Der Mann, der stehend sterben wollte - William Mark - E-Book

Der Mann, der stehend sterben wollte E-Book

William Mark

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"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Fahler Mondschein lag über dem Hochplateau der Peloncillo-Mountains. Hin und wieder wurde er von vorüberhuschenden Wolkenschatten verdüstert. Der Wind trieb den Flugsand mit einem pfeifenden, schmirgelnden Geräusch an den Gesteinsbrocken entlang, die hier wie skurrile Türme aus dem sandigen Boden ragten. Am Ufer eines ausgetrockneten Seebeckens hielten zwei Reiter. Der eine war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften, einem schwarzen Stetsonhut und einem dunklen, markant-männlich geschnittenen Gesicht. Er trug ein graues Kattunhemd, das am Hals von einer Samtschleife zusammengehalten wurde. Die Jacke war aus schwarzem, kräftigem Tuch. Ebenso die eng anliegende Hose, die unten breiter wurde und über die Schäfte der hochhackigen Texasstiefel auslief. Er trug einen breiten, patronengespickten Waffengurt, der an jeder Hüftseite einen schweren 45er Revolver hielt. Der Mann saß auf einem hochbeinigen Falbhengst, der von edelster Rasse war. Dieser Mann war niemand anders als der berühmte Marshal Wyatt Earp aus dem fernen Dodge City. Neben ihm auf einem schwarzen Rappenhengst saß ein Mann, der kaum weniger groß war als der Gesetzesmann selbst, aber von bedeutend schlanker Gestalt. Er hatte ein aristokratisch geschnittenes Gesicht, trug einen eleganten schwarzen Hut und einen Anzug, der nach neuester Mode geschnitten war. Sein Hemd war weiß, und schwarz die Samtschleife. Unter der Jacke trug er eine weiße mit goldenen Stickereien besetzte Weste. Hinter den weit zurückgezogenen Schößen seiner Jacke waren die elfenbeinbesetzten Knäufe seiner beiden Revolver vom Kaliber 45 zu sehen. Auch der Name dieses Mannes war im weiten Westen bekannt. Er lautetet: Doc Holliday! Die beiden Westmänner waren aufgebrochen, um den Schlupfwinkel jene Mannes zu suchen, der in der heißen Sandstadt Tombstone eine Bande gründete, die in der letzten Zeit das ganze County mit Verbrechen nur so überschwemmt hatte. In der Stadt gab es keinen Menschen mehr, der noch gewagt hätte, ein lautes Wort über die Desperados fallen zu lassen.

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Wyatt Earp – 23 –

Der Mann, der stehend sterben wollte

William Mark

Fahler Mondschein lag über dem Hochplateau der Peloncillo-Mountains. Hin und wieder wurde er von vorüberhuschenden Wolkenschatten verdüstert. Der Wind trieb den Flugsand mit einem pfeifenden, schmirgelnden Geräusch an den Gesteinsbrocken entlang, die hier wie skurrile Türme aus dem sandigen Boden ragten.

Am Ufer eines ausgetrockneten Seebeckens hielten zwei Reiter. Der eine war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften, einem schwarzen Stetsonhut und einem dunklen, markant-männlich geschnittenen Gesicht. Er trug ein graues Kattunhemd, das am Hals von einer Samtschleife zusammengehalten wurde. Die Jacke war aus schwarzem, kräftigem Tuch. Ebenso die eng anliegende Hose, die unten breiter wurde und über die Schäfte der hochhackigen Texasstiefel auslief. Er trug einen breiten, patronengespickten Waffengurt, der an jeder Hüftseite einen schweren 45er Revolver hielt. Der Mann saß auf einem hochbeinigen Falbhengst, der von edelster Rasse war.

Dieser Mann war niemand anders als der berühmte Marshal Wyatt Earp aus dem fernen Dodge City.

Neben ihm auf einem schwarzen Rappenhengst saß ein Mann, der kaum weniger groß war als der Gesetzesmann selbst, aber von bedeutend schlanker Gestalt. Er hatte ein aristokratisch geschnittenes Gesicht, trug einen eleganten schwarzen Hut und einen Anzug, der nach neuester Mode geschnitten war. Sein Hemd war weiß, und schwarz die Samtschleife. Unter der Jacke trug er eine weiße mit goldenen Stickereien besetzte Weste. Hinter den weit zurückgezogenen Schößen seiner Jacke waren die elfenbeinbesetzten Knäufe seiner beiden Revolver vom Kaliber 45 zu sehen.

Auch der Name dieses Mannes war im weiten Westen bekannt. Er lautetet: Doc Holliday!

Die beiden Westmänner waren aufgebrochen, um den Schlupfwinkel jene Mannes zu suchen, der in der heißen Sandstadt Tombstone eine Bande gründete, die in der letzten Zeit das ganze County mit Verbrechen nur so überschwemmt hatte. In der Stadt gab es keinen Menschen mehr, der noch gewagt hätte, ein lautes Wort über die Desperados fallen zu lassen. Das einstmals so stolze und selbstbewusste Tombstone hatte alles eingebüßt, was es dereinst bedeutend gemacht hatte. Und Schuld daran trug jener Verbrecher, der bisher so meisterhaft verstand, im Hintergrund zu bleiben.

Aber es schien keine Spur zu ihm zu führen. Zu geschickt, zu raffiniert hatte dieser Mann seine Fäden gesponnen. Auf Tombstones Straßen war der Sheriff, Wyatts Bruder Virgil, von vier Verbrechern aus dem Hinterhalt zusammengeschossen und der kleine Sohn Virgils, der fünfjährige Oliver, von den Banditen entführt worden.

Doc Holliday hatte den schwerverletzten Sheriff, dem man in der Stadt für tot hielt, dem Totengräber regelrecht von der Schaufel gerissen. Er hatte ihm die Kugeln aus dem Körper herausgeholt und ihn, über den Berg’ gebracht. Virgil lag in Doc Hollidays Haus, und seine Genesung machte gute Fortschritte. Nur sehr wenige Leute in der Stadt wussten, dass er noch lebte. Die Stadt hielt ihn für tot und glaubte, dass er längst oben auf dem Graveyard läge.

Zu den wenigen Menschen, die es wussten, gehörte seit kurzem der gefürchtete mysteriöse Rancher aus dem San Pedro Valley, Kirk McLowery. Urplötzlich sah Virgil ihn in sein Zimmer treten, aber der Eindringling hatte sich damit verteidigen können, dass er einen Mann beobachtet hatte, der in das Haus geschlüpft war. Und das stimmte sogar. Virgil konnte jetzt nur hoffen, dass Kirk McLowery seine Entdeckung nicht in der Stadt preisgab.

Aber war es nicht gerade dieser Kirk McLowery, den Virgils Bruder, Wyatt stark im Verdacht hatte, der gesuchte Bandenführer zu sein?

Kirk McLowery hatte dem Marshal bisher allerdings nicht die geringste Handhabe für diese Vermutung geliefert – und so war denn der Verdacht des Missouriers schon wieder geschwunden.

Aber wer konnte der Mann sein, der die Tombstoner Unterwelt so in den Griff bekommen hatte?

Am helllichten Tage hatten mehrere Banditen auf der Allen Street ein Bankhaus überfallen und ausgeraubt. Dabei war der Sohn des Bankiers ermordet worden, und einer der Angestellten der Bank hatte eine gefährliche Verletzung davongetragen.

Die Verbrecher sollten sich nach Osten gewendet haben und in die Berge geflüchtet sein, hinauf in die Peloncillo-Mountains.

Einer der Banditen hatte dem Missourier, wie Wyatt Earp seit anderthalb Jahrzehnten in diesem Lande genannt wurde, gestanden, dass die Tramps sich am Pulversee treffen wollten. Wyatt kannte diesen Pulversee nicht, aber er glaubte ihn nun nach einer halsbrecherischen Partie durch das Bergland gefunden zu haben. Es war ein ausgetrocknetes Seebett, das hier oben auf der Höhe zwischen Steingeröll völlig versteckt lag und ganz sichtlich nicht so leicht von irgend jemandem entdeckt werden konnte.

Wenn sich die Banditen hier einen Schlupfwinkel geschaffen hatten, dann saßen sie nicht schlecht.

Wo war dieser Schlupfwinkel?

Es war sehr schwierig für die beiden Dodger, hier eine Spur zu finden, denn der Wind, der in gewissen Zeitabständen immer wieder aufkam und über das tafelglatte Hochland strich, fuhr auch über die Ufer des Pulversees und ließ den Staub hoch aufwirbeln, um alle Spuren – wenn es überhaupt hier irgendwelche gegeben hatte – wieder zuzudecken. Der Wind machte auch vor den Geröllhalden und den Steinpyramiden nicht halt, die hier in der Ebene in der Nähe des Sees zu finden waren.

Eben hatte sich eine Wolkenbank vom Mond entfernt, und fahlsilbrig, glänzend und deutlich lag die Landschaft vor den beiden Westmännern.

Der Marshal suchte mit scharfen Augen das gegenüberliegende Seeufer ab und nahm dann die Zügelleinen auf.

Doc Holliday, der dicht neben ihm hielt, blickte ihn fragend an.

»Wir müssen die Nachtstunden nutzen, Doc.«

Holliday nickte.

Der Marshal hatte die Führung, blieb am südlichen Seeufer, verließ es schließlich und hielt auf ein dunkles Gesteinsfeld zu, in dem fingerartige Felstürme standen, die bis zu achtzig Yards in den Himmel ragten.

Es war unheimlich einsam hier oben auf dem Hochland der Peloncillo-Mountains.

Die beiden Männer hatten jetzt das Gebiet des Sees verlassen, waren auf die Steintürme zugeritten und gerieten dadurch in den Schatten, der von den Steinen auf das Uferland geworfen wurde.

Der Missourier ritt jetzt voraus, da die Gesteinsbrocken so nah beieinanderlagen, dass nur ein einzelner Reiter zwischen ihnen Platz fand.

Rechts und links von dem Missourier stiegen die Felsen nun höher und höher an. Das war vom See aus noch nicht zu sehen gewesen. Eine richtige Felsschlucht hatten sie hier oben erreicht, die plötzlich, ähnlich wie beim Aufstieg, stark mit Geröll bedeckt war und sie zwang, von den Pferden zu steigen.

Urplötzlich war die Schlucht zu Ende – aber damit zu Ende, dass sie von einem massiven Felsen versperrt wurde.

Der Missourier tastete sich vorsichtig vorwärts und stellte nach einer Weile fest, dass es doch nicht das Ende der Felsgasse war. Rechts führte eine schmale Passage in eine Kluft hinein, die allerdings so eng war, dass ein Mann nicht einmal mehr neben seinem Pferd hergehen konnte.

Sie hatten schon unten am Ufer des Sees die Hufe ihrer Pferde mit starken ledergeränderten Stoffstücken umwickelt, die sie immer bei sich trugen.

Die Kluft schien anstatt breiter immer schmaler zu werden – immer enger und niedriger. Oben war bereis kein Himmelsspalt mehr zu sehen, und das Licht war so spärlich geworden, dass der Missourier nun doch erwog, umzukehren.

Wyatt ging jetzt sehr langsam und tastete mit einem Zweig den Boden ab.

Die Felsschlucht machte plötzlich eine Wendung nach links, dann nach rechts – und nun schien der Weg tatsächlich zu Ende zu sein. Hart und kantig versperrte der Stein ein weiteres Vordringen.

Holliday, der hinter dem Falbhengst herkam, war ebenfalls stehengeblieben.

In der Gesteinsenge herrschte tiefe Stille.

Wyatt war noch damit beschäftigt, den Boden und die Wand vor ihm abzutasten, als er die leise Stimme des Spielers hörte:

»Na, ist nun Schluss?«

»Möglich«, entgegnete der Missourier, »aber ich bin nicht ganz überzeugt, die Luft ist hier noch zu frisch. In einem Schacht, der keinen Abzug mehr hat und nach oben völlig überdacht ist, müsste die Luft viel dumpfer sein.«

Aber der Weg schien tatsächlich zu Ende, der Schacht völlig abgeschlossen zu sein.

Ganz zufällig tastete der Marshal mit dem Stock etwas höher über den Boden und kam in Schulterhöhe. Tatsächlich, da schien der Schacht eine Fortsetzung zu haben.

»Zu Pferd geht’s hier allerdings nicht weiter«, raunte er dem Spieler zu.

»Well«, entgegnete Holliday, »dann lassen wir die Tiere eben hier.«

Sie stiegen beide auf die etwas höher liegende Schluchtsohle hinauf und setzten den Weg, der nach wie vor beschwerlich war, nun allein fort.

Die beiden Pferde konnten sie ruhig zurücklassen, denn die beiden edlen Hengste waren so gut geschult, dass sie nicht das geringste Geräusch von sich geben würden, wenn sie allein da in der Felsschlucht zurückbleiben mussten.

Wieder war Wyatt an sein scheinbares Ende der höherliegenden Kluftsohle gekommen, als er diesmal aber rascher die ›Treppe‹ fand, die jetzt nur etwa einen Yard höher lag.

Schon nach sechzig oder siebzig Yards war auch dieser Weg zu Ende, und fast wäre er dem voranschreitenden Marshal zum Verhängnis geworden. Aber noch im allerletzten Augenblick hatte er den Abgrund entdeckt, der urplötzlich steil vor ihm abfiel.

Wyatt legte sich flach auf den Boden, tastete neben sich und hatte ein lockeres Gesteinsstückchen in der Hand, das er vorn hinunterfallen ließ.

Zu seiner nicht geringen Verwunderung stellte er fest, dass der Stein sofort unter ihm auffiel: Er tastete mit dem Stock vor sich und konnte feststellen, dass es nach etwa anderthalb Yards Tiefe weiterging.

Die Kluft war hier etwas breiter, aber oben auch so eng, dass man das Gefühl hatte der Fels wäre über ihnen zusammengewachsen. Doch da der Mond sich hin und wieder von den Wolkenbänken frei kämpfte, war der Lichtschein so hell, dass er oben durch das Gestein hier in den Felseinschnitt hinunterfiel.

Nach etwa einer Viertelstunde blieb der Marshal stehen, denn wieder schien der Weg aufzuhören.

Diesmal war es Holliday, der meinte:

»Ich glaube, wir müssen uns hier nach links wenden, Marshal.«

Wyatt kam zu ihm zurück und entdeckte links in der Felswand eine düstere Kluft.

Tatsächlich, da ging es weiter.

»Ein ganz hübsches Labyrinth, in das wir da geraten sind«, meinte der Spieler. »Ein Glück nur, dass es keine Seitenwege gibt, sonst könnten wir uns hier höchstwahrscheinlich tagelang abmühen, bis wir zu unseren Gäulen zurückfänden.«

Urplötzlich aber blieben sie stehen, denn der Weg durch den Fels hörte nach zwei scharfen Knicken auf und fiel vor ihnen steil in die Tiefe.

Sie standen in einem Felskamin – etwa achtzehn oder zwanzig Yards in glatter Wand über dem Boden – und sahen vor sich in der Ebene eine Stadt.

Häuser rechts und links von einer Straße, zwar dunkel, was jetzt in der späten Nacht kein Wunder war, aber doch Häuser, die wohlgeordnet nebeneinander standen.

Eine richtige Westernstadt mit Vorbauten, Zügelholmen, Dächern, Hausfassaden, Schuppen und anderen Anbauten.

Der Missourier nahm das Nelsonglas, das er vorsichtshalber eingesteckt hatte, heraus, zog es auseinander und hielt es vor das rechte Auge.

Aber das Bild blieb. Vor ihnen auf der Ebene lag eine Stadt. Sie war zwar sehr klein und bestand nur aus wenigen Häusern … aber es war eine richtige, echte Stadt. Keine Fata Morgana! Hoch oben auf dem Felsplateau der Peloncillo-Mountains lag sie versteckt hinter Gesteinsbastionen, die sich nach allen vier Himmelsrichtungen wie eine schützende Wand um sie herum zogen.

»Eine Stadt beim Pulversee«, meinte Holliday halblaut.

Wyatt hatte das Glas wieder eingesteckt und blickte gebannt zu den Häusern hinüber.

»Sieht ziemlich still aus«, meinte er.

Holliday nahm seine goldene Uhr, deren Decke mit kostbaren Ziselierarbeiten bedeckt war, aus der Tasche und lauschte dem Läutwerk.

»Wenn ich hier in diesem Nest wohnte«, meinte er, »ginge ich höchstwahrscheinlich auch mit den Hühnern schlafen.«

»Jetzt wüsste ich nur gern, wie wir herunterkommen«, meinte der Missourier.

Holliday wusste, dass der Marshal seinen Lasso abgeschnallt hatte und über dem Arm auf der linken Schulter trug. Aber er wusste auch, dass selbst der längste Horse-Lasso nicht lang genug war, um hier die Distanz bis zum Boden zu überwinden. Auch dann nicht, wenn man mutig genug war, sich aus halber Höhe loszulassen und hinunterzuspringen. Überhaupt tat der Missourier so etwas nur im Notfall.

Und einen Notfall hatten sie ja jetzt nicht.

»Eine verdammt ideale Ecke«, fand der Spieler in seinem bekannten spöttisch leisen Ton. »Wenn die Kerle sich da drüben aufhalten, dann haben sie sich das beste Hole ausgesucht, das ich jemals gesehen habe.«

Unverwandt blickte der Missourier zu den schweigsamen Häusern hinüber, die da drüben eine Straße bildeten, die stumm und reglose einander gegenüberstanden und keine Spur von Leben zeigten.

»Ich würde mir darüber keine Gedanken machen, Marshal. In diesen Berggegenden haben wir doch selten Tiere angetroffen.«

Das stimmte schon. Dennoch kam diese große Stille dem Marshal seltsam lastend vor.

»Well«, meinte er schließlich, während er dem Gefährten die Lassoleine hinhielt, »ich werde den Abstieg versuchen.«

»Ziemlich riskante Sache«, entgegnete Holliday.

»Leider kann ich nirgends eine bequemere Treppe finden.«

Und schon machte sich der Marshal an die Arbeit, wickelte das Lasso ganz ab und ließ es an der Felswand hinunterbaumeln.

Holliday hatte sich mit dem rechten Fuß hineingestemmt und hielt mit beiden Händen fest, während er sich zurück gegen die Felswand lehnte.

Der Missourier turnte geschickt hinunter bis zum Ende des Seiles, und dann blickte er hinunter auf den grauen schimmernden Stein, der im fahlen Mondlicht unter ihm lag.

Kurz entschlossen ließ sich der Missourier hinunterfallen.

Er kam ziemlich hart mit dem linken Fuß auf und verspürte einen schmerzenden Stich durch die ganze linke Körperseite bis zum Herzen.

Da hörte er über sich den Spieler flüstern: »Ich habe hier oben einen praktischen Haken aus Stein gefunden. Ich komme nach.«

Wyatt wollte noch etwas sagen, da sah er aber, wie der dunkle Körper des Georgiers sich über den Rand der Kluft schwang und ebenfalls an dem Lasso hinunterturnte, bis er dessen Ende erreicht hatte.

Da ließ er sich los.

Wyatt bremste mit Händen und Körper den Fall des Gefährten.

»Gut gelandet?«

Holliday nickte und blickte den Mar­shal an. »Und Sie?«

Der Missourier winkte ab. »Alles okay, wir können gehen.«

Aber als er sich in Bewegung setzte, konnte er mit dem linken Fuß nicht auftreten.

Holliday merkte es sofort, hielt an und meinte:

»Schätze, dass Sie als hinkender Indianer hier wenig willkommen sein werden. Soll ich nicht allein gehen?«

»Nein, nein, ich komme schon mit«, meinte der Marshal.

Holliday bückte sich und tastete den Fuß des Marshals ab.

»Wenn wir Pech haben, dann sitzt es im Wadenbein. Aber es kann natürlich auch eine Verkrampfung der Sehne sein.«

»Was ist schlimmer?«, wollte der Marshal wissen.

»Ein angeknackstes Wadenbein«, entgegnete der Spieler, während er sich wieder in Bewegung setzte.

Wyatt folgte ihm humpelnd.

Näher und näher kamen sie an die düstere Stadt heran.

Zu ihrem Pech hatte jetzt eine ganze Wolkenmauer den Mond verdüstert. Das Licht, das über den Rand der Wolken fiel, leuchtete nicht mehr hier in das kleine Hochplateau zwischen dem Felsgestein, auf dem die Stadt stand.

»Auch das noch«, meinte der Spieler.

»Wir sollten froh sein, dass es dunkler wird«, entgegnete der Marshal. »Im Mondlicht können sie uns bis auf sechzig, siebzig Yards und weiter sehen.«

»Das schon«, entgegnete Holliday. »Aber wir kennen hier keinen Fußbreit Boden. Und da würde ich es doch begrüßen, wenn der Mond nicht so geizig mit seiner Laterne wäre.«

Sie hatten sich den ersten Häusern jetzt bis auf fünfzig Schritt genähert.

Rechts die beiden ersten Häuser waren klein und wirkten im düsteren Mondschein unansehnlich und ausgestorben.

Die nächsten Häuser waren größer und sahen etwas besser aus. Aber über allem schien irgendwie ein silbergrauer Schein zu schweben.

Da gaben die Wolken den Mond wieder frei und geisterten als gespenstische Schatten über die Straße, tanzten über die Vorbaudächer und glitten über die Hausgiebel dahin.

Die beiden hatten einen einen Vorbau betreten.

»Wirklich, eine behagliche Stadt«, hörte der Marshal den Spieler fast lautlos hinter sich sagen. »Ich meine, hierhin sollte ich mich pensionieren lassen.«

Sie hatten die beiden ersten Häuser hinter sich und standen vorm Hoftor des nächsten Hauses.

Wyatt öffnete es etwas und blickte in den Hof hinein, der gerade noch im gleißenden Mondlicht gelegen hatte, aber von einer Wolkenbank jetzt in ägyptische Finsternis getaucht wurde.

Ärgerlich ließ der Missourier den Torflügel los und betrat die nächsten Vorbauten.

Das sechste Haus auf der rechten Seite war eine Schenke.

Innen auf der Scheibe stand in riesigen Lettern zu lesen:

SALOON ZUM EWIGEN LEBEN.

Wyatt blickte sich um und sah in das Gesicht des Spielers.

»Na, was habe ich gesagt?«, flüsterte Holliday.

Da kam plötzlich Wind auf und trieb den Staub mit einem singenden Geräusch über die Vorbauten und an den hölzernen Häusergiebeln entlang.

Die beiden hatten sich in die Torecken gepresst, bis es vorüber war. Dann gingen sie weiter.

Wyatt hatte den nächsten Vorbau betreten und griff nach einem der Dachpfeiler.

Sofort aber ließ er ihn los. Denn über ihm war ein ächzendes Geräusch entstanden.

Als er jetzt den Pfeiler noch einmal leise berührte, bemerkte er, dass der Pfosten ganz morsch, jedenfalls aber stark verwittert war.

Er machte Doc Holliday flüsternd darauf aufmerksam.

»Hier ist alles morsch«, zischte der Spieler leise.

Sie hatten die Schenke hinter sich und gingen an den nächsten Häusern entlang.

Als sie das östliche Ende der Stadt erreicht hatten, wechselten sie über die Straße hinüber und gingen auf den Vorbauten der anderen Seite zurück.

Vor einem der letzten Häuser blieben sie stehen.

Wyatt trat bis an den Rand des Vorbaus, wo er noch im tiefen Schatten stand, und blickte kopfschüttelnd die Straße hinunter.

»Gefällt Ihnen unser schönes ›Nest zum ewigen Leben‹ etwa nicht?«, hörte er da Hollidays spöttelnde Stimme hinter sich.

»Nein«, entgegnete der Marshal. »Irgend etwas an dieser Stadt gefällt mir nicht.«

»Aber ich bitte Sie«, entgegnete der Spieler, »sie ist die bestgelegene Stadt, die ich bis jetzt gesehen habe. So etwas von einem Schutzwall haben ja nicht einmal die alten Apachen oben an ihren Pueblos.«

»Das ist es nicht«, versetzte der Missourier, »aber schließen Sie einmal die Augen, öffnen Sie den Mund und lauschen Sie mit angehaltenem Atem.«

»Das habe ich mehrmals getan – als Sie es nämlich auch taten.«

»Und – ist Ihnen nichts aufgefallen?«

»Nein, nicht das Geringste.«

Wieder nickte der Marshal. »Eben, das ist es. Diese Stille Diese unheimliche Stille. Haben Sie jemals eine so stille Stadt gesehen, Doc?«

Der Spieler zog die Schultern hoch.

Da wandte sich der Missourier um, ging auf die nächste Tür zu und griff nach dem Knopf.

Die Tür war unverschlossen.

Wyatt betrat den Hausgang und blieb lauschend stehen.

Da sich auch Doc Holliday hinter ihm nicht rührte, konnte ihm kein Geräusch entgehen.

Wyatt ging weiter bis an die nächste Tür, öffnete sie und blickte in eine Stube, in der ein Tisch und zwei Hocker standen. Auch ein alter Schrank war da. Er ging auf den Tisch zu, und in diesem Augenblick fiel draußen auf der Straße wieder das silberne Licht des Mondes herein und goss sich über die Vorbauten und Zügelholme. Es drang auch durch die Scheiben in diesen Raum.