Der letzte Sommertag - Marc Hofmann - E-Book

Der letzte Sommertag E-Book

Marc Hofmann

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Beschreibung

Im Sommer 1990 scheint alles möglich für den jungen Niels. Deutschland steht im WM-Finale, er ist verliebt und die Welt liegt ihm zu Füßen. Heute, 30 Jahre später, steht Niels vor dem Grab seines Vaters und betritt erstmals wieder das Dorf seiner Kindheit. Zweifel kommen auf, an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Vergangenheit. Was passierte wirklich, an jenem letzten Sommertag 1990, an dem er sein Heimatdorf abrupt verließ und nie wieder zurückkehren wollte? Eine Geschichte über Freundschaft und Rache, Liebe und Schuld – und über die Augenblicke, die unser Leben für immer verändern.

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Kirschbuch Verlag

Zum Buch:

Als Niels Cerny nach drei­ßig Jah­ren in sein Hei­mat­dorf zu­rück­kehrt, ist er nicht nur ge­kom­men, um sei­nen Va­ter zu be­er­di­gen. Er muss et­was klä­ren, das ihn seit dem Som­mer 1990 wie ein Schat­ten ver­folgt. Wie­der trifft er auf sei­ne Ju­gend­freun­de Ralf und Vol­ker, und er ahnt, dass sie tie­fer in die Ge­scheh­nis­se je­ner Ta­ge ver­strickt sind, als ihm lieb ist … Was ist wirk­lich pas­siert an je­nem Som­mer­tag, der al­les ver­än­der­te?

Ein Ro­man über das Er­wach­sen­wer­den, Freund­schaft und Schuld und über die Hoff­nung auf ei­nen Neu­an­fang.

Zum Au­tor:

Marc Hof­mann, Jahr­gang 1972, ist Gym­na­si­al­leh­rer, Au­tor, Ka­ba­ret­tist und Lie­der­ma­cher und lebt in Frei­burg.

Vor ei­ni­gen Jah­ren sorg­te der Är­ger dar­über, dass ei­ne Ur­laubs­lek­tü­re nicht sei­nen Er­war­tun­gen ent­sprach, da­für, dass er be­gann, selbst ei­nen Ro­man zu schrei­ben. Die­ser Ro­man wur­de im Ja­nu­ar 2016 un­ter dem Ti­tel ›Al­les kann war­ten‹ bei CON­BOOK ver­öf­fent­licht. Da­zwi­schen schrieb Marc Hof­mann ei­ne Sa­ti­re über den Schul­be­trieb, die im Som­mer 2015 bei Tro­pen un­ter dem Ti­tel ›Der Klas­sen­feind‹ ver­öf­fent­licht wur­de, und in An­leh­nung dar­an ein gleich­na­mi­ges Ka­ba­rett­pro­gramm, das er re­gel­mä­ßig live spielt. In sei­ner vie­len Frei­zeit tritt er als Ka­ba­ret­tist, Lie­der­ma­cher und Vor­le­ser auf. Er hat kei­ne wei­te­ren Hob­bys.

Sei­ne Kri­mi­rei­he um den er­mit­teln­den Gym­na­si­al­leh­rer Gre­gor Hor­vath er­schien ab 2021 bei Knaur. ›Ali­ve!‹ und ›Der letz­te Som­mer­tag‹ er­schie­nen bei­de im Kirsch­buch Ver­lag.

Marc Hofmann

 

 

 

Der letzte Sommertag

 

 

 

Roman

 

Kirschbuch Verlag
Im­pres­s­um Ver­öf­fent­licht im Kirsch­buch Ver­lag,ein Im­print der Qua­li­Fic­ti­on GmbHNeß 1, 20457 Ham­burgMai 2023Co­py­right © 2022by Qua­li­Fic­ti­on GmbH, Ham­burgUm­schlag­ge­stal­tung: Qua­li­Fic­ti­on GmbHSatz: Qua­li­Fic­ti­on GmbHISBN 9783948736279

 

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Für Zoë, Silas & Greta
Nobody on the road, nobody on the beach,I feel it in the air, the summer’s out of reach.Empty lake, empty streets, the sun goes down alone,I’m drivin’ by your house, though I know you’re not home.

 

Don Henley, The Boys of Sum­mer

 

 

 

 

There´s malice and there´s magic in every season.

 

Elvis Costello, The Other Side of Sum­mer

 

 

 

 

Was ich besitze, seh’ ich wie im Weiten,Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

 

Goethe, Faust

 

1  Heu­te

Mit sechs Jah­ren sagt der Sohn: »Der Pa­pa kann al­les.« Mit neun: »Der Pa­pa kann fast al­les.« Mit 15: »Mein Pa­pa ist ein ziem­li­cher Trot­tel.« Mit 21: »Der ist und bleibt ein Voll­trot­tel.« Mit 28: »Wenn ich so dr­ü­ber nach­den­ke: So blöd ist der al­te Herr ei­gent­lich gar nicht.« Und mit 40: »Wenn ich nur noch mit dem Va­ter re­den könn­te.«

Die­se Sät­ze, ir­gend­wann ein­mal ge­hört oder ge­le­sen, fal­len ihm ein, als er in der Trau­er­hal­le am of­fe­nen Sarg sei­nes to­ten Va­ters steht und auf ihn hin­abblickt. Ein­ge­fal­len sieht er aus, die­ser über­gro­ße Mann sei­ner Kind­heit, und viel klei­ner, als er ihn in Er­in­ne­rung hat. Sie ha­ben sich nur noch ein­mal ge­se­hen, seit er vor ziem­lich ge­nau drei­ßig Jah­ren von hier weg­ge­gan­gen ist. Ein gran­di­os ge­schei­ter­ter Ver­such der Aus­s­pra­che, ei­ne An­ein­an­der­rei­hung von Schuld­zu­wei­sun­gen, falsch ge­wähl­ten Wor­ten und schließ­lich Sprach­lo­sig­keit, Zorn und ein Ab­schied oh­ne Ver­ab­schie­dung. Da­nach noch ein paar Te­le­fona­te, ober­fläch­li­cher Small­talk, und jetzt ist er tot.

Und Niels Cerny ist zum ers­ten Mal wie­der zu Hau­se. Dort, wo ein­mal sein Zu­hau­se ge­we­sen ist. Vor lan­ger Zeit.

No­va­lis fällt ihm ein und sei­ne Zei­len Wo­hin ge­hen wir? Im­mer nach Hau­se.

Er ver­lässt den Fried­hof, idyl­lisch ge­le­gen, ein we­nig ober­halb am Dorf­rand, geht zu sei­nem Au­to, ei­nem schwar­zen 240er Vol­vo, Bau­jahr 92, und fährt los. Er will nicht zu sei­nem jetzt leer­ste­hen­den El­tern­haus, da­für ist spä­ter noch Zeit. Statt­des­sen fährt er am Haus sei­ner Groß­el­tern vor­bei, das im­mer noch steht und dem Ver­fall trotzt, und dann die Haupt­stra­ße ent­lang, die sich sehr ver­än­dert hat. Das al­te Rat­haus mit dem Ki­no ist noch da. Wie vie­le Stun­den er als Kind vor dem Schau­kas­ten mit den Film­pla­ka­ten ver­bracht hat. Und spä­ter dann auch in die­sem Ki­no selbst. Be­vor er den Füh­rer­schein hat­te, fast je­den Sams­tag­abend. Es gab sonst ja nicht viel hier.

Da­ne­ben ein ab­surd un­pas­sen­der Glas­bau der Spar­kas­se. Er denkt an Knax-Hef­te, Welt­spar­tag und Fahn­dungs­pos­ter mit Schwarz­weiß­por­träts von Ter­ro­ris­ten. Die al­te Metz­ge­rei ist jetzt ein Dö­ner-Im­biss und der al­te HL-Su­per­markt – El­do­ra­do sei­ner Kind­heit, die ers­te Bra­vo mit Ne­na auf dem Co­ver, das ers­te Päck­chen Zi­ga­ret­ten, Ches­ter­field, ein Rie­sen­pack Wrigley’s Spe­ar­mint Kau­gum­mis mit Auf­kle­bern al­ler Bun­des­li­ga­ver­ei­ne, so vie­le, dass er sie ver­schen­ken muss­te, weil er kei­ne Kau­gum­mis mehr se­hen konn­te – ist jetzt ein kalt und an­onym aus­se­hen­der Piz­za-Lie­fer­ser­vice. Der Ort wirkt wie die schlecht ge­al­ter­te Ku­lis­se ei­nes Films, der nur in sei­ner Er­in­ne­rung läuft.

Ei­ni­ge Häu­ser kennt er aus sei­ner Kind­heit, er sieht Ge­sich­ter, Kin­der- und Ju­gend­zim­mer, Vi­deoa­ben­de, Schall­plat­ten­samm­lun­gen.

Er biegt ab, um ei­nen Blick auf den Sport­platz zu wer­fen, die­sen so wich­ti­gen Ort sei­ner Ju­gend, und er­schrickt, als er dort ein Neu­bau­ge­biet vor­fin­det, aber dann fällt ihm wie­der ein, dass Vol­ker ihm das schon ein­mal er­zählt hat.

Er fährt aus der Orts­chaft hin­aus zu dem gro­ßen Su­per­markt an der Bun­des­stra­ße, um sich für die nächs­ten Ta­ge mit dem Nö­tigs­ten ein­zu­de­cken, da er nicht weiß, was er in sei­nem El­tern­haus vor­fin­den wird: Kaf­fee, Milch, Toast­brot, Klo­pa­pier.

Vor der Kas­se wirft er ei­nen Blick auf die Zeit­schrif­ten. Er zählt neun Ma­ga­zi­ne über Trak­to­ren und an­de­re Land­ma­schi­nen, aber kein 11 Freun­de, kein Ci­ne­ma, kein Rol­ling Stone oder Mu­si­kex­press. Will­kom­men zu Hau­se in der Pro­vinz, denkt er.

Niels fährt zu­rück ins Dorf und parkt vor dem Hof von Vol­ker und Da­ni­e­la an der Stra­ße. Er läuft durch den Tor­bo­gen, und wäh­rend er das Haus, den Hof und die Scheu­ne be­trach­tet, wird ihm bei­na­he schwind­lig davon, wie Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart sich ver­mi­schen, wie Jah­re zu­sam­men­schrump­fen, sich über­la­gern und mit­ein­an­der rin­gen, wor­um auch im­mer.

Bis auf das Fach­werk­haus, das sicht­bar re­no­viert wur­de, sieht al­les ge­nau­so aus wie vor fast auf die Wo­che ge­nau drei­ßig Jah­ren, als in je­ner un­glücks­eli­gen Ju­li-Nacht nicht nur der er­eig­nis­rei­che Som­mer 1990 en­de­te, son­dern von ei­nem Tag auf den an­de­ren auch sei­ne Ju­gend.

 

2  Früh­jahr 1990

Sie sa­ßen am See im Schat­ten der gro­ßen Wei­de und lie­ßen den Sams­tag­nach­mit­tag an sich vor­bei­zie­hen. Vol­ker, Ralf und Niels wa­ren Freun­de seit dem Kin­der­gar­ten.

Das Tau, von dem sie sich, seit sie Kin­der wa­ren, je­den Som­mer un­zäh­li­ge Ma­le ins Was­ser ge­schleu­dert hat­ten, hing reg­los hin­ab. Der Som­mer kün­dig­te sich lang­sam an, in der Son­ne war es fast schon zu warm, auch wenn das Was­ser im See noch zu frisch war, um dar­in zu ba­den. Sie lun­ger­ten trä­ge und ziel­los her­um, selbst Vol­ker hat­te an die­sem Nach­mit­tag nichts zu ar­bei­ten, sein Va­ter hat­te ihm frei­ge­ge­ben. Ralf hing in dem al­ten Rei­fen, den sie im Was­ser gern als Ba­de­in­sel be­nutz­ten, Vol­ker lag auf der Holz­bank, den Kopf auf der Arm­leh­ne, die er mit ei­nem Ka­pu­zen­pull­over ge­pols­tert hat­te, und Niels saß ge­gen ei­nen Baum­stumpf ge­lehnt auf dem Bo­den. Aus ei­nem Kas­set­ten­re­kord­er lief Pop­mu­sik, ein Ta­pe mit Künst­lern, auf die sie sich ei­ni­gen konn­ten, ob­wohl sie ei­gent­lich un­ter­schied­li­che Sa­chen gut fan­den: Bo­wie, Ka­te Bush, Prince und der al­les über­strah­len­de Sound­track die­ses Jah­res: The Boys of Sum­mer, ein Lied, das zwar schon ein paar Jah­re alt war, das Ralf aber un­längst wie­der­ent­deckt und auf Au­to­fahr­ten in die Schu­le oder nach Hau­se so lan­ge hat­te lau­fen las­sen, bis auch die an­de­ren bei­den in sei­ne Be­geis­te­rung ein­ge­stimmt hat­ten.

»Ich bleib jetzt erst mal Sin­gle, mir reicht’s«, ver­kün­de­te Ralf un­ver­mit­telt, und Vol­ker und Niels jaul­ten auf, so oft hat­ten sie die­sen Spruch schon ge­hört, und dann dau­er­te es höchs­tens bis zum Wo­chen­en­de, und Ralf traf ein Mäd­chen auf ei­ner Par­ty, und viel­leicht wur­de ge­k­nutscht, und er schrie wie­der her­um, wie ver­liebt er war und dass es dies­mal rich­tig ge­knallt ha­be und die­se die Rich­ti­ge sei, und dann dau­er­te es noch ei­ne Wo­che, bis sie ihn ab­ser­vier­te, nerv­lich zer­rüt­tet von Ralfs er­ra­ti­schem Ver­hal­ten, oder ihm ka­men die ers­ten Zwei­fel, was bei ihm im­mer ganz schnell ge­hen konn­te, und er sag­te et­was wie »Ach, ich weiß nicht so recht, viel­leicht klappt das doch nicht mit der, au­ßer­dem möch­te ich mich jetzt noch nicht so rich­tig fest­le­gen, wer weiß, viel­leicht kommt ja noch et­was Bes­se­res, denn so ei­ne Ent­schei­dung für et­was ist ja auch im­mer ei­ne Ent­schei­dung ge­gen al­les an­de­re.«

Und da­mit war ei­gent­lich schon das Wich­tigs­te über Ralf ge­sagt. Sprung­haft, rast­los, im­mer auf der Su­che oder auf der Flucht, je nach­dem. Spä­ter hät­te man bei ihm wohl AD­HS dia­gnos­ti­ziert, in den Acht­zi­ger­jah­ren war er ein­fach für vie­le ei­ne Rie­sen­ner­ven­sä­ge, die sich auf nichts kon­zen­trie­ren konn­te. Je­des Jahr hing sei­ne Ver­set­zung an ei­nem sei­de­nen Fa­den, und im­mer ge­lang es ihm, ent­ge­gen al­ler Pro­gno­sen zum Halb­jahr, das Ru­der noch ein­mal her­um­zu­rei­ßen. Meist ret­te­te er sich durch meh­re­re Kraft­ak­te in den letz­ten Klas­sen­ar­bei­ten, denn wenn er sich ein­mal hin­setz­te, war es ei­gent­lich al­les gar kein Pro­blem für ihn, au­ßer­dem be­stach er durch münd­li­che Em­sig­keit, denn re­den konn­te er, auch wenn der In­halt mit­un­ter frag­wür­di­ger Na­tur war. Dumm war er nicht, wie ein Leh­rer ein­mal be­merk­te.

»Wie­so, was ist mit Ma­ren?«, frag­te Niels.

»Ach, ich weiß auch nicht, ir­gend­wie ist das nichts«, ant­wor­te­te Ralf, und das konn­te jetzt al­les Mög­li­che hei­ßen, auch, dass sie mit ihm Schluss ge­macht hat­te.

»Viel­leicht soll­test du dich mal da­mit ab­fin­den, dass das mit Su­san­na Hoffs nichts mehr wird«, mein­te Vol­ker und glucks­te be­lus­tigt ob Ralfs Ob­ses­si­on mit der schö­nen Sän­ge­rin der Bangles. Ei­ne ein­sei­ti­ge An­ge­le­gen­heit, man konn­te es nicht leug­nen.

»Pah«, mach­te Ralf. »Das ist noch lan­ge nicht ge­sagt. Viel­leicht schreib ich ihr ja mal. Ihr wer­det euch noch wun­dern.«

»Viel­leicht bist du ja doch schwul«, rief Niels und nahm ei­nen Schluck Bier.

Ralf schmiss ihm ei­nen klei­nen Kie­sel­stein ans Bein.

»Da­durch, dass man ei­nen Witz un­ab­läs­sig wie­der­holt, wird er nicht au­to­ma­tisch bes­ser, Niels Cerny.«

»Das mag sein, aber es war auch gar nicht als Witz ge­dacht. Ich fin­de, du soll­test noch mal in dich ge­hen und da wirk­lich dr­ü­ber nach­den­ken, war­um das mit den Frau­en nicht klappt.«

»Ja und mit wem soll ich dann schwul sein? Mit dir am En­de noch? Wenn ich mir die­ses Trau­er­spiel mit dir und den Frau­en so an­schaue, bist eher du hier der Schwu­li.«

Da hat­te er teil­wei­se recht. Schwul war er nicht, des­sen war Niels sich ziem­lich si­cher. Aber Niels und die Frau­en, das war ein über­schau­ba­res Ka­pi­tel. Au­ßer ein paar Par­ty­knut­sche­rei­en hat­te er erst ei­ne rich­ti­ge Freun­din ge­habt, Stef­fi, sie wa­ren ein hal­b­es Jahr zu­sam­men ge­we­sen. Vor drei Mo­na­ten hat­te sie Schluss ge­macht. Es hat­te erst kurz ge­schmer­zt, er ver­miss­te sie aber nicht son­der­lich. Eher das Ge­fühl, ei­ne Freun­din zu ha­ben, das hat­te ihm ge­fal­len.

Seit ei­ni­ger Zeit war er in ein Mäd­chen ver­liebt, das davon nichts ahn­te. Si­bel, die schö­ne Schwes­ter sei­nes Fuß­ball­kol­le­gen Me­tin, spiel­te op­tisch, wie er fand, min­des­tens ei­ne Li­ga über ihm, in der so­zi­a­len Hi­er­ar­chie der Ge­gend als Tür­kin al­ler­dings eher dar­un­ter. Letz­te­res ent­sprach nicht sei­ner ei­ge­nen Sicht, es war eher all­ge­mei­ner Kon­sens. Es wa­ren die Kin­der der ers­ten tür­ki­schen Gast­ar­bei­ter­ge­ne­ra­ti­on, in Deutsch­land ge­bo­ren, die hier zwar wohn­ten und Klas­sen­ka­me­ra­den und Fuß­ball­kol­le­gen wa­ren, aber doch nie ganz Teil der Dorf­ge­mein­schaft. Sie wur­den zwar eher sel­ten dis­kri­mi­niert, aber auch nie rich­tig in­te­griert.

Das Pro­blem mit Si­bel, die ein Jahr un­ter ih­nen in die 12. Klas­se des Kreis­gym­na­si­ums ging, war mo­men­tan, dass sie nichts von Niels’ Lie­be zu ihr ahn­te. Er hat­te es noch nicht ein­mal über sich ge­bracht, sei­nen bei­den bes­ten Kum­pels davon zu er­zäh­len. Er sah auch nicht, wie er Si­bel je­mals an­spre­chen soll­te. Ih­re schie­re Schön­heit schüch­ter­te ihn zu sehr ein.

»Es tut mir leid, euch das so di­rekt sa­gen zu müs­sen«, sag­te Vol­ker, »aber es gibt ak­tu­ell Wich­ti­ge­res als Ralfs und Niels’ se­xu­el­le Ori­en­tie­rung.«

»Ja, ver­dammt, da hat er recht, der Herr Mayer«, rief Ralf und sprang auf.

Niels grins­te nur.

Am nächs­ten Tag stand das Der­by an. Feld­hau­sen ge­gen Ross­bach. A-Ju­gend.

Die bei­den Nach­bar­or­te zeich­ne­te ei­ne Ri­va­li­tät aus, de­ren Ur­sprün­ge weit vor der Ge­burt der drei Freun­de la­gen. Sie wur­de seit Ge­ne­ra­ti­o­nen von El­tern an Kin­der wei­ter­ge­ge­ben. Vor al­lem Niels’ Va­ter, der au­ßer­dem ihr Trai­ner war, leb­te sie sehr aus­ge­prägt.

Feld­hau­sen, ihr Hei­mat­ort, hat­te et­wa drei­tau­send Ein­woh­ner und ging fast naht­los in ei­nen klei­ne­ren Orts­teil na­mens Ross­bach über, der aber aus ir­gend­ei­nem Grund ei­ne an­de­re Vor­wahl hat­te und ei­ner an­de­ren Kreiss­tadt zu­ge­ord­net war.

Da­her gin­gen Kin­der und Ju­gend­li­che in al­ler Re­gel auf un­ter­schied­li­che wei­ter­füh­ren­de Schu­len. Doch auch ne­ben die­ser er­zwun­ge­nen Tren­nung herrsch­te in al­len Be­lan­gen des All­tags ei­ne selt­sa­me und für die meis­ten un­er­gründ­li­che Ab­nei­gung ge­gen den je­weils an­de­ren Orts­teil. Ge­schicht­lich ließ sich das da­her er­klä­ren, dass Feld­hau­sen bis in die Neun­zehn­hun­dert­fünf­zi­ger­jah­re ein über­re­gi­o­nal wich­ti­ges Salz­berg­werk und da­her auch ei­nen gro­ßen Gü­ter­bahn­hof hat­te, was be­deu­te­te, dass die Ein­woh­ner größ­ten­teils Berg­leu­te, Fah­rer, Bahn­hofs­be­diens­te­te, al­so Ar­bei­ter und kauf­män­ni­sche An­ge­stell­te so­wie de­ren Vor­ge­setz­te, wa­ren, wäh­rend in Ross­bach eher Land­wirt­schaft vor­herrsch­te. Dies konn­te man im­mer noch spü­ren, auch wenn es längst kein Berg­werk mehr gab. Der An­teil von Kin­dern aus Feld­hau­sen, die aufs Gym­na­si­um gin­gen, war un­gleich hö­her als im Nach­bar­ort, wor­aus die je­weils vor­herr­schen­den Ste­reo­ty­pen ent­stan­den, dass die Ross­ba­cher al­les Bau­ern, die Feld­hau­se­ner al­les ein­ge­bil­de­te Lack­af­fen sei­en.

Am deut­lichs­ten wur­de die Ri­va­li­tät zwi­schen den bei­den Orts­tei­len beim Fuß­ball. Niels’ Va­ter war ein Füll­horn an An­ek­do­ten über die­sen Zwist und er­zähl­te gern Ge­schich­ten aus sei­ner Ju­gend, wie die, in der er und sei­ne Kum­pels in der Nacht vor ei­nem Spiel ei­ne Kuh­her­de auf den Ross­ba­cher Sport­platz ge­lockt hat­ten, die nicht nur den Platz ver­wüs­te­te, son­dern auch bis zum An­pfiff am nächs­ten Tag nicht mehr von dort weg­zu­be­we­gen war, wor­auf die Feld­hau­se­ner dann wo­chen­lang den ei­ge­nen Platz be­wach­ten, um die Ver­gel­tung zu ver­hin­dern. Oder wie sie auf ei­ner Par­ty zwei be­trun­ke­ne Ross­bach-Spie­ler in ei­nen Gar­ten­schup­pen sperr­ten, wo sie erst am nächs­ten Abend ge­fun­den wur­den und so das Der­by am Nach­mit­tag ver­pass­ten.

So groß die ge­gen­sei­ti­ge Ab­nei­gung zwi­schen den Ein­woh­nern auch war, es hat­te zu­meist auch im­mer et­was Spie­le­ri­sches, es war ei­ne Art Volks­sport. Wenn es dar­um ging, das Fast­nachts­feu­er der an­de­ren in der Nacht vor der ei­gent­li­chen Ver­an­stal­tung an­zu­zün­den, dann war das im­mer auch ei­ne Art Wett­be­werb, bei dem es sel­ten zu Hand­greif­lich­kei­ten kam.

Dass die Her­ren­mann­schaf­ten bei­der Ver­ei­ne in der zweit­un­ters­ten Kreis­klas­se spiel­ten, mach­te in dem Fall über­haupt nichts aus. Wäh­rend in Ross­bach die Fuß­ball­be­geis­te­rung der Be­woh­ner ins­ge­samt et­was grö­ßer war und man als Jun­ge ei­gent­lich im Fuß­ball­ver­ein sein muss­te, ver­irr­ten sich in Feld­hau­sen an man­chen Sonn­ta­gen ge­ra­de mal zwan­zig Zu­schau­er auf den Sport­platz, um sich die Ers­te Mann­schaft an­zu­schau­en. Au­ßer, wenn es ge­gen Ross­bach ging. Dann wa­ren be­reits zwei Stun­den vor Spiel­be­ginn sämt­li­che Park­plät­ze voll, und bis Spiel­be­ginn wur­den al­le Stra­ßen und so­gar Ho­fein­fahr­ten der Um­ge­bung zu­ge­parkt, was nicht sel­ten zu wil­dem Ge­schrei und Fäus­te­schüt­teln mit An­woh­nern, die sich nicht für Fuß­ball in­ter­es­sier­ten, führ­te.

Bei die­sen Spie­len lag je­des Mal von An­fang an ei­ne Span­nung in der Luft. Men­schen, die sich je­den Tag im La­den oder bei der Ar­beit be­geg­ne­ten, im Ki­no, im Schwimm­bad, am See oder bei Ju­gend­frei­zei­ten, die viel­leicht so­gar mit­ein­an­der ver­wandt wa­ren, be­schimpf­ten ein­an­der aufs Übels­te. Es wa­ren die­se Mo­men­te, in de­nen aus dem Spiel der ge­gen­sei­ti­gen Ab­nei­gung für ei­nen Mo­ment un­bän­di­ger Hass wer­den konn­te.

Vor zwei Jah­ren muss­te ein Spiel zwi­schen den bei­den Mann­schaf­ten ab­ge­bro­chen wer­den, es hat­te vier ro­te Kar­ten ge­ge­ben, Zu­schau­er wa­ren auf Spie­ler los­ge­gan­gen, und am En­de muss­te der Schieds­rich­ter sich noch in sei­ner Ka­bi­ne ver­schan­zen, bis die Po­li­zei ihn hin­aus­es­kor­tier­te.

Das al­les konn­te man, wenn­gleich meist in ab­ge­mil­der­ter Form, auch bei den Ju­gend­spie­len beo­b­ach­ten.

Und am nächs­ten Tag stand ein sol­ches von be­son­de­rer Bri­sanz an. Bei­de Mann­schaf­ten spiel­ten noch um die Meis­ter­schaft. Das Hin­spiel hat­ten die Ross­ba­cher knapp ge­won­nen. Es war ei­ne hart ge­führ­te Be­geg­nung ge­we­sen, die ein paar Mal kurz vor dem Ab­bruch ge­stan­den hat­te, so sehr hat­ten sich Spie­ler und Zu­schau­er be­kriegt. Ein Ross­ba­cher Zu­schau­er war Ralf so­gar über den Platz ge­folgt und hat­te ver­sucht, ihn mit sei­nem Re­gen­schirm zu mal­trä­tie­ren.

Aber es gab ei­ne Sa­che, auf die man sich bis­her im­mer hat­te ver­las­sen kön­nen. Egal, wie es aus­ar­te­te, wenn al­les vor­bei war, gab man sich die Hand und trank ein Bier zu­sam­men.

 

Auf der an­de­ren See­sei­te fuhr ein Au­to mit ho­her Ge­schwin­dig­keit über den Feld­weg. Au­ßer den drei Freun­den war nie­mand am See, das Was­ser war noch zu kalt. Das Au­to war ein auf­ge­motz­ter wei­ßer Golf GTI. Die drei sa­hen sich an. Sie wuss­ten, wer da auf sie zu­kam.

Der Golf nä­her­te sich der Stel­le, an der sie sa­ßen.

Der Fah­rer brems­te so stark, dass es staub­te, das Au­to rutsch­te noch ein paar Me­ter über den Feld­weg und kam kurz vor Niels’ mint­grü­nem Ka­dett zum Ste­hen, den ihm sein Opa ver­macht hat­te, der ihn nicht mehr brauch­te. »Ich fahr so­wie­so nir­gends mehr hin«, hat­te er ver­kün­det und war ei­ne Wo­che spä­ter fried­lich in sei­nem Bett ein­ge­schla­fen, ein Ver­lust, der Niels auch nach ei­nem Jahr noch im­mer un­end­lich schmer­z­te. Es hat­te ein be­son­de­res Band be­stan­den zwi­schen ihm und sei­nem Opa.

»Fuck«, sag­te Ralf.

»Na, ihr klei­nen Wich­ser!« Der Fah­rer sprang aus dem Au­to und strahl­te die drei an. Wie er wirk­lich hieß, war ih­nen gar nicht be­kannt, al­le nann­ten ihn Chuck. Ver­mut­lich, so glaub­te Niels, hat­te es et­was mit Chuck Nor­ris zu tun, wie sonst kam man auf so ei­nen be­knack­ten Na­men? Au­ßer­dem pass­te er zu ihm. Je­mand, der hieß, wie er aus­sah. Ein un­ter­setz­ter Typ mit kurz­ge­scho­re­nen Haa­ren, des­sen Au­gen bös­ar­tig fun­kel­ten, auch wenn er grins­te. Er trug im­mer Ar­mee­ho­sen mit schwe­ren Stie­feln, heu­te ein wei­ßes Un­ter­hemd da­zu. Aus den an­de­ren Tü­ren schäl­ten sich drei wei­te­re Ross­ba­cher, al­les Fuß­bal­ler. Bei­fah­rer war der ir­re Di­e­go mit sei­nem Pfer­de­schwanz, heu­te hat­te er ein Ban­da­na mit To­ten­kopf-Mus­ter über sei­ne schwar­zen Haa­re ge­zo­gen. Es ging das Ge­rücht, dass er koks­te und ei­ne Pis­to­le mit sich trug. Kei­ner der drei hat­te sie je ge­se­hen, aber es wur­de im­mer wie­der davon be­rich­tet. Di­e­go pro­vo­zier­te gern Schlä­ge­rei­en auf Par­tys und Fes­ten und flog bei Spie­len re­gel­mä­ßig vom Platz.

Ralf und er wa­ren vor ei­ni­gen Mo­na­ten auf ei­ner Par­ty an­ein­an­der­ge­ra­ten, weil Ralf mit ei­nem Mäd­chen ge­kom­men war, in das sich of­fen­bar auch Di­e­go ver­guckt hat­te. Der Abend en­de­te da­mit, dass Di­e­go dem Mäd­chen ein Bier ins Ge­sicht schüt­te­te, Ralf auf ihn los­ging, Di­e­go ihn laut­stark nach drau­ßen zum Kampf be­or­der­te und schließ­lich Vol­ker dem Gan­zen in sei­ner un­miss­ver­ständ­li­chen Art ein En­de be­rei­te­te. Wenn Vol­ker der Kra­gen platz­te, was nach au­ßen kaum er­kenn­bar war und sich ganz tief in sei­nem In­ne­ren ab­spiel­te, dann strahl­te er ei­ne kom­pro­miss­lo­se Ge­fähr­lich­keit aus, die selbst Di­e­go an die­sem Abend in­stink­tiv wahr­nahm, wes­halb er wut­schnau­bend die Par­ty ver­las­sen hat­te.

Hin­ter Di­e­go stieg Erik aus dem Golf, ein rot­haa­ri­ger, som­mer­spros­si­ger, drah­ti­ger Mit­läu­fer. Ne­ben ihm kam Klotz, ein Bul­le von Typ, des­sen Kopf im­mer zu klein im Ver­gleich zum Rest sei­nes Kör­pers wirk­te. Klotz hieß tat­säch­lich so mit Nach­na­men, Iro­nie des Schick­sals.

»Macht ihr wie­der mal das, was ihr am bes­ten könnt?«, frag­te Chuck mit schmie­ri­gem Grin­sen. »Be­scheu­ert aus­se­hen und vor euch hin gam­meln?«

»Das wa­ren aber vie­le Wör­ter auf ein­mal«, kon­ter­te Ralf, »hast du das auf dem Weg hier­her aus­wen­dig ge­lernt, oder was?«

»Mor­gen könnt ihr was er­le­ben, da ver­hau­en wir euch die Är­sche«, wech­sel­te Klotz das The­ma, es brann­te ihm wohl zu sehr un­ter den Nä­geln.

Erik hat­te ein blau­es Au­ge, wie Niels in dem Mo­ment auf­fiel.

»Net­tes Au­ge«, sag­te Ralf auch prompt, »hat dich dein Va­ter mit dei­ner Mut­ter er­wi­scht?«

In Eriks Au­gen lo­der­te et­was auf, aber Vol­ker, der al­te Me­di­a­tor, de­es­ka­lier­te, in­dem er frag­te: »Wollt ihr ein Bier oder was?«

So war Vol­ker. Er konn­te übel aus­tei­len, wenn ihm was ge­gen den Strich ging, Un­ge­rech­tig­keit mach­te ihn ra­send, und man woll­te nicht in sein Vi­sier ge­ra­ten, wenn er rich­tig wü­tend wur­de, aber sonst war er ein Mann des Aus­gleichs.

Und tat­säch­lich lös­te sei­ne Fra­ge die Span­nung auf.

»Da sa­gen wir nicht Nein«, er­wi­der­te Chuck, der Wort­füh­rer.

Ralf stand lang­sam auf, ging zum Was­ser, hol­te das Netz mit den Fla­schen her­aus, nahm ei­ne und hielt sie den Ross­ba­chern hin.

»Teilt sie euch.«

Chuck und Di­e­go blick­ten ihn fins­ter an. Ralf blieb see­len­ru­hig ste­hen. Zu lan­ge, wie Niels schien, der et­was un­ru­hig wur­de. Ge­ra­de mit Di­e­go mach­te man sol­che Spä­ße ei­gent­lich nicht. Man konn­te se­hen, wie sich et­was in ihm auf­stau­te, und es wür­de nicht mehr lan­ge dau­ern, bis es her­aus­brach.

Ralf zö­ger­te bis zum letz­ten Mo­ment, dann sag­te er: »Witz! Nehmt euch, was ihr braucht.«

Niels at­me­te er­leich­tert aus und sah zu Vol­ker, der die Au­gen­brau­en hoch­zog und von Ralf zu Di­e­go sah und dann zu Niels.

Die Ross­ba­cher murr­ten, hol­ten sich ih­re Bie­re und öff­ne­ten sie mit Feu­er­zeu­gen und Ta­schen­mes­sern, die sie aus ihren Ho­sen­ta­schen hol­ten. Wenn man auf dem Land ei­nes wuss­te, dann, wie man oh­ne Öff­ner ei­ne Bier­fla­sche auf­be­kam. Di­e­go nahm sei­ne Fla­sche in den Mund und knack­te den Kron­kor­ken mit den Zäh­nen. Al­le vier hol­ten Zi­ga­ret­ten her­vor und zün­de­ten sie an. Vol­ker bot ih­nen Plät­ze auf dem Bo­den im Schat­ten an, aber die vier blie­ben ste­hen.

»Al­so, wie sieht’s aus, ihr Pen­ner, habt ihr schön trai­niert?«, mein­te Ralf. »Wir wol­len mor­gen Geg­ner, kei­ne Op­fer so wie sonst.«

»Ihr habt kei­ne Chan­ce«, knurr­te Di­e­go mit leich­tem spa­ni­schen Ak­zent. Er war als Kind mit sei­nen El­tern hier­her­ge­zo­gen, und Niels ver­mu­te­te, der Ak­zent sei eher ei­ne Ma­sche, als dass er wirk­lich so sprach.

»Nee, wirk­lich, das müsst ihr ein­fach ein­se­hen. Ihr könnt nicht ge­gen uns ge­win­nen«, sag­te Chuck grin­send.

Im Ge­gen­satz zu dem un­be­re­chen­ba­ren Di­e­go konn­te man Chuck ein­ord­nen: Haupt­schu­le mit Ach und Krach, Au­to­me­cha­ni­ker, hör­te Böh­se On­kelz und fiel im­mer mal durch rech­te Sprü­che auf. Hat­te auch schon ei­ni­ge Be­geg­nun­gen mit Po­li­zei und Ju­gend­rich­ter ge­habt und ei­nen Hang zu kör­per­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen bei zu viel Al­ko­hol. Aber man wuss­te, wie er tick­te. Er war in sei­ner klein­kri­mi­nel­len Ar­schig­keit ei­ni­ger­ma­ßen aus­zu­rech­nen. Da­zu hat­te er ei­ne na­tür­li­che Aus­s­trah­lung, die ihn zum Al­phar­üden der Ross­ba­cher mach­te, und an der Art, wie er re­de­te, ver­ri­et er mit­un­ter, dass er in­tel­li­gen­ter war, als sei­ne Bio­gra­fie glau­ben mach­te.

»Ab­war­ten«, sag­te Vol­ker.

»Nein, du ver­stehst mich nicht«, sag­te Di­e­go lei­se und trat ganz nah an Vol­ker her­an. »Ihr wer­det lei­den.«

Chuck grins­te breit und hob sei­ne Bier­fla­sche. »Ihr habt es ge­hört. Dann schlaft mal gut, die Da­men.«

Er schmiss die Fla­sche auf den Bo­den, wo sie im Dreck lie­gen blieb, die Kip­pe warf er hin­ter­her, die an­de­ren ta­ten es ihm gleich, und sie lie­fen zu­rück zum Golf an Niels’ Ka­dett vor­bei.

»Die­ses Au­to ist ei­ne Be­lei­di­gung für je­den Fach­mann«, sag­te Chuck kopf­schüt­telnd. »Von die­ser Far­be be­kommt man Au­gen­krebs. Aber es passt zu euch.«

»Ich nehm das als Kom­pli­ment«, rief Niels.

Die vier lach­ten ge­häs­sig, stie­gen in ihr Au­to, Chuck ließ den Mo­tor heu­len und die Rei­fen durch­dre­hen, und dann fuh­ren die Ross­ba­cher in ei­ner gro­ßen Staub­wol­ke davon.

 

3  Heu­te

Auf ein­mal steht Vol­ker in der Tür, in je­der Hand ei­ne Bier­fla­sche, und er sieht ge­nau­so aus wie da­mals, als wä­re bei ihm die Zeit still­ge­stan­den.

Zu­min­dest auf den ers­ten Blick ist es sein al­ter Kum­pel, dann, als Vol­ker die Stu­fen hin­ab­steigt, al­tert er im Zeit­raf­fer, fast bis zur Un­kennt­lich­keit, das Haar schüt­te­rer, Fal­ten, wo frü­her kei­ne wa­ren, die Ge­sichts­zü­ge ir­gend­wie kan­ti­ger, aus­ge­präg­ter, aber als Vol­ker den Mund auf­macht, ist er mit ei­nem Mal wie­der jung.

»Der Künst­ler«, sagt Vol­ker, und Niels sucht nach An­zei­chen von Iro­nie, denn in der süd­deut­schen Pro­vinz gel­ten nicht­hand­werk­li­che Be­ru­fe, zu­min­dest war das frü­her so ge­we­sen, als nicht ganz ernst zu neh­men, aber so wie Vol­ker das sagt, klingt es wie ei­ne wert­freie Fest­stel­lung. Der Künst­ler. Das ist er. Niels Cerny, Schrift­stel­ler und Mu­si­ker. Nach sei­nem Weg­gang von hier nach Ber­lin schrieb er ein Jahr lang an sei­nem ers­ten Ro­man, gleich­zei­tig grün­de­te er sei­ne Band. Der Ro­man Der Mit­ter­nachts­mann ver­kauf­te sich gut, die Band er­gat­ter­te ei­nen Plat­ten­ver­trag. Die ers­ten bei­den Plat­ten in den Neun­zi­gern char­te­ten or­dent­lich, ein klei­ner In­die­hit mit dem Ti­tel Mi­le­na – beim Schrei­ben hat­te er an Si­bel ge­dacht – war da­bei, dann ein Auf­tritt bei Rock am Ring 1993, nach­mit­tags zwar, aber im­mer­hin. Er hat­te wei­te­re Ro­ma­ne ver­öf­fent­licht, die Ver­kaufs­zah­len sei­nes De­büts aber nie mehr er­reicht. Die Band lös­te sich 1997 auf, seit­her ver­öf­fent­lich­te er ein paar So­lo­al­ben und tour­te so­lo, die Ver­käu­fe wur­den über die Jah­re im­mer we­ni­ger, die Clubs klei­ner, aber bis­her reich­te es zum Über­le­ben. Ralf und Vol­ker wa­ren ei­ni­ge Ma­le zu Le­sun­gen oder Kon­zer­ten nach Frei­burg und Ba­sel ge­kom­men, zwei­mal hat­ten sie ihn in Ber­lin be­sucht.

Er ist zum ers­ten Mal seit drei­ßig Jah­ren in Feld­hau­sen. Und er plant nicht, lan­ge zu blei­ben.

»Der Bio-Bau­er«, sagt Niels.

»Ja«, sagt Vol­ker und at­met viel­sa­gend ein und wie­der aus. »Das bin ich wohl.«

Kurz zö­gern bei­de, ob sie sich um­ar­men sol­len, seit Co­ro­na über­denkt man die­se Art von Be­rüh­rung, aber dann win­ken bei­de ab, neh­men sich in die Ar­me und klop­fen ein­an­der auf Män­ner­art auf Schul­tern und Rü­cken.

»Ralf schon da?«, fragt Niels.

Vol­ker schnaubt. »War der schon je­mals pünkt­lich?«

Niels zuckt mit den Schul­tern und schaut sich um. Ne­ben dem Wohn­haus sieht er die Scheu­ne und dar­in ei­nen ro­ten Mc­Cor­mick-Trak­tor, den schon Vol­kers Va­ter hat­te.

»Ist das der­sel­be?«, fragt Niels.

Vol­ker nickt.

»Sind un­ver­wüst­lich, die Din­ger.«

»Bier?«, fragt Vol­ker.

»Un­be­dingt.«

Wäh­rend Vol­ker die Fla­schen öff­net und ihm ei­ne reicht, muss Niels an ei­nen Tag den­ken, den er als per­fekt ab­ge­spei­chert hat. Sie wa­ren viel­leicht zehn ge­we­sen. Wein­le­se oder Herbs­ten, wie man es hier nann­te, in den Re­ben von Vol­kers Fa­mi­lie.

Niels’ Opa war da­bei ge­we­sen, der ein al­ter Freund von Vol­kers Opa war, au­ßer­dem Vol­kers gan­ze Fa­mi­lie und noch ein paar Be­kann­te. Sie hat­ten den gan­zen Tag ge­schnit­ten und ge­schleppt, ir­gend­wann sind ein paar Frau­en zu­rück ins Dorf ge­fah­ren und kur­ze Zeit spä­ter mit Es­sen zu­rück­ge­kom­men. Ves­per, Bau­ern­brot, Kä­se, Wurst, Gur­ken, Senf, Trau­ben. Da­zu Was­ser, Sü­ßer Spru­del, den gab es bei Niels zu Hau­se nie, und neu­en sü­ßen Wein, von dem die Kin­der so­gar je­der ein Glas trin­ken durf­ten. Dann zog der Him­mel über Frank­reich zu, die Son­ne fand noch ein paar Stel­len, um das gan­ze Rhein­tal li­la-oran­ge zu fär­ben, Wet­ter­leuch­ten überm AKW Fes­sen­heim. Al­le sa­hen ge­spannt zu den Al­ten, ob das ein Ge­wit­ter wür­de, ob man das Es­sen ab­bre­chen müss­te. Niels’ und Vol­kers Opas sa­hen sich an, schüt­tel­ten die Köp­fe. »Zieht wei­ter«, stell­ten sie fest, und so war es.

Vol­kers Frau Dani er­scheint im Tür­rah­men. Sie ist, so­weit Niels weiß, die ein­zi­ge Frau, die Vol­ker je hat­te. In der zwöf­ten Klas­se wa­ren sie ein Paar ge­wor­den und bis heu­te ge­blie­ben. Am An­fang wa­ren Niels und Ralf über­rascht ge­we­sen, Vol­ker, der ru­hi­ge, aus­ge­gli­che­ne, viel­leicht et­was lang­wei­li­ge Bau­ern­sohn, und die tem­pe­ra­ment­vol­le Da­ni­e­la, von der man nie ge­dacht hät­te, dass sie hier im Ort hän­gen blei­ben wür­de; die im­mer gro­ße Plä­ne hat­te, rei­sen, stu­die­ren, im Aus­land le­ben, von Aus­tra­li­en hat­te sie gern ge­spro­chen, wie Niels sich er­in­ner­te.

Of­fen­bar war der Bio­bau­ern­hof mit Hof­la­den der Kom­pro­miss, den sie ge­fun­den hat­ten. Vol­ker blieb sei­nen Wur­zeln treu, und Da­ni­e­la konn­te sich zu­min­dest ein we­nig ver­wirk­li­chen, in­dem sie plan­te, or­ga­ni­sier­te, das Ge­schäft­li­che, den Ein­kauf, die Buch­hal­tung re­gel­te.

»Sie hat die Vi­si­o­nen, ich bin der Knecht«, so be­schrieb Vol­ker das ein­mal, und es war, wie im­mer bei Vol­ker, un­klar, wie er das wer­te­te. Niels glaub­te, die­se Auf­tei­lung war sei­nem al­ten Kum­pel nicht un­recht.

»Niels.« Da­ni­e­la kommt die Trep­pe hin­un­ter und um­armt ihn, oh­ne zu zö­gern. »Mein Bei­leid.«

Niels nickt und sieht zu Vol­ker, der sich ver­le­gen am Kopf kratzt und dann auch et­was von Bei­leid mur­melt. Vol­ker ist, wie vie­le Män­ner im süd­deut­schen Raum, kein Freund von all­zu expli­zi­ten Ge­fühls­äu­ße­run­gen.

»Dan­ke«, sagt Niels. »Ihr wisst ja, war schwie­rig mit ihm.«

Dani nickt.

»Und dan­ke, dass ihr euch um ihn ge­küm­mert habt.«

»Müs­sen wir noch et­was re­geln we­gen der Be­er­di­gung mor­gen?«, fragt Dani.

Niels spürt mit ei­nem Mal ei­nen hef­ti­gen, ste­chen­den Kopf­schmerz, der ihn zu­sam­men­zu­cken lässt. Er reibt sich die Schlä­fe.

»Nein, hab mit dem Be­stat­ter al­les ge­klärt«, presst Niels her­vor.

»Al­les in Ord­nung?«, fragt Dani, und Niels nickt.

»Ich hab noch je­man­den ge­fun­den von der Spiel­ge­mein­schaft Feld­hau­sen-Ross­bach«, Letz­te­res spricht Vol­ker selt­sam ge­spreizt aus, »der ein paar Wor­te sagt.«

»Dan­ke«, sagt Niels, »denn ich wer­de das si­cher nicht tun.«

 

4  Frü­her

Als Niels nach Hau­se kam, mäh­te sein Va­ter mit Ba­de­ho­se und nack­tem Ober­kör­per den Ra­sen. Ei­nes muss­te man ihm las­sen: Es war ihm wirk­lich völ­lig egal, was ir­gend­je­mand über ihn dach­te. Lei­der sag­te die­se Ei­gen­schaft auch viel über sei­ne So­zi­al­kom­pe­tenz und sei­ne Stur­heit aus.

Er sah Niels an, als er ihn kom­men sah, und stell­te den Mä­her ab.

»Wo kommst du jetzt her?«

»Vom See.«

»So be­rei­tet ihr euch auf das Spiel mor­gen vor? Bier trin­ken, rau­chen und am En­de noch kif­fen.«

Niels sah sei­nen Va­ter an, der auch gleich­zei­tig sein Trai­ner war.

»Wir ha­ben nicht ge­raucht und nicht ge­kifft, und es wa­ren zwei Bier je­der, und jetzt ist es sie­ben Uhr abends, ich weiß nicht, was das Scheiß­pro­blem ist.«

»Mach, wie du meinst«, mur­mel­te sein Va­ter, »du spielst so­wie­so nicht.«

Ob­wohl sein Va­ter ihm sei­ne Ent­schei­dung schon am Don­ners­tag nach dem Trai­ning mit­ge­teilt hat­te, durch­fuhr Niels ein Schmerz. Ge­nau ge­nom­men hat­te er sie ihm auch gar nicht mit­ge­teilt, er hat­te ein­fach in der Be­spre­chung die Auf­stel­lung durch­ge­ge­ben, und da war Niels’ Na­me nicht da­bei ge­we­sen. Trotz­dem tat es weh. Er hät­te gern ge­spielt, auch wenn er sel­ten in der Star­telf war. Aber ge­gen Ross­bach, das war ein­fach et­was Be­son­de­res.

Niels’ Va­ter war ein gu­ter Fuß­bal­ler ge­we­sen, er hät­te sehr hoch­klas­sig spie­len kön­nen, wur­de im­mer er­zählt, aber ein Kreuz­band­riss ver­hin­der­te sei­ne Kar­ri­e­re, und so blieb ihm nichts wei­ter, als die Feld­hau­se­ner Ju­gend zu trai­nie­ren, ein Kom­pro­miss, denn ganz oh­ne Fuß­ball le­ben konn­te er nicht. Er galt als gu­ter Trai­ner, war ge­schätzt für sein Fach­wis­sen und be­liebt für sei­ne raue, aber herz­li­che Art, aber Niels er­leb­te ihn auch an­ders, vor al­lem ihm ge­gen­über. Ver­bit­tert bis zur Bös­ar­tig­keit. Im­mer öf­ter, wie ihm in die­sem Mo­ment wie­der be­wusst wur­de.

Und in letz­ter Zeit glaub­te Niels den Grund oder die Grün­de da­für zu ver­ste­hen.

Niels war acht ge­we­sen, als sei­ne Mut­ter ver­schwun­den war.

Es hat­te lan­ge ge­dau­ert, bis er zu­min­dest im An­satz ver­stan­den hat­te, was pas­siert war, weil sein Va­ter nicht dar­über sprach.

Sie war im Grun­de nicht ver­schwun­den, sie war ge­gan­gen. Hat­te ihren Mann und ih­re Kin­der ver­las­sen. Kei­ne Nach­richt, kein Brief.

Sein Va­ter war ein Ar­bei­ter, hand­werk­lich ge­schickt, kör­per­lich ak­tiv, bo­den­stän­dig, prag­ma­tisch. Al­les, was er wuss­te, wuss­te er seit Lan­gem, er hat­te sich ein­ge­rich­tet in sei­ner Welt­sicht, wuss­te, was gut war, was schlecht, was funk­ti­o­nier­te und was nicht. Wenn er sich mit an­de­ren Män­nern un­ter­hielt über Fuß­ball oder Po­li­tik, dann sag­te er Din­ge wie ›Komm er­zähl mir nichts, ich weiß Be­scheid‹ und mach­te da­zu ei­ne pas­sen­de ab­win­ken­de Hand­be­we­gung. Er re­de­te von de­nen da oben, die kei­ne Ah­nung hät­ten vom wirk­li­chen Le­ben.

Was ihm miss­fiel, war Scheiß­dreck, Lob, wenn über­haupt, wur­de eher non­ver­bal ge­äu­ßert, nach dem süd­deut­schen Mot­to: Nicht ge­schimpft ist ge­nug ge­lobt.

Sei­ne Frau war völ­lig an­ders ge­we­sen, und Niels hat­te den Ver­dacht, dass die bei­den so grund­ver­schie­den ge­we­sen wa­ren, dass es ein­fach nicht funk­ti­o­nie­ren konn­te.

Sei­ne Mut­ter war ei­ne Künst­le­rin, das wur­de ihm im­mer kla­rer; nicht als Be­ruf, aber als Le­bens­kon­zept. Sie hat­te zwar auch ge­malt, wie er sich er­in­ner­te, aber es war ih­re Sicht auf die Din­ge, ih­re Lie­be zu For­men und Far­ben, die Bü­cher, die sie las. Sie hat­te Niels Ge­dich­te vor­ge­le­sen, und in letz­ter Zeit, wo er selbst im­mer tie­fer ein­tauch­te in die Welt von Bau­de­laire, Bla­ke, Dylan und Mor­ri­son, hat­te er im­mer öf­ter das Ge­fühl, dass ihm man­ches davon be­kannt vor­kam. Hat­te sie ihm sol­che Ge­dich­te vor­ge­le­sen, als er klein war? Wie gern hät­te er sich ih­re Bü­cher und Schall­plat­ten an­ge­se­hen, er mein­te, sich an ihr Zim­mer mit dem Plat­ten­spie­ler zu er­in­nern, denn er war sich si­cher, dass ihn mitt­ler­wei­le die­sel­ben Din­ge in­ter­es­sier­ten, aber es war al­les ver­schwun­den. Viel­leicht war ei­ni­ges an ihr auch et­was ver­spon­nen, ihr Hang zu Eso­te­rik, Niels er­in­ner­te sich, dass sie im­mer be­stimm­te Stei­ne an sich ge­tra­gen und über­all im Haus ver­teilt hat­te, die für oder ge­gen dies und je­nes gut wa­ren, und dass sie bei be­stimm­ten Gar­ten­ar­bei­ten den Mond be­rück­sich­tig­te.

Niels glaub­te, dass sein Va­ter kon­kret zwei Pro­ble­me mit ihm hat­te: Zum ei­nen war er ent­täuscht, dass Niels kein bes­se­rer Fuß­bal­ler war. Niels war ei­gent­lich nicht schlecht, aber er dach­te zu viel nach. Ihm fehl­te der In­stinkt, ver­such­te im­mer ein we­nig zu um­ständ­lich die best­mög­li­che Lö­sung zu fin­den, und da­durch war er zu lang­sam. Zum an­de­ren er­in­ner­te ihn sein Sohn im­mer mehr an des­sen Mut­ter, die Frau, die ihn ver­las­sen hat­te.

Aber nur weil man ver­stand, war­um sich je­mand auf ei­ne be­stimm­te Art ver­hielt, dach­te Niels, mach­te es das nicht bes­ser oder ein­fa­cher, wenn das Ver­hal­ten un­ge­recht war.

»Und sieh zu, dass Hei­ke et­was isst«, rief sein Va­ter Niels noch hin­ter­her, als die­ser ins Haus ging.

5  Heu­te

Jaaaaa, Hei­mat!«, ruft Ralf, als er aus sei­nem ab­surd oran­ge­far­be­nen Ran­ge Ro­ver springt und da­bei die Ar­me in die Luft reißt.

»I ne­ver will for­get tho­se nights, I won­der if it was a dream. Re­mem­ber how you ma­de me cra­zy, re­mem­ber how I ma­de you scream«, singt er in vol­ler Laut­stär­ke.

Vol­ker und Niels grin­sen sich an.

Niels denkt an den Film Stand by me, in dem der Er­zäh­ler sagt, dass man spä­ter nie mehr bes­se­re Freun­de ha­be als mit zwölf.

Die Bei­fahrer­tür öff­net sich, und ei­ne Frau steigt aus dem Au­to. Sie hat ei­nen pech­schwar­zen Pa­gen­schnitt mit Po­ny, der ihr bis fast über die Au­gen reicht. Sie bläst ih­re Haa­re zur Sei­te und sieht sich um.

»Freun­de, das ist Na­ta­scha.«

Dani, Vol­ker und Niels se­hen sich an. Of­fen­bar wuss­te nie­mand et­was davon, dass Ralf je­man­den mit­brin­gen wür­de. Niels wuss­te bis eben nicht ein­mal, dass es ei­ne Na­ta­scha in Ralfs Le­ben gibt, auch wenn es nicht leicht war, den Über­blick über Ralfs Frau­en zu be­hal­ten.

»Hal­lo, Na­ta­scha, will­kom­men«, sagt Dani und ver­sucht, sich ih­re Über­ra­schung nicht an­mer­ken zu las­sen.

---ENDE DER LESEPROBE---