Der König der Favelas - Misha Glenny - E-Book

Der König der Favelas E-Book

Misha Glenny

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Beschreibung

Antônio Francisco Bonfim Lopes, genannt Nem. Fleißiger Schüler, cleverer Erwachsener, liebender Familienvater, Drogenboss. 2011 endet ein Fluchtversuch in seiner spektakulären Festnahme, die zum nationalen Medienereignis wird. Eine der faszinierendsten, erschreckendsten und zugleich aufschlussreichsten True-Crime-Geschichten der Gegenwart. Weitläufig und unkontrollierbar sind die Wege der Korruption, weitläufig und unkontrollierbar auch die Favelas von Rio. Genau hier entfaltet sich die tragische Lebensgeschichte eines der berüchtigtsten Drogenbosse des Landes. Im Grunde widerwillig, aber doch auch zielstrebig steigt Nem durch Organisationstalent und Loyalität in der Hierarchie auf, bis er schließlich selbst das Ruder übernimmt und sich an die Spitze einer der größten Verbrecherorganisationen Brasiliens setzt, der Amigos dos Amigos. In seinem glänzend recherchierten und aufregend geschriebenen Buch öffnet uns Misha Glenny die Augen für das soziale Drama Brasiliens. Die Ambivalenz des Menschseins wurde selten so greifbar und packend erzählt.

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Seitenzahl: 465

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Der König der Favelas

Brasilien zwischen Koks, Killern und Korruption

Misha Glenny

Aus dem Englischen von Dieter Fuchs

Tropen Sachbuch

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Tropenwww.tropen.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Nemesis. One Man and the Battle for Rio« im Verlag The Bodley Head, London

© 2015 by Misha Glenny

Für die deutsche Ausgabe

© 2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlag: Herburg Weiland, München

Unter Verwendung eines Fotos von © Stefan Rösinger

Autorenfoto auf S. 1 © University of Bristol, UK

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-50335-7

E-Book: ISBN 978-3-608-10849-1

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

PrologDie Verhaftung I

Teil IProtagonist

1 Eduarda

2 Favela

3 Kokain

4 Leichen

5 Moralischer Kollaps

6 Den Hügel hinauf

Teil IIHybris

1 Massaker

2 Orlando Jogador

3 Lulus Herrschaft

4 Bruch

5 Die Passion von Rocinha

6 Die Ballade vom dünnen Mann

7 Der König ist tot

8 Bem-te-vi

Teil IIINemesis

1 Der große Wandel

2 Eine helfende Hand

3 Taking care of business

4 Wir sind nicht allein

5 Boomzeit

6 Nems Braut

7 Nemesis

8 Die Schlacht um Rio

9 Rocinhas goldenes Zeitalter

10 Politik

11 Das Hotel Intercontinental

Teil IVKatharsis

1 Erstkontakt

2 Die Eroberung von Alemão

3 Geständnisse

4 Luana und Andressa

5 Die Verhaftung II

Epilog

ANHANGDie Polizeikräfte von Rio de Janeiro

Glossar

Danksagung

Anmerkungen

Bildnachweis

Tafelteil

In Erinnerung

Sasha Glenny

1992–2014

Brasilien, dieses wunderschöne Land, verfügt über die hässlichsten Statistiken der Welt. Wir sind die Nummer eins bei Tötungsdelikten. Jedes zehnte Mordopfer auf diesem Planeten ist ein Brasilianer. Das bedeutet, dass jährlich 56 000 Menschen gewaltsam ums Leben kommen. Die meisten davon sind junge Schwarze, die erschossen werden. Brasilien ist außerdem einer der weltweit größten Drogenkonsumenten, und der Krieg gegen Drogen ist hier besonders schmerzhaft zu spüren. Rund fünfzig Prozent der Morde auf den Straßen Brasiliens hängen mit dem Krieg gegen Drogen zusammen.

Ilona Szabó de Carvalho, Instituto Igarapé,TED Talk, Oktober 2014, Rio de Janeiro

Rocinha

Die Südzone

Rio de Janeiro

Brasilien

Vorwort

Es war seltsam, das erste Mal in Campo Grande zu landen. Die Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso do Sul liegt rund 400 Kilometer östlich des Punktes, an dem Brasilien, Paraguay und Bolivien aufeinandertreffen. Etwa genauso weit ist sie vom nördlich liegenden Pantanal entfernt, dem größten tropischen Sumpfgebiet der Erde. Zunächst fühlte ich mich, als sei ich gar nicht in Brasilien.

Die Stadt, nur knapp über hundert Jahre alt und am Reißbrett entworfen, ist von breiten, mit Bäumen gesäumten Avenidas durchzogen. Ich staunte über die Vielzahl der Geschäfte und ihre gewaltigen Schaufenster. In den Metzgereien waren buchstäblich Dutzende von Rinderhälften ausgestellt. Ein John-Deere-Händler präsentierte gleich mehrere Traktoren-Reihen hintereinander. Ich fühlte mich viel eher an das ländliche Texas der 1960er Jahre erinnert, als an das sinnliche Rio de Janeiro oder das geschäftige São Paulo.

Wenn man am klar definierten Stadtrand die hoch aufragenden Gebäude hinter sich lässt, sieht man sich mit einem derart roten Erdreich konfrontiert, dass man glaubt, es sei hingemalt. Der Kontrast zu dem satten Grün der Vegetation verwandelt die Umgebung fast schon in eine Comic-Landschaft.

Genau dort, wo auf einmal alles nur mehr grün und rot ist, nahm ich eine unbeschilderte Abzweigung von der südlichen Stadtumfahrung. Auf dem unbefestigten Weg musste ich erst an ein paar Ölfässern vorbei, bevor ich schließlich einen Drahtzaun erreichte. Von hier aus war fast das ganze Staatliche Hochsicherheitsgefängnis zu sehen. Nicht nur die moderne Bauweise der Anlage beeindruckte mich, auch die in blassen Rot- und Gelbtönen gehaltenen Außenmauern waren auffallend.

Nachdem sich das erste Tor automatisch geöffnet hatte, musste ich nur noch ein letztes Hindernis überwinden – die Panzersperren. Die Kunst des Gefängnisausbruchs hat in Brasilien eine reichhaltige Geschichte, kein Wunder also, dass Campo Grande in diesem Punkt kein Risiko eingeht. Bei dem Gebäudekomplex handelt es sich um eine von vier über dieses riesige Land verteilte Spezialeinrichtungen, welche speziell für die als extrem gefährlich eingestuften Kriminellen gebaut wurden. Campo Grande besitzt keinerlei Ähnlichkeit mit den berühmteren Städten Brasiliens, und auch sein Gefängnis ist anders als die meisten anderen.

Zunächst einmal war das Wachpersonal durchweg freundlich und höflich. Einige konnten ziemlich gut Englisch, was im Landesinneren von Brasilien eher ungewöhnlich ist. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten gaben sie sich die größte Mühe, mich bei allem zu unterstützen.

Es gab keinerlei Anzeichen für das Elend, die Überbelegung oder die latente Gewalt, die mit dem Strafvollzug meist in Verbindung gebracht wird. Campo Grande strahlt eine Aura von Ordnung und Vorhersehbarkeit aus. Der Gefängnisalltag ist für die Insassen kein Zuckerschlecken, aber es liegen weder Berichte über Menschenrechtsverletzungen noch Beschwerden über willkürliche Gewaltanwendung vor. Nicht ein einziger Insasse der vier Spezialeinrichtungen wurde Opfer eines Mordversuchs vonseiten eines Mithäftlings, und es kam bislang auch zu keinem registrierten Ausbruchsversuch. In den anderen Gefängnissen des Landes ist so etwas fast schon an der Tagesordnung.

Der Hauptgrund für die ungewöhnlich straffe Gefängnisverwaltung liegt in der Prominenz der Häftlinge. In der Vergangenheit konnten berüchtigte Bankräuber oder Bosse von Drogenkartellen selbst noch vom Gefängnis aus ihren Geschäften nachgehen. In den Stadt- und Bezirksgefängnissen ist es völlig normal, die schlecht bezahlten Wächter zu schmieren, damit sie nicht so genau hinsehen, wenn Mobiltelefone, Drogen, Spielkonsolen, Fernsehgeräte oder auch Frauen hineingeschmuggelt werden.

Abgesehen von Briefen, die einer strengen Kontrolle unterliegen, können die Häftlinge von Campo Grande nur über ihre Anwälte oder die wenigen zugelassenen Familienmitglieder mit der Außenwelt kommunizieren. Das stellt selbst für extrem gut organisierte Kriminelle ein echtes Hindernis dar.

Nachdem ich meine persönlichen Gegenstände in einem Spind eingeschlossen hatte, musste ich ein paar Sicherheitskontrollen und biometrische Checks über mich ergehen lassen. Mitnehmen durfte ich meine Uhr, meine Brille und, mit amtlicher Spezialgenehmigung, mein digitales Aufnahmegerät – sonst nichts. Erst nach mehrmaliger Überprüfung dieser Sachen führten mich zwei Bundespolizisten in einen zirka drei mal sechs Meter großen Raum.

Links befand sich ein Schreibtisch mit einem Computer und einer Videokamera darauf. Die rechte Wand war mit einem Tuch abgehängt, auf dem in großen Buchstaben Sistema Penitenciário Federal (Bundesgefängnisbehörde) stand. Der Raum war normalerweise für Häftlinge vorgesehen, um von hier aus per Videoschaltung an ihrer Gerichtsverhandlung teilzunehmen – sei es in Rio de Janeiro, São Paulo, Manaus oder Recife.

Mir gegenüber saß der Mann, dessentwegen ich gekommen war – Antônio Francisco Bonfim Lopes. Bis zu seiner Inhaftierung im November 2011 war er der meistgesuchte Verbrecher Rio de Janeiros, wenn nicht sogar ganz Brasiliens. In seiner Heimat ist er allerdings nicht unter seinem richtigen Namen bekannt, sondern unter dem Spitznamen Nem, oder wie er auf Portugiesisch vollständig lautet, O Nem da Rocinha – Nem aus Rocinha.

Das erste Mal hatte ich von Nem im Jahr 2007 gehört, als ich an einer geführten Tour durch Rocinha teilnahm, der größten Favela Brasiliens, vielleicht sogar ganz Südamerikas. In Rio gibt es an die Tausend solcher Armensiedlungen, aber Rocinha ist etwas Besonderes, denn es liegt genau zwischen den drei reichsten Stadtteilen. Bei meinem ersten Besuch war Rocinha bereits eine richtiggehende Touristenattraktion. Man konnte in einem Minivan die Hauptstraße, die Estrada da Gávea, hinauffahren und an diversen Punkten anhalten, um die bunt bemalten, eng ineinander verschachtelten Hütten anzusehen, in denen ein Teil der 100 000 Bewohner lebt. Nach einem kurzen Abstecher zu einer selbstorganisierten Kinderbetreuungsgruppe konnte man dann ein im naiven Stil gemaltes Bild erwerben und so etwas Geld in die bettelarme Favela zurückfließen lassen.

Einer der Tourbegleiter erzählte damals, dass der Mann, der Rocinha regiere, Nem hieße und der Kopf des hiesigen Drogenkartells sei. Mit vollem Ernst behauptete er, Nem sei derjenige, »der hier in Rocinha für Ruhe und Frieden sorgt«.

Vier Jahre danach trat Nem mir erneut ins Bewusstsein, als er kurz nach Mitternacht ein paar Kilometer von Rocinha entfernt verhaftet wurde. Situation und Umstände waren dramatisch. Ich begann, ein wenig zu recherchieren, und stieß zu meiner Überraschung auf Interviews, die Nem kurz vor seiner Verhaftung gegeben hatte. Die Medien hatten ihn zuvor immer wieder als skrupellosen Killer dargestellt, der durch den Drogenhandel das Leben unzähliger junger Menschen ruiniert hatte. Die Interviews deuteten allerdings in eine ganz andere Richtung. Nems Antworten waren klug und ließen erkennen, dass er die politische und soziale Bedeutung der Rolle, die er im Grunde als Präsident, Premierminister und gleichzeitig mächtigster Geschäftsmann einer mittelgroßen Stadt spielte, sehr wohl verstand.

Im brasilianischen Winter des Jahres 2012 schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich mich vorstellte und um ein Treffen bat. Jetzt, acht Monate später, war ich tatsächlich in Campo Grande: Vor mir saß Nem, Staatsfeind Nr. 1. Den Gefängnisvorschriften entsprechend, war es natürlich ausgeschlossen, dass ich ihn berührte oder ihm auch nur die Hand schüttelte. Unter den gegebenen Umständen fiel unsere erste Begrüßung also ziemlich steif aus.

Er trug die im Gefängnis übliche Kombination aus blauem T-Shirt und ebensolcher Baumwollhose. Als er aufstand, um wieder hinausgeführt zu werden, sah ich, dass er groß und schlank war, schätzungsweise 1,85 Meter. Er hatte braune Haut, ein auffallend schmales Gesicht und einen leichten Überbiss. Da er sein Haar kurz trug, war von den Locken, die auf den im Internet kursierenden Bildern seinen Kopf umspielen, nichts zu sehen. Das Faszinierendste an ihm waren allerdings seine pechschwarzen Augen, so dunkel, dass Iris und Pupille ineinander überzugehen schienen. Es war offensichtlich, dass diese Augen der Hauptgrund für seine körperliche Präsenz waren: Sie konnten direkt in deine Seele blicken, ohne dabei selbst etwas von sich preiszugeben.

Er verwendete mir gegenüber durchgängig die höfliche Anrede o senhor, Herr. Da ich mit den Feinheiten der portugiesischen Sprache noch nicht so vertraut war, sagte ich zu Beginn einfach Antônio zu ihm.

Irgendwann ließ ich versehentlich meinen Stift fallen. Als ich ihn aufheben wollte, sah ich, dass seine Beine an den Metalltisch gefesselt waren, der wiederum am Fußboden festgeschraubt war. Nem wollte weder Kaffee noch Wasser zu sich nehmen, denn dazu hätte er die Hände über die Tischkante heben und seine Handschellen zeigen müssen (bei späteren Treffen wurde auf diese verzichtet). Es schien, als fühle er sich von der misslichen Lage, in der er sich befand, ziemlich gedemütigt.

In Kontrast dazu war er überaus bereit, über sein Leben zu reden, sowohl sein privates als auch sein berufliches. Da er sich in Untersuchungshaft befand, wie im Übrigen noch heute, konnte er über gewisse Themen nicht sprechen, denn sie hätten strafrechtliche Vorgänge berührt, die noch nicht abgeschlossen waren.

Im Verlauf der nächsten zwei Jahre besuchte ich ihn insgesamt zehn Mal. Die ersten beiden Treffen dauerten jeweils zwei Stunden, die folgenden jeweils drei. Einen Häftling im Gefängnis zu interviewen, ist immer seltsam, aber die Begegnungen mit Nem waren besonders merkwürdig. Ich entwickelte eine intensive Beziehung zu Antônio – stets unter den sonderbarsten Umständen und ein Stück weit vielleicht auch gerade deshalb. Nach und nach begannen wir, über die grundlegendsten und intimsten Dinge zu sprechen, Dinge, über die er sich womöglich nicht einmal mit seiner Familie ausgetauscht hatte. Wir sprachen über Drogen, über Gewalt, über die Probleme und Aufgaben eines Anführers, über Glauben, die Familie sowie das Überleben in einer feindlichen Umgebung.

Was nun folgt, ist Nems Geschichte. Obwohl seine Aussagen dabei eine zentrale Rolle spielen, habe ich selbstverständlich nicht nur seine Version berücksichtigt. Ich habe mit seiner Familie, seinen Freunden und seinen Feinden gesprochen, außerdem mit den Polizeibeamten, die ihn verhört, den Politikern, die mit ihm verhandelt, den Journalisten, die über ihn geschrieben, sowie den Anwälten, die ihn vertreten haben. Nems Geschichte erzählt viel über das Brasilien der Gegenwart – im Guten wie im Schlechten. Sie erzählt aber auch, wie Männer und Frauen unter widrigsten Bedingungen nicht nur überleben, sondern darüber hinaus auch Erfolg haben können. Wie sie es schaffen, sich auf dem schmalen Grat zu bewegen, der Leben und Tod voneinander trennt.

Prolog

Die Verhaftung I

9. – 10. November 2011

Aus dem dichten Blattwerk des Atlantischen Regenwalds löste sich ein schwarzer Toyota Corolla und kroch langsam den Hügel hinauf. Die schicke Luxuskarosse musste einer Regierungsbehörde oder einem Konzern gehören, ein seltener Anblick im Armenviertel Rocinha. Alte Knatterkisten kurz vor dem Kollaps – ja. Scharenweise Motorradtaxis – ja. Holpernde Busse, die allen Gesetzen der Physik zum Trotz ihr Heck um eine Haarnadelkurve schwangen – ja. Aber nagelneue Oberklassewagen mit tiefliegender Karosserie und breiten Reifen? Die passten wirklich nicht hierher. In Rocinha achten Tausende Augen so unmerklich wie selbstverständlich darauf, ob etwas fremd ist oder nicht.

Der Wagen gelangte rasch an den höchsten Punkt der Estrada da Gávea, der Straße, die Rocinha der Länge nach zerteilt. Von hier aus konnten die Fahrzeuginsassen sehen, wie sich die funkelnden Lichter der Favela bis hinunter zum Atlantischen Ozean zogen. Es war Nacht, und die drei Männer konnten problemlos zwischen den »Hügeln«, wie man die Armenviertel von Rio auch nennt, und dem »Asphalt«, den Wohngebieten der Mittelschicht, unterscheiden. In den Slums ist es immer ein wenig dunkler. Das wilde Durcheinander aus legalen und illegalen Stromleitungen, die diese informellen Siedlungen mit Energie versorgen, führt zu einer deutlich schwächeren Spannung als auf dem Asphalt, wo es eben geregelter zugeht.

Nach Erreichen des höchsten Punktes bewegte sich das schwarze Fahrzeug wieder bergab und vorbei an Neun Neun, der letzten Bushaltestelle in der Favela, dort, wo die Straße eine scharfe Linkskurve macht. Es war der 9. November 2011, 22.35 Uhr.

Die drei in Anzüge gekleideten Insassen des Toyotas fuhren langsam durch die Dunkelheit. Sie schwiegen und wirkten angespannt. Der Mann am Steuer, der älteste von ihnen, war Ende fünfzig. Der korpulente Mann auf dem Beifahrersitz versuchte unentwegt, telefonisch jemanden zu erreichen. Aber vergeblich: Am oberen Ende von Rocinha gibt es selten ein Signal. Der Mann hinten, ähnlich beleibt wie der Beifahrer, hatte eine Reisetasche aus Leder neben sich. Alle drei waren von Beruf Anwalt.

Nach der Kurve fuhren sie zweihundert Meter weiter auf den kurzen Streifen Niemandsland zu, der Rocinha von den eleganten Villen des Stadtteils Gávea trennt, einer der teuersten Wohngegenden in Rio. Auch an dieser Stelle gibt es eine Haarnadelkurve, nur wendet sich diese nach rechts – direkt an der Einfahrt zur Amerikanischen Schule von Rio de Janeiro. Man kann sie zwar kaum erkennen, auch nicht bei Tag, aber es gibt hier auch eine Linkskurve, die in eine lange, unbeleuchtete Straße mündet. Nachts ist dies, verstärkt durch die Bäume und Büsche am Wegrand, ein ziemlich düsterer Ort.

Als das Auto diese Grenze zum Wohlstand erreichte, löste sich aus dem Dunkel der versteckten Straße ein großer Mann, der eine halbautomatische Waffe in der Hand hatte und das Fahrzeug anhielt. Er trug eine Uniform des Batalhão do Choque (Kampfbataillon), also der Bereitschaftsabteilung der Polícia Militar (Militärische Polizei; PM).1 Ungeachtet ihres Namens ist die PM für die ganz normale, also die zivile Polizeiarbeit in Rio zuständig.

Die drei Männer, bis obenhin vollgepumpt mit Adrenalin, stiegen aus dem Toyota. Ihre Körpersprache verriet ihre Anspannung. Es folgte ein heftiger Wortwechsel mit dem Polizeibeamten. Er bestand darauf, den Kofferraum des Wagens zu durchsuchen. Die Anwälte wollten das auf keinen Fall zulassen.

Kurz darauf trafen zwei PM-Beamte höheren Rangs ein. Der eine, ein Leutnant, schien das Kommando zu haben. Der Anwalt mit der Reisetasche zeigte seine Papiere: einen Reisepass und ein amtlich wirkendes Dokument. Er sei zwar Brasilianer, erklärte er, aber gleichzeitig auch der Honorarkonsul der Demokratischen Republik Kongo, weshalb er diplomatische Immunität genieße und das Auto nicht durchsucht werden dürfe.

Plötzlich bemerkte der Mann mit dem Handy, dass es jetzt ein Signal gab, und wählte erneut die Nummer der Person, die er seit einer Dreiviertelstunde zu erreichen versucht hatte. Es war genau 23.06 Uhr.

Im Stadtteil Tijuca, unweit des weltberühmten Maracanã-Fußballstadions, las ein Kommissar einer anderen Polizeikraft, der Polícia Civil (Zivilpolizei; PC), seiner kleinen Tochter gerade eine Gutenachtgeschichte vor, als das Telefon klingelte. Er fuhr zusammen. Den ganzen Abend hatte er auf einen Anruf gewartet, in der Zwischenzeit aber die Hoffnung schon fast aufgegeben. Der Mann am anderen Ende sprach schnell und ziemlich wirr. Aber auch wenn das Gesagte nicht unbedingt Sinn ergab, wusste der Kommissar, dass keine Zeit zu verlieren war.

Sofort rief er seinen Vorgesetzten an. Innerhalb von Minuten hatte er die Erlaubnis, bei dem, was sich da gerade entwickelte, zu intervenieren. Das grüne Licht war von ganz oben gegeben worden, vom Minister für öffentliche Sicherheit und damit dem Chef der gesamten Polizei nicht nur der Stadt, sondern auch des Bundesstaates Rio de Janeiro. Dass der Einsatzbefehl von einer derart hochrangigen Person kam, war Hinweis darauf, dass hier etwas Bedeutendes vor sich ging. Dies umso mehr, da der Minister für Sicherheit sich überhaupt nicht in Rio aufhielt, sondern in Berlin, wo es gerade 2.15 Uhr war, also tiefste Nacht. Der Kommissar gab seiner Tochter einen Kuss, schnappte sich die Schlüssel und rannte zum Auto, ohne auch nur eine einzige Sekunde das Telefon vom Ohr zu nehmen.

An der Haarnadelkurve hatte der Anwalt mit dem Handy den Leutnant ein paar Schritte beiseite gezogen. Im Laufe ihres erregten Gesprächs bot er dem Leutnant das Handy an, damit er selbst mit dem Mann am anderen Ende sprechen konnte. Der Beamte lehnte das wütend ab. Stattdessen entfernte er sich einige Schritte und tätigte selbst einen Anruf. Er war entschlossen, auch noch das dritte Exekutivorgan ins Spiel zu bringen: die mächtige Polícia Federal (Bundespolizei; PF).

Die Beamten der Militärischen Polizei wurden zusehends unruhiger, bis einer auf den Leutnant zuging und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Weitere Gespräche führten dazu, dass die drei Anwälte zurück in ihr Auto steigen durften. Man einigte sich darauf, dass alle sich zum Polizeirevier begeben sollten. Die Anwälte schienen einverstanden.

Der Konvoi setzte sich in Bewegung. An der Spitze ein Fahrzeug der Militärischen Polizei. In der Mitte der Toyota mit den drei Anwälten. Daran anschließend zwei weitere Autos voller Polizisten, darunter auch der Leutnant. Insgesamt wurden die Männer jetzt von elf Polizeibeamten eskortiert, während ein paar Kilometer entfernt, im Zentrum von Rio, der Kommandant der Bundespolizei ein Team zusammenstellte, das den Konvoi aufhalten sollte.

Plötzlich versuchte der Toyota, der vorne und hinten von Polizeiautos eingerahmt war, aus der Reihe auszubrechen, indem er überraschend rechts abbog. Einer der Polizisten reagierte schnell, lenkte ebenfalls nach rechts und schnitt ihm den Weg ab. Erneut stiegen alle aus ihren Autos. Diesmal bat der Fahrer des Toyotas den Leutnant um ein Gespräch unter vier Augen.

Der Anwalt mit dem Handy redete unterdessen noch aggressiver als zuvor in sein Mobilgerät. Er wusste: Wenn hier etwas schiefging, hätte das fatale Konsequenzen.

Nicht allzu weit entfernt hatte die Spezialeinheit der Zivilpolizei, CORE (Coordenadoria da Recursos Especias), einen Einsatzbefehl erhalten. Waffen wurden aus den Spinden geholt und von einem der gepanzerten Fahrzeuge wurde die Abdeckplane gezogen. Andernorts wurden zwei Piloten der ebenfalls zur PC gehörenden Hubschrauberstaffel mobilisiert, während sich der aus Anwälten und Polizisten bestehende Konvoi nach Beilegung des Streits wieder in Bewegung setzte. Doch bald schon bogen die Anwälte erneut von der Hauptstraße ab, diesmal auf den Parkplatz des alten Marineklubs (Clube Naval) an der Lagune, welche das Herzstück der Südzone bildet. Alle Fahrzeuge hielten unter der mächtigen Christusstatue, die hoch über ihnen auf dem Gipfel des Corcovado thronte.

Zum dritten Mal zeichnete sich ein hitziger Austausch zwischen Anwälten und Beamten der Militärischen Polizei ab, als plötzlich ein paar Fahrzeuge der Zivilpolizei mit quietschenden Reifen vor ihnen anhielten. Ein leitender Beamter sprang heraus und mischte sich in die Diskussion der Kollegen von der PM ein. Kurz darauf traf der Kommissar aus Tijuca ein. Irgendwann warf der Fahrer des Toyotas seinen Autoschlüssel einem der Zivilpolizisten zu, was zu einem Gerangel führte, damit ja kein PM-Beamter ihn in die Finger bekam.

Als Nächstes trafen die grauen Einsatzfahrzeuge der Bundespolizei ein. Ein Kommandant stieg aus und verkündete, dass die PF sich ab jetzt des Falles annehmen werde. Der Kommandeur der PC sagte ihm, er solle Leine ziehen.

Die drei Anwälte und die Zivilpolizei bestanden darauf, dass der Toyota zum 15. Polizeirevier gebracht werden müsse, welches eine fünfminütige Autofahrt entfernt lag. Militärische Polizei und Bundespolizei waren jedoch der Ansicht, dass dieser Fall aufgrund des Konsuls, der sich auf seine diplomatische Immunität berufen hatte, auf Bundesebene verhandelt werden müsse.

Während Geschrei und gegenseitige Beschuldigungen zunahmen, richteten nach Angaben eines Augenzeugen PC und PM sogar ihre Waffen aufeinander. Ob dies nun stimmt oder nicht, die allgemeine Verwirrung war in jedem Fall groß genug, dass der Leutnant hinter den Toyota knien und einen der Reifen aufschlitzen konnte. Dies verhinderte, dass der Wagen zum 15. Revier gebracht werden konnte.

Die schwer bewaffnete CORE fuhr vor und stellte sich mit ihrem großen Einsatzfahrzeug direkt vor die Wagen der Militärischen Polizei, um ihnen jede Bewegung unmöglich zu machen. Mittlerweile kam auch das roboterhafte Rattern des PC-Hubschraubers näher, der sich bald darauf über der Szenerie positionierte und alles mitfilmte.

Dieses Material wäre wohl auch für zwei weitere Beobachter von großem Interesse gewesen, Mitarbeiter der geheimdienstlichen Abteilung des Sicherheitsministeriums, die ihrem Chef ein paar ernüchternde Fakten bezüglich seiner neuen Strategie zur Verbesserung der zwischenbehördlichen Zusammenarbeit hätten vorlegen können – die irgendwie nicht so recht in Gang kommen wollte.

All dies ereignete sich nur wenige Hundert Meter entfernt vom Sitz des größten Medienkonzerns von Brasilien, O Globo. Was zur Folge hatte, dass das Durcheinander binnen Kurzem um zahlreiche Fernsehkameras, Blitzlichter, Mikrofone und vor allem lauthals gestikulierende Journalisten ergänzt wurde. Ein explosiver Mix aus konkurrierenden Interessen, Chaos und Waffen.

Der Kommissar hatte das Gefühl, schnell etwas unternehmen zu müssen, bevor die Dinge völlig außer Kontrolle gerieten. Dafür musste er mit seinen Widersachern von der Bundespolizei alles besprechen. Denn im Gegensatz zu den anderen wusste er, dass im Kofferraum des Corolla ein vierter Mann versteckt war.

Nach kurzem Austausch einigt man sich darauf, dass der Konsul den Kofferraum öffnen soll. Um ihn herum versammeln sich Polizisten aller Polizeikräfte, von denen fast jeder eine halbautomatische Waffe auf das Auto richtet.

Der Kofferraum geht auf, und zum Vorschein kommt ein schlanker Mann in blau-weiß gestreiftem Hemd und schwarzer Hose, der seitlich und mit angezogenen Knien daliegt wie ein Embryo. Er wird an Händen und Füßen gepackt und aus dem Wagen gehoben.

Der Mann ist sichtlich irritiert, von den vielen Menschen, den Lichtern, dem allgemeinen Chaos. Journalisten und Polizisten rangeln miteinander um die besten Fotos. Ein Blitzlichtgewitter geht auf ihn nieder. Ein Polizist ergreift den dichten Haarschopf des Mannes und biegt seinen Kopf nach hinten, um das »digitale Gegaffe« zu erleichtern. Nachdem er mindestens zwei Stunden lang in einem Kofferraum eingesperrt war, sieht er sich plötzlich einer grenzenlosen Hysterie brasilianischer Spielart ausgesetzt. Er ist von allen möglichen Uniformen umgeben, die sich gegenseitig anbrüllen: »Er ist mein Gefangener!«, »Nein, er gehört uns!«, »Lasst bloß die Finger von ihm!« Der Mann wirkt resigniert – sein Gesicht zeigt kaum eine Regung, wie eine müde Puppe, die mal hierhin, mal dorthin geschubst wird. Vermutlich steht er unter Schock. Inmitten des aberwitzigen Getümmels sieht er aber vor allem furchtbar einsam aus.

Triumphierend legt der Leutnant ihm Handschellen an, und im Verbund mit dem befehlshabenden Bundespolizisten bugsiert er ihn auf den Rücksitz des hellblauen PM-Streifenwagens, der den Toyota Corolla am Zugang zu Rocinha als erster erreicht hat. Dann fahren sie los, um den Gefangenen ins Hauptquartier der Bundespolizei zu bringen.

Es ist kurz nach Mitternacht, als Antônio Francisco Bonfim Lopes, in ganz Brasilien unter dem Namen »Nem aus Rocinha« bekannt, offiziell verhaftet wird. Das Fernsehen wirft alle Programmpläne über Bord und Bildredakteure machen sich ans Werk, um das im Zuge der dramatischen Ereignisse entstandene Filmmaterial für die Morgennachrichten aufzubereiten.

Der meistgesuchte Mann in Rio, genauer gesagt: Der meistgesuchte Mann in ganz Brasilien ist endlich hinter Schloss und Riegel. Ein triumphaler Moment für José Mariano Beltrame, den Minister für öffentliche Sicherheit im Staate Rio de Janeiro. Ohne Angst vor Kritik haben zu müssen, kann er nun mit Fug und Recht behaupten, dass seine radikale Politik einer Befriedung der gesetzlosen Armenviertel aufgegangen ist. Seine Einsatzkräfte reinigen die Favelas von Drogen und Waffen und stellen die Autorität des brasilianischen Staates wieder her. Das Land kann mit größerem Enthusiasmus als bisher nach vorne blicken und sich auf die kommenden sportlichen Großereignisse freuen, die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016.

Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung befindet sich Nem im Zentrum eines Netzwerks aus Korruption, Gewalt, Drogen und politischer Intrige, welches Rio de Janeiro, oder wie die Einheimischen zu sagen pflegen, die »Wunderbare Stadt«, fast ein Vierteljahrhundert lang im Würgegriff gehalten hat. Nem kennt dieses ausgedehnte Netz nur allzu gut. Politiker, Drogenhändler, Anwälte, evangelikale Priester und nicht zuletzt die Polizei gehören dazu. Eine Frage bleibt allerdings offen: Ist Nem die Spinne oder die Fliege?

Teil I

Protagonist

1

Eduarda

Dezember 1999 – Juni 2000

Vanessa dos Santos Benevides kann nicht schlafen. Ihr Baby schreit so laut wie niemals zuvor.

Ist es das Wetter? Im späten Frühjahr ist es heiß und schwül in Rio de Janeiro, und es kündigen sich die »fliegenden Flüsse« an. Diese regelmäßig wiederkehrende Wanderung von Regenwolken nimmt ihren Anfang etwa dreitausend Kilometer nördlich von Rio, wenn unvorstellbare Wassermassen von den Regenwäldern des Amazonas aufsteigen und sich auf den Weg nach Süden machen. Im Westen von den Anden an der Ausbreitung behindert, ziehen die fliegenden Flüsse in einer mächtigen Kurve nach Osten über das zentrale Binnenland Brasiliens hin zu den südlichen Regionen und Küstengebieten.

In Rio kommt es in der Folge zu sintflutartigen Regenfällen, durch die sich die Sichtweite auf zwei oder, wenn es hoch kommt, drei Meter reduziert. In Form von Hochwasser und Erdrutschen sorgen diese Niederschläge Jahr um Jahr für Verwüstungen und Todesfälle. Die Zeitungen und Fernsehnachrichten bringen dann furchtbare Reportagen über ganze Familien, die von Schlamm und Steinen begraben wurden und elendiglich ertrinken mussten: manche in ihren Autos, andere in ihren Hütten, wieder andere in Bussen, die das reißende Wasser in irgendwelche Schluchten geschwemmt hat. Diejenigen cariocas, wie die Einwohner von Rio genannt werden, die am hilflosesten der Natur ausgeliefert sind, leben in den Slums der Stadt – den Favelas.

In diesen Siedlungen richten die Unwetter verheerende Schäden an. Meist entstanden die Favelas auf den unzähligen Hügeln und Bergen der Stadt. In diesem Gelände kann ein Erdrutsch innerhalb von Sekunden Dutzende von Menschen unter sich begraben. Primitive Entwässerungssysteme, offene Abwasserkanäle, Haufen mit vor sich hin rottendem Müll und halsbrecherisch konstruierte Gebäude geben dem Druck dieser Wassermassen sofort nach. Decken stürzen ein, Pflastersteine und Treppenstufen werden gelockert, Kabelstränge reißen und erzeugen Kurzschlüsse, schüren Brände, für einen Moment, bevor dann die Fluten kommen und alles auslöschen und mit sich in die Tiefe spülen.

Wenn die Wolken sich verziehen, bleibt die Feuchtigkeit in der Luft hängen. Der Grad der Luftfeuchtigkeit ist kaum auszuhalten. Auf den Hügeln Schlaf zu finden, ist so gut wie unmöglich, denn es gibt keine Klimaanlagen, dafür aber einen dichten Geräuschdschungel: kreischende Affen und bellende Hunde; das Wummern der Bässe von irgendwelchen Funkpartys; das gelegentliche Knattern halbautomatischer Waffen; zornige Männer und Frauen, die sich Wortgefechte liefern, vielleicht betrunken, vielleicht auch nur zu Tode genervt voneinander.

So eine Nacht ist das, als Vanessa, die junge Mutter, daliegt und nicht schlafen kann. Die Müdigkeit gräbt tiefe Furchen in die hellbraune Haut ihres ansonsten eher heiteren Gesichts. Es ist kurz vor Weihnachten im Jahr 1999. Das Baby wirkt jünger, als es mit seinen neuneinhalb Monaten ist, und es schreit unaufhörlich. Vanessa nimmt die kleine Eduarda auf den Arm, um sie zu beruhigen, und bemerkt, dass das Kind stark schwitzt, zu stark. Eduardas Hals ist ganz steif und derart zur Seite gebogen, dass der Kopf auf der linken Schulter liegt. Am nächsten Morgen sagt Vanessa ihrem Mann Antônio, dass sie das Kind untersuchen lassen wird.

Genau wie Vanessa vermutet auch die örtliche Gemeindeschwester, dass das Baby wohl in einer schlechten Stellung geschlafen und deshalb so einen verbogenen Hals hat. Sie beschließt, ihm einen Stützverband anzulegen.

Nach einer Woche ist der Hals immer noch vollkommen steif, und das Baby brüllt vor Schmerz. Eduardas Mutter bringt sie in die Notaufnahme eines nahegelegenen Krankenhauses.

Antônio geht zur Arbeit und ist von Schuldgefühlen geplagt. Er glaubt, für den Zustand seiner Tochter verantwortlich zu sein. Seine Arbeitsstelle liegt in Gavéa, genau wie das Krankenhaus. Gavéa ist einer jener drei extrem wohlhabenden Stadtteile, von denen Rocinha umgeben ist. In Rocinha ist er geboren, hier ist er aufgewachsen, hier lebt er.

In den vergangenen fünf Jahren hat Antônio sich in der Firma Globus Express hochgearbeitet, wo er mittlerweile als Teamleiter für die Verteilung der populären Fernsehzeitschrift Revista da NET zuständig ist. Sein Verantwortungsbereich umfasst große Teile der Südzone, in der sich die berühmtesten Sehenswürdigkeiten von Rio befinden, darunter die riesige Jesus-Statue auf dem Corcovado oder die Strände von Copacabana und Ipanema.

Trotz seines geringen Gehalts ist es Antônio und Vanessa gelungen, so viel zusammenzusparen, dass sie aus der winzigen Wohnung seiner Mutter ausziehen und sich eine eigene winzige Wohnung mieten konnten. So wenig das auch ist, stellt es zumindest einen Anfang dar, und die Geburt von Eduarda – Duda –, einem fröhlichen, unkomplizierten Kind, hat ihr kleines Zuhause mit Wärme erfüllt. Beide Eltern fühlen sich gesegnet und sehen hoffnungsfroh in die Zukunft.

Aber jetzt muss das Baby ins Krankenhaus, und sein Zustand verschlechtert sich zusehends. Aus wenigen Tagen wird ein Monat. Die Ärzte versuchen dies und das, aber nichts funktioniert. Sie vermuten, es könnte sich vielleicht um tuberkulöse Osteomyelitis handeln, eine Sekundärkrankheit, bei der Bakterien die Knochen von Tuberkulosekranken befallen. Auf der rechten Seite des Nackens entsteht eine Schwellung, die bald so groß wie ein Hühnerei ist.

Das ist ein harter Schlag für Antônio. Er befürchtet, seine kleine Tochter mit TB angesteckt zu haben. Das ist theoretisch durchaus möglich. In den ärmeren Bezirken von Rio tritt die Krankheit endemisch auf, und an den Zugängen zu Rocinha hängen gut sichtbar Plakate mit der Aufschrift: Seit drei Wochen Husten? GEHENSIEZUMARZT! Sie haben wahrscheinlich TB.

Diese über die Luft übertragene Infektion breitet sich in dichtbesiedelten Gebieten schnell aus; die Slums sind also besonders gefährdet, weil dort Familienmitglieder und Freunde auf engstem Raum zusammenleben. Rocinha hat die höchste Ansteckungsrate im gesamten Bundesstaat Rio, in manchen Jahren sogar die höchste ganz Brasiliens. 1999 steckten sich pro Monat 55 Bewohner von Rocinha mit Tuberkulose an.

Nur wenige Tage vor Dudas Geburt bekam Antônio Halsschmerzen. Sie wurden schlimmer, denn er schonte sich nicht und arbeitete auch weiterhin bei Wind und Wetter. Außerdem aß er nicht genug. Er bewahrte seine Essensgutscheine, eine Art Zweitwährung in der Favela, lieber auf, um sicherzustellen, dass seine Mutter und seine Frau genug zu essen hatten. Ungeachtet seines Fiebers und der Kopfschmerzen, die so stark waren, dass er sogar Wahrnehmungsstörungen hatte, arbeitete er weiter, bis er irgendwann zusammenklappte – und man bei ihm TB diagnostizierte.

Während er im Krankenhaus lag, kam seine Tochter zur Welt. Wegen der Ansteckungsgefahr durfte er sich ihr zwei Wochen lang nicht nähern, und auch danach riet man ihm, vorerst nicht zu Hause zu schlafen.

Jetzt, da Duda krank ist, denkt Antônio, dass sie sich bei ihm angesteckt hat, obwohl ihm schon vor ein paar Monaten gesagt wurde, er sei wieder vollkommen gesund.

Duda bekommt Antibiotika, aber ihr Zustand verschlechtert sich weiter. Sie isst nicht mehr, was ihre Abwehrkräfte zusätzlich schwächt. Gegen was auch immer sie kämpft, sie wird nicht mehr lange die Energie dafür haben. Zum ersten Mal wird den Eltern bewusst, dass ihr kleines Mädchen sterben könnte.

Voller Verzweiflung ergreift Vanessa den letzten verbliebenen Strohhalm. Da Antônio über seinen Arbeitgeber eine bescheidene Krankenversicherung hat, kann er aus einer Reihe von Ärzten wählen, wem er die Behandlung anvertrauen möchte. Aufs Geratewohl entscheidet Vanessa sich für eine der Ärztinnen – was sie später als göttliche Fügung bezeichnet.

Das Kind an sich gepresst, geht Vanessa die steile und kurvige Hauptstraße von Rocinha hinunter, die Estrada da Gávea. Vor ihr in der Tiefe berühren sich der Atlantische Ozean und der vornehme Stadtteil São Conrado. Hinter ihr erheben sich chaotische Terrassen bunt angemalter Häuser aus der grünen Vegetation des Berghangs, was der Favela ihr typisches Aussehen verleiht.

Am Fuß des Berges mündet die Straße in die Stadtautobahn, die in westlicher Richtung aus Rio hinausführt. Jeden Morgen quetschen sich hier Tausende und Abertausende in die Busse, um in den wohlhabenden Vierteln der Stadt ihrer Arbeit als Dienstmädchen, Fahrer, Putzfrau, Gärtner, Verkäuferin, Hilfsarbeiter oder Gastro-Servicekraft nachzugehen. Vanessa steigt in den Bus, der bereits randvoll mit Menschen ist. In den meisten Gesichtern ist nichts als dumpfe Resignation zu erkennen. Als der Bus losknattert, verzieht sich das Gesicht des Kindes, denn der geschwollene Hals wird durch das Schaukeln und Rumpeln ständig hin- und hergeschleudert. Das ist derartig qualvoll für das kleine Mädchen, dass sie Fahrten mit dem Bus nach diesem Arztbesuch nicht mehr auf sich nehmen können und stattdessen große Teile ihrer rapide dahinschwindenden Ersparnisse für Taxis ausgeben müssen.

Vanessa bringt das Kind nach Barra de Tijuca, einen Stadtteil, der seit seiner schnellen Ausdehnung in den 1980er und 1990er Jahren oft mit Miami verglichen wird. Nur zehn Minuten Fahrt durch zwei lange Tunnel entfernt, und doch liegen Welten zwischen diesem Stadtteil und der Favela. Barra ist von breiten Straßen durchzogen, an denen Gated Communities liegen, elegante Villen und Herrenhäuser im amerikanischen Stil. Dazwischen finden sich immer wieder Shopping Malls mit bunter Neonreklame und riesigen Werbetafeln. In den beiden Jahrzehnten, in denen Barra so stark gewachsen ist, nahmen Gewalt und Kriminalität in anderen Stadtteilen drastisch zu, was erklärt, warum die Mittelschicht hier ihren Zufluchtsort gesucht hat. Die Berge und Lagunen, die diese Gegend vom Rest der Stadt abtrennen, erzeugen womöglich ein größeres Gefühl von Sicherheit.

So verschlafen und künstlich Barra auch wirken mag, die Versorgung ist dort bestens. Die Ärztin untersucht Eduarda und sagt, dass auch sie TB vermute. Fieber und Schwellungen sind durchaus Symptome der Krankheit. Da die Behandlung aber nicht anschlägt, überweist sie das Kind an das Instituto Fernando Figueira, Rios medizinisches Zentrum für Kinder, Jugendliche und Frauen.

Hier überraschen die Ärzte Antônio und Vanessa mit der Meldung, dass es sich nicht um TB handelt. »Wir wollen eine Biopsie machen«, sagt einer der Ärzte. Der nächste Satz treibt den Eltern die Tränen in die Augen: »So wie wir das sehen, hat sie Krebs.«

Ihr Alltag verändert sich. Vanessa ist jetzt Tag und Nacht im Krankenhaus bei ihrem Kind. Antônio legt seine Arbeitszeit so, dass er seine Frau so gut wie möglich entlasten kann – doch langsam sind sie am Ende ihrer Kräfte. Duda wird für die Biopsie eine Vollnarkose erhalten, was ihre Sorgen noch erhöht. Drei Tage später wird aus der Schwellung eine Gewebeprobe entnommen.

Die Ergebnisse liegen vor. Die Tests sind negativ: Es gibt keinerlei Anzeichen für Krebs.

Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends stellt sich auch eine neue Frage: »Wenn nicht Krebs, was dann?« Das Baby erleidet noch immer starke Schmerzen. Unter der Haut entstehen Läsionen an Schädel und Wirbelsäule.

Weitere Untersuchungen.

Diesmal kommt Eduarda in die Kinderabteilung des Lagoa-Krankenhauses, das an der Lagune im Zentrum der Südzone liegt. Als Vanessa mit dem Baby eintrifft, werfen Dr. Soraia Rouxinol und Dr. Maria Celia Guerra lediglich einen kurzen Blick auf die kleine Patientin. Sobald sie wieder außer Hörweite sind, nickt Dr. Guerra ihrer Kollegin zu. »Histiozytose X.«

Das ist eine beeindruckende und, wie sich herausstellt, zutreffende Diagnose. Beeindruckend deshalb, weil Histiozytose X, oder, um die offizielle Bezeichnung zu wählen, Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH, nach dem englischen Fachbegriff), sehr ungewöhnlich ist.

Bei der Diagnose stellen sich dem Arzt zwei große Probleme. Erstens kommt LCH äußerst selten vor: nur einer von 200 000 Menschen leidet unter der Krankheit. Im Lagoa-Krankenhaus wird sogar vermutet, dass es sich um den ersten bekannten Fall in ganz Brasilien handelt. Zweitens ist eine hundertprozentig sichere Diagnose so gut wie unmöglich, denn die Krankheit macht sich bei den Betroffenen mit den unterschiedlichsten Symptomen bemerkbar.

Wenngleich es sich nicht um Krebs handelt, imitiert LCH bestimmte Prozesse, die mit dieser Erkrankung zusammenhängen – insbesondere die Klonung anomaler Zellen, die dann vom körpereigenen Immunsystem erbarmungslos attackiert werden. Nach und nach zerbröseln Eduardas Knochen. So zumindest beschreibt Antônio den Krankheitsverlauf.

Erst in den letzten Jahren konnte die Forschung die wahrscheinliche genetische Ursache einkreisen. Im Jahr 2000 allerdings gab es dieses Wissen noch nicht, überhaupt gab es nur wenige Spezialisten auf diesem Gebiet.

Genau wie TB ist auch diese Krankheit für Kinder unter zwei viel gefährlicher als für ältere. Die starken Medikamente, mit denen sie bekämpft wird, sorgen bei achtzig bis neunzig Prozent der Erkrankten tatsächlich für eine Heilung. Ohne Behandlung verläuft die Krankheit jedoch meist tödlich. Vereinzelt klingt sie aber genauso überraschend ab, wie sie aufgetreten ist.

Trotz ihrer Schwäche bekommt Eduarda eine üble Kombination aus Chemotherapie und Operation verpasst. Dennoch verspüren die Eltern das erste Mal so etwas wie Erleichterung, denn es besteht jetzt zumindest die Möglichkeit, dass der Alptraum, in dem sie leben, vielleicht doch irgendwann ein Ende nimmt.

Vanessa konnte schon lange nicht mehr arbeiten gehen, und ihr fehlendes Einkommen hat für Mietrückstände gesorgt. Es bleibt ihnen also nichts anderes übrig, als wieder in die kleine Wohnung zu ziehen, in der Antônios Mutter mit seinem Halbbruder Carlos lebt.

Es ist eine typische Slum-Behausung. Platz ist vermutlich das, was in der Favela am wertvollsten ist. Für viele Bewohner ist allein schon natürliches Licht in der Wohnung ein echter Luxus. Hier gibt es keines. Selbst in einigermaßen funktionierenden Familien bedeutet die Abwesenheit jeglicher Privatsphäre, dass Streit im Grunde vorprogrammiert ist.

Um die Eingangstür zu erreichen, muss man im Gänsemarsch einen schmalen Weg entlanggehen, der ziemlich rasch in Dunkelheit gehüllt ist. In der Regenzeit stinkt es noch mehr und es ist rutschig. Die Tür führt in einen kleinen Vorraum für die Schuhe und dann in das Wohnzimmer, das nur wenige Quadratmeter groß ist. Als Kinder haben Antônio und Carlos hier geschlafen. Neben den wenigen persönlichen Erinnerungsstücken fallen die hölzernen Gebetstafeln mit Abbildungen des Heiligen Georg ins Auge. In diesen durchmischt sich die christliche Ikonografie mit der zweier animistischer Religionen aus Afrika, Candomblé und Umbanda. Das Zentrum des sozialen Lebens bildet der kleine Tisch in der Zimmermitte, um den ein kleines Sofa und zwei Stühle gruppiert sind. Die Wände sind gelb, wobei die Farbe abblättert und sich in fast jeder Ecke Risse zeigen.

In die Toilette, wenn sie denn funktioniert, passt mit Mühe eine Person. Momentan funktioniert sie nicht, was ein großes Gesundheitsrisiko darstellt. Das Schlafzimmer haben Antônios Eltern benutzt, als sein Vater noch lebte. Es schließt an den Wohnbereich an und enthält ein Bett sowie eine Kommode, die nicht recht zu wissen scheint, ob sie in ein Puppenhaus oder in die reale Welt gehört. Von nun an werden Antônio, Vanessa und das Baby hier wohnen.

Behausungen wie diese gibt es oft in Rocinha, und es wohnen jeweils zwischen vier und zehn Personen darin, die nachts dicht an dicht schlafen. Selbst in diesem Armenmilieu existieren aber noch Unterschiede. Die Allerärmsten leben in Schuppen oder Unterständen aus Holz, Zement oder Blech, ohne Strom, Wasser und Toiletten. Die Elektrizitäts- und Wasserversorgung breitet sich innerhalb der Favela zwar nach und nach aus, aber sie kollabiert regelmäßig und ist von so unerklärlichen wie langen Unterbrechungen geprägt.

Im Krankenhaus stehen die Ärzte vor einem neuen Problem. Die Kanülen, die Duda am Oberkörper und im Arm trägt und über die die Medikamente in ihren Körper gelangen, haben neue Wunden erzeugt. Die Krankheit verhindert ihre Heilung. Außerdem greift das Baby bei jeder Gelegenheit nach den Nadeln und Schläuchen und reißt sie heraus. Was zur Folge hat, dass sie die Medizin nicht in sich aufnimmt. Die Behandlung, so die Ärzte, kann nur Erfolg haben, wenn ein Spezialkatheter ins Innere des kleinen Körpers eingeführt wird.

Die Kosten der Therapie wachsen ins Unermessliche. Beide Eltern sind am Rand der Erschöpfung. Schwere Entscheidungen stehen an. Die Toilette muss dringend repariert werden: Sie würde die Gesundheit des Babys ernsthaft gefährden, so es denn lebend aus dem Krankenhaus nach Hause kommen würde. Die Kosten für den Katheter und die Toilettenreparatur allein entsprechen mehr als einem Jahresgehalt, und Antônios Ersparnisse sind längst aufgebraucht. Außerdem muss er jetzt tagsüber die Wache am Bett des Kindes übernehmen, damit Vanessa sich ein wenig ausruhen kann.

Er wendet sich an seinen Chef, den er immer für einen fairen Mann gehalten hat. Im Falle einer Kündigung würde er 90 brasilianische Reais pro Monat bekommen, die ihm als staatliche Unterstützung ein halbes Jahr lang zustehen. Doch nicht, wenn er selbst kündigt. Das wissen sie beide. Deshalb bittet er seinen Chef, ihn zu feuern. Dieser zeigt sich jedoch unschlüssig. Sein Personal wechselt oft, und Antônio ist nicht nur am längsten dabei, er ist auch einer seiner besten Mitarbeiter. Schließlich willigt er aber ein und sichert Antônio zu, er könne jederzeit wieder zurückkommen.

Die Arbeit aufzugeben, fällt Antônio schwer. Er hat sich in seine Rolle als Teamleiter gut eingefunden. »Ich musste die Leute einteilen«, erzählt er. »Also die Pläne erstellen und dann festlegen, wer was macht; parallel dazu musste ich auch weiterhin selbst auf die Straße ... Wir hatten immer rund 2000 Hefte zuzustellen, in einem Gebiet, in dem man nicht wirklich mit dem Auto fahren konnte – alles musste zu Fuß gemacht werden.« Ein gutes Training in Sachen Logistik und gleichzeitig auch im Delegieren von Verantwortung an Untergebene.

Damals schien es bergauf zu gehen, vor allem als Antônio ein bisschen Geld zusammenkratzen konnte, um es in Fahrstunden zu investieren. Er machte seinen Führerschein und war dadurch in der Lage, den Lieferwagen zu fahren. Die Arbeit gefiel ihm, und bis zu Eduardas Krankheit schaffte er es, seine ihm wichtigste Rolle als Versorger von Frau und Kind zu bewältigen. »Ich war glücklich«, fährt er fort. »Wir kamen ganz gut über die Runden, konnten die Rechnungen bezahlen und sogar ein bisschen was sparen. Ich hatte keinen Grund zur Klage.« Als er das sagt, wirkt er nicht unaufrichtig. Eher ein bisschen wehmütig.

Trotz der kleinen staatlichen Unterstützung braucht Antônio nun immer noch ungefähr 20 000 Reais. Er ist kein Spieler. Er hat nicht die Absicht, zu stehlen. Erst in einem Jahr wird in Rocinha die erste Bankfiliale eröffnet werden, wobei ein Arbeitsloser ohne jedes Eigentum, geboren und aufgewachsen in der Favela, so oder so keinen Kredit bekommen würde.

Er kennt nur einen einzigen Mann, der ihm diese Summe nicht nur leihen könnte, sondern das vielleicht sogar machen würde. In der Favela und noch darüber hinaus nennt man ihn Lulu. Seit zwei Jahren ist Lulu der uneingeschränkte Herrscher von Rocinha. Er kontrolliert den Drogenhandel, der in der Favela ähnlich lukrativ ist wie die Gas- und Stromversorgung. Lulus Geschäftszweig ist immens umsatzträchtig. Er verleiht Geld, meist an Bewohner, die eine Wohnung erwerben möchten. Das hat zweierlei Nutzen. Erstens kurbelt diese Praxis die Wirtschaft vor Ort an, die vom Staat und seriöseren Kreditinstituten weitgehend oder sogar vollkommen vernachlässigt wird. Außerdem handelt es sich um eine Art Recycling der Profite aus dem Drogenhandel, die ansonsten natürlich rechtlichen Beschränkungen unterliegen würden.

Die übelste Gegend der Favela befindet sich fast ganz oben. Dies ist Rua Um, Straße Nummer eins, hier hat Lulu seinen Geschäftssitz. Oberhalb von Rua Um liegt das Gebiet Laboriaux, von dem aus man nicht nur einen spektakulären Blick über ganz Rio hat, sondern das auch sauberer und ordentlicher ist als der Rest von Rocinha – Laboriaux ist also quasi die Schlossallee der Favela. Hier wohnt Lulu.

Antônio macht sich die Entscheidung nicht leicht. Weder hat er je mit Drogen zu tun gehabt, noch hat er je welche genommen – und dabei soll es auch bleiben. Er hasst die Gewalt, die sein Leben seit Jahren umgibt. Keiner seiner Kindheitsfreunde ist im Business tätig. Alle gehen arbeiten, genau wie er – fahren Taxi, jobben auf dem Bau, kellnern.

Aber er sieht keinen anderen Ausweg aus seiner finanziellen Zwangslage. Er redet mit niemandem über seinen Plan, nicht einmal mit Vanessa. Diese Sache will er ganz alleine durchziehen.

Antônio bittet einen Freund, der Kontakt zu Lulu hat, ein Treffen zu arrangieren. Zwei Tage vor seinem Geburtstag ist es dann so weit, und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch macht er sich auf den Weg die Estrada da Gávea hinauf. Linkerhand liegt das Gebiet namens Cachopa. Darauf folgt Dionéia, ein weiterer von Rocinhas 16 Bezirken. Es geht hinauf bis zur nächsten Kurve, von der die Rua Dois, Straße Nummer zwei, abgeht, dann weiter nach oben bis zur Rua Um. Von hier aus kann man fast die gesamte Südzone überblicken. Im Osten Gávea, buchstäblich nicht viel mehr als einen Steinwurf entfernt. Dahinter die große Lagune im Zentrum, die das Tal von Botafogo von den Hochhäusern der Stadtteile Ipanema und Leblon trennt. Selbst ein Zipfel von Copacabana ist zu erkennen. Und wenn man sich nach Süden umdreht und ganz genau hinsieht, erblickt man, getarnt durch den Regenwald, die prächtigen Villen von São Conrado.

Dies ist der geeignetste Beobachtungsposten von ganz Rocinha. Von hier aus kann man jeden sehen, der kommt oder geht. Hier hat der mächtigste Mann von Rocinha, der Boss des Drogenhandels in der gesamten Favela, seinen Geschäftssitz.

Antônio unternimmt den heiklen Gang gemeinsam mit seinem Freund. So nervös wie entschlossen überlegt er hin und her, wie er sein Anliegen vorbringen und was er als Gegenleistung anbieten soll. Er ist Faust auf dem Weg zu Mephistopheles. Doch Antônio begehrt weder unbegrenztes Wissen noch weltliche Freuden. Er will einzig und allein, dass seine Tochter überlebt, damit sie später vielleicht einmal ein besseres Leben haben wird. Er spürt, dass sein Leben sich verändern wird und dass die Sache ohne Weiteres auch schlecht ausgehen kann. Innerlich konfrontiert er jeden, der mit dem Finger auf ihn zeigt, mit der Frage: »Und was würdest du an meiner Stelle tun?«

Fast ganz am Ende der Estrada da Gávea geht an einem kleinen Marktplatz eine scharfe Biegung ab. Hier beginnt die Rua Um. Wenngleich dies eine wichtige Durchgangsstraße ist, kann man sich nur im Gänsemarsch fortbewegen – es braucht nicht mehr als eine Schubkarre, um einen Fußgängerstau zu verursachen. Antônio biegt in die Straße ein, geht an den Bars und ein paar kleinen Geschäften vorbei, lässt den Fischhändler links liegen und den Metzgerladen rechts, vermeidet dabei Hundehaufen, fauliges Obst und Abwasserrinnen, bis er die Gabelung der Rua Um erreicht.

Wenn man nach rechts abbiegt, macht der Weg binnen Kurzem eine Kurve und zieht sich in südwestlicher Richtung am Hang des Morro Dois Irmãos (Zwei-Brüder-Berg) entlang bis hinunter in die Einkaufszone am Fuß des Berges – und damit in die Normalität.

Wer allerdings nach links geht, betritt die alteingesessene Hochburg des Drogenhandels. Die Männer, Frauen und Kinder hier mögen wirken, als würden sie herumdösen oder sich unterhalten, dabei passen die meisten genau auf, ob vielleicht irgendein Fremder in Richtung von Lulus Büro unterwegs ist. Wenn dem so ist, wird die Meldung nach oben durchgegeben, damit Lulus Leibwache sich der Person gegenüber angemessen verhalten kann – mit resoluter, bewaffneter Feindschaft oder mit scheinbarer Gleichgültigkeit. Wer hier am Ende von Rua Um weder wohnt noch arbeitet, braucht in der Regel einen guten Grund für seine Anwesenheit.

Sie gehen nach links. Da sein Freund hier aber kein Unbekannter ist, bleiben Aufpasser und Leibwache entspannt. Als Antônio das obere Ende erreicht, ist er ein bisschen außer Atem und immer noch nervös. Lange hat er überlegt, bis er sich für den Marsch in die Rua Um entschieden hat, aber jetzt ist er fest entschlossen, die Sache durchzuziehen.

Antônio gelangt an das Ende seines langen, steilen Aufstiegs. Am Ziel angekommen, geht er durch die Eingangstür. In seinem gesamten, 24-jährigen Leben hat er noch nie einen fundamentaleren Wandel erlebt als den, der sich aus dieser Wallfahrt ergeben wird.

2

Favela

1960 – 1976

Antônios Mutter, Dona Irene, stammt ursprünglich aus Teresópolis, das 100 Kilometer nordöstlich in den Bergen zwischen den Bundesstaaten Minas Gerais und Rio liegt. Ihr Weg nach Rocinha war ziemlich ungewöhnlich. Mit drei Jahren, als jüngstes von sechs Kindern, verlor sie ihre Mutter, eine eingeborene Indiofrau.

Da der Vater überfordert war, brachte man sie in Kontakt mit einer italienischstämmigen Familie, die in Rio lebte, aber in Teresópolis Urlaub machte. Äußerst angetan von dem kleinen Mädchen, nahmen sie sie mit nach Urca, einen noblen Stadtteil von Rio, und ließen sie bei sich aufwachsen. Die fünf Geschwister blieben in Teresópolis zurück – sie verlor jeden Kontakt und kann sich heute nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern. Wenngleich in Brasilien eine derart verworrene Herkunft bei Kindern aus bescheidenen Verhältnissen nicht typisch ist, sind Geschichten wie diese andererseits gar nicht so selten.

Zu ihrer Gastfamilie hatte Irene ein eher gespaltenes Verhältnis. Sie ging nie zur Schule, erlernte jedoch grundlegende Kenntnisse, die sie dazu befähigen sollten, sich als Dienstmädchen nützlich zu machen. Was sie an Bildung vermisste, machte sie durch Eigensinn wett, war sie doch nach eigener Aussage ein schelmisches Kind mit sonnigem Gemüt. Noch heute kann sie jederzeit ein freches Grinsen auf ihr Gesicht zaubern.

Wie so viele Brasilianer aus den unteren Schichten war auch Dona Irene von früher Jugend an gezwungen, Überlebensstrategien für ein Leben zu entwickeln, das nie weit entfernt war von Obdachlosigkeit, Armut und anderem Unglück. Mit zwölf wurde sie zum ersten Mal Mutter. Der Vater, ein zufälliger Bekannter Anfang zwanzig, wollte für das Kind keine Verantwortung übernehmen, deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als es zur Adoption freizugeben. Nur ein Jahr später war sie erneut schwanger, wieder von einem älteren Mann. Irene spielte mit dem Gedanken, das Kind zu behalten, beschloss dann aber, es ebenfalls wegzugeben. Sie vergrub die Erinnerung, tief genug, um nicht darunter zu leiden, aber doch so, dass das Erlebte sich nicht wiederholte.

Als sie sich dann auf die zwanzig zubewegte, genoss sie das Leben in vollen Zügen – Rio de Janeiro machte sich in den frühen Sechzigern weit über die Landesgrenzen hinaus einen Namen als Hauptstadt des Hedonismus. Irene hatte Freunde, die im Hotel Glória arbeiteten. In ganz Rio gab es wohl kaum einen glamouröseren Ort als dieses Meisterwerk des Art déco. Unweit des Präsidentenpalastes und der wichtigsten Finanzinstitutionen gelegen, zog das Hotel Gangster, Filmstars, Tänzer, Politiker und reiche Geschäftsleute an.

Im Glória geriet die 21-jährige Irene, zierlich, schwarzhaarig und hübsch, eines Tages in einen Streit mit ihrem damaligen Freund, woraufhin sie erbost abrauschte und sich auf den Weg nach Copacabana machte, wo sie als Dienstmädchen arbeitete und auch wohnte. Aber so aufbrausend sie auch sein konnte – ihre kokette Seite war nie ganz verschwunden. Und wie sie so an der Straße darauf wartete, dass die Ampel grün wurde, und ein forscher, gutaussehender Mann ihr zulächelte, konnte sie nicht anders, als zurückzulächeln.

Er hieß Fernando und war knapp über dreißig – oder sogar noch älter. Irene fühlte sich sofort zu ihm hingezogen – zu den schicken Klamotten, den weißen Schuhen, der weißen Hose und dem weinroten Hemd. Er war kein Brasilianer, sondern Spanier, und flog als Pilot die Route von Madrid nach Rio.

Ein paar Monate nach Beginn ihrer Liebschaft kam er bei einem Autounfall ums Leben. Die Todesnachricht gelangte erst über Umwege zu Irene und sorgte bei ihr für einen Schock, allerdings nicht nur deshalb, weil sie ihren exotischen Liebhaber verloren hatte, sondern weil sie ihm bei ihrem nächsten Treffen eigentlich sagen wollte, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Dabei handelte es sich um Antônios älteren Bruder Carlos.1 Im Gegensatz zu den beiden anderen Kindern wollte sie dieses aber behalten.

Carlos erbte von seinem Vater nicht nur die Statur, sondern auch, was in Brasilien viel wichtiger war, die Hautfarbe. Seine Mutter war dunkelhäutig und hatte indigene Gesichtszüge, Carlos hingegen sah europäisch aus und hatte helle Haut. Bis er sieben war, behandelte ihn die Mittelschichtsfamilie in Ipanema, bei der Irene mittlerweile als Dienstmädchen arbeitete, als sei er einer der Ihrigen. Er aß mit ihnen am Tisch, besuchte die gleiche Schule wie ihre Kinder und fuhr mit ihnen in den Urlaub. Wenn Irene mit ihm in der Stadt unterwegs war, dachten die Leute, sie sei sein Kindermädchen. Die Hausleute wollten ihn sogar adoptieren, was sie jedoch höflich ablehnte. Ungeachtet dessen waren Carlos’ prägende Kindheitsjahre von Privilegien, Wohlstand, einem klaren Hierarchieverständnis sowie einem strengen Moralkodex geprägt. Dies war seine Welt, hier fühlte er sich zu Hause.

Als ihre Arbeitgeber ankündigten, dass sie nach Frankreich übersiedeln und Irene für drei Jahre mitnehmen wollten, beschloss sie, den Jungen in Brasilien zu lassen. Der 7-jährige Carlos kam zu einer Familie nach Duque de Caxias, einer Stadt 30 Kilometer nördlich von Rio. Hier war das Leben weniger luxuriös, und die Pflegeltern waren ziemlich streng. Es gab keine richtige medizinische Versorgung, deshalb wurden Krankheiten oder Verletzungen mit traditionellen Methoden behandelt – indem man etwa Kaffeepulver auf eine Wunde rieb oder Kräutertees verabreichte.

Wenngleich weder die Annehmlichkeiten noch die begrünten Straßen oder der Sandstrand von Ipanema verfügbar waren, ist Carlos doch der Ansicht, dass er durch diese Jahre den Ordnungssinn und die Aufrichtigkeit erworben hat, die sein Leben seitdem bestimmt haben. Die strenge Erziehung lehrte ihn aber auch, was es heißt, ängstlich oder wütend zu sein.

Irene kehrte Ende 1973 aus Frankreich zurück. Es dauerte nicht lange und sie bewegte sich wieder auf vertrauten Pfaden – mit den alten Freunden vom Hotel Glória. Eines Abends besuchten sie gemeinsam einen forró, eine brasilianische Tanzparty.

Damals begann die Außenwelt, Brasilien über die rauchigen Bossa-Lieder von João Gilberto und Stan Getz oder durch den Samba mit seiner Verheißung von Schweiß und Sex wahrzunehmen. In Brasilien selbst war hingegen der Forró die am rasantesten anwachsende Tanz-, Musik- und Partybewegung. Das hatte einen einfachen Grund: Die Migration innerhalb des Landes war in vollem Gange. Wenn man sich Rio und den brasilianischen Süden als USA vorstellt, dann war der Nordosten das dazugehörige Mexiko. Drei Jahrzehnte lang waren Menschen aus den nordöstlichen Provinzen in eines der größten Industrie- und Agrarzentren Südamerikas geströmt, wobei die meisten davon ihr Glück in den Ballungsräumen São Paulo und Rio de Janeiro versuchten.

Der Forró stammt aus dem Nordosten. Einst das ertragreichste Gebiet des portugiesischen Weltreichs, ist das Leben hier seit zwei Jahrhunderten zunehmend von Entwicklungsrückstand, Armut und einem harten, ländlichen Alltag wenn nicht in, dann doch zumindest am Rand der halbtrockenen Savanne geprägt. Seit langer Zeit schon ist dies Brasiliens Wilder Westen.

Als nach Errichtung der korporatistischen Diktatur durch Präsident Getúlio Vargas im Jahr 1930 die Industrialisierung in Gang kam, wandten sich die brasilianischen Unternehmer nach Nordosten, um dort billige Arbeitskräfte für die Wirtschaftszentren im Süden zu rekrutieren. Auf der Suche nach Arbeit kamen die nordestinos zu Zehntausenden, dann zu Hunderttausenden, dann zu Millionen. Aufgrund des extrem unterschiedlichen Bildungsniveaus bei Neuankömmlingen und Alteingesessenen dachten die im Süden, die Nordestinos seien alle Herumtreiber, Faulpelze oder sogar Kriminelle. In Wahrheit waren sie meist nur bitterarm und in der Regel auch Analphabeten.

Trotz des harten Lebensalltags im Nordosten, dem sie entkommen waren, hatten die Nordestinos Heimweh nach der Landschaft und den Gemeinden, die sie zurückgelassen hatten. Brasilianer behaupten manchmal, ihr Wort für Sehnsucht, saudade, umfasse ein so komplexes wie intensives Zugehörigkeitsgefühl, das es in anderen Kulturen so nicht gäbe. Und bei den Nordestinos scheint die saudade noch ausgeprägter zu sein als beim Rest der Brasilianer, was vermutlich daran liegt, dass sie über das letzte Jahrhundert hinweg derart zahlreich ihre Heimat verlassen haben.

Nur wenigen Migranten gelang es, abgesehen von seltenen Urlaubsreisen, wieder in die Heimat zurückzukehren. Es war zu teuer und zu aufwändig, und die Arbeitgeber sahen es nicht gerne, wenn die Leute über die Sonntage, wenn den religiösen Pflichten nachgekommen werden musste, hinaus abwesend waren. Stattdessen blieben die Arbeiter in den Favelas, einer Lebenswelt, die so anspruchsvoll wie die Savanne war. Mit dem einen Unterschied und Vorteil, dass zumindest die Aussicht auf Arbeit bestand. In diesem Umfeld entwickelten sich die Forró-Tanzveranstaltungen bei den Immigranten zu Fixpunkten des sozialen Lebens, einerseits als gemeinschaftliche Aktivität, die fest in der ursprünglichen Kultur der Volksgruppe verwurzelt war, andererseits als fantastische Möglichkeit, dem anderen Geschlecht zu begegnen.

Bei dem Forró unweit des Hotels verliebte sich Irene in den geschniegelten, spindeldürren Gerardo mit seinem eleganten und energischen Hüftschwung. Er war mittelgroß und hatte ein schmales, verhärmtes Gesicht, dessen ernster Ausdruck über den lebenslustigen Charakter des Mannes hinwegtäuschte. An seinem Dialekt erkannte sie, dass er aus dem Nordosten stammte, vermutlich aus dem Bundesstaat Paraíba. Zu Beginn der Migrationswelle kamen nämlich aus Paraíba mehr Leute als von anderswo her, weshalb die Bewohner der Favelas von Rio oft einfach paraibanos genannt werden, auch wenn sie aus einem ganz anderen Staat stammen. Neuankömmlinge tendierten natürlich dazu, sich in den Favelas anzusiedeln, in denen bereits Landsleute von ihnen wohnten, und ein Großteil der Bewohner von Rocinha hat Vorfahren aus Paraíba. Gerardo stammte allerdings aus einem anderen Staat im Nordosten, nämlich aus Ceará, der die zweitgrößte Präsenz in Rocinha hat.