Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause - Claus Mikosch - E-Book

Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause E-Book

Claus Mikosch

5,0

Beschreibung

"Zuhause ist es doch am schönsten", heißt es. "Aber wo genau ist eigentlich mein Zuhause?", fragt sich der kleine Buddha und überlegt, was "zuhause sein" wirklich bedeutet. Dazu begibt er sich von seinem Lieblingsplatz unter dem Bodhi-Baum auf eine weitere Reise und damit zugleich auf die abenteuerliche Suche nach der eigenen Heimat. Unterwegs trifft der kleine Buddha über die Begegnung mit verschiedenen Menschen auf ganz unterschiedliche Vorstellungen vom eigenen Zuhause: "Zuhause" kann ein Ort sein oder gleich die ganze Welt, eine bestimmte Person oder vielleicht nur ein Gefühl. Letzten Endes geht es darum, das Zuhause auch in sich zu finden, sich selbst Heimat zu sein. "Wohin gehöre ich?" Ein wunderschönes Buch über eine der wichtigsten Fragen des Lebens.

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für Paloma

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Einbandgestaltung: Tanja Geier, Nice Day Advertising

Coverillustrationen: © Gert Albrecht, mystel/shutterstock.com

Innenvignetten: www.shutterstock.com

Konvertierung: Newgen Publishing Europe

Ebook-ISBN 978-3-451-82431-9

ISBN 978-3-451-03317-9

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Impressum

Inhalt

Die Reise nach Hause

Das junge Paar

Die ewige Erfinderin

Der neugierige Nomade

Die Tränen der Regenliebhaberin

Ein guter Freund

Die verlassene Insel

Die unglückliche Meeresschnecke

Die herzliche Gewürzhändlerin

Der taube Leuchtturmwärter

Die vertraute Schriftstellerin

Der weiße Vogel

Das vergessene Geschenk

Die Reise nach Hause

Ein lebhafter Wind zog über das Land. Staubige Erde wurde aufgewirbelt und aus der Ferne rollten große graue Wolken heran. Der kleine Buddha saß mit geschlossenen Augen auf dem flachen Stein unter dem Bodhi-Baum und beobachtete seine Gedanken. Zuerst waren sie in kurzen Abständen hin und her gesprungen und hatten ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Doch nach und nach schien der Wind die Rastlosigkeit wegzublasen. Der Herzschlag des kleinen Buddha verlangsamte sich und in seinem Inneren spürte er ein wachsendes Gefühl von Gelassenheit. Er atmete tief und gleichmäßig ein und aus und lauschte dabei den ersten Tropfen, die zu Boden fielen.

Wenn sich der kleine Buddha zum Meditieren hinsetzte, geschah es nur sehr selten, dass er sofort in die gewünschte Stille eintauchte. Meistens dauerte es eine Weile, bis sich sein Körper und Geist beruhigten. Manchmal schaffte er es auch nicht alleine, dann brauchte er Hilfe von warmen Sonnenstrahlen oder leisen Klängen oder eben von einer kräftigen Brise. Und gelegentlich klappte es gar nicht, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als den ruhelosen Moment zu akzeptieren, so, wie er war.

Der Regen wurde stärker. Beschützt von den vielen Blättern des Bodhi-Baums saß der kleine Buddha im Trockenen und konnte ganz entspannt dem Naturschauspiel beiwohnen. Immer dickere Tropfen klatschten auf den Boden und schon bald bildeten sich in seiner unmittelbaren Umgebung Pfützen. Während er fasziniert auf eine dieser Pfützen starrte, bemerkte er im Augenwinkel eine Gestalt, die auf ihn zugelaufen kam. Kurz darauf stand sie direkt neben ihm: Es war sein alter Freund, der Bauer.

„Was für ein Mistwetter!“, schimpfte er und schüttelte sich dabei wie ein nasser Hund.

Der kleine Buddha zuckte mit den Schultern. Er mochte den Regen, aber er musste schließlich auch nicht draußen unter freiem Himmel arbeiten.

„Wenn ich schon wieder diese grauen Wolken sehe“, sagte der Bauer, „bekomme ich direkt Fernweh.“

Der kleine Buddha erinnerte sich, wie ihn der Bauer vor vielen Jahren zu seiner ersten Reise ermutigt hatte. Vielleicht war es nun der kleine Buddha, der den Bauern ermutigen musste.

„Warum verreist du nicht für eine Weile?“

„Wenn das so einfach wäre“, seufzte sein Freund. „Ja, ich würde gern mal wieder richtig weit reisen und lange unterwegs sein, so wie früher. Aber heute geht das leider nicht mehr. Wer sollte sich denn dann um meine Felder kümmern? Und außerdem brauchen mich meine Frau und meine Kinder und auch ich würde es nicht lange ohne sie aushalten. Nein, ich kann nicht einfach weg.“

Sie saßen schweigend nebeneinander und sahen dem heftigen Wolkenbruch zu. Als der Regen schließlich nachließ, stand der Bauer auf und verabschiedete sich, um weiterzuarbeiten. Seine Laune hatte sich inzwischen etwas gebessert.

„Mein Zuhause ist hier“, sagte er mit einem Lächeln. „Die grauen Wolken und etwas Fernweh ändern daran nichts.“

Kurz darauf war der kleine Buddha wieder alleine. Inspiriert von seinem langjährigen Freund begann er, über sein eigenes Zuhause nachzudenken. Wo war es und was bedeutete es genau, ein Zuhause zu haben? Konnte er es besitzen wie einen schönen Umhang? Oder war es lediglich ein Gefühl? War es immer dasselbe Zuhause oder veränderte es sich mit der Zeit?

Wenn es als Zuhause einen festen Ort geben sollte, dann war es auf jeden Fall der Platz auf dem flachen Stein unter dem großen alten Bodhi-Baum. Dort fühlte sich der kleine Buddha geborgen und geschützt und am Ende seiner Reisen kehrte er immer wieder dorthin zurück. Aber dann dachte er an die Worte des Bauern, für den die Arbeit und vor allem die Familie sein Zuhause waren. Der kleine Buddha hatte weder Frau noch Kinder – war es überhaupt möglich, sich ohne eigene Familie irgendwo zuhause zu fühlen? Und wenn nicht, konnte er dann wahrhaftig glücklich sein?

Fragen über Fragen. Er beneidete den Bauern ein wenig, weil dieser dank seiner Arbeit und seiner Familie genau wusste, wo sein Zuhause war. Allerdings ergab sich aus seiner eigenen Situation ein klarer Vorteil: Er war nicht an einen bestimmten Ort gefesselt! Er fühlte sich mit dem Bodhi-Baum eng verbunden, aber sowohl der kleine Buddha als auch der große Baum konnten problemlos eine Zeit lang ohne den anderen auskommen. Vielleicht könnte er also auf einer neuen Reise erkunden, ob es nicht noch andere wunderbare Möglichkeiten gab, sich zuhause zu fühlen.

Nur einen Tag später hatte der kleine Buddha alles Notwendige erledigt und war bereit, aufzubrechen. Am Abend vor seiner Abreise bekam er noch einmal Besuch vom Bauern.

„Ich freue mich für dich und wünsche dir alles Gute“, sagte er. „Wenn ich schon nicht selbst mein Fernweh stillen kann, so ist es immerhin schön zu wissen, dass mir ein guter Freund bald aufregende Reiseanekdoten erzählen wird.“ Dann reichte er dem kleinen Buddha einen zugeklebten Briefumschlag. „Hier, falls du unterwegs Heimweh bekommen solltest.“

Der kleine Buddha nahm den Umschlag dankend entgegen, legte ihn zu seinen Sachen und schenkte dem Bauern eine lange Umarmung.

Am nächsten Morgen waren die grauen Wolken weitergezogen und blauer Himmel begrüßte ihn zusammen mit dem Sonnenaufgang. Er wusste nicht, welche Antworten er finden würde, aber eines war sicher: Fragen hatte er wie immer genügend im Gepäck!

Ein letzter Blick zum Bodhi-Baum, dann begann er seine fünfte Reise.

Das junge Paar

Mit leichten Schritten marschierte der kleine Buddha der aufgehenden Sonne entgegen. Es war ein herrliches Gefühl, wieder unterwegs zu sein! Dabei hatte sich diese neue Reise bis vor wenigen Tagen überhaupt nicht angedeutet. Erst, als der Bauer von seinem Fernweh und seinem Zuhause gesprochen hatte, war der kleine Buddha neugierig geworden. Und was für ein Privileg es war, ganz spontan dieser Neugierde nachgehen zu können!

Jemand wie der Bauer konnte nicht so leicht von einem Tag auf den anderen die Sachen packen und alles stehen und liegen lassen. Diese Freiheit zu haben, dafür war der kleine Buddha unheimlich dankbar.

Nach einigen Stunden erreichte er die erste große Kreuzung. Auf allen seinen Reisen war er hier vorbeigekommen und jedes Mal hatte er sich entscheiden müssen, welche Richtung er einschlagen wollte. Beim ersten Mal war er auf dem Weg zum Glück einfach geradeaus gegangen; beim zweiten Mal hatte er die Sache mit der Liebe erforscht und sich von einem Schmetterling nach rechts leiten lassen; und als er auf seiner dritten Reise losgezogen war, um die Kraft der Veränderung zu entdecken, war er nach links abgebogen. Das letzte Mal war er hier gewesen, als er von seiner vierten Reise und dem Wunder der Zeit zu seinem Bodhi-Baum zurückgekehrt war. Der kleine Buddha kannte also bereits alle vier Richtungen – wohin sollte er dieses Mal gehen?

Er nahm einige tiefe Atemzüge, dann hatte er eine Idee. Mitten auf der Kreuzung schloss er seine Augen und begann, sich langsam um die eigene Achse zu drehen. Er zählte bis fünf, blieb stehen und schaute geradeaus: Der Weg vor ihm führte nach Süden. Die Entscheidung war gefallen.

Der kleine Buddha spazierte an weiten Wiesen und Feldern vorbei und freute sich auf die noch unbekannten Erfahrungen, die vor ihm lagen. Ab und zu kam ihm jemand entgegen, dann ging er auf dem schmalen Pfad einen kleinen Schritt zur Seite und grüßte freundlich. Die meiste Zeit jedoch war er alleine und genoss die Einsamkeit inmitten der endlosen Landschaft.

Am frühen Nachmittag gönnte er sich eine längere Pause. Er meditierte eine Weile im Schatten eines großen Baumes, anschließend packte er etwas von seinem Proviant aus. Während er genüsslich eine große Birne verzehrte, dachte er noch einmal an die Reisevorbereitungen des letzten Tages. Er war selbst ein wenig überrascht gewesen, wie schnell alles gegangen war. Zuerst hatte er das Unkraut entfernt, das um den flachen Stein herum gewachsen war, und unter dem Bodhi-Baum gründlich gekehrt. Er hatte es sich angewöhnt, alles ordentlich und sauber zu hinterlassen, wenn er eine Zeit lang fortging. Danach hatte er von den Bäumen des Bauern etwas Obst für die ersten Tage seiner Reise gepflückt, bevor er in einem nahe gelegenen Bach seinen Umhang wusch. Am Abend hatte er dann eine Nachricht an die Menschen geschrieben, die ihn täglich besuchten und ihn um Rat fragten. Er wollte, dass sie Bescheid wussten, dass er verreist war. Zum Schluss hatte er noch Decke und Proviant in seiner Umhängetasche verstaut – fertig!

Er nahm einen letzten Bissen von der Birne, als er plötzlich zusammenfuhr. Oh nein, er hatte etwas vergessen! Um ein Haar wäre ihm vor Schreck das Birnenstück im Hals stecken geblieben. Schnell griff er nach seiner Tasche und durchwühlte sie, aber es war wie befürchtet: Er hatte das Geschenk des Bauern vergessen!

Am Vorabend hatte er den Briefumschlag auf die Decke gelegt – er musste heruntergerutscht sein und lag nun wahrscheinlich zwischen den Wurzeln des Bodhi-Baums. Der kleine Buddha ärgerte sich, dass er nicht besser aufgepasst hatte, und ihm tat der Bauer leid, der sich nun ganz umsonst die Mühe gemacht hatte, ihm sein Geschenk zu bringen. Sollte er umkehren, um den Umschlag zu holen? Er war noch keinen ganzen Tagesmarsch entfernt und hatte eigentlich genügend Zeit. Doch eine bereits angefangene Reise unterbrechen? Nur wegen eines Briefes?

Letzten Endes entschied sich der kleine Buddha weiterzuziehen. Er hätte zwar allzu gerne gewusst, was in dem Umschlag war, aber er musste sich bis zu seiner Heimkehr gedulden. Bestimmt würde der Bodhi-Baum in seiner Abwesenheit gut darauf aufpassen.

Und womöglich hatte er das Geschenk ohnehin nicht zufällig vergessen, denn das Leben hatte dem kleinen Buddha ein ums andere Mal gezeigt, dass es fast immer einen guten Grund für das gab, was passierte.

Die erste Nacht verbrachte er in einer verlassenen Scheune. Erschöpft vom vielen Wandern war der kleine Buddha sofort auf einem dicken Strohballen eingeschlafen. Am nächsten Morgen wachte er mit starkem Muskelkater auf, seine Beine schmerzten von den vielen Kilometern des Vortages. Trotzdem blieb er nicht lange liegen und brach auf, noch bevor die Sonne aufgegangen war.

Der schmale Pfad hatte sich mittlerweile in einen breiten Weg verwandelt. Nachdem der kleine Buddha ein paar Stunden lang ungestört genau in der Straßenmitte spaziert war, musste er auf einmal nach rechts ausweichen, weil von hinten eine Kutsche angefahren kam. Kaum hatte sie ihn überholt, hielt sie an. Die Tür der eleganten Kabine ging auf und ein junger Mann trat heraus, gekleidet in einen vornehmen Anzug.

„Komm, wir nehmen dich ein Stück mit“, rief er und winkte den kleinen Buddha zu sich.

Der kleine Buddha zögerte kurz, denn er wollte den schönen Tag ungern im Inneren einer Kutsche verbringen. Doch seine müden Beine bettelten förmlich darum, das Angebot des Mannes anzunehmen. Außerdem war es eine Chance, andere Reisende kennenzulernen.

Kurz darauf hatte er sich in die kleine Kabine gequetscht und saß in Fahrtrichtung auf einer wackeligen Holzbank. Vor ihm der Mann, der ihn eingeladen hatte, und an dessen Seite eine hübsche Frau in einem festlichen weißen Kleid. Das junge Paar hielt Händchen und starrte den kleinen Buddha mit strahlenden Augen an.

„Danke, dass ihr mich ein Stück mitnehmt“, sagte er höflich.

„Nein, wir haben zu danken!“, entgegnete der Mann und wandte sein Gesicht der Frau zu. „Was für ein Glück, dass wir ausgerechnet heute einem Mönch begegnet sind!“

„Einem Mönch?“, fragte der kleine Buddha vorsichtig.

„Ja, sicher. Du bist doch ein Mönch, oder?“

„Na ja …“

„Siehst du, Schatz, ich wusste es! Wenn jemand so einen orangefarbenen Umhang trägt, muss es ein Mönch sein.“

Der kleine Buddha hätte ihnen am liebsten direkt die Wahrheit gesagt, dass er nämlich gar kein Mönch war, sondern ein ganz normaler Reisender, oranger Umhang hin oder her. Aber er wollte sie nicht enttäuschen.

„Warum wolltet ihr denn einen Mönch treffen?“, erkundigte er sich, doch seine Frage wurde offenbar überhört. Stattdessen umarmten sich die beiden plötzlich wild und beteuerten, wie sehr sie sich liebten. Der kleine Buddha freute sich zwar, dass sie anscheinend sehr glücklich waren, aber für ihn war die Situation etwas seltsam.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen sie voneinander ab und drehten sich wieder zu ihm.

„Warum braucht ihr einen Mönch?“, versuchte es der kleine Buddha noch einmal.

„Weil ein Mönch allen Paaren, die in den Flitterwochen sind, Glück bringt“, sagte die junge Frau. „Dank dir werden wir nun also auf jeden Fall für immer zusammen sein und viele Kinder bekommen und …“

Sie fielen sich erneut um den Hals und küssten sich, als wäre es ihr letztes Mal. Der kleine Buddha schaute verlegen nach draußen und fühlte sich ziemlich fehl am Platz. Er fragte sich, wer ihnen wohl gesagt hatte, dass ein Mönch frisch verheirateten Paaren Glück brachte. Wie sollte das funktionieren?

Aber er beschloss, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Als die zwei Verliebten eine kurze Kusspause machten, nutzte er die Gelegenheit, um das Gespräch, das bisher gar kein richtiges Gespräch gewesen war, in eine andere Richtung zu lenken.

„Wohin fahrt ihr denn?“

„Zum Meer“, sagten sie gleichzeitig.

„Ein schönes Ziel für eine Hochzeitsreise“, fand der kleine Buddha.

„Ja, das ist es“, sagte der Mann. „Aber eigentlich ist es egal, wohin wir fahren. Hauptsache, wir sind zusammen!“

Und damit war die Unterhaltung auch schon wieder zu Ende. Sie verschmolzen erneut miteinander und taten so, als wären sie alleine in der Kutsche. Der kleine Buddha guckte an ihnen vorbei durch das winzige Fenster, um zu sehen, ob er sich nicht einfach zum Kutscher gesellen konnte. Aber die Fahrerbank war leider zu schmal für zwei Personen.

„Ich liebe dich mehr als ein Mensch lieben kann“, schluchzte die Braut und zerrte dabei so sehr am Hemd ihres Bräutigams, dass es beinahe zerrissen wäre.

Der kleine Buddha versuchte, Bewunderung für die Leidenschaft des Paares aufzubringen, aber es fiel ihm schwer. Sicher, er war auch einmal verliebt gewesen und wusste, wie schön und intensiv dieses Gefühl sein konnte. Aber was seine Mitreisenden hier veranstalteten, schien ihm doch sehr übertrieben. War das gesund, fast schon besessen von seinem Partner zu sein? Oder hatte er vielleicht irgendetwas verpasst? War er womöglich doch noch nie richtig verliebt gewesen? Wenn das junge Paar der Maßstab für echtes Verliebtsein sein sollte, dann war er sich allerdings nicht sicher, ob er auf diese Erfahrung nicht lieber verzichten wollte.

Plötzlich schauten die beiden ihn wieder an.

„Wir müssen dir unbedingt von unserer Hochzeit erzählen! Es war der schönste Tag unseres Lebens, alles war perfekt und unglaublich romantisch!“

Was folgte, war eine ausführliche Beschreibung ihrer kompletten Liebesgeschichte. Der Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten, der erste Kuss, die vielen gemeinsamen Ausflüge und der Heiratsantrag; die einjährige Hochzeitsplanung, der Kauf des Kleides, die Wahl der Einladungskarten, die Blumen, das Essen, die Musik; anschließend der Tag vor der Hochzeit, die Nervosität, die Freude und die letzten Vorbereitungen; dann die Zeremonie, die Geschenke, der erste Tanz, die lange Nacht – sie ließen kein einziges Detail aus.

Der kleine Buddha war froh, dass in der Kutsche nun immerhin mehr gesprochen als geküsst wurde, aber er hätte sich eine richtige Unterhaltung gewünscht statt eines Zweiermonologs. Nach einer Stunde begann er, unruhig auf seinem Sitz hin- und herzurutschen, aber erst nach einer weiteren Stunde waren sie endlich fertig mit ihrer Erzählung. Und dann fielen sie natürlich sofort wieder übereinander her und ignorierten die Tatsache, dass der kleine Buddha vor ihnen saß. Dem war das dieses Mal aber sogar recht, so musste er den beiden wenigstens nicht länger zuhören.

Eine Weile blickte er aus dem Seitenfenster und überlegte, mit welcher Begründung er so bald wie möglich aussteigen konnte. Aber bevor er gänzlich aufgab, wollte er noch einen allerletzten Versuch unternehmen, die beiden vielleicht doch noch in ein interessantes Gespräch zu verwickeln.

„Darf ich euch etwas fragen?“