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Mizu ist überzeugt davon, dass jeder nur an sich selbst denkt. Auch die Liebe ist nur eine Lüge, mit der man seine eigenen Ziele erreichen will. Warum sollte sie es also anders machen und auf jemanden Rücksicht nehmen? Karagan hingegen glaubt fest an das Gute und die Liebe in jedem. Um Mizu das zu zeigen, hat er sie geküsst. Denn Karagan ist ein Drache. Sein Kuss hat die Macht, verschollene Erinnerungen zum Leben zu erwecken. Als sie ein zweites Mal aufeinandertreffen, erinnern sie sich an Ereignisse, die sie zu dem machten, was sie heute sind. Wird sich Karagans Hoffnung erfüllen und diese Erinnerungen befreien Mizu von ihren Schatten? In 15 kurzen Episoden tauchst du tief in Mizus und Karagans Vergangenheit und in ihre Welt voller Magie, Geister und Dämonen. Erlebe, wie Liebe und Wut ihr Leben verändern. Außerdem findest du im Buch QR-Codes zu Hintergrundinformationen und kostenlosen Zugang zu den neusten Episoden für 3 Monate.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
Autor: Florian Fehring
Wilhelm-Busch-Str. 12
31675 Bückeburg
ISBN eBook Ausgabe: 9783819400322
Karaganzwängte sich durchdie Menschenmengein der überfüllten U-Bahn. Er erblickte die langen, schwarzen Haare, die er gesucht hatte. Am Abend zuvor war er auf diese Frau getroffen. Mizu. Sie war etwas Besonderes, das hatte er sofort gespürt. Er hatte versucht mehr über sie zu erfahren, aber es war ihm nicht gelungen, bevor sie ihn k.o. geschlagen hatte. Er wusste nicht einmal, wo er sie suchen sollte. Doch jetzt stand sie plötzlich in seiner U-Bahn mit dem Rücken zu ihm.In dem Moment, in dem er sie erreichte, hatte sie sich schon umgedreht. Sie sah ihn mit ihren roten Augen direkt in seine seetang-grünen.
„Du?“, fragte Mizu und sah ihn hasserfüllt an. Die Erinnerung an den Kuss, den er ihr ungefragt gegeben hatte, brannte in ihrem Kopf. Ihre Hand ging zu ihrer Seite, wo sie ein Messer versteckte. Sie konnte ihn jetzt und hier angreifen. Aber sie hatte gesehen, wozu er imstande war. Außerdem hatte sie ihn mit einem Fluch belegt. Es sollte nur eine Frage der Zeit sein, bis er wirkte.
Karagan sah Mizu in die Augen. Hatte sie sich verändert? Nein. Er sah noch immer die gleiche Wut, wie am Vorabend darin.
„Dieser Kuss hat die Träume ausgelöst, nicht wahr?“
Karagan nickte, „Mein Kuss kann Erinnerungen wachrufen. Ich bin mir sicher, auch du hast schöne Momente erlebt. Du musst dich nur an sie erinnern, dann kannst du deinen Hass ablegen und wieder Liebe empfinden.“
Mizu stieß die Luft scharf aus, „Siehst du? Genau das ist das Problem, das ich mit dir habe. Du glaubst, dass es so etwas wie Liebe gibt.“
„Wieso bist du dir so sicher, dass es sie nicht gibt?“
„Erfahrungen“, antwortete die Frau mit dem schmalen Gesicht, „Liebe ist nur eine Lüge. Jeder denkt nur an sich.“
„Dann hasst du die falschen Erfahrungen gemacht. Das tut mir leid“, sagte Karagan und in seinen Augen stand tiefes, ehrliches Mitleid.
Mizu wischte dieses mit einer knappen Handbewegung beiseite, „Ich habe dadurch gelernt, die Menschen so zu sehen, wie sie sind.“
Karagan schüttelte den Kopf und blickte sie an, „Ich glaube nicht, dass du das richtige Bild von den Menschen hast. Sie sind im Grunde ihres Wesens gut. Ich kann dir helfen, es zu sehen. Ich will dirhelfen.“
Mizu beugte sich an sein Ohr, grinste boshaft und flüsterte ihm zu: „Und ich will dich töten.“
„Mizu“, begann er, kam aber nicht dazu weiter zu sprechen. Die Bahn bremste stark und beide wurden von anderen Leuten angestoßen, sodass sie den Halt verloren. Sie stießen gegeneinander und dann berührten sich ihre Lippen. Mizu riss die Augen weit auf. Sie konnte nicht glauben, dass dies ein zweites Mal passierte. Doch dann befand sie sich an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit …
Dayita sprang mit einem Satz über die kleine Steinmauer und rannte über das Gras auf einen Fluss zu. „Du kriegst mich nicht! Du kriegst mich nicht!“, rief sie ihrer großen Schwester zu, die hinter ihr hergerannt kam. Das fünfjährige Mädchen rannte zu einer steinernen Brücke und als ihre Schwester aufholte und nach ihr griff, sprang sie auf die Mauer. Sie verlor den Halt. Palita griff nach ihr, doch verfehlte das schlicht gelbe Kleid knapp. Dayita stürzte dem trüben, braunen, in schnellen Strömen dahinfließende Wasser entgegen. Sie tauchte mit dem Kopf zuerst darin ein, sank schnell tiefer und schlug mit dem Kopf an einen Stein auf dem Grund. Da ergriff sie eine Strömung und schob einen Baumstamm unter sie.
„Halte dich daran fest“, flüsterte eine Stimme.
Mit aller Kraft, die das Mädchen hatte, umklammerte sie den Stamm. Die Strömung trug sie an das Ufer.
Seit diesem Ereignis ging das Mädchen jeden Tag zum Fluss. Sie stand mit den Füßen darin, wusch sich mit seinem Wasser, nahm etwas davon für ihren Garten und dankte ihm. So verging die Zeit. An manchen Tagen spielte sie verträumt mit den Wellen. Manchmal glaubte sie, im Wasser ein lächelndes Gesicht zu sehen. Sie wurde größer und wuchs zu einer hübschen Frau heran. Eines Tages stand sie am steinigen Ufer, löste ihre Kleider, dass sie zu Boden fielen und sagte: „Ich komme jetzt zu dir.“ Sie setzte einen Fuß vor den anderen und ging tiefer in den breiten Fluss. Bald hatte sie keinen Boden mehr unter den Füßen und da riss die Strömung an ihr. Sie verlor den Halt, wurde mitgerissen und tauchte unter. Sie schloss die Augen bis zu dem Moment, in dem sie eine Strömung spürte, die sich unter sie legte und sie sanft nach oben hob. Als sie die Wasserfläche durchbrach, lächelte sie glücklich und sagte: „Ich wusste, dass du da sein und mich retten wirst. Bitte, zeig dich. Ich möchte dich gerne sehen.“
Im Wasser erschien ein Gesicht mit großen Augen, einer zierlichen Nase und gekrönt von blauen Haaren, die spitz zuliefen. Langsam hob es sich aus dem Wasser des Flusses und wurde zu einem menschlichen Gesicht. Dayita strich ihm mit einer Hand über die Wange und sagte: „Danke. Wie ist dein Name?“
Er überlegte einen Moment, ehe er sagte: „Karagan.“
„Warum hast du dich früher nie gezeigt?“
„Die Menschen akzeptieren Wesen wie mich nicht.“
„Es gibt immer solche, die dich nicht akzeptieren und welche, die dich, wie ich, lieben.“
Das war der erste Tag, seit zweihundert Jahren, an dem Karagan den Fluss verließ und menschliche Gestalt annahm. In der folgenden Zeit verbrachte er immer mehr Tage mit ihr und spürte in seinem Herzen, dass auch er, sie schon immer geliebt hatte. Sie teilten die Freuden und das Leid des Lebens miteinander und er zeigte ihr alle Wunder der magischen Welt, die er mit ihr Teilen konnte. Sie zeigte ihm, dass es Menschen gab, die ehrlich liebten, füreinander da waren und auch ihn akzeptierten. Doch während sie Jahr um Jahr älter wurde, behielt er sein jugendliches Aussehen. Dennoch trennte sie nichts, bis zu jenem Tag, an dem sie ihn bat, ihr ein letztes Mal an den Fluss zu helfen. Sie blickte ihm in die seetang-grünen Augen und sprach: „Danke Karagan. Für dieses schöne Leben an deiner Seite. Versprich mir, dass du immer lieben wirst.“
„Ich werde mich an dich erinnern. Für immer. Aus Liebe“, flüsterte er und sie lächelte, während sie ihren Atem an die Welt übergab.
Mizu saß auf der steinernen Mauer eines Klosters, das zwischen zerklüfteten Bergen versteckt lag. Ihre Augen in Konzentration leicht zusammengekniffen starrte sie auf eine Kerze, die vor ihr stand. Ein kleiner, bunt gefiederter Vogel im Käfig blickte immer wieder zwischen ihr und der erloschenen Kerze hin und her. Auf der Mauer saßen noch andere. Alle trugen, wie Mizu schwarze Gewänder mit langen Roben. Die anderen hatten, wie Mizu, Kerzen und einen Vogelkäfig vor sich. Bei ein paar von ihnen entflammte die Kerze, ohne dass sie sie berührt hätten. Ein Mann mit hinter dem Rücken verschränkten Armen trat neben sie, „Eine Kerze zu entzünden, ist simpel und doch schaffst du nicht einmal das.“
„Mir fehlt nur noch ein wenig Konzentration, Meister Sayoko“, antwortete die Frau mit den langen, schwarzen Haaren, ohne den Blick von der Kerze abzuwenden.