Der letzte Tag - Walther Nithack-Stahn - E-Book

Der letzte Tag E-Book

Walther Nithack-Stahn

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Beschreibung

Der Untergang der Welt steht bevor. Ein neuer Stern droht mit der Erde zu kollidieren. Im Angesicht der Katastrophe kommen sogar die weltweiten Konflikte und Kriege unter den Nationen zum Erliegen. Welche Hoffnung bleibt? Ein früher Science-Fiction-Roman des ehemaligen Pfarrers der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Null Papier Verlag

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Walther Nithack-Stahn

Der letzte Tag

Frühe Science-Fiction

Walther Nithack-Stahn

Der letzte Tag

Frühe Science-Fiction

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: Peter J. Oestergaard Verlag, Berlin, 1931 (277 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962814-04-5

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Inhaltsverzeichnis

1

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8

9

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1

Um den run­den Tisch die erns­te Ge­mein­de in tie­fem Schwei­gen. Je­des Man­nes­ant­litz blass, über­wacht, die Stir­nen ge­fal­tet. Müde erstirbt das gelb­li­che De­cken­licht ge­gen den selt­sa­men Glanz vor den Fens­tern. Die Uhr an der Wand streckt ihre Zei­ger wie mah­nen­de Fin­ger nach oben.

Nun regt sich der mit dem weiß­flie­ßen­den Bar­te: »Stel­len Sie, bit­te, fest, dass nie­mand lauscht.«

Archi­bald, der jun­ge, er­hebt sich in sei­ner gan­zen Höhe, öff­net die Tür, ver­neint und setzt sich wie­der.

»Ich brau­che, mei­ne Her­ren, Ih­nen kaum noch ein­mal zu sa­gen, wel­che schlecht­hin bei­spiel­lo­se Verant­wor­tung auf uns ge­legt ist. Ich weiß, dass Sie mit An­span­nung al­ler Sin­ne und al­ler Ver­nunft ge­prüft ha­ben. Was zu wis­sen in Men­schen­kraft steht, ist ein­ge­setzt wor­den. Die Zeit drängt, das Er­geb­nis her­aus­zu­stel­len. Wol­len Sie zu­sam­men­fas­sen.«

Die Hän­de über den be­schrie­be­nen Blät­tern ge­fal­tet, sagt Archi­bald kurz: »Der neue Stern nä­hert sich noch im­mer der Son­ne mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit von we­nigs­tens hun­dert Ki­lo­me­tern in der Se­kun­de. Da sei­ne Rich­tung der Son­nen­bahn ent­ge­gen­ge­setzt ist, be­schleu­nigt sich die An­nä­he­rung um ein Drit­tel. Dazu kommt, dass die An­zie­hungs­kraft der Son­ne sich im­mer stär­ker gel­tend ma­chen muss, so­dass der Zu­sam­men­stoß in kur­z­em droht. Man darf mit etwa sie­ben Ta­gen rech­nen. Ab­ge­se­hen von hoch­gra­dig ge­stei­ger­ter Son­nen­tem­pe­ra­tur, die das Le­ben der Erde ver­nich­ten muss, ist an­zu­neh­men, dass der Um­lauf un­se­res Pla­ne­ten zer­stört und auch er in die Son­ne ge­zo­gen wird.«

Man hört das lei­se Ti­cken der Uhr, sonst nichts.

»Wie lau­ten die letz­ten Mel­dun­gen der aus­län­di­schen Stern­war­ten?«

»Im we­sent­li­chen gleich. Ka­li­for­ni­en be­rech­net die Frist auf sechs Tage, Peru auf sie­ben­ein­halb, die üb­ri­gen in­ner­halb die­ser Gren­zen.«

Wie­de­r­um laut­lo­ses Schwei­gen.

»Mei­ne Her­ren, wir müs­sen zum Schlus­se kom­men. Der Kanz­ler drängt dar­auf. Sie wis­sen, dass die Re­gie­run­gen al­ler Erd­tei­le sich ge­ei­nigt ha­ben, so­fort nach Empfang des wis­sen­schaft­li­chen Ur­teils eine ge­mein­sa­me Kund­ge­bung an die Völ­ker zu er­las­sen, ent­we­der sie zu be­ru­hi­gen oder auf das Unab­än­der­li­che vor­zu­be­rei­ten.«

»Wa­rum nicht in je­dem Fal­le das ers­te­re tun?« Der Spre­cher streicht sich das dunkle Haar aus der Stirn, und über die Ad­ler­na­se bli­cken küh­le Au­gen. »Liegt denn das Men­schen­ge­schlecht im Ster­ben, was nützt es, ihm das zu sa­gen? Sein Da­sein ist Kampf und Not ge­we­sen von An­fang her – ma­che man ihm das Ende leicht. Nach al­ler Wis­sen­den Ver­mu­tung wird es schnell und ver­nich­tend kom­men. Vor­be­rei­ten heißt nur, das Lei­den ver­län­gern.«

Der ge­gen­über, der wie ein fein­sin­ni­ger Pries­ter aus­sieht, lehnt sich in den Ses­sel zu­rück. »Könn­te nicht eine Be­denk­zeit an­ge­sichts des Ge­samt­to­des ed­le­ren Zwe­cken die­nen? Gäbe es nicht man­che letz­te Fol­ge­rung zu zie­hen?«

»Mir graut vor die­sen Fol­ge­run­gen«, klingt es zu­rück. »Den­ken Sie an Feu­ers­brüns­te und schei­tern­de Schif­fe, stel­len Sie sich das im Rie­sen­maß vor!«

»Die­ser Ver­gleich trifft nicht zu. Hier ist kei­ne Aus­sicht auf Ret­tung, nichts als all­ge­mei­ner, rest­lo­ser Un­ter­gang.«

»So spricht ein Den­ker von der Höhe her­ab. Sie ken­nen das Ge­wim­mel der Tie­fe nicht, das sich Mensch­heit nennt.«

»Ich rüh­me mich des­sen, dass ich un­ser Ge­schlecht hö­her ein­schät­ze. Es hat in sei­nem kur­z­en Da­sein Gro­ßes er­reicht, Grö­ße­res ge­wollt. Es ist sei­ner wür­dig, in sein letz­tes Schick­sal nicht hin­ein­zutau­meln, viel­mehr es be­wusst im Sin­ne sei­ner er­ha­bens­ten Geis­ter auf sich zu neh­men.«

Der Weiß­bär­ti­ge un­ter­bricht das Zwie­ge­spräch: »Mir scheint, dass die Her­ren un­se­re Auf­ga­be miss­ver­ste­hen. Was der Völ­ker­ge­mein­schaft mit­ge­teilt wer­den soll, ist der Re­gie­ren­den Sa­che. Die un­se­re ist, ih­nen zu sa­gen, wo­von wir nach bes­tem Wis­sen über­zeugt sind – nicht mehr, nicht we­ni­ger.«

»Nun denn, so ist die Wür­de der Wis­sen­schaft uns an­ver­traut«, sagt scharf die Stim­me des mit der gol­de­nen Bril­le. »Ihr letz­tes Wort darf nur das des un­be­ding­ten Mu­tes zur Wahr­heit sein. Wir ha­ben nicht zu fra­gen, was dar­auf fol­gen mag – schlech­ter­dings nur, was ist.«

Kopf­ni­cken und halb­lau­te Zu­stim­mung im Kreis.

Archi­bald, der mit ver­schränk­ten Ar­men zur De­cke ge­blickt hat­te, sagt plötz­lich, ohne sei­ne Hal­tung zu ver­än­dern: »Ob­wohl der Jüngs­te in die­ser Run­de, kann ich nicht an­ders, als die Grund­la­ge die­ser gan­zen Er­ör­te­rung an­zwei­feln. Sie ha­ben mich be­auf­tragt, die Sum­me Ih­rer Fest­stel­lun­gen über den neu­en Stern zu zie­hen. Ich habe das ge­tan, aber ich muss ein Fra­ge­zei­chen da­hin­ter set­zen. Ein ge­ring­fü­gi­ger Beo­b­ach­tungs­feh­ler kann das gan­ze Ge­bäu­de die­ser ver­wi­ckel­ten Be­rech­nung über den Hau­fen wer­fen.«

Die star­re Li­nie der Rund­um­sit­zen­den ge­rät ins Schwan­ken.

»Seit sie­ben Mo­na­ten …«, »un­aus­ge­setzt …«, »durch hun­dert Fern­roh­re al­ler Erd­tei­le …«, »so vie­le zu­ver­läs­si­ge For­scher …«, »fast völ­li­ge Über­ein­stim­mung …«, »in der Haupt­sa­che klar …«, schwirrt es durch­ein­an­der.

Archi­bald fasst noch im­mer die leuch­ten­de Scha­le ins Auge, die wie ein Dan­kop­fer an das ewi­ge Licht an Ket­ten hoch über dem Ti­sche schwebt. »Es wäre nicht das ers­te­mal, dass ein ge­mein­sa­mer Ge­dan­ke al­ler bes­ten Köp­fe – Irr­tum wäre. Könn­te nicht auch ein Wun­der ge­sche­hen?«

Stei­gen­de Wo­gen der Un­ru­he.

»Wun­der? Was heißt das? Sa­gen Sie das im Ernst?«

Der Be­brill­te streicht sich über den spit­zen Kinn­bart. »Neh­men Sie an: zwei Dampf­wa­gen­zü­ge fah­ren sich mit vol­ler Kraft auf dem­sel­ben Glei­se ent­ge­gen, die Füh­rer sind ab­ge­sprun­gen, die Ent­fer­nung be­trägt noch 20 Me­ter. Hal­ten Sie es für mög­lich, dass sie ein­an­der nicht tref­fen?«

»Nicht für un­mög­lich. Es sei denn, dass ich alle Mög­lich­kei­ten des Wel­talls wüss­te.«

»So nen­nen Sie Wun­der al­les, was wir noch nicht wis­sen?«

Über die­ses »noch nicht« ent­steht ein ers­tes Lä­cheln auf den tief­erns­ten Ge­sich­tern. Archi­bald wirft da­zwi­schen: »Ich mei­ne das schlecht­hin Un­zu­gäng­li­che.«

Worauf der grei­se Wort­füh­rer ne­ben ihm: »Es ist selbst­ver­ständ­lich, dass un­ser Gut­ach­ten, wie je­des Ur­teil der Wis­sen­schaft, nur mit ho­her und höchs­ter Wahr­schein­lich­keit rech­net. Wir sa­gen nicht, dass et­was ge­sche­hen muss, wir sa­gen: es wird ge­sche­hen. Um dem eben er­ho­be­nen Ein­wand zu be­geg­nen, schla­ge ich vor, dass wir uns­rer Er­klä­rung hin­zu­fü­gen: ›Men­sch­li­cher Voraus­sicht nach‹ …«

»Über­flüs­sig!« ruft die hohe Stim­me des Spitz­bär­ti­gen. Der Pries­ter­li­che nickt ihm zu. Ei­ner sagt: »Es wäre ge­wis­sen­haf­ter.« Und die Ge­bär­den der üb­ri­gen deu­tend, schließt der Vor­sit­zen­de Alte: »Ich wer­de also den Fern­spruch in die­ser Form nach Lon­don er­ge­hen las­sen, wo die Weltab­stim­mung er­folgt. Von dort wird er noch heu­te an die Re­gie­run­gen ge­lan­gen. Die­se be­schlie­ßen wäh­rend der Nacht, mor­gen früh ist die Kund­ge­bung.«

Alle ha­ben sich mit ihm er­ho­ben.

»Noch ein­mal bit­te ich, mei­ne Her­ren, das Still­schwei­gen bis da­hin zu wah­ren. Ich rech­ne es zu den leuch­tends­ten Bei­spie­len mensch­li­cher Pf­licht­er­fül­lung, dass – nach der Pres­se al­ler Län­der zu schlie­ßen – bis­her aus den ge­hei­men Be­ra­tun­gen der Stern­kun­di­gen nicht das ge­rings­te nach au­ßen ge­drun­gen ist. Auch in die­ser Hin­sicht darf die Wis­sen­schaft mit ru­hi­gem Stolz ihre Ar­beit ein­stel­len. Was uns an Zeit noch bleibt, ge­hört dem Ein­zel­nen und sei­ner Men­sch­lich­keit. Soll­te ich wi­der Er­war­ten noch ein­mal Ihres Bei­ra­tes be­dür­fen, so weiß ich, dass ich Sie ru­fen darf. Wir sind am Ende …«

Es scheint, als woll­te er noch et­was hin­zu­set­zen, aber er at­met nur tief auf und drückt den Um­ste­hen­den die Hand, Auge in Auge sen­kend.

Archi­bald, halb in Ge­dan­ken, will eben zu sei­nem Nach­bar sa­gen: Le­ben Sie wohl …, plötz­lich hält ihm das Ge­fühl der Son­der­bar­keit die Zun­ge fest, er grü­belt dem Un­aus­ge­spro­che­nen nach … Er tritt durch die seit­li­che Glas­tür auf den Um­gang hin­aus und lehnt sich auf das Ge­län­der. Drü­ben glüht aus Mor­gen­ne­beln die röt­li­che Son­ne, schräg über ihr gleißt selt­sam der frem­de Stern, schon ein Zehn­tel ih­rer Grö­ße er­rei­chend: der Feind, der dro­hend her­an­naht, von Mil­lio­nen Au­gen Tag und Nacht ver­folgt, aus­ge­sandt von dunklen Ge­wal­ten, eine Welt des Le­bens zu zer­trüm­mern, die ihn ohn­mäch­tig er­war­tet. Noch be­merkt man auf Er­den nichts Ab­son­der­li­ches. Da liegt in der Fer­ne die große Stadt im Früh­duns­te, eben er­wacht. Rauch­fah­nen quel­len aus dem Säu­len­wald der Fa­bri­ken, auf al­len Sei­ten krie­chen die Bahn­zü­ge her­an, mit Ar­beits­kräf­ten ge­füllt. Dort zieht ein Pflü­ger be­däch­tig sei­ne Fur­chen für die Saat der Zu­kunft, ir­gend­wo zwit­schert eine Ler­che ihr Lie­bes­lied, und hier tanzt ein bunt­sche­cki­ger Fal­ter lus­tig den Gar­ten hin­un­ter, sein Ein­tags­le­ben zu ge­nie­ßen.

Aber den Wald­weg hin­ab, der von die­ser Hoch­burg der For­schung zu Tal führt, schrei­ten die dunklen Ge­stal­ten all der be­rühm­ten Män­ner, der Wis­sen­den, die so­eben die­ser son­ni­gen Welt das To­des­ur­teil ge­spro­chen ha­ben, das furcht­ba­re, sie selbst ver­nich­ten­de, ge­gen das es kei­ne An­ru­fung gibt auf Er­den noch im Him­mel. Lang­sam be­we­gen sie sich, wie ge­drückt von der Last un­er­bitt­li­cher Wahr­heit; hier und da blei­ben zwei im Ge­spräch ste­hen, als be­sän­nen sie sich noch ein­mal, woll­ten um­keh­ren, ihr Wort zu­rück­neh­men – und ge­hen wei­ter …

»Ge­hen Sie nicht auch?« sagt eine freund­li­che Stim­me hin­ter ihm.

»Nein, Herr Pro­fes­sor.«

»Ich blei­be gern al­lein hier oben, bis zu­letzt – ein al­ter Mann, der nichts zu ver­lie­ren hat als einen arm­se­li­gen Le­bens­rest. Da­ge­gen Sie … Ihre Braut hat ein An­recht –«

Archi­bald reckt sich und dehnt die Brust. »Was sind von nun an Rech­te? Zu­dem: wir ha­ben viel­leicht un­ser wich­tigs­tes Amt noch vor uns. Wir sind dem Ma­tro­sen im Mast­korb gleich, der zu­erst die töd­li­che Klip­pe sieht – oder das ret­ten­de Land.«

»Sie glau­ben noch im­mer?«

»Ich glau­be we­der, noch weiß ich. Las­sen Sie uns der Ster­ne war­ten.« Er steigt in die mäch­ti­ge Kup­pel hin­auf und bohrt das Auge an­ge­strengt in das win­zi­ge Glas am Rie­sen­rohr. – Dann sitzt er und rech­net – rech­net.

»Die Ent­fer­nung nimmt wei­ter ab. Es scheint doch …«

Nächs­ter Tag. Un­sicht­bar flu­ten die Äther­wel­len, da und dort auf­stru­delnd zu wei­ten und im­mer wei­te­ren Rin­gen, rund um den Erd­ball, durch­schnei­den, ver­schlin­gen sich, we­cken heim­li­che Töne. Noch im­mer we­ni­gen Ohren ver­nehm­bar. Hin und her fliegt Wort und Ant­wort.

Auf der einen Erd­hälf­te nächt­li­ches Dun­kel, über der an­de­ren trü­bes Licht. Wol­ken­hee­re ja­gen über den Him­mel, hier und da flam­men Feu­er auf, rollt es dro­hend, wal­len die Was­ser her­ab. Nur sel­ten, in blau­en Lücken tau­chen die bei­den Son­nen auf zu kur­z­er Beo­b­ach­tung.

Schon zei­gen die Uhren fast auf Mit­tag, und noch ist nichts ver­laut­bart, was die Ge­mü­ter schre­cken oder trös­ten könn­te. Zwar geht es wie ver­stoh­le­nes Sum­men durch die Lan­de, seit Mo­na­ten, als zu­erst von dem Irrs­tern die Rede war, über den die Ge­lehr­ten sich strit­ten, den das Auge des Lai­en kaum be­merkt ha­ben wür­de, so un­schein­bar war er noch. Zei­tun­gen hat­ten ru­hi­ge Er­ör­te­run­gen ge­bracht, wie man über eine Na­tur­merk­wür­dig­keit spricht, Witz­blät­ter einen Zu­sam­men­stoß des himm­li­schen He­rum­trei­bers mit der Mut­ter Son­ne aus­ge­malt. Dann, vor ei­ni­gen Wo­chen war alle öf­fent­li­che Be­spre­chung der Sa­che plötz­lich ver­stummt: die For­scher in al­ler Welt sei­en be­schäf­tigt, das Rät­sel auf­zu­klä­ren, man wer­de hö­ren …

Manch Neu­gie­ri­ger sah wohl mor­gens, wenn er das Fens­ter öff­ne­te, ein­mal nach oben, ob sich da et­was ver­än­dert habe; auf frei­en Plät­zen stan­den Grup­pen, die durch be­ruß­te Glä­ser hin­auf­starr­ten, es gab Klug­schwät­zer … am Ende, was nützt das? Man hat mehr zu tun und geht sei­ner Ar­beit nach.

An sei­nem Schreib­tisch un­ru­hig der Kanz­ler. In kur­z­en Pau­sen knurrt vor ihm der Fern­spre­cher wie ein lau­ern­der Dä­mon, öff­net sich die Tür zu dem Saa­le, wo die Mi­nis­ter und Räte mit ge­dämpf­ten Stim­men ver­han­deln. Bo­ten kom­men und ge­hen. – End­lich er­hebt sich der Kanz­ler und tritt in die Ver­samm­lung ein: »Mei­ne Her­ren, die bei­den krieg­füh­ren­den See­mäch­te wei­gern sich noch im­mer, ir­gend­ei­nen Ent­schluss zu fas­sen, eine jede er­klärt: so­lan­ge eine zwei­fel­lo­se Ge­wiss­heit über das an­geb­lich be­vor­ste­hen­de kos­mi­sche Er­eig­nis nicht be­ste­he, sei sie nicht ge­son­nen, die Mög­lich­keit ih­res Sie­ges aufs Spiel zu set­zen, in­dem sie die Kampf­stim­mung ih­res Vol­kes ge­fähr­de. Sie kön­ne das nur, so­fern der Geg­ner ein Glei­ches tue. Bei­de Mäch­te er­su­chen drin­gend, die Be­kannt­ge­bung des Ge­lehr­ten­spruchs noch um ei­ni­ge Tage hin­aus­zu­schie­ben.«

Auf­stei­gen­der Un­wil­le in der Ver­samm­lung. »Wel­che Zeit ist jetzt noch zu ver­lie­ren? Was sind jetzt Tage?« murrt es.

Der jung-feu­ri­ge Mi­nis­ter für Volks­er­zie­hung bit­tet ums Wort. Er hat das Au­gen­glas fal­len las­sen, wie im­mer, wenn er in Ei­fer spricht.

»Mei­ne Her­ren, die Völ­ker­ge­mein­schaft war noch nie in ei­ner so güns­ti­gen Lage, einen Krieg ohne ge­walt­sa­men Ein­griff mit ei­nem Schlag zu be­en­den. Die Krieg­füh­ren­den sind in uns­rer Hand. Auf rein geis­ti­gem Wege kön­nen wir Frie­den schaf­fen. Ein Wort von uns, und die Waf­fen sin­ken. Wir brau­chen es nicht ein­mal an die Re­gie­ren­den zu rich­ten. Die Empfangs­sta­tio­nen ih­rer Län­der wer­den es auf­neh­men. Trotz al­ler Ver­bo­te wer­den Men­schen es fort­pflan­zen, mit un­mess­ba­rer Ge­schwin­dig­keit wird es die strei­ten­den Völ­ker durch­ei­len. An­ge­nom­men – wo­mit wir als mit ei­ner noch so ent­fern­ten Mög­lich­keit rech­nen müs­sen –, die For­scher hät­ten sich ge­irrt, so stän­de die Tat­sa­che, dass ein star­kes Mensch­heits­ge­fühl eine Völ­ker­feh­de zum Schwei­gen ge­bracht, für alle Zei­ten fest.«

Der grau­bär­ti­ge Mi­nis­ter des In­nern hat die Hand er­ho­ben.

»Ich bit­te, Herr Amts­ge­nos­se.«

Die leicht be­ben­den Hän­de auf den Tisch ge­stützt, steht je­ner, vorn­über ge­neigt. Lang­sam, grüb­le­risch spricht er: »In die­sen Näch­ten, die wir wohl alle schlaf­los ver­brach­ten, habe ich im­mer wie­der mit ei­ner Fra­ge ge­run­gen. Nicht mit der, die auch dem Herrn Vor­red­ner noch Fra­ge ist: ob wir wirk­lich am Ende sind. Die furcht­ba­re Last der Ant­wort habe ich nicht zu tra­gen, ich wäl­ze sie den Sach­ver­stän­di­gen zu. Wie ich selbst mich auf ein sol­ches Schick­sal rüs­te, ist mei­ne Sa­che. Aber dies ist heu­te mei­nes Am­tes, mit­zuent­schei­den, ob mein Volk, ob die Völ­ker die­se Bot­schaft emp­fan­gen sol­len. Ich sprach so­eben mit ei­nem un­se­rer Astro­no­men – er war glück­lich, die­se letz­te Fra­ge nicht lö­sen zu müs­sen. Sie ist in der Tat die schwers­te, die seit Be­ste­hen der Mensch­heit ei­ner Ge­mein­schaft ob­ge­le­gen hat. Der Er­folg, den der Mi­nis­ter für Volks­er­zie­hung von der Kund­bar­ma­chung er­hofft, die Bei­le­gung ei­nes Krie­ges, ver­sinkt vor den mög­li­chen an­de­ren Fol­gen. Mei­ne Fan­ta­sie er­lahmt, so­oft ich ver­su­che, sie mir aus­zu­ma­len. So­weit ich Men­schen­ken­ner bin, scheint mir: wir sind nicht reif für sol­che Bot­schaft. Mö­gen vie­le ein­zel­ne sie er­tra­gen, das Gan­ze er­trägt sie nicht. Man mag be­dau­ern, dass uns nicht hun­dert­tau­send Jah­re Frist ge­ge­ben sind – viel­leicht, wir wä­ren so weit. Heu­te glei­chen wir dem schwach­mü­ti­gen Ster­ben­den, dem der Arzt sein Los ver­schwei­gen muss. Da­rum mein An­trag: Be­ken­nen wir, der Wahr­heit ge­mäß, dass wir nichts wis­sen, auch die Wei­ses­ten nicht. War­ten wir der Din­ge, die wir nicht än­dern kön­nen.«

Ei­ner hebt ein Schrift­stück: »Hier steht ja, dass wir nicht wis­sen. Men­sch­li­cher Voraus­sicht nach …«

Der Mi­nis­ter für Volks­er­zie­hung, er­regt: »Ich male mir al­ler­dings an­de­re Fol­gen un­se­res Ver­hal­tens aus. Schwei­gen kön­nen wir nicht. Seit Wo­chen er­war­ten die Völ­ker von de­nen, die sie zu ih­ren geis­ti­gen Füh­rern be­stellt ha­ben, Auf­klä­rung über das Wel­ter­eig­nis. Wir ha­ben der Pres­se ver­bo­ten, dar­über zu schrei­ben. Umso mehr wächst die Span­nung, das Ra­ten und Fra­gen. Jetzt gilt es ein of­fe­nes Wort. Fei­ge, wenn wir es ver­heh­len, un­wei­se dazu. Denn nur ei­nes ist un­er­träg­lich: die Un­si­cher­heit. Wahr­heit ist im­mer be­frei­end. Sie lau­tet nicht so, dass wir nichts wis­sen. Sie be­sagt mit höchs­ter Wahr­schein­lich­keit, dass das Ende be­vor­steht. Und die­se Bot­schaft wird uns reif ma­chen. Was Re­li­gi­on, Wis­sen­schaft, Sit­ten­leh­re in Jahr­tau­sen­den nicht ver­moch­ten: die Völ­ker im großen zu er­zie­hen, zur see­li­schen Ein­kehr, zum ech­ten Mit­ge­fühl, zur Ein­tracht, das wer­den die­se we­ni­gen Tage voll­brin­gen. Und so wird we­nigs­tens un­ser Aus­gang nicht un­rühm­lich sein.«

Stum­me Be­we­gung des Bei­falls da und dort. Der Mi­nis­ter des In­nern hebt die Schul­tern und seufzt.

Da­rauf der Kanz­ler: »Mei­ne Her­ren, die Sa­che liegt ein­fa­cher, als Sie den­ken. Wir ha­ben kaum eine Wahl. Nach den letz­ten Nach­rich­ten sind au­ßer den er­wähn­ten Staa­ten alle Mit­glie­der der Völ­ker­ge­mein­schaft ent­schlos­sen, den Ge­lehr­ten­spruch zu ver­öf­fent­li­chen. Sie sind es in der Er­wä­gung, dass es kein Mit­tel gibt, ihn län­ger vor­zuent­hal­ten. In ei­ni­gen Län­dern hat man be­reits die Re­gie­rungs­ge­bäu­de ge­gen ge­walt­tä­ti­ge Wiß­be­gier schüt­zen müs­sen, ein­zel­ne Stern­war­ten sind im ei­gent­li­chen Sin­ne be­stürmt wor­den. Jede Kund­ge­bung, die man als Aus­flucht emp­fän­de, wür­de er­bit­ternd wir­ken. Der Be­schluss der Re­gie­run­gen er­folgt nach der Mehr­heit. Stim­men wir mit Nein, so kön­nen wir doch nicht hin­dern, dass bin­nen we­ni­gen Stun­den Gerüch­te des Aus­lan­des un­se­re Gren­zen über­flu­ten. Wir wä­ren vor un­se­rem Vol­ke bloß­ge­stellt. Je frü­her wir re­den, de­sto bes­ser.«

Wort­lo­ses Sum­men der Zu­stim­mung. Der Kanz­ler fragt: »Sie be­schlie­ßen dem­nach, dass trotz des Ein­spru­ches der zwei Mäch­te das Gut­ach­ten der Stern­war­ten laut wer­de? … Es er­folgt kein Wi­der­spruch. Ich schlie­ße die Sit­zung.«

In lan­ger grau­er Li­nie zie­hen die ei­ser­nen Schif­fe da­hin. Tief wir­beln die Rauch­wol­ken über die grün­li­chen Was­ser­ber­ge, die schräg her­an­rol­len, sich dumpf klat­schend ge­gen den Pan­zer wer­fen und bis hoch über die Ver­de­cke ih­ren stie­ben­den Schaum er­gie­ßen. Aber mit der glü­hen­den Kraft ih­rer Ein­ge­wei­de drän­gen die Rie­sen vor­an, schnei­den ihre Büge mes­ser­scharf Wel­le auf Wel­le. Und gie­rig stre­cken sich aus ih­ren Lei­bern die star­ren Roh­re nach fer­ner Beu­te.

Auf der Brücke des Füh­rer­schif­fes der Ad­mi­ral mit den Her­ren des Sta­bes. Breit­bei­nig steht er, das mäch­ti­ge Fern­glas an die Au­gen ge­presst, und späht nach Wes­ten, wo aus dem licht­flim­mern­den Was­ser­kreis die Schat­ten­ris­se rau­chen­der Schorn­stei­ne, schwim­men­der Bur­gen tau­chen. Er setzt das Glas ab und kehrt das wet­ter­ge­bräun­te Ge­sicht den hin­ter ihm Ste­hen­den zu. »Es klappt vor­züg­lich. Dies­mal stel­len wir sie. Wir sind in je­der Hin­sicht über­le­gen. Dazu kommt, dass sie die Son­ne« – es zuckt ihm lus­tig in den Au­gen­win­keln – »so­gar zwei Son­nen ge­gen sich ha­ben. Also Voll­dampf vor­aus!«

Ein Of­fi­zier kommt ei­lig die Trep­pe her­auf, ein Blatt in der Hand, und bleibt in dienst­li­cher Hal­tung ste­hen.

»Nun? Was gib­t’s?«

»Auf­ge­fan­ge­ner Funk­spruch …« Er nennt einen fern­lie­gen­den Ort neu­tra­len Fest­lan­des.

Der Ad­mi­ral über­fliegt die Zei­len und run­zelt die Stirn. »Un­sinn! Was geht uns das an? Sa­gen Sie dem Fun­ker, er soll uns ein für al­le­mal mit sol­chem Ge­schreib­sel ver­scho­nen.« Er ballt das Pa­pier zu­sam­men und wirft es mit dem Win­de in die Luft, dass es hoch über Bord fliegt. Ei­nen Au­gen­blick tanzt es auf ei­nem schäu­men­den Wel­len­kamm und ist ver­schwun­den.

»Wis­sen Sie das Neues­te, mei­ne Her­ren?« Der Ad­mi­ral lacht ein kur­z­es, stoß­wei­ses La­chen. »Die Welt geht un­ter! Spä­tes­tens in ei­ner Wo­che. Be­schluss sämt­li­cher Stern­war­ten!« Er lacht noch ein­mal, dass er sich schüt­telt.

Star­res Schwei­gen der an­de­ren. Nur über die­se und jene dienst­be­flis­se­ne Mie­ne irrt ein ver­le­ge­nes Lä­cheln und erstirbt. Man hört nichts als den sau­sen­den Wind im Ohr und die an­stür­zen­den Was­ser.

»Sie ha­ben doch dem Fun­ker ein­ge­schärft, dass der­glei­chen Blöd­sinn nicht un­ter die Mann­schaf­ten kommt?«

»Zu Be­fehl!«

»Ich sage es noch ein­mal, mei­ne Her­ren: Strengs­ter Be­fehl der Re­gie­rung, dass die al­ber­nen Gerüch­te über den so­ge­nann­ten Wun­ders­tern in­ner­halb der ge­sam­ten Wehr­macht nicht be­spro­chen wer­den dür­fen. Zu­wi­der­hand­lun­gen, auch im Zwie­ge­spräch, sind zu be­stra­fen. Wo es not tut, sind die Un­ver­nünf­ti­gen auf­zu­klä­ren. Was wol­len Sie sa­gen, Kom­man­dant?«

»Herr Ad­mi­ral, mir scheint, dass die­ses Ver­bot das Ge­gen­teil sei­nes Zweckes er­reicht hat. Es hat die be­wuss­te Him­mels­er­schei­nung in einen Ne­bel des Ge­heim­nis­ses gehüllt, hin­ter dem man umso mehr Schlim­mes ver­mu­tet. Der See­mann ist oh­ne­hin aber­gläu­bisch. Kein Vor­ge­setz­ter kann ver­hin­dern, dass eine ge­wis­se Be­sorg­nis, die un­se­re Leu­te von ih­rem letz­ten Land­ur­laub mit­ge­bracht ha­ben, sich in der Ab­ge­schlos­sen­heit auf See im ge­hei­men wei­ter­frisst. Ich kann es nicht grei­fen, aber ich spü­re es, in den Mie­nen der Leu­te, in ih­rem Ver­hal­ten. Man mun­kelt von et­was Un­heim­li­chem, das da kom­men soll – in den Mes­sen und in den Kom­bü­sen, vom Deck bis hin­un­ter in die Koh­len­bun­ker, vor den La­fet­ten der Ge­schüt­ze bis tief in die Heiz­räu­me. Und ich be­haup­te: auch die­se neues­te Nach­richt ist im gan­zen Schif­fe be­kannt – nie­mand weiß, wo­her, nie­mand wird es ge­ste­hen – aber sie wis­sen es alle. Und so durch alle Schif­fe des Ge­schwa­ders.«

»Da soll doch der Deu­bel –! Ru­fen Sie die ab­kömm­li­chen Of­fi­zie­re und Mann­schaf­ten an Deck. So­fort, die Zeit drängt!« –

Bin­nen fünf Mi­nu­ten ste­hen die Be­foh­le­nen aus­ge­rich­tet im of­fe­nen Vier­eck auf dem von Schaum­sprit­zern durch­näss­ten, lei­se schlin­gern­den Bo­den …

»Leu­te! Ihr wisst, es steht ein ent­schei­den­der Kampf be­vor. End­lich hat sich der hin­ter­lis­ti­ge Feind dazu be­que­men müs­sen. Wir wer­den ihn ver­nich­tend schla­gen, denn wir sind stär­ker, tüch­ti­ger, und das Recht ist auf uns­rer Sei­te. Das Va­ter­land blickt auf euch und er­war­tet Ein­satz der höchs­ten Kraft, Hin­ge­bung bis aufs letz­te. Wie mir ge­mel­det wor­den, ist un­ter euch ein dum­mes Ge­schwätz ent­stan­den, als wenn da ir­gend­ein Stern vom Him­mel her­un­ter­fal­len und uns Unan­nehm­lich­kei­ten ver­ur­sa­chen wür­de. Die Her­ren Of­fi­zie­re, die na­tür­lich sol­che Mär­chen nicht glau­ben, ha­ben euch be­reits ei­nes Bes­se­ren be­lehrt. Ich wie­der­ho­le das und er­klä­re je­den, der so et­was glaubt und wei­ter­trägt, für einen Hoch­ver­rä­ter. Merkt ihr denn nicht, dass die­ser Un­sinn von dem Fein­de aus­ge­streut wird, um eure Kampf­lust zu bre­chen und leich­ten Sieg zu ha­ben? Da drü­ben la­chen sie sich ins Fäust­chen, wenn ihr wie Kin­der und alte Wei­ber euch grau­lich ma­chen lässt. Leu­te! Der alte Gott lebt noch und re­giert die Ster­ne! Er lässt uns nicht ver­der­ben! Vor­wärts mit ihm zum Sie­ge! Ein Hur­ra dem Va­ter­land!«

Drei­mal bricht der Schrei durch das dump­fe Ge­brau­se.

»Je­der an sei­nen Pos­ten! – Kom­man­dant, las­sen Sie mei­ne Wor­te dem gan­zen Ge­schwa­der fun­ken!« –

Auf die Brücke ge­lehnt, steht der Ad­mi­ral mit sei­ner Um­ge­bung. Der Fuß­bo­den schüt­tert un­ter dem tie­fen Sum­men der über­heiz­ten Ma­schi­nen. Im­mer deut­li­cher he­ben sich die Um­ris­se der feind­li­chen Schif­fe über den Ge­sichts­kreis. Die Of­fi­zie­re ste­hen ernst und stumm. Ein selt­sa­mes Zwie­licht gleißt auf den Schaum­käm­men der an­stür­men­den Was­ser­hü­gel. Der Ad­mi­ral scherzt: »Es gibt da eine nied­li­che Ka­ser­nen­hof­blü­te. Am Tage ei­ner Son­nen­fins­ter­nis ist Ap­pell. Und der Feld­we­bel hebt an: ›Auf Be­fehl des Herrn Haupt­manns fin­det heu­te eine Son­nen­fins­ter­nis statt …‹ Ha­ha­ha, se­hen Sie, mei­ne Her­ren, das nen­ne ich sol­da­ti­schen Stand­punkt. Wir ma­chen die gan­ze Ge­schich­te, im Him­mel und auf Er­den.«

Nie­mand lacht. Wie ge­fro­ren sind alle Ge­sich­ter.

»Nein, im Ernst. Der Schil­ler sagt ein­mal: Wenn da­mals, als Ko­lum­bus nach Wes­ten steu­er­te, die Neue Welt noch nicht da­ge­we­sen wäre, sie hät­te em­portau­chen müs­sen. Mit dem Mu­ti­gen steht die Na­tur in ewi­gem Bun­de … Was, Kuckuck! Wol­len uns die­se Stern­fe­xe gru­seln ma­chen? Frü­her ta­ten sie es mit den Ko­me­ten, und fie­len al­le­mal hin­ein.«

Er hat das Fern­glas wie­der ge­ho­ben; dann wen­det er sich. »Es ist Zeit. Las­sen Sie feu­ern! Breit­sei­te! Das gan­ze Ge­schwa­der!« –

Der Dienst­ha­ben­de eilt hin­un­ter. –

Tie­fe Stil­le. Mi­nu­ten ver­ge­hen.

Der Ad­mi­ral wird un­ge­dul­dig. »Was wird denn?«

End­lich dröhnt es – ein­mal, drei-, vier­mal.

Durchs Fern­glas sieht man in wei­ter Fer­ne die Was­ser­säu­len der Auf­schlä­ge.

»Viel zu kurz. Bes­ser ab­schät­zen … Zum Don­ner­wet­ter, warum schie­ßen die Kerls nicht? Kom­man­dant!«

»Herr Ad­mi­ral –«

»Ich fra­ge Sie, warum die Leu­te nicht schie­ßen?«

»Ich weiß nicht, Herr Ad­mi­ral. Ich wer­de so­fort fest­stel­len …«

Of­fi­zie­re ei­len da­von. Fern­spre­cher ru­fen nach al­len Tei­len des Schif­fes.

»Wie war denn das? Wo blei­ben die Ge­schüt­ze der an­de­ren da hin­ten?«

»Sie ha­ben kei­nen Schuss ge­löst, Herr Ad­mi­ral.«

»Ja, ha­ben die nicht ge­hört …?«

»Der Be­fehl ist er­teilt.«

Ein Of­fi­zier atem­los von un­ten: »Herr Ad­mi­ral, die Leu­te wei­gern sich zu schie­ßen.«

»Wa–s?!« Mit bei­den Fäus­ten um­klam­mert der Ad­mi­ral die Ei­sen­stan­gen der Brücke. »Sind die Leu­te ver­rückt ge­wor­den?!«

»Sie sa­gen, sie woll­ten nach Hau­se. Die Welt gin­ge un­ter.«

Ein hei­se­res Auf­la­chen, der Ad­mi­ral nes­telt an dem Le­der­ver­schluss sei­ner Gür­tel­pis­to­le. »Das wer­den wir se­hen!« Er ist im Be­griff, die Trep­pe hin­un­ter­zu­sprin­gen … Plötz­lich wird es auf Deck le­ben­dig. Von al­len Sei­ten stürmt ein dunkles Ge­wim­mel her­an: Ma­tro­sen, Ka­no­nie­re, schwarz­ru­ßi­ge Koh­len­schip­per, Hei­zer, halb­nackt mit trie­fen­den Stir­nen – durch­ein­an­der schrei­end: »Herr Ad­mi­ral! Nach Hau­se! Frie­den! Die Son­ne! Die Erde! Nach Hau­se!«

Wachs­gel­ben Ge­sichts steht der Ad­mi­ral, er hat die Pis­to­le frei: »Meu­te­rer! Ich schie­ße euch nie­der! Of­fi­zie­re!«

Die ste­hen re­gungs­los. Eine Rie­sen­wel­le schlägt an Bord, pras­seln­de Sturz­see, nie­mand ach­tet dar­auf.

»Herr Ad­mi­ral – se­hen Sie dort! Der Feind hißt die wei­ße Flag­ge!«

Un­glaub­li­ches ge­schieht. Aus der feind­li­chen Li­nie hat sich ein Schiff ge­löst und strebt mit ho­her Fahrt her­an. Am Groß­mast flat­tert es weiß, ei­ner Tau­be ähn­lich. Wie ein ge­spens­ti­sches Traum­bild am hel­len Tage wächst es mit un­heim­li­cher Schnel­le vor den sprach­los Zuschau­en­den in den Him­mel hin­auf. Jetzt scheint es zu stop­pen, am Bug Flag­gen­si­gna­le. Lang­sam ent­zif­fert man: »An­ge­sichts na­her Welt­ka­ta­stro­phe stel­len wir uns­rer­seits Feind­se­lig­kei­ten ein.«

Ei­ni­ge Au­gen­bli­cke wort­lo­se Stil­le. Dann auf der Brücke die schnei­den­de Stim­me des Ad­mi­rals: »Was? Sind hier lau­ter schwim­men­de Toll­häu­ser?! Gut, also neh­men wir die gan­ze Ban­de ge­fan­gen. Winkt das hin­über!«

Der Kom­man­dant, die Hand an der Müt­ze: »Das wird nicht ge­hen, Herr Ad­mi­ral.«

»Nicht ge­hen – wie­so?«

»Wol­len Herr Ad­mi­ral rück­wärts bli­cken.«

Neu­es sprach­lo­ses Er­stau­nen. Ein Schiff des Ge­schwa­ders nach dem an­de­ren schert aus der Li­nie und wen­det die Fahrt.

»Kom­man­dant …! Was ist das?«

Der Dienst­ha­ben­de drängt sich durch das Ge­tüm­mel und ruft hin­auf:

»Funk­sprü­che von Li­ni­en­schif­fen und Kreu­zern des In­halts: Be­fehls­ha­ber ab­ge­setzt, un­ter neu­em Kom­man­do Heim­fahrt be­schlos­sen!«

Brau­sen­der Ju­bel auf Deck, Müt­zen­schwen­ken.

Der Ad­mi­ral um­klam­mert die Pis­to­le, sein Blick irrt von ei­nem Of­fi­zier zum an­de­ren: »Was sa­gen Sie?«

Nach kur­z­er Pau­se der Kom­man­dant: »Herr Ad­mi­ral, wei­chen wir der hö­he­ren Ge­walt.«

»Wel­cher Ge­walt?«

Der Ka­pi­tän deu­tet stumm nach oben. Al­ler Bli­cke wen­den sich zur Mit­tags­son­ne hin­auf, die blen­dend im rei­nen Blau steht, dicht ne­ben ihr, weiß­lich grell, der Dop­pel­gän­ger.

»Wahn­sinn!«

Die Of­fi­zie­re sprin­gen von al­len Sei­ten auf den Ad­mi­ral zu, der die Pis­to­le an die Schlä­fe ge­setzt hat, man biegt dem keu­chend Rin­gen­den den Arm her­un­ter. Da stürmt schon je­mand, einen neu­en Mel­de­zet­tel schwen­kend, her­auf. Weil nie­mand ihn ent­ge­gen­nimmt, liest er laut: »Be­fehl der Re­gie­rung: Da Küs­ten­ver­tei­di­gung den Dienst ver­sagt, See­schlacht ab­bre­chen. So­for­ti­ge Heim­kehr.«

Die Pis­to­le klirrt zu Bo­den.

»Kom­man­dant, über­neh­men Sie den Be­fehl – ich gebe kei­nen mehr.« –

Kaum eine Mi­nu­te, so ist das Deck leer.

In ra­sen­der Fahrt ent­fer­nen sich die bei­den Flot­ten von­ein­an­der. So fie­ber­haft ha­ben Ma­schi­nis­ten und Hei­zer noch nie ge­ar­bei­tet. Das Füh­rer­schiff jagt mit dumpf­klop­fen­den Pul­sen hin­ter den flüch­ti­gen an­de­ren. Im üb­ri­gen gibt es kei­nen Dienst mehr. In Grup­pen ste­hen die Mann­schaf­ten in Gän­gen und Win­keln um­her, rat­los, die Hir­ne von ei­nem Ge­dan­ken zer­häm­mert: Nach Hau­se! Reicht noch die Zeit? Die Welt geht un­ter!

2

Nun ha­ben es die ge­dan­ken­schnel­len, laut­lo­sen Äther­wel­len über alle Erd­tei­le ge­tra­gen. In al­len Spra­chen ist es Wort und Klang ge­wor­den. Die Dru­cker ha­ben es mit zit­tern­den Fin­gern ge­setzt, Blatt auf Blatt fliegt aus den Ma­schi­nen. Mit Win­desei­le springt es von Mund zu Mund. Jetzt re­den da­von die dun­kel­häu­ti­gen Söh­ne der Wüs­te im Schat­ten der Py­ra­mi­den, jetzt leuch­tet es auf in schwar­zen, großen Au­gen un­ter den Pal­men In­diens und den Schnee­ket­ten des Hi­ma­la­ja. Jetzt ruft es an ei­si­gen Küs­ten des Nor­dens ein Ma­tro­se den auf­hor­chen­den Men­sch­lein zu. Es summt durch das bun­te Stra­ßen­ge­wim­mel von Pe­king, es fliegt strom­auf­wärts wie ein Vo­gel­schrei durch die Ur­wäl­der des Ori­no­ko, durch die hei­ßen Dickich­te des in­ners­ten Afri­ka trägt es ein schwar­zer Bo­ten­läu­fer von Kraal zu Kraal, wir­beln es Trom­mel­zei­chen wei­ter über die Hü­gel, hin­über zuckt es zu den welt­fer­nen Ei­lan­den des Ozeans, wo nur ein Ohr ist, Men­schen­wort zu ver­ste­hen – und im­mer der eine, sel­be Satz, der wie ein Don­ner­schlag die Ge­mü­ter trifft, be­grif­fen un­be­greif­lich, sich hin­ein­wüh­lend in das Be­wusst­sein der le­ben­di­gen Erde.