Der Magier (Clan der Bären Band 2): Fantasy-Saga - Vasily Mahanenko - E-Book

Der Magier (Clan der Bären Band 2): Fantasy-Saga E-Book

Vasily Mahanenko

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung von Band 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Über den Autor

Der Magier

Ein Roman

von Vasily Mahanenko

Clan der Bären

Band #2

Magic Dome Books

Der Magier

Clan der Bären, Band #2

Originaltitel: The Bear Mage (The Bear Clan Book #2)

Copyright ©V. Mahanenko, 2021

Covergestaltung ©V. Ksenia Nikelson, 2021

Designer: Vladimir Manyukhin

Deutsche Übersetzung © Elisabeth Neumayr, 2022

Lektor: Youndercover Autorenservice

Erschienen 2022 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

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Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Zusammenfassung von Band 1

Der dreißigjährige Erzmagier Ischar-Mor, aus der Rasse der Walge, aufrecht gehender Echsen, wird zum Tode verurteilt. Für den Versuch, den Imperator zu stürzen, wird er seiner Erinnerungen an alle vorangegangenen Reinkarnationen beraubt und aus seiner Heimatwelt an einen Ort verbannt, an dem die Magie völlig unbekannt ist. Seine Henker haben dabei jedoch den Zufallsfaktor außer Acht gelassen. Zeitgleich mit seiner Verbannung findet in einer anderen Welt ein Ritual zur Beschwörung einer Seele statt. Der einzige Sohn des Oberhaupts des in Ungnade gefallenen Clans der Braunbären ist von einem Baum gestürzt und steht an der Schwelle zum Tod. Obwohl sie sich der Risiken bewusst sind, wenden sich die Clananführer an ihren Schutzgeist. Dieser extrahiert die stärkste Seele aus dem Universum, die er erreichen kann. Und so verwandelt sich der Walg in den fünfzehnjährigen Menschenjungen Leg Ondo. In seiner neuen Welt existiert Magie zwar, doch Leg kann sie nicht nutzen. Erst mit sechzehn Jahren erlernen die Menschen bei ihrer Initiation die Anwendung ihrer magischen Fähigkeiten. Wunder werden den Totems zugeschrieben, jenen Schutzgeistern, die ihrem jeweiligen Clan Macht und zwei oder drei magische Fähigkeiten gewähren. Außerdem gibt es auf dem Planeten sogenannte Kraftsteine, einzigartige Bodenschätze, die magische Kräfte verleihen können.

Ein halbes Jahr später gerät Leg bei einem Wettkampf der Clans für Jugendliche, die sich auf die Initiation vorbereiten, mit seiner Gruppe in einen Hinterhalt der Goblins, der Ureinwohner des Planeten. Alle Freunde des Jungen werden dabei getötet, nur ihm gelingt es, zu überleben. Leg hat gelernt, die von Kraftsteinen ausgehenden magischen Linien zu manipulieren und besiegt mit ihrer Hilfe den Kommandanten des Goblintrupps. Der Junge bereitet sich auf einen Kampf um Leben und Tod vor, doch da kommt unerwartet Hilfe. Und zwar in Gestalt von Lando Slick, dem sechsten Sohn des Imperators, der sich aus unerfindlichen Gründen am Rande des Imperiums aufhält. Lando schenkt Leg einen Pfeilwerfer, eine für geächtete Clans eigentlich verbotene Waffe. Als Gegenleistung für sein Geschenk fordert der Vertreter des Vipernclans von Leg, für ein Jahr in seinen Dienst zu treten. Der Junge hat nicht das Recht, diesen Vorschlag abzulehnen. Aus Gründen, die nur ihm selbst bekannt sind, schickt Lando den Sohn seines Erzfeindes an eine der teuersten und prestigeträchtigsten Schulen – zur Vorbereitungsklasse der Akademie des imperialen Palasts. Im Zuge seiner Reise wird Leg klar, dass der Clan der Braunbären der Entwicklung im Rest der Welt in katastrophalem Ausmaß hinterherhinkt. Mit Kraftsteinen betriebene Maschinen, Autos, Züge, Gebäude, sogar die Kleidung – selbst die nächstgelegene Provinzstadt versetzt den Jungen in ehrfürchtiges Staunen. Doch er macht auch eine unangenehme Entdeckung: In den Städten herrscht ein grauenhafter Gestank, als würde die Kanalisation nicht funktionieren. Die Bewohner sind so sehr an den Geruch gewöhnt, dass sie ihn nicht mehr bemerken, aber für Leg ist er eine unwillkommene und unerklärliche Überraschung.

Der Zug, in dem Leg reist, wird überfallen. Eine Gruppe von Banditen verübt einen Mordanschlag auf Ulma Reloit, die Anführerin der Panther, des zweitstärksten Clans des Imperiums. Doch dank seiner Fähigkeit, Kraftlinien zu manipulieren, gelingt es Leg, die alte Dame zu retten, wodurch er unwissentlich die Pläne einer Geheimorganisation mit dem Namen „Scharlachrotes Band“ durchkreuzt.

An der Akademie lernt Leg zwei seiner Klassenkameraden kennen: Elrin und Chad. Das gemeinsame Training bringt die Jugendlichen einander näher und bald schließen sie Freundschaft. Nach einem Regelverstoß werden die Freunde zur Strafe in die Kanalisation geschickt, ein System spezieller Übungsschächte zur Erprobung ihrer Fähigkeiten und zum Sammeln wichtiger Ressourcen für die Akademie. Vor dem Abstieg unter die Erde lernen die Jungen zwei Mädchen kennen: Liara und Belis. Die Schüler der Vorbereitungsklasse schließen sich zusammen und steigen zur dritten Tiefebene hinab. Belis besitzt eine Karte der Kanalisation und hofft dort auf reiche Beute. Niemand ahnt, dass diese Ebene von riesigen, oktopus-ähnlichen Ungeheuern bevölkert ist. Ein ungleicher Kampf beginnt, und nur dank seiner Fähigkeit, Kraftlinien zu manipulieren, kann Leg seine Freunde retten.

In der Kanalisation findet Leg außerdem eine Statuette aus einem blutroten Material, einen der sieben Bogusch-Kristalle. Sein Fund wird beschlagnahmt, denn der Besitz einer solchen Kostbarkeit ist einfachen Schülern nicht erlaubt. Der Imperator erscheint an der Akademie, um sich persönlich beim Lebensretter einer seiner Enkelinnen zu bedanken. Leg ist gezwungen, dem Imperator den Kristall zu schenken. Dieser hebt im Gegenzug die Verbannung der Braunbären auf und ermöglicht ihnen damit die Weiterentwicklung. Lando Slick überreicht Leg einen kleinen Wegstein, der nach dem Prinzip der Teleportation funktioniert und es dem sechsten Thronerben ermöglicht, ihm jederzeit zu Hilfe zu kommen. Leg nutzt das Geschenk fast sofort. Einer seiner Freunde, Chad, wurde entführt. Der dunkelhäutige Junge ist der einzige überlebende Nachkomme des Clans der Grauen Elefanten, der einst über das Südliche Imperium herrschte. Chad hatte gehofft, an der Mirax, der imperialen Akademie des Nördlichen Imperiums, untertauchen zu können, wurde jedoch von dort entführt. Leg findet den Ort, an dem Chad festgehalten wird, doch dort lauern neue Gegner in Gestalt von Infernos. So werden Menschen genannt, die sich entschlossen haben, Mithril zu absorbieren, wodurch sie ihr menschliches Aussehen verlieren, aber enorme Kräfte gewinnen. Lando kann die Gefahr mit seinen Leuten eliminieren und Chad schließt sich Legs Familie an und gehört von nun an zum Clan der Braunbären.

Doch die Ruhe währt nur kurz. Leg wird von Banditen überfallen, die es auf Ulma Reloit, die Anführerin des Pantherclans, abgesehen haben. Er setzt sich zur Wehr, nimmt einen Gefangenen und bringt diesen zur Residenz des zweitstärksten Clans des Imperiums. Ulma klärt den Jungen über die tatsächliche Situation auf: Ihre Gegner gehören zur Geheimorganisation „Scharlachrotes Band“, die das Ziel hat, den Staat zu destabilisieren. Aus Dankbarkeit für ihre Rettung reist die alte Dame zusammen mit Leg in dessen Heimatdorf, um mit dem Clan der Braunbären einen Vertrag über den Abbau von Eisenerz abzuschließen. Leg nutzt die Gelegenheit, um sich mit dem Schamanen des Clans an das ehemalige Versteck eines weiteren Bogusch-Kristalls zu begeben und dieses zu zerstören. Wer die Statuette aus allen sieben Kristallen sein Eigen nennt, erhält Kenntnis über alle Mithril-Lagerstätten sowie die Kontrolle über alle Infernos und Engel, die nächsthöhere Stufe der modifizierten Menschen.

Als Teil der Aufnahmeprüfung an der Akademie schreibt Leg einige Kapitel eines der beliebtesten Romane seiner früheren Welt nieder. Die Klassenbetreuerin ist begeistert von dem Text und bittet ihn, das Buch fertigzuschreiben. Leg stellt den Roman fertig und gewinnt damit einen Schreibwettbewerb. Er wird in den Palast eingeladen, wo er gemeinsam mit Liara den siebten und letzten Bogusch-Kristall findet, doch nach seiner Rückkehr an die Mirax wird sein Fund beschlagnahmt. Der Chef des Sicherheitsdiensts, der zugleich Lando Slicks älterer Bruder ist, will das Imperium nicht stärken, indem er ihm eine solche Kostbarkeit überlässt. Daher wird der siebte Kristall in ein Versteck außerhalb Reichweite der Bären und des „Scharlachroten Bandes“ gebracht.

Nachdem Leg das Schuljahr erfolgreich abgeschlossen und die verdiente Belohnung erhalten hat, reist er mit seinen Freuden in sein Heimatdorf, wo die Initiation stattfinden soll. Und zwar nicht nur Legs Initiation, sondern auch die von Chad und Elrin, die beschlossen hatten, dem Clan der Braunbären beizutreten. Unterwegs werden sie von einem Handlanger des „Scharlachroten Bandes“ überfallen. Leg gelingt es, Lando Slick zu Hilfe zu rufen, und gemeinsam besiegen sie den Feind. Der Kampf zeigt, dass es in dieser Welt Menschen gibt, die Magie zu nutzen wissen, und diese neue Erkenntnis kann nicht ignoriert werden.

Nach seiner Initiation wird Chad zu einem mächtigen Krieger und erhält vom Totem die Fähigkeit, Magie zu nutzen. Elrin wird zum Recken und erhält die Gabe, sich jede beliebige Fähigkeit anzueignen, die gegen ihn eingesetzt wird. Leg wird zum Magier, einem legendären und längst in Vergessenheit geratenen Wesen, das allein durch seinen Willen Magie erschaffen kann. Doch diese Gabe hat ihren Preis. Bevor er sie nutzen kann, steht Leg eine lange und gefährliche Reise ins Land der Goblins bevor.

Die Frage ist nur: Werden sie ihn aufnehmen?

Kapitel 1

„… UND AUF DIESE WEISE konnten wir einen weiteren Absatzmarkt erobern, was einen positiven Effekt auf unsere …“

„Das reicht!“ Der Anführer des „Scharlachroten Bandes“ hob die Hand und unterbrach den Vortrag über die finanzielle Lage der Organisation. Es ging bergauf, die Kreditgelder flossen in einem steten Strom auf ihre Konten, die Clans unter ihrer Kontrolle wurden immer mehr, doch all das verschaffte ihm keine Freude. Das unbestimmte Gefühl einer bevorstehenden Bedrohung kündete von unglaublichen und gefährlichen Entwicklungen in der Welt, und wenn man nicht rechtzeitig gegensteuerte, konnte sehr viel auf dem Spiel stehen. Er war nicht der Einzige mit dieser düsteren Vorahnung. Da erklang eine fremde Stimme in seinem Kopf:

„Du hast eine Minute, um den Raum zu räumen. Ich habe einen Auftrag für dich. Los.“

„Alle raus! Sofort!“ Der Mann sprang auf und begann mit einer für seinen Status ungewöhnlichen Hast, die Leute aus seinem Büro zu bugsieren. Als in der Mitte des Raums die Projektion seines Gasts aufleuchtete, war die Tür fest verschlossen und mit einem Lauschschutz versehen.

„Meister.“ Der Anführer des „Scharlachroten Bandes“ fiel auf die Knie. „Ich freue mich, dich in meiner bescheidenen Behausung willkommen zu heißen.“

„Rikon, tritt in den Kreis“, forderte die Projektion des grauhaarigen Greises ihn auf und wies auf die Stelle, an der er selbst erschienen war. Dem Aussehen nach war er etwa siebzig Jahre alt, aber das täuschte. Nur wenige Auserwählte kannten das wahre Alter des Schattenanführers der Welt, und auch sie durchlief beim Gedanken daran ein ehrfürchtiger Schauer. Nicht jedem Menschen wurde das Recht zuteil, dreihundertsiebenundzwanzig Jahre zu leben und dabei genauso stark zu bleiben wie zu Beginn seines Lebenswegs.

Der Anführer des „Scharlachroten Bandes“ gehorchte, und für einige Augenblicke verschwamm der Raum um ihn, um sich dann in eine kleine Lichtung zu verwandeln, die von dichtem grauem Nebel umhüllt war. Dort warteten bereits die anderen drei Schüler des großen Meisters. Rikon sah sich um. Zwei von ihnen standen auf eigenen Beinen und hatten das „Scharlachrote Band“ im Nördlichen Imperium sowie die „Weiße Lilie“ im Südlichen Imperium gegründet. Zwei weitere waren beim Meister geblieben und erforschten weiterhin die Mysterien der Magie.

Der Greis ergriff das Wort: „Heute ist ein Magier in der Welt erschienen. Das Totem ist außer sich vor Zorn und fordert seine Liquidierung. Uns ist nicht bekannt, in welchem Imperium der Feind sich befindet, also müssen wir unsere Kräfte aufteilen. Rikon, du kümmerst dich um dein Nördliches Imperium. Devit um das Südliche und Scharmir um das Westliche. Ihr müsst den Magier finden, bevor er seine volle Macht erlangt. Wenn es nötig ist, überprüft jeden, der im letzten Jahr die Initiation durchlaufen hat, aber findet den Gegner! Sobald ihr ihn habt, zögert nicht. Vernichtet ihn sofort. Das ist ein Befehl!“

„Meister, du hast meinen Namen nicht genannt.“ Einer der Schüler senkte den Kopf.

Rikon hätte am liebsten das Gesicht verzogen. Er hasste diesen Nichtsnutz aus tiefster Seele. Er war der Schwächste der vier, ein unangenehmer Neider. Diese „Marionette“ gehörte nur deshalb noch zum Kreis der Auserwählten, weil er der erste Schüler gewesen war. Mit ihm hatte der Meister vor über hundert Jahren seinen Weg zu wahrer Größe begonnen und sich irgendwann offenbar an diesen Schleimer gewöhnt.

„Für dich habe ich auch eine Aufgabe. Du wirst ins Land der Goblins reisen und Sul’vars Altar zerstören. Das hätte schon vor langer Zeit geschehen sollen … Sollten wir den Magier nicht fassen, kann er der Bestie so sein Recht, ihr Schüler zu werden, dennoch nicht beweisen. Ihr habt meine Erlaubnis zur Nutzung aller erdenklichen Ressourcen zur Erfüllung eurer Aufgaben. Zieht die Imperatoren hinzu, die Clans, wen ihr wollt. Hauptsache, ihr findet und vernichtet den Feind. Ich werde versuchen, beim Totem mehr Details in Erfahrung zu bringen. Das ist alles. An die Arbeit! Der Magier gewinnt mit jeder Minute an Macht!“

* * *

Ich konzentrierte mich und zwang die Kraftlinien, sich zu verdichten, sättigte sie mit Energie und verwandelte die unsichtbaren Linien in einen faustgroßen Feuerball. Sofort sank mein verfügbares Mana um ein Viertel. Die Manipulation reiner Energie kostete mich viel mehr als die klassischen Fähigkeiten, die das Totem verlieh, aber das Ergebnis gefiel mir. Über meiner offenen Handfläche schwebte eine kleine, aber tödliche Sonne, die allen Gesetzen der Physik widersprach. Und auch jenen der Magie. Derartiges ohne Fähigkeiten zu erschaffen, galt als unmöglich.

„Ausgezeichnet!“ Barx, der Schamane des Braunbärclans und zugleich Großvater meines Vaters, musterte mich lobend. „Und jetzt lass den Ball das Ziel treffen. Halte ihn mit deinen mentalen Kräften fest, drehe die Handfläche in Richtung des Ziels und lass die Kraftlinien ihr Werk vollenden.“

Grinsend schleuderte ich den Feuerklumpen auf das Ziel, eine Puppe in etwa fünfzig Metern Entfernung. Die Tätowierung 50/50, die seit meinem Gespräch mit dem Totem auf meiner Schulter prangte, erlaubte es mir, selbst über diese Distanz mit Gegenständen zu interagieren. Fünfzig Meter waren allerdings mein Limit. Die Puppe erzitterte und an der Stelle des Durchschlags erschien ein Loch mit versengten Rändern.

„Hiermit ist unser Unterricht beendet.“ Barx setzte sich auf den Boden und zog eine Pfeife aus einer seiner zahlreichen Taschen hervor. Aus der Spitze seines Zeigefingers sprang ein Funke, und kurz darauf zog der Schamane zufrieden an seiner Pfeife und hing seinen Gedanken nach. Es war sinnlos, den Greis zu stören, wenn er in diesem Zustand war. Selbst wenn man es schaffte, ihn aus seiner Lethargie zu reißen, war das Äußerste, was man dafür erwarten durfte, eine Kopfnuss. Das hatte ich am eigenen Leib erfahren. Ich konzentrierte mich erneut und aktivierte eine meiner Fähigkeiten – die „Heimkehr“. Ich hatte nicht die geringste Lust, den Weg von der Höhle des Schamanen zu Fuß anzutreten. Die Umgebung wurde in grauen Nebel getaucht, nur um sich einen Moment später zur Haupthalle des Palasts zu verdichten.

„Vater, Lando.“ Ich nickte den beiden Männern zu, die mich jedoch ignorierten. Die gesamte Aufmerksamkeit des Anführers des Clans der Braunbären und des sechsten Thronerben galt einem kleinen Brett, auf der eigenartige Figuren platziert waren. Wie ich herausgefunden hatte, nannte man dieses Spiel Schach, und seine Regeln waren so kompliziert, dass ich nicht einmal versuchte, sie zu verstehen. Sie mir zu merken, war kein Problem, aber sie zu verstehen – unmöglich.

„Kumpel, warte auf mich! Ich bin so weit!“ Ich bemerkte Elrin, der in der Nähe der Spielenden stand und die Partie aufmerksam beobachtete. Im Gegensatz zu mir interessierte er sich sehr für die Vorgänge auf dem Spielbrett. Ich gähnte gelangweilt und unterdrückte ein Schnauben aus Unzufriedenheit. Ich zwang meine Gedanken zur Ordnung und konzentrierte mich auf das Schachbrett, in dem Versuch, die Logik der Züge zu begreifen. Schach forderte das Gehirn heraus und zwang jene Bereiche, aktiv zu werden, die bei vielen Menschen verkümmerten, weil sie nicht gebraucht wurden. Zum Beispiel bei mir. Wieder überkam mich eine Welle der Wut, aber ich unterdrückte sie. Die Worte des Totems während meiner Initiation hallten in meinem Verstand. Mittlerweile war mir klar geworden, dass etwas Unverständliches mit mir vorging. Wo ich früher mithilfe von Logik und gesundem Menschenverstand vorgegangen war, wurde ich nun von Emotionen und impulsiven Wünschen geleitet. Die unüberwindbare Faulheit, der ständige Kampf mit mir selbst, die Abneigung dagegen, etwas Neues zu lernen, der Drang, sich vor der Arbeit zu drücken – der frühere Leg hatte mir ein schreckliches Erbe hinterlassen. Das Ärgerlichste aber war, dass ich im Moment nichts dagegen tun konnte. Es war ein Teil von mir.

Lando gewann die Partie, doch mein Vater forderte eine Revanche. Der Thronerbe willigte sofort ein. Es gefiel ihm, Ingar zu besiegen, selbst bei einer solchen Nebensächlichkeit. Ich konnte mich nur seufzend abwenden und in den Hof gehen, um meinen Pfeilwerfer zu testen. Ich wusste bereits, dass mir unser Schutzgeist im wahrsten Sinn des Wortes einen Bärendienst erwiesen hatte. Eine vom Totem verliehene Waffe durfte selbst im Palast nicht konfisziert werden.

Das war auch der Grund, weshalb der Imperator ständig von Wachen umgeben war, damit niemand auf den Gedanken kam, dem Staatsoberhaupt Schaden zuzufügen. Natürlich wäre das angesichts der Werte unseres Herrschers ohnehin nicht einfach, aber riskieren wollte es niemand. Rund um den Kaiser gab es eine „Sperrzone“, deren unerlaubtes Betreten mit dem Tod bestraft wurde, was den Anschein von Sicherheit erweckte, da die Totems ausnahmslos Nahkampfwaffen verliehen. Besser gesagt, fast ausnahmslos, denn mein Pfeilwerfer hob sich auffallend von den anderen Waffen ab. Bei einer effektiven Reichweite von hundert Metern feuerte er keine Pfeile ab, sondern Energieklumpen. Das Magazin hatte eine Kapazität von dreißig Schuss und konnte sowohl mit Kraftsteinen als auch mit meinem eigenen Mana aufgeladen werden, wobei nur fünf Einheiten verbraucht wurden. Kurz gesagt, er war keine Waffe, sondern ein Traum. Dazu kam, dass die funkelnden Projektile aus zehn Schritten Entfernung mühelos die Rüstung eines Infernos durchschlugen. Er war ein unfassbarer Traum!

Als Lando gesehen hatte, wozu meine Namenswaffe fähig war, hätte er mich am liebsten auf der Stelle selbst umgebracht. Nur um auf Nummer sicher zu gehen. Doch das Wichtigste an jeder Namenswaffe war, dass man sie nicht verlieren konnte. Genau deshalb wurden sie im Palast niemandem abgenommen, es wäre sinnlos gewesen. Man musste es sich nur wünschen, und schon erschien dieses Geschenk des Totems wie aus dem Nichts in der eigenen Hand. Die Beschwörung funktionierte zwar nur einmal am Tag, aber selbst die vollständige Vernichtung konnte nicht verhindern, dass die Waffe in den Händen ihres Besitzers erschien. Die Sache mit dem Pfeilwerfer war also nicht einfach und vor allem gefährlich.

Was den Rest betraf … Es kam mir vor, als hätte ich in den drei Tagen seit meiner Initiation mehr gelernt als in meiner gesamten bisherigen Zeit in dieser Welt. Vor allem in Bezug auf die Magie. Abgesehen von der direkten Manipulation der Kraftlinien, die ich kürzlich mit dem Schamanen geübt hatte, war die Magie in dieser Welt eine seltsame Sache. Neben Mana gaben die Totems jedem Auserwählten eine geheime Liste, die nur für ihn selbst sichtbar war. Sobald man eine Fähigkeit oder die Namenswaffe einsetzen wollte, erschien diese Liste automatisch vor den Augen und zeigte die verfügbaren Fähigkeiten an, mitsamt Beschreibung, Manakosten für die Aktivierung und, was nicht unwichtig war, dem verbleibenden Mana. Um eine Gabe des Totems anzuwenden, musste man sich gedanklich darauf konzentrieren und sie aktivieren.

Ich war fassungslos über eine derart armselige Umsetzung der praktischen Nutzung von Magie. Die Erinnerung an meine letzte Reinkarnation sagte mir, dass ich dort direkt mit Kraftlinien gearbeitet hatte, ohne darüber nachzudenken, wie viel Mana mir noch blieb oder welche Fähigkeiten einsatzbereit waren. Die Magier hatten die Kraftlinien ihrem Willen unterworfen und aus ihnen die gewünschte Form oder Konstruktion gebildet. In etwa so, wie ich mit den Feuerbällen verfuhr. An die Ausbildung selbst erinnerte ich mich nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass man uns dort nicht beigebracht hatte, Listen von Fähigkeiten auswendig zu lernen, sondern die Manipulation der Linien auf einen möglichst geringen Verbrauch von Mana zu optimieren. Denn ein Viertel des verfügbaren Manas für ein kleines Feuer zu verbrauchen, war nicht gerade effizient.

Meine Pfeile fanden einer nach dem anderen ihr Ziel, aber das Ergebnis war nicht berauschend. Die Treffsicherheit lag zwar bei hundert Prozent, und nach zehn Schüssen war von der Puppe nur noch eine rauchende Vogelscheuche übrig, aber der Vorgang selbst … So sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, mehr als drei Schuss pro Minute abzufeuern. Alle zwanzig Sekunden ein Schuss war kein Problem, aber egal, was ich tat, schneller ging es nicht. Das würde ein ernstes Problem werden. Meine bisherige Waffe feuerte problemlos alle zwei bis drei Sekunden. Ich konnte doch unmöglich zwei Pfeilwerfer mit mir herumschleppen. Ich brauchte unbedingt eine Zweitwaffe, vielleicht irgendeinen Stock. Damit konnte ich zum Glück recht gut umgehen, wenn nicht auf dem Niveau eines Meisters, dann zumindest eines guten Schülers.

„Leg, wir werden gerufen. Es ist Zeit.“ Chad unterbrach mein Training. Endlich war der Moment gekommen, auf den ich gewartet hatte. Weder am ersten, noch am zweiten Tag hatte man mir die Abreise zu den Goblins erlaubt, was mich so wütend gemacht hatte, dass ich lauthals erklärt hatte, am dritten Tag ohne Wenn und Aber abreisen zu wollen.

Die Erwachsenen hörten mir zu und entschlossen sich dann endlich, ihre Pläne mit mir zu teilen.

„Deine Reise zu den Goblins ist im Moment unmöglich.“ Mein Vater redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern verlieh seiner Entscheidung Nachdruck. Ich hatte jedoch nicht vor, klein beizugeben.

Ich zuckte nur mit den Schultern und erklärte gelassen: „Dann muss sich wohl jemand damit abfinden, dass manchmal etwas Unmögliches geschieht. Vater, ich habe keine Zeit für einen Aufschub. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mir den Respekt der Goblins verdienen soll, noch dazu der westlichen. Je eher ich dort bin, desto mehr Zeit bleibt mir, um es herauszufinden.“

„Was für ein sturer kleiner Bär …“ Lando Slick mischte sich ein. „Nein, mein zotteliger Freund, du wirst nirgendwohin gehen, das würde dem Clan schaden. Nummer Eins, was gibt’s?“

„Herr.“ Der Kommandant des Spähtrupps im Dienst des sechsten Thronerben trat aus dem Schatten. Ich reagierte nicht. Dass er dort stand, hatte ich schon gewusst, bevor ich den Raum betreten hatte. Die Arbeit mit den Kraftlinien fiel mir von Tag zu Tag leichter. Völlig ausgeschlossen, dass ich die typische Rüstung eines Infernos nicht bemerkt hätte.

„In den letzten vierundzwanzig Stunden haben im ganzen Imperium unbegründete Kontrollen aller Sechzehnjährigen begonnen. Die Leute Eures vierten Bruders sind damit beschäftigt, Herr, aber nicht nur sie. Es wurden auch einige Dutzend unregistrierter Infernos beobachtet, und sogar ein Engel. Der Grund für die Kontrollen ist unklar. Laut Aussage derjenigen, die sie durchlaufen haben, kamen Geräte zu Einsatz, die angeblich das Niveau ihrer magischen Kräfte überprüfen sollten. Sie suchen jemanden.“

„Und ich weiß auch, wen.“ Lando sah mir in die Augen. „Mein älterer Bruder gehört nicht zu den Auserwählten, die zum Wohle des Staates arbeiten, daher nimmt er sich ab und zu etwas zu viel heraus. Seine persönliche Garde ist der meinen um ein Vielfaches überlegen. Es würde mich nicht wundern, wenn er für das ‚Scharlachrote Band‘ arbeitet, und ich kann nicht einmal ausschließen, dass er dessen Gründer ist. Alles, was er tut, dient einem Zweck. Irgendjemand hat erfahren, dass ein Magier in der Welt aufgetaucht ist. Seit deinem Erscheinen sind erst drei Tage vergangen. Sie waren darauf vorbereitet, wenn sie sofort dieses Gerät parat hatten. Das bedeutet nur eines: Magier sind nicht einzigartig. Es gab sie schon früher, aber alle Informationen über sie wurden sorgfältig aus allen Quellen entfernt. Wenn du jetzt untertauchst, wissen sie sofort, wer du bist. Ich will gar nicht daran denken, was den Bären in diesem Fall drohen würde. Dass ihr jetzt drei Recken habt, wird euch gegen drei oder vier Engel auch nicht helfen. Sie werden alle niedermetzeln, darin hat meine Verwandtschaft viel Erfahrung.“

„Herr, das ist noch nicht alles. Wir haben neue Informationen. Die Kontrollen finden in allen drei Imperien statt. Unsere Freunde im Westen und Süden berichten von ähnlichen Aktionen durch Vertreter ihrer Herrscherfamilien. Und überall tauchen nicht registrierte Infernos und sogar Engel auf, die dafür sorgen, dass niemand der Prozedur entgeht.“

Der Bote schwieg. Im Saal herrschte Stille.

„Sie kennen den genauen Aufenthaltsort des Magiers nicht, Leg droht also keine Gefahr. Was ist, wenn …“, setzte Elrin an, doch Lando brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Für mich galt das jedoch nicht, also sprach ich das Offensichtliche aus. Das, worüber alle anderen aus irgendeinem Grund schwiegen.

„Das ‚Scharlachrote Band‘ ist nicht auf unser Imperium beschränkt. Sie sind in allen Imperien aktiv. Eine solche Organisation kann nicht der vierte Thronerbe allein gegründet haben. Wenn er für sie arbeitet, ist er nichts weiter als ein gewöhnlicher Befehlsempfänger.“

„Verdammt“, fluchte Lando. „Ich war so gut wie sicher, dass er dahintersteckt … Dass die Suche überall angelaufen ist, deutet darauf hin, dass ein Totem involviert ist.“

„Wir haben weitere Informationen.“ Der Bote meldete sich wieder zu Wort. „Von der Suche betroffen sind nur diejenigen, die über Mana verfügen. Das Siegel wird nicht kontrolliert, aber unseren Informationen zufolge wird es auf dem Gerät angezeigt. Gewöhnliche Jugendliche lassen sie unbehelligt.“

„Sie suchen nach deinen Werten.“ Lando sah wieder in meine Richtung. „Das bedeutet, Elrin und Chad werden die Kontrolle bestehen, auch wenn es vielleicht Fragen zu ihren Zahlen geben wird. Aber Leg würden sie sofort heraussieben.“

„Wenn er sich nicht tarnt“, erklärte Barx. „Er kann die Linien sehen und lenken, also kann er sie auch so um sich legen, dass nichts nach außen dringt. Zumindest vorübergehend kann er sich so in einen Nuller, einen Menschen ohne Mana, verwandeln.“

„Wenn er kein Mana hat, kann er auch nicht an die Mirax.“

„Das stimmt nicht ganz.“ Der Schamane zwinkerte mir verschmitzt zu. „Die Tore der imperialen Akademie stehen Leg immer offen. Er hat das Recht auf eine Ausbildung dort erhalten. Wir müssen ihm nur beibringen, wie man sich tarnt und uns eine überzeugende und logische Geschichte ausdenken, wieso das Totem einem erfolgreichen Absolventen der Vorbereitungsklasse das Recht auf Mana verwehrt hat. Von einem solchen Fall habe ich noch nie gehört.“

„Das ist doch ganz einfach.“ Elrin zuckte mit den Schultern. „Leg kam nach mir dran, und das Totem war eben erschöpft. Mich hat es zum Recken gemacht, Leg bekam nur einen feuchten Händedruck und einen Pfeilwerfer als Entschädigung. Er kann Steine benutzen, aber nur, um seine Waffe aufzuladen. Basta!“

„Ich lasse nicht zu, dass du dich opferst!“, blaffte Lando. „Sobald der Imperator erfährt, dass die Bären einen Recken haben, wird er Befehl geben, dich in- und auswendig zu studieren, um endlich zu verstehen, wie die Aneignung der Fähigkeiten funktioniert. Genau aus diesem Grund versuchen die Clans, es zu verheimlichen, wenn ein Recke erschaffen wurde.“

„Dann musst du dir eben überlegen, wie du mich vor Großvater beschützen kannst.“ Elrin hatte seine Entscheidung getroffen. „Ich schulde Leg zwei Leben. Denkst du wirklich, ich lasse mich davon abhalten, dass mir vielleicht Schwierigkeiten drohen? Ich will wenigstens eine Tätowierung loswerden.“

Die zweite Tätowierung hatte Elrin bei derselben Gelegenheit erhalten wie Lando – beim Überfall des Löwenclans im Zug. Das war übrigens eine weitere Frage, die mir keine Ruhe ließ. Einer der Anführer des „Scharlachroten Bandes“ wusste, wie man Magie nutzte. Wo hatte er das gelernt? Es war keine Totemfähigkeit gewesen, sondern die Manipulation von Kraftlinien, sonst hätte er es niemals geschafft, den sechsten Thronerben, der sich in Nebel verwandeln konnte, festzuhalten.

„Leg, kannst du dich tarnen?“ Ingar wandte sich mir zu. „Kannst du dich als Nuller ausgeben?“

„Ich muss es versuchen“, antwortete ich ehrlich und fügte sofort hinzu: „Obwohl mir alles, worüber ihr hier diskutiert, völlig sinnlos erscheint. Ich habe nicht vor, an die Mirax zu gehen. Mein Weg führt nach Nordwesten. Zu den Goblins und Sul’vars Altar. Irgendwie scheint ihr das ständig zu verdrängen. Wenn ich mein Ziel nicht innerhalb eines Jahres erreiche, muss ich mich nicht mehr tarnen. Dann blockiert das Totem meine gesamte Magie.“

„Die Aufnahme an der Mirax ist nur mit sechzehn Jahren möglich“, erklärte mein Vater ruhig. „Wenn du ein Jahr später kommst, bleibt diese Akademie dir verschlossen, und sie ist die beste in unserem totemverlassenen Imperium. Du musst dich dort melden, einen Monat absitzen, die Aufgaben für die Klassenarbeiten erhalten und die Erlaubnis einholen, sie außerhalb der Mauern der Akademie zu schreiben. Lando wird dafür sorgen, dass es klappt. Während du vom Unterricht freigestellt bist, musst du dann nicht nur deine Arbeiten schreiben, sondern auch alle Lehrbücher lernen und dich auf die Ablegung der physischen Eignungsprüfung vorbereiten. Bei Letzterem wird dir der Schatten helfen. Sie wird gemeinsam mit dir zu den Goblins reisen. Und bedenke bitte, dass du die Vorbereitung und die Prüfungen als Nuller absolvieren musst. Das ist schwierig, aber machbar. Bis wir sicher sind, dass dir keine Gefahr droht, muss alle Welt dich für einen Jungen ohne Mana halten.“

Ich schnaubte missmutig. Die Entscheidungen, die hier ohne meine Zustimmung getroffen wurden, gefielen mir ganz und gar nicht. Mein Verstand begriff die Logik dahinter, aber mir fehlte die Kraft, sie zu akzeptieren.

„Gut, angenommen, er kann sich tarnen“, schaltete Lando sich ein. „Dann studiert er also an der Mirax, obwohl ich nicht weiß, wie die anderen darauf reagieren würden. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Er kann nicht gemeinsam mit Liara studieren. Ingar, du kennst das Gesetz genauso gut wie ich.“

„Ein Mensch ohne Mana ist nicht zum Umgang mit Mitgliedern der imperialen Familie berechtigt“, murmelte mein Vater nachdenklich und fügte entschlossen hinzu: „Das muss Leg eben akzeptieren. Genau wie sie.“

„Vergesst es!“, schrie ich wütend. Aus mir sprach in diesem Moment nicht die Logik, sondern der Junge, der längst Geschichte war. Offenbar war es Zeit, ihm zu seinem Willen zu verhelfen. „Liara erfährt die Wahrheit über mich und über unsere Pläne. Ich habe nicht vor, meinem Mädchen den Laufpass zu geben, selbst wenn das gesamte Imperium und das ‚Scharlachrote Band‘ Jagd auf mich machen!“

Lando verzog das Gesicht, als hätte er etwas Saures verschluckt.

„Vor dreißig Jahren habe ich ähnliche Worte gehört. Haben die Bären ein Faible für Beziehungen zu Nachkommen der Vipern? Ihr könnt wohl nicht ohne uns leben, wie?“

„Vertraust du ihr, mein Sohn?“ Ingar ignorierte den Einwurf seines alten Feindes.

„Sie hat niemandem vom siebten Bogusch-Kristall erzählt, den Magister Eiro dann versteckt hat. Also ja, ich vertraue ihr voll und ganz.“

„Aner bekommt einen Tobsuchtsanfall“, bemerkte Lando. „Das wird noch größere Probleme heraufbeschwören als der Pfeilwerfer. Sie werden Archo auf Leg ansetzen, der Schatten kann ihm nicht das Wasser reichen. Wenn du also bereit bist, zu sterben, dann setz deine Beziehung ruhig fort. Ich verlasse mich auf Liara. Sie wird ihre Gefühle im Zaum halten und jeden Kontakt zu einem Nuller abbrechen. Du wirst keine Gelegenheit haben, ihr irgendetwas zu erklären. Sie wird nicht einmal mit dir sprechen.“

Archo war ein Engel, der für die Vipern arbeitete, aber nicht zu deren Familie gehörte. In der inoffiziellen Rangliste der Mithrilschlucker belegte er den dritten Platz, gleich nach dem Imperator selbst und dessen ältestem Sohn Dars. Der Schatten, der das Recht verloren hatte, sich meine Großmutter zu nennen, lag an zehnter Stelle. Und das waren nur die Engel, die allgemein bekannt waren. Wie der Bote bereits erklärt hatte, waren in unserem Imperium Engel aufgetaucht, die in keiner Rangliste erschienen.

„Aber sie wird sehr wohl mit ihrem Cousin sprechen, der aus unerfindlichen Gründen ein Recke geworden ist“, mischte Elrin sich wieder ein. „Und es würde mir nicht im Traum einfallen, ihr die Wahrheit zu verschweigen. Wenn Leg ihr vertraut, vertraue ich ihr auch.“

„Na schön, ich rede mit Aner und versuche, ihn zur Vernunft zu bringen. Wenn alle Stricke reißen, schicke ich Archo auf irgendeine andere Mission …“, meinte Lando nach einer langen Pause nachdenklich. „Aber all das ist hinfällig, wenn Leg sich nicht tarnen kann und das Gerät ihn entlarvt. Und wir müssen uns etwas für seine Tätowierung einfallen lassen. Wenn irgendjemand zufällig diese Zahlen sieht, ist unser ganzer Plan einen Dreck wert.“

Ich spürte ein Brennen im Schulterbereich. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich es geschafft, mich zu tarnen. Meine Erfahrung in der Manipulation von Kraftlinien machte sich bezahlt, ebenso wie die Tatsache, dass ich beobachtet hatte, wie der Rektor beim Blockieren des Bogusch-Kristalls vorgegangen war. Er hatte die von dem Kristall ausgehenden Linien vollständig von der Außenwelt abgeschottet und ihm so den Anschein eines gewöhnlichen Steins verliehen. Nun versuche ich, etwas Ähnliches zu erreichen, indem ich meine Kräfte in einem zusätzlichen Energiekokon versteckte. Ich kratzte meine schmerzende Schulter, versetzte mich wieder in meinen Normalzustand und atmete erleichtert auf. Die Blockade nahm mir zwar die Möglichkeit, Totemfähigkeiten zu nutzen, ich konnte aber immer noch Kraftlinien sehen und manipulieren. Wieder spürte ich einen Schmerz an der Schulter. Irritiert schob den Ärmel hoch und starrte meine Tätowierung an. Alles war wie immer. Sie zeigte unverändert die Werte 50/50, aber die Haut war ringsum gerötet, als wären die Zahlen eben erst erschienen.

„Was treibst du denn da?“, fragte Elrin. Anstatt zu antworten, blockierte ich erneut meine Magie. Wieder juckte meine Haut, doch diesmal sah ich den Grund. Die Zahlen, die mich als Magier zu erkennen gaben, waren weg!

„So etwas habe ich ja noch nie gesehen.“ Barx kratzte sich verwundert am Hinterkopf und musterte meine Schulter. „Und ich habe schon so ziemlich alles gesehen, das könnt ihr mir glauben.“

„Das passt doch ausgezeichnet zu unserer Geschichte, dass das Totem nach dem Recken müde war und keine Kraft mehr für Leg hatte. Außerdem bedeutet die Tätowierung, dass ihr Besitzer zum Studium an der Akademie berechtigt ist. Fragt sich nur, was seine Kollegen davon halten werden. So etwas hat garantiert noch niemand gesehen.“

Dem konnte ich nicht widersprechen. Nachdenklich betrachtete ich die neue Aufschrift. Meine Tätowierung war, wie ich vermutet hatte, nicht verschwunden, sondern hatte sich verändert. Bei ihrem Anblick hatte ich das Gefühl, mich wie der Schamane verwirrt am Hinterkopf kratzen zu müssen. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass jemand die Werte 0/0 haben könnte.

Kapitel 2

„LEG DIE HAND auf das Gerät. Nenne deinen Namen, deinen Clan und dein Alter.“

„Leg Ondo, Braunbären, sechzehn Jahre.“

„Weitergehen. Der Nächste!“

Ich unterdrückte einen erneuten Anflug von Brechreiz, ausgelöst durch die „Abwasseraromen“, die durch die Hauptstadt wehten, warf einen flüchtigen Blick auf die Anzeige des Geräts und gab meinen Bewachern mit einer kaum merklichen Geste zu verstehen, dass kein Grund zur Sorge bestand. Ich hatte die Kontrolle bestanden. So ausgeklügelt das Gerät auch sein mochte, es drang nicht durch meinen Schutzkokon. Für das Gerät war ich, genau wie für den Rest der Welt, ein eigenartiger Manabesitzer mit den Werten 0/0.

Der nächste Erstklässler trat vor das Gerät, während ich zum Haupttor der Akademie schlenderte und den Gedanken zu verdrängen versuchte, dass das „Scharlachrote Band“ heute nicht nur alle Regeln der Mirax verletzt, sondern auch die persönlichen Geheimdaten hunderter Erstklässler erfahren hatte. Es war schwer, die eigene Herkunft und die vom Totem erhaltenen Kräfte vor den anderen geheim zu halten, wenn man gezwungen war, es vor versammelter Menge kundzutun. Ausnahmen wurden für niemanden gemacht.

In der Menge sah ich Belis vom Spinnenclan, die bescheiden mit den anderen warten musste, bis sie an die Reihe kam. Das Mädchen trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, doch auch sie konnte sich dem Befehl des Imperators nicht widersetzen. Da er beschlossen hatte, alle Schüler des ersten Jahrgangs auf diese unangenehme Weise zu überprüfen, hatte man nur die Wahl, sich zu fügen oder die Akademie zu verlassen und das investierte Geld sowie die eigene Zukunft in den Wind zu schreiben. Die Geschwindigkeit, mit der das „Scharlachrote Band“ flächendeckend zur Tat schritt, war erstaunlich. Selbst Lando musste eingestehen, dass er die Macht der Geheimorganisation wohl unterschätzt hatte. Auf den Imperator Druck auszuüben, war kein Problem. Er hatte viele wunde Punkte. Ihn dazu zu zwingen, gegen die führenden Clans vorzugehen, war ein ernsteres Unterfangen.

Der Trupp, der zu meiner Bewachung mitgekommen war, mischten sich unters Volk. Ingar hatte darauf bestanden. Wenn das Gerät meine Tarnung aufgedeckt hätte, wäre ihre Aufgabe meine Evakuierung gewesen. Nicht nur der Schatten und mindestens zehn Mitglieder der persönlichen Garde des sechsten Thronfolgers waren auf dem Platz zugegen, sondern auch Lando selbst. Denn niemand kannte die Macht des unbekannten Engels, der auf dem Dach eines an den Platz angrenzenden Gebäudes stand.

„Elrin Ondo, Braunbären, sechzehn Jahre.“

„Oho … Weitergehen. Der Nächste!“

Die Reaktion des Prüfers war verständlich. Auf der ganzen Welt gab es kaum hundert Personen mit Werten wie denen meines blonden Bruders. Normalerweise waren Recken nicht für ihre Stärke berühmt, ihre Besonderheiten lagen anderswo. Elrins Entwicklungswerte waren hingegen für jeden Menschen beispiellos, was natürlich Aufmerksamkeit erregte. Ich war sicher, die Neuigkeit über meinen Bruder hatte sich bereits über alle Kanäle verbreitet.

Viele Erstklässler hatten es, genau wie die überwiegende Mehrheit der älteren Semester, nicht eilig, die Mirax zu betreten. Für die Kontrollen war der Platz vor den Toren der Akademie von Händlern geräumt worden und die Studenten nutzten die Gelegenheit, es sich direkt auf den Steinen bequem zu machen und neugierig die Rufe aufzufangen. Zugegeben, auch ich wollte nur zu gern wissen, mit wem ich in den nächsten Jahren studieren würde. Falls ich bis dahin überleben würde …

„Die Thronerbin!“ Ein gedämpftes Raunen ging durch die Menge. Auf der breiten Straße, die zur Mirax führte, fuhr ein teures Automobil vor. Es wurde langsamer und näherte sich zielstrebig dem Tor, wobei es die abwehrenden Gesten der kaiserlichen Wachen ignorierte. Erst, als der Engel vom Dach des angrenzenden Gebäudesvor der Motorhaube auftauchte und ihm mit einer Handbewegung befahl, anzuhalten, blieb es stehen. Fünfzig Meter vom Eingang der Akademie entfernt.

Mein Herz begann unwillkürlich, schneller zu schlagen. Die Initiation hatte Liara Slick gutgetan. Sie war auch vorher schon hübsch gewesen, aber auf eine eher kindliche Art, die keine Ehrfurcht auslöste. Nun jedoch erschien vor den Schülern eine Schönheit, die sich ihrer Macht und Ausstrahlung durchaus bewusst war. Ohne ein Wort zu sagen, schritt sie ruhig auf den Eingang der Mirax zu, doch der unregistrierte Engel stellte sich ihr in den Weg.

„Alle Erstklässler müssen die Kontrolle durchlaufen.“ Er zeigte auf das Zelt, doch da wurde die Tür des Autos erneut geöffnet und die Menschen auf dem Platz fielen auf die Knie. Hinter Liara erschien ihr Vater, der zweite Thronerbe.

„Wage es nicht, mich anzufassen“, sagte Liara, ohne langsamer zu werden. Der Engel warf Aner einen wütenden Blick zu, trat aber zur Seite.

„Eure Hoheit, der Befehl des Imperators …“ Irgendein Bürokrat stürzte auf Aner zu, doch dieser bedeutete ihm, zu schweigen, und geruhte zu antworten. In der Stille, die über dem Platz lag, waren seine Worte bis in den letzten Winkel zu hören: „Ich werde selbst mit meinem Vater sprechen, was Liara angeht. Es ist ihre Entscheidung, und ich verlange, dass sie respektiert wird.“

„Ja, Eure Hoheit“, sagte der verängstigte Prüfer mit zitternder Stimme, aber niemand schenkte ihm mehr Beachtung. Aner stieg wieder ins Auto, und Liara kam mit selbstbewusstem Schritt auf mich zu.

„Eure Hoheit.“ Ich beugte das Knie. Während man vor Aner stets niederknien musste, sobald er am Horizont erschien, reichte es bei seiner Tochter, ihr Respekt zu zollen, wenn man direkt vor ihr stand.

„Steh auf, Leg. Ich möchte, dass du mich in die Mirax begleitest“, erklärte Liara mit hocherhobenem Haupt. Ich warf Aner einen flüchtigen Blick zu. Sein Blick bohrte sich regelrecht in den Rücken seiner Tochter, aber der zweite Thronerbe sagte nichts. Er respektierte tatsächlich Liaras Recht, Dummheiten zu machen, und akzeptierte ihre Entscheidung. Und ihre Entscheidung war es nun mal, der ganzen Welt ihren Favoriten zu präsentieren.

„Gern, Eure Hoheit.“ Ich bot dem Mädchen meinen Arm, und sie klammerte sich so fest daran, dass ich wahrscheinlich einige Blutergüsse davontragen würde. An Liaras Körperhaltung war abzulesen, dass sie am Rande der Hysterie stand, aber sie schaffte es dennoch, äußerlich ruhig zu wirken. In völliger Stille erreichten wir das Tor, wo uns bereits Magister Kalvar erwartete. Die Situation musste wirklich außergewöhnlich sein, wenn der Rektor der Akademie seine Studenten persönlich in Empfang nahm.

„Eure neuen Namen.“ Der Rektor reichte Liara und mir ein Blatt Papier. Ich war ab jetzt Leg-Eins-Zehn. Liara erfuhr auch hier eine Sonderbehandlung. Sie war Liara-Eins-Eins. Die Erste der ersten Klasse. Magister Kalvar überzeugte sich, dass wir den Text aufmerksam gelesen hatten, und fügte dann hinzu: „Ungeachtet dieses Unfugs hier draußen bleiben die Regeln der Mirax unverrückbar. Alle Schüler haben innerhalb der Mauern der Akademie ihre Zugehörigkeit zu Clan und Familie zu vergessen. Herzlich willkommen in der ersten Klasse!“

Das war das Stichwort. Die Schüler, die eben noch die Kontrollen beobachtet hatten, erinnerten sich plötzlich an all die Dinge, die sie zu erledigen hatten, und eilten in die Akademie. Magister Kalvar schlug sich ganz gut. Er begrüßte jeden Eintretenden persönlich und kannte nicht nur den Namen, sondern auch die Nummer jedes Schülers. Außerdem teilte der Rektor jedem Einzelnen mit, dass die Regeln der Mirax nach wie vor galten.

„Erste Klasse, zu mir!“, ertönte eine laute Stimme. Wie sich herausstellte, war Magister Bolor, der Leiter des Übungsgeländes, unser neuer Betreuer. Die alte Dame Virano war wie im letzten Jahr für die Vorbereitungsklasse zuständig. Ich war ein wenig enttäuscht, denn von allen Lehrern der Akademie war sie mir die liebste.

Unser Betreuer musterte uns mit unzufriedenem Blick. Wir waren ihm nicht schnell genug bei der Ausführung seines Befehls. Aber er hatte nichts gegen Liara und mich in der Hand. Wir nahmen unseren Platz ein, wenn auch ohne übermäßige Eile.

„Geht zum zweiten Gebäude, der Kommandant wird euch eure Zimmer zeigen. Die ganze Klasse versammelt sich heute um acht Uhr abends. Kommt nicht zu spät. Geht euch umziehen. Los! Oder wollt ihr gleich eure erste Verwarnung kassieren?“

Wir machten uns schleunigst aus dem Staub. Der Miene des Betreuers nach zu urteilen, war er nicht zu Späßen aufgelegt. Genau wie alle anderen Lehrer, auf die wir unterwegs trafen. Der Befehl des Imperators, alle Erstklässler zu kontrollieren, war überraschend gekommen. Der Clan der Schwarzen Raben war darauf nicht vorbereitet gewesen.

Im Vergleich zur Vorbereitungsklasse genossen die Erstklässler einige wichtige Privilegien. Jedem der hundert Schüler wurde ein eignes – wenn auch kleines – Zimmer zugeteilt, wo bereits Lehrbücher, Schreibutensilien und mehrere Garnituren der Uniform der Mirax auf ihn warteten. Nach einem kurzen Blick auf den Bücherstapel, den ich selbstständig würde lernen müssen, lief ich nach unten.

Liara und ich hatten uns im Speisesaal verabredet. Dort herrschte bereits reges Treiben. Ein weiterer Vorteil für vollwertige Schüler lag darin, dass sie sich die Schwäche eines Süßwarenladens leisten durften. Im Nullerkurs war daran nicht einmal zu denken gewesen, doch nun standen uns praktisch alle Türen offen.

„Du machst ein Gesicht, als hätten sie dich mit Gewalt zur Akademie eskortiert.“

„Du hast es doch selbst gesehen“, antwortete Liara mürrisch und ignorierte ihre duftende Teetasse. „Nicht nur mit Gewalt, sondern unter Bewachung eines der mächtigsten Männer dieser Welt …“

„Willst du damit sagen, dass du nicht hierherkommen wolltest?“ Diese Neuigkeit überraschte mich.

„Nein … Ich … Leg, ich werde nicht lange hierbleiben. Sobald ich die Hausarbeitsaufgaben habe, muss ich die Mirax verlassen. Bitte frag mich nicht nach den Gründen. Zu deiner eigenen Sicherheit ist es besser, wenn du nichts davon weißt.“

Liara wich meinem Blick aus und wagte es nicht, mir direkt in die Augen zu sehen. Ein solches Verhalten war für die Thronerbin mehr als ungewöhnlich. Ich kannte das Mädchen gut genug, um zu wissen, dass sie mir etwas verheimlichte. Sie wollte es mir nicht sagen, weder jetzt, noch später. Dazu kam, dass sie die Kontrolle verweigert hatte, dass Aner seine Tochter unter strenger Beobachtung persönlich vor der Mirax abgesetzt hatte, und dass sie sagte, sie müsse die Akademie verlassen … Das waren zu viele Zufälle, um sie zu ignorieren.

„Komm mit.“ Ich stand vom Tisch auf und zog das Mädchen hinter mir her. Die Mirax war berüchtigt dafür, dass es hier keinen einzigen Ort gab, an dem Paare wie Liara und ich sich hätten verstecken können. Jeder Winkel wurde nicht nur beobachtet, sondern sogar abgehört. Seit ich gelernt hatte, Kraftlinien direkt mit der Umgebung in Zusammenhang zu bringen, war auch der letzte Zweifel ausgeräumt – überall waren spezielle Abhörgeräte installiert, deren Leitungen irgendwo tief unter dem Hauptgebäude zusammenliefen. Mein Scanradius war auf fünfzig Meter angewachsen, aber ich wollte keine Zeit damit verschwenden, den Endpunkt der Drähte aufzuspüren. Zuerst musste ich mir Klarheit über einen anderen Punkt verschaffen. Bei ihrer vermeintlich hundertprozentigen Überwachung der Mirax hatten die Schwarzen Raben ein Detail außer Acht gelassen, und ich beschloss, diesen Umstand auszunutzen, bevor es zu spät war. Selbst wenn Liara und ich riskierten, dafür mit einer Verwarnung bestraft zu werden.

Nachdem ich das Mädchen bis zu seinem Zimmer gezerrt hatte, sagte ich im Befehlston: „Zieh deinen hermetischen Anzug an, wir treffen uns in fünf Minuten unten.“

Liara erhob keine Einwände. Sie war von meinem Verhalten so überrumpelt, dass sie gehorchte. Schnell lief ich in mein Zimmer, holte eines von Meister Eiros Geschenken hervor und zog es hastig an. Der Anzug der Wachen der Mirax ermöglichte die ungehinderte Bewegung durch die Kanalisation, ohne dass man sich Gedanken über die Luftqualität oder ein vollständiges Untertauchen machen musste. Hermetisch dicht, zuverlässig und praktisch – genau das, was ich jetzt brauchte. Liara besaß, wie es sich für jemanden mit imperialem Blut gehörte, einen Schutzanzug, bei dem sogar mich der Neid packte. Er war natürlich nicht mit der Rüstung eines Infernos zu vergleichen, der aus deren inneren Reserven schöpfte, aber er wirkte sehr robust. Ich vermutete, ihre Rüstung würde sogar einem Schuss aus meinem Pfeilwerfer aus nächster Nähe problemlos standhalten.

„Gehen wir. Magister Bolor nimmt gerade die Erstklässler in Empfang, also sollte der Abstieg unbewacht sein.“ Ich nahm das Mädchen wieder an der Hand und zog es zur gegenüberliegenden Seite der Akademie. Dorthin, wo sich der Einstieg zur Kanalisation befand. Soweit ich in Erfahrung gebracht hatte, war dies der einzige Ort an der Mirax, an dem man sich ohne ungebetene Lauscher unterhalten konnte. Dem Sicherheitschef fehlte es an Ressourcen, um auch hier Abhörgeräte zu installieren.

Wie erwartet war niemand am Eingang zur Kanalisation zu sehen. Grünliche Nebelschwaden hingen in der Luft, wie als Beweis dafür, dass hier ohne hermetische Rüstung oder Gasmaske nichts auszurichten war. Ich schob den Deckel zur Seite und wollte gerade hinunterspringen, als Liara mich aufhielt.

„Dafür werden sie uns bestrafen. Das ist ein Regelverstoß.“

„Du willst eine wandelnde Enzyklopädie über die Regeln aufklären? Ja, dann kriegen wir eben eine Verwarnung, ist doch egal. Dafür hindert uns da unten niemand daran, uns in Ruhe zu unterhalten. Ohne Zuhörer. Glaub mir, ich habe dir Einiges zu erzählen.“

„Und ich erst …“ Liara seufzte bedrückt und sprang als Erste hinunter. Erst jetzt bemerkte ich einen rötlichen Schimmer. Die Namenswaffe des Mädchens entpuppte sich als einfacher Dolch. Was hatte der Schutzgeist des Vipernclans sich bloß dabei gedacht, dem Mädchen diesen Scherzartikel anzudrehen? Wie sollte sie sich damit verteidigen?

Ich sprang ihr nach und ergriff wie gewohnt Liaras Hand. Belis’ Karte war noch frisch in meinem Gedächtnis, sodass ich den Abgang zur nächsten Ebene auf Anhieb fand. Doch im Gegensatz zum letzten Mal war er versperrt. Das war jedoch kein Problem. Weiterzugehen hatte ohnehin keinen Sinn. Hier gab es keine einzige Kraftlinie.

„Ich habe dich hierhergeschleppt, also werde ich anfangen. Liara, ich …“

„Leg, ich bin der Magier! Ich bin es, nach der sie suchen!“ Es war, als hätte jemand eine Stahlstange aus dem Mädchen gezogen. Liara sank auf die Knie und schluchzte laut auf, wobei sie unter Tränen unzusammenhängende Sätze hervorpresste. Ich setzte mich neben sie auf den matschigen Boden, umarmte sie und wartete einfach. Bei ihr hatte sich einiges aufgestaut. Soviel ich wusste, wurde Menschen mit imperialem Blut beigebracht, die eigenen Emotionen zu beherrschen. Aber alle Emotionen ließen sich offensichtlich nicht unterdrücken. Zehn Minuten später wollte sich das Schluchzen noch immer nicht beruhigen, und in mir stieg langsam Wut auf. Mitleid zu zeigen und Trost zu spenden war eine Sache, aber völlig hilflos dazusitzen und nicht zu wissen, was ich tun sollte, war unerträglich. Ich beschloss, den Tränenstrom, der in den Helm floss, durch eine harmlose Frage zu stoppen: „Heißt das, sie schicken dich ins Gebiet der Goblins?“

Das Schweigen des Mädchens sagte mehr als tausend Worte. Liara zog sich von mir zurück. Durch das geschlossene Visier konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, aber ich spürte, wie ihr Blick sich in mich brannte.

Ich tat, als hätte ich nichts bemerkt, und fuhr fort: „Und dort sollst du ihr Vertrauen gewinnen, damit sie dir Zugang zu Sul’vars Altar gewähren? Weil ein Magier nur dort seine ganze Macht erlangen kann? Und wenn du das nicht innerhalb eines Jahres schaffst, verlierst du die Fähigkeit, Magie zu spüren?“

„Woher weißt du das?“, flüsterte das Mädchen entgeistert. „Das weiß nicht einmal mein Vater …“

„Das ist genau der Grund, weshalb ich dich hierhergebracht habe. Sie suchen nicht nach dir, Liara. Besser gesagt, nicht nur. Sie brauchen beide Magier, die in unserem Imperium erschienen sind.“

„Beide?“ Liara presste instinktiv die Hände auf den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.

„Genau … Ein Siegel mit 50/50 bekommt man nicht einfach so.“

„Aber du hast die Kontrolle doch bestanden!“

„Ich hatte mich getarnt. Ich habe meine Energie in sich geschlossen und nichts nach außen dringen lassen. So wurde ich zu einem sehr seltsamen Magier mit den Werten 0/0. Es ist, als hätte ich Mana, aber gleichzeitig auch wieder nicht. Ohne Stein kann ich gar nichts tun.“

„Kannst du für mich auch so eine Blockade erschaffen?“, fragte Liara hoffnungsvoll. „Wenn meine Kräfte verborgen wären, müsste ich mich nicht vor den Kontrollen drücken. Mein Vater meinte, gegen die Beteiligten sei sogar mein Großvater machtlos.“

„Schaffst du es nicht selbst? Ist doch ganz einfach. Du musst nur alle Linien, die aus deiner Quelle kommen, wieder dorthin zurückleiten. Es dauert ein wenig, aber es ist machbar.“

„Was für Linien?“, fragte Liara überrascht. „Und was für eine Quelle? Redest du von Mana?“

„Heißt das, du siehst die magischen Linien nicht?“ Nun war ich an der Reihe, verblüfft zu sein. „Sie sind … weißlich, irgendwie. Oder durchsichtig. Sie existieren überall, wo Mana ist. Und die Quelle, das ist die Stelle in deinem Körper, wo diese Linien entstehen. Sie befindet sich – keine Angst – genau hier.“

Ich berührte den Bauch des Mädchens knapp unterhalb des Solarplexus.

„Nein, ich kann keine Linien sehen. Kannst du mir nun helfen oder nicht?“

„Ich kann’s versuchen, aber … Nein, Liara, ich sehe sie, aber habe keinen Einfluss auf sie. Du musst das selbst hinkriegen.“

„Aber wie denn?“ Die Stimme des Mädchens zitterte verräterisch, als würde sie gleich wieder in Tränen ausbrechen. „Ich habe weder einen Lehrer noch irgendeine Anweisung erhalten. Nichts! Mein Vater hat alle Archive durchforstet, die wir haben – absolut nichts! Niemand hat eine Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Magier zu sein, oder welche Fähigkeiten damit einhergehen. Wie soll ich das jemals schaffen, wenn ich nicht einmal diese blöden Linien sehe, was auch immer sie bedeuten?“

„Merkwürdig. Das Totem hätte dir erklären müssen, was du damit anstellen sollst.“ Ich wollte mich am Hinterkopf kratzen wie Barx, doch daraus wurde nichts. Ich trug immer noch meinen Helm, und ihn in der Kanalisation abzunehmen, war lebensgefährlich.

„Müssen? Unsere Schlange muss überhaupt nichts …“ Mit einem Mal hatte sich der Tonfall des Mädchens geändert. Er war nicht mehr weinerlich, sondern resigniert. „Das Totem hat mir nicht mal eine Wahl gelassen. Es hat nur gemeint, ich würde schon zurechtkommen, ich sei mein ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden, und da ich mich weigere, Mithril einzunehmen, sei dies der einzige Weg für mich. Weißt du, was diese Schlange zu mir gesagt hat? Dass sie Elrin nur zu dem Zweck blockiert hat, mir seine Kräfte zu übertragen! Und nicht nur ihn, sondern fünf andere Pechvögel auch noch! Ich weiß nicht, wie ich deinem Bruder in die Augen blicken soll … Ich habe jetzt seine Kräfte.“

„Hör mal, du nimmst dir das alles viel zu sehr zu Herzen.“ Ich rückte ein wenig von ihr ab. „Ich sollte dir alles erzählen, sonst plagst du dich weiterhin mit Schuldvorwürfen an jedem Übel dieser Welt. Also, bei unserer Initiation lief es folgendermaßen …“

Meine Schilderung dauerte nicht lange. Liara keuchte nur, als sie Elrins Werte erfuhr. Nach der heutigen Aktion war es sinnlos, sie geheim zu halten. Ich war mir sicher, dass mittlerweile alle wussten, was für ein einzigartiger Junge nun Schüler der Akademie war. Dass der Blondschopf ein Recke war, war für Liara eine Riesenüberraschung. Damit hatte sie offensichtlich nicht gerechnet.

„Du musst dich also nicht schuldig fühlen. Was mit Elrin passiert ist, geschah auf seinen eigenen Wunsch und hat ihn nur stärker gemacht. Erzähl mal, was hast du da für ein Messer?“

„Es schneidet durch jedes Metall.“ Liara hielt den kleinen Dolch hoch, der von einem rötlichen Schimmer umgeben war. „Es durchstößt auch praktisch jede Rüstung.

---ENDE DER LESEPROBE---