Der Hund, der Wolf und das Geheimnis - Folco Terzani - E-Book

Der Hund, der Wolf und das Geheimnis E-Book

Folco Terzani

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Beschreibung

Eine Fabel über Freundschaft und die Großartigkeit der Natur

Nach dem Bestseller »Das Ende ist mein Anfang«, den er mit seinem Vater Tiziano Terzani kurz vor dessen Tod veröffentlichte, kehrt Folco Terzani nun zurück mit einer spirituellen Fabel.

Darin erzählt er von einem von seinem Herrn verlassenen Hund. Nach Tagen des Hoffens und Bangens trifft er einen Wolf, der ihm zu essen gibt und ihm von etwas Unbeschreiblichem berichtet, das für alle Lebewesen sorgt. Aufgrund der Zweifel des Hundes schlägt er ihm vor: “Geh zur Spitze des Mondberges. Dort wirst du die Antwort finden.“ So macht sich der Hund auf den Weg und viele Abenteuer warten unterwegs auf ihn. Schließlich erreicht er den Mondberg, wo das große Geheimnis auf ihn wartet.

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Seitenzahl: 126

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Folco

Terzani

Der Hund, der Wolf und das Geheimnis

Illustrationen von Nicola Magrin

Aus dem Italienischen von Elisabeth Liebl

Diederichs

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Deutsche Erstausgabe

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Il Cane, il Lupo e Dio

bei Longanesi & c., Mailand

Copyright © 2019 Diederichs Verlag Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Umschlagillustration: Nicola Magrin

Innenillustrationen: Nicola Magrin

Übersetzung: aus dem Italienischen von Elisabeth Liebl

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-23748-6V002

www.diederichs-verlag.de

INHALT

ERSTER TEIL: Der Hund

Verlassen

Das Versprechen

Ein Gefährte

Die Abkürzung

Der Wasserfall

Für eine Schüssel Wasser

Die Nacht bricht an …

Die Wölfe

ZWEITER TEIL: Der Wolf

Der Alte Weg

Die Pilgerfahrt

Die Reinigung

Das Unendliche

Das Gewitter

Das Bankett des Himmels

Der Riese

Die Kunst der Jagd

DRITTER TEIL: Das Geheimnis

Die Stadt

Das Erdbeben

Der Hunger

Die Vision

Der Abschied

Der Mondberg

Für meinen lieben, verlorenen Freund Kapil, den großen König

ERSTER TEIL

DER HUND

VERLASSEN

Verloren hockt ein Hund am Straßenrand. Er ist ausgesetzt worden. Das hübsche glitzernde Halsband, das er mit so viel Stolz getragen hatte, seit er ein Welpe war, hatte sein Herrchen ihm zuvor noch abgenommen. Dann schob er ihn aus dem Auto und fuhr schnell davon. Der Hund blieb, wo er war. Der Arme verstand nicht so recht, was ihm da passierte, und so blieb er einfach unter der Straßenlaterne sitzen.

»Wenn mein Herr mich hiergelassen hat«, dachte er, »dann kommt er mich bestimmt bald wieder holen.«

Eine Stunde verging, es vergingen zwei Stunden … und schließlich waren es schon sechs, ohne dass das Herrchen wiederauftauchte. Die Straßenlaterne ging an und surrte leise. Ein Tupfen gelblichen Lichts, hinter dem die Dunkelheit lauerte. Aufmerksam musterte der Hund jedes Auto, das vorüberfuhr, und suchte nach dem vertrauten Gesicht. Sobald irgendwo ein Geräusch ertönte, spitzte er die Ohren. Hoffentlich hörte er endlich die bekannte Stimme nach ihm rufen. Doch außer dem Tuckern der Motoren und den kalten, blinden Augen der Scheinwerfer war da nichts. Keiner hielt seinetwegen an, so als wäre er unsichtbar.

Drei Tage und drei Nächte saß der Hund dort und wartete, ohne zu fressen, zu trinken oder zu schlafen. Am Ende war er so kraftlos, dass er nur noch müde Kopf und Ohren hängen ließ. Sein Blick wurde trübe, und er fing an zu winseln. Anfangs war es nur ein zaghaftes Jammern, aber je mehr er sich seines Unglücks bewusst wurde, desto verzweifelter wurde sein Klagen. Das Leben war ein Meer der Gram. Vermutlich wäre er unter dieser Straßenlaterne sitzen geblieben und hätte bis zur völligen Erschöpfung getrauert, ja bis zum Tod, hätte er nicht im Morgengrauen plötzlich eine Stimme vernommen.

»Warum weinst du?«

Im ersten Moment reagierte der Hund einfach nur überrascht. Die Stimme erklang direkt neben ihm. Dabei hatte er keine Schritte gehört. Und es war auch schon länger kein Auto mehr vorbeigekommen. Er hob nicht einmal den Kopf. Wahrscheinlich hatte er sich das nur eingebildet.

»Warum weinst du?«

Die Stimme war tief und volltönend mit eindeutig fremdem Akzent. Wer konnte das hier auf dieser Straße mitten im Nirgendwo sein? Jedenfalls war es nicht sein Herrchen. Der Hund fing erneut zu winseln an.

»Warum weinst du?«, wiederholte die Stimme dieses Mal drängender. Sie forderte eine Antwort.

»Warum?«, platzte der Hund heraus. »Weil ich alles verloren habe, was mir gehörte.«

Er hob den Blick und bemerkte einen merkwürdig aussehenden Hund. Ein solches Exemplar hatte er noch nie gesehen. Dieser Hund hatte große Pfoten, die er fest in die Erde stemmte. Sein Körper war schlank, aber kräftig gebaut. Und in seinem breiten Gesicht leuchteten zwei goldgelbe Augen, die dem Hund direkt in die Seele zu gucken schienen.

Ein wenig eingeschüchtert versuchte der Hund, seine traurige Lage zu schildern.

»Ich hatte einen Herrn«, erzählte er immer noch winselnd. »Bei ihm habe ich gelebt, seit ich auf der Welt bin. Ich habe ihn mehr geliebt als einen Vater. Jeden Morgen, wenn mein Herr aufstand, folgte ich ihm in die Küche, wo er meine beiden Schüsseln auffüllte. In die eine kam das Wasser, in die andere mein Futter. Nachts, wenn er schlafen ging, streckte ich mich am Fußende des weichen Bettes aus und wachte über ihn. Und nun ist mein Herr fort. Wo sind jetzt mein Haus und mein Bett? Wo sind meine Schüsseln? Selbst mein Halsband mit meinem Namen und meiner Adresse wurde mir genommen. Es war mein kostbarster Besitz. Jetzt weiß niemand mehr, wie ich heiße oder woher ich komme. Niemand kann mir helfen und mich nach Hause zurückbringen. Ich bin allein an einem Ort, den ich noch nie gesehen habe, und mir gehört überhaupt nichts mehr. Gar nichts! Und du fragst mich, warum ich weine?«

Der andere warf ihm einen hoheitsvollen Blick zu und schwieg.

»Was soll nun aus mir werden?«, fuhr der Hund deprimiert fort. »Ich habe nicht mehr die Kraft, mich auf den Pfoten zu halten. Wo soll ich mich denn jetzt ausruhen? Wer wird mir zu fressen und zu trinken geben? Oh weh, bestimmt muss ich jetzt sterben!«

Die Lefzen seines Gegenübers verzogen sich zu einem sanften Lächeln.

»Und das ist dein ganzes Problem? Weißt du denn nicht, dass auf dieser Welt unzählige große und kleine Geschöpfe leben, im Wasser, in der Luft und auf der Erde, die jeden Morgen aufwachen und nichts haben? Genau wie du. Schnecken und Schmetterlinge, Ameisen und Bären, Fische, Falken und Schlangen. Aber wenn der Tag sich dem Abend zuneigt, haben alle etwas zu fressen und zu trinken gefunden. Und wenn sie dann die Müdigkeit übermannt, finden sie ein Plätzchen zum Schlafen. Wie glaubst du, machen die das?«

Einen Augenblick lang war der Hund sprachlos. Ihm fiel nicht einmal auf, dass er aufgehört hatte zu weinen.

»Wer glaubst du, ist ihr Herr?«, fragte der seltsame Hund weiter. »Wer kümmert sich denn um sie?«

»Keine Ahnung!«, schnaubte der Hund. Am liebsten hätte er noch hinzugefügt: »Und im Augenblick interessiert mich das auch herzlich wenig.« Tatsächlich hatte er sich über die anderen Geschöpfe nie Gedanken gemacht. Auch jetzt sorgte er sich nur um sich selbst. Schließlich ging es ihm furchtbar elend.

»Ja, wer denn?« Diese ernsthaften, goldgelb schimmernden Augen schienen bis auf den tiefsten Grund seiner Seele vorzudringen.

»Sag du’s mir«, meinte der Hund, »wenn du es weißt!«

Der andere hob die Augen zum Himmel und ließ einen merkwürdigen Laut ertönen, der irgendwo zwischen Seufzen und Niesen lag.

»Also wer?«, fragte der Hund, der jetzt noch verwirrter als zuvor war.

»Das kann man so nicht sagen. Es ist der Unaussprechliche Name. Das, was sofort zur Lüge verkommt, wenn es in den Mund genommen wird.«

»Pfff«, entgegnete der Hund. Langsam wurde er ungeduldig. »Schau dich doch nur einmal um! Wie viel Traurigkeit und Chaos herrschen in dieser Welt! Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der sich um alle Geschöpfe kümmert. Jedenfalls habe ich ein derartiges Wesen weder gesehen noch seine Stimme gehört. Und wenn man nach dem Gestank geht, der überall herrscht, dann ist dieses Wesen längst tot und verfault, falls es überhaupt jemals existiert hat.«

»Ahhh«, meinte der andere, als hätte er den Hund endlich verstanden. »Dein Unglück ist nicht, dass du dein Hab und Gut verloren hast. Du hast das Vertrauen verloren.«

Dann drehte er sich um und holte mit seinen spitzen Fangzähnen ein blutiges Stück Fleisch wie aus dem Nichts hervor.

»Da, iss dich erst einmal satt«, sagte er und legte es dem Hund hin. »Damit du wieder zu Kräften kommst. Danach wirst du auf Pilgerfahrt zum Mondberg gehen. Dort kannst du herausfinden, ob es dieses Wesen gibt oder nicht.«

DAS VERSPRECHEN

»Der Mondberg?«, überlegte der Hund laut. »Was soll das denn sein?«

Von der Gabe des anderen ging ein so durchdringender Geruch aus, dass der Hund sie lieber erst einmal gründlich beschnupperte. An dem großen Stück frischen Fleisches befand sich noch das Fell. Offensichtlich handelte es sich um die Keule eines Wildtieres – dem noch dranhängenden Huf nach zu urteilen von einem Damhirsch vielleicht. Aber von solchen Dingen verstand er als Stadthund natürlich wenig.

Was ihm hier widerfuhr, war mehr als merkwürdig. Alles hätte er erwartet, nur nicht, dass ein vollkommen Unbekannter ihm ein so großherziges Geschenk machte. Hunde verteidigten selbst einen alten, vertrockneten Knochen mit Knurren und Beißen. Dass ein Hund jedoch einem anderen eine ganze Mahlzeit abtrat, hatte er wirklich noch nie erlebt.

»Was ist das bloß für ein eigenartiger Hund?«, fragte er sich.

Dann dämmerte es ihm auf einmal.

Als er aber den Kopf hob, um dem anderen ins Gesicht zu sehen, war der Wolf schon verschwunden.

Nun musste er selbst entscheiden, ob er das Fleisch fressen wollte oder nicht. Schließlich wusste doch jeder, dass man einem Wolf nicht trauen konnte. Andererseits hatte er seit drei langen Tagen nichts mehr in den Magen bekommen und einen Mordshunger.

»Ich koste einfach mal ein bisschen …«, dachte er.

Kaum hatte er in das zarte Fleisch gebissen, fühlte er sich wie verwandelt. Er spürte eine warme, süße und zugleich salzige Flüssigkeit auf der Zunge. Es schmeckte nach mehr, nach etwas unglaublich Verbotenem. Sein Herr hatte jede Mahlzeit für ihn gekocht oder ihn mit Dosen- und Trockenfutter versorgt. Rohes Fleisch hatte der Hund noch nie gefressen. Die Keule schien ihm das Köstlichste, was er je zwischen die Zähne bekommen hatte.

Schon nach dem ersten Bissen verlor er sich ganz in diesem Geschmack. Er hätte die Keule sicher im Nu verputzt, wenn das Fleisch nicht so sättigend gewesen wäre, sodass er ab diesem Zeitpunkt einfach keinen Happen mehr hinunterbekam.

»Welches Glück ich doch hatte!«, dachte er, als er spürte, wie ihn neue Kraft durchströmte. So etwas passierte einem schließlich nicht jeden Tag. »Jetzt habe ich von der Gabe des Wolfes gut die Hälfte verzehrt. Den Rest bewahre ich besser auf, damit der Vorrat für ein paar Tage reicht. Bis dahin habe ich bestimmt den Weg nach Hause zurückgefunden.«

Doch als er an sein schönes, behagliches Heim dachte, fielen ihm die Worte des Wolfes wieder ein. Immerhin hatte er sein Geschenk angenommen, also sollte er auch tun, was der Wolf ihm geraten hatte.

Leider hatte er nicht die leiseste Ahnung, wo dieser sagenhafte Mondberg liegen sollte.

EIN GEFÄHRTE

Der Hund vergewisserte sich, dass niemand ihn beobachtete, bevor er die Reste der Keule in einem Loch neben der Straßenlaterne verscharrte. Dann ließ er den Zufall entscheiden, welchen Weg er nehmen sollte, und trabte mit neuem Schwung los. Nach einer Weile gelangte er in einen Park. Auf den grünen Wiesen spielten Hunde mit ihren Herrchen das uralte »Hol das Stöckchen«-Spiel. Einmal mehr zog sich das Herz des Hundes zusammen, als er daran dachte, was er verloren hatte. Dann aber nahm er all seinen Mut zusammen und sprach die erste Hündin an, die ihm über den Weg lief.

»Entschuldige, ich bin hier fremd«, sagte er. »Wo liegt denn der Mondberg?«

Sie musterte ihn von den Pfoten bis zu den Ohrenspitzen, als wäre er nicht ganz gescheit. Dann gab sie schleunigst Fersengeld und flüchtete sich zu ihrem Frauchen.

Verwundert blieb der Hund zurück. Was hatte er denn bloß verkehrt gemacht? Früher war er doch auch respektiert worden, jung, schön und gepflegt, wie er war, mit diesem eleganten Halsband. Ah, das Halsband! Er hatte ja keines mehr. Zum ersten Mal fühlte er sich vollkommen nackt. Wie ein König ohne Krone, ein Schwimmer, der plötzlich ohne Badehose dastand. Eine Kleinigkeit, doch damit war alles anders. Sicher hatte die niedliche Hündin ihn für einen Straßenköter gehalten. Und jeder Stadthund weiß schließlich, dass man sich mit Streunern nicht abgibt, weil sie Flöhe, Zecken, die Räude, Tollwut und andere abstoßende Krankheiten haben.

Beschämt versteckte er sich in den Büschen, um zu überlegen, wie es nun weitergehen sollte. »Schöne Bescherung … Jetzt bin ich auch ein Streuner.«

In diesem Augenblick kam ein alter Mastiff vorbei, dem die Fliegen mächtig zusetzten. Er schnappte nach ihnen, erwischte aber nicht eine einzige.

»Weißt du, wo der Mondberg ist?«, fragte der Hund.

Der andere sah ihn aus kurzsichtigen Augen an. »Ich habe keine Ahnung«, antwortete der Mastiff.

»Dabei habe ich gerade einen … etwas merkwürdigen Kerl kennengelernt, der meinte, ich solle mich dorthin begeben«, wagte der Hund einen neuen Versuch.

»Als ganz kleiner Hund habe ich von einem Ort mit diesem Namen gehört. Aber wo der sich befindet, könnte ich dir wirklich nicht sagen. Es hieß, er liege jenseits der Berge im Norden.«

Das hörte sich nach weiter Ferne an, ferner jedenfalls, als der Hund gedacht hatte. Aber dass dieses edelmütige und selbstsichere Geschöpf ihn zum Besten halten und in die Irre schicken wollte, konnte er sich nicht vorstellen.

»Kannst du mir denn sagen, wo Norden ist?«

»Sicher. Warte bis zum Mittag, dann wendest du der Sonne den Rücken zu und läufst deinem Schatten nach. Früher oder später gelangst du so zu den Bergen im Norden.«

Etwas ratlos ging der Hund zu seiner Straßenlaterne zurück. Als er seine Keule wieder ausgegraben hatte, war es gerade Mittag geworden. Er kehrte der Sonne den Rücken zu, guckte, wo sein Schatten war, und folgte ihm.

Mit gesenktem Kopf und der Keule im Maul durchquerte er die ihm unbekannte Stadt und versuchte, möglichst nicht aufzufallen. Er drückte sich eng an die Häuserwände, schlich über Brücken und zwängte sich zwischen den Beinen der Menschen hindurch durch die überfüllten Straßen. Die Leute hatten es eilig, und niemand nahm von ihm Notiz. Er erkannte kein Blumenbeet wieder, entdeckte keine vertraute Straßenecke oder eine aufregend riechende, warme Pfütze. Ihm kam es vor, als zöge er ziellos und verloren durch ein vollkommen fremdes Land. Eine Katze fauchte ihn von der Höhe ihres Fensterplatzes herab an, und fremde Hunde hinter Gartenzäunen bellten ihm die üblichen Gemeinheiten nach: »Hau bloß ab! Hau ab! Das ist mein Haus!«

Mehr als einmal kamen dem Hund Zweifel: »Wenn ich die Keule verzehrt habe, habe ich nichts mehr zu fressen. Was mache ich dann? Sicher wäre es klüger, mit dem bisschen Nahrung den Weg nach Hause zu suchen.« Aber jedes Mal, wenn ihm der Wolf in den Sinn kam, trieb ihn der Blick aus den goldgelben Augen weiter.

Die Stadt war sehr groß, und der Hund brauchte eine Weile, um sie zu durchqueren. Allmählich aber wurden die Abstände zwischen den Häusern größer, und der Blick ging hinaus in die Weite. Das Einzige, was dort draußen noch zu sehen war, war ein riesiger Berg voller Müll und Schrott.

Er hatte den Müllberg eben ausgemacht, als ihm plötzlich ein blonder Golden Retriever entgegensprang und ihn breit anlächelte: »Hallo, mein Freund.«

Es war schon eine Weile her, dass der Hund ein freundliches Wort gehört hatte. Er sehnte sich wirklich nach Gesellschaft.

»Hallo!«, antwortete er. Dann fingen die beiden an zu plaudern.

»Was führt dich denn hierher?«