Der kleine Teufel - Hans-Georg Schumann - E-Book

Der kleine Teufel E-Book

Hans-Georg Schumann

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Beschreibung

Eigentlich ist der eher spröden Anna die Lust an ihrem öden Leben vergangen. Da taucht ein kleiner Teufel auf und bringt alles gehörig durcheinander. Auf einmal bekommt ihr Weiterleben einen neuen Sinn. Allerdings bedarf es dazu noch einiger Reisen durch die Zeit, die sie ins Mittelalter und nach Babylon führen. Dort begegnet Anna jeweils sich selbst in einem anderen Leben.

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Seitenzahl: 342

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Hans-Georg Schumann

Der kleine Teufel

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Das Gelbe vom Ei?

2. Der Teufel ist los

3. Kein Tag wie jeder andere

4. Die Rückkehr

5. Ein Dienstag ohne Arbeit?

6. Ungeheuerliches

7. Gut und böse

8. Am Rande des Fegefeuers

9. Etta, die Hexe

10. Hexenjagd

11. Das Leben geht weiter

12. Ein Geschenk für Barbara

13. Auf der Flucht

14. Gefangenschaft und Freiheit

15. Abschied von Etta

16. Tod im Archiv?

17. Die Apothekerin

18. Begegnungen

19. Weltbilder und Arzneien

20. Trennung für immer?

21. Treppenstürze

22. Reif für Urlaub?

23. Reisevorbereitungen

24. Die Insel

25. Vertrauen und Zweifel

26. Angenehme und unliebsame Erscheinungen

27. Suchen und finden?

28. Barbara und Annas Geschichten

29. Standpunkte

30. Wie geht es weiter?

31. Orientierungslos

32. Isso, der Baumeister

33. Menschenleben

34. Usurtus Schatten

35. Der Astrologe

36. Zurück in Babylon

37. Zielfindung

38. Teuflisches?

39. Ausklang

Über dieses Buch

Impressum neobooks

1. Das Gelbe vom Ei?

Anna schaute hinunter. Vom Geländer der Brücke, auf der sie stand, bis zur Straße, die darunter hindurchführte, konnten es vielleicht sieben Meter sein. Wenn ich da unten aufkomme, bin ich sofort tot, dachte sie.

Es war heute nicht das erste Mal, dass sie dort stand. Und es war nicht das erste Mal, dass sie zögerte. Und sie traf auch jetzt dieselbe Entscheidung wie beim letzten Mal: Sie würde ihr ödes Leben weiterleben.

Anna war mittelgroß und schlank, hatte helle Haut mit Sommersprossen und kurzes blondes Haar. Sie wohnte allein in einer kleinen Dachgeschosswohnung. Ihr Tagesablauf war fast immer der gleiche: Von montags bis freitags stand sie um sieben Uhr auf. Stellte sich unter die Dusche und schlüpfte, ohne sich abzutrocknen, in ihre Kleider. Zum Frühstück pflegte sie ein bis zwei Tassen schwarzen Tee zu trinken und eine Schale Müsli zu essen.

Dann stieg sie in die Schuhe und streifte die Jacke über. Zog die Wohnungstür hinter sich zu und ging gemächlich die vielen Treppenstufen hinunter. Noch im Hausflur schwang sie sich auf ihr schon etwas angerostetes Fahrrad. Und machte sich auf den Weg zu dem Speditionsbüro, in dem sie arbeitete. Nur im Winter benutzte sie ab und zu den Bus – aus Angst vor glatten Straßen.

Sobald sie am Nachmittag wieder zu Hause war, zog sie ihre Jacke aus und hängte sie auf einen Bügel. Dann stieg sie aus ihren Straßenschuhen und warf sie in eine Ecke neben dem Fernsehgerät. Schaltete das Radio ein und summte zur Musik. Auch wenn sie die Melodie nicht kannte, versuchte sie den Tönen irgendwie zu folgen.

In der Küche stand eine kleine Espressokanne, die nun nicht lange kalt blieb: So wie Anna morgens ihren Tee nötig hatte, mochte sie nachmittags auf den kleinen schwarzen Muntermacher nicht verzichten.

Anschließend ging Anna noch einmal um die Ecke in die Altstadt. Häufig wollte sie nur ein bisschen bummeln. Manchmal hatte sie auch noch ein paar Dinge einzukaufen. Wenn sie zurückkam, schaltete sie den Fernseher an und schaute dem zu, was gerade kam. Meist waren das ein bis zwei Spielfilme, dazwischen Nachrichten und Werbung.

Mit der Zeit wurde Anna müde. Oft schlief sie im Sessel ein. Irgendwann raffte sie sich wieder auf, um sich auszuziehen und ins Bett zu legen. Und damit war der Tag endgültig vorbei.

So ging das von Montag bis Freitag. Etwas anders lief es am Wochenende: Da stand Anna nicht um sieben Uhr auf, sondern erst um neun. Zum Frühstück gönnte sie sich einen doppelten Espresso und dazu ein weichgekochtes Ei.

Samstags machte sie dann ihre Großeinkäufe für die kommende Woche. Nicht selten musste sie dabei mehrmals mit ihrem klapprigen Fahrrad hin und her radeln. Schwer wurde es nur im Winter, wenn es glatt war. Da schob sie ihr Fahrrad lieber vorsichtig neben sich her. Oder sie nahm den Bus.

Sonntags blieb sie nach dem Aufstehen viele Stunden im Nachthemd. Erst gegen Mittag zog sie sich an. Bei schönem Wetter fuhr sie mit dem Fahrrad mehrere Stunden in der Gegend herum. Ohne besonderes Ziel. In irgendeinem Restaurant machte sie dann Rast. Und genehmigte sich dort einen Imbiss und etwas zu trinken. Musste sie bei Regen auf einen Ausflug verzichten, ging sie zu einer Pizzeria, die nicht mal hundert Meter weit entfernt war.

So ging das Tag für Tag. Und Woche für Woche, Monat für Monat. Immer mal wieder kam Anna an einen Punkt, an dem ihr dieses Leben nicht mehr lebenswert erschien. Dann ging sie zu der Brücke und schaute hinunter. Mehr traute sie sich nicht. Und dann ging ihr eintöniges Leben weiter.

Bis eines Sonntags etwas Merkwürdiges geschah. Es war der 22. Februar und ihr 22. Geburtstag. Für Anna eigentlich nichts Besonderes, denn sie feierte ihre Geburtstage grundsätzlich nicht. Und so begann auch dieser Sonntag wie jeder andere Sonntag zuvor.

Anna war schon aufgestanden und hatte ihren doppelten Espresso ausgetrunken. Im Radio kam gerade etwas über den Tod, das sie interessierte. Sie hörte zu und vergaß ganz ihr Frühstücksei. Das brodelte inzwischen auf dem Herd vor sich hin. Erst als der Beitrag im Radio beendet war, fiel es Anna plötzlich ein: »Oh, Gott!«

Sie rannte zum Herd, auf dem das Ei bestimmt schon mehr als zehn Minuten gekocht hatte. In der Eile fasste sie mit der bloßen Hand ins Wasser. Bekam das Ei zwischen die Finger, ließ es aber gleich mit einem Aufschrei wieder los. Das Ei prallte gegen die Herdkante und fiel dann auf den Boden. Dort zerbrach es. Durch den Aufprall wurde der Dotter frei und rollte durch die Küche.

Das sah Anna nicht, sie war auf ihre schmerzende Hand konzentriert. Schnell öffnete sie den Wasserhahn, um die verbrannten Stellen zu kühlen. Als das Wasser jedoch allmählich heißer wurde, zog sie die Hand mit einem erneuten Aufschrei zurück. Diesmal schob sie den Hebel in die richtige Richtung und spürte erleichtert, wie endlich kaltes Wasser über ihre verbrühte Haut sprudelte.

Ihr Blick fiel auf das zerbrochene Ei am Boden. Jetzt bemerkte sie, dass der Dotter fehlte. Sobald die Schmerzen in ihrer Hand ein wenig nachließen, dreht Anna den Hahn wieder ab und machte sich gleich auf die Suche. Vorsichtig kniete sie sich hin und kroch auf dem Boden herum. Da sah sie unter einem Stuhl etwas Rundes. Und zum zweiten Mal rief sie: »Oh Gott!«. Denn das war zwar ohne Zweifel ein Eidotter, doch der war nicht gelb, sondern rot. Tiefrot sogar.

Langsam und staunend näherte sich Anna dem Dotter. Gerade wollte sie ein wenig angewidert nach ihm greifen, da stieg plötzlich Rauch auf. Sie spürte die Hitze und zog die Hand schnell wieder zurück. Wie angewurzelt blieb sie hocken, als das Ding zu brennen anfing. Keinen Ton bekam sie heraus. Sie sah nur zu, was jetzt geschah:

Aus dem roten Etwas züngelten kleine Flammen in allen Farben. Dabei knisterte es leise. Mit einem Mal erlosch das Feuer, und der rote Dotter war verschwunden. Anna wollte es nicht glauben: An seiner Stelle stand dort ein kleines rotes Wesen. Etwas Lebendiges, das sich räkelte und gähnte. Und dabei wuchs es stetig. Bis es drei oder vier Handbreit groß geworden war.

Anna rieb sich die Augen, ehe sie erneut hinsah. Und wirklich war da etwas. Und es bewegte sich. Und machte Geräusche. Erst jetzt wich die Erstarrung von ihr und sie machte einen Satz rückwärts. Stieß sich bei dem Versuch aufzustehen den Rücken an der Türklinke. Schrie »Au!«, und seufzte jetzt schon das dritte Mal »Oh Gott!«.

»Was sagst du?« Hatte da jemand gesprochen? Eigentlich war das unmöglich, aber es kam ganz offensichtlich von jenem kleinen Wesen unter dem Stuhl.

Damit musste Anna jetzt erst einmal fertig werden: Da war ein Ei geplatzt, und aus dem Dotter war eine Kreatur geworden. Und der Dotter war nicht gelb, sondern rot. Und auch das Wesen hatte eine rote Farbe. Es sah quicklebendig aus und konnte sogar in ihrer Sprache sprechen.

Anna schloss die Augen. Und fing an beruhigend auf sich einzureden. Dabei suchte sie nach einleuchtenden Erklärungen: »Ist doch nichts Ungewöhnliches, wenn etwas aus einem Ei schlüpft. Und für ein Huhn ist es sogar normal.«

Scheinbar beruhigt öffnete Anna nun wieder die Augen. Dicht vor ihr stand ein kleines Wesen, dessen Hauptfarbe rot war. Es war völlig nackt. Da wo Anna jetzt hinblickte, gab es keinen Hinweis, ob dieses Wesen männlich oder weiblich war.

Einem Hühnchen sah dieses Geschöpf allerdings gar nicht ähnlich. Und sein feuriges Erscheinen vorhin hatte auch keine große Gemeinsamkeit mit dem Ausschlüpfen eines Kükens.

Dabei war das Ei doch ein Hühnerei. Sogar eines von freilaufenden Hühnern. Ob da vielleicht ein Kuckucksei dazwischengeraten war? Oder gar eine Art von Teufels-Ei?

Anna wurde aus ihren Gedanken gerissen: Das Wesen hatte sie am Fuß angestupst. Sie wollte zurückzucken. Aber da war kein Platz mehr, weil sie bereits mit ihrem Po dicht an der Tür saß.

»Was ist?«, hörte Anna erst das seltsame Wesen fragen und dann sich mit einer Frage antworten: »Was ist los?«

Einen Moment war es still. »So kommen wir nicht weiter«, sagte dann die kleine Kreatur. Und Anna nickte stumm. Sie beschloss, der eben entstandenen Tatsache endlich ins Gesicht zu sehen.

»Sag, was du bist«, schlug das Wesen vor.

»Ich, ich, ich bin Anna«, stotterte sie.

»Ein Anna«, sagte das Geschöpf und nickte langsam mit dem Kopf.

»Und du«, fragte Anna, »wer bist du? Ein Küken wohl gerade nicht.«

Und auf einmal musste sie sogar lachen. Obwohl ihr zum Lachen wahrlich nicht zumute war.

»Was gibt es zu lachen?«, fragte der kleine Kerl. Anna wurde wieder ernst.

»Nun sag schon, wer du bist!«

»Nein«, sagte das Wesen und lachte nun seinerseits.

Und Anna versuchte mitzulachen: »Oh Gottogott! Soll das ein Ratespiel ...«

»Das musst du nicht sagen«, wurde sie unterbrochen, »Und auch noch doppelt.«

»Was?«, wollte Anna fragen. Da verstand sie: Anscheinend mochte es dieses Wesen nicht, wenn jemand »Oh Gott« sagte. »Nun gut«, schlug sie vor, »du sagst mir jetzt, wer du bist, und ich sage nicht mehr 'Oh Gott'.«

Das seltsame Geschöpf schüttelte sich. »Ich sage, wer ich bin, und du verzichtest auf diesen Spruch.« Dann verstummte es für einen Moment.

»Na?«, fragte Anna ungeduldig.

»Ich bin ein Teufel.« Das Wesen sah Annas ungläubigen Blick und wiederholte: »Ja, ein Teufel. Sieht man das nicht?«

Anna lachte: Ein Teufel! Dieser Zwerg, kaum größer als ein Huhn, sollte ein richtiger Teufel sein?

»Eher wohl ein Kobold oder Gnom. Ein Wichtelmännchen oder so was«, prustete es aus ihr heraus. Unter einem Teufel stellte sie sich nun doch etwas viel Größeres, Mächtigeres vor.

Das kleine Geschöpf schien verärgert. Anna bemerkte dies, als ihr plötzlich ein ganz heißer Wind um den Kopf wehte. Verdutzt schaute sie auf. Und sah, wie der vermeintliche Teufel regelrecht zu glühen und zu dampfen begann.

»Du kochst ja vor Wut!«, lachte Anna und hatte damit die Lage offenbar genau getroffen.

Doch als sie sah, was nun passierte, blieb ihr das Lachen im Halse stecken: Der kleine Wicht glühte nicht nur. Er blähte sich langsam auf. So wuchs er schnell von wenigen Handbreit auf eine Größe, mit der er unter dem Stuhl keinen Platz mehr hatte.

Eilig richtete Anna sich auf. Und weil sie glücklicherweise die Klinke sofort fand, öffnete sie schnell die Tür hinter sich. Inzwischen schob sich dieses Wesen unter dem Stuhl hervor.

Was weiter geschah, konnte Anna nicht mehr mit ansehen. Schnell war sie in den Wohnungsflur gehuscht und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Nun lehnte sie atemlos vor Angst an der geschlossenen Tür und hörte, wie es drinnen in der Küche laut schnaubte.

»Es ist nur ein Traum«, flüsterte sie.

Das hatte ihr nun das eintönige Leben eingebracht: Immerzu tagtäglich das gleiche. Da musste man ja Komplexe bekommen! Manche sahen dann weiße Mäuse, manche auch Gespenster. Und sie hatte eben etwas gesehen, das sich als Teufel ausgab.

Anna seufzte. Sie brauchte wohl bloß eine Weile Ruhe. Dann würde sie die Tür wieder öffnen. Und sehen, dass alles wie immer war.

Anschließend war eine große Kanne Tee fällig. Und beim gemütlichen Trinken würde sie dann die Gelegenheit nutzen, um über ihr Leben nachzudenken. Sie nahm sich vor, die Ereignisse als Anstoß zu sehen, um endlich aus dem Alltagstrott herauszukommen. Vielleicht war dies eine Chance, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben? Anstatt es immer nur beenden zu wollen und nicht zu können?

»Das war wohl auch mal nötig«, sagte sie laut, »dass mir so etwas passiert!«

Aber nur einen Moment später wurde ihr bewusst, dass alles kein Traum war: Die Tür öffnete sich. Und Anna sah sich einem riesigen Ungeheuer gegenüber. Und sie hörte es mit dröhnender Stimme sagen: »War das wirklich nötig?«

Noch nie zuvor war sie jemals in Ohnmacht gefallen, aber jetzt tat sie's.

2. Der Teufel ist los

Als Anna erwachte, lag sie auf dem Fußboden. Sie brauchte eine Weile, um sich zu erinnern, wie sie dort gelandet war. Dann rappelte sie sich auf, zog die Knie an den Bauch. Verschränkte die Arme auf den Knien und stützte ihr Kinn darauf. Von der Verbrennung an ihrer Hand war seltsamerweise nichts mehr zu spüren.

So saß sie nun da und sah auf die Tür, die zur Küche führte. Dann erhob sie sich zögernd. Öffnete die Tür, tat ein paar vorsichtige Schritte. Nun war sie in der Küche und blickte sich um.

Außer den Resten vom zerbrochenen Ei, die immer noch auf dem Boden lagen, war nichts zu sehen. Anna schob die Teile zusammen, um sie dann aufzuheben. Langsam ging sie zum Mülleimer.

»Tu‘s nicht, gib‘s mir!«

Diese Stimme machte ihr mit einem Schlag klar, dass der Traum von dem Teufelchen wirklich keiner war. Als Anna sich umdrehte, stand vor ihr ein kleiner Kerl, gut drei Handbreit groß.

Sie war kurz davor, ihm die Eireste an den Kopf zu werfen. Hinaus in den Flur zu laufen und die Tür hinter sich zuzuschlagen. Aber das würde nichts ändern.

Wie erstarrt stand Anna einen langen Moment da. Dann beschloss sie, endlich das anzunehmen, was passiert war. Und sich erst einmal auf alles einzulassen, was jetzt noch geschehen würde.

Sie ging in die Hocke und hielt dem Wesen die Reste des zerborstenen Eis hin. Das kleine Geschöpf kam mit erhobenen Armen näher. Und als der seltsame Kerl nach den Eierteilen grabschte, kribbelte es sonderbar in ihren Händen.

Während er alles mitsamt den Schalen gierig verschlang, sah Anna zu. Dabei nutzte sie erst jetzt die Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten: Seine Haut leuchtete in einem kräftigen Rot, das an einigen Stellen wie den Händen und Füßen in ein tiefes Schwarz überging. Insgesamt gesehen glich seine Figur der eines winzigen Menschen.

Die kleinen Hörner auf dem Kopf und der kräftige schwarze Schwanz deuteten jedoch wieder mehr auf ein Tier hin. Auch hatten seine Füße keine Zehen, sondern sahen aus wie Pferdehufe. Schließlich waren da noch zwei Flügel, wonach das Wesen sogar hätte eine Art Vogel sein können.

Irgendwie war dieses Wesen weder Mensch noch Tier. Anna zuckte zusammen: Hatte die Kreatur die Wahrheit gesagt? Was sie so vom Aussehen eines Teufels gehört oder gelesen hatte, passte auf diese Erscheinung. Mit einem Mal schien es für sie klar, dass es sich tatsächlich um einen leibhaftigen Teufel handelte. Wenn auch um einen kleinen.

»Glaubst du mir nun?« Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Was?«, fragte sie.

»Dass ich ein Teufel bin.«

»Wie?«

»Was? Wie?« Er lachte.

Dann wischte er mit den Händen an seinem Bauch auf und ab, und sagte: »Du hast mich angeschaut und dabei überlegt, was für ein Wesen ich wohl sein könnte. Und dann bist du zu der Einsicht gekommen, dass ich wirklich ein Teufel bin.«

Anna nickte. »Du hast recht. Du kannst wohl Gedanken lesen?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Na ja, nicht alle.«

Bei dem Gedanken, dass dieser Wicht verstand, was sie so dachte, wurde es Anna mulmig.

Offenbar hatte er auch das mitbekommen, denn jetzt sagte er: »Wenn deine Gedanken besonders leise oder schnell sind, dann können sie mir leichter entgehen. Außerdem muss ich ja nicht ständig auf das achten, was du so denkst.« Und er lächelte sie verschmitzt an.

Beruhigend waren diese Bemerkungen nicht gerade. Aber Anna wollte sich auf alles einlassen, was auf sie zukommen sollte. Also machte sie einfach nur »Hm« und beschloss, eine Weile an nichts zu denken.

»Ich habe immer noch Hunger«, sagte der kleine Teufel.

»Was möchtest du essen?«, fragte Anna.

»Ich vertrage alles, was andere auch essen können.«

Anna ging zum Kühlschrank und öffnete ihn: »Na, dann bedien dich!«

Das hätte sie besser nicht getan. Denn der kleine Teufel stürzte sich auf das, was er zu fassen bekam. Und er verschlang es mit einem Heißhunger. Auf diese Weise biss er sich durch den ganzen Kühlschrankinhalt. Und wenn ihm etwas nicht schmeckte, ließ er es einfach fallen oder warf es zur Seite.

Schon nach kurzer Zeit hatte das Innere des Kühlschranks viel Ähnlichkeit mit dem eines Mülleimers. Angewidert wandte sich Anna zur Seite: Der Appetit auf Essen war ihr für die nächste Zeit vergangen. Mit einem Mal wurde sie so ärgerlich, dass sie mit einem kräftigen Tritt die Kühlschranktür schloss.

Drinnen wurde es plötzlich still. Dann vernahm Anna ein kräftiges Zischen. Und schließlich hörte sie eine Stimme rufen: »Es ist dunkel und kalt hier. Und ungemütlich. Lass mich raus!«

»Aber nur, wenn du dich anders benimmst!«, rief Anna zurück.

»Anders? Ja ja, aber lass mich jetzt raus.«

»Versprichst du's?«

»Ich verspreche alles. Ich will hier raus!«

Anna lächelte wie jemand, die einen Sieg errungen hat, und öffnete langsam die Tür zum Kühlschrank. Drin saß der kleine Teufel und schaute sie an. Dann grinste er, sprang mit einem Satz aus dem Kühlschrank, und landete auf dem Fußboden.

»Und wer bringt das alles wieder in Ordnung?«, fragte Anna.

»Ordnung? Wozu?«

»Meinst du allen Ernstes, ich würde irgendetwas da drin noch essen?«

Der kleine Teufel nickte: »Warum nicht? Ist ja noch genug übrig.«

»Aber ...«, begann Anna. Wie sollte sie diesem Wesen bloß erklären, dass sie das alles so anekelte. Keinen Bissen würde sie hinunter kriegen. Ihr war plötzlich zum Heulen zumute. Sie würde den ganzen Kram wegwerfen müssen. Und wie sollte es weitergehen? Den Kerl verjagen konnte sie nicht. Oder doch?

»Da sind wir wohl verschiedener Meinung über Ordnung«, hörte sie den kleinen Teufel sagen. »Und du wärst mich am liebsten wieder los.«

Anna schrak auf. Sie hatte vergessen, dass er ja Gedanken lesen konnte. Jedenfalls wenn sie deutlich genug waren. Stumm nickte sie, dann schüttelte sie den Kopf. »Egal«, sagte sie dann leise, »ist ja auch egal«.

»Was machen wir jetzt?«, fragte der kleine Teufel. Und saß mit einem Satz auf dem Herd.

»Ich«, antwortete Anna, »mache mir jetzt was zur Beruhigung.«

Einen starken Espresso konnte sie jetzt brauchen. Am besten gleich einen doppelten oder mehrfachen. Sie öffnete eine Schranktür und nahm die größte Tasse heraus, die sie hatte. Füllte sie mit Wasser und goss es in die Espressokanne um.

»Was wird das?«, fragte der kleine Teufel.

»Espresso«, sagte Anna.

»Was ist das?«

»Etwas zu trinken«, erwiderte Anna.

»Für mich?«

»Nein, den werde ich trinken«, betonte Anna.

»Warum du?«

»Weil ich ihn jetzt nötig habe.«

Augenscheinlich gab sich der kleine Teufel mit dieser Antwort zufrieden. Er saß stumm da und schaute Anna zu, wie sie sich mit der Zubereitung ihres extra großen Espresso beschäftigte.

Als sie fertig war, ging sie langsam mit der dampfenden Tasse zum Küchentisch und setzte sich. Für die nächsten Minuten wollte sie sich nur noch auf diese Tasse Espresso konzentrieren. Sie trank einen ersten Schluck, setzte die Tasse auf dem Tisch ab, und schloss dann die Augen. Sie spürte, wie es ihr heiß den Hals hinunterlief. Und sie genoss es.

»Tut gut!«, hörte sie die Stimme des kleinen Teufels. Als sie die Augen aufschlug, saß der vor ihr und hatte seinen Po mitsamt dem Schwanz tief in die Tasse getaucht.

»Bist du verrückt?«, empörte sich Anna und sprang auf. »Du versaust mir meinen ganzen Espresso!«

»Mir tut es gut, beim Essen war es ganz schön kalt.«

»Der ist zum Trinken, nicht zum Baden!«, schrie Anna.

»Auch gut.«

Der kleine Teufel erhob sich, drehte sich um und setzte die Tasse an den weit geöffneten Mund. Erst als sie leer war, ließ er sie wieder los. Breit grinsend machte er einen großen Satz zum Herd, und schlug dabei mit den Flügeln.

Anna war außer sich. Da kam ihr eine Idee. Sie stand von ihrem Stuhl auf, ging langsam zum Herd und drehte dort sämtliche Heizplatten an. »Bald wirst du mehr Hitze haben als dir lieb ist«, dachte sie.

»Wirklich?«, hörte sie den kleine Teufel lachen, »Das ist gut!«

Schon wieder hatte sie nicht darauf geachtet, dass dieser verdammte Teufel Gedankenleser war. Aber was machte das jetzt? Gleich würde das kleine Biest sich fühlen wie in der Hölle. Nun musste Anna sogar grinsen. Gespannt schaute sie zu, wie die Herdplatten allmählich zu glühen anfingen.

Der kleine Teufel schien mit einem Mal wie erstarrt. Er saß zusammengekauert auf einer der Platten und hatte die Augen geschlossen. Dann brummte er vor sich hin: »Wie schön! Tut gut!«

»Nicht mehr lange«, dachte Anna laut.

Aber der kleine Teufel schien sie gar nicht zu hören. Je heißer die Platten wurden, desto mehr gab er sich der Hitze hin. Schließlich waren sie alle so glühend rot geworden, dass Anna sich um ihren Herd sorgte. Schnell schaltete sie alle Platten wieder ab.

Erst mit der Zeit begann Anna zu begreifen, dass einem Teufel selbst größte Hitze offenbar nicht schaden kann. Schließlich stammten diese Wesen ja aus der Hölle. Und dort war es sicher um ein Vielfaches heißer als es jemals auf einer Herdplatte werden konnte.

Der kleine Teufel reagierte nicht auf ihre Gedanken. Vielleicht bekam er sie auch gar nicht mit. Gerade legte er sich der Länge nach hin, streckte sich, und wälzte sich ein paar Mal auf den immer noch glühend heißen Platten hin und her.

»Das genügt«, sagte er dann und sprang wieder vom Herd. Nach einigen Hüpfern landete er auf einem Küchenstuhl.

Anna starrte ihn einen Moment an. Sie ging zum Tisch und setzte sich auf den anderen Stuhl. Sie stellte die Ellbogen vor sich und stützte den Kopf in ihre Hände.

»Bloß jetzt nicht nachdenken«, sagte sie dann laut. Sie stand wieder auf und sah sich um. Irgendetwas musste sie tun. Etwas, das sie ablenkte.

Anna starrte auf den Berg Teller, Tassen und Besteck, der sich auf der Spüle türmte. Dann nickte sie: »Ich werde Geschirr spülen.«

»Ich werde Geschirr spielen«, hörte sie das Lachen des kleinen Teufels. Und schon saß er auf der Spüle. Mit einem Stups brachte er den Haufen Geschirr ins Rutschen. Ein paar Tassen landeten unsanft auf dem Fußboden und zerschellten dort.

Der kleine Teufel lachte: »Das ist gut!« Und mit einem weiteren Schubs beförderte er einen Teller hinterher. Die Scherben flogen durch die ganze Küche.

»Hör auf, hör auf!«, schrie Anna verzweifelt. Doch der kleine Teufel hatte bereits den nächsten Teller in seinen Fingern. Und schleuderte ihn jetzt in hohem Bogen gegen die Küchentür. Anna sah, wie er sichtlich das Klirren genoss, als der Teller auf dem Boden aufkam.

Da packte sie eine unbändige Wut. Mit einem Faustschlag fegte sie den kleinen Teufel von der Spüle. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er plötzlich durch die Luft flog und unsanft auf dem Küchenboden landete.

Im gleichen Moment wandelte sich Annas Wut in Bestürzung. Schnell lief sie zu dem kleinen Teufel und ging vor ihm in die Hocke. »Hast du dir weh getan?«, fragte sie besorgt.

»Das ist nicht gut«, stöhnte der arme Kerl und rieb sich den Rücken, »Tut nicht gut.« Dann schaute er Anna mit großen Augen an: »Und dir geht es nicht gut?«

Anna nickte. Wie sie ihn so ansah, kamen ihr mit einem Mal die Tränen. Sie setzte sich auf den Boden, schlug die Hände vors Gesicht und begann laut zu weinen. So saß sie eine ganze Zeit lang da, bis sie merkte, dass es ihr um Hals und Schultern wärmer wurde.

Als sie wieder aufsah, war der kleine Teufel vom Boden verschwunden. Aber sie spürte, dass er auf ihrer Schulter saß und seine kleinen Arme um sie gelegt hatte. Die Berührung tat ihr gut. Obwohl ihr immer heißer dabei wurde.

Schließlich begann sie zu schwitzen. Schweißtropfen liefen ihr von der Stirn, ihre Bluse wurde an Hals und Rücken nass und begann zu kleben. Der Kerl auf ihrer Schulter war ihr unangenehm, sie wollte ihn wieder loswerden.

»Das wird mir zu heiß«, sagte sie laut.

Der kleine Teufel sprang von ihrer Schulter und saß nun wieder vor ihr. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Puh«, sagte sie. Und schaute den kleinen Teufel an.

»Da haben wir wohl verschiedene Ansichten über ...«, begann der zu sagen.

»Über vieles«, ergänzte Anna, »über vieles.« Und sie versuchte zu lächeln.

3. Kein Tag wie jeder andere

Da saßen sie nun, Anna auf einem Küchenstuhl, der kleine Teufel vor ihr auf dem Tisch. Und Anna machte ihrem Ärger und ihrer Verzweiflung Luft.

Mit der Zeit aber wurde sie müde vom vielen Reden. Deshalb hörte sie auf und sah den kleinen Teufel einfach nur an. Der grinste breit und sagte: »Du redest viel. Und du sagst wenig.«

»Was soll das heißen?«, fragte Anna. »Du hast deine Probleme. Ich habe meine Probleme«, erwiderte der kleine Teufel, »Das eine ist dir wichtig. Das andere ist mir wichtig.«

»Du bist wohl ein Philosoph?«, bemerkte Anna, »Aber du sprichst in Rätseln. Erklärst du mir mal, was du meinst?«

Der kleine Teufel lächelte sie an: »Was du da erzählt hast, interessiert mich nicht. Das sind deine Probleme und nicht meine.«

»Meine Probleme kommen aber durch dich«, rief Anna wütend, »Du hast sie mir aufgedrängt! Tauchst einfach hier auf, machst dich breit ...«

»Das hast du alles schon erzählt«, meinte der kleine Teufel und schüttelte den Kopf, »ich möchte mir das nicht nochmal anhören.«

»OK.« Anna stand mit einem Ruck auf und schnappte den kleinen Kerl bei den Flügeln. Ging zur Wohnungstür und öffnete sie. Ehe er sich's versah, saß der kleine Teufel allein draußen im Treppenhaus. Anna hatte die Tür zugeschlagen und lehnte sich nun von innen dagegen.

»Den bin ich los«, sagte sie, »jedenfalls vorläufig.« Denn so richtig glauben konnte sie nicht, dass nun alles wieder beim Alten war.

Sie ging in die Küche und schaute sich um: »Oh Gott! Das kriege ich ja nie wieder in Ordnung!«

»Sag das nicht«, hörte sie da die Stimme, die ihr inzwischen allzu vertraut geworden war. Als sie sich umdrehte, stand hinter ihr der kleine Teufel und grinste sie an.

»Wie bist du wieder hierhergekommen?«, fragte Anna.

»Durchs Schlüsselloch.«

»Unsinn! Wie hast du die Tür aufgekriegt?«

Der kleine Teufel antwortete nicht. Anna sah ihn ungläubig an. »Durch das Schlüsselloch«, wiederholte sie dann. Und der kleine Teufel nickte.

»Du kannst dich so winzig machen ...«, begann Anna. Wieder nickte der kleine Teufel und fuhr fort: »So winzig wie eine Mücke. So riesig wie ein Elefant. Ich kann mich beliebig klein oder groß machen. Das ist für mich kein Problem.«

»Aber warum hast du dich dann in dieser Aufmachung aus dem Ei gepellt?«, fragte Anna.

»Wie stellen sich die Menschen einen Teufel vor? Hörner, Schwanz, Pferdefuß. Ich hätte auch als Küken erscheinen können, das hätte besser zu einem Hühnerei gepasst. Aber wie hättest du als Mensch mich dann als Teufel erkennen können? Du hättest mich für ein kleines Huhn gehalten und womöglich hätte ich noch für dich Eier legen müssen. Also bin ich so erschienen, wie die Menschen den Teufel sehen wollen.«

Anna beschloss, sich darüber nicht weiter zu wundern. Im Grunde genommen war ihr das auch jetzt gleichgültig. Sie beschäftigte im Augenblick nur der Zustand ihrer Küche.

»Am besten«, sagte sie langsam zum kleinen Teufel, »du verschwindest wieder auf dem gleichen Wege, den du eben gekommen bist. Ich habe jetzt meine eigenen Sorgen.« Und sie drehte sich von ihm weg.

»Die dich ja nicht interessieren«, fügte sie dann hinzu. »Wer sagt das?«, fragte der kleine Teufel.

»Du hast doch vorhin klar und deutlich gesagt: Meine Probleme interessieren dich nicht.«

»Das war vorhin. Aber jetzt ist jetzt.«

»Was soll das nun wieder heißen?«

Der kleine Teufel grinste sie an. Schon sein Grinsen machte Anna allmählich aggressiv. Aber ehe sie darauf reagieren konnte, sagte er: »Du möchtest deine Küche wieder in Ordnung haben?«

»Genau«, nickte Anna, »gerade so, wie sie vor deinem Besuch war. Aber weiß der Teufel, wie das geschehen soll!«

Sie hörte den kleinen Teufel hell auflachen. Und als er dazu noch sagte: »Ja, der Teufel weiß es«, konnte sie mit einem Mal nicht anders und musste ebenfalls lachen.

»Na gut«, meinte der kleine Teufel, »Weil ich Lust habe, tu ich's: So sei es!«

Sowie er dies gesagt hatte, begann vor Annas Augen alles, was in ihrer Küche mit Geschirr und Kühlschrankinhalt geschehen war, im Zeitraffer rückwärts abzulaufen. Nach nicht einmal einer Minute hatte die ganze Küche wieder ihren ursprünglichen Zustand.

»Jetzt ist es gut«, stellte der kleine Teufel fest.

Und Anna rieb sich die Augen. Dann entschied sie, sich auch über dieses Ereignis nicht weiter zu wundern.

»Danke«, sagte sie zum kleinen Teufel. Aber der schüttelte den Kopf: »Wofür?«

»Dass du das wieder in Ordnung gebracht hast.«

Der kleine Teufel grinste nur. So etwas wie »Das war ich dir doch schuldig« hätte er ruhig sagen können. Aber wenn sie genauer darüber nachdachte, konnte man wohl von einem Teufel weder Unrechtsbewusstsein noch Schuldgefühle erwarten.

»Da hast du recht«, bestätigte der kleine Teufel ihre Gedanken.

»Na gut«, sagte Anna, »lassen wir's dabei. Ich verzeih dir.«

»Was verzeihst du?«

»Na, was du mir vorhin angetan hast. Ist ja wieder in Ordnung.«

»Es ist deine Ordnung«, betonte der kleine Teufel.

»Meinetwegen. Also, Schwamm drüber, vergeben und vergessen.«

Der kleine Teufel gab darauf keine Antwort. Anna gefiel das aber nicht. Nur wenn er gerade Lust hatte, machte er angerichteten Schaden wieder gut. Und wenn er Gefallen daran fand, ihre ganze Wohnung in einen Trümmerhaufen zu verwandeln, würde er wohl auch das tun.

»Da hast du recht«, erwiderte der kleine Teufel zustimmend.

»Warum tust du so was?« fragte Anna.

»Ich tue nur das, was gut ist« sagte der kleine Teufel.

»Gut für dich«, meinte Anna. Und der kleine Teufel pflichtete ihr bei: »Klar, gut für mich.«

»Gut ist, was mir gefällt«, fuhr er fort, »Erst hat es mir gefallen, in deinem Essen zu graben und mit deinem Geschirr zu spielen. Dann hat es mir gefallen, alles wieder rückgängig zu machen. Erst war das eine gut, dann war das Gegenteil gut.«

»Ich finde das schrecklich«, rief Anna, »Weil du tun kannst, was du willst, bin ich dir ja ausgeliefert!«

Der kleine Teufel nickte. »Auch du«, sagte er dann, »kannst ja tun, was du willst.«

»Aber ...«, begann Anna, doch der kleine Teufel unterbrach sie: »Hast du mich vom Herd geschubst? Hast du mich vor die Tür gesetzt?«

»Ja«, musste Anna zugeben, »aber das geschah in reiner Notwehr. Normalerweise hätte ich so was nie getan.«

»Du hast es getan«, sagte der kleine Teufel, »weil du es in dem Moment wolltest.«

Anna schüttelte den Kopf: »Du hast mich dazu gezwungen, mich zur Wehr zu setzen. Nur weil du dich so danebenbenimmst, habe ich so reagiert. Oder meinst du, ich würde alle meine Gäste so behandeln?«

Der kleine Teufel schwieg dazu. Bestimmt nicht, weil er irgendetwas eingesehen hat, dachte sich Anna.

»So kann es jedenfalls nicht bleiben«, sagte sie dann laut, »Ich will, dass du wieder verschwindest!«

Einen Moment schwiegen beide.

»Ich gehe, wenn ich will«, meinte der kleine Teufel dann, »Sonst bleibe ich.«

»Wenn du nicht freiwillig gehst«, schimpfte Anna, »dann schmeiß ich dich raus!«

Als sie das breite Grinsen des kleinen Teufels sah, sprang sie auf. Ehe sie aber zupacken konnte, war der freche Kerl mit ein paar Flügelschlägen in der Luft. Anna jagte hinterher und versuchte, ihn zu fangen. Aber der kleine Teufel entwischte ihr ständig.

Schließlich lief sie ins andere Zimmer und kam mit einer Decke zurück. Damit bemühte sie sich nun, den kleinen Teufel einzufangen. Dem schien das Ganze immer mehr Spaß zu machen. Denn er kicherte jedes Mal laut, wenn ein Versuch danebengegangen war.

Bei der Verfolgungsjagd war inzwischen schon einiges zu Bruch gegangen. Weil Anna mit der Decke nach ihm warf oder schlug, traf sie hin und wieder eine Tasse oder einen Teller. Auch das quittierte das kleine Biest mit einem kräftigen Lachen.

Ganz plötzlich aber erwischte sie ihn doch. Schnell wickelte sie ihn ein und eilte zur Wohnungstür. Draußen schüttelte sie die Decke aus. Und der kleine Teufel kullerte auf den Boden.

Noch ehe er sich aufgerafft hatte, war Anna schon wieder in ihrer Wohnung. Diesmal steckte sie den Schlüssel von innen ins Schlüsselloch. »Nun kann er sich noch so klein machen«, dachte sie, »da kommt er nicht mehr durch.«

Kurze Zeit später hörte sie ein scharrendes Geräusch an der Tür, und sah, wie der Schlüssel sich ein wenig bewegte. Hörte, wie draußen jemand keuchte. Nun musste sie grinsen. Sollte er sich doch abmühen, dieser verdammte Teufel. Irgendwann würde er aufgeben. Und wenn sie viel Glück hatte, würde er verschwinden. Es gab schließlich noch genug andere Leute, die er schikanieren konnte.

Nach einer Weile wurde es draußen ruhig. Anna hatte zunächst noch erwartet, dass er sie vielleicht bitten würde, ihn wieder hereinzulassen. Aber offenbar bittet so ein Teufel nicht. Jedenfalls hoffte sie, er möge bald an einen anderen Menschen geraten. Dann hätte der ihn jetzt am Hals und müsste sich damit herumplagen, den kleinen Quälgeist wieder loszuwerden.

Anna wartete noch eine ganze Zeit lang. Als es draußen weiterhin still blieb, ging sie in die Küche. Machte dort den Kühlschrank auf, dessen Inneres ja wieder in seinem früheren Zustand war. Sie nahm einen Joghurtbecher heraus, öffnete ihn und stellte ihn auf den Küchentisch. Das Geschirr war leider noch immer nicht abgespült, aber wenigstens unbeschädigt. Bis auf das, was bei der Jagd nach dem Teufel zerbrochen war.

Sie griff nach einem Löffel und wusch ihn unter dem Wasserhahn kurz ab. Dann setzte sie sich und ließ sich den Joghurt schmecken. Sie genehmigte sich noch einen Espresso.

Anschließend fegte sie die Scherben weg, wischte den Boden nach und spülte endlich ihr Geschirr. Nach getaner Arbeit beschloss sie, den Rest des Abends vor dem Fernseher zu verbringen.

Dabei hoffte sie, den kleinen Teufel und alles, was passiert war, zumindest für heute verdrängen zu können. Der Film, der lief, war zwar schmalzig und langweilig. Aber wenigstens machte er so müde, dass Anna schließlich im Sessel einschlief. Damit war der Sonntag fast vorbei. Ziemlich genau um Mitternacht wachte sie kurz auf.

Sie glaubte, ein Geräusch gehört zu haben. Sofort fiel ihr der kleine Teufel ein. Und sie fürchtete schon, dass er es irgendwie geschafft hatte, wieder in die Wohnung zurückzukommen. Aber es blieb ruhig.

Sie ging zum Fernsehgerät und schaltete es aus. Dann schaute sie kurz auf die Uhr, sah, dass es Mitternacht war, brummte verschlafen »Geisterstunde«, ließ sich in ihren Kleidern aufs Bett fallen und schlief gleich darauf ein.

Erst am nächsten Morgen schlug sie die Augen wieder auf. Und da war es kurz danach auch schon Zeit zum Aufstehen, Duschen, Frühstücken: Es war Montag.

Auf dem Weg zum Büro, in dem sie arbeitete, wurde ihr bewusst, dass sie sich nun offensichtlich wieder im üblichen Trott befand.

Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, würde sie aus ihren Straßenschuhen steigen und diese in eine Ecke neben dem Fernsehgerät werfen. Dann würde sie das Radio einschalten, Musik hören und vielleicht mitsummen. Auch auf den nachmittäglichen Espresso würde sie nicht verzichten.

Anschließend würde sie wohl noch einmal um die Ecke in die Altstadt gehen. Wenn sie zurückkam, würde sie den Fernseher anschalten und dem zuschauen, was gerade kam. Mit der Zeit würde sie dabei müde werden, vielleicht wieder im Sessel einschlafen. Sich dann wieder aufraffen, um sich auszuziehen und ins Bett zu legen. Und damit würde wohl auch dieser Tag wie viele andere schon wieder vorbei sein.

Beim Grübeln war sie glatt an ihrer Arbeitsstelle vorbeigeradelt. Das war ihr bisher noch nie passiert! Schnell wendete sie und beeilte sich, noch pünktlich anzukommen. Als sie dann im Büro an ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte, war ihr Alltag wirklich wieder eingekehrt. Und sie spürte, wie sie begann, sich damit abzufinden …

4. Die Rückkehr

Das Abenteuer mit dem kleinen Teufel konnte Anna nicht vergessen: Irgendwie ging ihr der kleine Kerl einfach nicht aus dem Kopf. Aber erzählen konnte sie es niemandem. Denn wer würde ihr so etwas schon glauben?

Sie wunderte sich darüber, dass sie gestern nach dem Rausschmiss des kleinen Teufels einfach so eingeschlafen war, und es heute Morgen anscheinend weiterging wie bisher.

Noch am Sonntag hatte Anna sich vorgenommen, über ihre Lage nachzudenken, vielleicht ein neues Leben anzufangen oder zumindest am alten etwas zu ändern. Doch es sah so aus, als wollte sie das lieber wieder auf irgendeinen anderen Tag verschieben.

Jetzt war Montagnachmittag. Die Büroarbeit hatte Anna bereits hinter sich, die Espressotasse stand ausgetrunken auf dem Tisch. Gestern noch hatte der kleine Teufel sein Hinterteil in ihr Lieblingsgetränk getaucht. Sie musste plötzlich lachen. Irgendwie fand sie das jetzt lustig.

Als sie jedoch daran dachte, in welchem Zustand der Kühlschrank war, nachdem der kleine Teufel darin getobt hatte, überkam sie wieder ein Ekelgefühl. Und die Erinnerung an sein Spiel mit dem Geschirr verschlechterte Annas Laune noch mehr.

Alles in allem hatte er ihren Alltag gehörig durcheinandergebracht. Dieser kleine Teufel besaß Eigenarten, mit denen sie glaubte nie und nimmer leben zu können. Trotzdem war sie ihm nicht wirklich böse. Ja, wie es schien, vermisste sie ihn sogar etwas.

Immerhin hatte dieses seltsame Wesen es erreicht, dass sie heute Abend den Fernseher gar nicht erst anschaltete. Stattdessen hatte sie begonnen, über die Ereignisse vom Sonntag nachzudenken.

»Vielleicht ist das jetzt die Gelegenheit, endlich mal was Neues zu versuchen?«, sagte Anna schließlich laut vor sich hin. »Dann war es zumindest für etwas gut.«

»Gut für dich.«

Anna zuckte zusammen. Dann drehte sie sich blitzschnell um. Und starrte dem kleinen Teufel direkt in sein grinsendes Gesicht.

»Was? Woher?«, stammelte sie, »Bist du es? Wie bist du ...?«

»Zu viele Fragen auf einmal«, lachte der kleine Teufel.

Anna sackte in sich zusammen: »Er ist es!«

Und sie spürte, wie die Angst in ihr hochkroch. Nun war sie dieses Biest doch nicht los. Es würde weiter gehen, er würde tun und lassen, was er wollte. Und dabei keine Rücksicht auf sie nehmen, außer wenn er gerade mal Lust dazu hatte.

»Stimmt genau«, stellte der kleine Teufel fest. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass er ihre Gedanken mitgelesen hatte.

»Was hast du vor?«, fragte Anna.

»Nichts«, sagte der kleine Teufel, »Noch nichts.«

In dieser Antwort witterte Anna neues Unheil.

»Ich will keinen Ärger«, rief sie. »Lass mich mit deinen Launen in Ruhe!«

»Was willst du dagegen tun?«, fragte der kleine Teufel lauernd.

Darauf wusste Anna keine Antwort.

»Du möchtest mich wieder verjagen«, sagte er.

Spontan wollte Anna »Ja« sagen, zögerte dann aber einen Moment. Schließlich schüttelte sie den Kopf: »Nein. Ich glaube nicht. Abgesehen davon würde es mir sowieso nicht gelingen.«

»Da hast du recht«, pflichtete ihr der kleine Teufel bei. »Es gibt nicht viele Möglichkeiten, mich loszuwerden.«

Anna sah ihn traurig an. Noch vor wenigen Augenblicken war es ihr, als hätte sie diesen scheußlichen kleinen Kerl ein wenig vermisst. Nun war er wieder da, und nur der Teufel wusste, wie er hergekommen war.

Sie hatte große Angst vor dem, was geschehen konnte, jedoch keine Lust mehr, sich auf all das einzulassen. Ihre Vorsätze von einem neuen Leben schienen dahin, geschmolzen wie Schnee in der Sonne. Sie wünschte sich ihren grauen Alltag zurück.

»Du hast Angst vor mir«, hörte sie den kleinen Teufel sagen. Als sie nickte, sprach er weiter: »Es gibt keinen Grund, sich vor mir zu fürchten. Ich will dir ja nicht wehtun.«

Sie schaute ihn erstaunt an. »Und gestern? Da hast du mir doch wehgetan.«

»Wirklich?« Der kleine Teufel schien überrascht.

»Natürlich! Warum sonst wollte ich dich loswerden?«

»Gestern habe ich getan, was mir gefiel. Ich tue immer das, was mir guttut.«

»Das ist aber oft rücksichtslos!«, rief Anna.

»Wieso?«, fragte der kleine Teufel.

Gerade wollte Anna wieder wütend werden. Doch irgendetwas in ihr hielt sie zurück, und eine seltsame Gleichgültigkeit überkam sie.

»Du hältst mich für rücksichtslos«, sagte der kleine Teufel.

Als Anna schwieg, sprach er weiter: »Jeder möchte irgendwie tun, was ihm guttut. Auch du. Wenn du immer darauf achtest, ob es anderen passt, bist du dir weniger wichtig als andere.«

Anna hatte gar keine Lust, seinen Gedanken zu folgen. Sie empfand es als leeres Geschwätz. Dieser Kerl versuchte ja nur, seine Frechheiten zu rechtfertigen.

»Ist es dir gleichgültig, was ich sage?«, fragte der kleine Teufel.

»Nein, nein«, entfuhr es Anna. Sie merkte aber sofort, dass sie damit nur ihre eigentliche Meinung verbergen wollte.

»Du gibst nicht zu, dass das für dich nur dummes Gerede ist, was ich gesagt habe. Wie viel ist dir deine Meinung wert, wenn du sie vor mir verstecken willst?«

Anna zuckte hilflos mit den Schultern. Dieser verdammte Kerl hatte recht. Sie konnte nicht zugeben, was sie in Wahrheit dachte. Dabei gab es doch gar keinen Grund dafür, ihre ehrliche Meinung zurückzuhalten.

»Als du mich gestern zweimal vor die Tür gesetzt hast«, hörte sie den kleinen Kerl sagen, »da hat dir das gut getan. Und es war dir doch egal, ob du dabei rücksichtslos warst oder nicht.«