Der kleine Fürst 106 – Adelsroman - Viola Maybach - E-Book

Der kleine Fürst 106 – Adelsroman E-Book

Viola Maybach

0,0

Beschreibung

Viola Maybach´s Topseller. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Versprich mir, dass du hingehst", sagte Gräfin Annaluise von Ortenberg. Sie lag im Bett, blass und ausgezehrt aussehend. "Ohne dich macht es mir keinen Spaß, ein Rennen anzusehen, Omi." Antonia von Ortenberg, Annaluises Enkelin, kämpfte gegen die Tränen an, die ihre Augen bereits feucht glänzen ließen. "Ich werde schon dabei sein, keine Sorge. Nur nicht so, dass du mich sehen kannst." Annaluise tastete nach Antonias Hand. "Du musst nicht traurig sein, ich bin es auch nicht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 114

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der kleine Fürst –106–

Onkel gesucht - Liebe gefunden!

Dein Glück ist schon so nah, Antonia!

Roman von Viola Maybach

»Versprich mir, dass du hingehst«, sagte Gräfin Annaluise von Ortenberg. Sie lag im Bett, blass und ausgezehrt aussehend.

»Ohne dich macht es mir keinen Spaß, ein Rennen anzusehen, Omi.« Antonia von Ortenberg, Annaluises Enkelin, kämpfte gegen die Tränen an, die ihre Augen bereits feucht glänzen ließen.

»Ich werde schon dabei sein, keine Sorge. Nur nicht so, dass du mich sehen kannst.« Annaluise tastete nach Antonias Hand. »Du musst nicht traurig sein, ich bin es auch nicht.«

Annaluise atmete schwer. Sie war in ihrem Ferienhaus in den Bergen, wie immer um diese Jahreszeit. Drei Wochen hatte sie allein mit ihrer Haushälterin Agnes Bauer hier verbracht, dann hatte sie Antonia angerufen und um ihr sofortiges Kommen gebeten. Niemanden sonst, nur Antonia, ihre Lieblingsenkelin.

Und Antonia war gekommen, ohne zu zögern. Sie hatte es gewusst, die ganze Zeit schon. Am Abend ihrer Ankunft hatte die alte Gräfin gesagt: »Ich werde sterben, Toni, und ich möchte, dass du bei mir bist. Wirst du das können?«

»Du wirst nicht sterben, Omi, es ist viel zu früh, und …«

»Ich werde sterben. Bleibst du bei mir?«

Antonia hatte daraufhin nur stumm mit dem Kopf genickt. Was sonst hätte sie tun sollen?

»Kein Arzt, keine anderen Verwandten«, hatte Annaluise noch gesagt und danach das Thema gewechselt. Das war jetzt drei Tage her. Seitdem war sie beständig schwächer geworden. Es war das Herz, das war der Familie und ihrem Arzt seit Langem bekannt. Doch Gräfin Annaluise hatte einen starken Willen, und so wäre niemand auf die Idee gekommen, sich ihr zu widersetzen, auch wenn sie Dinge tat, die man bestenfalls als ›unvernünftig‹ bezeichnen konnte. Diese Reisen in die Berge zum Beispiel, nur in Begleitung ihrer treuen Haushälterin: Das grenzte doch schon an Wahnsinn!

Agnes Bauer erschien an der Tür. »Ihr Tee, Gräfin Anna«, sagte sie.

»Danke, Agnes.«

»Und Sie, Toni? Möchten Sie immer noch nichts?«

»Nein, danke, Agnes.«

Agnes Bauer war mit ihrer Arbeitgeberin alt geworden. Nach Annaluises Tod würde sie sich zur Ruhe setzen, sie hatte ihr Leben lang gearbeitet. In den letzten Jahren freilich hatte das Zusammenleben der beiden alten Frauen eher dem von zwei Schwestern geglichen, die Freud und Leid miteinander teilten. Außer Antonia war Agnes Bauer der wichtigste Mensch im Leben von Gräfin Annaluise, die von sich selbst sagte, sie sei nie ›ein Familienmensch‹ gewesen.

Agnes Bauer zog sich wieder zurück, und Antonia half ihrer Großmutter, den Tee zu trinken. Die Gräfin hatte Mühe, brachte aber einige Schlucke hinunter, bevor sie sich erschöpft zurück in die Kissen sinken ließ.

Antonia griff das Gespräch wieder auf. »Ein Pferderennen ohne dich neben mir in der Loge, das ist einfach zu traurig, Omi.«

»Ich sagte dir doch, ich werde da sein.«

Sie sahen einander an, dieses Mal konnte Antonia es nicht verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.

»Nicht weinen, Kind«, sagte Annaluise weich. »Nicht weinen, ich gehe ohne Groll, und ich bin dankbar, dass du in dieser Stunde bei mir bist. Weißt du, so habe ich es mir gewünscht. Ich wollte in diesem Haus sterben, weitab von der Hektik zu Hause. Es ist natürlich etwas mehr Arbeit für dich, hinterher, meine ich …«

»Bitte, hör auf, Omi«, sagte Antonia mit tränenerstickter Stimme. »Ich kann es nicht ertragen, wenn du so redest. Vielleicht wirst du wieder gesund, vielleicht …«

Wieder tastete die alte Gräfin nach der Hand ihrer Enkelin. »Nein, das werde ich nicht«, sagte sie ruhig. »Aber es geht mir gut, verstehst du das?«

»Nein«, flüsterte Antonia. »Das verstehe ich nicht.«

»Wie dumm von mir. Du bist jung, wie sollst du da verstehen, dass der Tod auch eine Erlösung sein kann.«

»Aber du lebst doch gern, Omi! Und du hast keine Schmerzen. Wie kannst du da von Erlösung sprechen?«

Annaluises Hand wanderte von Antonias Hand zu ihrem Kopf, über den sie mit matten, zärtlichen Bewegungen strich. »Ich hinterlasse dir eine Aufgabe, Kind«, sagte sie.

»Was für eine Aufgabe denn?«, fragte Antonia verwirrt.

»Ich habe alles aufgeschrieben, der Notar, bei dem ich das Testament hinterlegt habe, hat einige Briefe, die du an dich nehmen und später verteilen musst. Es ist auch ein Brief für dich dabei, in dem ich dir alles erkläre, was du wissen musst. Er wird ihn dir geben, wenn die anderen nicht dabei sind. Sie werden die Wahrheit erst später erfahren, wenn du Erfolg hattest.«

»Ich verstehe nicht …«

»Nein, wie solltest du auch? Aber du wirst alles verstehen, wenn du gelesen hast, was ich geschrieben habe. Und dann wirst du entscheiden, was zu tun ist.« Annaluises Hand sank herab, sie hatte keine Kraft mehr.

Antonia betrachtete das blasse geliebte Gesicht mit den vielen feinen Linien, die sich im Lauf der Jahrzehnte darin eingegraben hatten. Die Vorstellung, dass sie schon sehr bald nicht mehr mit ihrer Großmutter würde reden können, lähmte sie.

»Du solltest Agnes jetzt rufen«, sagte Annaluise. »Sie war immer bei mir, all die Jahre. Ich möchte nicht, dass sie jetzt draußen vor der Tür bleibt.«

Antonia hob den Kopf, und da war Agnes Bauer auch schon, sie hatte Annaluises Worte gehört. Es wunderte Antonia nicht. Unter Tränen lächelte sie der alten Haushälterin zu, dann nahm Agnes auf der anderen Seite des Bettes Platz. Auch ihr Gesicht war von feinen Linien durchzogen, und Antonia schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Annaluise und sie sich im Laufe der Zeit immer ähnlicher geworden waren, so wie es manchmal auch bei alten Paaren der Fall ist.

Annaluises Atem wurde schwerer. Ihre linke Hand ruhte in der ihrer Enkelin, die rechte hielt Agnes. Einmal noch öffnete sie die Augen, schenkte Agnes ein Lächeln voller Zuneigung und wandte sich dann Antonia zu. »Du wirst ihn finden«, sagte sie.

Nach diesen Worten sanken ihre Lider herab, zum letzten Mal stieß sie den Atem aus, in einem langen Zug, dann hörte ihr Herz auf zu schlagen.

Es war sehr still im Raum. Agnes senkte den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf, während Antonia sich noch gegen die Erkenntnis wehrte, dass ihre Großmutter tot war. Das Unabänderliche dieses Ereignisses konnte sie noch nicht begreifen. Erst Minuten später legte sie ihre Wange auf die Hand ihrer Großmutter und schloss die Augen. Am liebsten wäre sie in dieser Haltung eingeschlafen. Vielleicht hätte sie beim Aufwachen feststellen können, dass sie nur einen schlimmen Traum gehabt hatte?

»Wir müssen den Arzt rufen«, sagte Agnes leise, indem sie aufstand. »Und Sie sollten mit Ihren Eltern sprechen, Toni.«

Antonia hob den Kopf. »Sie ist tot, Agnes. Sie ist tot!«

Jetzt erst sah sie, dass Agnes weinte. Sie stand auf und ging auf die alte Haushälterin zu. Lange umarmten sie einander und versuchten, sich gegenseitig zu trösten, bis Agnes schließlich einen Schritt zurücktrat. »Es hilft nichts«, sagte sie. »Rufen Sie den Arzt und Ihre Eltern an, Toni.«

Antonia nickte. Sie beugte sich zu ihrer Großmutter hinunter und küsste sie. Dann verließ sie leise den Raum.

*

»Nächste Woche fahren wir nach Sternberg«, teilte Peter Leyenfeld seinem jungen Geschäftspartner Julius von Flotow mit. »Es wird Zeit, dass ich dich dort mal vorstelle.«

Peter und Julius ließen exklusives Reitzubehör fertigen und waren damit außerordentlich erfolgreich. Ihre Sättel zum Beispiel kosteten ein kleines Vermögen, aber wer einmal einen besessen hatte, wollte nie mehr einen anderen. Ähnlich war es mit Zaumzeugen, Stiefeln und anderem Zubehör. Peter hatte vor Jahren in sehr kleinem Stil damit angefangen, bis Julius eines Tages bei ihm aufgetaucht war und ihn gefragt hatte, ob er nicht einen Partner gebrauchen könne. Es waren runde fünfundzwanzig Jahre, die sie trennten, Peter hätte also leicht Julius’ Vater sein können, aber dieser Altersunterschied hatte seltsamerweise nie eine Rolle gespielt. Peter beglückwünschte sich noch heute zu dem Wagnis, den unerfahrenen jungen Mann, der ihm da ins Büro geschneit war, anzuhören und sich auf seine Ideen einzulassen. Etwas Besseres, das wusste er jetzt, hätte er gar nicht tun können. ›Leyenfeld und Partner‹ war in der Branche ein überaus klangvoller Name geworden.

»Seit Friedrich von Kant das Gestüt ausbaut, ist sein Bedarf an Reitzubehör stetig gewachsen, und er will in Zukunft nur noch mit uns zusammenarbeiten.«

»Das wäre ja wie ein Sechser im Lotto«, meinte Julius. »Sternberger Pferde sind in der ganzen Welt berühmt.«

»Du hast es erfasst. Ich habe angekündigt, dass du mitkommst, daraufhin sind wir beide eingeladen worden, ein paar Tage im Schloss zu verbringen.«

Julius musste sich setzen. Er war ein blonder Schlaks mit unbekümmertem Auftreten, strahlend blauen Augen und einem überaus charmanten Lächeln. Ihm flogen die Herzen seiner Mitmenschen zu, ohne dass er sich besonders darum bemühen musste, und natürlich wusste Peter, wie wichtig das für ihr Geschäft war.

Er selbst war ein gut aussehender Mann von Ende Vierzig, der nur schwer aus sich herausgehen konnte. Er war Junggeselle geblieben. Die eine Frau, zu der er von Grund auf Vertrauen hätte haben können, hatte er nicht gefunden. Ihm selbst war klar, warum das so war, aber anderen erklärte er es nicht. Das war seine Privatsache und ging nur ihn etwas an. Über seine Familiengeschichte sprach er nicht gern. Julius hatte es einige Male versucht, schließlich aber aufgegeben, worüber Peter froh war. An manche Dinge rührte man besser nicht.

»Ein paar Tage auf Schloss Sternberg?«, fragte Julius jetzt. »Du nimmst mich auf den Arm, oder?«

»Sehe ich so aus?« Peter musste lächeln, als er die glänzenden Augen des Jüngeren sah. Der Name ›Sternberg‹ vermochte noch immer zu verzaubern. Kein Wunder: Das Schloss war märchenhaft schön, es gab keinen Reiseführer, der es nicht ausführlich würdigte. Seine Lage auf einer Anhöhe im reizvollen Sternberger Land erhöhte die Anziehungskraft, die es ausübte, noch.

Allerdings konnte das Schloss normalerweise nicht besichtigt werden, denn es war, anders als viele andere Schlösser, bewohnt. Bis vor einem knappen Jahr hatten dort sogar zwei Familien gelebt: Das Fürstenpaar von Sternberg mit seinem fünfzehnjährigen Sohn Christian und die Familie von Christians Tante Sofia von Kant, einer Schwester seiner Mutter. Sofia war über zehn Jahre zuvor mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Tochter nach Sternberg gezogen, sodass die drei Kinder wie Geschwister aufwachsen konnten.

Doch bei einem grauenhaften Unfall war das Fürstenpaar ums Leben gekommen, der junge Prinz von Sternberg wurde seitdem von seiner Tante und deren Mann Baron Friedrich von Kant aufgezogen.

Diese Geschichte war jedem im Land bekannt, auch wenn er sonst keinerlei Verbindung nach Sternberg hatte. Auch Julius kannte sie, und so kam er jetzt zögernd darauf zu sprechen. »Aber empfangen sie denn überhaupt Gäste – ich meine, der Unfall ist noch kein Jahr her …«

»Sie empfangen Gäste, schon seit längerer Zeit wieder. Sternberg ist immer sehr gastfreundlich gewesen, und sie haben festgestellt, dass es ihnen bei der Bewältigung ihrer Trauer hilft, wenn sie ihr Leben, nach außen hin zumindest, weiterleben.«

»Aber der Junge …«

»Prinz Christian, meinst du?«

Julius nickte.

»Er ist sehr tapfer und hat einen ganz eigenen Weg gefunden, mit der Tragödie umzugehen. Jeden Tag stattet er dem Grab seiner Eltern einen Besuch ab – und er redet im Stillen mit ihnen. Der Baron hat mir das erzählt: So hält er die Erinnerung an seine Eltern wach und bewältigt zugleich seine Trauer.«

»Mit fünfzehn beide Eltern zu verlieren«, murmelte Julius, »das muss furchtbar sein.«

»Es war furchtbar. Aber vergiss nicht: Er konnte auf Sternberg bleiben, und er war nicht allein. Seine Tante und sein Onkel haben ihn überaus liebevoll aufgenommen. Außerdem versteht er sich vor allem mit seiner Cousine Anna gut, sie ist dreizehn.«

»Wie viele Kinder haben die Kants?«

»Zwei. Anna hat einen Bruder, Konrad. Er ist sechzehn.«

»Ich werde verklemmt sein im Umgang mit dem jungen Prinzen, schätze ich. Wird er nicht ›der kleine Fürst‹ genannt?«

»Ja. Er ist zwar noch kein Fürst, aber eines Tages, wenn er achtzehn ist, wird er einer sein. Bis dahin wird er diesen Namen wohl noch tragen müssen. Aber so weit ich weiß, hat er nichts dagegen, es ist ja eher ein Kose- als ein Spitzname.«

»Ist er denn klein, von der Körpergröße her, meine ich?«

»Im Gegenteil, er ist sogar ziemlich groß, er kommt ganz nach seinem Vater. Fürst Leopold war über einen Meter neunzig groß. Als Christian zwei oder drei war, haben die Leute angefangen, vom ›großen‹ und vom ›kleinen Fürsten‹ zu reden. Dabei ist es dann geblieben.«

»Wenn du lieber allein fahren würdest …«

»Was ist denn mit dir los, Julius?«, fragte Peter verwundert. »Ich habe uns beide angekündigt, weil ich möchte, dass du die Kants ebenfalls kennenlernst. Eines Tages bin ich nicht mehr da, du führst die Geschäfte allein weiter und solltest unsere wichtigsten Kunden persönlich kennen, finde ich. Und Friedrich von Kant wird sich ohne Zweifel zu einem unserer wichtigsten Kunden entwickeln.«

»Was redest du denn – ›ich bin nicht mehr da‹! Was soll das heißen? Ich hoffe, wir machen noch sehr lange zusammen Geschäfte.«

»Ich hätte nichts dagegen, aber eine Garantie dafür gibt es natürlich nicht«, stellte Peter abschließend fest. »Also, notier dir jetzt bitte die Daten für unsere kleine Reise und sag all deine Verabredungen ab …«

»Ich habe überhaupt keine!«

»Und in der Woche drauf ist dann das große Galopprennen, da müssen wir natürlich auch hin.«

»Volles Programm«, freute sich Julius.

Danach trennten sie sich, jeder verschwand in seinem Büro. Sie hatten noch schrecklich viel zu tun vor dieser wichtigen Reise nach Sternberg.

*

»Tote Hose«, murrte Lena Aumüller, als ihre Tante Birgit sie anrief. Birgit war Lenas Vertraute, war es immer schon gewesen. Eigentlich war ihr Verhältnis zueinander eher schwesterlich, Birgit war nur zehn Jahre älter als Lena. Im letzten Jahr war sie sechsunddreißig geworden.

»Wenn du Geld brauchst, sagst du mir aber Bescheid, oder?«