Der kleine Fürst 112 – Adelsroman - Viola Maybach - E-Book

Der kleine Fürst 112 – Adelsroman E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach´s Topseller. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. Amanda von Seyring war im Begriff gewesen, das Wohnzimmer ihrer Eltern zu betreten, als sie ihren Vater dort am Tisch sitzen sah, den Kopf auf beide Arme gelegt. Es war ein Bild des Jammers und der Verzweiflung. Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie jedoch rasch zurückdrängte. Er hatte sie nicht kommen hören, und jetzt überlegte sie, ob sie ihn in Ruhe lassen oder lieber mit ihm reden sollte. Sie entschied sich für Letzteres. Langsam ging sie auf ihn zu und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. "Ach, Papa", sagte sie. Anton von Seyring hob den Kopf und sah sie an. Sein Lächeln war verzerrt. "Du bist da", sagte er.

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Der kleine Fürst –112–

Die Frau mit den grünen Augen

Wird Albert ihr jemals verzeihen?

Roman von Viola Maybach

Amanda von Seyring war im Begriff gewesen, das Wohnzimmer ihrer Eltern zu betreten, als sie ihren Vater dort am Tisch sitzen sah, den Kopf auf beide Arme gelegt. Es war ein Bild des Jammers und der Verzweiflung. Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie jedoch rasch zurückdrängte. Er hatte sie nicht kommen hören, und jetzt überlegte sie, ob sie ihn in Ruhe lassen oder lieber mit ihm reden sollte. Sie entschied sich für Letzteres.

Langsam ging sie auf ihn zu und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. »Ach, Papa«, sagte sie.

Anton von Seyring hob den Kopf und sah sie an. Sein Lächeln war verzerrt. »Du bist da«, sagte er.

Er war immer ein gut aussehender Mann gewesen, doch jetzt sah man ihm an, dass er in letzter Zeit zu viel getrunken und zu wenig geschlafen hatte. Seine braunen Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren dunkel verschattet. Scharfe Falten schienen sich über Nacht in sein Gesicht gegraben zu haben, die grauen Haare hingen strähnig herunter. Das Hemd, das er trug, war fleckig und zerknittert, es verstärkte den Eindruck, dass hier ein Mann saß, der sich vernachlässigte.

»Ja, ich bin gerade gekommen. Bist du ganz allein? Wo sind denn alle?«

»Deine Mutter macht einen Besuch bei einer Freundin, mehr kann ich dir nicht sagen.«

Amanda war die Älteste von drei Geschwistern. Ihr Bruder Ulrich und ihre Schwester Lara gingen noch zur Schule und lebten bei den Eltern. Sie wusste jedoch, dass die beiden es vermieden, allzu häufig zu Hause zu sein, seit ihr Vater seinen Job bei einem internationalen Energiekonzern verloren hatte. Sie hielten die gedrückte Stimmung, die seitdem herrschte, nicht aus.

Amanda setzte sich zu ihrem Vater an den Tisch. »Was ist los?«, fragte sie. »Warum sitzt du hier wie ein Häufchen Elend und siehst aus, als hättest du das letzte Mal vor einer Woche geduscht?«

Er lächelte schief. »Das dürfte sogar ungefähr hinkommen. Deine Mutter sagt auch, ich sollte mich nicht so gehen lassen, aber ich kann mich einfach zu nichts aufraffen, Amanda.«

»Andere Leute verlieren ihre Arbeit auch«, sagte sie. »Ich verstehe schon, dass das schlimm ist, aber du kannst doch nicht von jetzt an hier zu Hause sitzen und abwarten, was passiert. Bewirb dich woanders, du hast garantiert Chancen, bei deiner Qualifikation. Gute Finanzbuchhalter werden doch immer gesucht.«

»Weggeworfen wie Müll«, murmelte er. »Ich komme da einfach nicht drüber weg.« Mir veränderter Stimme zitierte er: »›Einsparungen, Umstrukturierungen, alle Kräfte bündeln‹ – wenn ich das schon höre. Wir haben immer erstklassige Arbeit geleistet, und dann das! Einfach so, weil sie die Finanzbuchhaltung nach Indien auslagern. Nach Indien, das muss man sich mal vorstellen! Die Welt wird allmählich verrückt, Amanda.«

Sie nickte nur. Es war ja nichts Neues, was er ihr erzählte, sie führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. Seltsamerweise schien ihrem Vater das nicht aufzufallen. Er fing jedes Mal wieder von vorn an und erzählte die ganze Geschichte seiner Kündigung von Anfang bis Ende, wenn man ihn reden ließ. Amanda wollte sie jetzt aber nicht schon wieder hören, und so stand sie auf. »Ich sehe morgen wieder bei euch vorbei, heute wollte ich sowieso nur mal kurz ›hallo‹ sagen.«

»Du hältst es auch nicht mehr mit mir aus, hab ich Recht? Dachtest du, ich merke das nicht? Ich gehe mir ja selbst auf die Nerven, aber ich komme da allein einfach nicht raus.«

»Dann geh zu einem Psychologen, Papa. Das meine ich ganz ernst. Oder willst du zu deiner Arbeit auch noch deine Familie verlieren?«

Mit einem Schlag richtete er sich kerzengerade auf, man ahnte jetzt wieder, wie attraktiv Anton von Seyring sein konnte. »Was sagst du da? Hat deine Mutter Andeutungen gemacht?«

»Papa!« Amanda betrachtete ihren Vater kopfschüttelnd. »Mama liebt dich, das weißt du ganz genau. Natürlich macht sie keine Andeutungen, schon gar nicht uns gegenüber. Aber man kann eine Liebe auch überstrapazieren, das ist alles, was ich damit sagen wollte. Hör auf, dich selbst zu bemitleiden.«

Er stand auf. »Komm mal her«, bat er.

Sie trat auf ihn zu und ließ sich von ihm umarmen. Seine Wange kratzte, denn rasiert hatte er sich natürlich auch nicht, und sein Hemd roch verschwitzt – nein, nicht nur sein Hemd, der ganze Mann verströmte einen muffigen Geruch.

»Danke«, murmelte er und rieb seine kratzige Wange noch einmal an ihrer. »Ich werde mich ab jetzt bemühen, das verspreche ich dir, meine Große. Du wirst doch den Glauben an mich nicht verlieren?«

»Natürlich nicht, Papa. Und jetzt geh duschen, ja? Du hast es wirklich nötig – und eine Rasur wäre auch nicht schlecht.«

»Mach ich«, sagte er.

Sie war nicht überzeugt davon, aber sie nickte, als glaubte sie ihm und verließ das Haus. Auf der Straße hielt sie Ausschau nach ihrer Mutter und ihren Geschwistern, aber sie waren nicht zu sehen.

Stattdessen näherte sich Carl von Cusheim, der gemeinsam mit ihrem Vater und einigen anderen den Energiekonzern so plötzlich hatte verlassen müssen. Die beiden Männer waren seinerzeit am selben Tag eingestellt worden und hatten sich praktisch sofort miteinander befreundet.

Carl ging mit der Situation anders um als Amandas Vater. Er ließ sich nicht gehen, sondern war fest entschlossen, das Beste aus der Situation zu machen, obwohl auch er tief gekränkt war, dass die Firma, der sie so lange ›treu gedient‹ hatten, wie er sich ausdrückte, nun einfach auf ihre Dienste verzichten zu können meinte.

»Amanda«, sagte er und blieb stehen. »Was für ein Glück, dass ich dich treffe. Könntest du mir wohl eine Viertelstunde deiner Zeit opfern? Ich habe etwas sehr Wichtiges mit dir zu besprechen.«

Carl drückte sich oft so gewunden aus, dabei war er nicht älter als ihr Vater. Er war nicht sehr groß, ganz schlank und beinahe übertrieben sorgfältig gekleidet. Mit Vorliebe trug er blütenweiße Hemden zu seinen Anzügen, und er bevorzugte Fliegen, die dann freilich in Farbgebung und Muster ein wenig gewagter ausfallen durften. Seine Schuhe glänzten wie Spiegel, bei der Frisur saß jedes Haar, und selbstverständlich war er frisch rasiert und duftete nach teurem Rasierwasser. Sein Gesicht war ein wenig spitz, mit klugen blauen Augen und einem schmalen Mund. Er sah nicht im herkömmlichen Sinne gut aus, aber er war eine durch und durch ansehnliche und Respekt einflößende Erscheinung.

Amanda hatte nie genau verstanden, warum ihr Vater und Carl so enge Freunde geworden waren, denn eigentlich gab es nicht allzu viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, außer dass sie beide gern mit Zahlen umgingen. Aber während Carl in allem penibel und übergenau war, war ihr Vater eher der Typ des leicht schlampigen Genies, bei dem die Konzernspitze gern mal nachgefragt hatte, welchen Trick man anwenden könnte, um diese oder jene Million vielleicht vor dem Zugriff der Steuerbehörden zu retten – und Anton von Seyring war immer etwas eingefallen. Tatsache war jedenfalls, dass die Freundschaft der beiden Männer jetzt seit vielen Jahren hielt, und es sah nicht danach aus, als würde sich daran in nächster Zeit etwas ändern.

»Ich habe schon Zeit, Carl«, sagte Amanda ein wenig verwundert. »Worum geht es denn?«

Er warf einen Blick zu ihrem Elternhaus hinüber, dann nahm er ihren Arm und zog sie mit sich in eine schmale Seitenstraße. »Lass uns ein wenig laufen«, sagte er.

Ihre Verwunderung wuchs, sie hatte nicht die geringste Ahnung, was er von ihr wollte. Sie sah Carl gelegentlich, wenn er ihren Vater besuchte, aber sie hatte keine enge, vertraute Beziehung zu ihm.

Er ließ sie nicht lange im Unklaren. »Ich habe jetzt lange überlegt, ob wir uns das wirklich einfach so gefallen lassen sollen, dein Vater und ich«, verkündete er, »und ich bin zu dem Schluss gekommen: Nein, das sollten wir nicht tun.«

»Ich verstehe nicht richtig. Du meinst, ihr solltet gegen eure Kündigung klagen? Aber das ist doch aussichtslos, Carl. Das Unternehmen hat …«

Er wedelte mit der Hand, als verscheuchte er ein lästiges Insekt. »Nicht klagen. Ich weiß, dass das aussichtslos ist. Aber es gibt eine andere Möglichkeit, es vor allem dem Mann heimzuzahlen, der dafür verantwortlich ist, dass wir gehen mussten.«

»Wen meinst du?«, fragte sie.

»Albert von Sembach«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. »Hat dein Vater dir denn nicht erzählt, wie das abgelaufen ist?«

»Doch, natürlich. Er hat gesagt, dass ihr entlassen worden seid, weil die Firma im großen Stil umstrukturiert und Teile der Finanzbuchhaltung auslagert …«

Carl ließ sie nicht ausreden. »Alles Unsinn«, teilte er ihr mit. »Wir sind nach einer Intrige entlassen worden, die Albert von Sembach angezettelt hat. Die Firma zahlt Schmiergelder im Ausland, um an Aufträge heranzukommen. Wir mussten uns dann immer Gedanken darüber machen, wie man die Ausgaben bezeichnen könnte, damit nicht auffällt, dass es Schmiergelder sind. Das gehört zum Geschäft, es ist keine große Sache, obwohl es uns beiden widerstrebt hat, das kannst du mir glauben. Jedenfalls ist das ganze System aufgeflogen, firmenintern. Der Vorstand hat angeblich nichts davon gewusst und war hellauf empört. Der feine Herr von Sembach hat es geschafft, dass die Geschichte allein an uns hängen geblieben ist – es haben nämlich Gelder gefehlt, die sollen wir uns in die eigene Tasche gesteckt haben. Und da er neu in der Firma ist, hat er gleich beweisen wollen, dass er ein Mann der Tat ist. Deshalb mussten wir gehen, aus keinem anderen Grund.«

Amanda hatte ihm mit wachsender Spannung zugehört. »Aber das ist doch ungerecht!«, rief sie, als er jetzt schwieg. »Das könnt ihr unmöglich auf euch sitzen lassen, Carl! Das muss veröffentlicht werden.«

»Die sind ja nicht blöd«, sagte Carl. »Sie haben uns unterschreiben lassen, dass wir schweigen, wenn wir die Firma verlassen, dafür haben sie uns eine Abfindung angeboten. Die wir, wie du weißt, angenommen haben.«

»Aber …«

»Die Finanzbehörden haben ebenfalls kein Interesse daran, dass das an die Öffentlichkeit gelangt«, nahm Carl ihren Einwand vorweg. »Von denen stecken da nämlich auch ein paar mit drin, die sich fürs Wegschauen haben bezahlen lassen. Glaub mir, das ist ein Sumpf, den man nicht so leicht trockenlegen kann.«

»Warum hat Papa uns das nicht erzählt?«, fragte Amanda.

»Weil er es immer noch nicht fassen kann, dass dieser Sembach mit seinen miesen Machenschaften durchgekommen ist. Und weil er genau weiß, dass wir am kürzeren Hebel sitzen. Es gibt ja keine Beweise, verstehst du? Und jetzt ist es sowieso zu spät, wir sind ja draußen.«

Amanda schwirrte der Kopf. Die ganze Zeit über war sie davon ausgegangen, dass ihren Vater nichts als die normale Härte des Systems getroffen hatte, und jetzt sah es mit einem Mal so aus, als sei ihm bitteres Unrecht geschehen. Das ließ sein Verhalten in völlig anderem Licht erscheinen. Wenn man ihn ungerecht behandelt hatte, waren seine Verzweiflung und auch seine Verbitterung viel leichter nachvollziehbar.

»Und warum hast du das jetzt ausgerechnet mir erzählt?«

»Du bist jung und schön«, erwiderte Carl gelassen. Es war eine trockene Feststellung, kein Kompliment. »Albert von Sembach liebt schöne Frauen, und er hat derzeit keine Freundin. Also …« Er warf ihr einen raschen Blick von der Seite zu, um sich zu vergewissern, dass sie ihn verstanden hatte.

»Ich soll seine Freundin werden?«, fragte Amanda entgeistert.

»Jedenfalls nach außen hin«, sagte Carl. »Wenn du an das Unrecht denkst, das deinem Vater geschehen ist – von mir will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden – wird dir das leicht fallen.«

»Ja, und dann?«, fragte Amanda. »Was hättet ihr denn davon? Tut mir leid, aber ich verstehe wirklich nicht, worauf du hinauswillst, Carl.«

»Das ehrt dich, Kind«, erwiderte Carl würdevoll. »Wenn es nicht um deinen Vater ginge, meinen langjährigen besten Freund, wäre ich vielleicht auf eine solche Idee überhaupt nicht gekommen. Aber wenn ich sehe, wie Anton langsam aber sicher den Boden unter den Füßen verliert …«

Amanda wartete ungeduldig auf die Fortsetzung.

»Männer werden ihren Freundinnen gegenüber bekanntlich gern gesprächig. Du müsstest ihm nur ein paar Firmengeheimnisse entlocken, und er wäre erledigt, für immer. Dann würde er endlich lernen, wie es ist, wenn man nach Jahren guter Arbeit plötzlich auf der Straße landet.«

»Carl!« Amanda blieb stehen. »Ich soll mich an diesen Kerl heranmachen und ihn aushorchen? Weißt du, was du mir da vorschlägst? Ich bin doch keine Spionin! Ich könnte das gar nicht, glaub mir. Der Mann würde sofort merken, dass ich ihn eklig finde. Nach dem, was du mir jetzt erzählt hast, würde ich nicht einmal seine Nähe ertragen.«

»Er sieht gut aus, und er hat eine ausgesprochen sympathische Ausstrahlung«, stellte Carl fest, von Amandas Einwänden offenbar völlig unberührt. »Du wirst ihn mögen, so lange du nicht an das denkst, was du über ihn weißt. Und er wird auf dich fliegen, das garantiere ich dir. Du sollst ja nicht seine Geliebte werden …«

»Das fehlte noch!«, rief Amanda.

»Du sollst nur dafür sorgen, dass er sich für dich interessiert. Mach ihn heiß, lock ihn aus der Reserve. Dann gibt es ein paar Fotos, dann sickern die Indiskretionen durch, und schon hat er eine dicke Affäre am Hals.«

Amanda betrachtete Carl verwundert. Er ereiferte sich ja richtig! Seine altmodisch-steife Sprache war völlig verschwunden, es kam ihr beinahe so vor, als ginge ein anderer Carl von Cusheim neben ihr als der, den sie bis jetzt gekannt hatte.

Ihr Blick war ihm nicht entgangen und da er klug war, deutete er ihn sofort richtig. »Ich bin ein bisschen außer mir, entschuldige bitte. Dann vergesse ich mich schon mal. Aber diese Ungerechtigkeit macht mich so wütend …« Er unterbrach sich. »Dein Vater ist in ernster Gefahr, das weißt du sicher. Er droht depressiv zu werden, und das ist allein Albert von Sembachs Schuld.«

»Wie kommt es, dass du nicht depressiv wirst?«, fragte Amanda. »Dir ist auch Unrecht geschehen, Carl.«