Der kleine Affe Zibilu - Florian Fehring - E-Book

Der kleine Affe Zibilu E-Book

Florian Fehring

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Beschreibung

Die kleine, siebenjährige Lia liegt eines Tages auf ihrem Lieblingshügel und schaut zu den Wolken hinauf. Sie liebt es die lustigen Formen der Wolken zu verfolgen. Doch an einem Tag fällt plötzlich ein lustig aussehender Affe aus den Wolken. Er kullert über das Gras gegen einen Baum, nur um mit einem lauten Ploff zu verschwinden. Überrascht stellt Lia fest, das der Baum sie plötzlich ansieht und mit ihr spricht. Der Affe kommt aus dem Baumstamm hervor und stellt sich als Zikchikuy Biblgho Luxra vor, was Lia schnell zu Zibilu vereinfacht. Bald zeigt sich, das Zibilu viele Dinge, wie Häuser und Kleidung nicht kennt. Lia erklärt dem neugierigen Wesen gerne einiges, denn sie findet es lustig, wie er immer wieder die Dinge vertauscht. Als die anderen Kinder aus dem Dorf verschwunden sind, lernt Zibilu, was Freunde sind. Gemeinsam können Sie die anderen Kinder finden und aus einer Höhle retten. Als ihnen daraufhin ein Monster aus der Höhle folgt, lernt Zibilu, was Angst ist und Lia, dass diese doch ganz nützlich sein und überwunden werden kann. Doch das ist erst der Anfang einer Reihe von spannenden Abenteuern, die Gefühle thematisieren, welchen Kinder im Alltag begegnen und immer wieder lustig Begriffe aufgreifen, die man schon mal verwechseln kann. Das E-Book enthält einen Code, mit dem das Hörbuch kostenlos heruntergeladen werden kann.

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Der kleine Affe Zibilu

© 2023 Florian Fehring

ISBN: 978-3-7386-5923-8

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt

Der kleine Affe Zibilu

Am Himmel zogen die Wolken von links nach rechts. Zumindest taten sie das, wenn man so auf dem Boden lag und in den Himmel schaute wie Lia. Jemand anderes hätte vielleicht gesagt das die Wolken von rechts nach links zögen, oder von unten nach oben, oder halt umgekehrt von oben nach unten. Es kam immer ganz darauf an, wie Lia sich ins Gras auf ihren Lieblingshügel legte.

Lia war ein kleines Mädchen, kaum älter als sechs Jahre. Ihr Gesicht war das einer kleinen Prinzessin, behauptete zumindest ihr Opa. Es wurde von einem Haufen kleiner Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze gekrönt. Meistens sah man sie barfuß durch die Wiesen rennen oder durch die Bäche springen. Wenn sie das tat, sprangen ihre langen, rot-blonden Zöpfe auf und ab und spielten mit dem Wind fangen. Sie war ein glückliches Kind, so wie es alle Kinder sein sollten. Ein ganz normales Kind. Jedoch nicht ganz gewöhnlich. Sie hatte durch und durch grüne Augen, in denen ein Glanz lag, wie man ihn in den meisten Augen vergeblich suchen konnte.

Lia reckte ihre Füße dem blauen Himmel entgegen, wackelte mit den Zehen und lachte. Auch das tat sie häufig, sie stand einfach nur irgendwo da, sah sich etwas an und begann zu lachen. Leute, die sie nicht kannten, wunderten sich. Leute, die sie kannten, freuten sich. Und nicht selten geschah es, das der eine oder andere begann mitzulachen.

Die große Wolke, die gerade noch die Sonne verdeckt hatte, wurde vom Wind ein Stückchen weiter getragen und Lia blinzelte im Sonnenschein. Was für ein herrlicher Tag das doch war. Die Vögel zwitscherten, die Bäume säuselten im leichten Wind und die Bienen summten ein fröhliches Lied. Dazu tanzten die Schmetterlinge im Wind.

„Nur eines ist schade“, dachte sie, „das Tobi, Emily, Sabri und Anne heute nicht mit mir spielen können.“

Tobi, Emily, Sabri und Anne waren ihre besten Freunde und jeder Tag ohne sie war nur halb so schön wie ein Tag mit ihnen. Heute war Lia nicht mit ihnen zusammen in der Schule, weil krank gewesen war. Aber jetzt ging es ihr schon wieder viel besser.

Als ein Schatten auf ihre Augen viel öffnete sie diese wieder. Ein großer Vogel, ein Adler, glitt dicht über den Wipfel des Baumes neben ihr hinweg. Es schien, als würde er eine Wolke hinter sich herziehen. Als er mit den Flügeln zu schlagen begann, schlugen die Wolken Wellen, wie das Wasser, wenn man einen Stein hineinfallen lässt. Fasziniert schaute Lia der Wolke zu, während sich der braun-weiß gefiederte Adler immer weiter in die Lüfte erhob und langsam so klein wurde, dass er aus ihrem Blick verschwand. Die Wolke kräuselte sich. Zwei Löcher entstanden, um die sich Teile der Wolke zu drehen begannen. Immer größere Kreise zogen die Wirbel. Lias Augen wurden immer größer und ihr Mund formte ein spitzes ohhh. Die Wirbel lösten sich langsam voneinander. Ein winzig kleiner Wolkenteil zwischen diesen beiden Wirbeln blieb zurück. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Hätte sie jemand anderen gefragt, so hätte auch dieser gesagt, dass er so etwas noch nie gesehen hatte. Die Wirbel drehten und drehten sich und wurden vom Wind weiter auseinander getragen. Lias Blick wanderte von einem zum anderen und wieder zurück. Einmal blieb ihr Blick an dem kleinen Rest Wolke zwischen den Wirbeln hängen.

„Die Wolke sieht ja aus wie ein Affe!“ Ihre Augen funkelten wie die Sterne, als sie diesen Gedanken hatte und ein Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. Der Wind sorgte dafür, dass die Wirbel sich weiter voneinander entfernten. Die kleine Wolke war dem Wind ausgesetzt und verformte sich zu einem Elefanten, in dem der lange Schwanz des Affen zu einem Rüssel wurde. „Oh, wie schön. Der Affe kann sich verwandeln“, sagte Lia und schon verformte sich der Affe-Elefant in eine Schlange, die kurz darauf ganz verschwand.

Und von ein auf den anderen Moment zerstob erst der eine, dann der andere Wirbel in abertausende kleine Wolken. Diese flogen schnell auseinander und lösten sich auf. Lia setzte sich, den Blick noch immer in den Himmel gerichtet und den Mund weit aufgerissen. War das gerade wirklich passiert? So etwas sollte doch nicht passieren. Oder vielleicht doch? Konnten Wolken einfach so verschwinden, von jetzt auf gleich? Das musste sie ihrer Oma erzählen! Doch sie rührte sich nicht. Keinen Millimeter bewegte sich das Mädchen.

Ein kleiner, schwarzer Punkt erschien dort, wo zuvor noch die kleine Wolke gewesen war. Vielleicht war es der Adler oder ein anderer Vogel? Aber der Punkt bewegte sich nicht mit dem Wind und er bewegte sich auch nicht gegen den Wind. Er wurde einfach immer größer und größer. Hatte er eben noch die Größe eines Stecknadelkopfes gehabt, so hatte er nun schon die Größe des Kopfes von einer der Stricknadeln von Lias Oma und schon konnte man erkennen, das es, was immer es war, gelb und braun war. Und es kam genau auf Lia zu! Sie bekam Angst und machte eine wischende Bewegung mit dem Arm, als ob sie alle Gefahr mit einem Streich davon fegen könnte.

Tatsächlich kam in diesem Moment ein starker Windstoß, der Lia beinahe selbst umgeweht hätte. Dann krachte es laut und knackte in den Ästen des Baumes neben ihr. Die Blätter raschelten und die dünneren Äste gaben widerstrebend nach. Einen Moment später war Stille.

Lia blickte in das Blätterwerk auf. Die Sonne erhellte das Grass. Eine Biene zischte summend zu einer besonders farbenfrohen Blume mit lila und roten Blättern. Die Wolken zogen am Himmel vorüber und der Wind säuselte leise durch die Blätter des Baumes, in dem ein lustig aussehender Affe kopfüber an einem halb abgebrochenen Ast hing. Er klammerte sich mit seinen Füßen am Ast fest. In seinem braun und gelb gefleckten Fell hingen lauter Blätter, die ihn noch farbenfroher machten. Doch das Grün, das er am Schwanz hatte, waren keine Blätter. Sein ganzer Schwanz war gelb und grün gestreift. Außerdem fielen noch die großen Ohren auf. Einmal mehr wurden Lias Augen vor Staunen groß und ihr Mund weit aufgerissen. Aber der Affe blickte ebenso zu ihr hinab, wie sie zu ihm hinauf.

Einen Moment passierte nichts, dann knackte es laut und der Ast brach in zwei. Der Affe purzelte samt Ast vom Baum. Doch noch im Fall zog er seine Arme und Beine, sowie den Schwanz an und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Auf dem Boden angekommen kullerte er über die Wurzeln des alten Baumes, über das Grass und dicht an Lia vorbei, die ihm mit offenem Mund hinterherblickte. Eine Biene summte ärgerlich und suchte schnell das Weite, als er über eine Gruppe von drei Glöckchenblumen hinweg rollte. Er rollte direkt auf einen anderen Baum zu, prallte gegen den Stamm und war dann mit einem lauten Ploff verschwunden.

Lia stand auf und ging zu der Stelle, an der der Affe verschwunden war. Sie blickte den Stamm an, doch nichts deutete darauf hin, das etwas gegen ihn geprallt wäre.

„Kleiner Affe?“, fragte sie, doch nichts und niemand antwortete ihr.

Sie ließ ihren Blick zurück zu dem anderen Baumstamm schweifen. Die Blumen auf dem Weg versuchten sich gerade wieder aufzurichten. Der abgebrochene Ast lag auf dem Boden. Einige Blätter wurden vom Wind davon geweht und in der Krone des Blätterdaches prangte ein ansehnliches Loch. Sie drehte sich wieder um.

„Kleiner Affe? Bist du hier irgendwo?“, fragte sie und lief zweimal um den Baum herum, zuerst auf den Boden schauend und dann nach oben in das Wirrwarr der Äste blickend. Doch nirgends war etwas vom kleinen Affen zu sehen. Nicht das gelb braune Fell. Nicht die großen Ohren. Und auch nicht der grün und gelb gestreifte Schwanz.

„Oh nein“, entfuhr es Lia, „Jetzt werde ich bestimmt wie Tante Agate. Papa sagt doch immer, die ist vollkommen durchgeknallt.“

„Was ist durchgeknallt?“, fragte eine kecke Stimme.

Lia drehte sich in die Richtung um, aus der die Worte gekommen waren, doch dort befand sich nur der alte Baum.

„Ich bin echt durchgeknallt“, Lia bekam ein wenig Angst, hatte ihr Vater doch immer befürchtet, dass das ansteckend sein könnte. Ebenso wie die Röteln, die sie vor ein paar Monaten im ganzen Kindergarten verteilt hatte.

„Was ist durchgeknallt?“, fragte die kecke Stimme wieder.

Lia blickte nach unten und blinzelte. Da schaute sie doch tatsächlich der Baum aus zwei großen, runden Augen an.

„Durchgeknallt ist, wenn man einen Baum mit Augen sieht“, auf ihrem Gesicht zeigte sich größer werdende Angst. Wer hätte auch keine Angst, wenn er glaubt plötzlich verrückt zu sein?

„Die Schatten spielen oft mit den Augen Streiche“, erklärte der Affe, „Manchmal sieht man was, das nicht da ist und manchmal sieht man nichts, obwohl was da ist.“

„Durchgeknallt ist aber auch, wenn man eine Stimme hört, aber nichts sieht“, gab Lia zu bedenken.

„Aber man hört doch Stimmen von Leuten, die versteckt sind“, erwiderte der Affe.

„Bist du denn versteckt?“, fragte Lia daraufhin. Mit einem Plopp bekam sie die Antwort auf ihre Frage. Der Affe kam aus dem Baumstamm hervor und stellte sich vor ihr. Sie sah ihm dabei zu und sagte: „Durchgeknallt ist aber auch, wenn man was tut, das andere nicht tun.“

„Wenn das durchgeknallt ist, dann sind wohl alle durchgeknallt“, kicherte der Affe, „Schließlich tut doch nie jemand genau das, was ein anderer tut. Du stehst hier auf dem Hügel, aber kein anderer tut das. Bist du deswegen durchgeknallt?“

Das erschien Lia einleuchtend genug und zauberte ein Lachen auf ihr Gesicht. Sie sah den kleinen Affen von den Füßen bis zu den Ohren, die ihr bis zum Bauch reichten, an und fragte: „Wer bist denn du?“

„Mein Name ist Zikchikuy Biblgho Luxral“, sagte der Affe und streckte dabei die Brust vor, weil er so stolz auf seinen Namen war.

„Zickkuh Babbelgro“, versuchte Lia den Namen auszusprechen, verzog jedoch skeptisch das Gesicht, bis ihr wieder ein Lächeln über das Gesicht huschte und sie sagte: „Ich nenne dich Zibilu, ok?“

„Klingt gut“, entgegnete der Affe und lachte, weil er sich wunderte, warum er selbst nicht auf die Idee gekommen war.

„Du bist ein komischer Affe“, meinte Lia, die sich über Zibilus breit gezogenes Lachen mit den spitz zulaufenden Mundwinkeln amüsierte.

„Was ist ein Affe?“, fragte Zibilu.

Lia brauchte nicht lange zu überlegen. Erst letzte Woche war sie mit ihrem Opa und ihrer Oma im Tierpark gewesen. Dort hatten sie neben den großen Giraffen, den dicken Elefanten und den kleinen Entenkindern auch sich von Ast zu Ast schwingende Affen gesehen.

„Affen haben einen langen Schwanz“, sagte sie und zeigte dabei auf Zibilus eigenen Schwanz. Zibilu blickte auch zu diesem, sah ihn so an, als würde er ihn zum ersten Mal in seinem Leben sehen und packte ihn sich.

„Affen können mit allen beiden Händen und mit allen beiden Füßen greifen“, fuhr Lia fort.

Zibilu sah sich zuerst seine Hände an, schloss und öffnete die Handflächen, blickte dann zu seinen Füßen und öffnete und schloss auch diese.

„Affen haben auch ganz große schöne Kulleraugen“ Lia ging in die Hocke und streckte ihren Kopf nach vorne, um ihrem Gegenüber besser in die Augen sehen zu können. Zibilu blickte zurück und ein Lächeln sprang wie ein Funke vom dem einem zur anderen hinüber.

„Die meisten Affen haben auch ganz viel kuscheliges Fell“, fügte Lia noch hinzu und streckte die Hand nach Zibilu aus, der sofort einen Schritt auf sie zu ging und sich von ihr streicheln ließ, bis sie anerkennend nickte. Der Affe, der aus den Wolken gefallen war, blickte an sich hinunter und hinauf. Dann drehte er den Kopf von der einen auf die andere Seite. Schließlich machte er einen Kopfstand auf einem Arm, stemmte sich mit dem linken Fuß am Baumstamm ab und drückte sich mit der freien Hand auf die Nase.

„Ja, ja. Das haben die Affen, die ich gesehen habe auch gemacht!“, quietsche Lia vor Vergnügen und klatschte in die Hände, „Und herumgehüpft sind die Affen im Tierpark!“, Zibilu hüpfte auf und ab und einmal um Lia herum, „Ach ja und dann haben sich einige gekratzt, genauso“, Lia hob die rechte Hand auf ihren Kopf und kratzte sich dort, schob die linke Hand unter ihre linke Achsel und kratzte auch dort. Zibilu blickte sie an, machte die Bewegungen nach und kicherte.

„Und auf die Bäume sind sie geklettert und gesprungen und haben sich von Ast zu Ast geschwungen!“

Zibilu drehte sich gerade im Kreis, während er auf dem Kopf stand, als das Mädchen das sagte, doch nun hielt er abrupt inne, wodurch er natürlich nicht mehr genug Schwung hatte und umkippte. Er purzelte vornüber, machte eine Rolle und saß dann vor ihr.

„Was ist das?“

„Was ist was?“, fragte Lia zurück.

„Was ist ein Baum?“

Lia wunderte sich. Warum sollte ein Affe nicht wissen, was ein Baum ist? Doch reagierte sie, wie vielleicht nur ein Kind es kann. Sie erklärte es einfach.

„Das ist ein Baum“, sie zeigte auf den, gegen den Zibilu nach seinem Sturz vom Himmel gekracht war, „Sag bloß, es gibt keine Bäume da, wo du herkommst.“

Zibilu schüttelte den Kopf, „Ah. Das ist ein Baum. Nein wo ich herkomme, da gibt es so etwas nicht. Bei mir Zuhause gibt es Lianen überall. Die hängen von den Wolken herab und reichen fast bis zum Boden.“

Zibilu krabbelte auf allen Vieren zum Baum und berührte ihn, „Es fühlt sich schön an ein Baum zu sein.“

Lia kicherte und fragte: „Woher weißt du, wie es ist ein Baum zu sein?“

„Ich war gerade eben ein Baum, als ich mich vor dir versteckt habe“, Zibilu ging daraufhin einen Schritt, in den Baum hinein.

Lia stand mit offenem Mund da. Ihre Mutter hätte sie sicherlich ermahnt, dass man so nicht dastand. Der Baum hatte nun wieder Augen und diesmal auch einen Mund.

„Es ist ein schönes Gefühl, wie das Leben durch die tausenden kleinen Adern fließt, die mich durchziehen“, schwärmte Zibilu, „Kaum beschreiben kann ich es, wie es sich anfühlt, wenn der Wind durch meine Blätter streicht oder wie die Bienen in meinen Blüten nach Nektar suchen.“

„Aber ist es nicht ziemlich langweilig ein Baum zu sein?“, fragte Lia, die sich das nicht so ganz vorstellen konnte.

„Nein“, erwiderte der Baum, „Ich kann die vielen Jahre zählen und mich an alles erinnern, was je war, seit dem ich ein kleiner Keim war. Alles ist in meinen Jahresringen gespeichert. Und ich lebe schon so lange, dass ich viel gesehen habe.“

Lia war skeptisch und drückte dies auch aus: „Ich weiß nicht. Wo ist denn da der Spaß einfach nur immer auf derselben Stelle zu stehen, selbst wenn man sich an alles erinnern kann?“

„Ich sehe wie die Dinge kommen, wie sie wachsen und wie sie wieder vergehen und ich kriege vieles mit, das manch anderer nicht mitkriegen soll. Ich weiß auch, dass du sehr oft hierherkommst und im Gras liegst.“

„Aber als Baum kann man nicht durch die Welt gehen. Du wirst niemals das Meer sehen und niemals deine Verwandten im großen Wald.“

„Ich sehe anders als du“, erklärte der Baum, „Ich fühle den Wind, der Blüten und Blätter anderer Bäume zu mir treibt.“

„Das muss schön sein“, sagte Lia und pflückte eine Pusteblume, „Ich wollte schon immer mal wissen, was für Abenteuer ein Pusteblumenschirmchen erlebt“, Lia pustete und sah verträumt den Schirmchen hinterher, wie sie vom Wind davon getragen wurden. Noch etwas fiel ihr ein und sie blickte zurück zum Baum. „Aber traurig muss ein Baum doch sein, wo er nichts von alledem erzählen kann.“

„Ich spreche mit den Vögeln, die mir auch Geschichten aus allen Teilen der Welt singen.“

„Oh. Mit den Vögeln sprechen würde ich auch gerne können“, sagte Lia träumend.

Zibilu trat wieder aus dem Baum heraus und sah das kleine Mädchen an. „Ich bin wohl ein komischer Affe, so wie es aussieht. Aber was bist du? Bist du ein nicht komischer Affe?“

„Ich bin Lia Fontane.“

„Was ist ein Lia Fontane?“

„Oh. Lia Fontane ist mein Name. Ich bin ein Mensch.“

„Davon habe ich noch nie gehört. Ich glaube, da wo ich herkomme, gibt es ebenso wenig Menschen wie Bäume.“

„Dann gibt es vielleicht noch viele andere Sachen dort nicht. Komm, ich zeige dir die Welt! Das wird bestimmt lustig!“, forderte Lia den kleinen Affen Zibilu auf.

„Oh ja. Ich bin ganz neugierig, was es hier noch zu entdecken gibt!“, beide drehten sich um und blickten vom Hügel über die Wiesen und Felder.

Der kleine Affe entdeckte auf Anhieb viele Sachen, die er nicht kannte, oder die ihm komisch vorkamen. Er wusste überhaupt nicht, wo er anfangen sollte zu fragen.

Er deutete auf den Lauf eines kleinen plätschernden Baches, einen Weg, der sich zwischen den Feldern entlangschlängelte, auf ein Getreidefeld und schließlich eine Wiese, auf der mehrere große, braune Tiere standen.

„Was ist das?“, wollte Zibilu wissen und rannte los. Das Tier auf der anderen Seite sah ihn an, als er auf die Holzbretter sprang und sagte: „Hallo du. Ich bin Zibilu und wer bist du?“

Die Antwort des Tieres bestand aus einem Wiehern. Lia lachte.

„Das ist ein Pferd“, erklärte das Mädchen, „Pferde können nicht sprechen.“

Der kleine Affe sprang mit einem Satz auf das Pferd und war verschwunden. Stattdessen hatte das Tier nun eine gelb-grün gestreifte Mähne.

„Ich heiße Jolly“, sagte es zur erstaunten Lia.

Der kleine Affe konnte also auch in Tiere hineinschlüpfen, um mit ihnen zu reden. Das gefiel dem Mädchen. Jetzt wollte sie ihm noch viel mehr zeigen.

„Komm. Jetzt zeige ich dir, mein Dorf. Es ist gleich hinter dem nächsten Hügel.“

Der kleine, merkwürdige Affe mit dem gelb-grünen Schwanz war begeistert: „Oh ja! Lass uns das machen Lia Fontaine!“

„Zibilu?“, fragte Lia.

„Ja?“, fragte Zibilu zurück.

„Du darfst mich einfach Lia nennen.“

Lia Fontane und der kleine, kecke Affe Zibilu packten sich bei den Händen und gingen gemeinsam den Hügel hinauf.

Der kleine Affe Zibilu und die verschwundenen Freunde

Lia Fontane ging mit dem bunten Affen Zibilu über einen grünen Hügel, auf denen blaue, gelbe und bunte Blumen blühten. Sie folgten einem Trampfelpfad. Es dauerte keine zwei Minuten, bis ein Dorf in Sichtweite kam. Zibilu blieb stehen und legte den Kopf von der einen auf die andere Seite.

„Was sind das für lustige Dinger, die da stehen?“

Lia wusste nicht, was der kleine Affe meinte, „Was für Dinger meinst du?“

„Diese großen mit den komischen Löchern und den spitzen obendrauf.“

Lia schüttelte suchend den Kopf. Da waren so viele Dinge in dem Dorf. Die Heuwagen, die Gehege für das Kleinvieh, der Dorfplatz mit dem Brunnen, die Gärten, die Mühle und natürlich die Häuser.

„Oh. Du meinst die Häuser!“

„Häuser? Wozu braucht man die? Was macht man damit?“

Lia deutete auf das erste Haus auf der rechten Seite, ein einfaches Holzhaus das unten braun und oben weiß gestrichen war, „Da wohne ich. Nachts kann man darin schlafen und wenn es regnet auch drinnen spielen.“

Zibilu sprang auf und rannte im Zickzack in Richtung der Häuser, um sie näher zu betrachten.

„Ihr seid lustig. Ich baue mir zum Schlafen einfach eine Hängematte aus Lianen und lege mich hinein.“

Lia rannte hinterher und lachte. Sie stellte sich das richtig schön vor, Nachts unter den Sternen in einer Hängematte zu liegen und dem Mond zuzusehen, bis einem die Augen zufielen.

„Aber was machst du, wenn es regnet?“

„Dann werde ich nass“, lachte Zibilu und rollte die letzten Meter vergnügt über den Boden.

Lia lachte mit. Als sie dann vor der Haustür ihres Elternhauses stand, hörte sie plötzlich auf.

Zibilu hüpfte vor ihre Füße und sah sie mit seinen großen Kulleraugen an, „Was hast du?“

„Was werden meine Eltern sagen, wenn sie dich sehen?“

Zibilu zuckte mit den Schultern, „Hallo?“

„Nein. Mein Papa hat schon geschimpft, als ich letztes Jahr im Winter ein Hermelin mit nachhause gebracht habe! Der wird ausrasten! Du musst dich erst einmal verstecken.“

Der kleine Affe zuckte mit den Schultern, sagte „Ok“ und sprang gegen die Tür. Mit einem leisen Ploff verschwand er darin. Lia drückte die Tür auf und rief: „Papa?“

Statt ihres Vaters kam ihre Mutter aus der Küche.

„Lia schön, dass du wieder da bist“, Lias Mama hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen und nahm ihre Tochter sofort in den Arm.

Lia kannte ihre Mama natürlich gut genug, um sofort zu merken, wenn etwas nicht stimmte. Und hier stimmte ganz bestimmt etwas nicht.

„Was ist los? Ist Papa nicht da?“

„Tobi, Emily, Sabri und Anne sind noch nicht von der Schule zurück, obwohl sie schon längst wieder hier sein müssten. Papa ist mit den anderen Erwachsenen los, um nach ihnen zu suchen.“

Lia machte große Augen. Das konnte doch nicht sein! Die anderen Kinder des Dorfes waren verschwunden? Wo konnten sie nur hin sein? Das Nachbardorf, in dem sich die Schule befand, war nicht besonders weit weg. Vielleicht spielten sie nur irgendwo auf dem Weg? Aber sie wollten doch eigentlich noch zusammen spielen. Das Mädchen drehte sich um und ging zur Haustür. Ihre Mutter sah ihr hinterher und fragte: „Wo willst du hin?“

„Ich gehe ihnen entgegen“, verkündete das Mädchen.

„Ist gut Schatz. Aber mach keine Dummheiten. Wir wollen nicht noch ein Kind suchen müssen.“

„Versprochen, Mama“, sagte das Mädchen lächelnd.

Lias Mama war beruhigt, denn sie wusste, dass sie sich auf ihre Tochter verlassen konnte.

Als Lia die Haustür wieder hinter sich schloss, tauchte Zibilu wieder daraus auf. Er sprang neben ihr her, während sie zum Dorfrand zurückging und fragte: „Wer sind Tobi, Emily, Sabri und Anne?“

„Das sind meine Freunde.“

„Was sind das? Freunde?“, fragte Zibilu.

Lia blieb am Rand des Dorfes stehen und sah den kleinen Affen an. Über diese Frage musste sie erst einen Moment nachdenken. Sie setzten sich auf einen großen Stein.

„Ein Freund, das ist jemand mit dem du viel Spaß haben kannst. Aber Freunde sind auch für dich da, wenn es dir mal schlecht geht“, begann Lia zu erklären, „Ein Freund ist jemand, dem du alles erzählen kannst und der dir auch mal einen Fehler verzeiht. Manchmal kennen dich deine Freunde besser als du selbst. Freunde helfen einander und beschützen sich, wenn sie in Schwierigkeiten sind.“

Zibilu kratzte sich am Kinn, er konnte nicht sagen, dass er das verstand. Aber eines verstand er ganz genau und so fragte er: „Deine Freunde sind in Schwierigkeiten?“

„Könnte sein, ja“, sagte Lia traurig.