Der kurze TV-Beitrag - Michael Schomers - E-Book

Der kurze TV-Beitrag E-Book

Michael Schomers

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Beschreibung

Sieht man von Spielfilmen, Sport, Musik und Talkshows ab, scheint das Fernsehen fast nur noch aus Magazinen zu bestehen. Kurze TV-Beiträge sind zum vorherrschenden Format geworden. Fast jeder Fernsehjournalist hat damit angefangen, für viele sind sie Alltag. Michael Schomers beschreibt die unterschiedlichen Varianten dieser kurzen Fernsehbeiträge und ihre Produktionsbedingungen – von der kurzen NiF (Nachricht im Film) bis zur 10-Minuten-Reportage. Unterhaltsam und mit vielen Beispielen aus der Praxis erklärt er die Produktionsabläufe von der Idee bis zur Ausstrahlung. Er zeigt, wie man ein Exposee schreibt, wie man mit seinem Protagonisten umgeht und wie ein Interview geführt wird. Neben den journalistischen Fragen geht es aber auch um Formatierung, Inszenierung von Wirklichkeit und Dramaturgie – und darum, wie viel ein Film kostet. Empfehlungen zur Ethik des Fernsehjournalismus und kritische Gedanken über die Entwicklung des Fernsehens zu ›Häppchenkultur‹ und ›Clip-Ästhetik‹ runden das Buch ab. Studenten, Journalisten, Praktikanten und Volontäre finden in dem Fachbuch einen kompetenten Ratgeber zur Planung und Produktion von kurzen TV-Beiträgen.

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[1][2]

Michael Schomers arbeitet seit 1982 als freier Fernsehjournalist, Autor, Regisseur und Fernsehproduzent. Er ist Autor zahlreicher Fernsehreportagen und Dokumentationen, hat Fernsehpreise erhalten und mehrere Bücher geschrieben. Seit vielen Jahren engagiert er sich auch in der journalistischen Aus- und Weiterbildung.

[3]Michael Schomers

Der kurze TV-Beitrag

UVK Verlagsgesellschaft mbH

[4]Praktischer Journalismus

Band 87

Website zum Buch: www.der-kurze-tv-beitrag.de

Bildnachweis: Die Fotos im Buch stammen vom Autor,

Ramon Fischmann (S. 83), Julio Brunett (S. 195) und privat (S. 101, 232).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISSN 1617-3

ISBN 978-3-86496-086-4

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Dieses eBook ist zitierfähig. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Seitenangaben der Druckausgabe des Titels in den Text integriert wurden. Sie finden diese in eckigen Klammern dort, wo die jeweilige Druckseite beginnt. Die Position kann in Einzelfällen inmitten eines Wortes liegen, wenn der Seitenumbruch in der gedruckten Ausgabe ebenfalls genau an dieser Stelle liegt. Es handelt sich dabei nicht um einen Fehler.

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2012

Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz

Titelfoto: Michael Schomers, Bad Honnef

Korrektorat: Christiane Kauer, Bad Vilbel

Satz: Fernando Aguado Menoyo, Köln

Druck: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz, Deutschland

Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98

www.uvk.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

[5]Inhalt

Vorwort

1        Magazine, Magazine, Magazine

2        Trivialisierung des Fernsehens

3        Themenfindung

3.1     Sind Ideen geschützt?

3.2     Grundrecherche

3.3     Archiv und Onlinerecherche

3.4     Das Recherchegespräch

3.5     Die »Message«

3.6     Realisierbarkeit klären

3.7     Wo ist die Story?

3.8     Keine Geschichte ohne gute Protagonisten

4        Das Exposé

4.1     Die erste Seite und der Rest

4.2     Struktur

4.3     Sendeplatz

4.4     Der Titel

4.5     Abstract/Logline

4.6     Der Inhalt

4.7     Der Aufhänger/Hook

4.8     Der Autor

4.9     Die Story

4.10   Filmische Umsetzung

4.11   Das Äußere

5        Themen anbieten

5.1     Produktionsformen

5.2     Redakteure und freie Autoren/Produzenten

5.3     Wie wünschen wir uns die Redakteure?

[6]6        Redaktionskonferenz

7        Wie teuer ist ein Film?

7.1     Kalkulation

7.2     Sponsoring/Productplacement

8        Produktionsvertrag und Rechte

9        Drehvorbereitungen

9.1     Weitere Recherchen

9.2     Vorbereitungsgespräch mit dem Team

9.3     Drehplan

9.4     Drehgenehmigung

9.5     Disposition

9.6     Auslandsdreharbeiten

10      Filmische Umsetzung

10.1   Dramaturgische Rezepte

10.2   Inszeniert oder dokumentarisch?

10.3   Inszenieren von Wirklichkeit

10.4   Veränderte Sehgewohnheiten

10.5   Dramaturgie

11      Dreharbeiten

11.1   Wer macht was? Aufgabenverteilung im Team

11.2   Das Fernsehen kommt

11.3   Bildgeschichten suchen

11.4   »Establisher« und Zwischenschnitte

11.5   Kürzere und längere Varianten drehen

11.6   Drehökonomie – nicht alles drehen

11.7   Reisen und Spesen

11.8   Drehschluss

12      Das Interview

12.1   Vorbereitung und Vorgespräch

12.2   Planung des Interviews

12.3   Doppelte Inszenierung

12.4   Ablauf des Interviews

12.5   Fragen

[7]12.6   Zuhören und nachhaken

12.7   Die Chemie muss stimmen

12.8   Das »feindliche« Interview

12.9   Umgang mit Protagonisten

12.10 Und danach? – Protagonisten schützen

12.11 Ein Kuriosum – ein Interview ohne Worte

12.12 Interviewhonorare – ein ethisches Problem

12.13 Das Recht am eigenen Bild

12.14 Interview verpatzt? – ein Trost

13      Der Schnitt

13.1   Material sichten – Kassettenprotokolle

13.2   Schnittplan

13.3   Probleme mit dem Material

13.4   Schnitt

14      Die Endfertigung

14.1   Kommentar

14.2   Ein schwieriges Kapitel – die Musik

14.3   Abspann

14.4   Rohschnittabnahme

14.5   Konflikte

14.6   Anmoderation

14.7   Sprachaufnahme

14.8   Gesucht wird – der Super-Autor

14.9   Endabnahme und technische Abnahme

14.10 Formalia

15      Nach dem Film

16      Undercover arbeiten

17      Journalistische Ethik

18      Ausblick

Literatur

Index

[8][9]Vorwort

Das Medium Fernsehen boomt. Und obwohl sich fast alles um Unterhaltung, Show, Sport und Musik dreht, spielt nach wie vor natürlich auch das dokumentarische Fernsehen eine wichtige Rolle. Es gibt einige gute Bücher über dokumentarisches Fernsehen1, aber die meisten beschäftigen sich mit der sogenannten Königsklasse, dem Dokumentarfilm. Doch der alltägliche kurze TV-Beitrag kommt kaum vor. Damit sind die kleinen Beiträge zwischen dem kurzen »NIF« (Nachricht im Film, das ist die sehr kurze Bebilderung einer Wortnachricht) über die berühmten »Einsdreißig«, also der Beitrag von 90 Sekunden, bis hin zu den Drei-, Vier-, Acht- oder Zehn-Minuten-Beiträgen in den diversen Fernsehmagazinen. Das kennzeichnet ungefähr die Bandbreite des »kurzen TV-Beitrags«, wie ich ihn in diesem Buch meine. Es geht also um den ganz alltäglichen kurzen Fernseh-Beitrag, auch wenn ich immer mal wieder auch auf längere Formate zu sprechen komme. Die Produktionsbedingungen sind nicht so unterschiedlich. Natürlich braucht ein kurzer Beitrag von zwei bis vier Minuten eine ganz andere Dramaturgie als ein »langer« Film oder eine kleine Reportage von acht bis zehn Minuten. Da ist der Spannungsbogen ein ganz anderer.

Dieses Buch ist keine theoretische und abstrakte Abhandlung über das Thema, sondern eine möglichst anschauliche Beschreibung ganz konkreter Produktionen mit vielen Beispielen aus der Praxis. Geschichten erzählen, das steht im Mittelpunkt unserer Arbeit als Fernsehjournalisten und das möchte ich auch in meinem Buch. Filme brauchen Filmgeschichten, Bücher brauchen Buchgeschichten!

Die konkreten Beispiele sind erfahreneren Kolleginnen und Kollegen sicherlich bekannt und daher für sie sicherlich manchmal langweilig. Aber ich mache bei meinen Seminaren immer wieder die Erfahrung, dass meine Studenten aus solchen konkreten Fällen mehr lernen als aus abstrakten »So-muss-es sein«-Lehrsätzen.

Vor allem gibt es bei mir keine »Rezepte«. Obwohl im Moment in den Redaktionen offenbar ein großer Wunsch nach solchen Rezepten herrscht und viele glauben, ihren »Guru« bereits gefunden zu haben: ich bin überzeugt davon, dass es solche allgemeingültigen Weisheiten nicht gibt. Jeder Film, jeder Filmbeitrag [10]hat seine eigene Dramaturgie und die gilt es, sich zu erarbeiten. Ein Rezept für den erfolgreichen Film gibt es genauso wenig wie das Rezept für den Weltbestseller, ein Gemälde oder ein Musikstück.

Das Wichtigste, das ich weitergeben möchte, ist die Liebe zum Beruf, die Freude an der Kreativität, die Neugier auf unsere so spannende und aufregende Welt.

Das Buch spiegelt meine Erfahrungen aus fast dreißig Jahren als Fernsehjournalist und Produzent wider. Ich habe viele lange Filme gemacht (ab 30 Minuten), aber immer wieder auch kurze TV-Beiträge, u. a. für WDR: Lokalzeit und WDR: Aktuelle Stunde, das ARD-Morgenmagazin, ARD: plusminus, WDR: Hier und heute, Monitor, Weltspiegel, WDR: Servicezeit und andere. Seit 1997 bin ich auch als Dozent in der Weiterbildung tätig und habe verschiedene Lehraufträge, die mir viel Spaß machen (u. a. an der WAM Medienakademie in Dortmund und an der FH Hannover im Masterstudiengang Fernsehjournalismus).

Alle diese Erfahrungen sind in dieses Buch eingeflossen, meistens stammen die Beispiele aus meiner eigenen Berufspraxis, dabei habe ich mir aber auch manchmal gestattet, Beispiele aus meinen Seminaren zu nehmen (natürlich ohne Namen zu nennen).

Andere machen aber vielleicht alles ganz anders, finden manches falsch oder haben gegenteilige Erfahrungen. Ich habe auch hier nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern versuche, meine ganz persönlichen Erfahrungen aus fast 30-jähriger Berufspraxis weiterzugeben.

Die Mehrzahl der kurzen TV-Beiträge wird als Hausproduktion realisiert. Autor oder Autorin bekommen Team, Schnittplatz, Cutter etc. vom Sender für die Produktion des Beitrags gestellt. Die andere Möglichkeit ist es, auch kurze Beiträge als Auftragsproduktion zu realisieren. Dabei schließe ich – als Autor und Produzent – einen Vertrag mit dem Sender über die Lieferung des sendefertigen Films. Die Auftragsproduktion umfasst daher sehr viel mehr Arbeiten und Organisation als eine Hausproduktion. Viele freie Fernsehjournalisten haben mit diesen Produktionsabläufen nicht so viel zu tun, weil dies in der Regel von der Produktionsleitung des Senders geregelt wird. Aber ich denke, es ist trotzdem ganz interessant, diese Abläufe einmal kennenzulernen. Ich beschreibe in diesem Buch den Produktionsprozess des kurzen Fernsehbeitrags von A bis Z, d. h. von der ersten Idee bis zur Ausstrahlung bzw. sogar ein Stück weiter, denn auch nach der Ausstrahlung gibt es einiges zu tun und zu beachten. Auch wenn der Schwerpunkt auf dem »kurzen« Beitrag liegt, gilt vieles natürlich auch für längere Formen. Noch eins: wenn ich auch im Buch meistens die männliche Form, z. B. beim Autor, Kameramann und Editor benutze, meine ich selbstverständlich auch die [11]Kolleginnen und die weibliche Form. Es ist reine Bequemlichkeit, wenn ich nur die männliche Form gebrauche.

Das Buch ist hoffentlich nicht nur für den einen oder die andere lehrreich und als Fachbuch interessant, sondern auch unterhaltend und anregend, eben wie ein guter Fernsehbeitrag sein soll. Ich wünsche dabei viel Vergnügen und würde mich über die eine oder andere Rückmeldung, Anregung und Kritik sehr freuen.

Michael Schomers

Am Reichenberg 14

53604 Bad Honnef

Tel: (02224) 978670

www.Lighthouse-Film.de

www.Michael-Schomers.de

Bad Honnef, im Januar 2012

Michael Schomers

Dank

Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Frau Ulla, die mich in allen Höhen und Tiefen meiner beruflichen Arbeit immer voll unterstützt hat. Der Partner oder die Partnerin muss „mitspielen“, das ist eine wesentliche Voraussetzung für diesen Beruf, auch wenn sie, wie meine Frau, sehr engagiert in ihrem eigenen Beruf ist. Sie muss aushalten, wenn ich wochenlang Tag und Nacht an einem Projekt arbeite, manchmal längere Zeit weg bin oder mich manchmal auch aus gefährlichen Gegenden nicht melde. Ich danke ihr für die Ruhe und Gelassenheit, die sie in solchen Situationen immer wieder gezeigt hat.

1   Magazine, Magazine, Magazine

[12][13]Wenn man sich das Fernsehen heute betrachtet, so scheint es neben Spielfilmen und Unterhaltungsshows nur noch aus Magazinen zu bestehen. Ob Regionales, Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport, Ausland, Boulevard – alles kommt im eintönigen Allerlei von kurzen Beiträgen, mal mit, mal ohne Moderation daher. Gegenstand dieses Buches ist der kurze TV-Beitrag, wie man ihn überall in dieser heute vorherrschenden Sendeform findet: dem Magazin. »Das Magazin ist eine Sendeform und die Ursache einer Medienepidemie: der Magazinitis. Tatsächlich hat sie die Hörfunk- und Fernsehprogramme fast vollständig erobert. Grob gesagt: Radio und Fernsehen insgesamt sind Magazin. Ob Verbrauchersendung oder Reiseratgeber, ob Wissenschaftsangebot oder Auslandsberichterstattung: Man sieht und hört fast nur Magazine«, meint der ehemalige WDR-Redakteur Albrecht Reinhardt.2 Die Entwicklung von Magazinen im Hörfunk und Fernsehen ist mit dem Auftauchen von Werbung eng verknüpft. Entwickelt wurde das Magazinkonzept, wie so vieles, in den USA, vor allem im schnell entstehenden Tagesprogramm. Bis dahin waren tagsüber Halbstundenblöcke im Programm üblich, die aber stellten sich als zu lang heraus, denn das vorherrschende Hausfrauenpublikum hatte nicht so viel Zeit, um länger am Radio oder Fernseher zu verweilen. Kürzere Blöcke hatten darüber hinaus den Vorteil, dass sich mehr Werbung platzieren ließ. So entstanden immer mehr Magazine, in denen mehrere und unterschiedliche Themen in einer Sendung platziert wurden. Es entwickelten sich unterschiedliche kürzere Formen und Blöcke wie Nachrichten, Reportage, Interview und Hintergrundberichte. Der Vorteil: Es wurden unterschiedliche Interessen und Vorlieben der Zuhörer und Zuschauer angesprochen, diese konnten sich einen kurzen Bericht anschauen und sich dann weiter ihren Tagesgeschäften widmen. Dadurch gab es eine sehr abwechslungsreiche Gestaltung mit unterschiedlichsten Formen und einem sehr abwechslungsreichen Ablauf.

[14]Der kurze Fernsehbeitrag stellt die Fernsehmacher immer wieder vor neue journalistische Herausforderungen. Denn er ist in der Machart äußerst unterschiedlich. Fast jeder Fernsehjournalist hat einmal mit dem kurzen Fernsehbeitrag von drei bis acht Minuten Länge begonnen. Zum Beispiel mit einem Beitrag für Regionalmagazine wie »Aktuelle Stunde« (WDR), »Buten und binnen« (NDR), Landesschau (SWR), für Boulevardmagazine wie »Brisant«, für diverse Servicemagazine, das ARD- und ZDF-Morgenmagazin, für Kulturmagazine wie »Aspekte«, für Wissenschaftsmagazine, aber auch für Nachrichtensendungen und Sondersendungen wie »Brennpunkt« für Auslands- und Reisemagazine oder Sendungen wie »Abenteuer Leben« (KABEL I). Und auch die kleinen Einspielfilme, wie sie heute in vielen Studioformaten und Talkshows üblich sind, gehören dazu. In der knappen Zeit ein aktuelles Thema, eine Hintergrundgeschichte oder ein Servicethema auf den Punkt zu bringen ist nicht einfach. Oft werden diese Beiträge unter großem Zeitdruck produziert, vor allem für die Nachrichtensendungen. Die Magazinbeiträge müssen sehr um die Aufmerksamkeit des Zuschauers kämpfen. Denn anders als bei längeren Filmen, die sich der Zuschauer bewusst aussucht, meistens jedenfalls, muss der einzelne Beitrag erst die Aufmerksamkeit für sein Thema gewinnen, denn das Format (Service-, Wirtschaftsmagazin etc.) gibt nur den Rahmen vor.

Ein ganzer Kleinbus voll Equipment, Gepäck, Zelte und Lebensmittel für eine zweiwöchige Drehreise in die mongolische Wüste Gobi.

2   Trivialisierung des Fernsehens

[15]Der kulturelle Niedergang des Fernsehens ist oft beschrieben und beklagt worden. Bei den kommerziellen Sendern, das sollte eigentlich jeder wissen, geht es nicht um die Qualität, sondern nur um Profit.3 Und der soll vor allem mit Unterhaltung gemacht werden. Das Strickmuster ist dabei sonnenklar: Die dramaturgischen Strukturprinzipien beim RTL-Magazin »Explosiv« hat der Kollege Peer Schader einmal beschrieben: »Schritt 1: ein geeignetes Thema finden (das sind bei RTL nach wie vor Schmuddelthemen oder die beliebten Themenkombinationen aus »Oberweite und Prominenz«). 2. Schritt: Die Protagonisten ins Lächerliche ziehen und Schritt 3: Neue Opfer suchen.«4

Aber zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollte man doch etwas anderes erwarten, meint man. Aber auch dort geht es bei den Verantwortlichen schon seit vielen Jahren kaum noch um Qualität, sondern nur noch um die Quoten. Und dafür ist offenbar jedes Mittel recht. Im Januar 2011 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) ein internes Papier des SWR. Es geht darin um die »Landesschau«, ein tägliches regionales Magazin. In der Einleitung heißt es dort noch vollmundig: »Menschen stehen im Mittelpunkt, sind betroffen, wir blicken auf ihr Schicksal. Oder sie erleben etwas Schönes, etwas Besonderes, was einem normalerweise nicht so oft begegnet, was schöne oder sogar überwältigende Emotionen in ihnen auslöst.«5 Aber im Weiteren wird schnell klar, wie man sich das vorstellt.

Denn als Aufmacher für das Magazin schlagen die (unbekannten) Autoren Folgendes vor: »Schicksal, Sex & Crime und Katastrophe. Wenn noch dazu Kinder, Prominente oder Tiere betroffen sind, erhöht das die Anziehungskraft des Aufmachers[16]auf den Zuschauer zusätzlich. Ebenso, wenn Geld (Betrug, Bankraub, Raubmord) eine Rolle spielt. Emotionen wecken (…) soll der Aufmacher aus dem Rotlicht-Blaulicht-Milieu.«6 Die AG DOK dazu: »Das Papier stammt ›aus der Ideenschmiede des SWR in Mainz und legt den Mitarbeitern u. a. nahe, die Themen ›zwischen Blaulicht und Rotlicht‹ zu suchen. ›Sex sells‹ – auch dort, wo eigentlich seriöse Information mit öffentlich-rechtlichem Gebührengeld angesagt wäre.‹«7 Dass das Papier nicht ohne Folgen geblieben ist, war schnell zu merken: Als vorläufigen Höhepunkt der Trivialisierung gab es im Januar 2011 in der Landesschau eine Liveschaltung in einen Swingerclub. Wohlgemerkt: in einem regionalen Magazin, um 18:45 Uhr. Sex sells.

3   Themenfindung

[17]Am Anfang steht die Idee. Konkreter gesagt: die Idee für ein Thema. Als Journalist – und besonders als freier Journalist – ist man eigentlich immer auf Themensuche. Immer hofft man auf neue Ideen, neue Themen, auf die bisher bestimmt noch niemand gekommen ist und die man als Fernsehbeitrag umsetzen kann. Aber woher kommen diese Ideen? Ideen kommen von überall. Ein Artikel in der Zeitung, im Internet, ein Gespräch im Zug oder Wartezimmer, eine Sendung im Fernsehen oder Radio, im belauschten Gespräch im Café oder dem Telefongespräch mit einem Freund. Überall kann die Kreativität angestoßen und angeregt werden. Und plötzlich kommt der Gedanke, »das wäre doch auch etwas fürs Fernsehen«. Eine der wichtigsten Quellen für Ideen sind regionale Zeitungen, denn die Kollegen in den Lokalredaktionen vor Ort sind viel »näher dran« und bekommen daher vieles viel früher mit. Dort finden sich auf den lokalen Seiten interessante Menschen und spannende Geschichten. Vielfach muss man sie sich »übersetzen«, d. h. aus der lokalen auf eine allgemeinere Ebene holen. So kann durchaus der Bericht über einen Bauern aus der Region und dessen Tagesablauf auf seinem Hof Ausgangspunkt für einen Film über EU-Subventionen in der Landwirtschaft werden und der porträtierte Bauer ein wichtiger Protagonist in diesem Film. Ausgangspunkt war vielleicht nur ein einziger Satz in dem Artikel oder dem Interview. Oder man liest etwas über einen interessanten Menschen und wird so angeregt, nach einem ähnlichen Protagonisten zu recherchieren, der aus dem Sendegebiet stammt.

Aber man darf nicht meinen, man sei der einzige, der – z. B. – in der Wochenendbeilage des KÖLNER STADTANZEIGERS die Reportage über den rollenden Lebensmittelwagen in der Eifel gelesen hat. Gerade in Köln liest natürlich jede Redakteurin die größte Zeitung der Stadt und der Region. Und Tausende von freien Kollegen tun es auch. Und so ist es durchaus möglich, dass eine Woche später die Redaktion mehrere Themenvorschläge für die gleiche Fernsehreportage auf dem Tisch hat. Aber: nicht zu früh aufgeben, es kann durchaus auch mal sein, dass man alleine auf diese Idee gekommen ist (und wenn vielleicht nur, weil andere Kollegen dachten, das habe sowieso keinen Zweck). Bei mir landen viele solcher Artikel mit interessanten Themen in meiner »Themenschublade«, die in Wahrheit ein Sammelordner ist, in den ich solche Artikel einfach unsortiert reinstecke. Eben eine Sammelecke. Ab und zu, meistens ein- bis zweimal im Jahr, blättere ich ein wenig darin herum. Manchmal finde ich dort Anregungen durch Artikel, die viele Jahre alt sind. Ist das [18]Klauen? Das Thema eines Kollegen nehmen und daraus einen eigenen Themenvorschlag machen? Ja und Nein. Ja, weil ja in der Tat die Arbeitsergebnisse, die Recherche eines Kollegen Grundlage meiner Arbeit ist. Nein, weil er ja seine Arbeit abgeschlossen und veröffentlicht hat. Und wo hat der Kollege sein Thema her? Oft auch aus journalistischen Quellen. Wir alle greifen Themen auf, an denen bereits andere gearbeitet haben und die wir dann nutzen. Ein Unterschied ist es für mich nur, wenn ich den Kollegen direkt anspreche, seine Recherchen und Kontakte nutzen will, Hintergründe und mehr wissen möchte, als er veröffentlicht hat. Dann sollte man so fair sein und darüber sprechen, wie die Arbeit des Kollegen vergütet wird. Ich vereinbare in solchen Fällen ein Beratungshonorar, für den Fall einer beruflichen Nutzung, d. h. falls ich den Film realisiere.

Manchmal setze ich mich auch in den Café und lese die dort ausliegenden Zeitungen, bzw. blättere sie zumindest durch. Man kann ja nie wissen, ob man nicht etwas Interessantes dabei findet. Aber bei der Themenfindung geht es um mehr als nur die Idee. Sie ist der Ausgangspunkt, aber bevor sie »Realität« wird und die Form eines konkreten, gestalteten Exposés annimmt, muss sie noch mehrere Prüfungsinstanzen durchlaufen. Das erste ist die Frage, ob sie auch »trägt«, wie wir sagen. Damit ist gemeint: Eignet sie sich auch als Filmgeschichte? Habe ich eine Idee, wie sich das filmisch realisieren lässt? Jetzt gehen die Überlegungen in zwei Richtungen: als Erstes muss die Grundidee sehr konkret werden. Welche konkrete Geschichte will ich erzählen? Wo finde ich Protagonisten, Interviewpartner, Bilder? Auf die Bildideen gehe ich in diesem Buch noch ein.

Zweitens sollte ich ziemlich am Anfang recherchieren, welche Filme/Beiträge es bereits zu dem Thema gegeben hat. Denn je schneller ich feststelle, dass das Thema bereits in zwei Magazinen in den vergangenen drei Monaten behandelt wurde, desto eher kann ich mich einem neuen Thema zuwenden, das dann hoffentlich auch realisierbar ist. »Du denkst immer nur an Verwertung«, hat mir einmal ein Freund scherzhaft gesagt. Aber da ist ja etwas dran: Ich verdiene seit dreißig Jahren meine Brötchen als Fernsehjournalist und dazu gehört auch, auf die Effektivität der eigenen Arbeit zu achten. Ich versuche also sehr schnell zunächst festzustellen, ob und welche Filme es zu dem Thema bereits gegeben hat. Dazu kann man im Internet recherchieren – mittlerweile haben fast alle Sender auf ihren Internetseiten auch Archive, die aber leider heutzutage oft nicht sehr weit zurückreichen.8

[19]Bei den ersten Recherchen sollte man seine Gesprächspartner auch danach fragen. Meistens landen recherchierende Journalisten bei den gleichen Ansprechpartnern, bei Betroffenen, Verbänden, Organisationen, Instituten, Experten etc. Und alle diese Fachleute wissen meistens genau, wer und wo über das Thema bereits berichtet hat, oft sogar, wer gerade aktuell an einem Beitrag arbeitet. Wenn ich dann feststelle, dass meine Idee bereits mehrfach realisiert wurde, sehe ich das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend, weil das Thema weg ist, lachend, weil ich sehe, dass ich wohl richtiggelegen habe und es wirklich ein Thema war. Nur schade, dass ich es nicht realisieren konnte.

3.1  Sind Ideen geschützt?

Ja und nein, muss man darauf antworten. Zunächst einmal: Ideen und Themen liegen sozusagen auf der Straße. Und so können natürlich mehrere Autoren auf einmal auf den Gedanken kommen, ein und dasselbe Thema vorzuschlagen – vielleicht, weil sie alle den gleichen Artikel in der Lokalzeitung gelesen haben. Je allgemeiner die Idee ist, desto weniger ist sie geschützt. Und umgekehrt: je mehr ich sie ausgearbeitet und ihr damit quasi meinen eigenen künstlerischen Stempel aufgedrückt habe, also ein neues, originäres »Kunstwerk« daraus geschaffen habe, desto mehr gilt das Urheberrecht. Das ist im Bereich des dokumentarischen Fernsehens sehr schwer und beim kurzen TV-Beitrag fast unmöglich. Nehmen wir an, ich habe also meine Grundidee, ein Beitrag über »Neue Entdeckungen zur Kultur der südamerikanischen Indianer«, mit der Umsetzungsidee ergänzt, dass wir den erfolgreichen Archäologen X, der gerade eine sensationelle Entdeckung gemacht hat, bei seiner Expedition in den brasilianischen Dschungel begleiten. Ich habe bereits ein Vorgespräch mit dem Protagonisten geführt, der grundsätzlich damit einverstanden ist, wenn ihn ein Fernsehteam begleitet. Aber auch das schützt die Idee leider nicht umfassend. Zwar wird die Wahrscheinlichkeit sicherlich geringer, dass mir die Idee geklaut wird, aber absolut geschützt bin ich nicht. Denn über X und seine Entdeckungen wurde bereits viel publiziert und so liegt das Thema quasi »auf der Straße«. Die einzige Möglichkeit: man hat das Thema wirklich »exklusiv«. Das bedeutet, der Archäologe X hat mir versichert, dass er kein anderes Fernsehteam mit in den Dschungel nimmt. Wenn er sich daran hält. Denn unser Protagonist hat natürlich ein Interesse, dass etwas über seine Arbeit und seine Person berichtet wird, im Zweifelsfall ist es ihm egal, von wem. Besonders, wenn ich das Thema noch nicht verkauft habe, gleichzeitig aber ein Kollege mit einem attraktiven Sendeplatz winkt. Kann man es dem Protagonisten verdenken? Am besten ist es, das vertraglich [20]abzusichern. Das wird durch eine Option gemacht (»X verpflichtet sich, bis Ende 2013 an keinem anderen Film oder Fernsehprojekt zum Thema teilzunehmen« oder »an keiner anderen journalistischen Auswertung seiner Forschungstätigkeiten« oder »kein Interview zum Thema … zu geben« o. ä.). Aber so etwas kostet dann im Regelfall Geld.

Themenklau passiert immer wieder, nachweisen kann man ihn aber nur selten. Wer weiß, ob es stimmt, wenn die Redaktion auf einen Themenvorschlag antwortet: »Das Thema machen wir schon«, oder »das hat schon jemand anderes vorgeschlagen«. Denn es passiert immer wieder einmal, dass das einfach gelogen ist. In sehr dreister Art und Weise habe ich solch einen Themenklau persönlich zweimal erlebt: Es ist schon einige Jahre her. Ein Kollege, Redakteur bei einer Zeitschrift, hatte ein Buch zum Thema »Silicon Valley« geschrieben, es ging um die Umweltzerstörungen und Belastungen durch die Computerindustrie. Das Buch verkaufte sich sehr gut, der Kollege schrieb zahlreiche Artikel zu diesem Thema und wurde sozusagen der Fachmann zu diesem Thema. Gemeinsam schrieben wir ein Exposé, um das Thema auch als Film zu realisieren. Da der Kollege damals noch hauptberuflich Redakteur einer Fachzeitschrift war, wollte er sich zunächst im Hintergrund halten. So schickte ich das Exposé nur unter meinem Namen an den WDR. Der zuständige Redakteur lehnte ab. Das Thema, so schrieb er mir, sei für ihn nicht interessant. Zwei Monate später wurde mein Koautor (dessen Mitautorenschaft dem Redakteur ja unbekannt war) von einem freien Autor angerufen, der ihn »als Fachmann« um Kontakte im Silicon Valley bat. Es stellte sich heraus, dass die Redaktion im WDR den Kollegen beauftragt hatte, einen Film über das Thema zu machen. Auftraggeber war genau der Redakteur, der ein paar Wochen vorher meinen Themenvorschlag abgelehnt hatte.

Der zweite Fall war noch dreister, er wurde gar nicht erst geleugnet. Der Redakteur hatte mir mündlich sein großes Interesse am Thema signalisiert. Aber, so vertröstete er mich, ich sollte noch etwas warten, die Planung für das nächste halbe Jahr sei noch nicht beendet. Ungefähr sechs Wochen später entdeckte ich in der Programmankündigung »mein Thema«. Realisiert von einem anderen Autor, einem der festangestellten Redakteure selbst. Auf meine Vorhaltungen bekam ich vom Redaktionsleiter nur zu hören, das Exposé sei ihm wohl während seines Urlaubs »vom Schreibtisch geklaut« worden, und nach dem Urlaub habe der Kollege bereits gedreht. Ein eindeutiger Themenklau, aber wie will man das im Zweifelsfall nachweisen bzw. was kann man machen? Da hilft auch die Reaktion »Sie haben einen gut bei mir«, wie ich sie zu hören bekam, nichts. Ich habe nie einen Film für ihn gemacht.

Leider passiert das, wie gesagt, immer wieder. Und oftmals sind die Fälle nicht so eindeutig. Die Grundregel heißt – vor allem, wenn man die Redaktion noch [21]nicht kennt – vorsichtig sein. Das bedeutet, Namen von Protagonisten nicht nennen, exklusive Zugänge zum Thema zunächst für sich behalten und die Idee nur allgemein ausführen. Auf der anderen Seite kann alles oft auch ganz anders gewesen sein. Es kann durchaus sein, dass jemand anders das Thema ebenfalls vorgeschlagen hat. Dazu kommt: Die Zeiten ändern sich und damit manchmal auch das Interesse an Themen. Ein Thema, das heute abgelehnt wird, kann die Redaktion in einem Jahr plötzlich doch interessieren, wenn es jemand anders vorschlägt. Aber merkwürdig sind solche »Zufälle« oft doch. Zumal solche Fälle von Themenklau in einigen Sendern und Redaktionen gehäuft auftauchen. Zum Glück spricht sich Derartiges meist schnell in Kollegenkreisen herum, manche Sender und Redaktionen sind bestens bekannt dafür. Man muss sich als Autor davor schützen. Die einzige wirkliche Lösung wäre, eben dieser Redaktion überhaupt keine Themen mehr anzubieten. Aber damit vergibt man sich natürlich auch die Chance, einen Film zu verkaufen.

3.2  Grundrecherche

»Ja, die Idee ist prima!« Auch nach dem ersten Nachdenken und nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, bleibt das Gefühl: das Thema ist gut. Nun beginne ich mit der ersten Recherche.

»Recherchieren kann doch jeder!« – Ein weit verbreiteter Irrtum. Der Selbstbetrug, jeder könne intuitiv alles Wichtige aus dem Netz ziehen, stützt sich auf die Leichtigkeit, im Web irgendetwas zu finden. Wie viel man nicht findet, bleibt naturgemäß unbemerkt.«9

Heutzutage steht wohl am Anfang jeder Recherche das Internet, und das heißt meistens »Google«. Nun ist ja gegen »Googeln« gar nichts zu sagen, wenn es nicht die alleinige Quelle bleibt. Schnell findet man Tausende von Interneteinträgen zu einem Stichwort. Eine große Erleichterung. Wenn ich daran denke, wie wir [22]vor zwanzig Jahren recherchiert haben: Zunächst der Gang ins WDR-Archiv. Dort saß man manchmal stundenlang, wühlte in Karteikästen oder unzähligen Aktenordnern, überflog die Presseartikel und kopierte die wichtigeren, bis man schließlich mit einem Stapel Kopien ins Büro zurückkam und anfangen konnte zu lesen. Da manche Aspekte des Themas sich aber erst beim Lesen der Artikel erschlossen, hieß es oft, am nächsten oder übernächsten Tag wieder zurück ins Archiv. Das kostete alles viel Zeit. Heute habe ich in einer Stunde einen Grundbestand von Hunderten von Veröffentlichungen, Dossiers, Zusammenfassungen, aktuelle Artikel etc. Aber ich weiß nicht, ob wir heute wirklich mehr Zeit haben, denn wir müssen auch sehr viel mehr lesen, um aus der Fülle der Informationen die für uns wichtigen zu filtern. Aber, auch wenn es schon tausendfach gesagt wurde, ich muss es einfach wiederholen: »Googeln« ist erst der Anfang.

Das muss übrigens nicht unbedingt »Google« sein, es gibt noch viele weitere Suchmaschinen. Im Internet findet man Listen über alle Arten und auch spezialisierte Suchmaschinen für Wissenschaft, Meta-Suchmaschinen (z. B. www.metager.de) etc.

Hier einige Suchmaschinen:

•   http://www.leipzig-sachsen.de/suchmaschinen/suchmaschinen-international.htm

•   http://www.wzw.tum.de/~schlind/suchmaschinen.html

•   http://www.kachold.de/suchmsch.html

•   Es gibt sogar eine, deren Einnahmen dem Schutz des Regenwalds zugutekommen: http://ecosia.org/10

Die Internetsuche ist zwar nur ein Anfang, aber ein sehr, sehr wichtiger. Vor allem finde ich hier schnell Zusammenfassungen zum Thema, die mir ein gewisses Grundwissen geben. Sehr wichtig ist es, immer wieder auch einen prüfenden Blick auf den Betreiber der Internetseite zu werfen: Warum gibt es dort diese Information, was will der Betreiber? Das ist bei Zeitungen relativ einfach, aber Informationen gibt es im Internet überall und so landet man auch schnell bei Seiten, die von ganz klaren Interessen gesteuert sind. Das ist auch überhaupt nicht schlimm, ich muss es nur wissen. So bekomme ich von der ITF, das ist die Internationale Transportarbeiter-Föderation, also die Seeleutegewerkschaft, viele hervorragende Informationen über die Arbeitsbedingungen der Seeleute. Wenn ich mir anschaue, [23]was der VDR, der Verband Deutscher Reeder, dazu sagt, werden aus den ausgebeuteten Lohnsklaven im Zweitregister plötzlich Seeleute, die hochqualifiziert, bestens bezahlt und unter fast paradiesischen Zuständen arbeiten. Es kommt eben oft darauf an, aus welchem Blickwinkel – und mit welcher Interessenlage – Themen behandelt werden. Und nur, wenn der Journalist das weiß und berücksichtigt, kann er die Informationen einschätzen. Die NEW YORK POST oder ein renommiertes wissenschaftliches Institut als Quelle nennen zu können, ist eben etwas anderes als eine private Internetseite. Dort heißt es, besonders vorsichtig zu sein und jede – wirklich jede – Quelle selbst zu überprüfen.

Für mich ist das »Kleingedruckte« in einem Text meistens sehr wichtig. Damit sind vor allem Fußnoten, Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnisse gemeint. Denn dort finde ich vor allem die Quellen, auf die sich der Autor des Artikels bezieht. Ich kann dort also die Informationen, Zitate etc. nachprüfen, »gegenchecken«. Außerdem findet man dort weitere Hinweise auf mögliche Gesprächspartner, interessante Menschen und Orte, Geschichten. Und immer wieder neue Quellen, Quellen, Quellen. Es ist oft sehr interessant, mal die Namen der auftauchenden und zitierten Personen zu recherchieren. Auf jeden Fall jedes Zitat nachprüfen! Was machen die Personen sonst noch? Was haben sie gesagt, zu welchen anderen Themen äußern sie sich? Interessant ist auch, ob es Zusammenhänge zwischen den zitierten Personen und den auftauchenden Unternehmen gibt. Da kann man manche Überraschung erleben. Dann stellt man vielleicht fest, dass der Arzt, der als regelmäßiger Referent und Berater bei einer Selbsthilfegruppe auftritt, viele Vorträge bei einem bestimmten Pharmaunternehmen hält oder in deren »Advisery Boards« sitzt. Sicherlich ein gutes Indiz, sich mal um die Unabhängigkeit der medizinischen Beratung bei diesem Arzt zu interessieren. Obwohl Ärzte und Pharmaindustrie nicht dumm sind und solche Zusammenhänge meistens mehr oder weniger geschickt versuchen zu verschleiern. Aber wenn man lange genug recherchiert, wird man bei solchen Kreuzrecherchen auch fündig.

Noch ein Beispiel: In meinem Buch »Todsichere Geschäfte« ging es darum, dass ein großes Bestattungsunternehmen, Tochterunternehmen einer großen Versicherung, Kooperationsverträge mit vielen Pflegeheimen abgeschlossen hatte. Insider behaupteten, dass der Versicherungskonzern die Daten der Heimbewohner auswertete, um ihnen z. B. Sterbegeldversicherungen zu verkaufen. Natürlich dementierte das Unternehmen. Aber ich fand bei meinen Recherchen zufällig ein Stellenangebot. Der Konzern suchte »Senioren-Berater« und versprach der »Persönlichkeit mit guten Umgangsformen und sicherem Auftreten« für den Vertrieb einen »Adressbestand«. Zwar ist auch das noch kein Beweis, dass es sich um den Datenbestand aus den Pflegeheimen handelte, aber ein weiteres Indiz [24]für den Verdacht. Mit solchen Recherchen hangelt man sich von einer Information zur anderen, bis man sicher ist, alle relevanten Aspekte seines Themas zu kennen. Das ist manchmal etwas mühsam, aber der einzige Weg. Denn ohne eine solche Recherche bleibt das Thema meistens oberflächlich – und damit absehbar langweilig.

Zwei meiner Studenten legten mir einen Themenvorschlag vor: »die Buslinie 37«. Der Hintergrund: Die Buslinie zur Universität wurde nur selten angefahren und wenn, waren die Busse so überfüllt, dass Fahrgäste nicht mitgenommen wurden und bis zu einer Stunde auf den nächsten Bus warten mussten. Darüber wollten sie berichten. So weit, so gut. Sicherlich ein interessantes und aktuelles Thema für ein regionales TV-Magazin. Das war auch die Aufgabe im Seminar. Da die beiden sich die Arbeit aber nicht besonders schwer machen wollten, sah der von ihnen vorgesehene Beitrag ungefähr so aus: Bilder vom überfüllten Bus (mit versteckter Kamera) und dann sollten ein paar Studenten interviewt werden, die im Film wohl im O-Ton bestätigen sollten, dass der Bus immer voll ist. »Ja, und«, habe ich sie gefragt, »was wollt Ihr noch machen?« Keine Antwort, denn darüber hatten sie noch nicht nachgedacht. Vor allem hatten sie überhaupt nicht weiter recherchiert. Ich schlug ihnen vor, im Rahmen ihrer weiteren Recherche einmal mit dem Pressesprecher der Stadt, dem Vertreter der städtischen Verkehrs- AG und der Gewerkschaft zu sprechen. Dann sollten sie sich mit dem privaten Busunternehmen, das die Buslinie im Auftrag der Stadt fährt, in Verbindung setzen und mit dem Unternehmer oder seinem Pressesprecher darüber reden. Nach diesen Gesprächen (meinetwegen zunächst nur telefonisch) wären sie sicherlich besser über das ganze Problem informiert und könnten überlegen, ob es einen Beitrag wert und was denn überhaupt das Thema sei. Fragen zum Thema gab es auch ohne weitere Recherchen bereits auf Anhieb genug: Wo gibt es Probleme, wer ist verantwortlich, gibt es mangelhafte oder nicht eingehaltene Auflagen, was regeln die Verträge mit der Stadt, was kann man machen, wer hat welche Forderungen? Alle diese Fragen hätten sie nach der Grundrecherche beantworten können. Aber es sollte nicht dazu kommen. Offenbar war ihnen das zu viel Arbeit und sie suchten sich ein anderes – weniger mühsames – Thema. Schade. Und evtl. haben sie eine Chance für ein spannendes Thema verpasst. Um die Qualität der journalistischen Recherche in Deutschland hat sich vor allem der Verein Netzwerk Recherche e. V. verdient gemacht. Er veranstaltet u. a. Seminare und Tagungen, außerdem sind dort online hervorragende Materialien zu bekommen.11

3.3  Archiv und Onlinerecherche

[25]»Plötzlich und unerwartet ging sie von uns: die Publizierung«, hieß es vor ein paar Monaten in einer Todesanzeige in einer Tageszeitung. »In stiller Trauer: die Surfenden bei ARD & ZDF«.12 Damit waren die drastischen Veränderungen gemeint, die die Ministerpräsidenten bereits 2008 im Rundfunkänderungsstaatsvertrag vereinbart hatten. Danach sind die sogenannten »Telemedienangebote« der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nur zulässig, wenn sie »eng programmbegleitend« sind und nur sieben Tage im Netz eingestellt bleiben. Die Folge: tagesschau.de musste mehr als 270.000 Videos, mehr als 250.000 Texte und 25.000 Audios aus dem Internet nehmen. Konkret bedeutet das, wie der NDR beschrieb: »Über die Tragödie bei der Loveparade vor wenigen Wochen dürfen die Öffentlich-Rechtlichen zwar weiter berichten. Auch über die 21 Opfer und die Suche nach den Verantwortlichen. Doch wie die Loveparade überhaupt nach Duisburg kam, das ist länger als ein Jahr her und gehört damit offline. Selbst der Jahrhundertsturm Kyrill, der 2007 Norddeutschland verwüstet hat: Bei ARD und ZDF findet er sich im Internet nicht mehr. Der Blogger Markus Beckedahl meint dazu: »Heutzutage gibt es im Internet so viel Platz, dass auf den Webseiten der Sender die ganzen Archivinhalte immer noch bereitgestellt werden können. Und, das ist eigentlich eine Errungenschaft des Internets. Und wenn man jetzt hingeht und diese ganzen Inhalte künstlich wieder rausnimmt, nicht mehr zugänglich macht, dann ist das ein bisschen weltfremd.«13 Damit sind die Recherchen im Internet etwas schwieriger geworden, vor allem auch zu der Frage, ob ein bestimmtes Thema bereits einmal im Fernsehen realisiert wurde. Aber, wie gesagt, eine gute Möglichkeit ist nach wie vor, diejenigen zu befragen, die mit dem Thema lange schon zu tun haben.

3.4  Das Recherchegespräch

»Guten Tag, mein Name ist … Ich bin Fernsehjournalist und recherchiere zum Thema XY. Ich denke, das könnte evtl. ein Beitrag für die ›Aktuelle Stunde‹ sein. [26]Ich würde gerne mit Ihnen über das Thema und ihre Erfahrungen reden.« So o. ä. beginnt der nächste Schritt der Recherche. Nachdem ich mir ein Grundwissen zu meinem Thema angelesen habe, suche ich das Gespräch mit einem »Experten« Wobei mein Begriff von »Experte« sehr weit gefasst ist. Das kann ein Wissenschaftler sein, der über das Thema forscht, ein Publizist, muss aber nicht. Ich meine Experten, die sich im Thema auskennen. Und das kann auch ein Seemann, eine Krankenschwester, ein Bauer oder eine Prostituierte sein. Wobei ich mich zunächst im Zweifelsfall meistens eher für ein Gespräch mit »Betroffenen« entschieden habe als für – oft fern von der Realität forschende – Wissenschaftler. Aber beides ist wichtig. Ein solches persönliches Gespräch hat einen großen Vorteil einem gelesenen Text gegenüber. Ich bekomme eher ein Gefühl für das Thema, es gibt Emotionen, Wertungen, Tipps und ganz persönliche Erlebnisse und Geschichten. Vor allem kann ich meistens nach diesem Gespräch die Fakten besser einordnen, kann Wichtiges von Unwichtigem besser unterscheiden. Im besten Fall habe ich sogar damit meinen ersten Protagonisten oder Interviewpartner kennengelernt und fange an, langsam die Geschichte meines Films zu sehen.

Dem ersten Gespräch folgen meistens weitere, ich lese vieles und sehe mich auch, wenn möglich, vor Ort um. Natürlich spielt hier auch die Arbeitsökonomie eine Rolle. Ich kann nicht für einen kurzen TV-Beitrag tagelang recherchieren, vielleicht sogar noch irgendwohin reisen. Also muss ich in so einem Fall versuchen, die wesentlichen Informationen telefonisch zu bekommen.

Wichtig ist, dass ich bereits von Anfang an auch nach den filmischen Möglichkeiten Ausschau halte – und durchaus auch frage. Ich lasse mir Abläufe schildern: »Wie arbeiten Sie, was passiert dann? Gibt es in der nächsten Zeit eine besondere Situation?« Und immer wieder die Nachfrage: »Was können wir sehen?« Das ist nicht so einfach, weil die meisten Menschen sich gar nicht so recht bewusst sind, was sie so machen und was dabei interessant sein könnte. In Ruanda, bei den Dreharbeiten für einen Film über die Arbeit der Hilfsorganisationen und »angepasste Hilfe«, erzählte uns der örtliche Vertreter der Welthungerhilfe, Jürgen Feldmann, nebenbei von einem neuen Projekt. Die Welthungerhilfe hatte gerade begonnen, überall im Land altes Eisen zu sammeln. Sie wollten kleinen Schmiedekooperativen den Auftrag geben, aus diesem alten Eisen Hacken für die Bearbeitung der Felder zu schmieden. Man muss dazu wissen, dass die großen Hilfsorganisationen normalerweise die benötigten Hacken in großen Mengen in den Fabriken z. B. in Kenia kaufen. »Na ja«, fügte Feldmann hinzu, »das sind natürlich keine großen Stückzahlen, so viel schaffen die nicht«. Für ihn war das der Anfang eines kleinen Projekts, fast nicht erwähnenswert. Ich aber war wie elektrisiert und fragte ihn, wie das denn genau vor sich gehen würde. Als er mir die einzelnen Stationen beschrieb, sah ich sofort die Bilder vor mir: Schmiedearbeiten [27]an kleinen Dorfschmieden. Wir fuhren hin – und es waren wirklich tolle Bilder und eine schöne Geschichte für mein Thema »angepasste Hilfe« und »Hilfe zur Selbsthilfe«. Das war zwar in meinem Drehplan nicht vorgesehen, war aber viel besser als die Aktion, die wir eigentlich drehen wollten. Daher immer wieder die Frage an meine Protagonisten: was können wir sehen, was spielt sich vor der Kamera ab?

Dreharbeiten auf einem Rhein-Schlepper

3.5  Die »Message«

Die Welt wird immer schneller! Hatten wir früher Zeit genug, in ein neues Thema einzusteigen, müssen wir heute sehr schnell entscheiden, ob wir etwas interessant finden oder nicht, ob wir uns also damit weiter beschäftigen wollen oder den nächsten Artikel lesen oder zum nächsten Programm zappen wollen. Das hat Konsequenzen auch und gerade beim Anbieten eines Themas.

[28]Der Kollege Wolf Schneider hat das kompakt zusammengefasst:

»Wer das Interesse von Lesern oder Hörern gewinnen will, muss es binnen 20 Sekunden gewonnen haben – oder er gewinnt es nie; außer, er hätte etwas Sensationelles zu sagen (aber wie oft hat er das schon?)«14

Wir werden noch mehrfach auf dieses Thema zurückkommen, z. B. bei der Dramaturgie eines Beitrags, denn auch da hat es Konsequenzen. Jetzt aber geht es zunächst um den Themenvorschlag.

Wolf Schneider folgend soll ich also meine Geschichte in maximal 20 Sekunden erzählen. Das ist etwa die Zeit, die – in der immer wieder erzählten Geschichte – der begabte, aber unbekannte junge Autor hat, um den einflussreichen Produzenten, den er auf der Toilette oder – eleganter – im Fahrstuhl trifft, für seinen Film zu interessieren. (Vor ein paar Jahren hat es so ein Kölner Taxifahrer in einer Buchhandlung geschafft, Til Schweiger seinen Filmstoff für »Knocking on Heaven’s Door« zu verkaufen. Aber mittlerweile versuchen wohl viele ihr Glück auf diesem Weg, denn Til Schweiger sagt mittlerweile: »Ich werde dauernd von Leuten angequatscht, die mir einen Filmstoff anbieten wollen.«15)

Kurz und gut: Es geht darum, seinen Filmstoff, seinen Themenvorschlag auf einen kurzen Satz oder ein paar Sätze zu konzentrieren. Ein wesentliches Instrument dafür ist der sogenannte Küchenzuruf. Der Begriff stammt von Henri Nannen, der ihn so beschrieb: »Wenn am Donnerstag der Hans mit seiner Frau Grete am Arm zum Kiosk pilgert, dort 2 Mark 50 hinlegt und den neuen STERN käuflich erwirbt und sie beide dann mit dem STERN unter dem Arm wieder gemütlich nach Hause wandern; und Grete sich dann in die Küche verfügt, sich die Schürze umbindet, um sich für den Abwasch vorzubereiten; und der Hans nebenan im Esszimmer Platz nimmt, den neuen STERN aufschlägt und mit der Lektüre der ersten Geschichte im neuen STERN beginnt; und wenn der Hans dann nach beendigter Lektüre dieser Geschichte voller Empörung seiner Frau Grete durch die geöffnete Küchentür zuruft: ›Mensch Grete, die in Bonn spinnen komplett! Die wollen schon wieder die Steuern erhöhen!‹ – dann sind diese beiden knappen Sätze … der sogenannte Küchenzuruf des journalistischen Textes.«16

[29]Frau verzeihe die durchscheinende, etwas altertümliche Rollenverteilung, aber in den siebziger Jahren war das noch weit verbreitet – heute ist das ja bekanntlich alles besser! Das ist also der sogenannte Küchenzuruf. Der Kern der Geschichte. Und der auf einen Satz konzentrierte Inhalt. Und es ist sehr spannend, einmal zu versuchen, seine Geschichte auf einen oder zwei Sätze zu reduzieren. Je komplexer ein Film ist, desto schwieriger ist das natürlich, aber es ist sehr hilfreich. Wir werden uns im Folgenden noch weiter damit beschäftigen. An dieser Stelle ist das Ziel, für sich selbst festzustellen, was man denn überhaupt für einen Film machen will.

3.6  Realisierbarkeit klären

Schon bei den ersten Recherchen und in den ersten Telefonaten sollte man klären, ob es überhaupt die Möglichkeit gibt, das Thema zu realisieren. Man darf im Exposé nichts versprechen, was man nicht halten kann! Ein Problem dabei ist, dass damit die Zugänge im Prinzip bereits im Vorfeld geklärt sein müssen. Vorab muss ich also wissen, ob die von mir in Gedanken ausgewählten Protagonisten überhaupt generell mitmachen. Ich muss also zunächst einmal klären, ob das, was ich im Exposé vorschlage, das heißt als Film verspreche, überhaupt möglich ist.

Das beginnt mit banalen Wahrheiten: In einem Exposé eine Reportage über einen deutschen Flugzeugträger vorzuschlagen, wäre genauso unsinnig (weil es keinen deutschen Flugzeugträger gibt), wie der Vorschlag, einen deutschen Astronauten bei seiner Ausbildung im NASA-Camp oder eine Bundeswehr-Eliteeinheit in Afghanistan zu begleiten (um dann evtl. feststellen zu müssen, dass für solche Vorhaben prinzipiell keine Drehgenehmigungen erteilt werden). Die Realisierungsmöglichkeit muss also vorher geklärt sein. Oder ich muss darauf vertrauen, dass ich schon jemanden finden werde. Bei allgemeineren Themen kann man wohl davon ausgehen, dass man prinzipiell irgendjemanden findet, auch ohne die Protagonisten bereits vorher zu kennen. Aber auch das kann danebengehen. Das führt manchmal zu Schwierigkeiten, denn durch die erste Kontaktaufnahme mit dem Hinweis, man sei am Thema interessiert und wolle daraus einen Film machen, macht man den Protagonisten vorher Hoffnungen und muss dann vielleicht doch absagen, weil keiner den Film haben will.17

3.7  Wo ist die Story?

[30]Weiter muss das Exposé deutlich machen, wie der spezielle »Zugang« dieses Films ist. Wie stelle ich mir die filmische Umsetzung vor? Da liest man beispielsweise eine kleine Notiz in einer Lokalzeitung, dass demnächst ein Treffen von Motorradfahrern in einem kleinen Eifelstädtchen geplant ist. Interessant, denkt man. Und beginnt zu recherchieren. Das Besondere: es sind alles Harley-Davidson-Fahrer. Nehmen wir an, es stellt sich auch noch heraus, dass es das erste Mal ist, dass sich die deutschen Harley-Davidson-Fahrer überhaupt treffen. Damit wäre das Thema schnell benannt und auch durch den aktuellen Aufhänger begründet. Nun geht es im nächsten Schritt um die filmische Umsetzung. Soll es eine Reportage über den Ablauf des Treffens werden? Eine andere Möglichkeit wäre es, sich vorher zwei Motorradfahrer zu suchen und sie ein Stück in ihrem Alltag und dann zu dem Treffen zu begleiten und so den Film an den beiden Protagonisten »aufzuhängen«. Oder gibt es einen besonderen Protagonisten, vielleicht also z. B. eine hohe Managerin in einem großen Konzern oder eine Staatsekretärin? Wäre ja ein interessanter Aufhänger. Man könnte auch den Veranstalter als Hauptperson nehmen und den Schwerpunkt auf Motivation, Organisation, Vorbereitung und Ablauf der Veranstaltung legen. Eine weitere interessante Möglichkeit ist die Reportage aus dem Blick der Bewohner des kleinen Eifelstädtchens: Wie erleben die die Motorradfahrer? Welche Erwartungen und Befürchtungen haben sie? Wie bereiten sie sich auf das Treffen vor, wie diskutieren sie darüber? Fünfmal das gleiche Thema, aber durch die sehr verschiedene filmische Umsetzung werden völlig unterschiedliche Filme daraus entstehen. (Es wäre sicherlich einmal ein spannendes Experiment, mehrere Filmemacher gleichzeitig jeweils einen Film zu ein und demselben Ereignis machen zu lassen.)

Oft suchen die Redaktionen eine ganz besondere Geschichte, einen besonderen Ansatzpunkt, der dadurch auch eine Veranstaltung, die es bereits häufig gegeben hat, zu etwas Besonderem machen kann.

Also: wir suchen unsere Filmgeschichte. Die Story, die wir in der Zeitung gelesen haben, mag noch so gut sein, aber für einen TV-Beitrag brauchen wir mehr. Wir brauchen unsere Filmgeschichte. Und damit meine ich ausdrücklich nicht nur »Bilder«, mit denen der Kommentar »bebildert« werden kann. Nein, auch die Bilder sollen im Beitrag eine Geschichte erzählen.

Ein Beispiel: im Magazin »Frau-TV« im WDR gab es einen Beitrag über häusliche Pflege. Es werde so viel über das Thema geredet, so moderierte die nette Moderatorin Lisa Ortgies den Beitrag an, aber der Tenor bei diesem Thema sei meistens negativ. Es ginge also meistens über schlechte Pflegeheime, unzureichende Hilfe, überforderte Familienangehörige und Ähnliches. Aber es gäbe eben auch [31]positive Beiträge und so einen wolle »Frau-TV« jetzt zeigen: Eine Tochter pflegt ihre Mutter zu Hause – und es klappt wunderbar und alle sind sehr zufrieden. Da die Mutter im Rollstuhl sitzt und nicht mehr sprechen kann, besteht der Beitrag von »Frau-TV« im Wesentlichen aus dem langen Interview mit der Tochter. Dazwischen sehen die Zuschauer Szenen aus dem Zusammenleben von Tochter und Mutter. Das Tolle dabei ist: diese Bilder erzählen eine eigene Geschichte, die sich durch den ganzen Beitrag von sechs Minuten zieht:

Struktur des Beitrags »Wenn die Mutter alt ist« 18

•   Bild (B): Tochter macht Mutter zurecht

•   O-Ton Tochter: Meine Mutter war immer eine starke Frau …, der Kopf der Familie.

•   Kommentar (K): Mutter ist 88 Jahre

•   B: alte Familienfotos

•   K: Geschichte der Mutter, hat jetzt Osteoporose

•   O-Ton Tochter: Mutter ist seit ein paar Jahren krank.

•   B: Mutter sitzt in ihrem Schlafzimmer.

•   K: Mutter fühlt sich unsicher, sie will nicht alleine leben.

•   O-Ton Tochter: Ich stand vor der Wahl: Altersheim oder zu uns.

•   B: Mutter geht langsam die Treppe runter.

•   K: Nach einem Treppensturz der Mutter kann die Tochter sich nicht mehr alleine kümmern.

•   O-Ton Tochter: Seniorenhilfe alleine reicht nicht.

•   B: Seniorenhilfe macht die Haare.

•   B: Mutter bei Aktivitäten (Fahrradfahren)

•   O-Ton Tochter: Wir profitieren beide, ich kann meinen Beruf ausüben, sie ist gut aufgehoben.

•   B: Tochter hilft Mutter beim Einsteigen in den Wagen.

•   K: Sobald die Tochter zu Hause ist, ist sie für die Mutter da.

•   B: Fahren mit dem Auto weg.

•   K: Sie fahren zusammen zur Bank und kaufen ein etc.

•   B: Blumen kaufen

•   K: Mutter ist der Lebensmittelpunkt der Tochter.

•   O-Ton Tochter: Natürlich muss ich auf manches verzichten, dafür habe ich aber immer wieder besondere Momente mit meiner Mutter.

[32]•   O-Ton Tochter im Blumenladen: Erzählt eine kleine Anekdote mit ihrer Mutter.

•   K: Beziehung zwischen Mutter und Tochter intensiver geworden, es hat quasi einen Rollentausch gegeben.

•   B: einkaufen im Supermarkt

•   K: Tochter muss sich an vieles gewöhnen.

•   O-Ton Tochter: Manchmal will ich etwas anders machen als sie es gewohnt ist, das ist nicht einfach.

•   B: beim Bäcker

•   O-Ton Tochter: Aber es geht gut mit uns beiden.

•   B: zu Hause Blumen schneiden

•   K: Tochter musste lernen, toleranter zu sein mit der Mutter.

•   B: zuhause Blumen schneiden

•   O-Ton Tochter: Manchmal wird meine Mutter ärgerlich, das ist aber nicht gegen mich. Ich habe mich daran gewöhnt, gehe raus … und nach ein paar Minuten ist alles wieder in Ordnung.

•   K: Mutter muss akzeptieren, dass sie alt wird.

•   O-Ton Tochter: Sie merkt es selber, dass sie Namen oder Vorgänge vergessen hat, dann ist sie traurig.

•   B: Kaffee trinken im Wohnzimmer.

•   O-Ton Tochter: erzählt eine Anekdote

•   B: Kaffee eingießen

•   K: Beide genießen es, hier so gemeinsam zusammenzusitzen.

•   O-Ton Tochter: Mutter ist schon eine Belastung, aber das ist nicht nur nicht negativ, es gibt eben auch sehr schöne Momente.

•   Schlussbild: am Wohnzimmertisch Kaffee trinken

Es handelt sich hierbei um einen Beitrag von nur 6’40 Minuten Länge, aber mit vielen interessanten Strukturelementen. Der Beitrag hat sowohl eine klare Geschichte als auch eine Bildergeschichte, die mit verschiedenen Situationen die Geschichte von Mutter und Tochter ergänzt. Und das macht er in immerhin neun unterschiedlichen Stationen:

1.   Seniorenhilfe macht der Mutter die Haare,

2.   Mutter sitzt alleine im Wohnzimmer,

3.   Mutter geht mit Hilfe die Treppe runter,

4.   Mutter mit Seniorenhilfe,

5.   in den Wagen einsteigen und wegfahren,

[33]6.   im Blumenladen,

7.   beim Bäcker, Kuchen kaufen,

8.   in der Küche: Blumen schneiden, Kuchen auspacken,

9.   gemeinsames Kaffee trinken im Wohnzimmer.

Der Beitrag hat auch in seiner Bildgeschichte eine klare chronologische Struktur: von der Vorbereitung (Haare machen, Treppe runtergehen) über die Einkäufe in verschiedenen Läden, zurück in der Küche, steuert er klar auf das Ende des Beitrags zu, dem gemeinsamen Kaffee trinken im Wohnzimmer. Sehr schön erzählt und sehr schön bildlich gelöst. Die einzelnen Bildpassagen sind eben hier nicht nur einfache Bebilderungen von O-Tönen, sondern haben eine eigenständige Erzählqualität.

3.8  Keine Geschichte ohne gute Protagonisten