei der Sache. »Hab ihn schon gesehen, den schwarzen Mann, der in der Nacht seinen Karren vorüberschiebt. Ancou ist es. Der, dem wir alle einmal begegnen werden. Hat mir versprochen, sanft zu sein …«

Da waren sie wieder, die Geschichten. Ancou, der als Gerippe mit einer Sense in der knochigen Hand auf der Mauer des Kirchhofs zu sehen war. Die Insel Avalon, wo die Toten weiterlebten. Aber auch der Eingang zur Unterwelt, der tief im Nebel verborgen im Sumpfgebiet Yeun Ellez in den Bergen lag …

»Meine Tracht bekommst du, Maelle. Den Rock musst du ein Stück länger machen, die Bluse wird passen. Das Leibstück hab ich selbst bestickt, damals, als ich noch ein Mädchen war. Dazu Schürze und Haube … kennst sie ja. Aus feiner weißer Spitze. Musst sie kochen und danach in Stärke legen …«

Maelle war gerührt und zugleich tief unglücklich. Es war eine große Ehre, dass Iwa gerade ihr die schöne alte Tracht vermachte. Aber was sollte sie damit in Morlaix anfangen? Niemand würde dort eine Tracht tragen. In der Fischfabrik schon gar nicht.

»Dazu will ich dir das Silberstück geben, die alte Münze, auf der noch der große König Ludwig zu sehen ist. Nicht der, den sie geköpft haben … Der andere … der vierzehnte …«

Sie hatte ihnen die kleine Silbermünze schon öfter gezeigt. Man musste sie mit Scheuermilch putzen, dann wurde sie wieder silbern, sonst war sie schwarz. Sie lag in Iwas Kästchen, dort, wo sie die wenigen Dinge aufbewahrte, die nur ihr gehörten.

»Und dann sollst du auch mein Erspartes haben, Maelle …«

Drüben wurde das Küchenfenster aufgerissen und Mamms schweißrotes Gesicht erschien. Sie winkte Maelle. »Was hockst du da und schwatzt? Hol die Wäsche von der Leine und fang schon mal mit Bügeln an. Hast du die Säcke geflickt? Wo ist Dustin? Er soll den Hof fegen – morgen ist Sonntag …«

Maelle nickte eifrig in Richtung Küchenfenster und wollte aufstehen, doch die Großtante hielt sie am Handgelenk fest.

»Für deinen Brautschmuck soll das Geld sein. Eine Kette sollst du dir davon kaufen, mit einem Anhänger aus Silber. Unten im Schrank liegt es, musst ein Brett aufheben, darunter ist das Geld. Sollte einmal für meinen eigenen Brautschmuck sein, hat aber nicht sollen sein.«

Sie krallte ihre Hand so fest um Maelles Handgelenk, dass es wehtat. Dazu kicherte sie zufrieden vor sich hin. »Die schönste Braut, die Plouvan je gesehen hat. So will ich es haben. Bist ein hübsches Ding, Maelle. Und anständig dazu. Hast es verdient, mein Mädel …«

Maelle kam sich unsagbar schlecht vor. So viel Vertrauen. So viel Zuneigung. Ach, sie hatte nichts davon verdient. Sie war eine gemeine, hinterhältige Person, die versucht hatte, der Tante ihr Geld abzuluchsen. Und jetzt schämte sie sich.

»Nun geh«, sagte Iwa und ließ endlich ihren Arm los. »Sonst wird Mari noch blau vor Zorn. Sag, ich hätte etwas mit dir zu bereden gehabt …«

Am Abend schlich Maelle mit schwerem Herzen zur Scheune der Tabarly und erzählte Sema, was das Gespräch mit der Großtante ergeben hatte. »Es geht nicht, Sema. Sie will, dass ich die schönste Braut von Plouvan werde …«

»Warum hast du ihr nicht gesagt, dass du andere Pläne hast?«

»Das hätte sie nicht verstanden …«

Sema tat einen tiefen, ärgerlichen Seufzer. Ganz überzeugt war sie nicht, das sah Maelle ihr an. »Ich sehe es ein«, sagte sie trotzdem und streichelte Maelles Schulter. »Sei nicht traurig. Du hast es immerhin versucht.«

Ein Weilchen saßen sie still beieinander und lauschten auf einen Abendvogel, der oben auf dem Scheunendach sein Lied sang. Im Gebälk der Scheune raschelten und piepsten die kleinen Mäuse, sie hatten Gänge in die Balken gefressen und liefen dort hin und her.