der kleine metternich - Stefan Müller - E-Book

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Stefan Müller

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Beschreibung

Genialer Stratege der Macht, kühner Diplomat, trickreicher Impresario des Wiener Kongresses, Kämpfer gegen den Liberalismus, Verfechter von Zensur und Autorität: Clemens Fürst von Metternich ist einer, dem die historischen Zuschreibungen nicht auszugehen scheinen – und wenn es bloß die vom »Kutscher Europas« ist. Doch wer war dieser Mann wirklich? Kurzweilig erzählt und mit hintersinnigen Illustrationen legt diese Biografie den anderen Metternich frei: Den begnadeten Manager seiner selbst, den Bonvivant, der sich schwärmerisch den Frauen hingab, den schlauen Geschäftsmann – aber auch einen politischen Visionär, dessen hellsichtige Befunde heute aktueller sind denn je.

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Stefan Müller

der kleine metternich

„Für mich ist er der vollendetste Staatsmann seiner Art, den unsere Zeit hervorgebracht hat.“

George Ticknor

„Er ist ein Schwätzer, aber mitunter amüsant. Jedes Mal, wenn ich mich ihm nähere, bitte ich Gott, mich vor dem Teufel zu bewahren.“

Zar Alexander I.

Inhalt

Ein umstrittener Held

Wer war Clemens Fürst von Metternich wirklich? Zeit für eine Neuverortung

Luftikus mit Tiefgang

Er kam, sah und paktierte: Obwohl ein Sohn der alten Welt, setzte der Karrierediplomat auf neue Methoden. Seine Herkunft, seine Erziehung, seine Einflüsse

Sein größtes Duell

Napoleon vs. Metternich: Ein legendäres Aufeinandertreffen, bei dem die Wörter wie Kugeln fliegen. Am Ende fliegt ein berühmter Hut – und nur einer triumphiert

Le beau Clément

Heiße Amouren, peinliche Affären, und trotzdem will er immer treu gewesen sein: Wie der Casanova vom Ballhausplatz durch die Welt der Liebe irrte

Völlig losgelöst

Privat war Metternich ein anderer Mensch als in der Politik. Im Garten fand er seelischen Ausgleich und verlor sich in seiner Kuriositätensammlung

Die Europa-Nummer

Der Wiener Kongress tanzt. Und einer zieht im Hintergrund die Strippen. Was wir aus dieser Meisterleistung der Diplomatie lernen können

„Die Wurzel von Freiheit ist Autorität“

Der Fürst im Interview, weltexklusiv: über den Quell des Übels zwischen Staaten, den wahren Grund für seinen Sturz, geistreiche Frauen und hirnloses Volk

In der Guldenfalle

Sein Geld, seine Häuser, seine Strategien. Auch als Unternehmer hob der Tausendsassa ab. Doch dann präsentierten die Rothschilds die Rechnung

Der Untergang

Fehlende Reformen und schwindender Rückhalt: Wie einer an den Kräften der Veränderung und der eigenen Starrheit scheiterte, die er selbst geschaffen hat

Welches Gesicht?

Metternich war kein Dämon, aber auch kein Heiliger. Wie er sich selbst sah und wie es zu den Widersprüchen im Bild kam, das sich andere von ihm machten

Metternich lebt!

Sein Vermächtnis als Politiker, eingetragene Marke und Botschafter des Rock ’n’ Roll

Anhang

Dank |Quellen |Team |Impressum

Ein umstrittener Held

Stratege der Macht, trickreicher Diplomat, Europäer und Friedensfürst. Aber auch: Zensor und Unterdrücker. Wer war Clemens Metternich wirklich? Zeit für eine Neuverortung

Dieser Mann ist wie ein glitschiger Fisch. Immer wenn man glaubt, ihn endlich verstanden und im Griff zu haben, taucht irgendwo erneut sein Rockzipfel auf – oder ein Zitat, das nicht so recht ins Bild passt: Dann entgleitet er wieder in die Unschärfe.

Ein Teil der Faszination von Clemens Metternich besteht darin, dass er sich als Person einer klaren Einordnung entzieht, obwohl sein Handeln sehr geradlinig war. Er balancierte als Hochseilartist zwischen den Welten, zwischen Kaisern und Königen, die das morsche Fundament ihrer Herrschaft schon knirschen hörten, und den Vertretern neuer Ideen, die Nationalstaaten bauen und Macht in die Hände des Volkes legen wollten, in einer verworrenen, aufgewühlten Zeit. Und doch war das Urteil über ihn – vor allem wenn es um die Bewertung seiner Spätphase geht – rasch gefällt: Ein ideenloser Zensor sei er, ein Unterdrücker und Tyrann, ein Dämon. Wir haben es im Geschichtsunterricht so gelernt. Dieses Bild spukt immer noch in den Köpfen. Es hat nur wenig mit den Tatsachen zu tun, wie ein neutraler Blick auf sein spektakuläres Leben zeigt.

Auch 250 Jahre nach der Geburt von Clemens Wenzeslaus Nepomuk Lothar Graf von Metternich-Winneburg und Beilstein lohnt es sich, den Fokus auf einen zwiespältigen Geist zu richten, der viel Positives mit seiner Politik bewirkte, aber am Ende doch zum negativen Stigma einer ganzen Epoche wurde. Er hatte Visionen, Reformpläne und die Zukunft realistisch im Blick. Er hat uns noch etwas zu sagen, und es ist mehr als: Genieße das Leben, sei prinzipientreu oder bleib cool und stell die Dinge in einen größeren Zusammenhang.

Wenn Metternich einem zuzwinkerte mit seinen höflich lächelnden Augen, tat man sich schwer, ihn nicht zu mögen. Das sagten sogar seine Feinde. Der gerissene Diplomat verströmte eine charmante Leichtigkeit, obwohl seine Politik Tiefgang hatte. Er entwickelte ein Rezept gegen die zügellose Machtpolitik der Staaten. Er überlegte sich eine Regelung, wie man verhindern konnte, dass sich große Imperien einfach Gebiete schnappten, wie es ihnen gefiel. Die Fragen von damals sind leider immer noch aktuell: Wie schafft man es, Krieg und Irrwege zu vermeiden? Wie ist der Umgang zwischen Staaten am besten zu organisieren?

Metternich hat sich zu Recht darum bemüht, beim Wiener Kongress 1815 einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen, nachdem er Napoleon, den „Menschenfresser“ mit der Abrissbirne, entzaubert hatte – bloß mit der Kraft seiner Diplomatie. Dann wurde Europa erfunden. Österreich war wieder wer! Dafür wurde er über die Maßen gelobt. Auch die dunklen Aspekte seines Schaffens kommen zur Sprache: Das Dauerbremsen und die Repression vor der Revolution von 1848. Als das Bürgertum rebellierte, ließ der Wiener Hof seinen Superstar wie eine heiße Kartoffel fallen. Mit falschem Pass musste er heimlich aus Wien flüchten. Im Scheitern vollendet sich sein Schicksal. Es mutet tragisch an, dass er es nicht schaffte, seine staatlichen Reformideen beim Kaiser durchzubringen und zu einer Art Mumie mit verknöchertem Zeigefinger erstarrte, ständig auf die gleichen Prinzipien pochend. Zugleich sagte er den Untergang der auf diesen Prinzipien basierenden Reiche vorher – wie ein Prophet im Selbstzerstörungsmodus. Dafür wurde er über die Maßen kritisiert. Und doch konnte er nicht aus seiner Haut.

Einer, der als Guter gegen das Böse kämpft, wird selbst zum Bösewicht – das ist Drama pur. Das, liebe Sisi-Fans, ist wirklich guter Stoff! Der Plot hält noch weitere Cliffhanger bereit. Hat Metternich tatsächlich Kaiser Franz ein Testament untergejubelt, das dessen Sohn, einen Epileptiker mit Wasserkopf, der nicht regieren konnte, zum Nachfolger machte und ihn, den Kanzler, zum mächtigsten Mann eines geschäftsführenden Triumvirats? Wie ist es zu erklären, dass er privat ein anderer Mensch war, der keine Spur jenes Misstrauens zeigte, von dem das „System Metternich“ durchdrungen war? Als liberaler Unternehmer hatte er gar nichts gegen Fortschritt und Veränderung, in dieser Rolle handelte er innovativ und unterstützte den Wandel.

Ganz gleich, wie man politisch zu Metternich stehen mag, ist das Bild des unsympathischen Biedermeier-Schönlings zum Vergessen. Er war nicht nur im Argument sehr einnehmend, sondern ein warmherziger, großzügiger Menschenfreund. Ein politischer Hardliner zwar, der zur Erhaltung der „Ruhe“ ohne Zögern Armeen marschieren ließ, aber privat keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Ein Gegner der Jagd. Ein breit interessierter Intellektueller, der mit Alexander von Humboldt korrespondierte und Goethe und Paganini zu sich einlud. Humorvoll, immer für eine gute Schnurre oder Pointe zu haben. Ein schöner Mann, fanden die Frauen. Mittelgroß, schlank, auch fürs Reiten und für regelrechte Gewaltmärsche geeignet. Ein heller Charakter mit südlichem Flair. Blaue Augen, blonde Haare, römische Adlernase, die Augenlider unter einer hohen Stirn leicht herabhängend, der Mund wohlgeformt. Heiter und geduldig, von der extravertierten Selbstgefälligkeit, die Glück bringt und die nicht lähmt, schrieb Golo Mann. Und doch war er jemand, der viele Widersprüche in sich trug und deshalb falsch verstanden wurde. Jemand, in dem jeder das sehen konnte, was er sehen wollte. Ein leicht lesbarer, aber schwer entzifferbarer Mensch. Ein Grund für sein vielschichtiges Wesen sind die gegensätzlichen Einflüsse, die in seiner Jugend an ihm zerrten.

Ein Mann und seine Epochen

1773 → Geburt am 15. Mai in KoblenzDie Aufklärung durchdringt die Gesellschaft

1789 → Revolution in Paris, das alte Europa zerbricht. Krieg!

1794 → Umzug nach Wien. Ein Jahr später Hochzeit mit Eleonore Kaunitz

1799 → Napoleon übernimmt die Macht in Frankreich, dann in Mitteleuropa. Schlacht folgt auf Schlacht

1801 → Start als Diplomat – in Dresden, Berlin, Paris

1809 → Österreich verliert ein Sechstel seiner Gebiete – Ernennung zum Außenminister

1813 → Napoleon verliert gegen Metternichs Koalition. Erhebung zum Fürsten

1815 → Wiener Kongress zur Neuordnung Europas. Endlich Friede

1819 → Karlsbader Beschlüsse. Repression im Deutschen Bund wird verstärkt

1821 → Ernennung zum Haus-, Hof- und Staatskanzler

1830 → Neue Revolutionen, Druck und Gegenmaßnahmen

1835 → Tod von Kaiser Franz. Interne Machtkämpfe kosten Einfluss

1848 → Revolution! Flucht aus Wien. Was folgt, ist Neoabsolutismus

1859 → Tod am 11. Juni in Wien

Metternich, der rasche Veränderung nicht ausstehen kann, egal ob es sich um Jahreszeiten oder Politik handelt, ein Mann des Ausgleichs und der Mäßigung, wird in eine Zeit der raschen Veränderung geworfen, in der alles aus den Fugen gerät. In seinem Leben erschüttern Transformationen wie Erdbeben die saturierte Welt, aus der er stammt. Humanistisch im Sinne der Aufklärung erzogen, brennt er für die Wissenschaften, aber seine Neugier führt ihn nicht in das Lager der Revolution, sondern macht einen Verfechter der bestehenden Ordnung aus ihm. Zu Beginn seiner Karriere ruht er als souveräner Adeliger sicher im Selbstbewusstsein seiner Herkunft. Am Ende ist er ein lebender Anachronismus, der wie die Habsburgermonarchie nach Halt sucht.

Auf dem Weg dorthin sieht er Monarchen ohne Schranken herrschen, die Aufklärung ihr Werk tun, das alte kosmopolitische Europa verenden, das Bürgertum aufsteigen, das Volk auf die Barrikaden gehen, schließlich wie Nationalismus, Kapitalismus und neuartige Maschinen das Betriebssystem der Welt defragmentieren. Die Selbstverständlichkeit, dass nur der Adel und der Klerus herrschen, wird in Frage gestellt und das Volk ein Faktor in der Politik.

Metternich wird in das Jahrhundert der Aufklärung geboren, in dem Philosophen alte Strukturen und Gewissheiten durch rationales Denken überwinden wollen. Freiheit und Menschenrechte sind ihr Ziel. Am 4. Juli 1776 nimmt ihr Traum Gestalt an: Britische Kolonien gründen die USA, eine Republik ohne König, dafür mit einer Verfassung, die jeder Person gleiche Rechte zuspricht. Da ist Clemens drei Jahre alt und läuft in Windeln durch das Elternhaus in Koblenz.

Die Metternichs haben einen stetigen Aufstieg hingelegt und etlichen Habsburgern gedient: Bei Kaiserwahlen, auf Reichstagen, in Kurfürstenkollegien, Domkapiteln, Hochstiften. Im Kampf gegen Protestanten, böhmische Stände oder feindliche Türken. Dafür sind sie zu Freiherren (1635) und Grafen (1679) ernannt worden und konnten die Herrschaften Winneburg und Beilstein an der Mosel erwerben. Durch den Besitz erhielten die Grafen von Metternich-Winneburg und Beilstein auch einen Sitz im Reichstag, in der Ständevertretung des deutschen Reiches – jenem losen Verband deutscher Gebiete, der sich Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation nennt, in Anlehnung an die Idee der Universalherrschaft der Römer.

Deutschland ist ein geografischer Begriff, nicht mehr. Nationalstaaten im heutigen Sinn gibt es noch keine. Meistens üben Adelige die Souveränität über die auf einem Gebiet lebenden Menschen aus, manchmal Kirchenvertreter. Es gibt auch ein paar freie Städte. Als souveräne Grafen herrschen die Metternichs kraft eigenen Rechts und eigener Hoheit, ohne ein Anhängsel von jemand anderem zu sein. Ihre Untertanen müssen Abgaben leisten und sich an ihre Rechtsprechung halten. Das ist die soziale Ordnung.

Dann steht die Französische Revolution, die dieses ständische Feudalsystem zertrümmert, plötzlich bei den Metternichs im Wohnzimmer. Clemens trägt bereits Perücke und ist mit 16 Jahren ein talentierter junger Mann. Mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 stürzt auch der König, den die Habsburger unterstützen. Die neuen Herrscher aus dem Bürgertum verabschieden eine Verfassung nach Vorbild der USA. Die Menschen seien von Geburt an frei, heißt es, und der Ursprung jeder Souveränität liege in der „Nation“. Doch der Traum der Aufklärer driftet in Terror ab. Die Revolution verspricht Freiheit, aber im Hintergrund klappert die Guillotine wie eine gierige Nähmaschine. Der Umsturz der alten Ordnung ist für die Monarchien eine Bedrohung. Das bedeutet Krieg. Mit der „Nation“ ist zudem ein gefährlicher Geist aus der Flasche. Das ist Sprengstoff für das römisch-deutsche Reich, in dem so viele Völker, Sprachen und Ethnien Platz haben. Auch Metternich ist keiner Nation zuordenbar, sondern Teil einer kosmopolitischen Elite, die über weite Räume hinweg zirkuliert.

Nach den Napoleonischen Kriegen wird ab 1815 ein monarchisches Staatensystem rekonstruiert, doch das Virus der Moderne liegt schon in der Luft. Eigentum, das bis jetzt an die Elite gebunden war und politische Rechte bedingt, wird zur Ware und kann beliebig gehandelt werden. Eine kapitalistische Ökonomie beginnt sich durchzusetzen. Immer mehr Bauern erhalten die Sachherrschaft über Grund und Boden und sind nicht länger von Lehnsherren abhängig. Neue Erfindungen wie die Eisenbahn oder der Telegraf verändern das Leben. Kurzum: Der Wind der Veränderung bläst in Tornadostärke. Die Bühne, auf der Metternich ins Rampenlicht tritt, ist hinten schon brüchig und vorne noch nicht fertig – ein Spielfeld in Bewegung und voller Tücken. Er will viel erreichen, aber ahnt schon, dass der Kampf gegen die neuen Kräfte der Veränderung kaum zu gewinnen ist.

Der junge Mann ist kein Parvenü, der das Rampenlicht braucht, sondern ein stolzer Abkömmling, der sich gern hineinstellt. Als er 1801 seinen Dienst beginnt, wird Weltpolitik in Wien von Bürokraten gemacht, die niemand kennt. Hinter den Schranken des spanischen Hofzeremoniells lebt der Kaiser in luxuriöser Abgeschlossenheit, pedantisch über die Angelegenheiten des Staates wachend. Die Kommunikation mit Ministern und Geschwistern – mangelhaft. Leute mit verschiedenen Interessen rittern um die Gunst seiner Majestät; Aristokraten, die diese Posten geerbt oder zugeteilt bekommen haben und nicht immer geeignet dafür sind. Das Ergebnis ist oft ein Schaulaufen der Eitelkeiten mit ungewissem Ausgang. Metternich erkennt die Defizite dieser Art Politik zu machen, die vor allem davon abhängt, wie ein Charakter gestrickt ist. Er will es als Diplomat, später als Außenminister und Staatskanzler besser machen. So entwickelt er eine neue Arbeitsweise, die ihm Erfolg bringt und Österreich aus einer Position der Schwäche an die Spitze der europäischen Mächte zurückführt.

Wenn andere zur Tat drängen, spielt er auf Zeit und behält seine Ziele im Blick. Wenn andere zu den Waffen greifen wollen, schießt er diplomatische Worthülsen ab. Er will nicht den Krieg, sondern den Frieden, frei von Nationalismus und zu viel Liberalismus, weil er weiß, dass die Existenz der Habsburgermonarchie davon abhängt. Seine Kraft liegt im Beharren, nicht in der forschen Reform. Er geht mit einer Idee, nicht mit der Zeit.

Mit seiner neuen Methode rennt er nicht überall offene Türen ein. Österreich ist die altehrwürdigste Monarchie Europas und hat seit 1438 mit einer Ausnahme alle Kaiser des römischdeutschen Reiches gestellt. Und da kommt plötzlich ein Jungspund aus dem Rheinland daher, der im dynastischen Dickicht Inkompetenz kritisiert und Unvermögen erkannt haben will. Wer ist dieser hochtrabende High Potential? Einerseits ein typisches Premium-Produkt des Adels mit dem Metternich-Gütesiegel, andererseits ein spezieller Charakter.

Er hasst nicht, ist daher auch kein Zyniker. Bevor er in späteren Jahren zur Bibel greift, ist ihm die christliche Religion ein moralischer Leitfaden. Er geht aber auch in die Synagoge. In Wahrheit bilden Vernunft, Logik und Realität seine heilige Dreifaltigkeit. Alles, die Materie und der Geist, beruhe auf ewigen Grundsätzen, auf einer guten und richtigen Ordnung. Auch in der Geschichte zeige sich das. Das Aufbrausende, das Stürmische, die Ismen und Ideologien sind ihm Teufelswerk.

Demnach empfindet er sich als weiser Hüter der Gerechtigkeit. Schritt für Schritt mutiert er zur Wunderwaffe seines Freundes, Kaiser Franz, unerschütterlich auf die richtigen Prinzipien programmiert, mit scharfem Weitblick und der Fähigkeit ausgestattet, andere zu lesen und zu lenken. Respekt und Erfolg im Staatsgeschäft kommen üblicherweise aus dem Recht des Stärkeren und Erfolgen auf dem Schlachtfeld, nicht so sehr aus Gesprächen oder verschachtelten Analysen. In dieser Effizienz, mit so einer Lässigkeit nach außen getragen – als würde er ein Stück weit über den Dingen schweben – ist das neu.

Obwohl durch die Kraft seines Amtes gehörig beschwert, bleibt er ein Bonvivant mit vielen guten Eigenschaften. In der Liebe reißt sich der heiße Schwärmer rücksichtslos das Hemd auf, immer auf der Jagd nach Gefühlen und echter Leidenschaft. Der schöne Clemens wickelt Frauen reihenweise um den Finger. Zugleich ist seine frivole Ader für manche etwas zu viel.

So manches politische Gegener nervte die Unverbindlichkeit, die er an den Tag legen konnte. Das Chamäleonartige, die honigsüße Art. Sie kritisierten ihn als Schauspieler, was er auch war. So verstand er sein Geschäft – als Theaterstück in vielen Akten. Souffleur brauchte er keinen. Der war er selbst. Was er dem Kaiser zuraunte, hatte Gewicht. Metternich wusste, dass Wissen Macht war. Ständig topinformiert durch ein Netz an Agenten und Informanten, machte er sich unbeliebt und unverzichtbar zugleich. Mit diesem Quastenflosser der Legitimität war immer zu rechnen und nicht zu spaßen! Zur Not begrub er seine Feinde unter Schachtelsätzen oder erstickte sie langsam und qualvoll in Langeweile.

In den Salons suchte er Konversation auf Augenhöhe. Das seichte Geschwätz von Wichtigtuern ödete ihn an, wurde er nicht müde zu betonen. Vielleicht weil ihm dieser Wesenszug als begabter Selbstdarsteller mit starker Eigenliebe selbst nicht fremd war. Im Alter mutierte er immer öfter zum heroischen Grammophon. Spiel mir das Lied von Napoleon. Spiel mir das Lied vom Wiener Kongress. Mochte die Nadel auch kratzen, fanden die Anekdoten interessierte Zuhörer. Natürlich war der Mann auch eitel, stets auf die öffentliche Meinung bedacht. Er war ehrgeizig und behauptete seine Stellung. Aber er konnte gut mit Leuten und wusste sie zu nehmen. Das People-Business, und das war Politik zur damaligen Zeit, beherrschte er wie kein Zweiter.

Wenn Napoleon der brüllende Löwe auf dem Schlachtfeld war, der mit Kugeln donnerte, war Metternich der schwarzgelbe Panther in den Salons, der listig schnurrte. Auf Samtpfoten umgarnte er sein Gegenüber. Die Gegner verzweifelten reihenweise daran. Unter den Tieren in seinem geliebten Garten am Wiener Rennweg bewunderte er seine Freundinnen, die Spinnen, übrigens besonders. Vielleicht weil sie so gute Netzwerkerinnen sind.

Luftikus mit Tiefgang

Er kam, sah und paktierte: Obwohl ein Sohn der alten Welt, setzte der Karrierediplomat auf neue Methoden. Seine Herkunft, seine Erziehung, seine Einflüsse

Februar 1798, Kongress von Rastatt. Fünf Jahre Krieg einer Koalition gegen Frankreich sind zu Ende und nun will auch das römisch-deutsche Reich den Frieden regeln. Der Konflikt ist wegen der Unterstützung Österreichs und Preußens für den französischen König Ludwig XVI. ausgebrochen, den die Revolution gestürzt hat. Jetzt ist er tot, geköpft wie seine Frau Marie Antoinette von Österreich. Die Franzosen haben Oberitalien und Belgien erobert und sind bis zum Rhein marschiert. Im süddeutschen Rastatt prallen zwei Welten aufeinander: Das revolutionäre Frankreich, das die alte Ordnung bedroht, und das römisch-deutsche Reich, in dem die Elite seit Jahrhunderten das Zusammenleben der deutschen Gebiete Europas bestimmt. Mittendrin: Clemens Metternich. Sein Vater hat ihn als Privatsekretär mitgenommen. Schließlich soll der Sohn Diplomat werden.

Graf Franz Georg Karl Metternich, Bevollmächtigter des deutschen Kaisers Franz von Österreich, ist ein gutmütiger, matt schimmernder Beamter. Etwas dicklich, dafür sorgfältig frisiert. Grobe Lippen und Tränensäcke, Nase und Wangen rot vom Trinken. Ein ausgleichender Charakter, und ein Meister des Zeremoniells. Per lateinischer Note schlägt er den Franzosen vor, sie sitzend unter einem Baldachin zu empfangen. Die Zahl der Schritte soll bestimmt werden. Doch die Franzosen pfeifen auf das Erbgut deutscher Kaiserhoheit. Als sie auftauchen, ist Clemens entsetzt: lange blaue Hosen, farbige Westen, ordinäre Halstücher. Die Haare schwarz und schmutzig, darüber riesige Hüte mit roten Federn. Wie Werwölfe, denkt er, was für Flegel. Was viele nicht wissen: Bereits im Frieden von Campo Formio hat Österreich, die führende Macht des römisch-deutschen Reiches, nach seiner Niederlage in Norditalien Frankreich die Gebiete links des Rheins in Aussicht gestellt. Alles ist bereits in Geheimartikeln paktiert. So verkommt der Kongress zur diplomatischen Farce. Die Zeit vergeht. Clemens geht ins Theater und spielt Karten, dirigiert bei einem Konzert ein Orchester und spielt Geige in einem Quartett.

Trotz der Ablenkungen hat er mit scharfem Blick längst erkannt, dass das römisch-deutsche Reich am Ende ist: „Über dieses muss man das Kreuz machen.“ Er ist sich sicher, dass Frankreich weiterhin eine Gefahr darstellt. Als Vertreter der westfälischen Grafen legt er zumindest eine Talentprobe ab. Was er an mangelnder Abstimmung und ignoranter Politik der Wiener Staatskanzlei mitbekommt, motiviert ihn aber nicht, selbst ein politisches Amt anzustreben.

In Rastatt muss ihm die Abscheu vor der Revolution wie Galle hochgestiegen sein. Vater Franz Georg war seit 1791 Minister