Der letzte Kampf der Feuergöttin - Courtney Allison Moulton - E-Book

Der letzte Kampf der Feuergöttin E-Book

Courtney Allison Moulton

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Beschreibung

Ellie steht vor der größten Herausforderung ihres Lebens: Ihr Beschützer Will wurde im Kampf von einem Dämon verletzt und vergiftet. Wenn Ellie nicht bald ein Gegengift findet, wird ihre große Liebe sterben. Als sie erfährt, dass sie eine riskante Reise auf sich nehmen muss, um das Heilmittel zu beschaffen, zögert sie keine Sekunde. Aber das ist nicht die einzige Gefahr, die sie erwartet. Ein Heer von Dämonen bereitet sich auf den letzten Kampf vor, um das Böse über die Welt zu bringen. Gemeinsam mit Will könnte Ellie sie aufhalten ...

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Buch

Ellie ist das Mädchen, das als einziges das gefährliche Engelsfeuer entfachen kann, um damit Dämonen zu bekämpfen. Doch ohne ihren Beschützer und ihre große Liebe Will ist sie in Gefahr. Will wurde beim Kampf gegen einen Dämon verletzt und vergiftet. Wenn Ellie nicht schnell ein Gegenmittel ausfindig macht, dann wird er sterben. Doch niemand weiß, woher man es bekommen kann. Als Ellie dann erfährt, dass sie ein gefährliches Wesen aufsuchen muss, um an das Heilmittel zu kommen, zögert sie keine Sekunde. Sie macht sich auf den Weg, auch wenn es tödlich für sie enden könnte. Aber wenn sie Will nicht rettet, wird sie den großen Kampf, der ihr bevorsteht, nicht bestreiten können. Die Dämonen haben sich bereits gerüstet, sie drängen auf die Erde und wollen nun endgültig alles den dunklen Mächten unterjochen und auch die letzten menschlichen Seelen einfangen. Nur Ellie könnte sie stoppen, aber dazu braucht sie Will. Ohne ihn ist sie verloren …

Weitere Informationen zu Courtney Allison Moulton

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Courtney Allison

Moulton

ANGELFIRE

Der letzte Kampf

der Feuergöttin

Band 3

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Inge Wehrmann

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel

»Shadows in the Silence« bei Katherine Tegen Books,

an imprint of HarperCollins Publishers, New York.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2014

Copyright © der Originalausgabe 2013

by Courtney Allison Moulton

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Sigrun Zühlke

NG · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-13255-2

www.goldmann-verlag.de

Für Leah Clifford,

die mich ermutigt hat,

in den Krieg zu ziehen

TEIL EINS

ALPTRAUM DER HÖLLE

EINS

Wieder und wieder hatten die Dämonischen versucht, mich zu zerschmettern, doch obwohl mein Kleid mit Wills Blut getränkt war, stand ich noch aufrecht nach diesem Abend, der so wunderschön und voller Glück begonnen hatte und so grauenhaft und blutig zu Ende gegangen war. Aber es war noch nicht vorbei. Will war nicht tot. Die Dämonischen hatten ihm das angetan, und jetzt konnte ihn nur ein dämonischer Reaper retten.

Meine Schwertspitze war auf Cadans Brust gerichtet, doch er schien sich mehr um mich zu sorgen, als um sein eigenes Leben zu fürchten. Die anderen – Ava, Marcus und Sabina – waren nicht in der Lage, mir zu helfen, doch ich wusste, dass Wills Bruder es konnte. Ich kannte sonst niemanden, der je einem Grigori gegenübergestanden hatte, einem jener Engel, die an die Erde gebunden waren statt an die Hölle. Die Grigori wussten alles über engelhafte Magie und Medizin. Will war im Begriff, am Gift eines Reapers zu sterben, und nur die Grigori wussten, wie man ihn heilen konnte. Ich brauchte Will an meiner Seite, um diesen Krieg zu gewinnen. Ohne ihn konnte ich Sammael und Lilith und ihre dämonischen Legionen nicht bezwingen.

Cadans schillernde Augen fixierten mich. »Ellie, du kannst dein Schwert wegstecken. Sag mir, was passiert ist.«

»Ich würde dich nicht um Hilfe bitten, wenn ich einen anderen Weg wüsste«, sagte ich. »Du bist der Einzige, der mir helfen kann.« Ich richtete mein Schwert auf jemanden, der mich liebte, und bat ihn, demjenigen das Leben zu retten, den ich liebte. Warum musste alles nur so kompliziert sein?

»Ich habe dir gesagt, dass ich alles für dich tun würde«, erklärte er, doch in seiner Stimme schwang ein zögernder Unterton mit. »Wenn ich etwas verspreche, halte ich es.«

»Es ist mir egal, was ich tun muss und wie gefährlich es ist«, schniefte ich, und mein Schwert erzitterte. »Ich muss ihn einfach retten.«

»Ellie.« Langsam rückte er näher und streckte mir die Hand entgegen. Das Engelsfeuer, das an seinem Arm leckte, ließ ihn vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen. Er umfasste mein Handgelenk und schob meinen Arm beiseite, bevor das Feuer seiner Haut dauerhaften Schaden zufügen konnte. Sein Körper war meinem ganz nah, so nah, dass ich mich am liebsten in seine Arme geworfen und bei ihm ausgeweint hätte. Will tröstete mich immer so. Das war sein Job, nicht der irgendeines anderen.

Mit einem erstickten Schluchzer ließ ich mein Schwert verschwinden, worauf Cadan erleichtert aufseufzte. Stirnrunzelnd nahm er mein blutverschmiertes, zerrissenes Kleid in Augenschein. Er ließ die Hände über meine Taille gleiten und presste mir die Daumen in die Seiten, wahrscheinlich, um mich auf Verletzungen zu untersuchen. Als ich nicht vor Schmerz zusammenzuckte, seufzte er erneut.

»Das ganze Blut stammt von Will?«, fragte er.

»Merodach hatte noch einen anderen Reaper mitgebracht – Rikken. Will hat ihn getötet, aber vorher wurde er von ihm gebissen. Es ist irgendein Gift. Ich habe keine Ahnung.«

»Ich kannte Rikken«, sagte Cadan. »Ein Widerling, den Bastian aufgesammelt hat, als er herausfand, wozu Rikken imstande war. Bastian hat immer die außergewöhnlichsten Kreaturen aufgelesen und dafür gesorgt, dass sie ihm treu ergeben waren, wenn er ihre Dienste brauchte.«

»Die Grigori wissen alles, stimmt’s?«, fragte ich zitternd. »Über Engelsmedizin und Magie? Sie wissen doch bestimmt, wie man ihn retten kann. Sie müssen es wissen!«

»Das wäre gut möglich«, erwiderte Cadan. »Aber die Grigori, die ich kenne, ist gefährlich. Wenn ich dich zu Antares bringe, könnte das mehr schaden als nützen. Ich habe einen Freund, der uns einen besseren Tipp geben kann.«

»Antares? Die Wächterin des Westens? Sie ist die Grigori, die du kennst?«

Er nickte müde. »Sie ist eine der vier elementaren Herrscher der Himmelsrichtungen. Darüber hinaus ist sie die Grigori, von der ich – und Will – abstammen. Bastians Geschlecht.«

»Aber Bastian war doch dämonisch«, sagte ich verwirrt. »Ich dachte, nur die engelhaften Reaper stammen von den gefallenen Grigori-Engeln ab. Die dämonischen Reaper sind Nachfahren von Sammael und Lilith. Das ergibt doch gar keinen Sinn.«

»Bastians Vater war engelhaft.«

»Machst du Witze? Bastian kann doch unmöglich zur Hälfte engelhaft gewesen sein.«

»Mein Großvater war ein direkter Nachkomme von Antares. Das ist ein wohlgehütetes Geheimnis. Antares’ Blut in unseren Adern macht uns stärker, aber unser Blut ist nicht so rein wie das eines Reapers, der näher am Ursprung ist wie Merodach und Kelaeno. Sie kamen direkt aus Liliths Schoß.«

»Will hat Kelaeno getötet«, entgegnete ich. »Und mein Engelsfeuer hat Merodach entstellt.« Diese zwei verfügten über ungeheure Kräfte, aber Will und ich hatten gezeigt, dass sie nicht unbesiegbar waren.

Cadan schenkte mir den Hauch eines Lächelns. »Du bist ein Erzengel, und Will ist ein bisschen verrückt. Du kannst dich glücklich schätzen, ihn zum Beschützer zu haben.«

Tränen brannten in meinen Augen. »Aber wenn er stirbt, verliere ich ihn.« Ich brauchte Will. Ich liebte ihn und konnte nicht ohne ihn leben.

»Bitte setz dich einen Moment, Ellie. Ich hol dir was zu trinken.« Er führte mich zum Sofa und ging in die Küche. Als ich allein zurückblieb, konnte ich es mir nicht verkneifen, mich ein bisschen umzuschauen. Cadans Wohnung war geräumig, mit viel Glas eingerichtet und mit moderner Kunst dekoriert. Durch die Fensterfront blickte man auf einen großen Balkon, hinter dem die Skyline der Innenstadt aufragte. Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich mich allein in der Wohnung eines dämonischen Reapers befand. Alles wirkte so normal, und diese Feststellung überraschte mich. Hatte ich erwartet, dass dämonische Reaper in Grotten oder hohlen Bäumen lebten? Manchmal erschienen sie einem so … menschlich.

Cadan kehrte mit einem Glas Wasser zurück. Ich nahm es entgegen, doch schon nach dem ersten Schluck wurde mir übel.

»Ich nehme dich mit ins Stammlokal meines Freundes«, sagte er. »Er kennt einen Grigori namens Virgil. Versuchen wir erst einmal das, bevor wir uns auf gefährlicheres Terrain begeben.«

»Dann lass uns gehen.« Ich sprang auf. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Er räusperte sich und schaute sich nervös um. »Warte. Du musst dir darüber im Klaren sein, dass es da, wo wir hingehen, vor dämonischen Vir nur so wimmelt. Sie sind überall. Wir können da sicher rein- und wieder rausgehen, wenn wir vorsichtig sind. Auf keinen Fall darf jemand bemerken, wer du bist.«

»In Ordnung«, stimmte ich zu. »Wie du meinst. Hauptsache, wir machen uns endlich auf den Weg.«

»Hast du begriffen, was ich gesagt habe? Nicht einmal du könntest es mit hundert Vir gleichzeitig aufnehmen.«

Ich fixierte ihn mit grimmigem Blick. »Ich hab’s kapiert, aber wir müssen uns beeilen.«

»Hast du Sachen zum Wechseln?«

»Wie bitte?«

»In diesem Kleid kannst du jedenfalls nicht aus dem Haus«, erklärte er streng.

»Es ist mir egal, wie ich aussehe!«

»Da, wo wir hingehen, solltest du lieber nicht das Blut eines engelhaften Reapers am Körper haben. Das könnte ungewollte Aufmerksamkeit erregen.«

Das Herz hämmerte in meiner Brust. Der Blick auf mein blutbeflecktes Kleid rief mir auf grausame Weise die schrecklichen Ereignisse dieser Nacht ins Gedächtnis, die so wundervoll begonnen hatte. »Ich habe nichts anderes dabei«, sagte ich leise.

»Dann müssen wir zu dir nach Hause fahren und dir ein paar Sachen holen. Also los!«

»Okay«, sagte ich und folgte ihm ohne weitere Einwände.

Wir fuhren zum Haus meiner Großmutter, wo Cadan mir auf die Veranda folgte. Nana kam aus der Haustür gestürmt und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.

»Oh, nein!«, rief sie mit schreckgeweiteten Augen und starrte zuerst Cadan an und dann mein blutgetränktes Kleid. »Ellie!«

»Reg dich nicht auf«, sagte ich beruhigend. »Er ist ein Freund von mir.«

»Was ist passiert?«, keuchte sie, indem sie mich an sich zog und nach Verletzungen suchte. »Ich dachte, ich würde dämonische Energie spüren …«

»Er war das nicht.« Ich entwand mich ihren Armen und ging ins Haus. »Das ist Cadan. Er will mir helfen.«

»Wie kann das sein?«, schrie sie und wich entsetzt zurück. »Was willst du von einem dämonischen Reaper? Was ist los?«

»Will ist verletzt«, sagte ich und war überrascht über die Kälte in meiner Stimme. Ich war emotional so erschöpft, dass ich mittlerweile fast gar nichts mehr fühlte. »Wir werden jemanden suchen, der ihn retten kann.«

Ich fasste ans Treppengeländer und drehte mich zu Cadan um. »Ich ziehe mich schnell um und bin sofort zurück. Bleib, wo du bist.«

Dann ließ ich den dämonischen Reaper mit meiner Großmutter allein und ging in mein Zimmer. Ich durchwühlte die Kommode und zog eine Jeans und ein T-Shirt heraus. Das einst wunderhübsche Kleid lag als blutiger Lumpenhaufen zu meinen Füßen. Ich widerstand dem Wunsch, es aufzuheben und auf dem Bett auszubreiten. Die Zeit drängte. Ich musste Will retten.

Als ich zurück ins Erdgeschoss geeilt war, fand ich Cadan und meine Großmutter noch am gleichen Platz vor, wo ich sie verlassen hatte. Bei meinem Anblick entspannte sie sich. Cadan machte ein freundliches Gesicht, obwohl er sich ein wenig unbehaglich zu fühlen schien.

»Cadan hat mir gerade erzählt, dass er Wills Bruder ist«, konstatierte Nana höflich.

»Halbbruder«, korrigierte er.

Ich rauschte an ihm vorbei. »Komm, wir gehen.«

Cadan folgte mir wortlos.

»Bis später«, sagte ich zu meiner Großmutter. »Aber ich weiß noch nicht, wann ich zurück bin. Mach dir keine Sorgen. Ich muss das jetzt tun.«

Ich schaute mich noch einmal nach ihr um und sah, wie sie mir mit einem matten Lächeln zunickte.

Dann machten wir uns auf den Weg.

Cadan fuhr bis in die Innenstadt. In Detroit war genauso viel los wie an jedem Abend, und selbst durch die geschlossenen Wagenfenster konnte ich fröhliches Stimmengewirr und Jazzmusik aus den Lautsprechern über dem Gehsteig hören. Cadan bog in ein Parkhaus ein und fand auf der zweiten Ebene einen freien Platz. Ohne auf ihn zu warten, stieg ich aus dem Wagen. Entschlossen stapfte ich zur Treppe. Er hatte mich mit ein paar schnellen Schritten eingeholt. Die schwere Stahltür fiel hinter uns ins Schloss, und der Knall hallte von den weißen, abgestoßenen Wänden wider. Er packte mich am Arm, ich starrte ihm ins Gesicht.

»Schalt deinen Verstand ein«, sagte er beschwörend.

»Lass mich los«, befahl ich mit eisiger Stimme und riss mich von ihm los.

»Weißt du noch, was ich dir erklärt habe?«

»Ja!«, zischte ich.

Seine Züge verhärteten sich. »Senk den Blick, und mach nicht so ein grimmiges Gesicht. Tu einfach, was ich dir sage. Und unterdrück deine Macht, damit nichts davon nach außen dringt. Zieh keine Aufmerksamkeit auf dich, sonst riskierst du dein Leben. Selbst wenn dir egal ist, was aus dir wird, denk daran, dass wir hier sind, um das Leben deines Beschützers zu retten.«

Ich wich seinem Blick aus. Er hatte recht. Ich musste mich beruhigen, wenn unsere Mission Erfolg haben sollte. Ich dämpfte meine Kraft auf ein Minimum, in der Hoffnung, mich unentdeckt in einer Gruppe von Reapern bewegen zu können – solange keiner von ihnen mein Gesicht wiedererkannte. Diese Gefahr war relativ gering, denn es gab nicht viele dämonische Reaper, die mein Gesicht gesehen und überlebt hatten.

Wir gingen ein paar Straßen weiter, entfernten uns mehr und mehr von den gut besuchten Bars und Restaurants und näherten uns dunkleren und ruhigeren Straßen. Als wir einen leeren, mit rostigem Maschendrahtzaun umzäunten Platz überquerten, traf mich eine übernatürliche Druckwelle wie ein Keulenschlag. Dämonische Macht quoll wie düsterer Nebel aus einem dunklen Gebäude und kroch wie Spinnenbeine über meine Haut, riss mit unsichtbaren Klauen an meinen Lippen und versuchte, in meinen Rachen einzudringen. Ich musste husten, worauf Cadan mich argwöhnisch musterte.

»Alles in Ordnung?«, flüsterte er.

»Ging mir nie besser.«

»Bleib in meiner Nähe. Ab hier wird es mit jedem Schritt gefährlicher.«

Ich tätschelte ihm die Schulter. »Hab keine Angst. Ich beschütze dich.«

Er lächelte kurz. »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.«

Die dämonische Energie ließ die Luft vibrieren und wurde immer stärker, als wir in eine Nebenstraße einbogen und auf eine Stahltür zugingen, die von bleichem Neonlicht erhellt wurde. Vor der Tür stand ein muskelbepackter dämonischer Reaper. Äußerlich wirkte er vollkommen menschlich – keine Hörner, Flügel oder Fangzähne –, doch seine Energie erzeugte ein leises Knistern, das ihn verriet.

Der Türsteher legte mir die Hand auf die Schulter und hielt mich auf. Offensichtlich spürte er meine Menschlichkeit, aber ich hoffte, dass dies alles war, was er spürte. Ich schüttelte seine Hand ab. Am liebsten hätte ich ihn durch die Gegend geschleudert, und ich musste mir auf die Lippe beißen, um mich zu beherrschen. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, trat Cadan vor mich.

»Sie gehört zu mir«, erklärte er.

»Habt ihr ein Date?«, fragte der Türsteher zweifelnd, während er unverhohlen meinen Körper taxierte.

Cadan nahm meine Hand und zwinkerte ihm zu. »Abendessen.«

Ich erwiderte den Druck seiner Hand, aber nicht, um ihn zu beruhigen. Ich grub die Fingernägel in seine Handfläche – eine Warnung. Sein Arm spannte sich an, erbebte unter meiner Kraft, dann riss er mich an sich. Eine Warnung an mich. Ich holte tief Luft und rief mir ins Gedächtnis, dass jegliches Zutagetreten von Macht, und sei sie auch noch so geringfügig, den dämonischen Reapern offenbaren könnte, wer ich in Wahrheit war, was uns beide das Leben kosten konnte.

Cadan wollte mich durch die Tür führen, doch der Rausschmeißer presste ihm die Hand gegen die Brust und hielt ihn auf.

»Ich kenne dein Gesicht«, sagte er mit zusammengekniffenen Augen. »Du bist Cadan. Bastians Sohn.«

Cadan lächelte charmant und zeigte seine perfekten, strahlend weißen Zähne. »Korrekt.«

»Gerüchten nach sollst du Bastian getötet haben.«

Cadans Lächeln verdüsterte sich. »Das ist kein Gerücht.«

»Es heißt, man kann dir nicht trauen.«

»Ebenfalls kein Gerücht.«

»Lässt es ratsam erscheinen, dich nicht reinzulassen.«

»Ich würde gern sehen, wie du versuchst mich aufzuhalten«, sagte Cadan kühl. »Schließlich soll ich Bastian getötet haben.«

Ich drückte erneut Cadans Hand, diesmal jedoch sanft und ermutigend. Diese Auseinandersetzung sollte sich nicht in eine testosterongesteuerte Rauferei verwandeln, die mich zwingen würde, Cadans Arsch zu retten.

»Geh zur Seite«, befahl Cadan.

Der Türsteher nahm Cadan endlich ernst und gehorchte. Cadan drängte vorwärts und zog mich mit, während ich mich nach dem Türsteher umschaute, dessen Blick mich förmlich durchbohrte. In seinen Augen blitzte kurz ein rotes Feuer auf, das gleich wieder verlosch.

Das kobaltblaue Licht des Clubs wurde von dichtem Zigarettenrauch gedämpft. Die Wände waren mit schwarzblauen Stoffbahnen verkleidet, und der glatte, dunkel geflieste Fußboden vibrierte vom langsamen rhythmischen Beat einer Musik, die mir, mehr Lärm als Melodie, in den Ohren dröhnte. Dieses Etablissement war ganz anders, als man sich einen Club vorstellte. Niemand tanzte zur Musik. Stattdessen wimmelte es von Reapern – samt und sonders dämonische Vir, soweit ich es spüren konnte. In kleinen Gruppen saßen sie an hohen Tischen oder in Banknischen und redeten. Einige gingen an uns vorbei und schauten Cadan und mich neugierig an. Eine Vir starrte mir ins Gesicht und verlangsamte ihre Schritte. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie sich uns näherte, doch Cadan zog mich an sich und funkelte die Vir mit seinen opalgrauen Augen grimmig an, als wolle er verdeutlichen, dass wir zusammengehörten, was mir äußerst unangenehm war. Schließlich ging sie weiter. Ich glaubte nicht, dass sie mich wiedererkannt hatte, doch bestimmt hatte sie gerochen, dass ich menschlich war, was hier mit Sicherheit eine Seltenheit darstellte. Und sie war nicht die Einzige, die mich beobachtete.

ZWEI

Cadans Lippen streiften mein Ohr. »Bleib in meiner Nähe, und sieh niemandem in die Augen«, flüsterte er gerade laut genug, dass ich ihn verstehen konnte. »Die Dämonischen haben Spaß am Wettkampf, und die da hat versucht, dich mir wegzuschnappen. Du müsstest deine Tarnung auffliegen lassen, um dich zu schützen.«

Ich holte tief Luft. »Wo ist dieser Freund, von dem du gesprochen hast?«

»Da drüben.«

Ein paar Tische weiter saß ein dämonischer Reaper mit ungepflegten rötlichen Haaren, die in widerspenstigen Büscheln von seinem Kopf abstanden. Seine leuchtend orangefarbenen Augen verfinsterten sich bei Cadans Anblick.

»Hast du nicht gesagt, er wäre ein Freund?«, fragte ich gereizt.

Cadan nahm meine Hand und führte mich an den Tisch. »Fast alle meine Freunde hassen mich.«

»Wieso überrascht mich das nicht?«

Der andere Vir sprang so hastig auf, dass er beinahe seinen Stuhl umgeworfen hätte. »Was zum Teufel willst du denn hier?«, schnauzte er, und seine Energie brachte meine Haut zum Kribbeln.

»Beruhig dich, Ronan«, erwiderte Cadan mit fester Stimme. »Ich bin nur hergekommen, um mit dir zu sprechen.«

Ronan musterte mich mit verächtlichem und hungrigem Blick. »Mit diesem kleinen Fleischklops?«

Ich wich seinem Blick nicht aus und zeigte keine Angst.

»Setz dich, Ronan«, befahl Cadan. »Sonst befördere ich dich selbst auf deinen Stuhl zurück. Du musst mir einen Gefallen tun.«

Ronan gehorchte widerwillig. »Wieso sollte ich dir einen Gefallen tun?«

»Schließlich bin ich dein alter Freund!«

»Du bist nicht mein Freund!«, knurrte Ronan, und seine Augen loderten wie orangefarbenes Feuer. »Du hast mir Emilia genommen!«

Ich sah Cadan kopfschüttelnd an. »Du hast ihm die Freundin ausgespannt?«

»Es ist deine Schuld, dass sie tot ist!«, rief Ronan und ballte die Hände zu Fäusten.

»Du hast seine Freundin umgebracht?«

»Ellie«, wies mich Cadan zurecht, ohne mich anzusehen.

Ronan ignorierte mich. »Ich habe dich gewarnt, dass ich dir den Kopf abreiße, wenn du mir je wieder unter die Augen trittst. Du und diese Schlampe, Ivana. Ich bringe euch beide um.«

»Ivana ist tot«, entgegnete Cadan und biss die Zähne zusammen. »Ich habe sie selbst getötet.«

Ronan starrte ihn verwundert an. »Na ja, es ist sowieso zu spät. Emilia ist tot, und daran gebe ich dir die Schuld.«

Hatte Ivana die dämonische Vir Emilia aus demselben Grund getötet, aus dem sie versucht hatte, mich zu töten, in jener Nacht, als sie mir beim Verlassen der Bibliothek aufgelauert hatte – wegen Cadans Zuneigung?

»Ich habe keine Zeit für …«

Ronan lachte bitter und fiel Cadan ins Wort. »Du. Immer geht es nur um dich. Was du willst, was du nicht hast, was du dir nehmen willst. Was dich einen feuchten Kehricht kümmert, sobald du es hast.«

»Ich hätte nichts tun können, um sie zu schützen«, sagte Cadan tonlos. »Wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte ich es getan.«

»Und wieso jetzt?«, raunzte Ronan. »Wieso wartest du achtzig Jahre lang, um sie zu rächen? Wenn du sie geliebt hättest, hättest du Ivana schon vor Jahrzehnten getötet.«

»Emilia wäre ohnehin gestorben. Sie war menschlich.«

Der andere Vir lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er schüttelte den Kopf und verzog angeekelt den Mund. »Du bist ein eiskalter Hund. Nur weil sie sterblich war, spielte es kein Rolle, dass ihr Leben ausgelöscht wurde?«

Cadans Härte bekam Risse, und in seinen Augen spiegelten sich seine wahren Gefühle. Er beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme. »Bitte, Ronan. Lass uns das morgen besprechen. Heute Abend brauche ich deine Hilfe. Nicht für mich, sondern für sie.«

Ronan schnaubte verächtlich und starrte mich an. »Dieses kleine Ding? Als Ersatz für Emilia? Oder hast du am Ende doch noch eine Vorliebe für Menschenfleisch entwickelt?«

Ich konnte meine Zunge nicht länger im Zaum halten. »Du redest von mir, als wäre ich ein Stück Fleisch zum Essen. Damit beleidigst du die Erinnerung an Emilia. War sie für dich auch nur ein ›Fleischklops‹?«

Ronan warf sich über den Tisch in meine Richtung. Krallen schossen aus seinen Fingerspitzen, und tödliche Reißzähne wuchsen aus seinem Kiefer. Meine instinktive Reaktion wäre es gewesen, zurückzuweichen und meine Schwerter heraufzubeschwören, doch bevor ich dazu kam, war Cadan auf den Beinen, langte über mich hinweg, packte Ronan am Kragen und presste ihn zurück auf den Stuhl. Wieder hätte ich beinahe meine Identität preisgegeben, und Cadan reagierte erneut, indem er mich mit einem frustrierten Blick strafte.

»Ich reiß dir die Kehle raus, wenn du sie noch einmal angreifst. Ist das klar?«, fuhr er Ronan an.

»Glasklar«, zischte Ronan und bleckte seine Reißzähne, bevor sie wieder auf die Größe normaler Zähne schrumpften.

Als Cadan sich wieder setzte, gab ich mir alle Mühe, nicht auf all die Augenpaare zu achten, die uns drei mit ihren Blicken fixierten. Das Herz klopfte mir bis zum Halse, und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Dieser Plan würde nicht funktionieren. Ich wollte einfach nur hier raus, aber wir brauchten Informationen. Wenn ich Will retten wollte, musste ich die Sache durchstehen.

Ronan musterte mein Gesicht und legte neugierig den Kopf schief. Seine Schultern hoben und senkten sich, während er versuchte, seinen Zorn im Zaum zu halten, doch je länger er mich anstarrte, desto nervöser wurde er. »Ich glaube, ich weiß, was los ist. Ich kenne dich, Cadan, und weiß, was du getan hast.«

»Zum letzten Mal, hier geht es nicht um mich«, erwiderte Cadan entschieden.

»Natürlich nicht!«, spottete Ronan und grinste hämisch. »Niemand bringt Menschen hierher, und ich weiß, dass du nicht mehr abschlachtest als ich. Ich weiß, wer sie ist.«

»Du hast keine Ahnung, wovon du redest«, ging Cadan über Ronans Unterstellung hinweg. »Wo ist Virgil?«

Ronan riss die Augen auf und warf lachend den Kopf in den Nacken. »Das ist der Beweis! Du willst wissen, wo ein Grigori ist? Dein Mäuschen ist nicht die, für die du sie ausgibst.«

»Sie ist menschlich«, knurrte Cadan. »Sei doch nicht so. Ich bitte dich. Ich liebe sie, Ronan.«

Ronans boshaftes Grinsen wurde breiter. »Und du hast sie mitten in die Höhle des Löwen gebracht. Du scheinst ja sehr in sie verliebt zu sein, wenn du sie tot sehen willst.«

Cadans Körper wurde stocksteif. »Komm, wir gehen«, sagte er hastig. »Es war ein Fehler hierherzukommen.«

Ich wollte schon meinen Stuhl zurückschieben, als Ronan sich erneut zu Wort meldete. »Ich weiß, wozu du einen Grigori brauchst, kleines Lämmchen. Wir Wölfe haben große Ohren. Wie geht’s dem großen Hammer? Verfault von innen nach außen, stimmt’s?«

Cadan hatte sich schon erhoben, als ich erschauerte und Ronan anstarrte.

»Ellie.« Cadan versuchte mich hochzuziehen, aber ich saß wie angenagelt auf meinem Stuhl.

»Dein Beschützer ist tot«, höhnte Ronan. »Geschieht ihm recht, diesem wertlosen, selbstgerechten Mistkerl.«

Cadan stieß einen wüsten Fluch aus, doch er hatte nicht die Kraft, mich aufzuhalten, als ich explodierte und die Welt sich zu langsam drehte, um mit mir Schritt zu halten. Meine Energie detonierte, und ich schleuderte den Tisch beiseite. Bevor Ronan auf den Beinen war, schoss ich über den fliegenden Tisch hinweg auf ihn zu, während meine schimmernden Schwerter sich materialisierten und mit Engelsfeuer explodierten. Wie ein Blitz aus Blut und weiß glühenden Flammen schlitzte eine der Klingen Ronans Brust auf, sodass Hemd und Haut in Fetzen hingen. Brüllend vor Schmerz presste er sich die Hände auf die Brust, als ich neben ihm landete.

Im Club brach das Chaos aus.

Dämonische Reaper stürmten aus allen Richtungen auf mich zu, und ich entfesselte meinen Erzengel-Glorienschein. Nach einem kurzen Blick ging Cadan hinter dem umgekippten Tisch in Deckung. Knurrende Gesichter und glühende Augen wurden von dem grellweißen göttlichen Licht ausgeblendet, das sogar noch tödlicher war als mein Engelsfeuer. Körper gingen explosionsartig in Flammen auf und zerfielen zu Asche, als mein Glorienschein durch die Menge fuhr und alle mit seinem brennenden Licht versengte. Ich hatte Ronan längst aus den Augen verloren und schwang unermüdlich meine Khopesh-Schwerter, deren weiße Flammen etwa ein Dutzend dämonischer Gesichter erhellten – mehr waren nicht übrig, nachdem ich meinen Glorienschein entfesselt hatte. Während eine Klinge den Hals eines Reapers durchtrennte und sich die andere in den Brustkasten eines anderen bohrte, rief ich mir ins Gedächtnis, dass Cadan irgendwo sein musste und auf meiner Seite kämpfte. Er war nicht wie Will, dem mein Engelsfeuer nichts anhaben konnte. Meine Waffen waren für Cadan ebenso tödlich wie für meine Feinde.

Ich preschte durch die Mauer aus Reapern, ihre scharfen Krallen rissen an meiner Haut, und meine Ohren dröhnten von ihrem Kreischen und Knurren. Heißes Blut tröpfelte mir über Arme und Gesicht, sickerte in meine Kleidung und verschmierte mein Haar. Als ich einem weiteren Reaper den Garaus machte, indem ich ihn vom Nabel bis zum Hals aufschlitzte, sah ich hinter den Flammen kurz Cadans Augen aufblitzen. Er riss sein Schwert aus dem Herzen eines Vir und versetzte dem schlaffen Körper einen Tritt. Zu seinen Füßen türmte sich bereits ein Trümmerhaufen.

Plötzlich schlang sich eine Hand um meinen Hals und riss mich herum. Andere Hände packten meine Arme, stoppten meine Schwerthiebe und entrissen mir die Khopesh-Schwerter. Ich stemmte mich gegen sie, doch mindestens drei Reaper hielten mich fest – es waren einfach so viele, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Ich warf mich wild hin und her. Gabriel kündigte sich an. Ich fühlte, wie dieser Teil von mir aus nachtschwarzer Tiefe an die Oberfläche schwamm. Ich sah mein Gesicht in den glänzenden schwarzen Augen des Reapers gespiegelt, der mir die Kehle zudrückte. Nach und nach versank alles in grellweißem Nichts, als ich begann, mich an meine Macht zu verlieren. Doch das durfte ich nicht zulassen. Ich spannte sämtliche Muskeln an und versuchte verzweifelt, bei Verstand und im Hier und Jetzt zu bleiben. Wenn ich mich fallen ließ, würde ich alle noch anwesenden Reaper vernichten – einschließlich Cadan.

Cadan.

Wie aus dem Nichts tauchte er auf und enthauptete den Reaper, der meinen rechten Arm festhielt. Jetzt, da ein Teil von mir sich wieder frei bewegen konnte, starrte ich der Vir in die Augen, die mir den Hals zudrückte. Ich attackierte die schwächste Stelle ihres Arms, den Ellenbogen. Das Gelenk sprang heraus, worauf sie den Kopf in den Nacken warf, vor Schmerz und Zorn aufschrie und mich losließ. Ich stieß ihr die Faust ins Gesicht, zertrümmerte ihre Nase und trieb ihr Knochen und Knorpel so tief in den Schädel, dass sie augenblicklich zu Stein wurde – tot.

Dann kümmerte ich mich um den letzten Reaper, der meinen anderen Arm festhielt, und rammte ihm das Knie in den Magen, worauf er sich stöhnend zusammenkrümmte. Plötzlich fiel ein Schatten über uns. Keuchend schaute ich auf und sprang im letzten Moment zur Seite, bevor Cadan sein Schwert durch den Hals des Reapers und so knapp an meinem Hals vorbeisausen ließ, dass er mich um ein Haar ebenfalls enthauptet hätte. Der Griff des Reapers lockerte sich, bevor er sich in einen Steinhaufen verwandelte.

Ein dämonischer Energieschub entlud sich vor meinem Gesicht, und ich wurde durch den Raum geschleudert wie eine Puppe, der man einen Tritt verpasst. Mit voller Wucht knallte ich gegen einen Tisch. Schmerz durchzuckte meine Wirbelsäule, und das Holz der Platte zerbarst unter der Wucht meines Aufpralls. Als ich aufblickte, starrte ich in das Gesicht einer Vir, die durch die Luft auf mich zugeschossen kam. Ich rollte mich vom Tisch und landete auf dem Boden, kurz bevor sie auf den Tisch herunterkrachte, der unter ihr zu Bruch ging. Ich kroch zu meinen Schwertern. Sie fing schon an, mir mit ihren scharfen Krallen die Kleider zu zerfetzen, als ich die silbernen Griffe ertastet hatte. Im Nu sprang ich auf und stürzte auf sie zu. Mein Schwert verschwand in ihrer Brust, glitt zwischen den Rippen hindurch und zerschredderte ihr Herz. Als sie kurz aufschrie, bevor ihr Körper in Flammen aufging, spürte ich hinter mir eine weitere dämonische Präsenz. Mit einem entschlossenen Schrei wirbelte ich herum und ließ meine Klinge auf einen nackten Hals zu sausen, hielt jedoch erschrocken inne, als mir plötzlich Cadan in die Augen sah, dem ich um ein Haar den Kopf abgeschlagen hätte. Das Engelsfeuer erlosch, und ich senkte das Schwert, worauf er erleichtert aufatmete.

»Tut mir leid«, murmelte ich, beschämt darüber, dass ich ihn beinahe umgebracht hätte.

»Kein Problem.« Er schaute sich unbehaglich um, doch wir hatten alle dämonischen Vir zur Strecke gebracht. Die weibliche Vir war die letzte gewesen – abgesehen von Cadan. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ich gerade Seite an Seite mit einem dämonischen Reaper gekämpft hatte. Damit hätte ich nie und nimmer gerechnet. Aber er hatte mir Deckung gegeben, so wie Will es immer getan hatte.

Dann fiel mir wieder ein, warum wir hergekommen waren. »Ronan«, stöhnte ich und sah mich panisch im Clubraum um.

Cadan und ich sahen ihn gleichzeitig in Richtung Ausgang eilen, doch er war schneller als ich. Er bewegte sich mit Reaper-Turbogeschwindigkeit, verschwand kurz von der Bildfläche, um direkt vor Ronans Nase wieder aufzutauchen. Mit gebündelter dämonischer Kraft stieß er Ronan gegen die Brust und schleuderte ihn durch die Luft. Krachend polterte er gegen Stühle und Tische, bevor er auf dem Boden aufschlug. In null Komma nichts war er wieder auf den Beinen, doch Cadan packte ihn am Hals, stemmte ihn hoch und knallte ihn so heftig wieder auf den Boden, dass einige Fliesen zu Bruch gingen.

»Hiergeblieben!«, brüllte Cadan ihm ins Gesicht.

Ronan schrie vor Schmerz und Zorn, kniff die Augen zusammen, während seine Zähne zum Raubtiergebiss mutierten, worauf Cadan zurückwich und mich vortreten ließ. Ronan schaute zu mir auf, als ich meinen Fuß auf seiner Kehle platzierte und ihm das brennende Khopesh-Schwert vors Gesicht hielt. Langsam hob er die Hände und ergab sich.

»Es ist vorbei«, keuchte ich. »Außer dir ist niemand mehr übrig. Es ist keiner mehr da, um dir den Arsch zu retten.« Der Club war vollkommen zerstört. Asche und Gesteinsbrocken bedeckten den Boden, als hätte es einen Erdrutsch gegeben. Zersplitterte Tische und Stühle, zerfetzte Sofas und zertrümmerte Bodenfliesen boten ein jammervolles Szenario. Ich sah wieder zu Ronan hinab, der nicht wagte, den Blick von mir zu wenden.

»Du hast ungeheure Macht, Gabriel«, flüsterte Ronan. »Ich verstehe, dass er dir folgt.«

Ich war mir nicht sicher, ob er meinen Beschützer oder Cadan meinte. Doch das spielte momentan keine Rolle. »Ich will nicht noch mehr Blut auf diesem Boden vergießen. Wirst du mir freiwillig helfen, oder muss ich dich dazu zwingen?«

»Nicht alle von uns sind Höllenkrieger«, erwiderte der Reaper vorsichtig. »Einige wollen einfach nur leben.«

Ich hob das Kinn und fixierte den dämonischen Reaper mit gebieterischer Miene, brachte Gabriels grimmige Seite zum Vorschein und präsentierte Ronan mein furchterregendstes Erzengel-Gesicht. »Offenbar hast du dich von meiner menschlichen Hülle täuschen lassen. Da du ein dämonischer Reaper bist, der keine Menschen abschlachtet, bin ich gewillt, dir die Gnade des Himmels zu erweisen, statt dich in Feuer und Asche zu verwandeln. Wenn du leben willst, musst du mir sagen, was du weißt. Wo kann ich den Grigori-Engel finden, der als Virgil bekannt ist?«

»Es tut mir leid, Gabriel«, sagte Ronan und wandte kurz den Blick ab. »Aber ich habe schlechte Nachrichten. Virgil ist tot. Er wurde zusammen mit einigen anderen Grigori in den letzten paar Wochen getötet, wahrscheinlich von der Bestie, die Bastian entfesselt hatte.«

»Sammael«, knurrte ich und hatte plötzlich einen bitteren Geschmack auf der Zunge. »Er will die Grigori auslöschen.«

Ronan nickte. »Ich habe gehört, dass er versucht, alles auch nur andeutungsweise Engelhafte zu vernichten, was eine Bedrohung für ihn darstellen könnte. Sobald er stark genug ist, nimmt er sich die Kardinäle vor.«

»Du meinst, die obersten Grigori?«, fragte ich. »Die Herrscher des Nordens, Südens, Ostens und Westens?«

»Ja. Die Wächter mögen zwar an die Erde gebunden sein, aber in diesen Gefilden sind sie die Einzigen, die an die Macht der Erzengel heranreichen – abgesehen von dir natürlich.«

Cadan schnaubte frustriert. »Als Erstes wird er Antares angreifen, die Herrscherin des Westens, weil sie uns am nächsten ist. Sie ist an die Berge gebunden und befindet sich oben in den Rocky Mountains.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Können die Kardinäle überhaupt getötet werden?«

»Alles, was durch göttliche Macht erschaffen wurde, kann durch göttliche Macht ausgelöscht werden«, erklärte Ronan. »Alle unterliegen den Gesetzen des Gleichgewichts.«

Was die Erzengel einschloss – und sogar Sammael selbst. Sammael war einst ein Engel gewesen. Wenn er erschaffen worden war, konnte er auch vernichtet werden. Das weckte ein Fünkchen Hoffnung in mir. Wir hatten die Chance, einen der Grigori-Herrscher vor Sammael zu schützen. Und sobald Will geheilt war, konnten wir Sammael endgültig auslöschen, bevor er weitere der Wächter-Engel vernichten konnte.

»Virgil ist tot«, wiederholte ich und sprach meine Gedanken laut aus. »Sind noch andere Grigori hier in der Nähe, Ronan? Irgendwer, der das Gift eines dämonischen Reapers bekämpfen kann?«

»Tut mir leid«, sagte Ronan verzagt. »Aber ich kann euch wirklich nicht weiterhelfen. Ich wünsche euch Glück – ganz ehrlich. Sammael darf nicht zu Ende bringen, was er begonnen hat.«

Ich gab Ronan frei und ließ meine Schwerter verschwinden, während er sich erhob. »Cadan.« Seufzend wandte ich mich meinem Freund zu. »Wir müssen Antares finden, bevor Sammael sie aufspürt. Wenn er sie tötet, können wir Will nicht retten.«

Er schloss die Augen. »Vielleicht gibt es einen anderen …«

»Nein!« Mein Schrei hallte durch den leeren Clubraum und ließ die beiden dämonischen Reaper zusammenfahren. Er war so schrill, dass ich mich selbst erschrak. Ich holte tief Luft, um mich zu beruhigen, aber meine Lippen wollten nicht aufhören zu zittern. »Wir müssen es versuchen. Wenn du mir nicht helfen willst, dann mache ich mich allein auf die Suche nach ihr. Sammael hat das Grimoire, und ich habe keine Ahnung, wo sich die Kopie befindet, die Nathaniel angefertigt hat. Wenn Antares feindselig ist, werde ich gegen sie kämpfen!«

»Ellie!«, protestierte er. »Lass uns doch bitte darüber nachdenken …«

»Wir haben keine Zeit mehr zum Rumsitzen und Nachdenken!«, rief ich. »Die Herrscherin des Westens ist nur ein paar Staaten entfernt, und wir können in wenigen Stunden dort sein. Willst du mir denn nicht helfen? Willst du Will nicht retten?«

»Mir liegt nichts an ihm!«, schrie Cadan, und seine opalgrauen Augen flammten auf. »Mir liegt was an dir! Nur für dich werde ich helfen, sein Leben zu retten, weil du ihn liebst. Ich tu das alles nur für dich!«

Tränen liefen mir über die Wangen, und ich begrub das Gesicht in meinen Händen. Vielleicht verlangte ich zu viel von ihm. Vielleicht war es falsch, ihn auf diese Weise zu benutzen. Erst vor wenigen Minuten hatten wir gegen Dutzende von dämonischen Vir gekämpft, und er hatte mir sogar das Leben gerettet.

»Ich will dir doch nicht wehtun«, wimmerte ich. »Es tut mir leid.«

»Sobald Will die Augen aufschlägt, wird er versuchen, mich zu töten«, sagte Cadan atemlos. »Ich helfe dir, ihn zu retten, und werde ihn nicht aufhalten, wenn er mich umbringen will.«

Fassungslos starrte ich ihn an. »Ich kann nicht zulassen, dass du dein Leben auf diese Weise wegwirfst.«

»Genauso wenig wie ich zulasse, dass du deines wegwirfst.«

Ich hatte vollkommen vergessen, dass Ronan immer noch da war und wir uns immer noch in dem zerstörten Club befanden. Cadan machte keinerlei Versuch, mich zu berühren, doch er bebte am ganzen Körper, als würde er einen erbitterten inneren Kampf ausfechten.

»Ich werde Antares finden – ob mit oder ohne deine Hilfe«, sagte ich schließlich. »Aber mit deiner Hilfe wäre es garantiert einfacher.«

Er sah mich prüfend an, und wieder senkte sich jenes bange Schweigen über uns herab, als würden wir an einer Steilklippe entlanghangeln, wo uns jederzeit eine Windböe erfassen und in den Abgrund reißen konnte. »Ich will dir helfen. Ich komme mit.«

»Danke«, sagte ich mit zittriger Stimme.

»Antares wird wissen, was es braucht, um Will zu heilen«, sagte er. »Sie wird alles wissen, was wir brauchen, denn sie … hat den Ursprungstext des Grimoire verfasst.«

»Antares hat das Grimoire geschrieben?«, rief ich ungläubig.

Cadan nickte und senkte den Blick.

»Dann müssen wir unbedingt zu ihr«, sagte ich und schöpfte neuen Mut. »Sie weiß alles über göttliche Magie. Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Warum wolltest du erst einen anderen Grigori suchen? Sie ist diejenige, die wir brauchen!«

Der neue Hoffnungsschimmer machte mich ganz verrückt, und er legte die Hände um mein Gesicht, um mich zu beruhigen. »Weil Antares uns die Informationen nicht freiwillig herausgeben wird«, sagte er eindringlich. »Wenn sie uns nicht gleich umbringt, wird sie einen Preis fordern. Und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie hoch er sein wird.«

Ich griff nach seinen Händen und zog sie sanft von meinem Gesicht. »Das ist mir egal. Ich würde alles tun, um ihn zu retten.«

Er atmete ganz langsam ein und wieder aus und schloss für einen Moment die Augen. »Ellie, ein Grigori ist nicht wie du oder Michael oder Azrael. Sie sind immer noch gefallene Engel. Sie sind hier gefangen. Die Erde ist ihr Gefängnis. Antares ist eine der vier Kardinäle dieser Welt und die Mächtigste unter ihresgleichen. Sie sind die Wächter, und sie sind an den Ort gebunden, an dem sie gefallen sind.«

Ich schüttelte verständnislos den Kopf. »Was meinst du damit?«

»Ich will damit sagen, dass Antares vor Anbeginn der Zeit gefallen ist. Sie sitzt hier in der Falle. Die Wächter-Kardinäle sind praktisch wahnsinnig, Ellie. Sie müssen schon so lange fast vollständig isoliert dem Lauf der Welt zuschauen, dass sie zu Naturgewalten geworden sind. Und du … du bist ein Erzengel. Du hast sie in diese Lage gebracht. Ich habe keine Ahnung, was sie tun wird, wenn sie dich sieht.«

Hatte ich die Kraft, in meinem menschlichen Körper gegen sie zu kämpfen, wenn sie mich angriff? Welchen Preis würde sie für Wills Heilung von mir fordern?

»Er hat recht«, sagte Ronan hinter uns. »Ich habe Geschichten über sie gehört, aber Cadan ist der Einzige, den ich kenne, der je einem der Herrscher begegnet ist. Du solltest weise genug sein, seinen Rat anzunehmen.«

Ich drehte mich zu ihm um und kniff die Augen zusammen. Meine Hände zitterten, und ich ballte sie zu Fäusten, um sie ruhig zu halten. »Ich habe keine Zeit, weise zu sein, während mein Beschützer im Sterben liegt. Ich muss alles tun, was ich kann, um ihn zu retten. Hättest du für Emilia nicht dasselbe getan?«

Seine Augen leuchteten eine kleine Nuance heller auf als zuvor. »Wenn ich so verrückt gewesen wäre wie du, könnte sie noch am Leben sein.«

»Manchmal ist Verrücktheit ein überraschend erfolgreicher letzter Ausweg«, erwiderte ich. Dann machten Cadan und ich uns auf den Weg zum Ausgang.

»Cadan«, rief Ronan, und wir drehten uns beide zu ihm um. »Wenn du sie liebst, lass sie ziehen. Du weißt, dass dir keine andere Wahl bleibt.«

Cadan biss die Zähne zusammen, verkniff es sich jedoch, mit Worten oder Taten zu reagieren. Ich legte ihm die Hand auf den Arm und zog ihn mit.

»Komm, wir gehen«, sagte ich leise. »Er kann nichts anderes sagen.«

Er ließ sich von mir aus dem Club führen, und wir trotteten schweigend zu seinem Wagen. Mir schwirrten zu viele Gedanken durch den Kopf, um Small Talk zu machen, und ich nahm an, dass es ihm nicht anders erging. Wir wussten beide, dass ich ihn benutzte, aber er war bereit, sein Leben zu riskieren, um mir zu helfen. Mir war das alles viel zu viel. Ich konnte an nichts anderes denken als an Will, der sterbend auf einem Küchentisch lag.

Ich stieg in den Wagen, schnallte mich an und lehnte mich zurück. Meine Augen wollten einfach nicht offen bleiben und fielen mir immer wieder zu.

»Du solltest ein bisschen schlafen«, sagte Cadan, als er den Motor anließ.

Ich schüttelte den Kopf, krampfhaft bemüht, mich wach zu halten. »Ich darf nicht einschlafen.«

Doch dann fielen mir die Augen zu.

DREI

Noch im Halbschlaf spürte ich die kühle, feuchte Luft auf meinem Gesicht und hatte den Geruch des Ozeans in der Nase. Ein frischer Wind fuhr durch mein Haar und riss an meinen Kleidern. Ich schlug die Augen auf und starrte auf das Meer, das, wie ich erschrocken feststellte, nicht vor mir, sondern mindestens hundert Meter mir tobte. Riesige Wellen brachen sich am Fuß der Klippe, über deren Rand ich mich beugte. Entsetzt schnappte ich nach Luft. Mein Herz raste, und ich wich taumelnd zurück.

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