Wolfsruf - William Mark - E-Book

Wolfsruf E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! in den Wintermonaten, wenn das Leben in den Cowtowns stiller wurde, sattelte der Marshal Earp sein Pferd und verließ Dodge City, um irgendwo in der Ferne Dollars zu machen. So hatte er in Dakota als Gunman für die Wells-Fargo-transport-Gesellschaft gearbeitet, war Boß in einem Digger-Camp in den Black-Hills, hatte in Montana Büffel gejagt, war in Texas Vormann auf einer großen Ranch, hatte in Nebraska und anderen Staaten mit den Landvermessern im Auftrag der Regierung Schutzgebiete für die Indianer vermessen und war mehrmals in den Felsenbergen Colorados Lagerboß in einem Holzfällercamp gewesen. Im Winter 77/78 zog es ihn wieder hinauf in die Wildnis der Berge, oben auf das waldreiche White River Plateau zwischen den einsamen Bergstädten Pyramid und Yampa. Hier hatte er vor Jahren schon einmal für die Harris Company ein Holzfällerlager geleitet.. Er wußte nicht, ob die Gesellschaft auch in diesem Winter einen Job für ihn frei hatte, als er durch die zerklüfteten Bergtäler nach Yampa hinauf ritt. Doch die Harris Company hatte den großartigen Camp-Boß noch nicht vergessen und den Job für ihn frei. Aber wenn Wyatt Earp gewußt hätte, was ihn in diesem Winter hier oben in den Bergen erwartete, hätte er jetzt sicher seinen Falben herumgenommen und wäre irgendwo anders hingeritten. Chet Nugent reckte seinen sehnigen Hals, legte die Hände trichterförmig um den Mund und stieß einen kehligen, heiseren Schrei aus, den vielleicht nur ein Indianerruf von einem echten Wolfsruf hätte unterscheiden können. Chet war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Der sandfarbene Hut saß ihm tief in der Stirn und warf jetzt einen harten Schatten auf sein wettergebräuntes, kantiges Gesicht. Die eindringlichen, seltsam grünschimmernden Augen hatten einen schillernden Raubtierblick. Weit schob sich das in der Mitte durch eine große Narbe geteilte Kinn nach vorn. Chet war ein Texaner, wie er im Buche stand. Die mit bunter Stepparbeit besetzten Stiefel und die gewaltigen Sternsporenräder unterstrichen diesen Eindruck noch. Jetzt stützte er beide Hände auf das Sattelhorn und lauschte angestrengt mit gesenktem Kopf in die Felsschlucht hinein. Da kam unten aus der Tiefe der Wolfsruf zurück. Chet nahm die Zügel auf und lenkte seinen Rappen talwärts. Nach Minuten erblickte er hinter einem Felsvorsprung einen Reiter, der ihm entgegenkam. Chet hielt an und wartete auf den Mann. Es war ein kleiner, vertrockneter Bursche mit gelbem, runzeligem Gesicht, Luchsaugen und einer langen, spitzen Nase, die über die Oberlippe hinausragte und sich dem hochgeschobenen Kinn zu nähern schien.

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Wyatt Earp – 282 –

Wolfsruf

William Mark

Freunde,

in den Wintermonaten, wenn das Leben in den Cowtowns stiller wurde, sattelte der Marshal Earp sein Pferd und verließ Dodge City, um irgendwo in der Ferne Dollars zu machen. So hatte er in Dakota als Gunman für die Wells-Fargo-transport-Gesellschaft gearbeitet, war Boß in einem Digger-Camp in den Black-Hills, hatte in Montana Büffel gejagt, war in Texas Vormann auf einer großen Ranch, hatte in Nebraska und anderen Staaten mit den Landvermessern im Auftrag der Regierung Schutzgebiete für die Indianer vermessen und war mehrmals in den Felsenbergen Colorados Lagerboß in einem Holzfällercamp gewesen. Im Winter 77/78 zog es ihn wieder hinauf in die Wildnis der Berge, oben auf das waldreiche White River Plateau zwischen den einsamen Bergstädten Pyramid und Yampa. Hier hatte er vor Jahren schon einmal für die Harris Company ein Holzfällerlager geleitet..

Er wußte nicht, ob die Gesellschaft auch in diesem Winter einen Job für ihn frei hatte, als er durch die zerklüfteten Bergtäler nach Yampa hinauf ritt. Doch die Harris Company hatte den großartigen Camp-Boß noch nicht vergessen und den Job für ihn frei. Aber wenn Wyatt Earp gewußt hätte, was ihn in diesem Winter hier oben in den Bergen erwartete, hätte er jetzt sicher seinen Falben herumgenommen und wäre irgendwo anders hingeritten.

William Mark

Chet Nugent reckte seinen sehnigen Hals, legte die Hände trichterförmig um den Mund und stieß einen kehligen, heiseren Schrei aus, den vielleicht nur ein Indianerruf von einem echten Wolfsruf hätte unterscheiden können.

Chet war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Der sandfarbene Hut saß ihm tief in der Stirn und warf jetzt einen harten Schatten auf sein wettergebräuntes, kantiges Gesicht. Die eindringlichen, seltsam grünschimmernden Augen hatten einen schillernden Raubtierblick. Weit schob sich das in der Mitte durch eine große Narbe geteilte Kinn nach vorn. Chet war ein Texaner, wie er im Buche stand. Die mit bunter Stepparbeit besetzten Stiefel und die gewaltigen Sternsporenräder unterstrichen diesen Eindruck noch.

Jetzt stützte er beide Hände auf das Sattelhorn und lauschte angestrengt mit gesenktem Kopf in die Felsschlucht hinein.

Da kam unten aus der Tiefe der Wolfsruf zurück.

Chet nahm die Zügel auf und lenkte seinen Rappen talwärts.

Nach Minuten erblickte er hinter einem Felsvorsprung einen Reiter, der ihm entgegenkam.

Chet hielt an und wartete auf den Mann.

Es war ein kleiner, vertrockneter Bursche mit gelbem, runzeligem Gesicht, Luchsaugen und einer langen, spitzen Nase, die über die Oberlippe hinausragte und sich dem hochgeschobenen Kinn zu nähern schien. Er trug einen abgeschabten, mißfarbenen Melbahut mit traurig herabhängender Krempe, abgewetztes Lederzeug und Stiefel, die sicherlich einem doppelt so großen Mann gepaßt hätten. Aus seiner Jackentasche blickte der Knauf eines vorsintflutlichen Revolvers.

Als der Kleine vor Chet angekommen war, rutschte er von seinem Braunen und stand mit wackelndem Kopf auf sichelkrummen Beinen da und grinste den Texaner an. »Hallo, Chet!«

Chet stieg ab und kramte sein Rauchzeug aus der Tasche. Er hielt es nicht für nötig, den anderen zu grüßen. Texanerstolz.

Wer war dieser zwergenhafte Jimmy Plegg letzlich auch? Ein dreckiger Rocksneaker, ein Bergkriecher, ein armseliger Arbeiter, dem sie bei einer Pferdewechselstation unten bei Wolcott vor Jahren den Laufpaß gegeben hatten, weil er hin und wieder versäumt hatte, alle Gepäckstücke wieder aufzuladen, die an der Station auf die Wechselkutsche umgeladen werden mußten. Ein kleiner Bandit war er, und wenn Chet ihn nicht damals aufgelesen hätte, als er betrunken von seinen letzten Dollars vorm Nugget-Saloon in Yampa gelegen hatte, säße er heute vielleicht längst irgendwo im Jail.

Yeah, so war das, und Chet Nugent fühlte nicht die geringste Veranlassung, solche Kreaturen zu grüßen. Er legte eine Prise Durham-Tabak in ein braunes Papierchen, wickelte es zu einer wohlgeformten Zigarette und befeuchtete den Rand mit der Zunge.

Jim riß ein Zündholz an seiner Stiefelsohle an und reichte es dem Texaner.

»Wo sind die anderen?« fragte Chet.

»In der Hütte.«

»Ist Jeff bei euch?«

»Nein«, antwortete der Zwerg kleinlaut.

Der Tex stieß den Tabakrauch hart und unwillig durch die Nase, zog die Brauen zusammen und fragte rauh: »Weshalb nicht?«

»Das Übliche. Er hat gestern abend mit Hanc Alleby gespielt und sich anschließend mit ihm geschlagen.«

»Na und?« Deshalb braucht er doch nicht auf der Ranch zu bleiben.«

Der kleine Plegg nickte, und es sah so aus, als müsse sein Schrumpfkopf jeden Augenblick von dem dürren Hals herunterfallen. »Doch, Chet. Er kann überhaupt nichts sehen. Hanc hat ihm beide Augen zugeschlagen. Drei Tage wird’s wohl dauern.«

»Idioten!« zischte der Texaner, warf seine Zigarette von sich, stieg in den Sattel und ritt, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, talab davon.

Plegg folgte ihm mit mürrischer Miene.

Mitten in der hier ziemlich steilen Felsenschlucht bog Chet in eine spaltenge Kluft ab, in der ein Reiter gerade Platz hatte. Nur etwa fünfzig Yards lang war diese Kluft, dann weitete sie sich plötzlich zu einem Felskessel, an dessen Rücken eine aus rohen Holzstämmen gezimmerte Blockhütte stand.

Chet sprang vor dem Haus vom Pferd, schlang die Zügelleine um den Querholm und trat auf die Hütte zu.

Da flog die Tür auf, und drei verwegen aussehende Gestalten spritzten mit gezogenen Revolvern ins Freie. Als sie den Reiter erkannten, grinsten sie und schoben die Waffen in die Halfter zurück.

»Hallo, Chet!«

Der Texaner tippte nur an den Hutrand, während er an den dreien vorbeiging und die Hütte betrat. Auch sie waren nur dreckige kleine Satteltramps, die einen Job bei ihm gefunden hatten, also Leute, an die der stolze Chet Nugent keinen Gruß zu verschwenden hatte.

Die Hütte bestand aus zwei großen Räumen, äußerst primitiv, die als Schlafraum und Wohnraum aufgeteilt waren. Um den roh zugehauenen Tisch saßen noch sechs weitere Männer, die sich beim Anblick des Texaners erhoben.

»Hallo, Chet!«

Auch für sie hatte er nichts weiter übrig als den nichtssagenden Tipper an den Hut.

Nur einer war nicht aufgestanden. Ein junger Bursche mit hartem Gesicht, schiefergrauen Augen und schmaler Nase. Er trug einen schwarzen Stetson, ein blaues Hemd und eine dunkle Lederjacke. Im Kreuzgurt hatte er zwei elfenbeinbeschlagene Revolver vom Kaliber Western 44 stecken. Er saß in einer Fensternische, hatte die Beine weit von sich gestreckt, die Hände in den Taschen und eine dünne Virginia zwischen den Lippen.

Chet blickte ihn an.

Da öffneten sich die Lippen des jungen Mannes, und ein wenig angenehmes Grinsen kroch über sein blasses Gesicht. »Hallo Chet!«

»Hallo, Larry.« Er war der einzige, der einen Gruß bekam. Ausgerechnet er.

Chet warf seinen Hut mit einem hundertfach geübten Griff auf einen der Wandhaken und ließ sich am Tisch nieder.

Langsam setzten sich die anderen Männer.

Chet drehte sich eine neue Zigarette, nahm von einem der Burschen Feuer, stützte beide Ellbogen auf die Tischplatte und legte das brutal wirkende Kinn auf seine kantigen Fäuste. Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, sagte er hinter einer hellen blauen Rauchwolke hervor: »In drei Minuten reiten wir.«

Die Männer nickten. Sie kannten ihn und seine überhebliche Art schließlich seit langem gut genug und hatten sich längst abgewöhnt, sich über irgend etwas an dem Texaner zu wundern.

»Los, macht euch fertig!«

Die Männer standen sofort auf, nahmen ihre Waffengurte von der Wand, stülpten ihre Hüte auf und zogen ihre Jacken an.

Nur Larry Hout blieb auf seinem Platz.

Chet sah ihn an. »Weshalb ist Hanc nicht mitgekommen?«

Larry hatte die dünne schwarze Zigarre fest zwischen den Zähnen, als er erwiderte: »Wie sollte er? Jeff hat ihm den rechten Arm gebrochen.«

Chet wandte sich um. »Fred!«

Ein rothaariger Kerl mit verwildertem, aufgedunsenem Gesicht und hängender Unterlippe kam an den Tisch.

»Bring mir einen Whisky!«

»Sofort!«

Chet kippte das randvolle große Glas hinunter, als wenn es Wasser wäre. Dann erhob er sich, nahm von Fred seinen Hut und ging zur Tür.

Kurz darauf verließen elf Reiter den Felskessel durch die Seitenspalte, stiegen die steile Schlucht hinan und folgten oben, als die Steigung zu Ende war, dem voranreitenden Texaner auf die Hochebene hinaus.

Stahlblau spannte sich der Himmel Colorados über das White River Plateau. Die Wälder, die die Ebene zu beiden Seiten säumten, waren herbstlich gefärbt, die Luft war kalt und rein.

Mehrere Stunden hielt sich der Reitertrupp auf dem Plateau, dann bog er nach Norden in die bewaldeten Berge ab.

Es war später Nachmittag, als der Texaner am Saum eines Hochwaldes anhielt und auf eine weite Lichtung hinausdeutete, auf der mehrere, von einer mannshohen Fenz umgebene Bauten zu sehen waren.

»Das ist es«, erklärte Chet.

Jimmy Pleggs Kopf wackelte wie ein Greisenschädel hin und her.

Fred Morris kratzte seinen roten Stoppelbart und tastete nach der Flasche, die er hinten in einer Geheimtasche seiner Jacke trug.

Larry Hout, der seitlich neben Chet hielt, blickte mit kühlen Augen auf die Blockhäuser hinüber.

Chet erklärte: »Über die Fenz kommen wir nicht. Bing reitet an das Tor. Wenn geöffnet wird, rutscht er auf der Seite vom Pferd, die dem Wächter abgewandt ist. Larry übernimmt den Wächter. Es sind fünf Leute im Camp. Kommen unerwarteterweise mehr Männer an die Tür, so kümmern sich Ed und Brian um sie. Fred und Slim öffnen das Tor. Die anderen stürmen hinter mir in den Hof, wenn Larry das Zeichen gibt.«

Niemand sagte ein Wort. Mit harten Augen starrten die Männer auf das Holzfäller-Camp, das friedlich in der herbstlichen Landschaft unter dem unschuldigen blauen Himmel lag.

Chet Nugent nahm seinen großen Colt aus dem Halfter, ließ die gutgeölte Trommel rotieren, blickte noch einmal in die sechs Kammern und schob die Waffe dann mit einem nur zu gut geübten Griff ins Halfter zurück.

Auch die anderen prüften ihre Colts.

Nur Larry Hout nicht; er war sicher, daß sein Colt in Ordnung war.

Und Jimmy Plegg auch nicht; er war sicher, daß er nicht schießen würde.

»Die Büsche stehen fünfzig Yards vom Eingang. Ein ziemlich langes Stück, das wir im Galopp zurücklegen müssen, wenn Larry vom Tor her das Zeichen gibt«, erklärte Chet. »Wir reiten jetzt im Halbkreis von hinten auf die Büsche zu.«

»Alles klar?« fragte der Texaner rauh.

Die Männer nickten.

»Dann vorwärts.«

Der Trupp sprengte los.

Hinter den Büschen hielten die Reiter an.

Ein junger Bursche mit einem Kindergesicht zog sich das rote Halstuch zurecht, schob sich die hellen Haarsträhnen aus der Stirn und setzte sich nach einem Blick auf Chet mit seinem Fuchs in Richtung auf das Lagertor in Bewegung.

Bing Waters sah tatsächlich aus wie ein Junge. Und zwar wie ein harmloser, braver Junge. Er machte zweifellos den angenehmsten Eindruck in der ganzen Crew. Und deshalb hatte Chet ihn zum Türöffner bestimmt. Aber er war keineswegs der ordentliche Bursche, der er schien, der neunzehnjährige Junge aus Tennessee. Hinter seiner Larve verbarg sich das Gemüt eines Raubtieres.

Bing hatte in Memphis mit sechzehn Jahren beim Pokern einen Mann erstochen. Seitdem war er auf der Flucht. An den ersten Mord hatten sich bald weitere gereiht. In Springfield, Missouri, erkannte ihn ein Sheriff nach dem Fahndungsblatt und schoß auf ihn, als er sich nicht ergeben wollte. Selbst schwerverwundet, schoß Bing den Gesetzesmann nieder. Seit dieser Stunde war sein Schicksal besiegelt.

Nach dem tödlichen Schuß auf den Sternträger wurde Bing auf die schwarze Liste der flüchtigen Sheriffmörder gesetzt und in allen Unions-Staaten gesucht. Es war nicht verwunderlich, daß er damals in die Felsenberge flüchtete. Hier geriet er bald an Chet Nugent, der Burschen wie ihn brauchen konnte.

Bing ritt langsam die von Chet ziemlich genau auf fünfzig Yards geschätzte Strecke zum Lagertor.

Jim Plegg kaute auf seiner Unterlippe herum.

Der Ire Morris hatte schweißnasse Haare.

Ed Fletschers Nasenflügel bebten leise vor innerer Erregung.

Brian Durber starrte mit geweiteten Augen auf Bings schmalen Rücken.

Slim Cramers Gesicht war ausdruckslos, seine scharfen Mundwinkel nach unten gezogen. Und doch wäre einem guten Beobachter aufgefallen, daß sich seine Rechte, die auf dem Oberschenkel lag, unnatürlich zusammenkrampfte.

Die anderen blickten mit leeren Augen auf das Lagertor. Aber auch sie waren irgendwie erregt.

Nur zwei Männer nicht. Chet Nugent und der gipsgesichtige Larry Hout.

Chets Lippen waren wie immer hart aufeinandergepreßt. Mit kalten Augen musterte er den Davonreitenden.

Larry hatte den Zügel in der Linken, den Kopf gesenkt und die Unterlippe ein wenig vorgeschoben. Er war es, der zuerst die fünfzig Yards durchmessen mußte, wenn das Tor geöffnet wurde. Das war eine höllische Sache. Nie und nimmer konnte er von hier aus mit einem Schuß den Mann am Tor erwischen. Er mußte reiten, reiten, reiten und schießen und treffen. Das wußte er genau. Er hatte den schwersten Job bei diesem Überfall. Obgleich er nach außenhin tatsächlich völlig ruhig schien, war jede Fiber seines Körpers zum Zerreißen gespannt. Er mußte wie von der Sehne geschnellt losreiten, schießen, töten.

Das Holzfäller-Camp lag ruhig da. Die Pfahlumzäunung umgab es wie eine kleine Festung. Fünf Blockhäuser und drei Geräteschuppen, zwei flachgestreckte Stallgebäude und ein kleiner Turm, wie man ihn während der Indianerkriege in den Forts errichtete, das war alles. Ein bescheidenes Lager der großen Harris Company, die ihren Sitz drüben hinter den Bergen, sechzig Meilen östlich von hier, in der Stadt Yampa hatte.

Das Harris-Camp brachte der Gesellschaft das meiste Geld.

Die Holzfäller, die zu diesem Lager gehörten, waren seit langen Jahren bei der Company und hatten sich bewährt. Es war ein guteingespieltes Team von vierundzwanzig Männern, die von dem alten weißbärtigen Rauhbein Owen Baxter angeführt wurden. Vor drei Jahren hatte die Gesellschaft dieses Camp gebaut. Der erste Lagerboß war Wyatt Earp gewesen.

Die Holzfäller hielten sich seit einigen Wochen in einer von starken, hochstämmigen Kiefern bewachsenen Halde auf, die etwa sieben Meilen vom Lager entfernt war. Nur zwei Leute waren im Camp zurückgeblieben.

Das alles wußte Chet Nugent genau. Er hatte die Gelegenheit, das Harris-Camp zu überfallen, schon lange herbeigesehnt. Aber entweder arbeiteten die Woodcutter ganz in der Nähe in Einzel-Abteilungen, so daß sie ständig eine Verbindung zum Lager hatten, oder aber sie hatten doch bedeutend mehr Leute im Lager zurückgelassen, so daß der Überfall ein bedeutendes Risiko darstellte. Der neue Holzplatz unten an der Fichtenhalde kam Nugent wie gerufen. Er hatte die Sache als vorsichtiger Mann drei Tage beobachtet. Er wußte nun genau, daß keine Essenträger vom Camp zum Holzplatz fuhren, er wußte, daß tagsüber nur einmal, und zwar um zwölf Uhr am Mittag, einer der Arbeiter zum Lager zurückkam, um zu sehen, ob alles in Ordnung war.

Mittag war längst vorüber.

Es ging auf fünf Uhr zu.

Der Texaner wußte, daß der Trupp vor halb acht nicht zurückkam; die Arbeiter nutzten die Zeit bis zum letzten Tageslicht aus. Und hier oben auf den Bergen blieb es auch in dieser späten Jahreszeit noch lange hell.

Steve Dump schlenderte mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern über den Hof. Er war ein mittelgroßer, magerer Mann mit dunklem Haar und schwerem Schnauzbart. Er hatte ein gutmütiges, schmales Gesicht und braune Augen.

Er dachte an Ann und die drei Kinder. Sie waren unten in Colorado Springs und warteten auf Post von ihm. Heute abend würde er ihnen schreiben. Zum drittenmal verbrachte er nun schon das Winterhalbjahr hier oben in den Bergen. Unten in der Stadt gab’s wenig Arbeit.

Steve machte vor einem der Blockhäuser halt und blickte durch das Fenster.

Drinnen lag auf einer Pritsche ein großer vierschrötiger Mann mit unter dem Kopf verschränkten Armen und starrte gegen die Decke.

Steve klopfte gegen das Fenster.

Der andere wandte den Kopf.

»Du kannst dich langsam fertigmachen, Jonny. Es ist gleich fünf.«

Der Mann drinnen nickte, erhob sich gähnend vom Lager. Es war Jonny Cass; seine Lagerwache begann um fünf Uhr.

Steve nahm seine Pfeife aus der Tasche, stopfte sie und blickte zu dem kleinen Wachturm hinüber. Er überlegte, ob er noch einmal hinaufsteigen sollte, um die Gegend zu beobachten. Es war von Owen Baxter so angeordnet worden, daß die Wachen jede zweite Stunde einmal auf den Turm gingen.

Steve hielt das für eine Verrücktheit. Aber schließlich war es so befohlen.

Er nahm seine alte Uhr aus der Tasche, die ihm der Vater, als er vor zwanzig Jahren drüben im fernen St. Louis die Augen schloß, geschenkt hatte: es war gerade fünf.

Äh, Jonny würde doch gleich auf den Turm steigen.

Steve stopfte seine Pfeife und riß an einem der Torbalken ein Zündholz an.

Wenn ich das, was von diesem Winter übrig bleibt, zu dem Rest des im vergangenen Jahr Ersparten lege, dann können wir uns das kleine Haus draußen in der Denverstreet kaufen, überlegte er.

Das kleine Haus war sein Traum. Vielleicht konnte er später auch das Stück Land dazukaufen, das dahinterlag und dem alten Rugger gehörte; der machte doch nicht mehr lange, und seine Tochter hatte nach Pueblos hinunter geheiratet.

Steve war voller Pläne.

Er konnte ja nicht ahnen, daß er in diesem Augenblick noch drei ganze Minuten zu leben hatte. Drei erbärmliche, winzige Minuten.

Steve blieb stehen und starrte gedankenverloren auf seine Stiefelspitzen. Er dachte an seine drei Kinder. An den vierzehnjährigen Joe, der ganz das Gesicht seiner Mutter hatte. An die elfjährige Rosy und an den kleinen sechsjährigen Tim.

In diesem Augenblick wurde von draußen an das Tor geklopft.

Steve zuckte zusammen. »Ja?« rief er.

»He, kann ich bei euch einen Schluck Wasser bekommen?«

Steve sah Jonny Cass hinten aus dem Haus treten; er zog sich noch die Lederjacke an.

Steve ging zum Tor, schob den schweren Balken zurück, warf die beiden Eisenriegel hoch und zerrte das Tor auf.

Draußen hielt ein einzelner Reiter. Ein blutjunger Bursche mit frischem Gesicht.

»Komm rein, Brother«, meinte Steve gutgelaunt.

Schließlich gab es keinen Grund, einem einzelnen Reiter einen Schluck Wasser zu verwehren.

Bing blickte in das Gesicht des Holzfällers, sah seine dunklen Augen und wußte, daß der Mann jetzt sterben mußte.

Bing lächelte und zeigte sein gesundes, weißes Gebiß.

Steve stand rechts von ihm.

Langsam rutschte Bing auf der linken Seite vom Pferd.

Da schoß drüben aus den Büschen ein Reiter auf einem Apfelschimmel heran. Steve starrte ihm verblüfft entgegen.

In der Hand des Reiters blitzte ein Revolver auf.

Steve spürte einen Schuß gegen die Brust und taumelte zurück, prallte gegen das Tor, und als er nach seinem Colt greifen wollte, schoß der Reiter noch einmal.

Steve Dump rutschte am Tor hinunter auf den Boden.

Nach dem ersten Schuß hatte Bing einen Sprung in den Hof gemacht. Er sah den Mann drüben vor der Tür des Blockhauses stehen und schoß.

Jonny Cass war ein harter Bursche und hatte schon manchen Gunfight hinter sich.

Er schoß sofort zurück.

Bing hatte sich nach seinem Schuß zu Boden geworfen. Sein nächster Schuß traf den vierschrötigen Holzfäller wie ein Beilhieb an der Stirn.

Cass wurde herumgerissen, strauchelte, stieß den Colt mit zusammengebissenen Zähnen wieder hoch.

Dreimal drückte er ab.

Die dritte Kugel traf Bing Waters genau ins Herz.

In diesem Augenblick sprengte der gipsgesichtige Schießer in den Hof. Obwohl er Cass fallen sah, schoß er.

Dann riß er das Pferd auf der Hinterhand herum und schwenkte im Tor sein feuerrotes Halstuch.

Chet Nugent und seine Bande sprengten heran, stampften mit trommelnden Hufen in den Lagerhof, achteten nicht auf die Männer, die am Boden lagen, stürmten auf die Häuser zu und machten sich an das große Auskippen.

Es klappte alles nach Plan.

Eine Viertelstunde später saßen sie wieder auf ihren Pferden.

Chet blickte auf den Burschen, der drei Jahre mit ihm geritten war. Mitleid war nicht in seinen Augen. Dann hob er den Arm und befahl den Abmarsch.

Die Banditen hatten das Holzfällercamp geplündert. Uhren, Revolver, Gewehre, Munition, haltbare Lebensmittel, Pelze und Geld hatten sie mitgenommen.

Und im Hof lagen drei Tote.

Chet Nugent stob mit seiner Horde in die Berge davon.

Als Owen Baxter zwei Stunden später mit dem Holzfällertrupp in den Lagerhof einritt, zügelte er sein Pferd und starrte auf die Körper der drei Männer. »Die Wölfe waren hier«, preßte er heiser durch die Zähne. Langsam rutschte er aus dem Sattel und schritt auf Steve Dump zu: Er kniete neben ihm nieder und blickte in sein wächsernes Gesicht. Dann sah er zu Jonny Cass hinüber.

Er erhob sich und ließ seine Augen forschend über die zusammengekrümmte Gestalt Bing Waters’ gleiten.

»Kennt einer diesen Burschen?«

Die Männer sahen auf das bleiche Gesicht des Toten und schüttelten die Köpfe.

»Hm, dann seht mal in den Hütten nach, ob sie uns wenigstens die Schlafdecken gelassen haben…«

Mit hartem Gesicht ging der greise Lagerboß zu seinem Pferd zurück und setzte sich in den Sattel. »Jim, du kommst mit.«

Ein ellenlanger Bursche mit einem Pferdegesicht nickte und zog sich ebenfalls wieder in den Sattel.

Baxter deutete auf einen kurzbeinigen, dicken Kerl mit krausem Vollbart. »Dan, ich reite mit Jim nach Yampa. Du vertrittst mich hier inzwischen. Morgen reitest du nur mit der halben Mannschaft zum Holzplatz, die andere Hälfte bleibt hier. Joe Vanderbilt, du sorgst dann hier für Ordnung. So bleibt es, bis ich zurück bin. Ist das klar?«

Die Männer nickten.

Der Alte nahm seinen Braunen herum und ritt, von dem langen Jim Potgieter gefolgt, aus dem Lagertor. Er hatte fast sechzig Meilen durch das Gebirge zurückzulegen, bis er die Stadt erreichte, in der die Company ihren Sitz hatte. Ein weiter Weg, aber Owen Baxter hatte keine andere Wahl. Er mußte nach Yampa, um Mr. Harris den Überfall zu melden.

*