Der Kelch der Eloi - Jean P. - E-Book

Der Kelch der Eloi E-Book

Jean P.

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Beschreibung

2049. Die Biotechnikerin Sophia Philips steht kurz vor der Versuchsphase des neuen, die Medizinwelt revolutionierenden Präparates 'Epiphysox'. Gemeinsam mit ihren Freunden, dem Archäologieprofessor Fabio Wolf und der Journalistin Sarah MacKenzie wagt sie wider alle Vernunft den Selbstversuch. Unversehens finden sie sich in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wieder. Ein dort vermuteter, gralsartiger Kelch, den Fabio Wolf seit langem sucht, verspricht einer alten Weissagung zufolge die Hoffnung auf Rückkehr. Doch ein Zeitriss trennt die Freunde und katapultiert sie in unterschiedliche Zeiten. Im Kampf gegen die Unbilden vergangener Epochen müssen sich die Zeitreisenden der Erkenntnis stellen, dass selbst kleinste Veränderungen des aktuellen Geschehens zu Zeitverzerrungen führen. 'Zufällig' kommen sie dabei einem lange gesuchten Verbrecher auf die Schliche – und sich selbst auf ungeahnte Weise näher.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:
1. Teil
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
2. Teil
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
3. Teil
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
4. Teil
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Wissenschaftler aus Koma erwacht
Anmerkungen und Bibliografie:
Die Autoren:

Der Kelch der Eloi

von Esther Novalis und Jean P.

edition gazzetta

Über dieses Buch:

2049. Die Biotechnikerin Sophia Philips steht kurz vor der Versuchsphase des neuen, die Medizinwelt revolutionierenden Präparates ‚Epiphysox‘. Gemeinsam mit ihren Freunden, dem Archäologieprofessor Fabio Wolf und der Journalistin Sarah MacKenzie wagt sie wider alle Vernunft den Selbstversuch. Unversehens finden sie sich in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wieder. Ein dort vermuteter, gralsartiger Kelch, den Fabio Wolf seit langem sucht, verspricht einer alten Weissagung zufolge die Hoffnung auf Rückkehr. Doch ein Zeitriss trennt die Freunde und katapultiert sie in unterschiedliche Zeiten. Im Kampf gegen die Unbilden vergangener Epochen müssen sich die Zeitreisenden der Erkenntnis stellen, dass selbst kleinste Veränderungen des aktuellen Geschehens zu Zeitverzerrungen führen. ‚Zufällig‘ kommen sie dabei einem lange gesuchten Verbrecher auf die Schliche – und sich selbst auf ungeahnte Weise näher.

Der Kelch der Eloi

Copyright: © Jean P. und Esther Novalis.

2025 – Neuauflage von edition gazzetta

Tannenweg 2, 34621 Frielendorf

1. Auflage: telegonos-publishing 2024

Cover: Kutscherdesign (Vorlage von Adobe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

«Die Quantenmechanik ist sehr achtunggebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, dass das noch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt.»

Albert Einstein in einem Brief an Niels Bohr, 1926

Anmerkungen und Bibliografie S. 356

1. Teil

Erstes Kapitel

Sensationsfund

Sensationsfund als Fälschung entlarvt!

Bozen. Bei der vor einigen Wochen in den Ötztaler Alpen unweit der ‚Hochwilde‘ gefundenen Frauenleiche handelt es sich nicht um die im Volksmund Wildi getaufte Steinzeitfrau. Tatsächlich haben wir es, so der renommierte Archäologie-Professor Fabio Wolf, mit einer vor etwa 25 Jahren verstorbenen Frau zu tun. Die Täuschung war so perfekt, dass alle bisherigen Untersuchungen davon ausgingen, dass es sich tatsächlich um eine Frau handelt, welche aus der gleichen Epoche stammt wie der Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts ebenfalls in den Ötztaler Alpen gefundene Ötzi. Selbst die Radiokarbonmethode zeitigte Zerfallsprodukte der vom Eis konservierten Leiche, die ein Alter von etwa 5400 Jahren als realistisch erscheinen ließ. Prof. Wolf, seines Zeichens wohl der jüngste Archäologieprofessor aller Zeiten, der sich selbst zum Fundort auf den Weg gemacht und die neuerlichen Untersuchungen am Institut für Archäologie der Innsbrucker Universität geleitet hatte, nahm in einem Interview gegenüber dem Corriere della Sera in Bozen Stellung: Der oder die Präparatoren, so Wolf, müssen mehr noch als über restauratives über gentechnisches Know-how verfügen. Erst die Genanalyse tiefer gelegener Körperschichten ließen auf Herkunft und inzwischen auch Identität der Frau schließen. Alle weiteren diesbezüglichen Fragen wimmelte der Archäologe, von seinen – insbesondere weiblichen Fans – liebevoll Indy genannt, ab und verwies auf laufende Ermittlungen der Bozener Polizei. Indy widersprach Gerüchten, denen zufolge er den Fundort nach frühzeitlichen Artefakten abgesucht hatte, welche die ursprüngliche These bestätigten.

«Ich wollte lediglich meine Neugier befriedigen», beendete der zu Gastvorträgen in Innsbruck und Bozen weilende Archäologe auf seine stets unnachahmlich charmante Weise das Gespräch. «Allzu gerne hätte ich natürlich der romantisierenden Vorstellung der Allgemeinheit, dass Ötzi und Wildi ein Paar waren, Nährstoff geliefert, doch da muss ich Sie leider enttäuschen.»

Wir fiebern also weiter mit und wer weiß, vielleicht findet Indy ja eines Tages doch die zu Ötzi passende Wildi. YS

«Ob sie bei ihm ist?» Bea Philips schob das Tablet zur Seite, auf dem sie beim Frühstück gemeinsam mit ihrem Mann Marc den Leitartikel der Gazzetta sotto Copertura gelesen hatte. Gerade eben schob sich eine große Wolke vor die Sonne und erzeugte einen wohltuenden Schatten. Ein weiterer Hitzetag kündigte sich in diesem viel zu heißen und trockenen Sommer an, in dem sie sich beide in Marcs alte Heimat, den schottischen Highlands, zurücksehnten. Doch hier auf der Dachterrasse ihrer Altstadtvilla, ihrem Lieblingsort, ließ es sich in den frühen Morgen- und späten Abendstunden aushalten.

«Mein Schatz, fang endlich an, loszulassen», entgegnete Marc und streichelte ihr sanft über die auf dem Tisch liegende Hand. «Sarah ist erwachsen, sie ist eine intelligente Frau und weiß, was sie tut.»

Bea strich Marc durch das ergraute, aber immer noch volle Haar und murmelte: «Marc, an dir ist ein Prediger verloren gegangen.» Das ‚Du wiederholst dich.‘ verkniff sie sich zu sagen, denn immerhin hatte er nach langer Zeit akzeptiert, dass aus Sophia und Fabio kein Paar geworden war.

Bea, ich meine das ernst, was ich sage! Wichtiges muss man halt gelegentlich wiederholen!

Bea verdrehte die Augen und legte den Kopf an seine Schulter. Ihre telepathischen Fähigkeiten hatten in der letzten Zeit nachgelassen, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass er begann zu vergessen. Den Gedanken zu Ende zu denken, dass es beginnende Demenz war, hatten sie bisher beide verdrängt.

Sophia, ihre leibliche Tochter, war diesbezüglich weiter als sie. Als Molekularbiologin, die inzwischen in der Weltelite mitmischte, hatte sie es sich ohnehin auf die Fahnen geschrieben, das Erbe der vor fünfundzwanzig Jahren verstorbenen Gentechnikerin Allison MacKenzie anzutreten. Allein schon deswegen, weil ihre kleine Schwester und liebste Freundin Sarah MacKenzie, Enkelin von Allison, an derselben Erbkrankheit litt, an der ihre Mutter Sarah kurz nach ihrer Geburt verstorben war.

Sie mühte sie sich mit allen Kräften, ein Mittel zu finden, welches diese seltene, aber gelegentlich bereits im Alter von dreißig Jahren zum Tod führende Form, die sogenannte Frühe Demenz, besiegte. Zwar hatte Allison MacKenzie kurz vor ihren Tod einen Durchbruch in der Forschung erzielt, doch es war bis dato niemandem gelungen, das von ihr entwickelte Epiphysox, welches sie als lebensrettendes Vermächtnis ihrer Tochter hinterlassen wollte, zu synthetisieren. Epiphysox, so war der Plan gewesen, hätte durch Einwirkung auf die Epiphyse eine winzige, aber fundamentale Veränderung des menschlichen Genoms bewirkt: die Reduzierung des Aggressionspotenzials auf ein Minimum bei gleichzeitiger Verstärkung der Fähigkeiten übersinnlicher Wahrnehmung und Telepathie. Der Einsatz als Heilmittel gegen Demenzerkrankungen, insbesondere vom Typ Alzheimer und Früher Demenz, wäre lediglich eine Nebenwirkung gewesen. Allison MacKenzie war schon als Nobelpreisträgerin gehandelt geworden. Doch ihr Tod hatte dem und der daraus resultierenden Hoffnung für die ganze Menschheit ein jähes Ende gesetzt.

Sophia Philips wurde von dem ehrgeizigen Ziel angetrieben, dem Ende ein Ende zu setzen – und den beginnenden Veränderungen ihres Vaters ebenso.

«Was bedeutet eigentlich YS?», fragte Marc, als seine Frau sich erhoben hatte, um den Frühstückstisch abzuräumen. Die Wolke hatte sich verzogen und es wurde Zeit, sich in die Kühle des Hauses zurückzuziehen.

«Na, Yvonne Stern! Du weißt doch, dass die Redakteurinnen der Gazzetta ihre Kürzel unter einen Artikel setzen», antwortete Bea etwas ungehalten, während sie ihnen den letzten verbliebenen Rest des Kaffees aus der Thermoskanne in die Tasse einschenkte.

«Yvonne Stern?» Marc sah sie ungläubig fragend an, als habe er den Namen noch nie gehört.

«Ach Marc! Yvonne, unsere Yvonne. Fabios Mutter!» In Bea begann sich erneut Verzweiflung breitzumachen. Das konnte er doch unmöglich vergessen haben. Nachdenklich trank Marc den Kaffee aus und schloss die Augen. Schließlich raufte er sich die Haare und erhob sich, um Bea beim Abräumen zu helfen. Wenn er in solchen Situationen etwas tat, anstatt zu reden, war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass es in ihm arbeitete. Das waren Beas Hoffnungsschimmer.

Sie waren schon auf dem Weg, den Servierwagen zum Aufzugsschacht zu schieben, der den Mittelpunkt der Dachterrasse bildete und von einem liebevoll von Bea gestalteten Palmen- und Sukkulentengarten umgeben war, als Marc innehielt. Er stoppte Beas Gang, griff nach ihrer Hand, zog sie in seine Arme und erzeugte einen Moment der Versunkenheit, in dem ihrer beider Blicke über die Altstadtsilhouette von Boscona schweiften.

«Weißt du noch?», leitete Marc mit einer geradezu banalen Frage den Moment der Rückerinnerung ein – einmal mehr wie zum Beweis, dass er noch völlig klar im Kopf war.

«Als ob ich das je vergessen könnte!», bestätigte Bea folgerichtig, tief durchatmend die Erinnerung – und damit zugleich den Beweis, der natürlich keiner war. Denn das, was anfangs gewesen war, lebte ewig weiter und konnte dennoch nicht vertuschen, dass manches danach in Vergessenheit geraten war. Diese erste Begegnung würde auch bei ihm, da war sie sich sicher, niemals im Dunkel der Versenkung landen.

Eigentlich war sie nur als Vertretung für die damalige Herausgeberin der Gazzetta zur Einweihungsfeier von Marcs neuer Detektei gekommen – und hatte sich bis zur letzten Minute davor zu drücken versucht. Und dann war da dieser Moment gewesen, als er ihr hierher nach draußen gefolgt war, um ihr Feuer zu geben: Er, der überzeugte Nichtraucher, ihr, der Noch-Raucherin. Kurze Zeit später hatte sie nicht nur das Rauchen, sondern ihr bisheriges Leben aufgegeben und als Private Ermittlerin in seiner Detektei angefangen.

«Sag mal, was hältst du davon, wenn wir zur Gazzetta gehen und Yvonne einen Besuch abstatten?», preschte Marc überraschend in die Versunkenheit ihrer Erinnerung hinein. «In dem Artikel stand doch höchstens die Hälfte drin oder der Algorithmus hat uns wieder was vorgegaukelt, was unserer Erwartungshaltung entspricht. Yvonne wird uns gewiss aufklären!»

Das war mehr als ein Hoffnungsschimmer! Der alte Fuchs in ihm lebte immer noch. Beas erstauntem Blick begegnete er, indem er mit den Schultern zuckte und milde lächelnd entgegnete: «Ich bin noch nicht senil, Mrs. Philips!» Seine rechte Hand war dabei besitzergreifend unter ihr weites, weißes Sommerkleid gewandert und hatte ihre nackten Pobacken zu kneten begonnen.

«Es wird Zeit, dass ich Sie mal wieder ernsthaft übers Knie lege, Mrs. Philips!» Mit einem kleinen Klaps als Vorgeschmack bekräftigte er seine Drohung.

«Aber Mr. Philips, wenn das jemand sieht!», ließ Bea sich mit einem wahren Glücksgefühl auf das Spiel ein – ihr erotisches Spiel, welches sie zusammengeführt hatte und ihre feste Burg war. Es war selten geworden.

«Dann ab nach unten Mrs. Philips, kleine Sünden werden sofort bestraft!» Das war kein Hoffnungsschimmer, das war strahlende Hoffnung. Ach Marc, ich liebe dich, auch wenn das mit den ‚großen Sünden, neun Monate später‘ nur einmal geklappt hat.

Laut flüsterte sie grinsend in sein Ohr, als sie im Fahrstuhl standen: «Hoffentlich erwischt James uns nicht.»

Zweites Kapitel

Bozen

Vier Wochen zuvor

Das ferrarirote Bertone X1/9 Cabrio hatte eine recht wechselvolle Geschichte hinter sich, ging es Sarah MacKenzie durch den Kopf, während sie es durch die verstopften Straßen der Bozener Altstadt steuerte. Eine wirkliche Verkehrswende hatte auch hier nicht stattgefunden, mäanderte es gleichzeitig in ihren Gedanken herum. Statt Verbrennern verstopften nun überwiegend E-Autos den Verkehr, obwohl die Altlasten der Akkuproduktion inzwischen weltweit ein Politikum waren. Insofern empfand sie Erleichterung, dass sie mit zwar nicht billigem, dafür aber wirklich CO²-neutralem E-Fuel unterwegs war.

Das inzwischen zum Kultklassiker avancierte Auto der Siebziger- und Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts war schon ein echter Hingucker. Die machohaften Pfiffe, die hin und wieder durch den Straßenlärm an ihre Ohren drangen, waren also wohl in mehrfacher Hinsicht zweideutig. Sie verdrehte die Augen und starrte bei einem Ampelstopp auf das auf dem Beifahrersitz liegende, als Navi dienende Smartphone. Weit sah es nicht mehr aus und sie war heilfroh, dass sie sich um einen Parkplatz keine Sorgen zu machen brauchte.

Ursprünglich hatte sie dieses Auto gar nicht haben wollen, doch Fabio und ihr Vater hatten sie mit dem Versprechen überredet, dass sie sich mit um den Oldtimer kümmern würden. Praktikabel war beides nicht. Fabio war immer sonst wo in der Welt unterwegs und ihr Vater, ehemaliger MI5-Agent, der vor zwei Jahren seinen Dienst quittiert hatte, lebte zurückgezogen auf Phillips Manor in den Schottischen Highlands. Gut, dass sie sich inzwischen selber einiges an Know-how zugelegt hatte.

Überhaupt, es hatte Zeiten gegeben, in denen sie sich gewünscht hatte, ihr Vater würde sich ein wenig mehr um sie kümmern. Das war gewesen, bevor sie sich allmählich wieder angenähert hatten und bevor sie zwei Jahre zuvor als Reporterin bei der Gazzetta angefangen war.

«Du kannst es ruhigen Gewissens annehmen. Wenn ich es recht bedenke, gehört mir das Auto gar nicht. Ursprünglich war Francesco, der Ex von Yvonne, der Besitzer. Yvonne und Sven haben es gefahren, Felix und ich, und irgendwie wurde es zum Inventar der Gazzetta, Geschäftsauto sozusagen.» Sarah hatte die Worte von Esther Novalis, der ehemaligen Herausgeberin der Gazzetta noch im Ohr. Das Auto war ihr von Esther quasi vermacht worden, als sie die Leitung der Zeitung aufgab, um nach Südafrika auszuwandern. Gemeinsam mit ihrem Mann Felix hatte sie sich einen alten Traum erfüllt und ein Weingut in der Nähe von Kapstadt übernommen. Ganz ohne Hintergedanken, diesbezüglich war sich Sarah sicher, war die Schenkung nicht gewesen. Gelegentliche Bemerkungen, dass sie den Laden mal übernehmen könne, hatte sie zunächst geflissentlich überhört und später, als Yvonne, Fabios Mutter, die Leitung übernommen hatte, unter Ulk verbucht. Doch Yvonne zeigte Ermüdungserscheinungen. Diesen Auftrag hätte sie früher selber erledigt ...

Ein Traum wäre das natürlich, aber weder fühlte sie sich dem gewachsen, noch ließ ihre Krankheit dieses Szenario als realistisch erscheinen. Außerdem war sie gerne unterwegs. Ihr Antrieb war die Recherchearbeit. Und was diesen speziellen Job anbelangte, gab es da noch einen ganz anderen Antrieb, wenn sie ehrlich und tief in sich selbst hineinschaute. Es gab Momente, in denen sie ihre Krankheit verfluchte. Dann wieder passierte es, dass es ihr gelang, sie vollständig zu verdrängen. Hatte sie denn nicht das gleiche Recht auf Liebe, Lust und Leben wie andere auch? Außerdem bestand ja doch die Hoffnung, dass Sophia, ihre große Schwester und zugleich beste Freundin, das Präparat hinbekäme, an dem schon ihre Großmutter Allison MacKenzie geforscht hatte. Sophia ...

Mit jedem Meter, dem sie ihrem Ziel näherkam, wuchsen ihre Skrupel. Wäre es nicht besser, einfach zu verschwinden? In ein paar Jahren würde sie höchstwahrscheinlich ohnehin nicht mehr leben. Dann bräuchte sie sich am Ende wenigstens nicht vorwerfen, etwas kaputtgemacht zu haben. Unerfüllte Liebe wäre doch nichts gegen dieses Desaster: der besten Freundin im Wege zu stehen, die zudem noch ihren gesamten Ehrgeiz aufbrachte, ihr zu helfen! Ihr, die sich ganz heimlich, aber unsterblich in den Mann verliebt hatte, den etwas mit Sophia verband, das schlecht mit einem Wort zu beschreiben war. Seelenverwandtschaft traf es noch am ehesten. Jugendliebe? Nein, wenn schon, dann Kinderliebe.

Sophia und Fabio kannten sich schon ein ganzes Leben lang. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt, als Sophias Eltern die von einem mit Menschen handelnden kriminellen Syndikat entführten Eltern von Fabio wiedergefunden und gerettet hatten. Fabio war gerade geboren worden – noch in der Gefangenschaft. Er sollte, wie die Babys anderer entführter Paare, an Adoptionswillige verkauft werden. Nach Sophias Geburt – etwa ein Jahr später – waren sie phasenweise wie Geschwister aufgewachsen. Das hatte sich zwar geändert, als Sophias Eltern auch zu ihren Eltern geworden und sie für einige Jahre nach Phillips Manor, dem Stammsitz der Familie, gezogen waren. Doch seit der Rückkehr nach Boscona anlässlich ihrer Einschulung war alles wie früher gewesen. Manchmal war sie sich wie ein Störenfried vorgekommen.

Geschwisterliebe also? Quatsch, sie waren weder Geschwister noch ein Liebespaar. Zudem hatten die beiden völlig unterschiedliche Lebenswege beschritten. Doch immer, wenn sie zusammen waren, gelangte man zu dem Eindruck: Da passt kein Blatt dazwischen. Dass sie beide schon andere Partner hatten, tat dem keinen Abbruch. Es war, als ob sie eine unzertrennliche Einheit bildeten, welche alle Wechselfälle des Lebens überdauerte. Angesichts der Tatsache, dass Fabio gerade kein Kostverächter war und angeblich sogar mit einigen seiner Studentinnen ins Bett hüpfte, mutete das durchaus erstaunlich an.

Und genau das ist der Grund, warum du ihn dir aus dem Kopf schlägst, mein Kind! Du hast einen Job, nicht mehr und nicht weniger. Manchmal glaubte sie, ihre Mutter zu sich sprechen zu hören. Vielleicht war das nur Einbildung oder eine Art innere Stimme. Häufig jedoch hatte ihr das schon den richtigen Weg gewiesen.

So auch jetzt, als sie in die Einfahrt der Tiefgarage unter dem Waltherplatz einbog. Sicher bildetet sie dumme Gans sich nur was ein! Wenn da nicht dieser eindringliche und ja, etwas traurige Blick gewesen wäre, mit dem er sie einige Wochen zuvor bei einem Treffen bei seinen Eltern bedacht hatte. Oder war das lediglich der Tatsache geschuldet gewesen, dass Sophia nicht dort sein konnte?

Als sie ihr Auto auf den freien, für sie reservierten Parkplatz einrangierte, kam sie sich plötzlich recht privilegiert vor. So etwas hatte sie noch nicht erlebt.

Liberta Universita di Bolzano – Hospiti verriet ein etwas antiquiert wirkendes Blechschild an der ihren und die weiteren, schon besetzten Parkplätze begrenzenden Mauer. Die auf ihrer Legitimation ausgewiesene Nummer war nirgends erkennbar, aber da kein anderer Platz frei war, machte sie sich darüber keine Gedanken. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf die Enge der Parklücke fokussiert. Das kleine Auto war zwar mit allen möglichen Finessen, aber leider nicht mit Einparkhilfe nachgerüstet. Zwei fette SUV’s rechts und links neben ihrem Platz erschwerten nicht nur das Einrangieren, sondern weit mehr noch das anschließende Verschließen des Autos.

Schick, aber umständlich ging es ihr bei dieser Aktion nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Zunächst galt es, das – nicht gerade leichte – Targadach aus dem vorderen Kofferraum zu holen und es dann auf dem Auto zu befestigen. Schon mit genug Platz ringsherum war das nicht ohne! Das Auto hier deshalb jedoch offen stehen zu lassen, war ihr zu riskant. Einmal, so musste sie zurückdenken, war sie derart eingeparkt worden, dass sie nur über das offene Dach in ihr Auto zurückgekommen war. Diese Möglichkeit hatte sie sich nun allerdings genommen.

Während sie ihr schwarzes Sommerkleid glattstrich und ihren breitkrempigen roten Strohhut richtete, überlegte sie, ob sie ihr Handgepäck mitnehmen und zunächst ihr nahe gelegenes Air-BnB-Zimmer beziehen oder sich erst einmal ein wenig umschauen sollte. Sie entschloss sich zu Letzterem, warf ihren kleinen Rucksack mit dem Nötigsten über die Schulter und betätigte die Fernbedienung für die Zentralverriegelung, eine der vielen technischen Nachrüstungen, welche schon der eigentliche Besitzer Francesco vorgenommen hatte.

Schwungvoll und voller Tatendrang drehte sie sich um – und hielt erschrocken inne. «Fabio! Hast du mich erschreckt! Was ... Ähm. Wieso ...?»

Drittes Kapitel

Ein Traum

‚Ladies and Gentlemen‘, machte Sophia den Versuch, ihre Ansprache zu beenden, in der sie über ihre bisherige Forschungsarbeit berichtet hatte, ‚ich bin keine gute Rednerin. Ich bin Biologin, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin überwältigt und weiß nicht recht, was ich noch sagen soll. Doch, eins vielleicht. Es gibt vier Menschen, ohne die ich nicht hier stünde und die Chance hätte, am Institute for Advanced Studies weiterzuforschen. Das sind natürlich meine Eltern, ohne deren Liebe und Unterstützung ich meinen Weg nicht hätte gehen können. Mein großes Vorbild als Mensch und Wissenschaftler hat ebenfalls erheblich dazu beigetragen: Albert Einstein! Wenn ich richtig informiert bin, jährt sich heute der Tag seiner amerikanischen Einbürgerung zum hundertsten Mal. Ich sehe das als gutes Omen für meinen Start hier in Princeton. Last but not least möchte ich mich bei einem ganz besonderen Menschen bedanken: Mein bester Freund, seines Zeichens Professor am Institut für Archäologie der Philipps-Universität Marburg und ehrenamtlicher Mitarbeiter am Deutschen Archäologischen Institut, hat mich geradezu bedrängt, Ihr Angebot anzunehmen. Schließlich hätte ich nur hier wirklich die Chance, meine Arbeit in interdisziplinärer und interkollegialer Weise zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Allison MacKenzie, ich bin auf den Weg! Der Weg ist ein schmaler gefährlicher Grat. Der Weg ist steil und beschwerlich. Der Weg führt durch Dschungel und Wüsten. Der Weg ist das Ziel. Der Weg ist ...

Schweißgebadet schreckte Sophia hoch. Verdammt, schon wieder dieser Traum! Was für eine bescheuerte Hybris. Princeton! Du meine Güte! Fabio hatte mal im Scherz gemeint, dass sie dort gewiss eines Tages unterrichten würde. Fabio ... Es hatte Zeiten gegeben, da ...

Mensch Mädchen, raff dich auf und schlag ihn dir endlich aus dem Kopf! Du hast eine Aufgabe!

Nicht das erste Mal war ihr so, als ob ihre Mutter zu ihr sprach. Ach Quatsch! Alles Einbildung! Ihre telepathischen Eltern und die Fabios dazu hatten ihr Denken nachhaltig beeinflusst. Verscheucht hatten sie es! Manchmal war sie geradezu wütend, denn Fabio und sie hatten das geerbt. Es hatte Zeiten gegeben ...

Doch sie wollte das nicht – nicht mehr – und kämpfte immer wieder mit hoher Energie dagegen an, wenn er sich in ihren Gedanken einnistete.

Sie war nämlich in der Tat auf dem Weg. Ihr Epiphysox, so war das Ziel, hätte im Gegensatz zu dem von Allison MacKenzie projektierten nicht nur die Fähigkeit, die Telepathie zu verstärken, sondern sie – je nach Dosierung – auch abzustellen. Die erste Versuchsperson, an der sie das testen würde, wäre sie selber!

Verdammt, das Interview! Der Traum war nichts als ein Reminder gewesen. Sophia raufte sich die Haare und sprang aus dem Bett. Den fälligen Friseurbesuch, um ihre viel zu lang gewordenen Lockenpracht zu bändigen, hatte sie wegen der vielen Termine der letzten Tage aufschieben müssen.

Du siehst toll aus, wenn du so verschlafen in den Morgen blinzelst, irgendwie dem Himmel so nahe! – Fabio, lass mich in Ruhe. Ich will das nicht. Außerdem bin ich in Eile. Das Interview beginnt in einer halben Stunde. Hab verschlafen. – Dann warst du ja immer am schönsten! – Fabio, sei ruhig! – Ja, schon gut. Alles Gute für’s Interview!

Hastig zog Sophia sich an, nachdem sie sich spontan dann doch für das kurze rote Etuikleid aus SeaCell – letzter Schrei in diesem Sommer – entschieden hatte. Blöder Kerl!

Dem Himmel so nahe ... Die Anspielung auf ihre Augenfarbe traf immer mitten ins Herz, aus Gründen ... Einer war der, dass dadurch ihr Interesse an der Genetik geboren worden war – schon als junges Mädchen. Dass die Kombination aus blauer Augen- und brauner Haarfarbe recht selten war, wusste sie dann im Biologieunterricht schon zu erklären, noch bevor sie die Mendelschen Gesetze durchgenommen hatten. Die rezessiven Merkmale des Vaters, die blaue Augenfarbe und die braune Haarfarbe mit einem leicht rötlichen Stich, hatte sich gegen die dominanten Merkmale der Mutter, die rehbraunen Augen und die dunkelbraunen Haare, durchgesetzt. Später hatte sie das als gar nicht mal so besonders einklassifiziert – später, als sie sich mit der erstaunlichen Tatsache zu beschäftigen begann, dass ihre neue kleine Schwester Sarah beinahe schwarze, Haare und einen sehr hellen, leicht sommersprossigen Teint mit grünen Augen dazu besaß, obwohl ihr Vater ein Schwarzer war und ihre Mutter, geborene Schottin, sich doch ein wenig durchgesetzt hatte. In den Biologielehrer war ich übrigens ziemlich verknallt! – Was?! Ich dachte, du warst immer nur in mich verknallt! – In dich war ich noch nie verknallt. Ach Fabio ... Lass mich bitte in Ruhe. – Du hast angefangen. – Gar nicht wahr! – Wohl wahr.

Recht hatte er – diesmal. Gelegentlich ging es mit ihr durch, dabei waren sie nach ganz vielen Aufs und Abs endgültig zu dem ewigen Treueschwur Friends forever zurückgekehrt. Das war okay und fühlte sich gut an. Wenn es jemand gab, auf den sie sich hundertprozentig verlassen konnte, dann war es Fabio und umgekehrt war es genauso. Das Schicksal hatte es so für sie vorgesehen. Das Schicksal ... Gut, dass sonst niemand an ihren Gedanken teilhaben konnte! Man würde wohl – zu Recht – an ihrem Verstand zweifeln. Eine renommierte Wissenschaftlerin redet nicht vom Schicksal! Oder doch?

Wäre das nicht ein richtig guter Einstieg für das Interview? Aber ganz gewiss, du ewige Freundin!

Viertes Kapitel

Nähe und Ferne

 

Zwei Jahre zuvor

 

«Du und deine blöde Münze! Schlag dir das doch endlich aus dem Kopf. Das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen!» Dass Sophia sauer war und der Grund dafür nichts mit dem zu tun hatte, was sie soeben zugegebenermaßen mühselig und wahrscheinlich auch vergeblich versuchten, spürte Fabio schon seit geraumer Zeit. Der Stein des Anstoßes war ein anderer als der Stein, an dem Sophia sich soeben den Kopf gestoßen hatte. Letzterer war Auslöser ihrer Unmutsreaktion, Ersterer die Ursache.

Mit ein paar schnellen Schritten eilte Fabio zurück, drückte ihr einen fürsorglichen Kuss auf den kleinen Kratzer, den ihre Stirn davongetragen hatte, und murmelte, Verständnis für sich selbst heischend: «Ach Schatz!»

«Nenn mich nicht Schatz!», funkelte Sophia ihn schmollend an, «und sag mir lieber, ob du überhaupt einen Plan hast.»

Es war drückend heiß und über den durch die spätsommerliche Trockenheit ergrauten Hügelketten des schottischen Hochlandes wölbte sich eine ungewöhnliche Dunstglocke. In der Ferne war Castle Leod auszumachen und der silbrige Schimmer eines kleinen, unweit davon gelegenen Sees machte der Erscheinung einer Fata Morgana alle Ehre.

«Aber du bist und bleibst mein allergrößter Schatz, und nun sei nicht mehr sauer!» Fabio zog sie in den Schatten zwischen den beiden großen Megalithfelsen, die sie durchquert hatten und forderte sie auf, sich hinzusetzen. Dann stellte er den kleinen Rucksack ab, den er auf ihrer Wanderung mitgenommen hatte, und kramte eine kleine Salbendose hervor.

«Dass du daran gedacht hast!» Sophia verdrehte ein wenig die Augen, aber nicht so, wie man es tut, wenn man sich über etwas lustig macht, und Überheblichkeit schwang da schon gar nicht mit. Geduldig ließ sie es zu, wie er sie verarztete. Zunächst strich er ein paar widerspenstige Löckchen aus der Stirn, trug vorsichtig ein klein wenig Salbe auf die Wunde und verschloss das Ganze schließlich mit einem etwas überdimensionierten Pflaster.

«Sieht ja keiner», kommentierte er und verstaute die Erste-Hilfe-Utensilien wieder im Rucksack. Die Salbe hatten sie vor einigen Jahren selber hergestellt – in ihrer gemeinsamen Kräuterhexenphase, wie Sophia es zu bezeichnen pflegte. Sophias Haut war sehr empfindlich, so dass selbst kleinste Wunden oder Risse häufig hässliche Narbenbildungen hinterließen. Ihre Salbe, eine Mischung aus Calendula und Beinwellwurzel wirkte Wunder und stellte jedes käufliche Präparat in den Schatten.

«Ist ja auch egal, wie ich aussehe», schmollte Sophia gekünstelt. «Mit dieser Blondine kann ich ja ohnehin nicht mithalten.» Das war ihr so herausgerutscht und Fabio ignorierte es geflissentlich, weil er wusste, dass sie es nicht so meinte. Stattdessen bot er ihr den letzten Schluck Iso-Drink aus der neuen Traveler-Sigg-Flasche an, den sie jedoch dankend ablehnte, da sie der Meinung war, dass es besser sei, noch etwas für den Rückweg zu haben.

«Sorry, kommt nicht wieder vor, Indy,», entschuldigte Sophia sich und machte Anstalten aufzustehen.

«Moment mal», hielt er sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, zurück und blinzelte an dem ihnen gegenüberstehenden Menhir vorbei in die in Kürze untergehende Sonne. «Deine hirnverbrannte Eifersuchtsbekundung, die wirklich jeder Grundlage entbehrt, bringt mich gerade auf eine Idee!»

Beharrlich blinzelte er an dem Felsenrand vorbei, drehte sich, um auf den Menhir zu sehen, an den sie sich angelehnt hatten, schaute dann erneut Richtung Sonne und erklärte: «Diese Blondine, wie du sie verächtlich nennst, ist nichts weiter als eine wissenschaftliche Mitarbeiterin an meinem Institut und hat als solche ein sehr spannendes Spezialgebiet.»

Hierauf sprang er hoch, als ob er seiner Wahrnehmung doch nicht trauen könnte und betrachtete den Schatten, den der gegenüberliegende Stein auf ihren warf. «Ich werd verrückt», stammelte er, «daran hätte ich auch selber denken können!»

Er musste wohl ein wenig verwirrt dreingeschaut haben, denn Sophia erhob sich ebenfalls und legte ihm fürsorglich eine Hand auf die Schulter.

«Alles okay mit dir?», fragte sie und wechselte aber, nachdem sie erkannt hatte, dass er nur angestrengt nachdachte, schnell wieder auf die Ebene der freundschaftlichen Stichelei. «Ach so, der Her Professor hat eine Eingebung! Oder hat dir deine Blondine eine telepathische Botschaft übermittelt?»

Sophia, das nervt! Kannst du das jetzt bitte lassen? – Ja, schon okay. Ich bin weder eifersüchtig noch sonst was. – Klar, sauer bist du. Weiß ich. Hätte den Job in Marburg deiner Meinung nach nicht übernehmen sollen. – Mensch Fabio, ich find’s einfach doof, dass du so weit weg bist, und sonst gar nichts. Lass gut sein und sag schon, was dir im Kopf herumspukt.

«Quetzalcoatl hat mir eine Botschaft übermittelt – und sonst niemand!» Das ‚und sonst niemand‘ hatte Fabio übertrieben betont in die Länge gezogen. Es ging ihm um nichts anderes als den dezenten Hinweis, dass sie sich die telepathische Kommunikation gegenseitig verboten hatten – und sie natürlich dennoch funktionierte, ob sie es wollten oder nicht.

«Ach der!»

«Ja, der!»

Er streichelte ihr sanft über den Rücken und bat sie, mit aller Aufmerksamkeit auf den Schatten zu sehen – und wie er sich während des Sonnenuntergangs bewegte.

Dass sie damals vor etwa zwei Jahren nicht nach Mexiko hatte mitreisen können und im Nachhinein auf sich selber sauer gewesen war, markierte so eine Art Weggabelung in ihrer beider Leben. Sie hatten nun einmal verschiedene Wege beschritten. Seit diesem faszinierenden Schauspiel der ‚Gefiederten Schlange‘ an der Mayapyramide zur Tag-und-Nacht-Gleiche war in ihm ein Feuer entbrannt, solchen Phänomenen auf die Spur zu kommen. Indy war geboren worden! Sophia hatte ihn so getauft und nur Sophia durfte ihn so nennen – auch wenn es inzwischen alle taten. Etwas später, als sie auch nach Göbekli Tepe nicht mitreisen konnte, war ihr damals die Sequenzierung eines kleinen Teils des für die Epiphyse zuständigen Gens gelungen.

«Meinst du, es könnte ein Hinweis sein?

Solche banalen Fragen, ging es Fabio durch den Kopf, stellte sie stets dann, wenn ihr die Antwort völlig klar war, sie jedoch wegwischen wollte, dass ihre Verbindung so eng war, dass es keine Antwort bedurfte. Selbstverständlich war auch ihr sofort eingefallen, dass sie den 23. September hatten und seine Eingebung lediglich die Idee war, eine entsprechende Erscheinung auch hier zu entdecken.

Ach Sophia, es ist, was es ist. – Ja, ja, sagt die Liebe, aber es ist Unsinn, sagt die Vernunft!

«Lass uns vernünftig sein und konzentriert beobachten, was geschieht», murmelte Fabio, nachdem sie sich von der Brücke losrissen, die ihre Blicke für eine geraume Zeit gebildet hatten. Er spürte, wie ihr danach gewesen war, durch sein dichtes, krauses Haar zu streichen. Das mochte sie gerne – und er konnte nicht verhehlen, dass er sich gerade jetzt danach sehnte. Wenn es nur nicht dermaßen unvernünftig wäre! Friends forever – das war ihr glasklare, unerschütterliche Übereinkunft gewesen, komme, was da wolle.