Der magische Ring - Christopher Kubasik - E-Book

Der magische Ring E-Book

Christopher Kubasik

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Beschreibung

Nachdem die Völker der Welt vierhundert Jahre lang in ihren magischen Festungen dem Eindringen der Dämonen getrotzt haben, öffnen sich nun wieder die Pforten ihrer selbstgewählten Gefängnisse. Doch die Bewohner Barsaives müssen feststellen, dass ihre Welt vollständig verwüstet wurde und ihre alten Feinde immer noch gegenwärtig sind. Es liegt am Zwergenkönigreich von Throal, dem grausamen Theranischen Imperium und den verschlagenen Dämonen die Stirn zu bieten. J'role ist ein junger Mann, der unter dem schrecklichen Fluch leidet, unfreiwilliger Wirt für einen jener Dämonen zu sein, die seit Jahrhunderten die Erde verwüsten. Als ihm ein Dieb-Adept begegnet, der Ork Garlthik Einauge, erliegt er dem Lockruf des Abenteuers und begleitet den Ork. Doch verfolgt von mächtigen Feinden, besessen von seinem Dämon und dem verführerischen Versprechen eines magischen Rings, entdeckt J'role sehr bald, dass es Schlimmeres gibt, als sein Leben in einem langweiligen Dorf zu fristen ...

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Seitenzahl: 550

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Christopher Kubasik

Der magische Ring

Erster Roman desEarthdawn™-Zyklus

Feder & SchwertBand 1

Übersetzung: Christian JentzschIllustrationen: Robert NelsonRedaktion & Lektorat: Catherine Beck, Mirko BaderE-Book-Gestaltung: Mirko Bader

Earthdawn® is a Registered Trademark of FASA Corporation. Barsaive™ is a Trademark of FASA Corporation. Original Earthdawn® content copyright © 1993-2017 FASA Corporation. Earthdawn® and all associated Trademarks used under license from FASA Corporation. All Rights Reserved. © 2019 Deutsche Ausgabe Feder & Schwert GmbH.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Feder & Schwert GmbH, Köln, gestattet.

E-Book-ISBN 9783867623797

Inhaltsverzeichnis
Widmung
Brief von Bergschatten
1.
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31.
32.
33.

Widmung

Einmal musste ich beim Arbeitsamt in Hollywood Unterstützung beantragen, um überhaupt etwas zum Essen zu haben. Die Frau hinter dem Schreibtisch fragte mich, ob ich eine Arbeit suche. Verlegen antwortete ich: »Ich bin Schriftsteller. Ich hoffe, dass ich verkaufen kann, was ich schreibe.« Ich war sicher, sie werde meinen Antrag ablehnen. Das Schreiben war keine Arbeit, nach der ich suchte. Ich tat es einfach. Sie sagte: »Wunderbar. Wissen Sie, Schreiben ist Arbeit. Sie haben nur noch keine Anstellung gefunden.«

Dieses Buch ist für sie.

Brief von Bergschatten

Torran & Samael,

ich bin Bergschatten, der einzige Drache, der sich auch für die sterblichen Rassen interessiert. Und jetzt gehört mein Interesse Euch beiden.

Wundert Euch am besten gar nicht erst darüber, dass Ihr einen Brief von einem Drachen erhaltet. Meine Eigenarten sind meine Sache und gehen Euch nichts an. Wenn Ihr einverstanden seid, Euren Vater zu besuchen, wird er Euch vielleicht von mir erzählen. Tatsächlich habe ich Euch geschrieben, um Euch von ihm zu erzählen.

Ja, Euer Vater. Ihr habt ihn jetzt seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen und auch nichts von ihm gehört. Wie Ihr Sterblichen doch Eure wenigen kostbaren Jahre auf dieser Erde vergeudet. Euer Leben ist kurz im Vergleich zu meinem, und doch lasst Ihr Euch von Furcht und Schmerz die Hoffnung und die Freude rauben ...

Genug. Meine Studien sind meine Sache.

Da ich Gelegenheit hatte, einige Zeit in und mit den Gedanken Eures Vaters zu verbringen, darf ich wohl behaupten, dass er sich danach sehnt, Euch wiederzusehen. Und doch hat er Angst vor Euch. Angst? Jawohl. Ich weiß, Ihr zwei fürchtet Euch vor ihm. Oder vielmehr vermute ich das. Sehr wahrscheinlich fürchtet Ihr Euch voreinander, obschon niemand von Euch will, dass es so ist. Und das ist der Grund, warum ich mich als Vermittler angeboten habe und Euch jetzt in seinem Namen schreibe. Er war damit einverstanden.

Er ist alt: Sein Fleisch ist weich, seine Haut trocken, seine Knochen sind spröde. Die Angst vor dem Leben kann Eure Rasse dazu bewegen, Akte des Schreckens und der Zerstörung zu vollbringen, und die Angst vor dem Tod ist manchmal der Auslöser für Akte der Reue. Das ist auch der Grund, warum Euer Vater mit Euch Verbindung aufnehmen will.

Was Euch zwei betrifft, warum sollte Euch daran gelegen sein, von dem Mann zu hören, der Euch zuerst drangsaliert und dann verlassen hat? Ich kann es nicht sagen, aber ich habe solche Bedürfnisse schon oft bei Sterblichen erlebt.

Wundert Ihr Euch über meine Bemerkung, einige Zeit in und mit den Gedanken Eures Vaters verbracht zu haben? Ich war nicht das erste Lebewesen, das sich in seinem Verstand eingenistet hat. Vor langer Zeit, in J'roles Jugend, lebte ein Dämon in ihm. Ihr seid überrascht? Ihr habt davon nichts gewusst? Nein, niemand wusste davon. Also erzähle ich Euch jetzt die Geschichte seines ersten Abenteuers. Wenn Ihr sie lest, werdet Ihr den Mann besser verstehen, der nur ein leerer Fleck in Eurem Herzen ist.

Tatsächlich ist die Geschichte vollständiger als seine bewusste Erinnerung. Da ich lange seine Gedanken geteilt habe, weiß ich von vielen Empfindungen und Erinnerungen, die sich in seinem Bewusstsein getrübt haben. Es war eine sonderbare Erfahrung. Ich habe noch nie... ich...

Genug. Erwartet nicht mehr von mir. Schickt mir keine Antwort. Ich bin fertig.

Er glaubt, Euch zwei zu lieben, und nach allem, was ich von den Herzen der Sterblichen weiß, stimmt das. Wenn Euch diese Geschichte rührt, erzählt es nicht mir, sondern ihm.

Ich bin Bergschatten

1.

Die Kindheits- und Jugenderinnerungen Eures Vaters waren furchtbar: Sie waren ganz tief in seinem Unterbewusstsein vergraben, zu entsetzlich, um sie bei Tageslicht zu betrachten, andererseits aber zu fordernd, um sie ganz ausschalten zu können. Also kamen sie nur im Schlaf an die Oberfläche und fanden in seinen Träumen ihren Niederschlag. Diese Träume versuchten ihn mit aller Kraft an längst vergangene Dinge zu erinnern, Dinge, von denen er wissen musste, wenn er sein Leben leben wollte, aber die Barrieren, die ein sterblicher Verstand errichtet, um sich furchtbaren Wahrheiten zu verschließen, sind stark, und J'role schenkte seinen Träumen – und damit seinen Erinnerungen – keine Beachtung.

Also schlief er, und im Schlaf schrie er um Hilfe und schwitzte und wälzte sich hin und her wie ein kleines Kind. Und wenn er erwachte, erinnerte er sich an nichts mehr.

So standen die Dinge in Eures Vaters Jugend.

J'role, siebzehn Jahre alt, langgliederig und stumm, stand im Schatten eines Baumes. Die rituellen Narben, die dem Verlauf seiner Wangenknochen folgten, bildeten dünne Linien wie Nähte in Leder. Sein Gesicht enthüllte nichts, sein Körper war so starr wie der Baum neben ihm. Überall gingen die Mitbewohner seines Dorfes ihren täglichen Beschäftigungen nach: Felder bestellen, Bronze zu Pflügen und Schilden auszutreiben, Ziegen und Kühe melken. J'role besaß nichts und hatte nichts zu tun. Er versuchte schon seit langem nicht mehr, für irgendeinen Dorfbewohner zu arbeiten. Die anderen Dörfler wollten nichts mit ihm zu tun haben. Sie fürchteten, der Sohn einer Mutter, die während der Plage wahnsinnig geworden war, dazu noch verflucht und stumm, könnte sie beflecken. Damals, so kurz nach der Invasion, wollte es niemand darauf ankommen lassen.

Das Unwesen in seinem Kopf sagte: »Lass uns mit jemandem reden.«

»Nein«, dachte J'role, dessen Gesicht völlig unbewegt blieb. Niemand argwöhnte, dass sich ein Dämon in seinem Verstand eingenistet hatte, und niemand durfte es erfahren, wenn J'role am Leben bleiben wollte.

»Komm, nur ein paar Worte. Du hast jetzt schon so lange geschwiegen. Wie viele Jahre sind es jetzt?«

»Neun«, dachte J'role.

»Neun Jahre! Niemand sollte so lange schweigen.«

»Ich muss.« Die traurige Entschlossenheit verlieh seiner Miene einen grimmigen Ausdruck.

»Immer noch bestürzt wegen deiner Mutter?«

»Still!«

»Ah, du bist es.«

J'role wandte seine Gedanken von dem Ding ab und richtete den Blick auf die zerklüfteten Berge, die das Tal umringten, in dem sein Dorf lag. Wenn er sie betrachtete, dachte er immer an die Drachen, von denen sein Vater im Laufe der Jahre gesprochen hatte. Konnte ein lebendiges Wesen tatsächlich so groß wie ein Berg sein? Er glaubte es nicht, aber er glaubte ohnehin sehr wenig von dem, was ihm sein Vater erzählt hatte.

Ein Stück weiter den Feldweg entlang bedachte Ishan, der Bronzeschmied, den Pflug, den er gerade in Arbeit hatte, mit einem Zauber. Ein Sprühregen aus blauen Funken strömte aus seinen Fingern und in das Metall, dann hob er den Hammer und fuhr fort, den Pflug mit kräftigen Hammerschlägen zu bearbeiten.

»Magie«, dachte J'role.

»Was ist damit?« fragte das Unwesen.

»Wenn ich Magie lernen könnte, würde ich dich loswerden.«

»Unwahrscheinlich.«

»Ich würde es versuchen.«

»So oder so müsste dir zuerst jemand Magie beibringen, und dafür bestehen wohl kaum Aussichten, oder?«

J'role musterte den Feldweg, der in das Dorf hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus führte. Auf beiden Seiten des Dorfs verlor sich der Weg in den schroffen Bergen. Der Himmel darüber leuchtete in einem so strahlenden Blau, dass J'role vom Anblick die Augen schmerzten.

Auf dem Weg nach Süden sah er plötzlich etwas – jemanden – sich nähern.

Er drehte sich ein wenig, um einen besseren Blickwinkel zu gewinnen, so behutsam und vorsichtig, dass den meisten die Bewegung auch dann entgangen wäre, wenn sie ihn direkt angesehen hätten.

Es war kein Dorfbewohner, der sich da näherte. Seit Wochen hatte niemand mehr das Dorf verlassen. Ein Reisender? Ein Abenteurer? Jemand, von dem man ein paar Münzen erbetteln konnte? J'role hoffte es. Da der gute Wille Brandsons, des Tavernenbesitzers, aufgezehrt war, gab es nur eine Möglichkeit, seinem Vater und sich etwas zu essen zu besorgen: Er musste es kaufen.

Mit der Geschmeidigkeit einer Katze löste sich J'role aus seiner Starre und machte sich auf den Weg zum Dorfrand. Man konnte seinen Schritt nicht unbedingt als Rennen bezeichnen, da er unbeschwerter und zugleich entschlossener war. Er glich eher dem Flammenstoß eines feuerspeienden Drachen. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, den niemand hätte als glücklich bezeichnen können, aber ein Anflug davon war vorhanden. Und ganz tief in seinem Innern, sicher vor der Welt, war J'role glücklich. Er liebte nichts so sehr wie Bewegung, zu spüren, wie die Muskeln im ganzen Körper arbeiteten. Wenn er sich bemühte, die Erdanziehungskraft zu überwinden, empfand er so etwas wie Freude.

Irgendwie und trotz allem konnte er sich bewegen.

Wenige Blicke fielen auf J'role, während er zwischen den Hütten und Bäumen des eigentlichen Dorfs hindurchflitzte, was zum Teil daran lag, dass J'roles Bewegungen an sich unauffällig waren. Aber selbst jene, die ihn im Vorbeilaufen wahrnahmen, achteten nicht auf ihn. Es war ja nur J'role. Der stumme, verfluchte Junge, der wieder mal rannte.

Solange er mir nicht zu nahe kommt, stellte sich J'role ihren weiteren Gedankengang vor.

Er erreichte einen Baum am Dorfrand, duckte sich dahinter und lugte dann vorsichtig um den Stamm. Er holte tief Luft. Was näherte sich dort?

Jedenfalls kein Mensch. Er war zu groß und zu stämmig für einen Menschen. Außerdem waren die Arme zu lang und die Schultern zu breit. Ein Troll? Sein Vater hatte ihm von Trollen erzählt. Aber die stellte sich J'role noch größer als den Fremden vor, der den Weg entlangmarschierte.

Was kam dort?

Seitdem seine Leute vor sieben Jahren die steinernen Gänge des Kaers verlassen hatten, waren ihm die schlanken, hochgewachsenen Elfen mit ihrer olivfarbenen oder hellen Haut und ihrem dünnlippigen Lächeln begegnet. Er hatte außerdem ein paar Echsenmenschen gesehen, die dickhäutigen, humanoiden T'skrang mit den mächtigen Schwänzen und einem großzügigen, gutmütigen Naturell.

Doch was sich ihm jetzt näherte, hatte J'role noch nie zuvor gesehen.

Endlich wurde ihm klar, was es war: ein Ork. Die Zähne, die gräuliche Färbung seiner Haut. Ein Ork. Sein Vater hatte ihm Geschichten über Orks erzählt. Geschichten, die sein Vater von dessem Vater gehört hatte, dem sie wiederum von J'roles Urgroßvater überliefert worden waren. Geschichten, die in den vierhundert Jahren weitergegeben worden waren, in denen sich die Welt vor den Dämonen verbarg, die die Welt verwüsteten.

Als der Ork näher kam, sah J'role, dass sein Haar dick und drahtig war und er ein Stück schwarzes Tuch über dem rechten Auge trug, das von einer Lederschnur an Ort und Stelle gehalten wurde. Das andere Auge des Orks war groß und grün, die Ohren liefen spitz zu. Die unteren Eckzähne wuchsen aus seinem Mund heraus und ragten bis über die Oberlippe. Er trug dicke Stiefel, und seine Kleidung war aus rauem Leder. Von den Schultern hing ein zerlumpter blauer Umhang herab – blau wie der Himmel kurz nach Sonnenuntergang, wenn die ersten Sterne sichtbar werden. In seinem breiten Gürtel steckte ein Schwert ohne Scheide. Das Sonnenlicht blitzte auf dem Metall und umspielte die nackte Klinge. Das Metall sah glatter und geschmeidiger aus als alles, was J'role jemals gesehen hatte, sogar noch besser als Ishans Arbeiten. Und Ishan war gut.

Angesichts der Klinge und des außergewöhnlichen Anblicks, den der Ork bot, begann sich J'role zu fragen, ob es vielleicht doch Drachen gab, die so groß wie ein Berg waren.

Als der Ork noch zwanzig Ellen entfernt war, trat J'role hinter dem Baum hervor und auf den Weg. Er ging auf den Fremden zu, als erwarte er ihn, und blieb dann sechs Ellen vor ihm stehen, um sich tief vor ihm zu verbeugen. Begrüßte man so einen Ork? Er konnte es nur herausfinden, wenn er es versuchte.

Der Ork lachte dröhnend, ein Geräusch, das so rau und voll war wie das Rumpeln einer Felslawine. »Man hat mich schon oft unverhofft begrüßt, wenn ich einen Ort zum erstenmal betrat, aber noch niemals so herzlich! Es scheint, als hätten mich meine müden Beine schließlich doch noch zum richtigen Ort geführt.« Und wieder lachte er.

Als J'role aufschaute, sah er, dass ihn der Ork anlächelte. Das offene, vergnügte Gesicht des Fremden traf ihn völlig unvorbereitet, und im ersten Augenblick wollte er ihn umarmen. Tatsächlich hätte er ihn fast sogar angeredet. Er beherrschte sich gerade noch, als sich die Muskeln in seiner Kehle spannten.

Das Unwesen in J'roles Kopf seufzte. »Nun begrüße den Ork doch schon«, sagte es, während es sich um J'roles Verstand wand wie der Schwanz eines Drachen um dessen Hort. »Du willst es doch, oder? Du magst ihn. Irgendwas an dieser Missgeburt...«

»Sei still!« dachte J'role grob, wobei ein Anflug von Ärger – oder vielleicht auch Verzweiflung – über seine Miene huschte. Aber er hatte gelernt, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen, wenn andere in der Nähe waren. Andernfalls hätte er zuviel Argwohn erregt.

Wenn der Ork den Ausdruck bemerkte, dann ließ er es sich nicht anmerken. J'role nahm sich zusammen und setzte rasch ein Lächeln auf – einfach so -, eine wohlabgewogene Mischung aus Demut und dem Eifer zu gefallen. Er hatte dieses Lächeln schon an anderen Reisenden ausprobiert, die durch das Dorf gekommen waren, und es im Laufe der Jahre aufpoliert wie einen magischen Ring: Es war strahlend und überzeugend.

»Ah«, sagte der Ork, wobei seine gute Laune einem Anflug von Durchtriebenheit wich, »du willst etwas.« Er sprach die Zwergensprache wie jedermann in J'roles Dorf. Sie war in der Zeit vor der Plage zur Handelssprache und dann im ganzen Land zur Umgangssprache geworden. Aber die Vokale des Orks waren kurz und guttural und klangen fremdartig in J'roles Ohren.

Mittlerweile hatte sich eine kleine Menschenmenge angesammelt, und J'role wusste, dass er sich beeilen musste, wenn er den Ork melken wollte. Er tippte sich mit den Fingern an die Kehle und breitete dann die Arme aus.

»Stumm? Was für eine Schande. Ein Bursche in deinem Alter sollte den Mond anheulen. Du willst Geld, nehme ich an.«

J'role nickte, hoffnungsvoll und pathetisch, aber immer noch lächelnd. Er lächelte immer, wenn er sich jemandem näherte.

Der Ork griff mit seinen dicken Fingern in einen Lederbeutel, der an seinem Gürtel befestigt war. »Ich bin müde, ich brauche einen Platz, wo ich bleiben kann.« Er beugte sich vor, so dass die folgenden Worte einen vertraulichen Anstrich bekamen. »Einen sicheren Platz.« Er zog eine silbrig glänzende Münze aus dem Beutel. »Kennst du einen solchen Platz?«

J'role nickte.

»Wird man mich dort übernachten lassen?«

Er nickte noch einmal. Der Ork gab ihm das Silberstück, und als die großen, rauen Fingerspitzen des Orks J'roles Handfläche berührten, wurde der Junge von einem leichten Schwindelgefühl erfasst. Es war, als hätte er endlich Magie gefunden. Er konnte es nicht genau benennen, aber die Berührung war so fremdartig gewesen. So anders. Er fand es erstaunlich, dass er einem so seltsamen Mann, direkt den Geschichten seines Vaters entsprungen, gegenüberstand.

»Schade, dass du mir deinen Namen nicht nennen kannst, aber ich bin Garlthik Einauge«, sagte der Ork, indem er J'role eine schwere Hand auf die Schulter legte. »Komm, bring mich zu meinem Ruheplätzchen.«

»Sein Name ist J'role«, sagte Charneale aus der versammelten Menge.

»O nein«, dachte J'role, während das Unwesen in seinem Kopf sagte: »Willst du denn nicht wenigstens diesem Manne schaden? Könnten wir nicht mit ihm reden?«

Charneale, der Dorfmagier, trat vor, flankiert von seinen drei Lehrlingen, zwei Mädchen und einem Jungen, die alle drei in J'roles Alter waren. »Seine Eltern haben ihn J'role genannt«, fügte Charneale hinzu. Sein Gesicht war schmal, grau und runzelig. »Ich bin Charneale, der Magier von Thyson. Das sind meine Schüler.« Alle vier trugen farbenprächtige Roben, die mit komplizierten Mustern bestickt waren, um die Dämonen fernzuhalten, wenn sie ihre Magie wirkten.

J'role hasste Charneale, obwohl sein Blick immer wieder von den wunderschönen Roben angezogen wurde und er sich danach sehnte, auch etwas so Wunderbares zu tragen. Charneales Robe war stahlblau mit roten Schwänen, gelben Sternen und grauen und weißen Bergen darauf. In besonderen Nächten, wenn die bedeutenderen Magien gewirkt wurden, flatterten die Schwäne mit den Flügeln und flogen über die Robe.

»Ich bin Garlthik Einauge«, sagte der Ork, indem er Charneale die Hand entgegenstreckte, doch der Magier ignorierte die Geste. J'role, der still und aufmerksam war, sah einen Anflug von Ärger über Garlthiks Gesicht huschen und so rasch wieder verschwinden, dass niemand sonst etwas davon bemerkte.

Als sei J'role gar nicht anwesend, sagte Charneale: »Der Junge ist seit seinem siebten Geburtstag schwachsinnig.«

Garlthik musterte J'role mit seinem gesunden Auge. »Auf mich macht er eigentlich einen ziemlich aufgeweckten Eindruck. Er kann nur nicht sprechen. Oder will nicht.«

J'role schluckte. Durchschaute ihn Garlthik? Konnten Orks einen Dämon im Kopf einer Person sehen?

Charneale sagte: »Seine Familie ist verflucht. Seine Mutter war von einem Dämon besessen, sein Vater ist ein Trunkenbold, und der Junge ist ein Schwachsinniger.«

»Was ist mit der Mutter geschehen?« fragte Garlthik sanft und eigentümlich gespannt. »Habt ihr das Unwesen austreiben können?«

Charneale hob pikiert das Kinn. »Wir hatten wenig Zeit. Wir lebten noch in unserem Kaer und waren der Ansicht, unsere Schutzvorrichtungen seien durchbrochen worden...«

»Ihr habt sie gesteinigt«, sagte Garlthik in einem ruhigen, anklagenden Tonfall.

»Wir haben alle erforderlichen Rituale durchgeführt...«

Garlthik schnaubte verächtlich.

»Der Makel war tief in ihr«, sagte eines der Mädchen, offensichtlich eine wohlbekannte Phrase zitierend.

»Gewiss«, antwortete Garlthik. »Dennoch scheint mir der Junge in Ordnung zu sein. Vielen Dank für eure Zeit. Die Sonne geht bereits unter, und ich würde gern etwas schlafen.«

Immer noch mit der Hand auf J'roles Schulter, wandte sich der Ork in Richtung des eigentlichen Dorfs. Aber Charneale war noch nicht fertig. »Was, wenn ich fragen darf, ist dein Begehr in diesem Dorf?«

»Mein Herr, die Welt ist gefährlich und voller böser Wesen und Gedanken. Ich war auf der Suche nach einem ruhigen Dorf wie dem euren, um mich etwas auszuruhen.«

»Das kannst du haben, aber ich schlage vor, dass du dich von dem Jungen und seinem Vater fernhältst.«

»Garlthik Einauge ist schon über zu viele Berge gewandert, um sich vor einem stummen Jungen und seinem kranken Vater zu fürchten, Magier.«

»Du bist ein Adept, nicht wahr?«

J'role sah zu dem Ork hoch. Er konnte Magie wirken! Mit welchen anderen Überraschungen würde Garlthik Einauge noch aufwarten?

»Auf meine Weise.«

»Nimm nichts, solange du in diesem Dorf bist.«

»Ich nehme nur von denen, die etwas besitzen, das es wert ist, gestohlen zu werden. Und meiner Ansicht nach hat dieses Dorf einem Reisenden mit Geschmack wenig zu bieten.«

Charneale schluckte, J'role lächelte, und Garlthik dirigierte J'role den Weg entlang vorwärts. Und wiederum hatte J'role dieses sonderbare Gefühl, als ihn der Ork berührte. Der Ork lebte Abenteuer. Der Ork lebte Hoffnung und Erwartung. Kampf. Unglaubliche Taten. Seine Berührung übermittelte all diese Erfahrungen und mehr. J'role mühte sich in Gedanken, die richtigen Worte zu finden.

»Er hat gelebt, wie du nicht gelebt hast«, sagte das Unwesen.

»Ja«, dachte J'role. »Gelebt. Er hat gelebt.«

»Gelebt, wie du es nicht hast, gelebt, wie du niemals leben wirst. Du wirst niemals Hoffnung und Erwartung kennenlernen. Du wirst niemals unglaubliche Taten vollbringen. Du bist nichts und wirst niemals etwas von dem bekommen, wonach du dich sehnst.«

Normalerweise hätten die Worte des Unwesens J'role deprimiert, ihn in eine Verzweiflung gestürzt, die so tief und leer und finster war wie einer der Abgründe aus den Geschichten seines Vaters. Doch nicht heute. Statt dessen zitterte J'role innerlich vor Furcht und Aufregung. Er wusste, durch seine Verbindung mit Garlthik Einauge drohte ihm weiteres Elend seitens seiner Mitbewohner, denn der Ork war grob gewesen, und das war schlimm. Aber er war auch aufgeregt: Solange Garlthik im Dorf blieb, hatte J'role einen Verbündeten gegen jene, die ihn seit so langer Zeit aus ihrem Leben ausschlossen.

Er hatte einen Freund.

Auf dem Weg zu Grandsons Taverne sah sich Garlthik zweimal um. J'role bemerkte dies, und so aufmerksam er auch war, konnte er doch nicht entscheiden, ob sich der Ork nach Charneale und den Dörflern umsah, die ihnen hinterherstarrten, oder nach etwas anderem, irgendwo weit weg auf der Straße nach Süden. Irgend etwas, das Garlthik folgte.

Garlthik bemerkte, dass J'role ihn beobachtete. Er lächelte breit. »Stammt ihr aus einem nahe gelegenen Kaer?«

J'role nickte und deutete auf die Roten Berge, wo ihr ehemaliger Unterschlupf stand, der jetzt düster und verlassen war.

»Nun, ihr kommt ganz gut zurecht«, sagte der Ork, während er die umliegenden Reisfelder und Bäume betrachtete. »Die Auswirkungen der Plage werden sich in dieser Gegend nicht lange halten, da bin ich ganz sicher.«

J'role lächelte höflich, aber im Innern überfiel ihn eine tiefe Trauer. Die Plage endete überall, nur nicht in seinem Kopf.

Als J'role den großen Schankraum mit den vielen Tischen und der Feuerstelle in der Mitte betrat, sah das Dutzend Gäste in Brandsons Taverne auf und gaffte den Ork hinter ihm unverwandt an. Ihr kollektiver Seufzer der Überraschung klang wie das Rascheln der Blätter, durch die kurz vor dem Regen der Wind fährt. J'role war zufrieden: Wenigstens dieses eine Mal konnten sie ihn nicht einfach ignorieren. Sein Begleiter war ein Ork.

J'role sah sie mit ihren Gedanken ringen. Sollten sie den Ork einlassen? Warum sollten sie nicht? Warum sollten sie? Ihre Unentschlossenheit brachte sie um die Möglichkeit zu protestieren, denn bevor noch jemand etwas sagen konnte, hatte Garlthik bereits die Tür hinter sich geschlossen.

J'role sah Garlthik an und zeigte auf Brandson. Der Ork ging zu dem müde aussehenden Mann, der einen mit Bier- und Soßenflecken übersäten Kittel trug. Wie bei Charneale streckte Garlthik die Hand aus und stellte sich vor. Anders als Charneale ergriff Brandson die Hand und schüttelte sie, jedoch ohne das wohlbekannte Lächeln, mit dem er normalerweise Nachbarn und Gäste bedachte.

Die beiden verhandelten über den Preis für ein Zimmer: Garlthik wollte mindestens drei Tage bleiben, obwohl es auch sein konnte, dass er von einem Augenblick zum anderen verschwand. Das störte Brandson, da er sich fragte, ob er sich vielleicht Schwierigkeiten einhandelte. Doch Garlthik wartete mit Silberstücken auf, um für alle drei Tage im voraus zu bezahlen. Ob er früher ging oder nicht, Brandson konnte das Geld behalten. Dieser akzeptierte die Münzen, und die beiden schüttelten sich noch einmal die Hände. Und dabei lächelte Brandson sein berühmtes Lächeln.

Garlthik wandte sich an J'role. »Ich brauche etwas Schlaf, Junge. Hier ist deine Bezahlung.« Er wühlte mit seinen dicken Fingern in einem größeren Sack aus Leder, der ebenfalls an seinem Gürtel festgebunden war, und zog ein weiteres Silberstück heraus. Brandsons Augen weiteten sich. »Komm später wieder, dann erzähle ich dir ein wenig von meinen Abenteuern. Wie wäre das, hm?«

J'role nickte begeistert. Er liebte Geschichten, wollte jedoch die richtigen, nicht die Lügen seines Vaters.

Garlthik nahm seinen Sack und wandte sich zur Treppe. Zum erstenmal registrierte J'role, wie müde der Ork war, der sich schwer auf das Geländer stützte, während er langsam die Stufen erklomm. Durch den blauen Umhang – das Blau des Himmels kurz nach Sonnenuntergang, wenn die ersten Sterne sichtbar werden – lief ein langer Schnitt. Unter dem Umhang sah J'role einen Riss im Hemd des Orks und darunter das tiefe Violett einer frischen Narbe.

Mitten auf der Treppe blieb Garlthik plötzlich stehen und zog etwas aus einem kleinen Beutel an seinem Gürtel. Der Gegenstand war zu klein, als dass J'role hätte erkennen können, um was es sich handelte, aber Garlthik starrte ihn eine ganze Weile an. Dann ballte er die Faust darum und lachte leise. Er hob den Fuß, um die nächste Stufe zu nehmen, dann innezuhalten und sich abrupt zu J'role umzudrehen, der den Ork unverwandt anstarrte.

Die gute Laune verließ den Ork von einem Augenblick zum anderen. Mit schroffer Stimme sagte er: »Du solltest deine Blicke nicht dort schweifen lassen, wo sie nichts zu suchen haben.«

J'role wollte so schnell wie möglich wegrennen. Doch er blieb wie angewurzelt stehen, unfähig, sich zu rühren, da er befürchtete, eine Bewegung verriete eine Schwäche, die Garlthik ausnutzen würde, um ihm zu schaden.

Mit grimmiger Miene drehte sich der Ork um und ging die restlichen Stufen zum ersten Stock hinauf.

Als Garlthik außer Sicht war, ging J'role zu Brandson. Im Lauf der Jahre hatten die beiden ein rudimentäres Zeichensystem ausgearbeitet, mit dessen Hilfe J'role jetzt Brot und Käse für eines der beiden Silberstücke kaufte, die Garlthik ihm geschenkt hatte. Brandson gab ihm das Wechselgeld und wickelte das Essen in ein großes Tuch ein, das sich J'role unter den Arm klemmte, als er die Taverne verließ, um seinen Vater zu suchen. Er beschloss, seinem Vater weder das Wechselgeld zu zeigen, das er erhalten hatte, noch das zweite Silberstück, das ihm der Ork gegeben hatte. Er befürchtete, sein Vater könne ihm das Geld abnehmen, um es für Bier auszugeben. Er würde seinem Vater nur das Essen zeigen.

»Zeit, Papa zu füttern?« fragte das Unwesen in seinen Gedanken.

J'role ignorierte es.

2.

Er träumte von vielen Dingen, die nicht alle schlecht, aber alle vergessen waren.

J’role war erst sechs Monate alt, als er zu sprechen begann. Den Worten ›Mama‹ und ›Papa‹ folgten rasch die ersten vollständigen Sätze, und mit zwei Jahren führte er bereits vollständige Unterhaltungen – die natürlich durch den Erfahrungshorizont eines Kindes seines Alters beschränkt, doch in ihrer Struktur wesentlich komplexer waren als die sprachlichen Äußerungen seiner Altersgenossen.

Seine Eltern waren stolz auf seine sprachlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Mutter. Sie war groß und rothaarig und trug ihn immer durch die moosbeleuchteten Gänge des Kaers, wo sie ihn anderen Bewohnern ihres Unterschlupfs vorstellte. Andere Erwachsene, ebenso gewaltig wie seine Mutter, beugten sich zu ihm herunter und gurrten alles mögliche, entzückt, ihn in eine Unterhaltung zu verwickeln. Seine Mutter strahlte. Sie drückte ihn fest an sich.

Als J'role das Kaer erreichte, waren die Sterne am Himmel aufgezogen und schauten leuchtend und klar auf ihn herab. Er hatte nicht die Absicht gehabt, noch zu dieser späten Stunde durch das ausgedörrte Land zwischen seinem Dorf und dem Kaer zu wandern, aber er hatte überall nach seinem Vater gesucht, alle seine üblichen Schlupfwinkel abgesucht. Hinter Brandsons Scheune. In einem flachen Graben in der Nähe von Ishans warmer Esse. In dem kleinen Gehölz am Nordrand des Dorfes, wo Jasprees Einfluss endete und das Land trocken und leblos wurde, ruiniert durch das Wirken der Dämonen seit vier Jahrhunderten.

Und währenddessen hatte das Unwesen in seinem Kopf immer wieder gesägt: »Du weißt, wo er ist. Warum schiebst du es auf?«

Das Unwesen hatte recht. J'role wusste, wo sein Vater sein würde – wieder im Kaer. In letzter Zeit ging er ständig dorthin, wo er sicher vor neugierigen Augen und der Gesellschaft anderer war. Nur Kinder, die gegenseitig ihren Mut auf die Probe stellten, kehrten manchmal in das Kaer zurück, und selbst diese Ausflüge hatten aufgehört, als die Kinder begriffen hatten, dass J'roles Vater die dunklen Höhlen zu seinem Heim auserkoren hatte.

Also marschierte J'role jetzt mit dem Essenspaket für seinen Vater unter dem Arm über das flache, ausgedörrte Land zwischen den Feldern und dem Kaer. Das Mondlicht, weich und sanft blau, beleuchtete die unfruchtbare Landschaft, die die Dämonen zurückgelassen hatten. Steine. Lehmiger Staub. Unterwegs sickerte die Einöde um ihn in seine Seele, als marschiere er durch eine gigantische Spiegelung dessen, was er mit sich herumtrug.

»Du könntest dir das Leben nehmen.«

»Nicht«, flehte J'role. Er geriet ins Stolpern, als die Worte des Unwesens in sein Bewusstsein drangen.

»Wäre das nicht leichter?«

»Warum lässt du mich nicht in Ruhe? Ich will nicht...«

»Was willst du nicht? Aufgeben. Was aufgeben? Jemandem weh tun? Wem würdest du schon weh tun? Nur deinem Vater. Vielleicht. Und der würde wahrscheinlich nicht mal bemerken, dass du nicht mehr da bist.«

Die Richtigkeit dieser Feststellung ließ J'role wie angewurzelt stehenbleiben. Er ließ das Essenspaket zu Boden fallen. Einen Augenblick lang fühlten sich seine Hände und Arme steif und wie etwas Fremdes an, als hätten sie sich seiner Kontrolle entzogen. Dann hieb er sich mit den Fäusten gegen die Stirn, wollte das Ding aus seinem Verstand herausprügeln. Er schlug sich immer wieder mit den Fäusten ins Gesicht, bis ihm schwindlig wurde und er auf die Knie fiel. Und weiter hämmerte er auf sich ein, bis er weder seine Hände noch die Haut in seinem Gesicht spüren konnte.

Er kippte vornüber, stützte sich auf die Unterarme und atmete schwer. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen.

»Es gefällt mir, wenn du das tust.«

Wenn er sich selbst genug weh tat, dachte J'role manchmal, würde der Bedarf des Dings an Schmerzen irgendwann gedeckt sein und es ihn schließlich verlassen. Es klappte nie.

J'roles Vorfahren waren vor Generationen am Bau des Kaers beteiligt gewesen, hatten es in das weiche Gestein der Roten Berge gemeißelt, wie die Völker auf der ganzen Welt Schutzhöhlen gebaut hatten, um sich vor den Dämonen zu schützen. Ein uraltes Reich, das auf starker Magie fußte, hatte die Welt vor der kommenden Plage gewarnt und auch Anweisungen hinterlassen, wie man sich schützen konnte. Die Roten Berge anstarrend, fragte sich J'role, was wohl mit diesem alten Reich geschehen war.

Die vom blauen Mondlicht erhellten Roten Berge vor ihm sahen wie ein riesiger Schatten aus, der sich vom Boden erhob.

Warum musste sein Vater ausgerechnet diesen Ort aufsuchen?

Er klemmte sich das Essenspaket wieder unter den Arm und machte sich daran, zu dem dreißig Ellen aufwärts gelegenen Felsvorsprung zu klettern. Das rauhe Gestein grub sich in die Finger seiner rechten Hand und in seine Fußsohlen, doch wie das Laufen fand J'role auch diese Strapaze erfrischend. Seine Atmung beschleunigte sich, und mehr als einmal wäre er beinahe wieder abgestürzt. Aber er konnte sich jedesmal gerade noch mit seiner freien Hand festhalten und setzte den Aufstieg fort. So etwas machte ihm Spaß. Ein glatter Aufstieg wäre nicht halb so interessant gewesen. Er liebte knappe Entscheidungen und die Rettung in letzter Sekunde.

Als er den Vorsprung erreichte, setzte er sich, um sich auszuruhen, während er auf den runden Eingang zum Kaer starrte. Die große Öffnung war von Symbolen umringt, welche die Dämonen hatten abwehren sollen, Symbolen, die denen auf der Robe des Magiers glichen. Um den Eingang wand sich die Darstellung eines großen Drachen, der wiederum von gezeichneten Bäumen, Sonnen, Pflanzen und Wasser umgeben war. Und es gab Bilder von Tieren aller Art: Jaguar, Wildschwein, Greif. Die Punkte und Striche, von denen die Bilder umgeben waren, zerlegten den Klang der Namen dieser Wesen und Dinge in Bruchstücke, jene Bruchstücke, aus denen ein Schreiber neue Wörter bilden konnte. J'role wusste das, weil seine Mutter es ihm einmal erklärt hatte. Sie hatte zwar nicht verstanden, was die Wörter bedeuteten, wie man sie las oder schrieb, aber sie wusste, wie Wörter gebildet werden, und J'role erinnerte sich daran, was sie ihm über Lesen und Schreiben erzählt hatte.

Könnte er doch nur lesen. Könnte er doch nur schreiben. Aber wer würde schon einen verfluchten, stummen Jungen als Lehrling aufnehmen?

Er stand auf und näherte sich dem Eingang in der Absicht, seinen Vater zu finden und dann so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Vor der kreisrunden Öffnung lagen viele kleine Felsbrocken, die Rückstände jenes Tages, als Charneale zu dem Schluss gekommen war, es sei jetzt ungefährlich, den versiegelten Eingang aufzubrechen, damit die Leute wieder in die Welt zurückkehren konnten. J'roles Vater war an jenem Tag so glücklich gewesen – zu glücklich – und hatte gelacht und gesungen und so schnell geredet, dass J'role kaum noch verstanden hatte, was er sagte: Jetzt wird alles gut, wir fangen noch mal von vorne an. Ihr Geister, wieviel Glück wir haben, dass wir diese zweite Chance bekommen!

Das Mondlicht erhellte nur die ersten paar Ellen des Tunnels, nach denen alles schwarz wurde. Die Dunkelheit, das wusste J'role, erstreckte sich bis tief in den Berg hinein. Er hatte vergessen, eine Fackel mitzubringen, oder vielmehr hatte er gehofft, seinem ins Dorf zurückkehrenden Vater irgendwo auf dem Weg durch die trostlose Landschaft zu begegnen. J'roles Denken verwirrte sich immer ein wenig, wenn er an das Kaer dachte.

Glücklicherweise hatte jemand, höchstwahrscheinlich sein Vater, drei Fackeln auf dem Boden in der Nähe des Tunnel-eingangs zurückgelassen. Mit dem Feuerstein, den er aus der Tasche zog, und einem der Bruchstücke des zerschmetterten Portals schlug J'role ein paar Funken, welche die Spitze einer Fackel entzündeten. Die Flammen leckten gierig nach Luft und wuchsen rasch. Das rote Licht fiel auf den roten Stein des Tunnels und färbte die Wände schwarz.

J'role hob das Essenspaket wieder auf und schritt vorwärts. Er tastete sich vorsichtig voran, sehr leise jetzt, weil sich irgendein Ding in den dunklen Gängen des Kaers verkrochen haben konnte. Hinzu kam, dass der Eingangstunnel einst mit Auslösern für Fallen übersät gewesen war, um die Dämonen abzuhalten – Fallgruben, Giftpfeile und andere, geheimnisvollere, weil magische, Mittel zur Vernichtung. Zwar waren alle Vorrichtungen entschärft worden, als Charneale das Kaer geöffnet hatte, aber der Boden war mit Stolperdrähten und Speerspitzen gespickt, die einen unvorsichtigen Besucher leicht zu Fall bringen konnten.

Bald hatte er das zentrale Atrium erreicht, eine große, kreisförmige Kammer mit einem üppigen Springbrunnen in der Mitte. Während der Plage hatten Magier ihre Kunst ausgeübt, um Wasser aus dem Stein des Springbrunnens zu ziehen. Im Zentrum des Brunnenbeckens erhob sich eine Säule, und auf der Säule stand eine Statue Garlens, der Passion des Heims und der Heilung. Die Statue war nicht aus dem Stein der Roten Berge gemeißelt, sondern aus weißem Marmor. Die flackernden Flammen tauchten sie in rotes Licht und erweckten die Illusion, ihr kunstvoll gestaltetes Gewand bewege sich in einem imaginären Luftzug und ihre Wangen seien gerötet. Die Arme waren einladend ausgebreitet, die Hüften ausladend, die Brüste groß. Sie kümmerte sich um jeden. Zumindest hatte Helvar, einer von Garlens Questoren im Kaer, dies behauptet.

J'role wandte sich von der Statue ab und musterte die Vielzahl von Gängen, die aus dem Atrium heraus- und in das bienenstockartige Labyrinth des Kaers hineinführten. Welchen Weg sollte er einschlagen? Wo würde sich sein Vater aufhalten und an seinem Bier nuckeln?

J'role stand ganz still und reglos da, so still und reglos wie die Statue Garlens hinter ihm. Manchmal...

Er hörte es. Das Singen. Tief und traurig. Zwar konnte er die Worte nicht verstehen, aber er wusste, dass es eigentlich ein fröhliches Lied war, irgend etwas über Liebe oder Abenteuer. Oder ein Bauernlied, eines, das sie sangen, um sich bei Laune zu halten, während sie unter der brennenden Sonne schufteten. Sein Vater sang nur fröhliche Lieder, aber er sang sie alle auf eine Weise, dass sie traurig klangen.

J'role schritt in die Richtung, aus der der Gesang kam, durchquerte das Atrium und horchte an den Eingängen verschiedener Tunnel. Schließlich fand er den richtigen und ging weiter.

Er ging scheinbar eine Ewigkeit, wenngleich es nur an der Dunkelheit und an den Erinnerungen lag, dass ihm der kurze Spaziergang so lang erschien. Einst, als er noch im Kaer gelebt hatte, sorgten schwebende Laternen für eine ständige, sichere Beleuchtung und folgten jedem, der sich durch die Gänge bewegte. Nun, da sich J'role durch die Tunnel tastete – und die Spur des Gesangs seines Vaters aufnahm, sie wieder verlor und sie schließlich wiederfand –, flackerte nur das rote Licht seiner Fackel über die rötlichen Felswände. Risse und Spalten in den Wänden verschwanden und tauchten im tanzenden Fackellicht wieder auf. Die Geräusche seltsamer Wesen, die durch die Dunkelheit huschten, hallten leise durch die Gänge.

Solche Geräusche hatte er in seiner Kindheit niemals gehört.

Und dann der Geruch. Dinge gingen jetzt in diesen Tunneln aus und ein, sonderbare Dinge, die selbst in den Geschichten seines Vaters nicht auftauchten. Jedenfalls glaubte J'role, dass es diese Dinge gab.

Er durchquerte den großen Saal, in dem seine Leute gegessen hatten, dann die Räume, in denen Charneale seine Schüler unterrichtet hatte. Der Gang zu seiner Rechten führte zu den Gemächern, wo seine Familie geschlafen hatte. Er war froh, dass sein Vater nicht dort unten war. Die Erinnerungen nagten an ihm, als er durch diese Räume ging, wenngleich er sich an keinen konkreten Vorfall erinnern konnte.

Er mochte diesen Ort einfach nicht.

Als der Gesang so laut und deutlich war, dass J'role die Worte des Lieblingsliedes seines Vaters verstand, das dieser immer seiner Mutter vorgesungen hatte, wurde ihm klar, wo sein Vater war. Es war ein Ort, der J'role wie seinen Vater an das Geschehene erinnerte.

Musste sein Vater ausgerechnet dort sein?

Vielleicht konnte er das Paket hier abstellen, es seinem Vater einfach hier zurücklassen? Wenn sein Vater Hunger bekam, würde er den Gang entlangtorkeln und es finden. Und essen.

Würde das nicht reichen?

Nein. Was wäre, wenn sein Vater vom Trinken und vor Hunger das Bewusstsein verlor, das Essen nicht fand und verhungerte, obwohl sein Essen nur fünfzig Ellen weiter auf ihn wartete?

Wäre das so schlimm?

J'roles Muskeln versteiften sich vor Entsetzen über diesen Gedanken.

»J'role«, sagte das Unwesen mit spöttischer Anteilnahme, »hast du gerade etwas über dich herausgefunden, was dir nicht gefällt?«

J'roles Hände zitterten. Um das Entsetzen abzuschütteln, das seine Gedanken in ihm geweckt hatten, schritt er vorwärts, wobei er sich darauf konzentrierte, wieviel sein Vater für ihn getan hatte.

»Was zum Beispiel?« fragte das Unwesen.

J'role fiel keine Antwort ein.

Er bog um eine Ecke und sah eine Fackel, die in eine Felsspalte gerammt worden war und deren Spitze gelblich-rot brannte. Bevarden, sein Vater, saß auf dem Boden, den Rücken an die Tunnelwand gelehnt, den Kopf in den Nacken gelegt, und sang sein Lied. »Und niemals werde ich...« Er hörte auf zu singen und drehte sich abrupt zu J'role um. »Wer ist da? Wer ist da?«

Der Anblick des Gesichts seines Vaters im rötlichen Licht schockierte J'role. Die Haut angespannt, die Augen eingesunken, eine Totenmaske. Verdreckte Lumpen als Kleidung. Arme und Beine dünn, der Bauch aufgeschwemmt. Sah so sein Vater wirklich aus? Dann entspannten sich Bevardens Züge, und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. »J'role«, sagte er glücklich, verträumt. Der furchtbare Anblick verwandelte sich in etwas viel Verständlicheres und Vertrauteres. Bevarden hob einen Arm und winkte J'role zu sich heran. »Mein Junge, mein lieber Junge«, sagte sein Vater, als J'role näher kam. J'role lächelte als Erwiderung.

Sein Vater hielt den Arm ausgestreckt, so dass er J'roles Hand ergreifen konnte. Doch der blieb ein paar Ellen entfernt stehen. Ein kleines Stück weiter befand sich die Grube, fünfzehn Ellen breit und sehr, sehr tief. Acht Ellen unterhalb des Grubenrands schimmerte die Oberfläche der blassblauen Flüssigkeit. Sie war zähflüssig und warf Blasen.

Die Heimatstatt der Toten.

Sie hatten seine Mutter vor dem Springbrunnen im Atrium zu Tode gesteinigt, und Garlens Statue war stumme Zeugin gewesen. Jedermann im Kaer hatte sich beteiligt, und da das Wasser im Springbrunnen nicht mehr floss, konnte man dort ihr Blut sammeln... Nachdem man, dem Ritual entsprechend, den Dämon aus ihrem Körper und aus dem Kaer durch Steinigung ausgetrieben hatte, brachte man ihre Leiche zur Grube und warf sie in die zähe blaue Flüssigkeit. Sie folgte vielen anderen Leichen, die einen viel friedlicheren Tod gestorben waren.

Noch Wochen danach war J'role immer wieder zur Grube zurückgekehrt, wenn niemand in der Nähe war, und hatte darauf gewartet, dass sie zurückkam. Er war damals acht Jahre alt gewesen, und hatte geglaubt, sie müsse einfach zurückkehren. Sie war bestraft worden, und zwar zu Unrecht, weil sich nicht in ihrem, sondern in seinem Kopf ein Dämon eingenistet hatte. Es war seine Schuld, dass sie glaubten, sie sei besessen, und jetzt schien es ihm einfach an der Zeit zu sein, dass sie zurückkam.

Jedesmal, wenn er am Rand der Grube stand, versuchte er zu sagen, wie leid ihm alles tat. Dann öffnete er den Mund und bewegte die Lippen, um den Laut ›Es‹ zu äußern, schob die Zungenspitze bis zu den Zähnen vor, da er nichts sehnlicher wollte, als ›Es tut mir leid‹ zu sagen. Doch kaum bildete sich der Laut in seiner Kehle, spürte er es in seinem Kiefer kribbeln, verlor jegliches Gefühl in der Zunge und wusste, dass das Unwesen noch in ihm war, bereit, die Kontrolle über seine Stimmbänder zu übernehmen, sollte er zu sprechen versuchen. Also schwieg er.

Er schwieg noch immer nach all den Jahren.

»Was ist los, Junge?« fragte sein Vater. »Ach, die Grube. Natürlich.« Er drehte sich um und sah hinein. »Verloren dort unten zwischen all den anderen Toten.« Er hob seine Flasche vom Boden auf, presste die Öffnung an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Dann ließ er den Kopf langsam zurücksinken, bis er an der Steinwand ruhte, die Augen geschlossen, glücklich. Glücklicher, als wenn er J'role anlächelte, und J'role wusste es. Wahrhaftig glücklich. Immer noch das Bier genießend, verharrte er einen Augenblick regungslos, um sich dann langsam seinem Sohn zuzuwenden.

J'role, der verwirrt war und entweder seinen Vater so schnell wie möglich wieder verlassen oder ihn zufriedenstellen wollte, kniete sich auf den Steinboden und stellte das Paket vor sich ab. Er öffnete das Tuch, und das Essen rollte auf den Boden.

Bevarden lächelte ihn an. »Ach, J'role, mein lieber Junge. Wie aufmerksam von dir.« Er rückte ein Stück näher und betastete das Brot mit den Fingerspitzen. »Obwohl ich nicht gerade behaupten kann, dass ich hungrig bin.«

J'role riss ein Stück Brot von dem Laib ab und hob ihn zum Mund seines Vaters, wie er es in der Vergangenheit schon so oft getan hatte.

»Nein, nein. Ich habe jetzt keinen Hunger.« Sein Vater schloss die Augen. Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich in tiefem Kummer. »Warum?« flüsterte er zu niemandem, als sei J'role plötzlich verschwunden und er damit berechtigt, all seiner Bestürzung und seinem Kummer laut Ausdruck zu verleihen. Dann legte er J'role eine Hand auf das Knie. Anders als Garlthiks Hand, die rau und fremdartig und voller Stärke war, war die Berührung seines Vaters vertraut – schrecklich vertraut und schwach und mit Elend verbunden. »Vielen Dank für das Essen. Du bist ein guter Sohn. Hast du etwas Geld erbettelt?«

J'role nickte.

»Von irgendwelchen Abenteurern?«

Er hob einen Finger.

»Aha. Ein Mann mit einem Schwert?«

J'role nickte, aber kaum merklich. Er wusste, was kam, und war nicht besonders erpicht darauf.

»Was ich dir von Abenteurern erzählen könnte! Dein Ur-Ur-Ur...« Er geriet ins Stottern, da er schon vor langer Zeit die Übersicht verloren hatte. »Einer deiner Urgroßväter, der weit gereist ist und einmal sogar die Insel Thera weit im Südwesten besucht hat, ein Mann, der dieses Kaer vor vierhundert Jahren betreten hat, hat viele Geschichten von seinen Abenteuern erzählt. Er ist vielen seltsamen Wesen im ganzen Land begegnet. Er hat sogar gegen Dämonen gekämpft, bevor sie zu zahlreich wurden und nichts mehr zu tun blieb, als in den magischen Kaers Zuflucht zu suchen.« Er ließ sich gegen die Tunnelwand sinken, die Augen fest geschlossen. »Ach, die Geschichten, die ich als Junge gehört habe! Was würde ich dafür geben, wieder jung zu sein und die Abenteuer erleben zu können, die in den Jahren, in denen wir auf das Ende der Plage warteten, von Generation zu Generation weitererzählt worden sind.« Sein Blick fiel auf J'role, und er sah die Enttäuschung im Gesicht seines Sohnes. Er geriet ins Stocken.

Augenblicklich fühlte sich J'role schlecht: Er hatte sich nicht verraten wollen. Er wusste, dass er schneller reagieren und erkennen musste, wann die Leute ihn ansehen würden. Er durfte entweder nur das preisgeben, was die Leute sehen wollten, oder überhaupt nichts.

Sein Vater fuhr fort. »Ach, und wer würde behaupten, dass es dafür zu spät wäre. Du hast recht, J'role, du hast recht. Ich habe längst alles geplant und stehe in der Blüte meiner Jahre. Ich kann es Wirklichkeit werden lassen. Es sind nur noch ein paar Vorbereitungen zu treffen. Es wird alles ganz einfach sein.« Er streckte sich auf dem Boden aus. »Nur noch die Vorbereitungen, und dann hält uns nichts mehr hier. Was braucht man mehr als ein Leben voller Reichtum und Abenteuer, was, mein Sohn?«

Er nahm J'roles Hand. Der versagte sich jeden Gedanken, empfand nichts, ließ sich in die Arme seines Vaters ziehen. »So ein Leben können wir führen, wenn wir es nur wollen, mein Sohn«, sagte er leise. »Wenn wir nur wollen. Ach, das Leben kann so wunderbar sein. Wer weiß, vielleicht bekomme ich das Geld zusammen und finde die Magie, um dir die Sprache wiederzugeben. Na? Wäre das nichts? Magie, um dir die Sprache zurückzugeben. Es gibt bessere Magier auf der Welt als Charneale, darauf kannst du dich verlassen, und mit genug Geld... Wie wäre es mit dem Geld aus einem Schatz, der von einem Drachen bewacht wird? Oder vielleicht aus einem Kaer, das nicht soviel Glück wie wir hatte und in dem es jetzt kein Leben mehr, aber dafür unvorstellbare Schätze gibt. Richtig vorbereitet, könnte man hingehen und all das finden, in Besitz nehmen und ein ganz neues Leben beginnen.« Einen Moment lang umklammerten die dünnen Arme ihn so fest, dass J'role schon glaubte, sein Vater würde ihn wieder schlagen, was er manchmal tat, wenn seine Gedanken vom Trinken verwirrt waren. Und immer folgte eine rasche, tränenreiche Entschuldigung.

Doch diesmal wurde sein Vater nicht gewalttätig. Seine Stimme verklang, während er J'role in seinen Armen wiegte.

J'role war so steif wie ein Leichnam und fühlte sich unsicher. Die Stille im Kaer hüllte ihn ebenso ein wie die Umarmung seines Vaters, und einen Augenblick lang fühlte er sich in die frühesten Tage seiner Kindheit zurückversetzt. Geboren in der unterirdischen Welt der Tunnels und magischen Lichter, hatte er ohne eine rechte Vorstellung von der Außenwelt existiert. Bis zu dem Tag, als Charneale verkündet hatte, die Schrecklichen seien verschwunden und es sei jetzt wieder ungefährlich, nach draußen zu gehen, hatte J'role geglaubt, er würde sein ganzes Leben in diesen Gängen aus Stein verbringen. Unter der Erde zu leben, war ihm damals überhaupt nicht merkwürdig erschienen. Doch nun, da er im Licht der Sonne gelebt hatte, weckte die Rückkehr in das Kaer unangenehme Empfindungen, die er nicht einstufen konnte. Es kam ihm einfach seltsam vor, wieder in die düsteren Schlupfwinkel der Kindheit zurückzukehren.

Dann hörte er das schwache Echo von Schreien durch die Gänge hallen, Schreien, die mit Wut unterlegt waren. Für J'roles hochentwickeltes Wahrnehmungsvermögen übermittelten die Schreie eine klare Botschaft: Irgendwo in den Gängen des Kaers braute sich Gefahr zusammen.

3.

J'role ist sieben, und irgend etwas ist geschehen. Vor einem Tag. Vor einer Woche. Vor Monaten. Der Traum ist ein begrabenes Geheimnis, und innerhalb des Traums ruht die Erinnerung an ein weiteres Geheimnis.

Seine Mutter ist ganz nah bei ihm, ihr Gesicht nur einen Hauch von seinem entfernt. »Sprich mit niemandem. Sprich mit niemandem. Mit niemandem außer mir, hast du verstanden?«

Sie berührt sein Gesicht, ihre Hand ist so warm und zärtlich, aber er zuckt bei ihrer Berührung zurück. Irgend etwas stimmt nicht.

Seine Mutter wendet sich voller Bestürzung ab. Sie beißt sich auf die Lippen. Sie geht ein paar Schritte weit weg und kehrt dann plötzlich um. Sie kniet sich neben ihn, umarmt ihn ganz fest. Sie fängt an zu weinen und sagt dann, dass es ihr leid tut.

Er weiß nicht, warum.

Er kann sich nicht erinnern, warum.

Aber er hat seine Mutter unglücklich gemacht, und er be- schließt, ihr das Versprechen zu geben, das sie von ihm verlangt. Er wird mit niemandem außer ihr sprechen.

J'role löste sich aus den Armen seines Vaters und erhob sich rasch. Durch die Gänge des Kaers hallten gebrüllte Befehle. Er legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter und versuchte ihn zu wecken, aber sein Vater schob ihn fort.

Und was ist, wenn ich ihn aufwecke? dachte J'role. Was ist, wenn er mich anschreit, weil ich ihn aufgeweckt habe? Wenn wir einfach hierbleiben, geschieht uns vielleicht nichts.

Er stand auf und ging mit seinen behutsamen, anmutigen Schritten zum Tunneleingang zurück, auf den Stimmenlärm zu, in der Hoffnung, nahe genug heranzukommen, um zu erkennen, was vor sich ging. Er ließ seine Fackel zurück, da er keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Hinter der nächsten Ecke war er plötzlich in völlige Dunkelheit gehüllt. Er ging jetzt vorsichtig weiter, eine Hand immer an der rauen Felswand. Er hörte weiterhin gebrüllte Befehle, doch jetzt klangen die Worte schroffer, als hätten sich die Leute, die sich auf diese Weise verständigten, weiter voneinander entfernt.

Plötzlich drang eine Stimme aus der Dunkelheit auf ihn ein. Es war eine Männerstimme, und die Silben, die von den Tunnelwänden widerhallten, kamen immer näher. »Verin, bleib am Eingang! Er darf hier nicht wieder rauskommen!«

Jetzt fiel Licht in den Gang vor ihm, schwach zunächst, wodurch die Tunnelwände die Farbe getrockneten Blutes annahmen. Völler Furcht kehrte J'role um und rannte den Weg zurück, den er gekommen war. Die Finsternis schien ihn zu verschlucken, und da ihm die Angst im Nacken saß, erfasste die Dunkelheit seine Augen und störte seinen Gleichgewichts- und Orientierungssinn.

Von seiner Angst geblendet, rannte J'role gegen eine Felswand. Mit einem Aufschrei stürzte er zu Boden.

»Wartet! Ich habe etwas gehört! Das muss er sein!«

J'role rappelte sich auf, wobei er sich mit der Hand an der Wand abstützte. Mit der anderen Hand tastete er nach seiner Stirn und spürte warmes, klebriges Blut. Ihn überkam der Wunsch, wieder ein Kind zu sein. Der Mann würde ihn in wenigen Augenblicken erreicht haben, und J'role konnte nur daran denken, wie sehr er sich danach sehnte, dass sein Vater kam und ihn rettete. Konnte er das nicht? Nur dieses eine Mal, ein einziges Mal kommen und das für ihn tun?

Als er den trüben roten Lichtschimmer um eine Ecke biegen sah, schüttelte J'role seine Starre ab. Er lief weiter durch die Dunkelheit, doch diesmal hielt er mit einer Hand Kontakt zur Felswand. Buchstäblich von der Dunkelheit geblendet, ließ ihn der Gedanke nicht los, dass er über etwas stolpern würde – einen Stein, eine Leiche, irgend etwas. Der raue Fels schürfte seine Handfläche auf, aber die Berührung vermittelte ihm nur Trost und keinen Schmerz. Verglichen mit der undurchdringlichen, wesenlosen Dunkelheit, durch die er lief, war der Fels fest und real.

Dann fand seine tastende Hand keinen Halt mehr, und er stürzte in einen Seitentunnel. Der Sturz jagte ihm einen tüchtigen Schreck ein, doch diesmal unterdrückte er jeden Laut. Er wälzte sich rasch zur Wand und schmiegte sich fest dagegen. Draußen im Haupttunnel wurde das Fackellicht heller und heller, und das Geräusch der Schritte kam immer näher. Dann erfasste ihn das Licht, und er war sicher, dass ihn der Mann, der den Haupttunnel entlanglief, sehen würde.

Doch die Schritte zögerten an der Abzweigung nur ganz kurz. J'role erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen Mann in schwarzem Leder, dann senkte sich die Dunkelheit wieder über ihn und tröstete J'role, der leise atmend liegenblieb. Er wollte sich noch tiefer in die winzige Nische drücken, auf die er gestoßen war, als ihm sein Vater wieder einfiel.

Der Mann in der Lederrüstung hielt direkt auf seinen Vater zu.

J'role erhob sich, schwindlig von der Stirnwunde, und ging weiter den Tunnel entlang, indem er sich wiederum mit der Hand an der Tunnelwand vorantastete. Nach kaum zwanzig Schritten hörte er seinen Vater aufschreien. Der Laut beschleunigte seinen Schritt, aber nicht so sehr, dass er wieder Gefahr gelaufen wäre, gegen eine Felswand oder ins Nichts zu laufen. Die Tunnelwand diente ihm als Stütze und Orientierungshilfe, bis er vor sich Fackellicht sah.

Drei Fackeln erhellten die Szenerie: seines Vaters Fackel, die immer noch in dem Felsspalt steckte, J'roles eigene auf dem Boden und diejenige, die von dem Mann in Leder gehalten wurde. Der Mann stand zwischen J'role und den leuchtenden Flammen, so dass sein Körper nur ein rötlicher Schatten war und seine Gesichtszüge verborgen blieben.

Der Fremde beugte sich über Bevarden, legte ihm die freie Hand um den Hals und drückte seinen Kopf gegen die Felswand. »Du musst ihn gesehen haben! Warum wärst du sonst hier. Du arbeitest doch mit dem Ork zusammen, oder etwa nicht?«

Sein Vater hatte die Augen weit aufgerissen und keuchte, als starre er direkt in einen fleischgewordenen Alptraum. Er stotterte: »Nein. Nein. Kein Ork.« Dann schloss er die Augen, als wolle er den Angreifer in das Reich der Träume verbannen.

»Hör mir gut zu!« rief der Fremde, indem er Bevarden seine Fackel in die Rippen stieß. Rauch stieg von Bevardens zerlumptem Hemd auf, und er schrie auf. Der Mann lachte, und Bevarden versuchte sich zu einem winzigen Ball zusammenzukrümmen.

Scham brannte auf J'roles Wangen, und dann war es Wut, die ihn trieb – Wut auf seinen Vater –, als er auf den Fremden losstürmte. Er schrie, und als er den Mund öffnete, spürte er, wie er augenblicklich die Kontrolle über ihn verlor. Seine Zunge bewegte sich ohne sein Zutun und kam ihm dick und fremdartig in seinem Mund vor. Ein Kribbeln überlief seine Gesichtshaut, und er hörte die Worte aus sich herausströmen.

Worte... Dinge, die Worten ähnelten.

Eine Flutwelle von Silben und Geräuschen, manche erkennbar menschlich, andere nicht. Sie zerrten an seinem Verstand, als er aus vollem Halse brüllend aus dem Tunnel schoss. Er spürte, dass seine Muskeln, seine Zunge, die Laute bildeten, aber er hatte keine Ahnung, was er sagte.

Der große, schlanke Mann wirbelte herum, wobei er die Fackel fallen ließ und die Hände vor das Gesicht presste. J'roles Vater schrie gequält auf – ein so heftiges und trauriges Wehklagen, dass es dem Jammern glich, das er von sich gegeben hatte, während er zusah, wie die Dorfbewohner vor neun Jahren seine Frau zu Tode steinigten.

Ohne nachzudenken, rammte J'role seine dürren Arme in die Brust des Fremden. Der fiel rückwärts, und J'roles Schwung riss sie beide über den Grubenrand. Der Mann schrie auf, und J'role, dem plötzlich klar vor Augen stand, was geschah, wirbelte in der Luft herum und hielt sich mit einem Arm verzweifelt am Grubenrand fest. Schnell schwang er ein Bein über den Rand, dann spürte er, wie sich eine Hand an seinem Rücken festkrallte. Es war der Fremde, der sich mit einer Hand ebenfalls am Grubenrand und mit der anderen an J'roles Schulter festhielt und herauszuklettern versuchte.

Ihre Gesichter waren nur eine Handspanne auseinander, und J'role plapperte immer noch unkontrolliert vor sich hin. Die Empfindung, dass sein Mund sich ohne sein Zutun bewegte, entsetzte ihn, und er wollte »Hilf mir!« schreien, aber die Laute und Rufe und Schreie und Geräusche erklangen nur lauter und schneller, jetzt mit rauem Gelächter durchsetzt.

Starr vor Entsetzen stierte der Mann J'role einen Augenblick lang nur verstört an. Dann begann er wie rasend an ihm hoch und über ihn hinweg zu klettern, wodurch der Junge fast in die Grube gestoßen wurde.

Als der Mann von ihm abließ, rollte sich J'role ein Stück weit von der Grube weg, während er immer noch vor sich hin brabbelte und kreischte.

J'role und der große dünne Mann krochen von der Grube weg. J'role wollte fliehen, aber der Mann warf ihn auf den Rücken und ließ sich mit den Knien auf seine Brust fallen. Irgendwo hinter ihnen schluchzte Bevarden vor sich hin. Der Mann packte J'roles Kopf und knallte ihn gegen den Steinboden.

Wumm.

Wumm.

Wumm.

Wumm.

»Hör auf! Hör auf! Bitte! Hör auf!« schrie der Mann J'role an.

Der Junge spürte, wie er das Gefühl für Raum und Zeit verlor. Die Auf-und-ab-Bewegung, der rhythmisch wiederkehrende Schmerz, all das fühlte sich plötzlich normal an. Eine umfassende Schwärze legte sich langsam über sein Blickfeld. Aber immer noch drangen die Geräusche aus seinem Mund. Er schmeckte die salzigen Tränen des Mannes, als sie in seinen offenen, keifenden Mund fielen.

Durch all die Schreie und Schmerzen und Bewegungen hindurch brannte sich ein Gedanke ganz tief in J'roles Verstand ein: »Ich werde sterben.« Er begrüßte diese Vorstellung. Das Unwesen in seinem Kopf schnurrte vor Behagen.

Alles außerhalb dieses weißglühenden Gedankens verblasste plötzlich und trat in den Hintergrund, wenngleich er sich immer noch des Schreiens und Kreischens und des scharfen Knackens seines Schädels auf dem Felsboden bewusst war. Entsetzen erfasste ihn.

Was würde geschehen, wenn er mit dem Ding in seinen Gedanken starb? Würde er einfach immer weiter kreischen, niemals richtig tot und gerade so lebendig sein, um den Dämon zu nähren?

Mit einer jähen, verzweifelten Kraftanstrengung packte er die Handgelenke des Mannes und riss dessen Hände von seinem Kopf weg. Ohne innezuhalten, rollte er den Mann nach rechts. Der Mann ruderte wie wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, aber J'role versetzte ihm mit letzter Kraft einen Stoß, der ihn über den Grubenrand schickte. Der Mann schrie auf – ein kurzer Hilferuf, der jäh verstummte.

J'roles Mund brabbelte weiter vor sich hin, während der Junge zu der von Fackeln beleuchteten Decke hinaufstarrte, aber die Geräusche wurden immer leiser.

Dann breitete sich eine selige Stille aus. Sein Mund war wund, aber ruhig. Er kroch zum Rand der Grube und schaute nach unten. Er sah nichts außer der blasenwerfenden blauen Flüssigkeit.

Hinter ihm schluchzte sein Vater.

»Es tut mir leid«, sagte Bevarden unter Tränen. »Es tut mir leid.«

J'role kroch zu seinem Vater. Es waren die Laute aus J'roles Mund gewesen, die seinem Vater die Schmerzen bereitet hatten, die ihn jetzt quälten. Er wollte seinen Vater festhalten, um irgendwie zu erreichen, dass alles wieder gut würde.

Doch bevor er seinen Vater erreichte, fiel mehr Licht in den Gang. J'role sah auf.

Fünf Schritte entfernt stand ein hochgewachsener Mann, der das Gewand eines Magiers trug — rot wie das flammende Herz eines Drachen. Vor diesem roten Hintergrund sah er kunstvoll gestaltete Umrisse von Bäumen mit wunderschönen Ästen und Zweigen. Die Augen des Magiers waren milchig weiß, blind. Seine rechte Hand war erhoben, und in der Handfläche befand sich ein Auge mit einer tiefgrünen Pupille, die J'role anstarrte.

Hinter dem Magier stand eine Frau. Sie war ebenso groß wie der Magier, hatte jedoch breitere Schultern. An ihrer Seite baumelte ein Langschwert, aber bei der Waffe in ihren Händen handelte es sich um ein Kurzschwert.

»Wahrhaftig, dies ist eine seltsame Nacht«, sagte der Magier. »Weißt du, wo ich meinen Freund Garlthik Einauge finden kann? Und wenn ja, würdest du es mir bitte sagen?« Die Worte selbst waren ruhig und freundlich, aber ihr Klang war eine einzige Drohung. Das Auge in der Handfläche blinzelte.

Ein seltsames Gefühl durchströmte J'role, eine Mischung aus Furcht – denn er hatte noch nie zuvor jemanden wie diesen Magier gesehen – und Erregung. Er hatte soeben den Fremden bezwungen, der seinen Vater angegriffen hatte. Seine Stimme, die ihm immer wie ein Fluch vorgekommen war, hatte ihm dabei geholfen. Konnte er sie noch einmal einsetzen?

J'role kümmerte sich nicht um das Schluchzen seines Vaters und öffnete mit ausdrucksloser Miene den Mund, um mit dem Magier zu reden. Wenn seine Stimme dem Magier und der Kriegerin Schmerzen bereitete, konnte er in der Verwirrung vielleicht seinen Vater packen und wegrennen. Oder auch nicht. Vielleicht würde er auch alleine losrennen. Wer konnte das wissen? Aber die Empfindungen, die der Kampf mit dem Mann in ihm wachgerufen hatte, waren stark, und er verspürte ein überwältigendes Verlangen, lieber zu kämpfen, als sich zu ergeben.

Sein Mund öffnete sich, und das Gefühl, als das Unwesen die Kontrolle über seine Stimme übernahm, saß ihm wie eine dicke Schlange in der Kehle. Die Schlange bahnte sich einen Weg zu seiner Zunge, und J'role spürte, wie sie sich ohne sein Zutun zu bewegen begann.

Die ersten Laute – leise Schreie, unverständliche Silben, Keuchen, ein Kichern – kamen heraus. Die Kriegerin ließ ihr Schwert fallen. Der Magier wich einen Schritt zurück und presste seine augenlose Hand gegen die Brust. Sein Vater kreischte. »Bitte«, schrie er mit jämmerlicher Fistelstimme, »Es tut mir leid. Es tut mir leid.«

J'roles Erregung wuchs. Ein Gefühl des Stolzes breitete sich in ihm aus. Er konnte so vielen Leuten Leid zufügen. Er hatte sich so viele Jahre dagegen gewehrt, aber das war nun vorbei ...

Der Magier, immer noch mit erhobener Augenhand, sprach ein Wort, das J'role über sein eigenes Brüllen hinweg nicht verstehen konnte. Eine blaue Flamme entsprang der Hand des Magiers, und J'role sah mit wachsender Bestürzung zu, wie sich ein Netz aus blauem Licht um die Hand bildete. Das Netz flog wie eine Wolke aus weicher blauer Wolle durch die Luft, fuhr in J'roles Mund und legte sich eng um seinen Kopf. Er wollte weiterreden, aber das Netz wurde immer dichter, zwang seine Zunge in den Mund zurück und drang bis tief in die hintersten Winkel seines Mundes, bis er nur noch ein undeutliches Stöhnen herausbrachte.